Pathologie und William Harvey: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:William Harvey.jpg|miniatur|William Harvey (Gemälde von [[Wikipedia:Daniel Mytens|Daniel Mytens]], ca. 1627, Öl auf Leinwand, heute in der [[Wikipedia:National Portrait Gallery (London)|National Portrait Gallery]]).]]
[[Datei:Metastatic colonic adenocarcinoma (5616503603).jpg|mini|Makroskopischer Aspekt einer [[Lungenmetastase]] bei [[Darmkrebs]] mit typischer beige-hellgrauer Tumorschnittfläche.]]
[[Datei:Inclusion station 2.jpg|mini|Gewebeproben werden in Paraffin eingegossen.]]
[[Datei:Cutting station.jpg|mini|Am [[Mikrotom]] werden wenige Mikrometer dünne Schnitte angefertigt.]]
[[Datei:Sections collection.jpg|mini|Diese werden im Wasserbad auf Objektträger aufgezogen.]]
[[Datei:Ready slides.jpg|mini|Die Präparate werden dann je nach Fragestellung gefärbt und eingedeckt.]]
[[Datei:Paracolonic Lymph Node with Metastatic Adenocarcinoma (6796280527).jpg|mini|Histologie einer [[Lymphknotenmetastase]] bei Darmkrebs ([[Adenokarzinom]]). [[HE-Färbung]].]]
[[Datei:Molluscum Contagiosum (7584473614).jpg|mini|Histologie einer harmlosen [[Dellwarze]] an der Haut. HE.]]
[[Datei:Candida, Liquid-based Pap (3952574619).jpg|mini|Zytologie mit Plattenepithelzellen und [[Candida]]-Pilzen. [[Pap-Test|Papanicolaou-Färbung]].]]


Die '''Pathologie''' („Lehre von den Leiden“) ist ein Teilgebiet der [[Medizin]], das sich mit der Beschreibung und Diagnose von krankhaften Vorgängen und Zuständen im Körper beschäftigt. Gegenstand der Erforschung sind sowohl Einzelphänomene ([[Symptom]]e) als auch Symptomverbände ([[Syndrom]]e) sowie Missbildungen aller Art. Die Pathologie untersucht die Herkunft ([[Ätiologie (Medizin)|Ätiologie]]), die Entstehungsweise ([[Pathogenese]]), die Verlaufsform und die Auswirkungen von Krankheiten einschließlich der jeweiligen Vorgänge im Körper (''Funktionelle Pathologie'' bzw. [[Pathophysiologie]]).
'''William Harvey''' (* [[Wikipedia:1. April|1. April]] [[Wikipedia:1578|1578]] in [[Wikipedia:Folkestone|Folkestone]]/[[Wikipedia:Kent|Grafschaft Kent]]; † [[Wikipedia:3. Juni|3. Juni]] [[Wikipedia:1657|1657]] in [[Wikipedia:London Borough of Wandsworth|Roehampton]], einem Stadtteil von [[Wikipedia:London|London]]) war ein englischer Arzt und [[Anatomie|Anatom]] sowie mit dem experimentellen Nachweis des (großen) [[Blutkreislauf]]s der Wegbereiter der modernen [[Physiologie]].


Die pathologische [[Diagnose|Diagnostik]], also die Tätigkeit des Pathologen (Facharzt für Pathologie), beruht in erster Linie auf der Beurteilung von [[Gewebe (Biologie)|Geweben]] anhand ihrer [[Makroskopische Anatomie|makroskopischen]] (pathologische [[Anatomie]]) und [[Lichtmikroskop|lichtmikroskopischen]] Aspekte ([[Histologie|Histopathologie]], [[Zytodiagnostik|Zytologie]]). Zunehmend werden [[Biochemie|biochemische]] und [[Molekularbiologie|molekularbiologische]] Methoden eingesetzt, in der Forschung die [[Elektronenmikroskop]]ie. Pathologen führen auch klinische [[Obduktion]]en durch. Die Untersuchung von Geweben lebender Patienten ([[Biopsie]]) überwiegt jedoch bei weitem.
== Leben ==
=== Herkunft und Ausbildung ===
William Harvey wurde als ältestes von neun Kindern des Kaufmanns Thomas Harvey und seiner Ehefrau Joan in [[Wikipedia:Folkestone|Folkestone]] geboren. Er lernte in Canterbury an der ''King's School'' Latein sowie Griechisch<ref>Barbara I. Tshisuaka: ''Harvey, William.'' 2005, S. 538.</ref> und studierte zunächst ab dem Jahr 1593<ref name="ÄL">Ralf Bröer: ''William Harvey'', in: [[Wikipedia:Wolfgang U. Eckart|Wolfgang U. Eckart]] und [[Wikipedia:Christoph Gradmann|Christoph Gradmann]] (Hrsg.): ''Ärztelexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert'', 1. Aufl. 1995 C. H. Beck München S. 172-174, ''Ärztelexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart'', 2. Aufl. 2001, S. 148+149, 3. Aufl. 2006 Springer Verlag Heidelberg, Berlin, New York S. 156+157. {{DOI|10.1007/978-3-540-29585-3}}.</ref> an der Universität von [[Wikipedia:Universität Cambridge|Cambridge]]. Dieses Studium beendete er 1597 mit dem ''[[Wikipedia:Bachelor|Bachelor]] of Arts''. In der Folge studierte er bis 1602 Medizin an der Universität von [[Wikipedia:Padua|Padua]] in Italien, der renommiertesten medizinischen Fakultät jener Zeit. Dort hatte der angesehene Chirurg und Anatom [[Wikipedia:Girolamo Fabrizio|Hieronymus Fabricius]] zwar die [[Wikipedia:Venenklappe|Venenklappe]]n entdeckt, ihre Bedeutung jedoch noch nicht verstanden, da nach den damals gültigen Auffassungen [[Galenos|Galens]] ein Kreislauf des Blutes nicht vorstellbar war. Vielmehr war man seit 14 Jahrhunderten der Meinung, das Blut werde laufend in der [[Leber]] produziert und durch [[Wikipedia:Muskelkontraktion|Kontraktion]] der [[Wikipedia:Arterie|Arterie]]n in Bewegung versetzt.


