Scholastik und Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz Anno 1459: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Scholastik''' (von {{ELSalt|σχολή}}, ''scole'', [[Muße]], [[Ruhe]]“ aber auch „Schule“ [http://en.wiktionary.org/wiki/%CF%83%CF%87%CE%BF%CE%BB%CE%AE]); meist abgeleitet vom [[Latein|mittellat.]] ''scholasticus'' „Schulmeister“) ist eine wissenschaftliche Denkweise und Methode, die in der [[mittelalter]]lichen [[latein]]ischsprachigen Gelehrtenwelt entwickelt wurde.
[[Bild:Chymische_Hochzeit.gif|thumb|''Chymische Hochzeit des Christiani Rosencreutz Anno 1459'', Ausgabe 1616]]
Die '''Chymische Hochzeit des Christiani Rosencreutz Anno 1459''' erschien 1616 in [[Wikipedia:Straßburg|Straßburg]] bei ''Lazare Zetzner'' erstmals im Druck, nachdem sie zuvor schon einige Zeit als Handschrift im Umlauf war. Entstanden ist sie zwischen 1603 und 1605. Geschildert werden darin die Einweihungserlebnisse des [[Christian Rosenkreutz]], die schließlich zur Begründung des [[Rosenkreuzer-Schulungsweg]]s geführt haben, in Form eines alchemistischen Romans.
 
== [[Johann Valentin Andreae]] ==
[[Bild:Johann_Valentin_Andreae.jpg|thumb|left|Johann Valentin Andreae (1586-1654)]]
Die ''Chymische Hochzeit'' erschien zunächst anonym, doch gilt als ihr Autor [[Johann Valentin Andreae]]. Im äußeren Sinn ist das wohl richtig, doch war er nicht mehr als ein Werkzeug der geistigen Welt, denn wie [[Rudolf Steiner]] deutlichlich gemacht hat, war ihr geistiger Urheber gar keine physische Persönlichkeit:


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"Scholastik kommt aus
"Aber kein Mensch, der die Biographie des Valentin Andrea kennt, wird im Zweifel darüber sein, daß der Valentin Andrea, der später ein philiströser Pastor geworden ist und salbungsvolle andere Bücher schrieb, nicht die «ChymischeHochzeit» geschrieben hat. Es ist ein bloßer Unsinn, zu glauben, daß der Valentin Andrea die «Chymische Hochzeit» geschrieben hat. Denn vergleichen Sie nur einmal die «Chymische Hochzeit» oder die «Reformation der ganzen Welt» oder die anderen Schriften von Valentinus Andrea - physisch war es schon dieselbe Persönlichkeit - mit dem schmalzig Salbungsvollen, Fettig-Öligen, was der Pastor Valentin Andrea, der nur denselben Namen trägt, in seinem späteren Leben dann geschrieben hat. Das ist doch ein höchst merkwürdiges Phänomen! Wir haben einen jungen Menschen, der überhaupt noch kaum erst die Schulzeit vollendet hat, der schreibt solche Dinge nieder wie die «Reformation der ganzen Welt», wie die «Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz», und wir müssen uns anstrengen, den inneren Sinn dieser Schriften zu ergründen. Er selber versteht gar nichts davon, denn das zeigt er später: er wird ein salbungsvoller öliger Pastor. Das ist derselbe Mensch! Und man braucht nur dieses Faktum zu nehmen, so muß man plausibel finden, was ich dazumal dargestellt habe: daß eben die «Chymische Hochzeit» nicht von einem Menschen geschrieben ist, oder nur insofern von einem Menschen geschrieben ist, nun ja - wie der stets angsterfüllte geheime Sekretär von Napoleon seine Briefe geschrieben hat. Aber Napoleon war immerhin ein Mensch, der stark mit seinen Füßen, mit seinen Beinen auf dem Boden stand, war eben eine physische Persönlichkeit. Derjenige, der die «Chymische Hochzeit» geschrieben hat, war nicht eine physische Persönlichkeit, und er hat sich dieses «Sekretärs» bedient, der eben dann später der ölige Pastor Valentin Andrea geworden ist." {{Lit|GA 232, S 143}}
dem Griechischen «scole», bedeutet also «Aufmerkung», was irrtümlich
übersetzt wurde in «scuola», Schule." {{Lit|{{G|109|73}}}}
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Scholastik war der Versuch, die christliche Glaubensoffenbarung rational zu untersetzen und in ein theoretisches System zu bringen. Vorstufen entstanden im [[Hochmittelalter]]. Im [[Spätmittelalter]] wurde diese Methode voll ausgebildet und beherrschte das gesamte höhere Bildungswesen. Noch in der [[Frühe Neuzeit|Frühen Neuzeit]] war sie an Universitäten und Bildungseinrichtungen maßgeblich.
== Inhalt ==


Mit „Scholastik“ wird auch die Epoche, in der diese Methode an den Universitäten herrschte, oder auch die Gesamtheit der [[Wikipedia:Philosophie des Mittelalters|mittelalterlichen Philosophie]] und [[Wikipedia:Theologie|Theologie]] (einschließlich der frühmittelalterlichen) bezeichnet. Solcher Sprachgebrauch entspricht jedoch teilweise nicht der historischen Wirklichkeit, denn vor der Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend war die Scholastik noch nicht entwickelt worden, und im Spätmittelalter gab es bereits nichtscholastisches Geistesleben, den frühen [[Wikipedia:Humanismus|Humanismus]].
Die romanhafte Schilderung der ''Chymischen Hochzeit'' beginnt damit, dass der achtzigjähriger Christian Rosenkreutz, der um 1459 in einer Eremitage am Abhang eines Berges lebte, über ein selbsterlebtes Abenteuer zu berichten beginnt, das er am Vorabend des Ostertages erlebt hat. Die ganze Erzählung erstreckt sich über sieben seelische Tagewerke und beginnt damit, dass Christian Rosenkreutz, tief in die [[Meditation]] versenkt, plötzlich einen grausamen Wind an seine Hütte heranwehen spürt, ein Zeichen dafür, dass er mit seinem [[Bewusstsein]] in die rastlos bewegte [[Äther]]welt eingetreten ist<ref name="Sturm">"In einer Zeit gehobener Seelenstimmung, am Vorabend des Osterfestes, tritt dieses erneute Erleben ein. Der Träger der Erlebnisse fühlt sich wie von Sturm umbraust. So kündigt sich ihm an, daß er eine Wirklichkeit erlebt, deren Wahrnehmung nicht durch den physischen Leib vermittelt ist. Er ist aus dem Gleichgewichtszustande gegenüber den Weltenkräften herausgehoben, in den der Mensch durch seinen physischen Leib versetzt ist. Seine Seele lebt nicht das Leben dieses physischen Leibes mit; sie fühlt sich nur verbunden mit dem (ätherischen) Bildekräfteleib, der den physischen durchsetzt. Dieser Bildekräfteleib ist aber nicht in das Gleichgewicht der Weltenkräfte eingeschaltet, sondern in die Beweglichkeit derjenigen übersinnlichen Welt, welche der physischen zunächst steht, und die von dem Menschen zuerst wahrgenommen wird, wenn er sich die Pforten des geistigen Schauens eröffnet hat. Nur in der physischen Welt erstarren die Kräfte zu festen, in Gleichgewichtszuständen sich auslebenden Formen; in der geistigen Welt herrscht fortdauernde Beweglichkeit. Das Hingenommen-Werden von dieser Beweglichkeit kommt dem Träger der Erlebnisse als die Wahrnehmung des brausenden Sturmes zum Bewußtsein." {{Lit|GA 35, S 334}}</ref>. Da titt plötzlich ein ''herrliches Weib mit Flügeln voller Augen in blauem Kleid und güldenen Sternen<ref name="Blaues Kleid">"Aus dem Unbestimmten dieser Wahrnehmung löst sich heraus die Offenbarung eines Geistwesens. Diese Offenbarung geschieht durch eine bestimmt gestaltete Imagination. Das Geistwesen erscheint in blauem, sternbesetztem Kleide. Man muß von der Schilderung dieses Wesens alles fernhalten, was an symbolischen Ausdeutungen dilettantische Esoteriker gerne zur «Erklärung» herbeitragen. Man hat es zu tun mit einem nicht-sinnlichen Erlebnis, das der Erlebende durch ein Bild für sich und andere zum Ausdrucke bringt. Das blaue, sternbesetzte Kleid ist so wenig Sinnbild etwa für den blauen Nachthimmel oder ähnliches, wie die Vorstellung des Rosenstockes im gewöhnlichen Bewußtsein Sinnbild für die Abendröte ist. Beim übersinnlichen Wahrnehmen ist eine viel regere, bewußtere Betätigung der Seele vorhanden als beim sinnlichen. — In dem Falle des Wanderers zur «Chymi-schen Hochzeit» wird diese Betätigung durch den Bildekräfteleib ausgeübt, wie im Falle des physischen Sehens durch den sinnlichen Leib vermittels der Augen. Diese Tätigkeit des Bildekräfteleibes läßt sich vergleichen mit der Erregung von ausstrahlendem Licht. Solches Licht trifft auf das sich offenbarende Geistwesen. Es wird von diesem zurückgestrahlt. Der Schauende sieht also sein eigenes ausgestrahltes Licht, und hinter dessen Grenze wird er das begrenzende Wesen gewahr. Durch dieses Verhältnis des Geistwesens zu dem Geisteslicht des Bildekräfteleibes tritt das «Blau» auf; die Sterne sind die nicht rückstrahlenden, sondern von dem Wesen aufgenommenen Teile des Geisteslichtes. Das Geistwesen hat objektive Wirklichkeit; das Bild, durch das es sich offenbart, ist eine durch das Wesen bewirkte Modifikation in der Ausstrahlung des Bildekräfteleibes. " {{Lit|GA 35, S 335}}</ref> und einer Posaune'' in der Hand an ihn heran und überrreicht ihm einen Brief, der ihn zu einer königlichen Hochzeit lädt. Der Brief ist versiegelt und das Siegel trägt das Zeichen des Kreuzes und die Worte: "In hoc signo vinces"<ref name="In hoc signo vinves">''In diesem Zeichen wirst du siegen''. "Der Träger der Erlebnisse, die in der «Chymischen Hochzeit» geschildert sind, ist als Alchimist sich bewußt, daß er auf seinem Wege ein erstarktes Unterscheidungsvermögen für Wahrheit und Täuschung braucht. Nach den Lebensverhältnissen, aus denen heraus er seinen alchymistischen Pfad antritt, sucht er seine Stütze aus der christlichen Wahrheit zu gewinnen. Er weiß: was ihn mit Christus verbindet, hat schon innerhalb seines Lebens in der Sinnen weit eine zur Wahrheit führende Kraft in seiner Seele zur Entfaltung gebracht, welche der Sinnesgrundlage nicht bedarf, die sich also auch bewähren kann, wenn diese Sinnesgrundlage nicht da ist. Mit dieser Gesinnung steht seine Seele vor dem Wesen im blauen Kleide, das ihn auf den Weg zur «Chymischen Hochzeit» weist. Dieses Wesen könnte zunächst ebensogut der Welt der Täuschung und des Irrtums wie derjenigen der Wahrheit angehören. Der Wanderer zur «Chymischen Hochzeit» muß unterscheiden. Aber sein Unterscheidungsvermögen wäre verloren, der Irrtum müßte ihn überwältigen, könnte er nicht im übersinnlichen Erleben erinnern, was ihn in der sinnlichen mit einer inneren Kraft an die Wahrheit bindet. Aus der eigenen Seele steigt auf, was in dieser durch Christus geworden ist. Und so wie sein übriges Licht, so strahlt der Bildekräfteleib dieses Christuslicht nach dem sich offenbarenden Wesen hin. Es bildet sich die rechte Imagination. Der Brief, der ihn auf den Weg zur «Chymischen Hochzeit» weist, enthält das Christuszeichen und die Worte: in hoc signo vinces. — Der Wanderer weiß: er ist durch eine Kraft, die nach der Wahrheit weist, mit dem erscheinenden Wesen verbunden. Wäre die Kraft, die ihn in die übersinnliche Welt geführt hat, eine zur Täuschung neigende gewesen, so stünde er vor einer Wesenheit, die sein Erinnerungsvermögen für den in ihm lebenden Christusimpuls gelähmt hätte. Er würde dann nur der verführerischen Macht gefolgt sein, welche den Menschen auch dann anzieht, wenn die übersinnliche Welt ihm Kräfte entgegenführt, die seinem Wesen und Wollen verderblich sind. " {{Lit|GA 35, S 344f}}</ref>. Auf der Posaune steht ein Name, den Christian Rosenkreutz wohl erkennt, aber nicht preisgeben darf. Die Hochzeit, so erinnert er sich plötzlich, war ihm schon sieben Jahre zuvor angekündigt worden. Das im Brief gleich zu Beginn erwähnte Bild der ''drei Tempel'' auf dem Berg bleibt ihm vorerst rätselhaft. Im Traum sieht er sich noch in der selben Nacht in einen Turm versetzt, wo er und unzählige andere in Ketten gelegt der Befreiung harren. Da erscheint oben in der Öffnung des Turms ein alter ''eisgrauer Mann'' zusammen mit seiner Mutter. Auf ihr Geheiß wird sieben Mal ein Seil herabgelassen, an dem manche der Gefangenen - und schließlich beim sechsten Mal auch Christian Rosenkreutz - hochgezogen werden.


