Eugen Heinrich Schmitt

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Eugen Heinrich Schmitt (* 5. November 1851 in Znaim, Österreich-Ungarn; † 14. September 1916 in Berlin) war ein pazifistischer und antiklerikaler Philosoph und Publizist.

Leben

Eugen Heinrich Schmitt wurde als Sohn eines Kapitäns der österreichisch-ungarischen Armee in Znaim geboren. Sein Vater war in Klosterneuburg stationiert. Nach dem Tod des Vaters zog die Familie nach Sombor, dem Heimatort von Schmitts Mutter, wo sie unter ärmlichen Verhältnissen lebte. 1870 legte Schmitt in Szabadka das Abitur ab. Danach trat er in die Armee ein und diente kurze Zeit als Offizier. Später war er als Kanzleischreiber für das Komitat Bács-Bodrog in Sombor tätig. Er eignete sich autodidaktisch Kenntnisse in Philosophie an und studierte das Fach dann in Budapest. 1888 wurde er promoviert. Erste Aufsätze publizierte er unter dem Pseudonym Eugen Bulla um 1880 in der Zeitschrift Die Neue Gesellschaft. Von 1890 bis 1896 war er Bibliothekar im Justizministerium in Budapest. Er wandte sich der Gnosis zu und gründete 1894 in Leipzig die Zeitschrift Die Religion des Geistes, die bis 1896 erschien und zu deren Autoren Leo Tolstoi zählte. 1896 verzichtete er aus Gewissensgründen auf die Stelle und den Pensionsanspruch. Ab 1897 war er in Budapest Herausgeber der zweisprachigen deutsch-ungarischen anarchistischen Zeitschrift Ohne Staat. Organ der idealistischen Anarchisten, eines Wochenblatts, das bis circa 1899 erschien. Außerdem setzte er sich für die ungarische agrarsozialistische Bewegung ein.[1] Weil er dadurch einen Bauernaufstand mit inspiriert hatte, musste er 1908 aus Österreich flüchten. Im Berliner Kreis der Neuen Gemeinschaft um den Anarchisten Gustav Landauer fand er eine neue Heimat. Sein restliches Leben verbrachte er als Privatgelehrter und Kämpfer für seine Ideen, zu denen neben dem Anarchismus insbesondere das Ideal der Gewaltlosigkeit zählte. Da er seine anarchistischen Ansichten offensiv vertrat, wurde er wiederholt vor Gericht gestellt. Als Angeklagter trat er provozierend auf und erregte damit Aufsehen. Die Prozesse endeten mit Freispruch.

Denken

Schmitt ging ursprünglich von Ideen Hegels und Feuerbachs aus. Später entwickelte er, an die antike Gnosis anknüpfend, eine eigene religiöse Philosophie („Neugnosis“), die er in zahlreichen Werken darlegte. Er forderte die „Reinigung und Verinnerlichung des Gottesbegriffs“, in der er eine Hauptaufgabe seiner Zeit sah. Davon erhoffte er die Schaffung der „religiösen Grundlagen einer edleren Sittlichkeit der Zukunft“. Mit radikaler Konsequenz vertrat er sein Konzept der Gewaltlosigkeit und forderte zum Ungehorsam gegenüber staatlichen und kirchlichen Machtansprüchen auf. Dabei ermutigte ihn die grundsätzliche Zustimmung von Tolstoi, mit dem er in brieflichem Gedankenaustausch stand. Mit Tolstoi verband ihn neben dem Ideal der Gewaltlosigkeit und christlichem Gedankengut auch eine besondere Wertschätzung des Bauerntums.[2]

Rezeption

Rudolf Steiner äußerte sich anerkennend über Schmitts Nietzsche-Monographie; in einer Rezension unter dem Titel Ein wirklicher Jünger Zarathustras[3] zählte er das Buch „zu den glänzendsten Morgensternen auf dem Himmel der modernen Gedankenwelt“. Steiner würdigte auch Schmitts Werk über die Gnosis, merkte aber auch kritisch an, dass Schmitt das Wesen der Gnosis zwar in Gedanken erfassen, nicht aber wirklich erleben könne.