== Zum Begriff ==
=== Späteres Leben ===
Der [[Griechische Sprache|griechische]] Begriff παθολογία ''pathologia'' lässt sich herleiten von den Wörtern πάθος ''páthos'' ‚Krankheit, Leiden, Leidenschaft‘ und λόγος ''lógos'' ‚Wort, Sinn, Vernunft, Lehre‘.
Mit diesen Eindrücken kehrte Harvey zwei Jahre später zurück nach England. In London eröffnete er eine Praxis und heiratete Elizabeth Browne, die Tochter des [[Arzt|Leibarzt]]es von Königin [[Wikipedia:Elisabeth I.|Elisabeth I.]] 1607 wurde Harvey Mitglied des ''Royal College of Physicians,'' 1608 an den Hof von König [[Wikipedia:Jakob I. (England)|James I.]] berufen, und nach dessen Tod 1625 auch Leibarzt von dessen Nachfolger [[Wikipedia:Karl I. (England)|Charles I.]], mit dem er befreundet war und der seine Forschungen großzügig unterstützte. Im Jahr 1636 nahm Harvey an einer Gesandtschaft zu [[Wikipedia:Ferdinand II. (HRR)|Kaiser Ferdinand II.]] nach Regensburg teil mit anschließendem Abstecher nach Italien. Nach seiner Rückkehr nach London betrieb er wieder seine Praxis.<ref name="ÄL"/>


Das latinisierte Substantiv ''Pathologia'' als ‚die Lehre vom Leiden‘ oder ‚Krankheitslehre‘ ist jedoch erst seit dem 16. Jahrhundert belegt, entstand aus griechisch ''pathologikè téchne'' (‚Kenntnis über Krankheit‘) und geht auf den Ausdruck ''pathologikós'' bei [[Galenos]] zurück, der damit eine „Person, die kundig im wissenschaftlichen Umgang mit Krankheit ist“ bezeichnet hatte.<ref>Axel W. Bauer: ''Pathologie.'' In: ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' 2005, S. 1112.</ref>
1628 veröffentlichte er sein 72seitiges Werk ''Exercitatio Anatomica de Motu Cordis et Sanguinis in Animalibus'' oder kurz ''De Motu Cordis'' (Anatomische Studien über die Bewegung des Herzens und des Blutes). In seiner einleitenden Widmung an König [[Wikipedia:Karl I. (England)|Charles I.]] schreibt Harvey:


''Pathologie'' ist darüber hinaus auch eine Kurzbezeichnung für die Pathologie-Abteilung eines [[Krankenhaus]]es oder ein [[Institut]] an einer Hochschule, das neben der praktischen Arbeit Krankheiten erforscht und das Wissen in der Lehre vermittelt („Institut für Pathologie“ oder „Pathologisches Institut“).<ref>Beispiel für eine Krankenhausabteilung: [http://www.rbk.de/standorte/robert-bosch-krankenhaus/abteilungen/pathologie.html Fachabteilung Pathologie des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart]</ref><ref>Beispiele für Pathologische Institute: [http://pathologie-ccm.charite.de Institut für Pathologie der Charité in Berlin], [http://www.pathologie.uni-wuerzburg.de/institut Pathologisches Institut der Universität Würzburg]</ref> Weiterhin ist ''Pathologie'' auch ein Begriff für einen krankhaften Zustand, eine krankhafte Erscheinung oder Anzeichen ([[Symptom]]e) einer Krankheit.<ref>Duden online: [http://www.duden.de/rechtschreibung/Pathologie ''Pathologie''], siehe Bedeutungen 2 und 3</ref>
{{Zitat|Das Herz der Lebewesen ist der Grundstock ihres Lebens, der Fürst ihrer aller, der kleinen Welt Sonne, von der alles Leben abhängt, alle Frische und Kraft ausstrahlt. Gleicherweise ist ein König der Grundstock seiner Reiche und die Sonne seiner kleinen Welt, des Staates Herz, von dem alle Macht ausstrahlt, alle Gnade ausgeht. Diese Schrift hier über die Bewegung des Herzens habe ich Seiner Majestät (wie es Sitte dieser Zeit ist) um so mehr zu widmen gewagt, als [] beinahe alle menschlichen Taten wie auch die meisten Taten eines Königs unter der Eingebung des Herzens sich vollziehen.|William Harvey|Die Bewegung des Herzens und des Blutes (übersetzt nach der lateinische Originalausgabe von 1628).}}