Die Begriffe „Scholastik“ und „scholastisch“ werden auch im Zusammenhang mit anderen Epochen verwendet, um damalige Denkweisen zu bezeichnen, die der spätmittelalterlichen Scholastik angeblich oder tatsächlich ähnlich sind. Gelegentlich wird der Begriff sogar auf andere Kulturen angewendet, z.&nbsp;B. auf die indische Philosophiegeschichte.  
Als Christian Rosenkreutz am zweiten Tag seine Zelle verläßt und in den Wald kommt, bemerkt er an einem Baum ein Täfelchen, das ihm ''vier Wege'' zum Ziel zur Wahl stellt, von denen aber nur drei übrigbleiben, denn den vierten kann kein Sterblicher wandeln. Durch die [[Imagination]] einer schneeweißen Taube, mit der er sein Brot teilt, und eines schwarzen Raben, der ihr das Brot wieder entreissen will, wird er, indem er unbedacht dem Raben nacheilt, auf den zweiten, den langsamen, Weg mehr "geschoben", als dass er ihn bewusst ergreift. Nach einiger Zeit, gerade noch bei Tageslicht, erreicht er eine Pforte, ein überaus schönes, königliches Portal, über der er die Worte lesen kann: "Weichet weit von hier, ihr Ungeweihten." Christian Rosenkreutz tritt ein und wird von dem Torhüter im himmelblauen Kleid freundlich empfangen. Nachdem ihm Christian Rosenkreutz sein Fläschchen Wasser als Gegenleistung übergeben hat, erhält er von ihm ein goldenes Zeichen, auf dem die zwei Buchstaben SC<ref name="SC">Sanctitate Constantia; Sponsus Carus; Spes Caritas; Signum Crucis = Beständigkeit in Heiligkeit; geliebter Bräutigam; Hoffnung, Liebe; Zeichen des Kreuzes.</ref> zu lesen sind und außerdem ein versiegeltes Brieflein für den zweiten Hüter. Lange belehrt in der Hüter und ist es mittlerweile schon tiefe Nacht, als Christian Rosenkreutz seinen Weg fortsetzt und schließlich an die zweite Pforte gelangt, über der zu lesen ist: "Gebet und euch wird gegeben werden." Davor liegt, an eine Kette gebunden, ein grausamer Löwe, der sich mit Gebrüll aufrichtet, aber von dem dadurch erwachten zweiten Hüter zurückgehalten wird. Christian Rosenkreutz übergibt ihm sein Brieflein und wird danach von dem zweiten Hüter mit großer Ehrfurcht behandelt. Für sein Salz als Gegengabe empfängt Christian Rosenkreutz wieder ein Zeichen, das die beiden Buchstaben SM<ref name="SM">Studio Merentis; Sponso Mittendus; Sal Mineralis; Sal Menstrualis = Zum Studium des Würdigen; dem Brätigam mitzubringen; Mineralsalz; Salz der Reinigung.</ref> trägt.


==Definition==
Am dritten Tag erreicht Christian Rosenkreutz auf seiner Wanderung einen Berggipfel, wo er wie auch die Gäste durch eine Waage geprüft werden, deren Gewichte vielfach als die 7 [[Tugend]]en gedeutet werden. [[Rudolf Steiner]] sieht in ihnen die [[Sieben Freie Künste|Sieben Freien Künste]]. Diejenigen, die für tugendhaft befunden werden, dürfen der Hochzeit beiwohnen. Sie erhalten ein Goldenes Vlies und werden der königlichen Familie vorgestellt. Voller Erwartungen einer Hochzeit beizuwohnen, wird aber die königliche Familie geköpft und ihre Teile in sieben Schiffe verladen und auf einer weit abgelegenen Insel in den Olympischen Turm gebracht, der sieben Stockwerke hat. Innerhalb dieses Turmes erleben die Gäste einen Aufstieg und jeder von ihnen nimmt an alchemistischen Operationen teil, die durch einen Greis und eine Frau geführt werden. Aus den königlichen Überresten gewinnt man dabei eine Art flüssiges Destillat, welches ein weißes Ei gebiert. Aus diesem schlüpft wiederum ein Vogel, der gemästet und geköpft wird. Die Gäste werden aufgefordert aus den Überresten zwei winzige Statuen zu formen. Diese werden solang gefüttert, bis sie die Größe eines erwachsenen Menschen erreicht haben und es stellt sich heraus, dass diese der auferstandene König und die Königin sind. Nachdem das Werk vollbracht ist, werden die Gäste durch das Königspaar in den Orden vom Goldenen Stein eingeführt und kehren zum Schloss zurück. Christian Rosenkreutz spielt dabei noch eine weitere besondere Rolle. Da er im Schloss in das Mausoleum eingedrungen war, wurde er von der dort lebenden Venus als Schlosswächter verurteilt. Die Geschichte endet schließlich wieder in der Eremitage des Christian Rosenkreutz, womit nochmals verdeutlicht wird, dass es sich bei den Schilderungen um keine äußeren Erlebnisse, sondern um innere geistige Erfahrungen handelt.


Die Scholastik ist nicht auf eine bestimmte philosophische Richtung oder Schule und deren Thesen begrenzt. Es handelt sich vielmehr um eine Methode (siehe unten), deren Anwendung zu unterschiedlichsten Ergebnissen führen konnte und geführt hat. Das einzige, was allen Scholastikern gemeinsam war, ist die Anwendung der scholastischen Methode. Diese war damals die einzige im Universitätsbetrieb als wissenschaftlich akzeptierte Methode. Sie bestand in einer Weiterentwicklung der antiken [[Dialektik]], der Lehre vom richtigen (wissenschaftlich korrekten) Diskutieren. Inhaltlich gingen die Meinungen der Scholastiker zu den diskutierten Fragen teilweise auseinander. Da die Methode vom Wissenschaftsverständnis und der Logik des [[Aristoteles]] geprägt war und seine Schriften die wichtigsten Lehrbücher waren, war der Einfluss dieses Philosophen sehr groß. Man kann aber nicht Scholastik mit [[Aristotelismus]] gleichsetzen. Es gab unter den Scholastikern auch [[Platoniker]] und Aristoteles-Kritiker. Im Prinzip konnte ein Scholastiker jeden Standpunkt vertreten, wenn er ihn nur methodisch sauber begründete. Praktisch wurde erwartet, dass man auf die Lehren bzw. [[Wikipedia:Dogma|Dogmen]] der [[Wikipedia:Kirche (Organisation)|Kirche]] Rücksicht nahm, was die Mehrheit der Scholastiker auch tat.
=== Erläuterungen ===


== Glaube und Wissen ==
<references/>


{{GZ|Man hätte im Mittelalter nicht dasjenige gehabt, was man die
== Die Initiation durch Manes ==
Scholastik nennt, was man die Philosophie des Thomas von Aquino,
des Albertus Magnus und anderer Scholastiker nennt, wenn diese
Philosophie, diese Weltanschauung und alles, was sie sozial in ihrem
Gefolge hatte, nicht inspiriert gewesen wäre gerade von dem wichtigsten
Kirchengedanken: von demOstergedanken. In der Anschauung
des heruntersteigenden Christus, der im Menschen ein zeitweiliges
Leben auf Erden führt, der dann durch die Auferstehung geht, war
jener seelische Impuls gegeben, der dazu führte, jenes eigentümliche
Verhältnis zwischen Glauben und Wissen, zwischen Erkenntnis und
Offenbarung zu setzen, das eben das scholastische ist. Daß man aus
dem Menschen heraus nur die Erkenntnis der sinnlichen Welt bekommen
kann, daß alles, was sich auf die übersinnliche Welt bezieht,
durch Offenbarung gewonnen werden muß, das war im wesentlichen
durch den Ostergedanken, wie er sich an den Weihnachtsgedanken
anschloß, bestimmt.


Und wenn wiederum die heutige naturwissenschaftliche Ideenwelt
Die [[Initiation]] des Christian Rosenkreutz im Jahre 1459 erfolgte durch [[Manes]] und war mit einer tieferen Einsicht in das Wesen und die Aufgabe des [[Böse]]n in der Welt verbunden:
eigentlich ganz und gar ein Ergebnis der Scholastik ist, wie ich oftmals
hier auseinandergesetzt habe, so muß man sagen: Ohne daß es die
naturwissenschaftliche Erkenntnis der Gegenwart weiß, ist sie im
wesentlichen ein richtiger Siegelabdruck, möchte ich sagen, des Ostergedankens,
so wie er geherrscht hat in den älteren Zeiten des Mittelalters,
wie er dann abgelähmt worden ist in der menschlichen Geistesentwickelung
im späteren Mittelalter und in der neueren Zeit. Schauen wir
darauf hin, wie die Naturwissenschaft in Ideen das verwendet, was
heute ja populär ist und unsere ganze Kultur beherrscht, sehen wir,
wie die Naturwissenschaft ihre Ideen verwendet: sie wendet sie an auf
die tote Natur; sie glaubt sich nicht erheben zu können über die tote
Natur. Das ist ein Ergebnis jener Inspiration, die angeregt war durch
das Hinschauen auf die Grablegung. Und solange man zu der Grablegung
hinzufügen konnte die Auferstehung als etwas, zu dem man
aufsah, da fügte man auch die Offenbarung über das Übersinnliche zu
der bloßen äußeren Sinneserkenntnis hinzu. Als immer mehr und
mehr die Anschauung aufkam, die Auferstehung wie ein unerklärliches
und daher unberechtigtes Wunder hinzustellen, da ließ man die
Offenbarung, also die übersinnliche Welt, weg. Die heutige naturwissenschaftliche
Anschauung ist sozusagen bloß inspiriert von der
Karfreitagsanschauung, nicht von der Ostersonntagsanschauung.|223|42f}}


==Scholastischer Unterricht==
<div style="margin-left:20px">
Die Scholastik ist – ihrem Ursprung und Wesen nach – aufs engste mit dem Unterricht verknüpft. Dessen Basis waren die vorhandenen Lehrbücher, die meist aus der [[Wikipedia:Antike|Antike]] stammten, zum Teil aber mittelalterliche Werke waren.
"Als ein «höherer Grad» wird innerhalb dieser ganzen Strömung die Initiation des Manes angesehen, der 1459 auch Christian Rosenkreutz initiierte: sie besteht in der wahren Erkenntnis von der Funktion des Bösen. Diese Initiation muss mit ihren Hintergründen noch für lange vor der Menge ganz verborgen bleiben. Denn wo von ihr auch nur ein ganz kleiner Lichtstrahl in die Literatur eingeflossen ist, da hat er Unheil angerichtet, wie durch den edlen Guyau, dessen Schüler Friedrich Nietzsche geworden ist." {{Lit|GA 262, S 24}}
</div>


===Lehrbücher===
== Der Unterschied zwischen chymischer und mystischer Hochzeit ==
In der [[Wikipedia:Fakultät|Fakultät]] der [[Sieben Freie Künste|Freien Künste]] (''Artistenfakultät'') befasste man sich mit Logik und Grammatik ([[Wikipedia:spekulative Grammatik|spekulative Grammatik]] als Sprachtheorie), Naturwissenschaft, [[Wikipedia:Metaphysik|Metaphysik]] und [[Ethik]]. Die wichtigsten Lehrbücher waren die einschlägigen Werke des Aristoteles, also das ''[[Wikipedia:Organon|Organon]]'' (seine Schriften zur Logik), ''Physik'', ''Über den Himmel'', ''Meteorologie'', ''Über die Tiere'', ''Über die Seele'', ''[[Wikipedia:Metaphysik (Aristoteles)|Metaphysik]]'', ''[[Nikomachische Ethik]]'' usw. In der Theologischen Fakultät studierte man außer der [[Wikipedia:Bibel|Bibel]] vor allem die [[Wikipedia:Sentenz|Sentenz]]en des [[Wikipedia:Petrus Lombardus|Petrus Lombardus]]; es wurde von jedem Theologen erwartet, die Sentenzen zu [[Wikipedia:Sentenzenkommentar|kommentieren]]. In der Medizinischen Fakultät wurden in erster Linie die Werke [[Wikipedia:Galen|Galen]]s, ibn Sinas ([[Avicenna]]s) ''Canon medicinae'' und Schriften des [[Wikipedia:Isaak Ben Salomon Israeli|Isaak ben Salomon Israeli]] (Isaak Judaeus) dem Unterricht zugrunde gelegt. Bei den Juristen waren die Grundlagenwerke das [[Wikipedia:Corpus iuris civilis|Corpus iuris civilis]] (römisches Recht) und das [[Wikipedia:Corpus Iuris Canonici|Corpus iuris canonici]] (Kirchenrecht).


