Eugen Heinrich Schmitt und Bibliothek:GA 10: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Eugen Heinrich Schmitt''' (* [[Wikipedia:5. November|5. November]] [[Wikipedia:1851|1851]] in [[Wikipedia:Znojmo|Znaim]], [[Wikipedia:Österreich-Ungarn|Österreich-Ungarn]]; † [[Wikipedia:14. September|14. September]] [[Wikipedia:1916|1916]] in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]]) war ein [[Wikipedia:Pazifismus|pazifistischer]] und [[Wikipedia:Antiklerikalismus|antiklerikaler]] [[Philosoph]] und Publizist.
#REDIRECT [[Bibliothek:Rudolf Steiner/Werke/GA 10 Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten]]
 
== Leben ==
 
Eugen Heinrich Schmitt wurde als Sohn eines Kapitäns der österreichisch-ungarischen Armee in Znaim geboren. Sein Vater war in [[Wikipedia:Klosterneuburg|Klosterneuburg]] stationiert. Nach dem Tod des Vaters zog die Familie nach [[Wikipedia:Sombor|Sombor]], dem Heimatort von Schmitts Mutter, wo sie unter ärmlichen Verhältnissen lebte. 1870 legte Schmitt in [[Wikipedia:Subotica|Szabadka]] das Abitur ab. Danach trat er in die Armee ein und diente kurze Zeit als Offizier. Später war er als Kanzleischreiber für das [[Wikipedia:Komitat Bács-Bodrog|Komitat Bács-Bodrog]] in Sombor tätig. Er eignete sich autodidaktisch Kenntnisse in Philosophie an und studierte das Fach dann in [[Wikipedia:Budapest|Budapest]]. 1888 wurde er promoviert. Erste Aufsätze publizierte er unter dem [[Wikipedia:Pseudonym|Pseudonym]] ''Eugen Bulla'' um 1880 in der Zeitschrift ''Die Neue Gesellschaft''. Von 1890 bis 1896 war er Bibliothekar im Justizministerium in Budapest. Er wandte sich der [[Gnosis]] zu und gründete 1894 in Leipzig die Zeitschrift ''Die Religion des Geistes'', die bis 1896 erschien und zu deren Autoren [[Wikipedia:Lew Nikolajewitsch Tolstoi|Leo Tolstoi]] zählte. 1896 verzichtete er aus Gewissensgründen auf die Stelle und den Pensionsanspruch. Ab 1897 war er in Budapest Herausgeber der zweisprachigen deutsch-ungarischen [[Wikipedia:Anarchismus|anarchistischen]] Zeitschrift ''Ohne Staat. Organ der idealistischen Anarchisten'', eines Wochenblatts, das bis circa 1899 erschien. Außerdem setzte er sich für die ungarische agrarsozialistische Bewegung ein.<ref>Über Schmitts Biographie informiert zusammenfassend György Mikonya: ''Pädagogik und Lebensreformbestrebungen bei Eugen Heinrich Schmitt und Erwin Szabó.'' In: Johanna Hopfner, András Németh (Hrsg.): ''Pädagogische und kulturelle Strömungen in der k. u. k. Monarchie'', Frankfurt am Main 2008, S. 41–58, hier: 45.</ref>
Weil er dadurch einen Bauernaufstand mit inspiriert hatte, musste er 1908 aus Österreich flüchten. Im Berliner Kreis der [[Wikipedia:Neue Gemeinschaft|Neuen Gemeinschaft]] um den Anarchisten [[Wikipedia:Gustav Landauer|Gustav Landauer]] fand er eine neue Heimat. Sein restliches Leben verbrachte er als Privatgelehrter und Kämpfer für seine Ideen, zu denen neben dem Anarchismus insbesondere das Ideal der Gewaltlosigkeit zählte. Da er seine anarchistischen Ansichten offensiv vertrat, wurde er wiederholt vor Gericht gestellt. Als Angeklagter trat er provozierend auf und erregte damit Aufsehen. Die Prozesse endeten mit Freispruch.
 