Das [[Adjektiv]] '''pathologisch''' bedeutet „zur Pathologie gehörend“, also „krankheitsbezogen“ oder auch „krankhaft“.<ref>Duden online: [http://www.duden.de/rechtschreibung/pathologisch ''pathologisch'']</ref> In der Medizin wird der Begriff ''pathologisch'' bzw. die Vorsilbe ''patho-'' für krankhafte oder abnorme Befunde genutzt. Beispielsweise wird von einem „pathologischen [[Elektrokardiogramm|EKG]]“ oder bei krankhaften [[Psyche|psychischen]] Veränderungen von [[Psychopathologie]] gesprochen.
Das Werk verhalft Harvey zu Ansehen in ganz Europa, brachte ihm andererseits aber auch harte Kritik der Anhänger Galens ein, auf die er 1649 mit der Veröffentlichung seiner detaillierten Antworten reagierte. Das große Rätsel, wie das Blut aus den Arterien in die [[Wikipedia:Vene|Vene]]n komme, konnte allerdings erst nach der Erfindung des [[Wikipedia:Mikroskop|Mikroskop]]s der italienische Anatom [[Wikipedia:Marcello Malpighi|Marcello Malpighi]] mit seiner Entdeckung der [[Wikipedia:Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]] lösen.


Die folgenden Begriffe veranschaulichen beispielhaft die verallgemeinerte Bedeutung von ''pathologisch'' im Sinne von „krankhaft“: [[pathologisches Spielen]] (Spielsucht), [[Pseudologie|pathologisches Lügen]] (zwanghaftes Lügen), [[pathologische Wissenschaft]] (Erforschung eines nicht existierenden Gegenstandes), [[pathologisches Beispiel]] (mathematische Operationen, die zu Konflikten führen).
Im Alter von 79 Jahren erlag Harvey den Folgen eines [[Wikipedia:Schlaganfall|Schlaganfall]]es. Begraben wurde er in Hempstead, einem Dorf im Distrikt [[Wikipedia:Uttlesford|Uttlesford]].<ref>findagrave: [https://www.findagrave.com/cgi-bin/fg.cgi?page=gr&GRid=12085551 William Harvey].</ref>


== Geschichte ==
== Schriften ==
In ihrer heutigen Form geht die Pathologie, als Wort bereits von [[Jean Fernel]] populär gemacht, auf den italienischen Forscher [[Giovanni Battista Morgagni]] (1682–1771) zurück, der mit seinem fünfbändigen Werk ''De sedibus et causis morborum'' („Vom Sitz und den Ursachen der Krankheiten“) im Jahre 1761 den Grundstein für die wissenschaftlichen Forschungen legte und insbesondere als Begründer der Pathologischen Anatomie gilt.
Fast alle seiner Handschriften sind entweder während des [[Wikipedia:Englischer Bürgerkrieg|Bürgerkriegs]] oder aber bei dem großen [[Wikipedia:Großer Brand von London|Brand in London]] (1666) untergegangen.


Bereits im [[Altertum]] wurden in [[Medizin im Alten Ägypten|Ägypten]] und [[Altgriechische Medizin|Griechenland]] Leichenöffnungen durchgeführt, die aber mehr der anatomischen Bildung dienten. Erst mit Ende des 18. Jahrhunderts wurden auf Grund des zunehmenden Verständnisses für die Bedeutung der [[Leichenschau]] erste Fachvertreter, die eigens für die Sektionen verantwortlich waren, bestellt. Der erste sogenannte ''[[Prosektor]]'' (lat. ''prosecare'': vorschneiden) begann 1796 am Wiener Allgemeinen Krankenhaus seine Arbeit. Der erste [[Lehrstuhl]] für Pathologie wurde 1819 in [[Straßburg]] eingerichtet ([[Jean-Frédéric Lobstein]], 1777–1835). Als Prüfungsfach wurde Pathologie im Jahre 1844 in Wien eingeführt.
Was William Harvey von seinen forschenden Zeitgenossen unterschied, war seine klare Trennung von [[Hypothese]]n und [[Tatsache|Fakten]]. Ergebnisse seiner Forschungen akzeptierte er erst, wenn sie auch in [[Wikipedia:Kontrollversuch|Kontrollversuch]]en bestätigt wurden. Er war somit der erste, der wissenschaftliche Methoden auf dem Gebiet der Biologie und Medizin einführte, und kann somit als der Begründer der neuzeitlichen Medizin und Physiologie betrachtet werden. Seine Berechnung der Pumpleistung des [[Herz]]ens ist die erste bedeutende Anwendung der [[Mathematik]] auf die [[Biologie]]. Harveys neue Erkenntnisse eröffneten auch den philosophischen Kampf zwischen [[Vitalismus|Vitalisten]] und [[Mechanistisches Weltbild|Mechanisten]], der sich bis in die heutige Zeit zieht.
Bedeutsam war auch seine Tätigkeit am ''Royal College of Physicians,'' wo er seit 1615 Vorlesungen hielt, [[Wikipedia:Obduktion|Sektionen]] sowie anatomische Demonstrationen durchführte, seine [[These]]n über den Blutkreislauf seit etwa 1618 vertrat und sich damit vor der Veröffentlichung seiner Ansichten der [[Kritik]] stellte.