===Aufgabenstellung===
Christian Rosenkreutz bricht auf zu einem Einweihungsweg, der aber nicht, wie der Weg des [[Mystik]]ers, nach innen geht und zur [[Mystische Hochzeit|Mystischen Hochzeit]] mit dem eigenen geistigen [[Wesen]] führt, sondern er wandelt den Pfad des [[Alchemist]]en, der primär nach der Vereinigung mit dem [[Geist]]igen der Außenwelt strebt, das sich hinter der [[Sinneswelt]] verbirgt, und erst dadurch sekundär die eigenen Geistigkeit erkennen will. Er geht gleichsam einen objektiveren - und damit sichereren - Weg als der Mystiker.
Die erste und grundlegende Aufgabe war, den Inhalt der Lehrbücher verständlich zu machen, also zu erläutern, was dort gemeint war, und mögliche Unklarheiten und Missverständnisse zu beseitigen. Besonders bei den Werken des Aristoteles war das dringend nötig, denn in den damals vorliegenden lateinischen Übersetzungen waren sie schwer verständlich und bedurften daher der Kommentierung. Dann sollte bewiesen werden, dass der Inhalt des Lehrbuchs gut begründet und in sich widerspruchsfrei war und auch keine Widersprüche zu evidenten Tatsachen oder zu anderen anerkannten Lehrbüchern vorlagen. Im nächsten Schritt ging es darum, Fragen zu stellen und selbständig zu lösen, die sich aus der Lektüre des Lehrbuchs ergaben. Eine weitere Stufe war, das Lehrbuch nur noch als Stichwortgeber für Fragen aller Art zu nehmen, die man interessant fand. Dabei bot sich dem Scholastiker Gelegenheit, seine eigene Philosophie ausführlich darzulegen.


===Lehrveranstaltungen===
<div style="margin-left:20px">
Der scholastische Unterricht bestand aus Vorlesung (''lectio'') und Disputationen. Die Abhaltung dieser Lehrveranstaltungen stand ausschließlich den [[Wikipedia:Magister|Magister]]n zu. Die regelmäßig in allen Fakultäten unter der Leitung eines einzelnen Magisters stattfindenden Disputationen dienten der Erörterung und Klärung von Fragen ([[Wikipedia:Quaestio (Lehrpraxis)|Quaestionen]]) zu bestimmten vorher bekanntgegebenen Themen (''Quaestiones disputatae'', ''Quaestiones ordinariae''). Zweimal im Jahr fand die ''Disputatio de quolibet'' statt, eine (manchmal mehrtägige) strukturierte Diskussionsveranstaltung über beliebige Probleme, d.&nbsp;h. über alles, was geeignet war, Thema einer wissenschaftlichen Debatte zu sein. Die wesentlichen Argumente und die Ergebnisse der Disputationen wurden schriftlich festgehalten und veröffentlicht.
"Die Forschungswege des Mystikers und des Alchimisten liegen nach entgegengesetzten Richtungen. Der Mystiker geht unmittelbar in das eigene Geistwesen des Menschen hinein. Sein Ziel ist, was die Mystische Hochzeit genannt werden kann, die Vereinigung der bewußten Seele mit der eigenen geistigen Wesenheit. Der Alchimist will das Geistgebiet der Natur durchwandeln, um nach der erfolgten Wanderung mit den in diesem Gebiet erworbenen Erkenntniskräften das Geistwesen des Menschen zu schauen. Sein Ziel ist die «Chymische Hochzeit», die Vereinigung mit dem Geistgebiet der Natur. Nach dieser Vereinigung erst will er die Anschauung der Menschenwesenheit erleben." {{Lit|GA 35, S 341}}
</div>


===Kommentarwesen===
Die mystische Versenkung in das eigene Innere, die in der mystischen Hochzeit kulminiert, gibt zunächst nur etwas für das subjektive Erleben des Menschen. Sie gibt im besten Sinn etwas für die moralische, für die geistige Entwicklung des einzelnen Menschen. Der Weg des Alchemisten führt weiter, indem die chymische Hochzeit zugleich ein objektives Ereignis in der geistigen Außenwelt ist. Sie arbeitet unmittelbar mit an der geistigen Erneuerung der Welt.
Da man von den Lehrbüchern ausging, deren gründliche Kenntnis und richtiges Verständnis vorrangiges Ziel war, war die scholastische Wissenschaft in erster Linie kommentierend. Ein sehr großer Teil der Werke der scholastischen Gelehrten bestand aus Kommentaren zu den Lehrbüchern. Die einfachste Art der Kommentierung waren [[Wikipedia:Glosse|Glosse]]n: Man trug im Lehrbuch zwischen den Zeilen oder am Rand Worterklärungen und sonstige, manchmal ausführliche Erläuterungen und Hinweise ein. Die nächste Stufe waren texterklärende, [[Wikipedia:Paraphrase|paraphrasierende]] Kommentare, die den Aufbau des Lehrbuchs darlegten, seine Gedankengänge in systematisch gegliederter Form präsentierten und seinen Inhalt in anderen Worten wiedergaben. Dann gab es „Quaestionenkommentare“, die Fragen zum Lehrbuch und deren Diskussion und schließliche Klärung mit der Beweisführung und Widerlegung von Gegenargumenten enthielten. Diese Kommentartypen (es gab auch Mischformen) entsprachen den Gattungen der Lehrveranstaltungen: der einfache textauslegende Kommentar entsprach der Vorlesung, der Quaestionenkommentar der Disputation.


===Summen===
<div style="margin-left:20px">
Die Summen dienten der umfassenden, systematischen handbuchartigen Darstellung großer Wissensgebiete, etwa der Grammatik, der Logik oder gar der gesamten Theologie. Schon um [[Wikipedia:1146|1146]] hatte der Grammatiker [[Wikipedia:Petrus Helie|Petrus Helie]] die ''Summa super Priscianum'' verfasst, eine zusammenfassende Darstellung der Lehren des antiken Grammatikers [[Wikipedia:Priscian|Priscian]], die für die spekulative Grammatik (Sprachtheorie) der Scholastik richtungweisend wurde. [[Wikipedia:Petrus Hispanus|Petrus Hispanus]] schrieb die ''Summulae logicales'', ein sehr populäres Logik-Lehrbuch, das bis ins 18. Jahrhundert hinein oft aufgelegt wurde. Unter den Summen der Theologie erzielte diejenigen des [[Thomas von Aquin]] die stärkste Nachwirkung ([[Wikipedia:Summa contra gentiles|Summa contra gentiles]] und [[Wikipedia:Summa theologica|Summa theologica]]). Auch bei den Juristen wurden große Teilbereiche des Stoffs in Summen dargestellt. Insbesondere die Dekretisten (Kirchenrechtler, die das [[Wikipedia:Decretum Gratiani|Decretum Gratiani]] studierten und auslegten), traten als Verfasser von Summen hervor, die bei ihnen zum Teil auch Kommentarcharakter hatten.
"Was ist denn der ganze Sinn der menschlichen Erdenentwickelung? Das ist der ganze Sinn der menschlichen Erdenentwickelung, daß sich der Mensch an die Erde anpaßt, daß er die Bedingungen der Erdenentwickelung in sich aufnimmt; daß er hineinträgt in die Zukunft seiner Entwickelung dasjenige, was die Erde ihm geben kann - ich meine jetzt nicht bloß in einer Inkarnation, sondern durch alle Inkarnationen hindurch -, für die spätere Entwickelung ihm geben kann. Das ist der Sinn der Erdenentwickelung. Dieser Sinn der Erdenentwickelung, er kann nur verwirklicht werden dadurch, daß der Mensch gewissermaßen auf der Erde nach und nach vergessen lernte seinen Zusammenhang mit den kosmischen, mit den himmlischen Mächten. Der Mensch lernte vergessen seinen Zusammenhang mit den himmlischen Mächten. Wir wissen ja, daß in alten Zeiten die Menschen ein atavistisches Hellsehen hatten, aber gerade innerhalb dieses atavistischen Hellsehens wirkten ja die himmlischen Mächte in die Menschen hinein. Da hatte der Mensch noch seinen Zusammenhang mit den himmlischen Mächten; da ragte gewissermaßen das Himmelreich in das menschliche Gemüt hinein. Das mußte anders werden, damit der Mensch seine Freiheit entwickeln kann. Der Mensch mußte in seiner Anschauung, in seiner unmittelbaren Wahrnehmung nichts mehr haben von dem himmlischen Reich, damit er der Erde verwandt werde. Aus diesem Grunde aber ist auch die Möglichkeit allein gegeben gewesen, daß der Mensch in der extremsten Zeit der Erdenverwandtschaft eben materialistisch wurde, im fünften Zeitraum, in dem wir selber drinnenstehen. Der Materialismus ist nur der radikalste, extremste Ausdruck der Verwandtschaft des Menschen mit der Erde. Das aber würde bedingen, daß der Mensch wirklich der Erde verfiele, wenn nichts anderes eintreten würde. Der Mensch mußte der Erde verwandt werden, nach und nach ganz das Schicksal der Erde teilen. Er mußte die Wege nehmen, die die Erde selber nimmt, er mußte sich ganz einfügen der Erdenentwickelung, wenn nichts anderes eintreten würde. Er mußte gleichsam mit der Erde sich losreißen vom ganzen Kosmos und sein Schicksal ganz mit dem Schicksal der Erde verbinden.