Eugen Heinrich Schmitt, der einsame Denker in Budapest, hat vor kurzem den ersten Band seines bedeutsamen Werkes über die Gnostiker erscheinen lassen. In einer begeisternden Sprache, mit hohem Gedankenflug erhebt er sich zu den Erforschern des geistigen Lebens. Mit Einsicht wendet er sich gegen die materialistischen Zeitgedanken, die in den rein stofflichen Prozessen das Weltgeheimnis erkunden wollen, die den Geistmenschen zum Tiermenschen wissenschaftlich erniedrigen, weil sie nur das, was physisch und chemisch an dem Organismus ist, sehen können. Schmitt schildert eindringlich, wie das menschliche Gedankenleben seine selbsteigene, seine Ewigkeitsbedeutung hat, die es erhebt über die vergänglichen, sich immer bildenden, und sich immer lösenden stofflichen Vorgänge der Sinnenwelt. Er hat kräftige Farben, zu zeigen, wie der Mensch, der, diese Ewigkeitsbedeutung erfassend, in Gedanken zu leben weiß, in sich den Strom des Urgeistes, des Allgesetzes verspürt, von dem der keine Ahnung hat, der seine Gedanken nur als Abbilder dessen ansieht, was sich draußen vor seinen Augen und Ohren abspielt. «So wie die sinnliche Erscheinungswelt in allen ihren Bildern und Empfindungen und den Trieben und Regungen, die sich diesen verbinden, den Charakter der Lebhaftigkeit und Endlichkeit trägt», einen derben und groben «Grundton der Empfindung zeigt, auch dort, wo die Erscheinung selbst in schwächerer Weise und kaum merklich über die Schwelle des Bewußtseins tritt, — so zeigt das Bewußtsein eines rein mathematischen Gesetzes oder einer rein logischen Kategorie (Gedankenform) in ihrem Gegensatz zu den sinnlichen Gegenständen, auf die sie sich beziehen, stets einen eigentümlichen, hier noch schwer zu beschreibenden Charakter des Ätherischen, Feinen. Dieser Charakterzug ist derart prägnant, daß das gemeine Bewußtsein diese Erscheinungsformen als Nicht-Seiendes, als «bloße Gedankem im Gegensatz zu den Formen des sinnlichen Bewußtseins kennzeichnet, welche letztere man stets geneigt ist als ein Existierendes, Reales aufzufassen, wenn auch etwa nur im Sinne einer schwächeren Affektion des Sinnesorganes, dem sie sich bieten.» (E.H.Schmitt: «Die Gnosis». Verlegt von Eugen Diederichs. Leipzig 1903. Seite 37.) - Von solchem Gesichtspunkte aus verfolgt Schmitt das Gedankenleben der großen Gnostiker, von den alten Ägyptern und Persern an bis in die nachchristlichen Jahrhunderte. Der Mystiker muß es mit Befriedigung sehen, wie hier erkannt wird, daß der Mensch in dem Ewigen ruht, wenn er sich in seine Gedanken versenkt, wie Schmitt in den Gedanken einen Teil des Allgeistes erkennt. Allein, er muß zugleich sehen, wie nicht zum wahren, echten Leben des Geistes fortgeschritten wird. Unsere Gedanken sind dem Mystiker eine Sprache, die Ewiges so gut auszusprechen vermag wie das Vergängliche der Sinnenwelt. Aber wir können nicht dabei stehenbleiben, bloß diese Eigentümlichkeit unseres Denkens fortwährend zu betonen, wie es Schmitt tut. Er ist deshalb ein Schätzer der Gnostiker, der ihre Gedanken vorführt; allein, diese Gedanken haben in seiner Darstellung etwas Blasses, Schemenhaftes. Er kann nicht nacherleben, was sich im Geiste dieser großen Mystiker abgespielt hat, und was sie geschaut haben. Der Mystiker öffnet sein Denken einer höheren Welt, wie der auf die Sinnenwelt beschränkte Mensch dieses Denken den sinnlichen Eindrücken eröffnet. Und wie uns der Gedanke der Blume blaß und schattenhaft erscheint, wenn er uns von jemand geschildert wird, der die Blume selbst nicht lebend gesehen hat, so sind Schmitts Gedanken. Er ist Denker, aber nicht Mystiker. Er nimmt die geistige Welt nicht so wahr, wie der Sinnenmensch seine Welt wahrnimmt. Er kann den Gedanken schätzen, aber nicht beleben. Die Verstandeskultur unserer Zeit wirkt auch auf diesen kühnen und freien Denker noch lähmend.“ (Lit.:GA 34, S. 412f)