Die, den theoretischen Konzepten seiner Zeit entgegenstehende, auf empirischen Methoden beruhende Analytische Pathologie begründete um 1840 der italienische Arzt Maurizio Bufalini (1787–1885).<ref>Michael Stolberg: ''Bufalini, Maurizio.'' In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 220.</ref>
Mit seiner 1651 veröffentlichten Arbeit ''Exercitationes de Generatione Animalium'' (Übungen über die Erzeugung der Tiere) lieferte Harvey bedeutende Beiträge zur [[Embryologie]].<ref>[[Wikipedia:Ilse Jahn|Ilse Jahn]], Rolf Löther, Konrad Senglaub (Hrsg.): ''Geschichte der Biologie.'' 2. Auflage. 1985, {{OCLC|4950483822}}, S. 218.</ref> Harvey war der erste, der nicht nur aufeinanderfolgende Entwicklungsstadien beschrieb, sondern eine dynamische Betrachtungsweise einnahm. Im Widerspruch zu der damals allgemein anerkannten [[Präformationslehre]] stellte er dar, wie die verschiedenen [[Organ (Biologie)|Organe]] aus undifferenzierter Substanz hervorgehen ([[Epigenese]]). Der Zeugungsvorgang bestand dabei nach Harvey aus der Übertragung einer immateriellen „Fruchtbarkeit“ des Samens, die sich beim Menschen primär im Blut manifestiert, auf die mütterliche Materie. Der Embryo entwickle sich dann autonom zunächst über das Zwischenstadium „Ei“. Aus dem ursprünglichen Blutstropfen traten dann die Organe in definierter Reihenfolge in Erscheinung.<ref name="ÄL"/> In der Tradition des griechischen Philosophen [[Aristoteles]]<ref>Charles B. Schmitt: ''William Harvey and Renaissance Aristotelianism. A Consideration of the Praefatio to 'De generatione animalium' (1651).'' In: Deutsche Forschungsgemeinschaft: ''Humanismus und Medizin.'' Hrsg. von Rudolf Schmitz und [[Wikipedia:Gundolf Keil|Gundolf Keil]], Acta humaniora der Verlag Chemie GmbH, Weinheim 1984 (= Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 117–138</ref> nahm er dabei ein formbildendes Prinzip an, das er als einen „göttlichen [[Architekt]]en“ bezeichnete. Mit diesen Anschauungen war er zu seiner Zeit ein Außenseiter; der von ihm vertretene epigenetische Ansatz konnte sich, von dem [[Metaphysik|metaphysischen]] Beiwerk befreit, erst im frühen 19. Jahrhundert gegen den Präformismus durchsetzen.


Als ein eigenständiges Lehrfach an deutschen Universitäten hatte sich die ''Pathologische Anatomie'', zu deren Wegbereitern am Ende des 15. Jahrhunderts beispielsweise der italienische Anatom und Pathologe Antonio Benivieni<ref>Barbara I. Tshisuaka: ''Benivieni, Antonio.'' In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 164 f.</ref> gehörte, zwischen 1845 und 1876<ref>Axel W. Bauer: ''Die Formierung der Pathologischen Anatomie als naturwissenschaftliche Disziplin und ihre Institutionalisierung an den deutschsprachigen Universitäten im 19. Jahrhundert.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 10, 1993, S. 315–330.</ref> etabliert. Das erste amerikanische Werk für dieses Fachgebiet wurde von dem Anatomen William Edmonds Horner 1829<ref>William E. Horner: ''A treatise of pathological anatomy.'' Philadelphia 1829.</ref> veröffentlicht.<ref>Barbara I. Tshisuaka: ''Horner, William Edmonds.'' In: ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' 2005, S. 617.</ref> 1858 entwickelte [[Rudolf Virchow]] die [[Zellularpathologie]], die nun auf der Ebene von Körperzellen pathologische Veränderungen untersuchte. Diese ist ein Hauptbestandteil des heute gültigen [[Krankheitskonzept]]s. Virchow gilt als „Initiator der modernen Pathologie im deutschsprachigen Raum“.<ref>Hanna K. Probst, Axel W. Bauer: ''Wegbereiterin und Wegbegleiterin neuer chirurgischer Therapiekonzepte. Die Tumorpathologie in der Frauenheilkunde während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.'' In: ''Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen.'' Band 10, 2014, S. 89–110, hier zitiert: S. 89.</ref> Durch den Einfluss von Virchows Werken verdrängte im deutschen Sprachraum der Begriff ''Pathologie'' die Teilgebietsbezeichnung „Pathologische Anatomie“.<ref>Hans-Werner Altmann: ''Krankheitsnamen als Spiegelbild medizinischer Erkenntnisse.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 3, 1985, S. 225–241; hier: S. 227 f.</ref> Ebenfalls im 19. Jahrhundert setzte die historische Erforschung von Entwicklung und Grundlagen der Pathologie ein.<ref>Axel Bauer: ''Historia magistra - Historia ministra pathologiae? Zur Rolle der Historiographie in der Pathologie: Entwicklungen und Tendenzen.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 11, 1993, S. 59–76.</ref>
== Sonstiges ==
Nach ihm ist die [[Wikipedia:Harvey Lecture|Harvey Lecture]] benannt.