==Methode==
Das war aber nicht so gemeint für die Menschheit, sondern es war für die Menschheit anders gemeint. Der Mensch sollte auf der einen Seite sich richtig mit der Erde verbinden, aber es sollte Botschaft aus der himmlischen, geistigen Welt herunterkommen, die ihn, trotzdem er durch seine Natur erdenverwandt wird, wiederum hinwegträgt über diese Erdenverwandtschaft. Und dieses Herunterbringen der Himmelsbotschaft, das geschah durch das Mysterium von Golgatha. Daher mußte auf der einen Seite das Wesen, das durch das Mysterium von Golgatha ging, Menschenwesenheit annehmen, aber auf der anderen Seite in sich Himmelswesenheit tragen. Das heißt aber: Wir dürfen uns den Christus Jesus nicht bloß so vorstellen, daß er innerhalb der Menschheitsentwickelung nicht als auch einer sich entwickelt, und sei er auch der Höchste, sondern daß er sich als einer entwickelt, der aufnimmt himmlische Wesenheit, der nicht bloß eine Lehre verbreitet, sondern der in die Erde hereinträgt dasjenige, was aus dem Himmel kommt. Daher ist es wichtig, zu verstehen, was eigentlich die Johannes-Taufe im Jordan ist: daß das nicht bloß eine moralische Handlung ist - ich sage nicht «nicht» eine moralische Handlung ist, sondern «nicht bloß» eine moralische Handlung ist -, sondern eine reale Handlung ist; daß da etwas geschieht, das so wirklich ist, wie die Naturereignisse wirklich sind, das so wirklich ist, wie wenn ich mit irgendeinem Wärmequell etwas erwärme und die Wärme übergeht in das Erwärmte, daß die Christus-Wesenheit übergeht in den Menschen Jesus von Nazareth bei der Johannes-Taufe. Das ist gewiß im höchsten Grade ein Moralisches, aber auch im Naturlaufe ein Wirkliches, wie die Naturerscheinungen wirklich sind. Und darauf kommt es an, daß das verstanden wird, daß man es nicht nur mit irgend etwas zu tun hat, was aus rationalistischen menschlichen Begriffen heraus stammt, die immer nur übereinstimmen mit dem mechanischen, dem physischen oder chemischen Naturlaufe, sondern daß es etwas ist, was als Idee zu gleicher Zeit so in der realen Wirklichkeit drinnensteht, wie die Naturgesetze in der realen Wirklichkeit oder eigentlich die Naturkräfte in der realen Wirklichkeit drinnenstehen.
Ein scholastischer Kommentar zu einem Lehrbuch begann meist mit Fragen der Wissenschaftstheorie und Wissenschaftssystematik. Wenn es z.&nbsp;B. um die [[Seele]]nlehre ging, also um die maßgebliche Schrift des Aristoteles ''[[Wikipedia:De anima|De anima]]'' (''Über die Seele''), wurde zuerst gefragt: Kann es überhaupt eine Wissenschaft von der Seele geben? Was genau soll der Gegenstand dieser Wissenschaft sein? Inwiefern ist dieser Gegenstand geeignet, wissenschaftlich untersucht zu werden? Wie zuverlässig können Aussagen sein, die über die Seele gemacht werden? Ist die Wissenschaft von der Seele eine Naturwissenschaft? Wo ist diese Wissenschaft in das hierarchische System der Wissenschaften einzuordnen? Dann wandte man sich konkreten Einzelheiten zu, z.&nbsp;B.: Ist die Seele eine Substanz? Woraus besteht sie? Welcher Art sind die Wechselwirkungen zwischen ihr und dem Körper? Mit welchen Fähigkeiten ist sie ausgestattet? Ist die Seele eine Einheit, oder sind ihre Teile eigenständige Seelen, nämlich eine vegetative, die Stoffwechsel und Wachstum steuert, eine sensitive, die für Wahrnehmungen und Gefühle zuständig ist, und eine intellektive (Vernunft)? Wie verhält sich das bei Pflanzen und Tieren?


===Argumentationsstruktur===
Von da aus, wenn man das erfaßt, werden dann auch andere Begriffe viel realer werden, als sie in der Gegenwart sind. Sehen Sie, der alte Alchimist - wir wollen uns jetzt nicht über Alchimie unterhalten, aber wir wollen auf das, was der Alchimist im Auge hatte, blicken; ob das berechtigt oder unberechtigt ist, darüber wollen wir uns nicht unterhalten, das kann vielleicht Gegenstand einer anderen Betrachtung sein -, er hatte im Auge, daß durch seine Vorstellungen nicht bloß etwas vorgestellt wird, sondern etwas geschieht. Sagen wir: Er räucherte. Und hatte er dann die Vorstellung oder sprach sie aus, so versuchte er, in diese Vorstellung eine solche Kraft hineinzubringen, daß die Räuchersubstanz wirklich Formen annahm. Er suchte solche Begriffe, die die Macht haben, in die äußere Naturrealität einzugreifen, nicht bloß innerhalb des Egoistischen des Menschen zu bleiben, sondern in die Naturrealität einzugreifen. Warum? Weil er auch noch von dem Mysterium von Golgatha die Vorstellung hatte, daß da etwas geschah, was in den Naturlauf der Erde eingreift, das ebenso eine Tatsache ist, wie ein Naturvorgang eine Naturtatsache ist.
Grundlegend war das Prinzip des Dialogs zwischen zwei Vertretern gegensätzlicher Auffassungen, aus dem sich die Lösung des gestellten Problems ergab, indem der eine den anderen widerlegte. Dieses Prinzip kam in der Disputation und im Quaestionenkommentar zur Geltung. Dabei wurde normalerweise nach einem festen Schema verfahren. Zuerst wurde die Frage vorgelegt: ''Es wird gefragt, ob … '' Dann wurden die Argumente erst der einen, dann der anderen Seite aufgezählt. Die Argumente waren im Sinne des aristotelischen [[Wikipedia:Syllogismus|Syllogismus]] strukturiert, wobei der Obersatz ''propositio maior'' und der Untersatz ''propositio minor'' genannt wurde. Dann wurde die Frage im einen oder anderen Sinne entschieden (''conclusio'' oder ''solutio'') und die Begründung für die Entscheidung gegeben. Anschließend folgte die Widerlegung der einzelnen Argumente der unterlegenen Seite. Widerlegt wurde entweder durch Bestreitung einer Prämisse (''per interemptionem'') oder durch Bestreitung ihrer Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall.


===Deduktives Prinzip===
Sehen Sie, auf diesem beruht ein bedeutungsvoller Unterschied, der in der zweiten Hälfte des Mittelalters und gegen die neuere Zeit, gegen unsere fünfte, auf die griechisch-lateinische folgende Weltenperiode eintrat. In der Kreuzzugszeit, der Zeit des 12., 13., 14., 15., ja 16. Jahrhunderts gab es insbesondere Frauennaturen, welche ihr Gemüt in eine solche Mystik brachten, daß sie dieses innere Erlebnis, das ihnen die Mystik brachte, wie eine Hochzeit empfanden mit dem Geistigen, sei es mit dem Christus, oder sonst etwas. Mystische Hochzeiten feierten zahlreiche asketische Nonnen und so weiter. Ich will mich heute nicht über das Wesen dieser innerlichen mystischen Vereinigungen ergehen; aber es war eben ein innerhalb des Gemüts Verlaufendes, das dann nur mit Worten ausgesprochen werden konnte, das gewissermaßen innerhalb der Vorstellungen, der Empfindungen und noch des Wortes, in das die Empfindungen gekleidet werden können, verlief. Dem setzte dann aus gewissen Vorstellungen und geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen heraus ''Valentin Andreae'' seine «Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz» entgegen. Diese chymische Hochzeit, wir würden heute sagen chemische Hochzeit, sie ist auch ein menschliches Erlebnis. Aber wenn Sie sie durchlesen, diese Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz, so werden Sie sehen, daß es sich da nicht bloß um ein Gemütserlebnis handelt, sondern um etwas, was den ganzen Menschen ergreift, nicht bloß sich in Worten ausspricht; was nicht bloß hereingestellt ist wie ein Gemütserlebnis in die Welt, sondern wie ein realer Vorgang, ein Naturvorgang, wo der Mensch mit sich etwas macht, das wie ein Naturvorgang wird. Also etwas, was mehr von Wirklichkeit durchtränkt ist, meint Valentin Andreae mit seiner «Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreutz», als eine bloß mystische Hochzeit etwa der Mechthild von Magdeburg, die eine Mystikerin war. Durch die mystische Hochzeit der Nonnen wurde nur etwas getan für die Subjektivität des Menschen; durch die chymische Hochzeit gab sich der Mensch der Welt hin, durch ihn sollte etwas für die ganze Welt geleistet werden, so wie durch die Naturvorgänge etwas für die ganze Welt geleistet wird. Dies ist nun wiederum im eminent christlichen Sinne gedacht. Begriffe wollten die Menschen, die realer dachten - sei es nun selbst in dem einseitigen Sinne der alten Alchimisten -, Begriffe wollten sie, durch die sie die Wirklichkeit in richtiger Art meistern könnten, durch die sie in die Wirklichkeit richtiger eingreifen könnten, solche Begriffe, die nun wirklich etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die materialistische Zeit hat zunächst über solche Begriffe einen Schleier geworfen. Und die Menschen, während sie heute meinen, gerade recht über die Wirklichkeit zu denken, leben viel mehr in Illusionen als die von ihnen verachteten Menschen zum Beispiel der Alchimistenzeit, welche Begriffe anstrebten, durch die die Wirklichkeit gemeistert werden kann." {{Lit|GA 175, S 80ff}}
Das typisch Scholastische war ein nahezu grenzenloses Vertrauen in die Macht und Zuverlässigkeit der [[Wikipedia:Deduktion|Deduktion]], des Schließens vom Allgemeinen auf das Besondere. Man nahm an, dass die fehlerfrei durchgeführte Deduktion zur Erkenntnis von allem vernunftmäßig Erkennbaren und zur Beseitigung aller Zweifel führen kann. Voraussetzung war die korrekte Anwendung der Regeln des Aristoteles, besonders seiner Lehre von den Trugschlüssen. Man ging von bestimmten allgemeinen Grundsätzen aus, von deren Richtigkeit man überzeugt war, und begann dann zu folgern, um ein Phänomen zu erklären oder eine These zu beweisen.
</div>
 
Der Grundsatz, den man im [[Wikipedia:Syllogismus|Syllogismus]] als Obersatz nahm, stammte sehr oft von Aristoteles. Solche Grundsätze waren z.&nbsp;B. ''Die Natur macht nichts vergeblich; alles, was sie erzeugt, hat einen Sinn und Zweck'' oder: ''Die Natur erzeugt immer das Beste, was sie hervorbringen kann.'' Weitere allgemein akzeptierte Grundsätze waren ''Der Mensch ist das vornehmste Lebewesen'' und ''Die Natur kümmert sich um das Höherwertige mehr als um das Geringerwertige''. Nun ging es um ein Phänomen, das dem anscheinend widerspricht, beispielsweise dieses: Es gibt beim Menschen (nach Ansicht der Scholastiker) häufiger angeborene Behinderungen und Missbildungen als bei Tieren, und bei Pflanzen kommen gar keine vor. Der Scholastiker will nun zeigen, dass die Grundsätze dennoch stimmen. Die Natur hat wie immer das Beste angestrebt, konnte aber aus bestimmten Gründen, die erklärt werden, gar nichts Besseres erreichen, weil in diesen Einzelfällen bestimmte Voraussetzungen sehr ungünstig waren. Das Resultat war das Beste, was unter solchen Umständen erreichbar war. Gerade weil der Mensch das vornehmste Lebewesen ist, ist er auch das komplexeste und damit störanfälligste. Das Ergebnis war also, dass alle Grundsätze stimmen, und man meinte verstanden zu haben, wie Behinderungen zustande kommen, obwohl die Natur sich auch in diesen Fällen die größte Mühe gibt.
 
Die Scholastiker waren überzeugt, dass theoretisches Wissen, das aus allgemeinen Grundsätzen logisch sauber hergeleitet wird, das sicherste Wissen ist, das es geben kann. Beobachtungen können falsch oder trügerisch sein oder falsch gedeutet werden, aber eine logisch saubere Folgerung aus einem allgemeingültigen Prinzip ist notwendigerweise irrtumsfrei. Darum mussten Phänomene, die einer solchen Folgerung zu widersprechen schienen, so gedeutet werden, dass sie in den von diesem Prinzip und seinen Konsequenzen gesetzten Rahmen hineinpassten. Dies wurde ''Bewahrung der Phänomene'' genannt und spielte besonders in der Physik und [[Astronomie]] eine zentrale Rolle. Ergaben sich aus einem allgemein anerkannten Grundsatz Folgerungen, die denen aus einem anderen Grundsatz widersprachen, so bemühte man sich zu zeigen, dass der Widerspruch nur scheinbar existiert und auf einem Missverständnis beruht.
 
===Umgang mit Autoritäten===
Bei Widersprüchen zwischen Aussagen anerkannter Autoritäten versuchte man meistens zu zeigen, wie man die Stellen so deuten kann, dass dabei herauskommt, dass beide Aussagen zutreffen. Die Scholastiker verfügten über ausreichende Möglichkeiten, Widersprüche aufzulösen, ohne allgemein anerkannte Lehrsätze aufgeben zu müssen:
* Es gibt verschiedene Deutungsebenen; manche Aussagen sind nur symbolisch gemeint oder sollen nur einem bestimmten Zweck (etwa einem didaktischen) dienen und sind nicht unbedingt als Tatsachenbehauptungen aufzufassen.
* Ein Begriff kann je nach Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungen haben. Die Frage, ob er an der fraglichen Stelle mehrdeutig oder eindeutig ist, ist für das Verständnis entscheidend.
* Die meisten Aussagen beanspruchen nicht absolute Gültigkeit (''simpliciter''), sondern sollen nur in bestimmter Hinsicht und unter bestimmten Voraussetzungen (''secundum quid'') wahr sein. Ein Lehrsatz kann also durch präzise Begrenzung seines Geltungsbereichs gerettet werden.
 