== Denken ==
 
Schmitt ging ursprünglich von Ideen [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegels]] und [[Wikipedia:Ludwig Feuerbach|Feuerbachs]] aus. Später entwickelte er, an die antike Gnosis anknüpfend, eine eigene religiöse Philosophie („Neugnosis“), die er in zahlreichen Werken darlegte. Er forderte die „Reinigung und Verinnerlichung des Gottesbegriffs“, in der er eine Hauptaufgabe seiner Zeit sah. Davon erhoffte er die Schaffung der „religiösen Grundlagen einer edleren Sittlichkeit der Zukunft“. Mit radikaler Konsequenz vertrat er sein Konzept der Gewaltlosigkeit und forderte zum Ungehorsam gegenüber staatlichen und kirchlichen Machtansprüchen auf. Dabei ermutigte ihn die grundsätzliche Zustimmung von Tolstoi, mit dem er in brieflichem Gedankenaustausch stand. Mit Tolstoi verband ihn neben dem Ideal der Gewaltlosigkeit und christlichem Gedankengut auch eine besondere Wertschätzung des Bauerntums.<ref>György Mikonya: ''Pädagogik und Lebensreformbestrebungen bei Eugen Heinrich Schmitt und Erwin Szabó.'' In: Johanna Hopfner, András Németh (Hrsg.): ''Pädagogische und kulturelle Strömungen in der k. u. k. Monarchie'', Frankfurt am Main 2008, S. 41–58, hier: 47–50.</ref>
 
== Rezeption ==
 
[[Rudolf Steiner]] äußerte sich anerkennend über Schmitts Nietzsche-Monographie; in einer Rezension unter dem Titel ''Ein wirklicher Jünger Zarathustras''<ref>Rudolf Steiner: ''Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte'', Dornach 1966, S. 476.</ref> zählte er das Buch „zu den glänzendsten Morgensternen auf dem Himmel der modernen Gedankenwelt“. Steiner würdigte auch Schmitts Werk über die [[Gnosis]], merkte aber auch kritisch an, dass Schmitt das Wesen der Gnosis zwar in Gedanken erfassen, nicht aber wirklich erleben könne.
 
{{GZ|''Eugen Heinrich Schmitt'', der einsame Denker in Budapest,
hat vor kurzem den ersten Band seines bedeutsamen Werkes
über die Gnostiker erscheinen lassen. In einer begeisternden
Sprache, mit hohem Gedankenflug erhebt er sich zu den
Erforschern des geistigen Lebens. Mit Einsicht wendet er
sich gegen die materialistischen Zeitgedanken, die in den
rein stofflichen Prozessen das Weltgeheimnis erkunden wollen,
die den Geistmenschen zum Tiermenschen wissenschaftlich
erniedrigen, weil sie nur das, was physisch und chemisch
an dem Organismus ist, sehen können. Schmitt schildert eindringlich,
wie das menschliche Gedankenleben seine selbsteigene,
seine Ewigkeitsbedeutung hat, die es erhebt über die
vergänglichen, sich immer bildenden, und sich immer lösenden
stofflichen Vorgänge der Sinnenwelt. Er hat kräftige
Farben, zu zeigen, wie der Mensch, der, diese Ewigkeitsbedeutung
erfassend, in Gedanken zu leben weiß, in sich den
Strom des Urgeistes, des Allgesetzes verspürt, von dem der
keine Ahnung hat, der seine Gedanken nur als Abbilder dessen
ansieht, was sich draußen vor seinen Augen und Ohren
abspielt. «So wie die sinnliche Erscheinungswelt in allen
ihren Bildern und Empfindungen und den Trieben und Regungen,
die sich diesen verbinden, den Charakter der Lebhaftigkeit
und Endlichkeit trägt», einen derben und groben
«Grundton der Empfindung zeigt, auch dort, wo die Erscheinung
selbst in schwächerer Weise und kaum merklich
über die Schwelle des Bewußtseins tritt, — so zeigt das Bewußtsein
eines rein mathematischen Gesetzes oder einer rein
logischen Kategorie (Gedankenform) in ihrem Gegensatz zu
den sinnlichen Gegenständen, auf die sie sich beziehen, stets
einen eigentümlichen, hier noch schwer zu beschreibenden
Charakter des Ätherischen, Feinen. Dieser Charakterzug ist
derart prägnant, daß das gemeine Bewußtsein diese Erscheinungsformen
als Nicht-Seiendes, als «bloße Gedankem im Gegensatz
zu den Formen des sinnlichen Bewußtseins kennzeichnet,
welche letztere man stets geneigt ist als ein Existierendes,
Reales aufzufassen, wenn auch etwa nur im Sinne
einer schwächeren Affektion des Sinnesorganes, dem sie sich
bieten.» (E.H.Schmitt: «Die Gnosis». Verlegt von Eugen
Diederichs. Leipzig 1903. Seite 37.) - Von solchem Gesichtspunkte
aus verfolgt Schmitt das Gedankenleben der
großen Gnostiker, von den alten Ägyptern und Persern an
bis in die nachchristlichen Jahrhunderte. Der Mystiker muß
es mit Befriedigung sehen, wie hier erkannt wird, daß der
Mensch in dem Ewigen ruht, wenn er sich in seine Gedanken
versenkt, wie Schmitt in den Gedanken einen Teil des Allgeistes
erkennt. Allein, er muß zugleich sehen, wie nicht zum
wahren, echten Leben des Geistes fortgeschritten wird.
Unsere Gedanken sind dem Mystiker eine Sprache, die Ewiges
so gut auszusprechen vermag wie das Vergängliche der
Sinnenwelt. Aber wir können nicht dabei stehenbleiben, bloß
diese Eigentümlichkeit unseres Denkens fortwährend zu betonen,
wie es Schmitt tut. Er ist deshalb ein Schätzer der
Gnostiker, der ihre Gedanken vorführt; allein, diese Gedanken
haben in seiner Darstellung etwas Blasses, Schemenhaftes.
Er kann nicht nacherleben, was sich im Geiste dieser großen
Mystiker abgespielt hat, und was sie geschaut haben. Der
Mystiker öffnet sein Denken einer höheren Welt, wie der auf
die Sinnenwelt beschränkte Mensch dieses Denken den sinnlichen
Eindrücken eröffnet. Und wie uns der Gedanke der
Blume blaß und schattenhaft erscheint, wenn er uns von
jemand geschildert wird, der die Blume selbst nicht lebend
gesehen hat, so sind Schmitts Gedanken. Er ist Denker, aber
nicht Mystiker. Er nimmt die geistige Welt nicht so wahr,
wie der Sinnenmensch seine Welt wahrnimmt. Er kann den
Gedanken schätzen, aber nicht beleben. Die Verstandeskultur
unserer Zeit wirkt auch auf diesen kühnen und freien Denker
noch lähmend.|34|412f}}
 