== Aufgaben des Pathologen ==
== Literatur ==
* Gottfried Zirnstein: ''William Harvey''. (= Biographien Hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker, und Mediziner. Band 28). Teubner, Leipzig 1977, {{DNB|780021789}}.
* Barbara I. Tshisuaka: ''Harvey, William.'' In: [[Wikipedia:Werner E. Gerabek|Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Wikipedia:Gundolf Keil|Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 538.


=== Untersuchung von Gewebs- und Zellproben ===
== Einzelnachweise ==
{{Hauptartikel|Biopsie}}
<references />
Nach operativer Entfernung eines Organs oder Entnahme eines kleinen Gewebsstückes bzw. von Zellproben ([[Zytodiagnostik]]) durch einen Arzt, wird das entsprechende Gewebe vom Pathologen untersucht. Kleine Biopsien werden direkt zu [[Histologischer Schnitt|Schnittpräparaten]] weiterverarbeitet, welche unter dem [[Mikroskop]] betrachtet werden. Große Präparate werden zunächst präpariert und mit dem bloßen Auge (makroskopisch) beurteilt. Auffällige Bestandteile mit möglichen krankhaften Veränderungen werden aus dem Präparat herausgeschnitten (sog. „Zuschnitt“) und wiederum vom Labor zu Schnittpräparaten verarbeitet. Eine Sonderform des Zuschnitts ist der [[Schnellschnitt]]. Hier werden intraoperativ (während einer Operation, in der der Patient noch in Narkose liegt) [[Mikrotom#Gefriermikrotom|Gefrierschnitte]] von Gewebe angefertigt, z.&nbsp;B. ein Resektionsrand bei einer Tumoroperation. Da Gefrierschnitte generell eine schlechtere Qualität besitzen und häufig keine weiterführenden Untersuchungen ermöglichen, werden standardmäßig außerhalb von Schnellschnitt-Situationen [[Paraffinschnitt]]e mit [[Hämatoxylin-Eosin-Färbung|HE-Färbung]] angefertigt.
 
Mit Hilfe des Mikroskops gibt der Pathologe Auskunft über die Art einer Erkrankung und ihren Schweregrad. Er stellt somit [[Diagnose]]n, die durch eine alleinige [[Körperliche Untersuchung|klinische]] oder [[Radiologie|radiologische]] Untersuchung nicht gestellt werden können. Insbesondere im Fall eines Tumors und der Frage nach der [[Dignität (Medizin)|Gut- oder Bösartigkeit]] ist ein Pathologe gefragt. Er begutachtet den Typ, die Größe, die Ausdehnung, die [[Bösartigkeit]] eines [[Krebs (Medizin)|Tumors]] und prüft, ob er bei der Operation im Gesunden entfernt wurde. Er liefert dem klinischen Arzt somit viele wichtige [[Prognose]]faktoren (z.&nbsp;B. [[TNM|TNM-Klassifikation]]), die zur richtigen Behandlung des Patienten unverzichtbar sind. Neben der [[Histologie|histologischen]] Beurteilung werden in der modernen Pathologie auch hochspezialisierte Verfahren wie die [[Immunhistochemie]] oder die Molekularpathologie (z.&nbsp;B. [[Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung]], [[Polymerase-Kettenreaktion|PCR]]) eingesetzt. Damit können Informationen über einen Tumor auf molekularer Ebene gewonnen werden, die für eine bestimmte Therapieform entscheidend sind (z.&nbsp;B. Hormonrezeptoren beim [[Brustkrebs]] als Grundlage zur Behandlung mit [[Tamoxifen]]).
 