Manche Magister bemühten sich aber nicht um harmonisierende Deutungen, sondern widersprachen einzelnen Lehrmeinungen der Autoritäten (sogar des Aristoteles) scharf. In der [[Wikipedia:Dynamik|Dynamik]] wich man von der aristotelischen Physik ab und entwickelte alternative Ideen ([[Wikipedia:Impetustheorie|Impetustheorie]], innerer Widerstand als bewegungshemmender Faktor).
 
==Gegner der Scholastik==
Die Scholastik hatte drei Arten von Gegnern:
* Konservative Antidialektiker wie [[Wikipedia:Rupert von Deutz|Rupert von Deutz]], Gerhoh von Reichersberg und [[Wikipedia:Bernhard von Clairvaux|Bernhard von Clairvaux]], denen die ganze Richtung missfiel. Sie meinten, dass die Anwendung der Methode auf theologische Fragen zu Folgerungen führen konnte, die mit der Lehre der Kirche unvereinbar waren.
* Humanisten. Prominente Humanisten&nbsp;– darunter [[Wikipedia:Petrarca|Petrarca]] und [[Wikipedia:Erasmus_von_Rotterdam|Erasmus]]&nbsp;– griffen die ganze scholastische Wissenschaft mit großer Schärfe an, weil sie steril sei und ihre Fragestellungen und Lösungen nutzlos und belanglos seien. Die Humanisten meinten, dass die Scholastiker Aristoteles nicht verstehen konnten, da sie ihn nur aus mangelhaften Übersetzungen kannten und aus der Perspektive des [[Averroes]] betrachteten. Außerdem verabscheuten die Humanisten die Sprache der Scholastiker, das spätmittelalterliche Latein mit seinen vielen scholastischen Fachbegriffen. Sie wollten nur antikes, klassisches Latein gelten lassen.
* Pioniere des modernen Wissenschaftsverständnisses in der frühen Neuzeit. Die Kritik der konservativen Antidialektiker und der Humanisten konnte der Scholastik wenig anhaben, denn sie hatten keine konstruktiven wissenschaftlichen Alternativen anzubieten. In der frühen Neuzeit entstand aber eine dritte Art von Gegnerschaft, die in einem langen Prozess das Ende der Scholastik herbeigeführt hat. Man wollte sich nicht mehr damit begnügen, Beobachtungen so zu deuten, dass sie mit vorgegebenen Prinzipien und deren Konsequenzen vereinbar waren und sich eine widerspruchsfreie Theorie ergab. Statt dessen begann man empirisch vorzugehen, also dem Erfahrungswissen Vorrang einzuräumen und davon ausgehend nötigenfalls die Prinzipien zu ändern oder aufzugeben. Diese Kritik zielte auf die Hauptschwäche der deduktiven scholastischen Methode, nämlich den Umstand, dass die Ergebnisse der Scholastiker trotz allen Scharfsinns nicht besser sein konnten als die Prämissen, von denen sie ausgingen. Außerdem ersetzte die frühneuzeitliche Naturwissenschaft das qualitätsbezogene Denken der Scholastiker teilweise durch ein quantitätsbezogenes.
 
==Geschichte==
Die Periodisierung der Scholastik ist sehr problematisch, weil die Entwicklung kontinuierlich verlaufen ist. Es ist kaum möglich, den einzelnen traditionell angenommenen Phasen (Früh-, Hoch- und Spätscholastik) anhand klar definierter Merkmale hinreichend deutliche Konturen zu geben und sie chronologisch nach inhaltlichen Kriterien einigermaßen sauber abzugrenzen. Das Phänomen Scholastik ist komplex und entzieht sich einfachen schematischen Einteilungsversuchen. Manche Forscher wollen sogar das achte, neunte und zehnte Jahrhundert als „Vorscholastik“ einbeziehen, weil es schon damals Gelehrsamkeit, ein Schulwesen und Interesse an Dialektik gab.
Prinzipiell kann man die Scholastik mit [[Wikipedia:Boethius|Boethius]] beginnen lassen. Dieser führte als erster [[Wikipedia:Neuplatoniker|Neuplatoniker]] die wissenschaftlichen Methoden des [[Aristoteles]] in seine Philosophie ein. Er war der erste der das Werk des Aristoteles systematisch kommentieren wollte. Dieses Werk kam jedoch nicht zum Abschluß. Für die Scholastik, insbesondere der thomistischen Richtung war Boethius eine der drei grossen Autoritäten neben [[Wikipedia:Augustinus|Augustinus]] und Pseudo-[[Wikipedia:Dionysios Areopagita|Dionysios Areopagita]]. Somit kann man die Zeit von 500 - 800 n. Chr. als Vorscholastik bezeichnen, ähnlich der Epoche der [[Wikipedia:Vorsokratiker|Vorsokratiker]] im 7. - 5. Jh. v. Chr.
 
Als Frühscholastik wird das elfte Jahrhundert (oder auch nur dessen zweite Hälfte) und zumindest der Anfang des zwölften betrachtet. Im Lauf des 12. Jahrhunderts soll ein langsamer Übergang zur Hochscholastik stattgefunden haben. Unklar ist auch die inhaltliche Abgrenzung von Hoch- und Spätscholastik; chronologisch soll die Grenze irgendwo im frühen 14. Jahrhundert liegen.
 
Eine Vorstufe der scholastischen Denkweise begegnet bei [[Wikipedia:Anselm von Canterbury|Anselm von Canterbury]] († 1109) in seinem Bestreben, zwingende philosophische Beweisgründe für theologische Aussagen zu finden ([[Wikipedia:Gottesbeweis|Gottesbeweis]]), und in seiner Verwendung von Dialogen. [[Wikipedia:Petrus Abaelardus|Petrus Abaelardus]] († 1142) erläuterte und demonstrierte in seiner Schrift ''[[Wikipedia:Sic et non|Sic et non]]'' einen methodischen Umgang mit Widersprüchen zwischen Autoritäten. Eine entscheidende Rolle spielte die im 2. Viertel des 12. Jahrhunderts begonnene, in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts größtenteils abgeschlossene Übersetzung der Schriften des Aristoteles ins Lateinische. Um 1235 lagen auch die Aristoteleskommentare des [[Averroes]] lateinisch vor. Dieses Schrifttum prägte fortan den Universitätsunterricht, und damit begann die scholastische Wissenschaft im eigentlichen Sinne. Die wesentlichsten Faktoren und Entwicklungen waren:
* die Ablösung der traditionellen, von den platonisch beeinflussten Ansichten des Kirchenvaters [[Wikipedia:Augustinus|Augustinus]] geprägten Theologie und Philosophie durch den Aristotelismus. [[Wikipedia:Albertus Magnus|Albertus Magnus]] († 1280) strebte noch eine Synthese von [[platon]]ischen und aristotelischen Ideen an, sein Schüler [[Thomas von Aquin]] († 1274), der Begründer des [[Wikipedia:Thomismus|Thomismus]], beseitigte die platonischen Elemente und sicherte den Sieg eines an die Erfordernisse des katholischen Glaubens angepassten Aristotelismus.
* [[Wikipedia:Roger Bacon|Roger Bacon]] († um 1292) erkannte scharfsinnig die Schwächen des scholastischen Wissenschaftsbetriebs, vor allem seine extreme Theorielastigkeit, und versuchte, durch stärkere Einbeziehung von Erfahrungswissen einen Ausgleich zu schaffen. Mit seinem in die Zukunft weisenden Konzept einer Erfahrungswissenschaft (''scientia experimentalis'') und einer Fülle kühner, neuartiger Ideen eilte er seinen Zeitgenossen voraus. Er machte sich aber durch seine Neigung zu schroffer, schonungsloser Kritik in weiten Kreisen unbeliebt, und seine Ansätze wurden nicht so aufgegriffen, wie es für eine umfassende Reform der Scholastik erforderlich gewesen wäre.
* Im [[Wikipedia:Franziskanerorden|Franziskanerorden]] bildete sich eine Strömung (''Franziskanerschule''), die zwar die scholastische Methode übernahm, aber den Einfluss des Aristotelismus begrenzen und traditionelle platonisch-augustinische Ideen bewahren wollte, vor allem in der [[Wikipedia:Anthropologie|Anthropologie]]. Führende Vertreter dieser Richtung waren [[Wikipedia:Robert Grosseteste|Robert Grosseteste]], [[Wikipedia:Alexander von Hales|Alexander von Hales]], [[Wikipedia:Bonaventura|Bonaventura]] und schließlich [[Wikipedia:Johannes Duns Scotus|Johannes Duns Scotus]] († 1308), der Begründer des Scotismus. Franziskaner, insbesondere Scotisten wurden zu den wichtigsten Gegenspielern des Thomismus.
* Es entstand eine Strömung radikaler Aristoteliker, die den Auffassungen des Aristoteles und des Averroes auch in den Punkten folgte, in denen sie mit der kirchlichen Lehre kaum vereinbar waren (siehe [[Wikipedia:Averroismus|Averroismus]]). Dies führte wiederholt zu heftigen Reaktionen der kirchlichen Hierarchie, die die Verbreitung solcher Ansichten verbot. Die Averroisten leisteten hartnäckig stillen Widerstand.
* [[Wikipedia:Wilhelm von Ockham|Wilhelm von Ockham]] († 1349) wurde zum Vorkämpfer einer revolutionären Auffassung, die vereinzelt schon im 11. Jahrhundert in etwas anderer Form vertreten worden war. Sie radikalisierte die aristotelische Kritik an der [[Ideenlehre]] Platons, indem sie den Ideen (Universalien) keinerlei wirkliche Existenz zubilligte ([[Nominalismus]] oder nach anderer Terminologie [[Konzeptualismus]]). Diese Auffassung war mit der katholischen [[Trinität]]slehre unvereinbar. Der dadurch ausgelöste [[Universalienproblem|Universalienstreit]] zwischen Nominalisten/Konzeptualisten und Universalienrealisten (Platonikern) wurde zu einem Hauptthema der Scholastiker. Zu den führenden Nominalisten/Konzeptualisten zählte [[Wikipedia:Johannes Buridan|Johannes Buridanus]]. An den Universitäten nannte man später den Nominalismus/Konzeptualismus ''via moderna'' im Unterschied zur ''via antiqua'' der (teils radikalen, teils gemäßigten) Universalienrealisten. Tatsächlich war der Gegensatz zwischen Nominalisten und Realisten noch weit tiefer als die Gegensätze zwischen Thomisten, Scotisten und anderen nichtnominalistischen Richtungen.
 
==Spätscholastik und Neuscholastik==
Auch nach der Blütezeit der mittelalterlichen Scholastik erlebte die Methode mehrfach eine Renaissance. Unter dem Begriff [[Wikipedia:Spätscholastik|Spätscholastik]] oder Zweite Scholastik versteht man eine theologisch-juristische Bewegung, die an [[Thomas von Aquin]] anknüpft. Sie nahm in Paris ihren Ausgangspunkt und wurde in der spanischen Schule von [[Wikipedia:Salamanca|Salamanca]] ([[Wikipedia:Francisco de Vitoria|Francisco de Vitoria]], [[Wikipedia:Domingo de Soto|Domingo de Soto]]) fortgesetzt. In der Spätscholastik wurden zentrale Grundsätze des [[Wikipedia:Völkerrecht|Völkerrecht]]s sowie des Strafrechts ([[Wikipedia:Strafe|Strafe]]) entwickelt.
 
Unter [[Wikipedia:Neuscholastik|Neuscholastik]] versteht man eine Strömung in der katholischen Theologie des 19. bis 21. Jahrhunderts, die an spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Ideen anknüpfte. Dabei spielte der [[Wikipedia:Neuthomismus|Neuthomismus]] die weitaus wichtigste Rolle. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Enzyklika [[Wikipedia:Aeterni Patris|Aeterni Patris]] von Papst [[Wikipedia:Leo XIII.|Leo XIII.]], die die herausragende Bedeutung der Scholastik für die [[Wikipedia:katholische Philosophie|katholische Philosophie]] betonte.
 