[[Christian Morgenstern]] sah seine eigene religiöse Auffassung in Schmitts ''Gnosis'' bestätigt. Er schrieb in einem Brief vom 14. Juli 1908 an [[Wikipedia:Friedrich Kayssler|Friedrich Kayssler]], das Werk sei „die neueste (aber sicherlich nicht beste) Darstellung der gnostischen Ideen“; es biete „eine Fülle von anregenden und unerwarteten Mitteilungen und Zitaten“ – „Nur trägt eben kein Gelehrter vor, sondern ein Apostel.“ Bedeutenden Einfluss hatte Schmitt auf Anarchisten wie [[Wikipedia:Pierre Ramus|Pierre Ramus]] und [[Wikipedia:Robert Bodanzky|Robert Bodanzky]] und über seinen Mitarbeiter, den Arzt und Tolstoianer [[Wikipedia:Albert Škarvan|Albert Škarvan]], auch auf den Dichter und Mitgründer des Monte Verità [[Wikipedia:Gusto Gräser|Gusto Gräser]]. Stark von Schmitts Gedankengut beeindruckt war auch der Dirigent [[Wikipedia:Hermann Scherchen|Hermann Scherchen]], wie aus seinen Briefen hervorgeht. Er rühmte Schmitts „ungeheure Geistestat“, die dazu führe, dass der Mensch das „Bewusstsein seiner Unendlichkeit“ erlange und dann „nie mehr stumpf funktionieren“ könne.<ref>Hermann Scherchen: ''... alles hörbar machen. Briefe eines Dirigenten 1920 bis 1939'', Berlin 1976, S. 121; vgl. S. 118, 130, 160.</ref>
 