=== Obduktion ===
{{Hauptartikel|Obduktion}}
Eine weitere Aufgabe des Pathologen besteht in der Durchführung von Obduktionen, weshalb die Pathologie häufig mit der [[Rechtsmedizin]] verwechselt wird. Eine Obduktion durch den Pathologen wird vorgenommen, wenn ein Patient eines natürlichen Todes gestorben ist (z.&nbsp;B. nach einem Herzinfarkt) und seine Angehörigen mit der Obduktion einverstanden sind. Dabei dient diese sog. klinische Obduktion der Klärung der Todesursache und der vorbestehenden Erkrankungen. Sie gibt dem behandelnden Arzt eine Rückmeldung über die Richtigkeit seiner Diagnosen und seiner Behandlung. Häufig kann eine solche Klärung der Todesursache für die Angehörigen entlastend sein und sie von Selbstvorwürfen befreien (z.&nbsp;B. nach dem plötzlichen Einsetzen eines tödlichen Krankheitsverlaufes). Auch kann eine Obduktion Hinweise auf familiäre Risikofaktoren geben (z.&nbsp;B. [[Krebs (Medizin)|Krebsarten]] oder [[Vererbung (Biologie)|erbliche]] Erkrankungen). Die Rechtsmedizin hingegen beschäftigt sich unter anderem mit der Klärung unnatürlicher Todesursachen (z.&nbsp;B. [[Mord]] oder [[Unfall]]). Sowohl Pathologen als auch Rechtsmediziner stören sich daran, wenn in Fernsehkrimis und im allgemeinen Sprachgebrauch stets nur von „Pathologen“ bzw. „Pathologie“ die Rede ist, es sich aber im Allgemeinen um einen Rechtsmediziner handelt. Der geläufige Irrtum erklärt sich aus einer Fehlübersetzung: Im amerikanischen Sprachgebrauch entspricht der Rechtsmediziner dem ''forensic pathologist''.
 
Obwohl die meisten Laien bei der Pathologie an Obduktionen denken, dient die Arbeit des Pathologen heutzutage in erster Linie dem lebenden Patienten. Durch seine [[Histologie|histologischen Untersuchungen]] leistet er einen wichtigen Beitrag zur richtigen Behandlung. In der modernen Pathologie stehen wenige Obduktionen (je nach Institut zwischen 0 und 200 pro Jahr) zehntausenden Biopsien von lebenden Patienten entgegen.
 
=== Qualitätssicherung ===
Die Pathologie ist weiterhin eines der wichtigsten Instrumente der [[Qualitätssicherung in der Medizin]]. Um den medizinischen Standard zu halten und zu verbessern, wird oft eine kollegiale Konfrontation des klinisch tätigen Arztes mit der kontrollierenden [[Diagnostik]] des Pathologen gefordert, nicht nur während des Lebens des Patienten, sondern auch nach dessen [[Tod]]. Die entsprechende Veranstaltung hat als „klinisch-pathologische Konferenz“ einen festen Platz nicht nur im klinischen Praxisalltag, wo oft wöchentliche Treffen stattfinden, auf denen Pathologen ihre Befunde mit den am Patientenbett tätigen Ärzten gemeinsam besprechen. Als "Teamplayer" ist der Pathologe insbesondere auch an interdisziplinären Tumorkonferenzen beteiligt, wo zusammen mit Radiologen, Onkologen und weiteren Fachrichtungen die Weichen für die individuell abgestimmte Therapie des Patienten gestellt werden.
 
=== Lehre und Forschung ===
Insbesondere an [[Universitätsklinik]]en sind Pathologen auch in die [[Medizinstudium|Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses]] sowie in die Forschung eingebunden.
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kategorie:Pathologie}}
* {{WikipediaDE|Pathologie}}
 
== Literatur ==
* W. Böcker, Helmut Denk, Philipp Ulrich Heitz: ''Pathologie. Mit 164 Tabellen.''Elsevier, Urban und Fischer, München/Jena 2004, ISBN 3-437-42381-9.
* Ursus-Nikolaus Riede, Claus-Peter Adler, Hans-Eckart Schaefer: ''Allgemeine und spezielle Pathologie. 156 Tabellen''. Thieme, Stuttgart 2001, ISBN 3-13-129684-4.
* ''Allgemeine Pathologie; Spezielle Pathologie''. Büttner, Thomas. Schattauer, Stuttgart 1996, ISBN 3-7945-1840-3.
* ''Robbins & Cotran Pathologic Basis of Disease''. Kumar, Fausto, Abbas. Seventh Edition (2004) ISBN 0-7216-0187-1.
* Martin J. Oberholzer: ''Pathologie verstehen. Molekulare Grundlagen der allgemeinen Pathologie.'' Thieme, Stuttgart 2001, ISBN 3-13-129041-2.
* ''Medizin am Toten oder am Lebenden? Pathologie in Berlin und in London 1900-1945''. Cay-Rüdiger Prüll. Schwabe Verlag, Basel 2004 (Zitat aus einer Rezension: „...ein entscheidender Beitrag zur Rolle der Pathologie im gesellschaftlichen Raum“)
* ''Surgical Pathology''. Rosai and Ackerman, 9th Edition, Mosby, 2004
* ''Pathologie''. Remmele (Hrsg.). ISBN 3-540-61095-2.
* Alfred Böcking: Mit Zellen statt Skalpellen. Wie sich Krebs früh und ohne Operation erkennen lässt. Lehmann, Berlin 2006, ISBN 3-86541-177-0.
* [Werner Hueck: ''Morphologische Pathologie. Eine Darstellung morphologischer Grundlagen der allgemeinen und speziellen Pathologie.'', Leipzig 1937; 2. Aufl. ebenda 1948.
* Horst Nizze: ''Pathologie und Pathologen in der Belletristik. Eine Nachlese''. Der Pathologe 6 (2008), S. 455–461.
* Axel W. Bauer: ''Pathologie.'' In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1112 f.
* G. Dhom: ''Geschichte der Histopathologie.'' Heidelberg/New York 2001.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Pathology}}
{{Commonscat}}
{{Wikibooks}}
* {{DNB-Portal|118546481}}
{{Wiktionary}}
{{VD17|00428965X}}
* [http://www.pathologie.de/ Bundesverband Deutscher Pathologen e. V.]
* [http://www.m-ww.de/persoenlichkeiten/harvey.html/ Biografie] bei Onmeda
* [http://www.dgp-berlin.de/ Deutsche Gesellschaft für Pathologie]
* William Harvey: [http://www.fordham.edu/halsall/mod/1628harvey-blood.html ''On The Motion Of The Heart And Blood In Animals.''] 1628.
* [http://www.europathology.org/ European Society of Pathology]
* [http://www.pathologie-online.de/ Pathologie-Online] (deutsch)
* [http://www.iap-bonn.de/ Internationale Akademie für Pathologie, Deutsche Abteilung]
* [http://www.pathology.at/ Österreichische Gesellschaft für Pathologie]
* [http://www.pathowiki.org Pathowiki]
* [http://alf3.urz.unibas.ch/pathopic/intro.htm PathoPic (Pathologie - Bilddatenbank)]
* [http://www.pathol.uzh.ch/histologiekurs/ Virtueller Histologiekurs der Uni Zürich]
* [http://www-medlib.med.utah.edu/WebPath/webpath.html Online-Atlas Pathologie] (englisch)
* [http://www.med.uiuc.edu/m2/pathology/PathAtlasf/titlepage.html The Urbana Atlas of Pathology] (englisch)