==Namhafte Scholastiker==
 
* [[Wikipedia:Accursius|Accursius]], Adam von Bocfeld, [[Wikipedia:Ägidius von Rom|Ägidius von Rom]], [[Wikipedia:Albertus Magnus|Albertus Magnus]], [[Wikipedia:Baldus de Ubaldis|Baldus de Ubaldis]], [[Wikipedia:Bartolus de Saxoferrato|Bartolus de Saxoferrato]], [[Wikipedia:Berthold von Moosburg (Dominikaner)|Berthold von Moosburg|]], Blasius von Parma, Campanus von Novara, [[Wikipedia:Dietrich von Freiberg|Dietrich von Freiberg]], [[Wikipedia:Meister Eckhart|Meister Eckhart]], [[Wikipedia:Engelbert von Admont|Engelbert von Admont]], Gentile da Cingoli (Gentilis de Cingulo), Gerhard von Abbeville, Gottfried von Fontaines, Guido Terreni, Heinrich Bate, Heinrich von Gent, Heinrich von Harclay, [[Wikipedia:Heinrich von Langenstein|Heinrich von Langenstein]], Heinrich Totting von Oyta, Heymericus de Campo, Hugo Ripelin von Straßburg, Hugo von Saint-Cher, Jakob von Metz, [[Wikipedia:Jakob von Viterbo|Jakob von Viterbo]], Johannes Dumbleton, Johannes von Glogau, Johannes de Ripa, [[Wikipedia:Johannes de Sacrobosco|Johannes de Sacrobosco]], [[Wikipedia:Jordanus de Nemore|Jordanus de Nemore]], [[Wikipedia:Konrad von Megenberg|Konrad von Megenberg]], [[Wikipedia:Marsilius von Padua|Marsilius von Padua]], Martinus de Dacia, Matthäus von Acquasparta, [[Wikipedia:Nikolaus von Oresme|Nikolaus von Oresme]], Paulus von Venedig, Petrus von Abano, Petrus de Alvernia, Petrus Hispanus (möglicherweise <ref>Angel d'Ors: ''Petrus Hispanus O.P., Auctor Summularum'', in: Vivarium 35 (1997), 21-71 beispielweise identifiziert Petrus Hispanus mit einem anderen Dominikaner, nicht mit Johannes XXI. Siehe dazu ausführlicher [http://plato.stanford.edu/entries/peter-spain/ Joke Spruyt (2001): ''Peter of Spain'']</ref> Papst [[Wikipedia:Johannes XXI.|Johannes XXI.]]), Radulfus Brito, Raimund von Peñafort, Richard Swineshead, Robert Holcot, [[Wikipedia:Robert Kilwardby|Robert Kilwardby]], [[Wikipedia:Roger Bacon|Roger Bacon]], Simon von Faversham, [[Wikipedia:Thomas Bradwardine|Thomas Bradwardine]], [[Wikipedia:Thomas von Erfurt|Thomas von Erfurt]], Walter Burley, Wilhelm von Alnwick, [[Wikipedia:Wilhelm von Auvergne|Wilhelm von Auvergne]], [[Wikipedia:Wilhelm von Auxerre|Wilhelm von Auxerre]], Wilhelm Heytesbury, Wilhelm von Sherwood, [[Wikipedia:Witelo|Witelo]]
* Thomisten: Ägidius von Lessines, Bartholomäus (Ptolomäus) von Lucca, Bernhard von Trilia, Dominicus de Flandria, Durandus de Sancto Porciano, Herveus Natalis, Johannes Capreolus, Johannes von Neapel, Johannes von Paris (Jean Quidort, [[Wikipedia:Johannes Quidort von Paris|Johannes Quidort von Paris]]), Johannes Versor, Remigius von Florenz, Richard Knapwell, [[Wikipedia:Thomas von Aquin|Thomas von Aquin]], Thomas von Sutton
* Averroisten: Bartholomäus von Brügge, Boethius von Dacien, Ferrandus de Hispania, Jacobus de Pistoia, Jacobus de Placentia, Johannes von Jandun, Matthäus von Gubbio, [[Wikipedia:Siger von Brabant|Siger von Brabant]], Thaddäus von Parma, Theoderich von Erfurt, Thomas Wilton
* Ältere und mittlere [[Wikipedia:Franziskaner|Franziskaner]]schule: [[Wikipedia:Alexander von Hales|Alexander von Hales]], Eustachius von Arras, [[Wikipedia:Johannes Bonaventura|Johannes Bonaventura]], Johannes Peckham, Johannes de Rupella, Petrus Johannis Olivi, Petrus de Trabibus, Richard von Mediavilla, Richardus Rufus, [[Wikipedia:Robert Grosseteste|Robert Grosseteste]], Thomas von York, Wilhelm de la Mare, Wilhelm von Ware
* Scotisten (jüngere Franziskanerschule): Antonius Andreas (Andreä), Franciscus de Marchia, Franciscus von Meyronnes, Hugo de Novo Castro, Jacobus de Aesculo, [[Wikipedia:Johannes Duns Scotus|Johannes Duns Scotus]], Walter von Chatton
* Nominalisten/Konzeptualisten: Adam Wodham, [[Wikipedia:Albert von Sachsen|Albert von Sachsen]], [[Wikipedia:Gabriel Biel|Gabriel Biel]], [[Wikipedia:Jean Gerson|Jean Gerson]], [[Wikipedia:Johannes Buridan|Johannes Buridanus|]], [[Wikipedia:Marsilius von Inghen|Marsilius von Inghen]], [[Wikipedia:Nikolaus von Autrecourt|Nikolaus von Autrecourt]], [[Wikipedia:Pierre d’Ailly|Pierre d’Ailly]], Wilhelm (Johannes) Crathorn, [[Wikipedia:Wilhelm von Ockham|Wilhelm von Ockham]]
 
==Literatur==
* Martin Grabmann: ''Die Geschichte der scholastischen Methode'', Akademie-Verlag, Berlin 1988, ISBN 3-05-000592-0
* Peter Schulthess und Ruedi Imbach: ''Die Philosophie im lateinischen Mittelalter'', Zürich 1996, ISBN 3-7608-1218-X
* Jorge J.E. Gracia und Timothy B. Noone: ''A Companion to Philosophy in the Middle Ages'', Malden 2003, ISBN 0-631-21672-3
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/medieval-philosophy/ P. V. Spade, ''Medieval Philosophy'', 2004.}}
* Rudolf Steiner: ''Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen'', [[GA 109]] (2000), ISBN 3-7274-1090-6 {{Vorträge|109}}
* Rudolf Steiner: ''Der Jahreskreislauf als Atmungsvorgang der Erde und die vier großen Festeszeiten'', [[GA 223]] (1990), ISBN 3-7274-2231-9 {{Vorträge|223}}


== Literatur ==
#Johann Valentin Andreä: ''Die Chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz'', gedeutet und kommentiert von Bastiaan Baan, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2001
#Rudolf Steiner: ''Philosophie und Anthroposophie'', [[GA 35]] (1984)
#Rudolf Steiner: ''Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha'', [[GA 175]] (1996)
#Rudolf Steiner: ''Mysteriengestaltungen'', [[GA 232]] (1998)
#Rudolf Steiner / Marie Steiner-von Sivers: ''Briefwechsel und Dokumente 1901–1925'', 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, [[GA 262]] (2002)


{{GA}}
{{GA}}


== Einzelnachweise ==
== Weblinks ==
 
#[[Bild:Adobepdf_small.gif]] [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/bibliothek/alchemie/Johann_Valentin_Andreae_Chymische_Hochzeit_Christiani_Rosencreutz_Anno_1459.pdf Johann Valentin Andreae: ''Chymische Hochzeit des Christiani Rosencreutz Anno 1459'']
<references>
#[[Bild:Adobepdf_small.gif]] [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/DIE_CHYMISCHE_HOCHZEIT_DES_CHRISTIAN_ROSENKREUTZ.pdf Rudolf Steiner: ''Die Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz'']
 
{{Wikipedia}}


[[Kategorie:Philosophie]]  
[[Kategorie:Schulungsweg]] [[Kategorie:Rosenkreuzer]]
[[Kategorie:Philosophie nach Richtung]]
[[Kategorie:Philosophische Richtung]]
[[Kategorie:Philosophie des Mittelalters]]
[[Kategorie:Theologie]]
[[Kategorie:Scholastik|!]]

Version vom 1. Mai 2007, 18:18 Uhr

Chymische Hochzeit des Christiani Rosencreutz Anno 1459, Ausgabe 1616

Die Chymische Hochzeit des Christiani Rosencreutz Anno 1459 erschien 1616 in Straßburg bei Lazare Zetzner erstmals im Druck, nachdem sie zuvor schon einige Zeit als Handschrift im Umlauf war. Entstanden ist sie zwischen 1603 und 1605. Geschildert werden darin die Einweihungserlebnisse des Christian Rosenkreutz, die schließlich zur Begründung des Rosenkreuzer-Schulungswegs geführt haben, in Form eines alchemistischen Romans.

Johann Valentin Andreae

Johann Valentin Andreae (1586-1654)

Die Chymische Hochzeit erschien zunächst anonym, doch gilt als ihr Autor Johann Valentin Andreae. Im äußeren Sinn ist das wohl richtig, doch war er nicht mehr als ein Werkzeug der geistigen Welt, denn wie Rudolf Steiner deutlichlich gemacht hat, war ihr geistiger Urheber gar keine physische Persönlichkeit:

"Aber kein Mensch, der die Biographie des Valentin Andrea kennt, wird im Zweifel darüber sein, daß der Valentin Andrea, der später ein philiströser Pastor geworden ist und salbungsvolle andere Bücher schrieb, nicht die «ChymischeHochzeit» geschrieben hat. Es ist ein bloßer Unsinn, zu glauben, daß der Valentin Andrea die «Chymische Hochzeit» geschrieben hat. Denn vergleichen Sie nur einmal die «Chymische Hochzeit» oder die «Reformation der ganzen Welt» oder die anderen Schriften von Valentinus Andrea - physisch war es schon dieselbe Persönlichkeit - mit dem schmalzig Salbungsvollen, Fettig-Öligen, was der Pastor Valentin Andrea, der nur denselben Namen trägt, in seinem späteren Leben dann geschrieben hat. Das ist doch ein höchst merkwürdiges Phänomen! Wir haben einen jungen Menschen, der überhaupt noch kaum erst die Schulzeit vollendet hat, der schreibt solche Dinge nieder wie die «Reformation der ganzen Welt», wie die «Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz», und wir müssen uns anstrengen, den inneren Sinn dieser Schriften zu ergründen. Er selber versteht gar nichts davon, denn das zeigt er später: er wird ein salbungsvoller öliger Pastor. Das ist derselbe Mensch! Und man braucht nur dieses Faktum zu nehmen, so muß man plausibel finden, was ich dazumal dargestellt habe: daß eben die «Chymische Hochzeit» nicht von einem Menschen geschrieben ist, oder nur insofern von einem Menschen geschrieben ist, nun ja - wie der stets angsterfüllte geheime Sekretär von Napoleon seine Briefe geschrieben hat. Aber Napoleon war immerhin ein Mensch, der stark mit seinen Füßen, mit seinen Beinen auf dem Boden stand, war eben eine physische Persönlichkeit. Derjenige, der die «Chymische Hochzeit» geschrieben hat, war nicht eine physische Persönlichkeit, und er hat sich dieses «Sekretärs» bedient, der eben dann später der ölige Pastor Valentin Andrea geworden ist." (Lit.: GA 232, S 143)

Inhalt

Die romanhafte Schilderung der Chymischen Hochzeit beginnt damit, dass der achtzigjähriger Christian Rosenkreutz, der um 1459 in einer Eremitage am Abhang eines Berges lebte, über ein selbsterlebtes Abenteuer zu berichten beginnt, das er am Vorabend des Ostertages erlebt hat. Die ganze Erzählung erstreckt sich über sieben seelische Tagewerke und beginnt damit, dass Christian Rosenkreutz, tief in die Meditation versenkt, plötzlich einen grausamen Wind an seine Hütte heranwehen spürt, ein Zeichen dafür, dass er mit seinem Bewusstsein in die rastlos bewegte Ätherwelt eingetreten ist[1]. Da titt plötzlich ein herrliches Weib mit Flügeln voller Augen in blauem Kleid und güldenen Sternen[2] und einer Posaune in der Hand an ihn heran und überrreicht ihm einen Brief, der ihn zu einer königlichen Hochzeit lädt. Der Brief ist versiegelt und das Siegel trägt das Zeichen des Kreuzes und die Worte: "In hoc signo vinces"[3]. Auf der Posaune steht ein Name, den Christian Rosenkreutz wohl erkennt, aber nicht preisgeben darf. Die Hochzeit, so erinnert er sich plötzlich, war ihm schon sieben Jahre zuvor angekündigt worden. Das im Brief gleich zu Beginn erwähnte Bild der drei Tempel auf dem Berg bleibt ihm vorerst rätselhaft. Im Traum sieht er sich noch in der selben Nacht in einen Turm versetzt, wo er und unzählige andere in Ketten gelegt der Befreiung harren. Da erscheint oben in der Öffnung des Turms ein alter eisgrauer Mann zusammen mit seiner Mutter. Auf ihr Geheiß wird sieben Mal ein Seil herabgelassen, an dem manche der Gefangenen - und schließlich beim sechsten Mal auch Christian Rosenkreutz - hochgezogen werden.