== Schriften ==
 
* ''Das Geheimnis der Hegelschen Dialektik, beleuchtet vom concret-sinnlichen Standpunkte.'' Peffer, Halle 1888.
* ''Michelet und das Geheimnis der Hegelschen Dialektik.'' Koenitzer, Frankfurt am Main 1888.
* ''Die Religion des Geistes.'' Leipzig 1892.
* ''Friedrich Nietzsche an der Grenzscheide zweier Weltalter.'' Leipzig 1898.
* ''Leo Tolstoi und seine Bedeutung für unsere Kultur.'' Diederichs, Leipzig 1901.
* ''Die Kulturbedingungen der christlichen Dogmen und unsere Zeit.'' Diederichs, Leipzig 1901.
* ''Die Gnosis. Grundlagen der Weltanschauung einer edleren Kultur.'' 2 Bände, Scientia, Aalen 1968, {{OCLC|256780938}} (Nachdruck der Ausgabe Diederichs, Leipzig 1903/1907)
* ''Der Idealstaat'' (= ''Kulturprobleme der Gegenwart'', Band 8). Räde, Berlin 1904.
* ''Kritik der Philosophie vom Standpunkt der intuitiven Erkenntnis.'' Eckardt, Leipzig 1908.
* ''Ibsen als Prophet. Grundgedanken zu einer neuen Ästhetik.'' Eckardt, Leipzig 1908.
* ''Die positiv-wissenschaftliche Weltanschauung der Zukunft angesichts der Umwälzung der modernen Physik'' (= ''Flugschriften'', Heft 1). Gemeinschaft der Gnostiker, Berlin 1909.
* ''Was ist Gnosis?'' (= ''Flugschriften'', Heft 2). Gemeinschaft der Gnostiker, Berlin 1912.
* ''Friedensidee und Geistesfortschritt. Aus dem Nachlass'' (= ''Veröffentlichungen des Schmitt-Archivs'', Heft 1). Renaissance, Berlin 1919.
* ''Gottesdienst oder Satansdienst? Ein Wort an das Gewissen der Zeit.'' Elischer, Leipzig 1920.
* ''Dante. Göttliche Komödie im Lichte der intuitiven Erkenntnis.'' Twardy, Berlin 1921 (Vortrag von 1912)
 
== Literatur ==
* György Mikonya: ''Pädagogik und Lebensreformbestrebungen bei Eugen Heinrich Schmitt und Erwin Szabó.'' In: Johanna Hopfner, András Németh (Hrsg.): ''Pädagogische und kulturelle Strömungen in der k. u. k. Monarchie. Lebensreform, Herbartianismus und reformpädagogische Bewegungen''. Peter Lang, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-631-56719-7, S. 41–58.
* Hermann Müller: ''New Age am Lago Maggiore. Zur Geistesgeschichte des Monte Verità''. Deutsches Monte Verità Archiv, Freudenstein 1999 [http://emmet.de/pdf/New%20Age%20Ganztext%202013.pdf (online)]
* {{ÖBL|10|253|254||Angela Stöckelle}}
* Rudolf Steiner: ''Lucifer – Gnosis'', [[GA 34]] (1987), ISBN 3-7274-0340-3 {{Vorträge|034}}
 
{{GA}}
 
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|116799544}}
* [http://ur.dadaweb.de/dada-p/P0001226.shtml Kurzinformation über die von Schmitt herausgegebene Zeitschrift ''Die Religion des Geistes''] in der [[Wikipedia:Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus|Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus]] (DadA)
* [http://ur.dadaweb.de/dada-p/P0001247.shtml Kurzinformation über die von Schmitt herausgegebene Zeitschrift ''Ohne Staat''] in der [[Wikipedia:Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus|Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus]] (DadA)
 
== Anmerkungen ==
<references />
 
{{Normdaten|TYP=p|GND=116799544|LCCN=nr/94/7497|VIAF=64767096}}
 
{{SORTIERUNG:Schmitt, Eugen Heinrich}}
[[Kategorie:Person des Anarchismus]]
[[Kategorie:Christlicher Anarchismus]]
[[Kategorie:Publizist]]
[[Kategorie:Philosoph (19. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Person (Österreich-Ungarn)]]
[[Kategorie:Geboren 1851]]
[[Kategorie:Gestorben 1916]]
[[Kategorie:Mann]]
 
{{Personendaten
|NAME=Schmitt, Eugen Heinrich
|ALTERNATIVNAMEN=Bulla, Eugen (Pseudonym)
|KURZBESCHREIBUNG=anarchistischer, pazifistischer und antiklerikaler Philosoph und Publizist
|GEBURTSDATUM=5. November 1851
|GEBURTSORT=[[Znaim]], Mähren
|STERBEDATUM=14. September 1916
|STERBEORT=[[Berlin]]
}}
 
{{Wikipedia}}

Aktuelle Version vom 7. Juni 2009, 08:43 Uhr