== Einzelnachweise ==
{{Normdaten|TYP=p|GND=118546481|LCCN=n/79/21742|NDL=00522442|VIAF=29584187}}
<references/>


{{Gesundheitshinweis}}
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[[Kategorie:Anatom]]
[[Kategorie:Mediziner]]
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{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 3. Oktober 2017, 10:40 Uhr

William Harvey
William Harvey (Gemälde von Daniel Mytens, ca. 1627, Öl auf Leinwand, heute in der National Portrait Gallery).

William Harvey (* 1. April 1578 in Folkestone/Grafschaft Kent; † 3. Juni 1657 in Roehampton, einem Stadtteil von London) war ein englischer Arzt und Anatom sowie mit dem experimentellen Nachweis des (großen) Blutkreislaufs der Wegbereiter der modernen Physiologie.

Leben

Herkunft und Ausbildung

William Harvey wurde als ältestes von neun Kindern des Kaufmanns Thomas Harvey und seiner Ehefrau Joan in Folkestone geboren. Er lernte in Canterbury an der King's School Latein sowie Griechisch[1] und studierte zunächst ab dem Jahr 1593[2] an der Universität von Cambridge. Dieses Studium beendete er 1597 mit dem Bachelor of Arts. In der Folge studierte er bis 1602 Medizin an der Universität von Padua in Italien, der renommiertesten medizinischen Fakultät jener Zeit. Dort hatte der angesehene Chirurg und Anatom Hieronymus Fabricius zwar die Venenklappen entdeckt, ihre Bedeutung jedoch noch nicht verstanden, da nach den damals gültigen Auffassungen Galens ein Kreislauf des Blutes nicht vorstellbar war. Vielmehr war man seit 14 Jahrhunderten der Meinung, das Blut werde laufend in der Leber produziert und durch Kontraktion der Arterien in Bewegung versetzt.

Späteres Leben

Mit diesen Eindrücken kehrte Harvey zwei Jahre später zurück nach England. In London eröffnete er eine Praxis und heiratete Elizabeth Browne, die Tochter des Leibarztes von Königin Elisabeth I. 1607 wurde Harvey Mitglied des Royal College of Physicians, 1608 an den Hof von König James I. berufen, und nach dessen Tod 1625 auch Leibarzt von dessen Nachfolger Charles I., mit dem er befreundet war und der seine Forschungen großzügig unterstützte. Im Jahr 1636 nahm Harvey an einer Gesandtschaft zu Kaiser Ferdinand II. nach Regensburg teil mit anschließendem Abstecher nach Italien. Nach seiner Rückkehr nach London betrieb er wieder seine Praxis.[2]

1628 veröffentlichte er sein 72seitiges Werk Exercitatio Anatomica de Motu Cordis et Sanguinis in Animalibus oder kurz De Motu Cordis (Anatomische Studien über die Bewegung des Herzens und des Blutes). In seiner einleitenden Widmung an König Charles I. schreibt Harvey:

„Das Herz der Lebewesen ist der Grundstock ihres Lebens, der Fürst ihrer aller, der kleinen Welt Sonne, von der alles Leben abhängt, alle Frische und Kraft ausstrahlt. Gleicherweise ist ein König der Grundstock seiner Reiche und die Sonne seiner kleinen Welt, des Staates Herz, von dem alle Macht ausstrahlt, alle Gnade ausgeht. Diese Schrift hier über die Bewegung des Herzens habe ich Seiner Majestät (wie es Sitte dieser Zeit ist) um so mehr zu widmen gewagt, als […] beinahe alle menschlichen Taten wie auch die meisten Taten eines Königs unter der Eingebung des Herzens sich vollziehen.“

William Harvey: Die Bewegung des Herzens und des Blutes (übersetzt nach der lateinische Originalausgabe von 1628).