Als Christian Rosenkreutz am zweiten Tag seine Zelle verläßt und in den Wald kommt, bemerkt er an einem Baum ein Täfelchen, das ihm vier Wege zum Ziel zur Wahl stellt, von denen aber nur drei übrigbleiben, denn den vierten kann kein Sterblicher wandeln. Durch die Imagination einer schneeweißen Taube, mit der er sein Brot teilt, und eines schwarzen Raben, der ihr das Brot wieder entreissen will, wird er, indem er unbedacht dem Raben nacheilt, auf den zweiten, den langsamen, Weg mehr "geschoben", als dass er ihn bewusst ergreift. Nach einiger Zeit, gerade noch bei Tageslicht, erreicht er eine Pforte, ein überaus schönes, königliches Portal, über der er die Worte lesen kann: "Weichet weit von hier, ihr Ungeweihten." Christian Rosenkreutz tritt ein und wird von dem Torhüter im himmelblauen Kleid freundlich empfangen. Nachdem ihm Christian Rosenkreutz sein Fläschchen Wasser als Gegenleistung übergeben hat, erhält er von ihm ein goldenes Zeichen, auf dem die zwei Buchstaben SC[4] zu lesen sind und außerdem ein versiegeltes Brieflein für den zweiten Hüter. Lange belehrt in der Hüter und ist es mittlerweile schon tiefe Nacht, als Christian Rosenkreutz seinen Weg fortsetzt und schließlich an die zweite Pforte gelangt, über der zu lesen ist: "Gebet und euch wird gegeben werden." Davor liegt, an eine Kette gebunden, ein grausamer Löwe, der sich mit Gebrüll aufrichtet, aber von dem dadurch erwachten zweiten Hüter zurückgehalten wird. Christian Rosenkreutz übergibt ihm sein Brieflein und wird danach von dem zweiten Hüter mit großer Ehrfurcht behandelt. Für sein Salz als Gegengabe empfängt Christian Rosenkreutz wieder ein Zeichen, das die beiden Buchstaben SM[5] trägt.

Am dritten Tag erreicht Christian Rosenkreutz auf seiner Wanderung einen Berggipfel, wo er wie auch die Gäste durch eine Waage geprüft werden, deren Gewichte vielfach als die 7 Tugenden gedeutet werden. Rudolf Steiner sieht in ihnen die Sieben Freien Künste. Diejenigen, die für tugendhaft befunden werden, dürfen der Hochzeit beiwohnen. Sie erhalten ein Goldenes Vlies und werden der königlichen Familie vorgestellt. Voller Erwartungen einer Hochzeit beizuwohnen, wird aber die königliche Familie geköpft und ihre Teile in sieben Schiffe verladen und auf einer weit abgelegenen Insel in den Olympischen Turm gebracht, der sieben Stockwerke hat. Innerhalb dieses Turmes erleben die Gäste einen Aufstieg und jeder von ihnen nimmt an alchemistischen Operationen teil, die durch einen Greis und eine Frau geführt werden. Aus den königlichen Überresten gewinnt man dabei eine Art flüssiges Destillat, welches ein weißes Ei gebiert. Aus diesem schlüpft wiederum ein Vogel, der gemästet und geköpft wird. Die Gäste werden aufgefordert aus den Überresten zwei winzige Statuen zu formen. Diese werden solang gefüttert, bis sie die Größe eines erwachsenen Menschen erreicht haben und es stellt sich heraus, dass diese der auferstandene König und die Königin sind. Nachdem das Werk vollbracht ist, werden die Gäste durch das Königspaar in den Orden vom Goldenen Stein eingeführt und kehren zum Schloss zurück. Christian Rosenkreutz spielt dabei noch eine weitere besondere Rolle. Da er im Schloss in das Mausoleum eingedrungen war, wurde er von der dort lebenden Venus als Schlosswächter verurteilt. Die Geschichte endet schließlich wieder in der Eremitage des Christian Rosenkreutz, womit nochmals verdeutlicht wird, dass es sich bei den Schilderungen um keine äußeren Erlebnisse, sondern um innere geistige Erfahrungen handelt.

Erläuterungen

  1. "In einer Zeit gehobener Seelenstimmung, am Vorabend des Osterfestes, tritt dieses erneute Erleben ein. Der Träger der Erlebnisse fühlt sich wie von Sturm umbraust. So kündigt sich ihm an, daß er eine Wirklichkeit erlebt, deren Wahrnehmung nicht durch den physischen Leib vermittelt ist. Er ist aus dem Gleichgewichtszustande gegenüber den Weltenkräften herausgehoben, in den der Mensch durch seinen physischen Leib versetzt ist. Seine Seele lebt nicht das Leben dieses physischen Leibes mit; sie fühlt sich nur verbunden mit dem (ätherischen) Bildekräfteleib, der den physischen durchsetzt. Dieser Bildekräfteleib ist aber nicht in das Gleichgewicht der Weltenkräfte eingeschaltet, sondern in die Beweglichkeit derjenigen übersinnlichen Welt, welche der physischen zunächst steht, und die von dem Menschen zuerst wahrgenommen wird, wenn er sich die Pforten des geistigen Schauens eröffnet hat. Nur in der physischen Welt erstarren die Kräfte zu festen, in Gleichgewichtszuständen sich auslebenden Formen; in der geistigen Welt herrscht fortdauernde Beweglichkeit. Das Hingenommen-Werden von dieser Beweglichkeit kommt dem Träger der Erlebnisse als die Wahrnehmung des brausenden Sturmes zum Bewußtsein." (Lit.: GA 35, S 334)
  2. "Aus dem Unbestimmten dieser Wahrnehmung löst sich heraus die Offenbarung eines Geistwesens. Diese Offenbarung geschieht durch eine bestimmt gestaltete Imagination. Das Geistwesen erscheint in blauem, sternbesetztem Kleide. Man muß von der Schilderung dieses Wesens alles fernhalten, was an symbolischen Ausdeutungen dilettantische Esoteriker gerne zur «Erklärung» herbeitragen. Man hat es zu tun mit einem nicht-sinnlichen Erlebnis, das der Erlebende durch ein Bild für sich und andere zum Ausdrucke bringt. Das blaue, sternbesetzte Kleid ist so wenig Sinnbild etwa für den blauen Nachthimmel oder ähnliches, wie die Vorstellung des Rosenstockes im gewöhnlichen Bewußtsein Sinnbild für die Abendröte ist. Beim übersinnlichen Wahrnehmen ist eine viel regere, bewußtere Betätigung der Seele vorhanden als beim sinnlichen. — In dem Falle des Wanderers zur «Chymi-schen Hochzeit» wird diese Betätigung durch den Bildekräfteleib ausgeübt, wie im Falle des physischen Sehens durch den sinnlichen Leib vermittels der Augen. Diese Tätigkeit des Bildekräfteleibes läßt sich vergleichen mit der Erregung von ausstrahlendem Licht. Solches Licht trifft auf das sich offenbarende Geistwesen. Es wird von diesem zurückgestrahlt. Der Schauende sieht also sein eigenes ausgestrahltes Licht, und hinter dessen Grenze wird er das begrenzende Wesen gewahr. Durch dieses Verhältnis des Geistwesens zu dem Geisteslicht des Bildekräfteleibes tritt das «Blau» auf; die Sterne sind die nicht rückstrahlenden, sondern von dem Wesen aufgenommenen Teile des Geisteslichtes. Das Geistwesen hat objektive Wirklichkeit; das Bild, durch das es sich offenbart, ist eine durch das Wesen bewirkte Modifikation in der Ausstrahlung des Bildekräfteleibes. " (Lit.: GA 35, S 335)
  3. In diesem Zeichen wirst du siegen. "Der Träger der Erlebnisse, die in der «Chymischen Hochzeit» geschildert sind, ist als Alchimist sich bewußt, daß er auf seinem Wege ein erstarktes Unterscheidungsvermögen für Wahrheit und Täuschung braucht. Nach den Lebensverhältnissen, aus denen heraus er seinen alchymistischen Pfad antritt, sucht er seine Stütze aus der christlichen Wahrheit zu gewinnen. Er weiß: was ihn mit Christus verbindet, hat schon innerhalb seines Lebens in der Sinnen weit eine zur Wahrheit führende Kraft in seiner Seele zur Entfaltung gebracht, welche der Sinnesgrundlage nicht bedarf, die sich also auch bewähren kann, wenn diese Sinnesgrundlage nicht da ist. Mit dieser Gesinnung steht seine Seele vor dem Wesen im blauen Kleide, das ihn auf den Weg zur «Chymischen Hochzeit» weist. Dieses Wesen könnte zunächst ebensogut der Welt der Täuschung und des Irrtums wie derjenigen der Wahrheit angehören. Der Wanderer zur «Chymischen Hochzeit» muß unterscheiden. Aber sein Unterscheidungsvermögen wäre verloren, der Irrtum müßte ihn überwältigen, könnte er nicht im übersinnlichen Erleben erinnern, was ihn in der sinnlichen mit einer inneren Kraft an die Wahrheit bindet. Aus der eigenen Seele steigt auf, was in dieser durch Christus geworden ist. Und so wie sein übriges Licht, so strahlt der Bildekräfteleib dieses Christuslicht nach dem sich offenbarenden Wesen hin. Es bildet sich die rechte Imagination. Der Brief, der ihn auf den Weg zur «Chymischen Hochzeit» weist, enthält das Christuszeichen und die Worte: in hoc signo vinces. — Der Wanderer weiß: er ist durch eine Kraft, die nach der Wahrheit weist, mit dem erscheinenden Wesen verbunden. Wäre die Kraft, die ihn in die übersinnliche Welt geführt hat, eine zur Täuschung neigende gewesen, so stünde er vor einer Wesenheit, die sein Erinnerungsvermögen für den in ihm lebenden Christusimpuls gelähmt hätte. Er würde dann nur der verführerischen Macht gefolgt sein, welche den Menschen auch dann anzieht, wenn die übersinnliche Welt ihm Kräfte entgegenführt, die seinem Wesen und Wollen verderblich sind. " (Lit.: GA 35, S 344f)
  4. Sanctitate Constantia; Sponsus Carus; Spes Caritas; Signum Crucis = Beständigkeit in Heiligkeit; geliebter Bräutigam; Hoffnung, Liebe; Zeichen des Kreuzes.
  5. Studio Merentis; Sponso Mittendus; Sal Mineralis; Sal Menstrualis = Zum Studium des Würdigen; dem Brätigam mitzubringen; Mineralsalz; Salz der Reinigung.