Christian Morgenstern sah seine eigene religiöse Auffassung in Schmitts Gnosis bestätigt. Er schrieb in einem Brief vom 14. Juli 1908 an Friedrich Kayssler, das Werk sei „die neueste (aber sicherlich nicht beste) Darstellung der gnostischen Ideen“; es biete „eine Fülle von anregenden und unerwarteten Mitteilungen und Zitaten“ – „Nur trägt eben kein Gelehrter vor, sondern ein Apostel.“ Bedeutenden Einfluss hatte Schmitt auf Anarchisten wie Pierre Ramus und Robert Bodanzky und über seinen Mitarbeiter, den Arzt und Tolstoianer Albert Škarvan, auch auf den Dichter und Mitgründer des Monte Verità Gusto Gräser. Stark von Schmitts Gedankengut beeindruckt war auch der Dirigent Hermann Scherchen, wie aus seinen Briefen hervorgeht. Er rühmte Schmitts „ungeheure Geistestat“, die dazu führe, dass der Mensch das „Bewusstsein seiner Unendlichkeit“ erlange und dann „nie mehr stumpf funktionieren“ könne.[4]

Schriften

  • Das Geheimnis der Hegelschen Dialektik, beleuchtet vom concret-sinnlichen Standpunkte. Peffer, Halle 1888.
  • Michelet und das Geheimnis der Hegelschen Dialektik. Koenitzer, Frankfurt am Main 1888.
  • Die Religion des Geistes. Leipzig 1892.
  • Friedrich Nietzsche an der Grenzscheide zweier Weltalter. Leipzig 1898.
  • Leo Tolstoi und seine Bedeutung für unsere Kultur. Diederichs, Leipzig 1901.
  • Die Kulturbedingungen der christlichen Dogmen und unsere Zeit. Diederichs, Leipzig 1901.
  • Die Gnosis. Grundlagen der Weltanschauung einer edleren Kultur. 2 Bände, Scientia, Aalen 1968, OCLC 256780938 (Nachdruck der Ausgabe Diederichs, Leipzig 1903/1907)
  • Der Idealstaat (= Kulturprobleme der Gegenwart, Band 8). Räde, Berlin 1904.
  • Kritik der Philosophie vom Standpunkt der intuitiven Erkenntnis. Eckardt, Leipzig 1908.
  • Ibsen als Prophet. Grundgedanken zu einer neuen Ästhetik. Eckardt, Leipzig 1908.
  • Die positiv-wissenschaftliche Weltanschauung der Zukunft angesichts der Umwälzung der modernen Physik (= Flugschriften, Heft 1). Gemeinschaft der Gnostiker, Berlin 1909.
  • Was ist Gnosis? (= Flugschriften, Heft 2). Gemeinschaft der Gnostiker, Berlin 1912.
  • Friedensidee und Geistesfortschritt. Aus dem Nachlass (= Veröffentlichungen des Schmitt-Archivs, Heft 1). Renaissance, Berlin 1919.
  • Gottesdienst oder Satansdienst? Ein Wort an das Gewissen der Zeit. Elischer, Leipzig 1920.
  • Dante. Göttliche Komödie im Lichte der intuitiven Erkenntnis. Twardy, Berlin 1921 (Vortrag von 1912)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Über Schmitts Biographie informiert zusammenfassend György Mikonya: Pädagogik und Lebensreformbestrebungen bei Eugen Heinrich Schmitt und Erwin Szabó. In: Johanna Hopfner, András Németh (Hrsg.): Pädagogische und kulturelle Strömungen in der k. u. k. Monarchie, Frankfurt am Main 2008, S. 41–58, hier: 45.
  2. György Mikonya: Pädagogik und Lebensreformbestrebungen bei Eugen Heinrich Schmitt und Erwin Szabó. In: Johanna Hopfner, András Németh (Hrsg.): Pädagogische und kulturelle Strömungen in der k. u. k. Monarchie, Frankfurt am Main 2008, S. 41–58, hier: 47–50.
  3. Rudolf Steiner: Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte, Dornach 1966, S. 476.
  4. Hermann Scherchen: ... alles hörbar machen. Briefe eines Dirigenten 1920 bis 1939, Berlin 1976, S. 121; vgl. S. 118, 130, 160.


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