Das Werk verhalft Harvey zu Ansehen in ganz Europa, brachte ihm andererseits aber auch harte Kritik der Anhänger Galens ein, auf die er 1649 mit der Veröffentlichung seiner detaillierten Antworten reagierte. Das große Rätsel, wie das Blut aus den Arterien in die Venen komme, konnte allerdings erst nach der Erfindung des Mikroskops der italienische Anatom Marcello Malpighi mit seiner Entdeckung der Kapillaren lösen.

Im Alter von 79 Jahren erlag Harvey den Folgen eines Schlaganfalles. Begraben wurde er in Hempstead, einem Dorf im Distrikt Uttlesford.[3]

Schriften

Fast alle seiner Handschriften sind entweder während des Bürgerkriegs oder aber bei dem großen Brand in London (1666) untergegangen.

Was William Harvey von seinen forschenden Zeitgenossen unterschied, war seine klare Trennung von Hypothesen und Fakten. Ergebnisse seiner Forschungen akzeptierte er erst, wenn sie auch in Kontrollversuchen bestätigt wurden. Er war somit der erste, der wissenschaftliche Methoden auf dem Gebiet der Biologie und Medizin einführte, und kann somit als der Begründer der neuzeitlichen Medizin und Physiologie betrachtet werden. Seine Berechnung der Pumpleistung des Herzens ist die erste bedeutende Anwendung der Mathematik auf die Biologie. Harveys neue Erkenntnisse eröffneten auch den philosophischen Kampf zwischen Vitalisten und Mechanisten, der sich bis in die heutige Zeit zieht. Bedeutsam war auch seine Tätigkeit am Royal College of Physicians, wo er seit 1615 Vorlesungen hielt, Sektionen sowie anatomische Demonstrationen durchführte, seine Thesen über den Blutkreislauf seit etwa 1618 vertrat und sich damit vor der Veröffentlichung seiner Ansichten der Kritik stellte.

Mit seiner 1651 veröffentlichten Arbeit Exercitationes de Generatione Animalium (Übungen über die Erzeugung der Tiere) lieferte Harvey bedeutende Beiträge zur Embryologie.[4] Harvey war der erste, der nicht nur aufeinanderfolgende Entwicklungsstadien beschrieb, sondern eine dynamische Betrachtungsweise einnahm. Im Widerspruch zu der damals allgemein anerkannten Präformationslehre stellte er dar, wie die verschiedenen Organe aus undifferenzierter Substanz hervorgehen (Epigenese). Der Zeugungsvorgang bestand dabei nach Harvey aus der Übertragung einer immateriellen „Fruchtbarkeit“ des Samens, die sich beim Menschen primär im Blut manifestiert, auf die mütterliche Materie. Der Embryo entwickle sich dann autonom zunächst über das Zwischenstadium „Ei“. Aus dem ursprünglichen Blutstropfen traten dann die Organe in definierter Reihenfolge in Erscheinung.[2] In der Tradition des griechischen Philosophen Aristoteles[5] nahm er dabei ein formbildendes Prinzip an, das er als einen „göttlichen Architekten“ bezeichnete. Mit diesen Anschauungen war er zu seiner Zeit ein Außenseiter; der von ihm vertretene epigenetische Ansatz konnte sich, von dem metaphysischen Beiwerk befreit, erst im frühen 19. Jahrhundert gegen den Präformismus durchsetzen.

Sonstiges

Nach ihm ist die Harvey Lecture benannt.

Literatur

  • Gottfried Zirnstein: William Harvey. (= Biographien Hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker, und Mediziner. Band 28). Teubner, Leipzig 1977, DNB 780021789.
  • Barbara I. Tshisuaka: Harvey, William. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 538.

Einzelnachweise

  1. Barbara I. Tshisuaka: Harvey, William. 2005, S. 538.
  2. 2,0 2,1 2,2 Ralf Bröer: William Harvey, in: Wolfgang U. Eckart und Christoph Gradmann (Hrsg.): Ärztelexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, 1. Aufl. 1995 C. H. Beck München S. 172-174, Ärztelexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Aufl. 2001, S. 148+149, 3. Aufl. 2006 Springer Verlag Heidelberg, Berlin, New York S. 156+157. doi:10.1007/978-3-540-29585-3.
  3. findagrave: William Harvey.
  4. Ilse Jahn, Rolf Löther, Konrad Senglaub (Hrsg.): Geschichte der Biologie. 2. Auflage. 1985, OCLC 4950483822, S. 218.
  5. Charles B. Schmitt: William Harvey and Renaissance Aristotelianism. A Consideration of the Praefatio to 'De generatione animalium' (1651). In: Deutsche Forschungsgemeinschaft: Humanismus und Medizin. Hrsg. von Rudolf Schmitz und Gundolf Keil, Acta humaniora der Verlag Chemie GmbH, Weinheim 1984 (= Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 117–138

Weblinks

Commons: William Harvey - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema


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