Die Initiation durch Manes

Die Initiation des Christian Rosenkreutz im Jahre 1459 erfolgte durch Manes und war mit einer tieferen Einsicht in das Wesen und die Aufgabe des Bösen in der Welt verbunden:

"Als ein «höherer Grad» wird innerhalb dieser ganzen Strömung die Initiation des Manes angesehen, der 1459 auch Christian Rosenkreutz initiierte: sie besteht in der wahren Erkenntnis von der Funktion des Bösen. Diese Initiation muss mit ihren Hintergründen noch für lange vor der Menge ganz verborgen bleiben. Denn wo von ihr auch nur ein ganz kleiner Lichtstrahl in die Literatur eingeflossen ist, da hat er Unheil angerichtet, wie durch den edlen Guyau, dessen Schüler Friedrich Nietzsche geworden ist." (Lit.: GA 262, S 24)

Der Unterschied zwischen chymischer und mystischer Hochzeit

Christian Rosenkreutz bricht auf zu einem Einweihungsweg, der aber nicht, wie der Weg des Mystikers, nach innen geht und zur Mystischen Hochzeit mit dem eigenen geistigen Wesen führt, sondern er wandelt den Pfad des Alchemisten, der primär nach der Vereinigung mit dem Geistigen der Außenwelt strebt, das sich hinter der Sinneswelt verbirgt, und erst dadurch sekundär die eigenen Geistigkeit erkennen will. Er geht gleichsam einen objektiveren - und damit sichereren - Weg als der Mystiker.

"Die Forschungswege des Mystikers und des Alchimisten liegen nach entgegengesetzten Richtungen. Der Mystiker geht unmittelbar in das eigene Geistwesen des Menschen hinein. Sein Ziel ist, was die Mystische Hochzeit genannt werden kann, die Vereinigung der bewußten Seele mit der eigenen geistigen Wesenheit. Der Alchimist will das Geistgebiet der Natur durchwandeln, um nach der erfolgten Wanderung mit den in diesem Gebiet erworbenen Erkenntniskräften das Geistwesen des Menschen zu schauen. Sein Ziel ist die «Chymische Hochzeit», die Vereinigung mit dem Geistgebiet der Natur. Nach dieser Vereinigung erst will er die Anschauung der Menschenwesenheit erleben." (Lit.: GA 35, S 341)

Die mystische Versenkung in das eigene Innere, die in der mystischen Hochzeit kulminiert, gibt zunächst nur etwas für das subjektive Erleben des Menschen. Sie gibt im besten Sinn etwas für die moralische, für die geistige Entwicklung des einzelnen Menschen. Der Weg des Alchemisten führt weiter, indem die chymische Hochzeit zugleich ein objektives Ereignis in der geistigen Außenwelt ist. Sie arbeitet unmittelbar mit an der geistigen Erneuerung der Welt.

"Was ist denn der ganze Sinn der menschlichen Erdenentwickelung? Das ist der ganze Sinn der menschlichen Erdenentwickelung, daß sich der Mensch an die Erde anpaßt, daß er die Bedingungen der Erdenentwickelung in sich aufnimmt; daß er hineinträgt in die Zukunft seiner Entwickelung dasjenige, was die Erde ihm geben kann - ich meine jetzt nicht bloß in einer Inkarnation, sondern durch alle Inkarnationen hindurch -, für die spätere Entwickelung ihm geben kann. Das ist der Sinn der Erdenentwickelung. Dieser Sinn der Erdenentwickelung, er kann nur verwirklicht werden dadurch, daß der Mensch gewissermaßen auf der Erde nach und nach vergessen lernte seinen Zusammenhang mit den kosmischen, mit den himmlischen Mächten. Der Mensch lernte vergessen seinen Zusammenhang mit den himmlischen Mächten. Wir wissen ja, daß in alten Zeiten die Menschen ein atavistisches Hellsehen hatten, aber gerade innerhalb dieses atavistischen Hellsehens wirkten ja die himmlischen Mächte in die Menschen hinein. Da hatte der Mensch noch seinen Zusammenhang mit den himmlischen Mächten; da ragte gewissermaßen das Himmelreich in das menschliche Gemüt hinein. Das mußte anders werden, damit der Mensch seine Freiheit entwickeln kann. Der Mensch mußte in seiner Anschauung, in seiner unmittelbaren Wahrnehmung nichts mehr haben von dem himmlischen Reich, damit er der Erde verwandt werde. Aus diesem Grunde aber ist auch die Möglichkeit allein gegeben gewesen, daß der Mensch in der extremsten Zeit der Erdenverwandtschaft eben materialistisch wurde, im fünften Zeitraum, in dem wir selber drinnenstehen. Der Materialismus ist nur der radikalste, extremste Ausdruck der Verwandtschaft des Menschen mit der Erde. Das aber würde bedingen, daß der Mensch wirklich der Erde verfiele, wenn nichts anderes eintreten würde. Der Mensch mußte der Erde verwandt werden, nach und nach ganz das Schicksal der Erde teilen. Er mußte die Wege nehmen, die die Erde selber nimmt, er mußte sich ganz einfügen der Erdenentwickelung, wenn nichts anderes eintreten würde. Er mußte gleichsam mit der Erde sich losreißen vom ganzen Kosmos und sein Schicksal ganz mit dem Schicksal der Erde verbinden.

Das war aber nicht so gemeint für die Menschheit, sondern es war für die Menschheit anders gemeint. Der Mensch sollte auf der einen Seite sich richtig mit der Erde verbinden, aber es sollte Botschaft aus der himmlischen, geistigen Welt herunterkommen, die ihn, trotzdem er durch seine Natur erdenverwandt wird, wiederum hinwegträgt über diese Erdenverwandtschaft. Und dieses Herunterbringen der Himmelsbotschaft, das geschah durch das Mysterium von Golgatha. Daher mußte auf der einen Seite das Wesen, das durch das Mysterium von Golgatha ging, Menschenwesenheit annehmen, aber auf der anderen Seite in sich Himmelswesenheit tragen. Das heißt aber: Wir dürfen uns den Christus Jesus nicht bloß so vorstellen, daß er innerhalb der Menschheitsentwickelung nicht als auch einer sich entwickelt, und sei er auch der Höchste, sondern daß er sich als einer entwickelt, der aufnimmt himmlische Wesenheit, der nicht bloß eine Lehre verbreitet, sondern der in die Erde hereinträgt dasjenige, was aus dem Himmel kommt. Daher ist es wichtig, zu verstehen, was eigentlich die Johannes-Taufe im Jordan ist: daß das nicht bloß eine moralische Handlung ist - ich sage nicht «nicht» eine moralische Handlung ist, sondern «nicht bloß» eine moralische Handlung ist -, sondern eine reale Handlung ist; daß da etwas geschieht, das so wirklich ist, wie die Naturereignisse wirklich sind, das so wirklich ist, wie wenn ich mit irgendeinem Wärmequell etwas erwärme und die Wärme übergeht in das Erwärmte, daß die Christus-Wesenheit übergeht in den Menschen Jesus von Nazareth bei der Johannes-Taufe. Das ist gewiß im höchsten Grade ein Moralisches, aber auch im Naturlaufe ein Wirkliches, wie die Naturerscheinungen wirklich sind. Und darauf kommt es an, daß das verstanden wird, daß man es nicht nur mit irgend etwas zu tun hat, was aus rationalistischen menschlichen Begriffen heraus stammt, die immer nur übereinstimmen mit dem mechanischen, dem physischen oder chemischen Naturlaufe, sondern daß es etwas ist, was als Idee zu gleicher Zeit so in der realen Wirklichkeit drinnensteht, wie die Naturgesetze in der realen Wirklichkeit oder eigentlich die Naturkräfte in der realen Wirklichkeit drinnenstehen.

Von da aus, wenn man das erfaßt, werden dann auch andere Begriffe viel realer werden, als sie in der Gegenwart sind. Sehen Sie, der alte Alchimist - wir wollen uns jetzt nicht über Alchimie unterhalten, aber wir wollen auf das, was der Alchimist im Auge hatte, blicken; ob das berechtigt oder unberechtigt ist, darüber wollen wir uns nicht unterhalten, das kann vielleicht Gegenstand einer anderen Betrachtung sein -, er hatte im Auge, daß durch seine Vorstellungen nicht bloß etwas vorgestellt wird, sondern etwas geschieht. Sagen wir: Er räucherte. Und hatte er dann die Vorstellung oder sprach sie aus, so versuchte er, in diese Vorstellung eine solche Kraft hineinzubringen, daß die Räuchersubstanz wirklich Formen annahm. Er suchte solche Begriffe, die die Macht haben, in die äußere Naturrealität einzugreifen, nicht bloß innerhalb des Egoistischen des Menschen zu bleiben, sondern in die Naturrealität einzugreifen. Warum? Weil er auch noch von dem Mysterium von Golgatha die Vorstellung hatte, daß da etwas geschah, was in den Naturlauf der Erde eingreift, das ebenso eine Tatsache ist, wie ein Naturvorgang eine Naturtatsache ist.

Sehen Sie, auf diesem beruht ein bedeutungsvoller Unterschied, der in der zweiten Hälfte des Mittelalters und gegen die neuere Zeit, gegen unsere fünfte, auf die griechisch-lateinische folgende Weltenperiode eintrat. In der Kreuzzugszeit, der Zeit des 12., 13., 14., 15., ja 16. Jahrhunderts gab es insbesondere Frauennaturen, welche ihr Gemüt in eine solche Mystik brachten, daß sie dieses innere Erlebnis, das ihnen die Mystik brachte, wie eine Hochzeit empfanden mit dem Geistigen, sei es mit dem Christus, oder sonst etwas. Mystische Hochzeiten feierten zahlreiche asketische Nonnen und so weiter. Ich will mich heute nicht über das Wesen dieser innerlichen mystischen Vereinigungen ergehen; aber es war eben ein innerhalb des Gemüts Verlaufendes, das dann nur mit Worten ausgesprochen werden konnte, das gewissermaßen innerhalb der Vorstellungen, der Empfindungen und noch des Wortes, in das die Empfindungen gekleidet werden können, verlief. Dem setzte dann aus gewissen Vorstellungen und geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen heraus Valentin Andreae seine «Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz» entgegen. Diese chymische Hochzeit, wir würden heute sagen chemische Hochzeit, sie ist auch ein menschliches Erlebnis. Aber wenn Sie sie durchlesen, diese Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz, so werden Sie sehen, daß es sich da nicht bloß um ein Gemütserlebnis handelt, sondern um etwas, was den ganzen Menschen ergreift, nicht bloß sich in Worten ausspricht; was nicht bloß hereingestellt ist wie ein Gemütserlebnis in die Welt, sondern wie ein realer Vorgang, ein Naturvorgang, wo der Mensch mit sich etwas macht, das wie ein Naturvorgang wird. Also etwas, was mehr von Wirklichkeit durchtränkt ist, meint Valentin Andreae mit seiner «Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreutz», als eine bloß mystische Hochzeit etwa der Mechthild von Magdeburg, die eine Mystikerin war. Durch die mystische Hochzeit der Nonnen wurde nur etwas getan für die Subjektivität des Menschen; durch die chymische Hochzeit gab sich der Mensch der Welt hin, durch ihn sollte etwas für die ganze Welt geleistet werden, so wie durch die Naturvorgänge etwas für die ganze Welt geleistet wird. Dies ist nun wiederum im eminent christlichen Sinne gedacht. Begriffe wollten die Menschen, die realer dachten - sei es nun selbst in dem einseitigen Sinne der alten Alchimisten -, Begriffe wollten sie, durch die sie die Wirklichkeit in richtiger Art meistern könnten, durch die sie in die Wirklichkeit richtiger eingreifen könnten, solche Begriffe, die nun wirklich etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die materialistische Zeit hat zunächst über solche Begriffe einen Schleier geworfen. Und die Menschen, während sie heute meinen, gerade recht über die Wirklichkeit zu denken, leben viel mehr in Illusionen als die von ihnen verachteten Menschen zum Beispiel der Alchimistenzeit, welche Begriffe anstrebten, durch die die Wirklichkeit gemeistert werden kann." (Lit.: GA 175, S 80ff)

Literatur

  1. Johann Valentin Andreä: Die Chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz, gedeutet und kommentiert von Bastiaan Baan, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2001
  2. Rudolf Steiner: Philosophie und Anthroposophie, GA 35 (1984)
  3. Rudolf Steiner: Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha, GA 175 (1996)
  4. Rudolf Steiner: Mysteriengestaltungen, GA 232 (1998)
  5. Rudolf Steiner / Marie Steiner-von Sivers: Briefwechsel und Dokumente 1901–1925, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, GA 262 (2002)
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Weblinks

  1. Johann Valentin Andreae: Chymische Hochzeit des Christiani Rosencreutz Anno 1459
  2. Rudolf Steiner: Die Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz