Chemischer Äther und Herzdenken: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Joachim Stiller
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Michael.heinen-anders
 
Zeile 1: Zeile 1:
#REDIRECT [[Klangäther]]
Das '''Herzdenken''' ist eine Fähigkeit, über die die Menschen in alten Zeiten auf ''unbewusste'' Art verfügten. Es war mit einem sicheren [[Wahrheit]]sgefühl verbunden, das zwar noch nicht in klare, bewusste Konturen gefasst werden konnte, aber doch gewisse Einblicke in die höheren, [[Geistige Welt|geistigen Welten]] ermöglichte. Selbst [[Aristoteles]] hat noch das [[Herz]] als das Zentralorgan des [[Denken]]s angesehen. Er hat aber zugleich mit seiner [[Logik]] die sichere Basis für das [[Verstand]]esdenken gelegt, das nicht mehr im Herzen, sondern im [[Kopf]] zentriert ist. Diese Art des Denkens hat seine Blüte in unserem heutigen [[Intellekt]], der aber zunächst nur die [[sinnlich]]en Tatsachen erfassen und in ihrer logischen Ordnung durchschauen kann, und zwar mit vollem, wachen [[Ich-Bewusstsein]]. In Zukunft wird sich eine neue Art des Herzdenkens entwickeln, das mit dem vollwachen Ich-Bewusstsein vereinbar ist, und so auf ganz bewusste und besonnene Weise den Einblick in rein geistige Zusammenhänge erlaubt. Es wird sich wesentlich von unserem gegenwärtigen Verstand unterscheiden, indem es kein [[diskursiv]]es, ableitendes Denken ist, sondern die Wahrheit mit einem Blick überschaut. Dieses neue Herzdenken entfaltet sich nicht in einer Kette logisch aneinander gefügter [[Begriff]]e, sondern in innerlich erlebten [[Seele|seelischen]] Sinnbildern, die mit einem Schlag die geistigen Zusammenhänge offenbaren. Es ist zugleich ein sinnlichkeitsfreies, d.h. [[reines Denken]]:


[[Kategorie:Klangäther]]
<div style="margin-left:20px">
"Der Mensch hat ja im gewöhnlichen Leben das Gefühl, daß er mit dem Kopf denkt. Natürlich ist das nur ein bildlicher Ausdruck, man denkt mit den geistigen Organen, die dem Gehirn zugrunde liegen; aber es versteht jeder, was es heißt, mit dem Kopf denken. Ein ganz anderes Gefühl hat man gegenüber jenem Denken, das dann eintritt, wenn man ein wenig weitergekommen ist auf dem Weg der Entwickelung, den wir charakterisiert haben. Man hat wirklich das Gefühl, als ob das, was sonst im Kopf lokalisiert ist, jetzt im Herzen lokalisiert wäre. Es ist allerdings nicht das physische Herz, welches denkt, sondern jenes Organ, das sich als geistiges Organ in der Nähe des Herzens ausbildet, die sogenannte zwölfblätterige Lotosblume. Sie wird eine Art Denkorgan; und dieses Denken, das da auftritt, das unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Denken sehr stark. Beim gewöhnlichen Denken weiß jeder, daß er Überlegung anwenden muß, um zu einer Wahrheit zu kommen. Man muß gehen von Begriff zu Begriff. Man geht von einem Punkt aus, geht dann logisch weiter zu anderen Punkten, und das, wozu man kommt im Lauf der Zeit, indem man logische Erwägungen anstellt, nennt man Wahrheit, Erkenntnis. Das ist eine durch gewöhnliches Denken errungene Erkenntnis. Anders ist das, wenn man die Wahrheit erkennen will gegenüber dem, was beschrieben worden ist als reale, als wirkliche Sinnbilder. Diese wirklichen Sinnbilder hat man vor sich wie äußere Gegenstände, aber das Denken über diese Sinnbilder kann nicht mit dem gewöhnlichen Kopfdenken verwechselt werden. Denn ob etwas wahr oder falsch ist, ob man dieses oder jenes zu sagen hat über ein Ding oder eine Tatsache der höheren Welten, dazu sind nicht Überlegungen notwendig wie beim gewöhnlichen Denken, sondern das ergibt sich unmittelbar. Sobald man die Bilder vor sich hat, weiß man, was man sich selber und anderen darüber zu sagen hat. Dieses Unmittelbare, das ist das Charakteristische des Herzdenkens." {{Lit|{{G|119|218f}}}}
</div>
 
Das Herzdenken kann sich nur entwickeln, wenn wir lernen beweglich zu denken. Man darf nicht auf dem eigenen persönlichen Standpunkt beharren, sondern muss versuchen, sich mit seinem Denken in andere [[Wesenheit]]en hineinzuversetzen:
 
<div style="margin-left:20px">
"Das ist etwas, was man sich notwendig erwerben muß: aus sich herausgehen zu können, sozusagen mit den Augen eines andern, von einem anderen Standpunkte aus sehen zu können. Dann erst ergibt sich das, was wirklich zur umfassenden Wahrheit führt. Das ist so, wie wenn man einen Rosenstrauch nicht nur von einer Seite ansieht, sondern sich einmal hierhin, einmal woanders hinstellt und ihn von allen Seiten ansieht oder photographisch aufnimmt. Dadurch schult man sich, um in die Möglichkeit zu kommen, dasjenige auch wirklich zu haben, was man haben muß, sobald man in die höheren Welten hinaufkommt. In der physischen Welt kann man sich so etwas angewöhnen. In den höheren Welten wirkt es verwirrend, wenn man mit einem persönlichen Standpunkt hineinkommt. Man hat dann sofort ein Trugbild statt der Wahrheit vor sich, weil man seine eigene persönliche Meinung hineinträgt.
 
Um zum Denken des Herzens zu kommen, müssen wir die Kraft haben, aus uns herauszugehen, wirklich uns selber ganz fremd zu werden und von außen auf uns zurückzublicken. Wer im normalen Bewußtsein ist, der steht an einem bestimmten Platz und weiß, wenn er sagt: Das bin ich! -, dann meint er die Summe dessen, was er glaubt, was er vertritt. Wer aber in die höheren Welten hinaufsteigt, muß seine gewöhnliche Persönlichkeit an ihrem Platze stehenlassen können, er muß aus sich selber herausgehen können, auf sich zurückschauen und mit demselben Gefühl zu sich selber sagen können: Das bist du! - Das frühere Ich muß ganz im richtigen Sinne ein Du werden. So wie man zu einem anderen «du» sagt, so muß man zu sich selber «du» sagen können. Das darf keine Theorie sein, sondern muß ein Erlebnis werden. Daß dies durch Schulung zu erreichen ist, haben wir schon gesehen. Es gehört gar nicht so viel dazu, man muß verhältnismäßig einfache Dinge tun; dann erwirbt man sich das Recht, mit dem Herzen denken zu dürfen. Die wahren Darstellungen von den höheren Welten gehen aus solchem Herzdenken hervor. Auch wenn es äußerlich oft so aussieht, als ob sie logische Erörterungen wären, nichts ist in den Darstellungen, die wirklich aus den höheren Welten heruntergetragen werden, darin, was nicht mit dem Herzen gedacht wäre. Was da geschildert wird vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft, ist ein mit dem Herzen Erlebtes. Derjenige, der schildern muß, was er mit dem Herzen erlebt, der muß es allerdings umgießen in solche Gedankenformen, daß es für die anderen Menschen verständlich ist.
 
Das ist der Unterschied von wirklicher Geisteswissenschaft und demjenigen, was subjektiv erlebte Mystik ist. Subjektiv erlebte Mystik kann ein jeder für sich haben; die schließt sich innerhalb der Persönlichkeit ab, die läßt sich nicht einem andern mitteilen, geht einen andern im Grund genommen auch nichts an. Dasjenige aber, was echte, wahre Mystik ist, ist entstanden aus der Möglichkeit, Imaginationen zu haben, Eindrücke in den höheren Welten zu haben und diese Eindrücke klassifizieren, ordnen zu können mit dem Denken des Herzens, so wie man die Dinge der physischen Welt mit dem Verstand ordnet.
 
Damit ist allerdings das andere verknüpft, daß an den Wahrheiten, die aus den höheren Welten gegeben sind, in der Tat etwas hängt wie Herzblut, daß sie die Färbung haben von dem Denken des Herzens. Mögen sie sich abstrakt ausnehmen und noch so sehr in Gedankenformen gegossen sein, es hängt an ihnen Herzblut, denn sie sind unmittelbar aus der Seele erlebt. Von dem Momente an, wo das Denken des Herzens ausgebildet ist, weiß der Mensch, der in die imaginative Welt kommt: Das, was du vor dir hast und was aussieht wie eine Vision, ist keine Vision, sondern ist Ausdruck eines Geistig-Seelischen, das dahintersteht, ebenso wie die rote Farbe der Rose hier der äußere Ausdruck ist für die materielle Rose. Der geistig Schauende richtet das geistige Auge in die imaginative Welt, er hat den Eindruck des Blauen oder Violetten, oder er hört irgendeinen Ton, oder er hat ein Gefühl von Wärme oder Kälte -, er weiß durch sein Denken des Herzens, daß das nicht bloße Einbildung, nicht bloße Vision ist, sondern Ausdruck eines geistig-seelischen Wesens, wie das Rot der Rose der Ausdruck der materiellen Rose ist. - So lebt man sich in die Wesenheiten hinein; man muß aus sich herausgehen und sich mit den Wesenheiten selber verbinden. Daher ist alles Forschen in der geistigen Welt zu gleicher Zeit mit der Hingabe der eigenen Persönlichkeit verknüpft, in einem viel höheren Grad, als das bei den äußeren Erlebnissen der Fall ist. Man wird intensiver mitgenommen, man steckt ja in den Dingen selber drinnen. Was sie Gutes und Böses, Schönes und Häßliches, Wahres und Falsches haben, muß man in den Wesenheiten erleben. Wo andere Menschen in der physischen Welt einen Irrtum gleichgültig ansehen, muß der Geistesforscher in der imaginativen Welt den Irrtum nicht nur anschauen, er muß ihn mit Schmerz durchleben. Er muß das Häßliche, das Abscheuliche nicht nur anschauen, ob es ihm nichts tut, sondern er muß es innerlich miterleben. Durch die geschilderte Schulung, die der heutigen Menschheit besonders angemessen ist, kommt er dazu, das Gute, das Wahre, das Schöne, aber auch das Böse, das Häßliche, den Irrtum mitzuerleben, ohne davon gefangengenommen zu werden oder sich zu verlieren, denn das durch richtige Vorbereitung erworbene Denken des Herzens führt dazu, daß er durch das unmittelbare Gefühl unterscheiden kann." {{Lit|{{G|119|231ff}}}}
</div>
 
Um das, was jemand mit dem Herzdenken erlebt hat, mitteilen zu können, muss man es allerdings in die logische Verstandessprache übersetzen. Das ist sehr schwierig und immer nur bruchstückhaft möglich:
 
<div style="margin-left:20px">
"Wer aus dieser geistigen Welt heraus schildert, muß die Sprache des logischen Denkens benutzen. Wenn man dasjenige, was in der geistigen Welt erlebt wird, umgießen will in logische Gedanken, dann fühlt man etwa so, wie wenn man an einen Hügel herantritt, der eine wunderbare Konfiguration von Felsbildungen zeigt, und daraus Steine ausbrechen muß, weil man sie braucht, um Häuser für die Menschen zu bauen. So fühlt man, wenn man die Erlebnisse in der geistigen Welt umformen muß in logische Gedanken des Verstandes. So wie ein Mensch in der gewöhnlichen Welt das, was er in der Seele erlebt, in Worten aussprechen muß, wenn er es anderen Menschen mitteilen will - und wie man nicht verwechseln darf die Worte mit den Gedanken -, so muß der Geistesforscher, wenn er das mit dem Herzen Erlebte mitteilen will, es kleiden in die Sprache des logischen Denkens. Logisches Denken ist nicht die Sache selber, logisches Denken ist nur die Sprache, in der der Geistesforscher mitteilt, was er in den geistigen Welten erlebt hat. Wer sich an der logischen Gedankenform stößt und nicht fühlt, daß mehr dahinterliegt, der ist in derselben Lage wie ein Zuhörer, der nur die Worte eines Redners hört und nicht die darin eingekleideten Gedanken aufnimmt. Das kann die Schuld desjenigen sein, der spricht, wenn jemand angebliche geisteswissenschaftliche Wahrheiten in solche Gedanken kleidet, daß der Zuhörer darin keine Wahrheiten und Erkenntnisse des Herzens findet. Es braucht aber nicht so zu sein, es kann auch die Schuld dessen sein, der zuhört, wenn er nur den Schall der Worte hört und nicht in der Lage ist, zu den dahinter-liegenden Gedanken zu dringen.
Aus dieser Forschung des Herzens heraus kann nur das der Menschheit mitgeteilt werden, was in klar formulierte logische Gedanken umgegossen werden kann. Was nicht in logische Gedanken umgegossen werden kann, das ist nicht reif, der Menschheit mitgeteilt zu werden. Das ist der Probierstein, daß es in klare Worte, in klar formulierbare Gedanken umgegossen werden kann, die scharfe Konturen haben. So müssen wir uns gewöhnen, auch wenn wir die tiefsten Wahrheiten des Herzens hören, sie in Gedankenformen zu vernehmen und hinter diesen Formen auf den Inhalt zu schauen." {{Lit|{{G|119|233f}}}}
</div>
 
== Literatur ==
#Rudolf Steiner: ''Makrokosmos und Mikrokosmos'', [[GA 119]] (1988)
#Florin Lowndes: ''Das Erwecken des Herz-Denkens. Wesen und Leben des sinnlichkeitsfreien Denkens in der Darstellung Rudolf Steiners. Umriß einer Methodik'', Vlg. Freies Geistesleben, Stuttgart 1998
 
{{GA}}
 
[[Kategorie:Denken]]

Version vom 30. August 2013, 01:31 Uhr

Das Herzdenken ist eine Fähigkeit, über die die Menschen in alten Zeiten auf unbewusste Art verfügten. Es war mit einem sicheren Wahrheitsgefühl verbunden, das zwar noch nicht in klare, bewusste Konturen gefasst werden konnte, aber doch gewisse Einblicke in die höheren, geistigen Welten ermöglichte. Selbst Aristoteles hat noch das Herz als das Zentralorgan des Denkens angesehen. Er hat aber zugleich mit seiner Logik die sichere Basis für das Verstandesdenken gelegt, das nicht mehr im Herzen, sondern im Kopf zentriert ist. Diese Art des Denkens hat seine Blüte in unserem heutigen Intellekt, der aber zunächst nur die sinnlichen Tatsachen erfassen und in ihrer logischen Ordnung durchschauen kann, und zwar mit vollem, wachen Ich-Bewusstsein. In Zukunft wird sich eine neue Art des Herzdenkens entwickeln, das mit dem vollwachen Ich-Bewusstsein vereinbar ist, und so auf ganz bewusste und besonnene Weise den Einblick in rein geistige Zusammenhänge erlaubt. Es wird sich wesentlich von unserem gegenwärtigen Verstand unterscheiden, indem es kein diskursives, ableitendes Denken ist, sondern die Wahrheit mit einem Blick überschaut. Dieses neue Herzdenken entfaltet sich nicht in einer Kette logisch aneinander gefügter Begriffe, sondern in innerlich erlebten seelischen Sinnbildern, die mit einem Schlag die geistigen Zusammenhänge offenbaren. Es ist zugleich ein sinnlichkeitsfreies, d.h. reines Denken:

"Der Mensch hat ja im gewöhnlichen Leben das Gefühl, daß er mit dem Kopf denkt. Natürlich ist das nur ein bildlicher Ausdruck, man denkt mit den geistigen Organen, die dem Gehirn zugrunde liegen; aber es versteht jeder, was es heißt, mit dem Kopf denken. Ein ganz anderes Gefühl hat man gegenüber jenem Denken, das dann eintritt, wenn man ein wenig weitergekommen ist auf dem Weg der Entwickelung, den wir charakterisiert haben. Man hat wirklich das Gefühl, als ob das, was sonst im Kopf lokalisiert ist, jetzt im Herzen lokalisiert wäre. Es ist allerdings nicht das physische Herz, welches denkt, sondern jenes Organ, das sich als geistiges Organ in der Nähe des Herzens ausbildet, die sogenannte zwölfblätterige Lotosblume. Sie wird eine Art Denkorgan; und dieses Denken, das da auftritt, das unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Denken sehr stark. Beim gewöhnlichen Denken weiß jeder, daß er Überlegung anwenden muß, um zu einer Wahrheit zu kommen. Man muß gehen von Begriff zu Begriff. Man geht von einem Punkt aus, geht dann logisch weiter zu anderen Punkten, und das, wozu man kommt im Lauf der Zeit, indem man logische Erwägungen anstellt, nennt man Wahrheit, Erkenntnis. Das ist eine durch gewöhnliches Denken errungene Erkenntnis. Anders ist das, wenn man die Wahrheit erkennen will gegenüber dem, was beschrieben worden ist als reale, als wirkliche Sinnbilder. Diese wirklichen Sinnbilder hat man vor sich wie äußere Gegenstände, aber das Denken über diese Sinnbilder kann nicht mit dem gewöhnlichen Kopfdenken verwechselt werden. Denn ob etwas wahr oder falsch ist, ob man dieses oder jenes zu sagen hat über ein Ding oder eine Tatsache der höheren Welten, dazu sind nicht Überlegungen notwendig wie beim gewöhnlichen Denken, sondern das ergibt sich unmittelbar. Sobald man die Bilder vor sich hat, weiß man, was man sich selber und anderen darüber zu sagen hat. Dieses Unmittelbare, das ist das Charakteristische des Herzdenkens." (Lit.: GA 119, S. 218f)

Das Herzdenken kann sich nur entwickeln, wenn wir lernen beweglich zu denken. Man darf nicht auf dem eigenen persönlichen Standpunkt beharren, sondern muss versuchen, sich mit seinem Denken in andere Wesenheiten hineinzuversetzen:

"Das ist etwas, was man sich notwendig erwerben muß: aus sich herausgehen zu können, sozusagen mit den Augen eines andern, von einem anderen Standpunkte aus sehen zu können. Dann erst ergibt sich das, was wirklich zur umfassenden Wahrheit führt. Das ist so, wie wenn man einen Rosenstrauch nicht nur von einer Seite ansieht, sondern sich einmal hierhin, einmal woanders hinstellt und ihn von allen Seiten ansieht oder photographisch aufnimmt. Dadurch schult man sich, um in die Möglichkeit zu kommen, dasjenige auch wirklich zu haben, was man haben muß, sobald man in die höheren Welten hinaufkommt. In der physischen Welt kann man sich so etwas angewöhnen. In den höheren Welten wirkt es verwirrend, wenn man mit einem persönlichen Standpunkt hineinkommt. Man hat dann sofort ein Trugbild statt der Wahrheit vor sich, weil man seine eigene persönliche Meinung hineinträgt.

Um zum Denken des Herzens zu kommen, müssen wir die Kraft haben, aus uns herauszugehen, wirklich uns selber ganz fremd zu werden und von außen auf uns zurückzublicken. Wer im normalen Bewußtsein ist, der steht an einem bestimmten Platz und weiß, wenn er sagt: Das bin ich! -, dann meint er die Summe dessen, was er glaubt, was er vertritt. Wer aber in die höheren Welten hinaufsteigt, muß seine gewöhnliche Persönlichkeit an ihrem Platze stehenlassen können, er muß aus sich selber herausgehen können, auf sich zurückschauen und mit demselben Gefühl zu sich selber sagen können: Das bist du! - Das frühere Ich muß ganz im richtigen Sinne ein Du werden. So wie man zu einem anderen «du» sagt, so muß man zu sich selber «du» sagen können. Das darf keine Theorie sein, sondern muß ein Erlebnis werden. Daß dies durch Schulung zu erreichen ist, haben wir schon gesehen. Es gehört gar nicht so viel dazu, man muß verhältnismäßig einfache Dinge tun; dann erwirbt man sich das Recht, mit dem Herzen denken zu dürfen. Die wahren Darstellungen von den höheren Welten gehen aus solchem Herzdenken hervor. Auch wenn es äußerlich oft so aussieht, als ob sie logische Erörterungen wären, nichts ist in den Darstellungen, die wirklich aus den höheren Welten heruntergetragen werden, darin, was nicht mit dem Herzen gedacht wäre. Was da geschildert wird vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft, ist ein mit dem Herzen Erlebtes. Derjenige, der schildern muß, was er mit dem Herzen erlebt, der muß es allerdings umgießen in solche Gedankenformen, daß es für die anderen Menschen verständlich ist.

Das ist der Unterschied von wirklicher Geisteswissenschaft und demjenigen, was subjektiv erlebte Mystik ist. Subjektiv erlebte Mystik kann ein jeder für sich haben; die schließt sich innerhalb der Persönlichkeit ab, die läßt sich nicht einem andern mitteilen, geht einen andern im Grund genommen auch nichts an. Dasjenige aber, was echte, wahre Mystik ist, ist entstanden aus der Möglichkeit, Imaginationen zu haben, Eindrücke in den höheren Welten zu haben und diese Eindrücke klassifizieren, ordnen zu können mit dem Denken des Herzens, so wie man die Dinge der physischen Welt mit dem Verstand ordnet.

Damit ist allerdings das andere verknüpft, daß an den Wahrheiten, die aus den höheren Welten gegeben sind, in der Tat etwas hängt wie Herzblut, daß sie die Färbung haben von dem Denken des Herzens. Mögen sie sich abstrakt ausnehmen und noch so sehr in Gedankenformen gegossen sein, es hängt an ihnen Herzblut, denn sie sind unmittelbar aus der Seele erlebt. Von dem Momente an, wo das Denken des Herzens ausgebildet ist, weiß der Mensch, der in die imaginative Welt kommt: Das, was du vor dir hast und was aussieht wie eine Vision, ist keine Vision, sondern ist Ausdruck eines Geistig-Seelischen, das dahintersteht, ebenso wie die rote Farbe der Rose hier der äußere Ausdruck ist für die materielle Rose. Der geistig Schauende richtet das geistige Auge in die imaginative Welt, er hat den Eindruck des Blauen oder Violetten, oder er hört irgendeinen Ton, oder er hat ein Gefühl von Wärme oder Kälte -, er weiß durch sein Denken des Herzens, daß das nicht bloße Einbildung, nicht bloße Vision ist, sondern Ausdruck eines geistig-seelischen Wesens, wie das Rot der Rose der Ausdruck der materiellen Rose ist. - So lebt man sich in die Wesenheiten hinein; man muß aus sich herausgehen und sich mit den Wesenheiten selber verbinden. Daher ist alles Forschen in der geistigen Welt zu gleicher Zeit mit der Hingabe der eigenen Persönlichkeit verknüpft, in einem viel höheren Grad, als das bei den äußeren Erlebnissen der Fall ist. Man wird intensiver mitgenommen, man steckt ja in den Dingen selber drinnen. Was sie Gutes und Böses, Schönes und Häßliches, Wahres und Falsches haben, muß man in den Wesenheiten erleben. Wo andere Menschen in der physischen Welt einen Irrtum gleichgültig ansehen, muß der Geistesforscher in der imaginativen Welt den Irrtum nicht nur anschauen, er muß ihn mit Schmerz durchleben. Er muß das Häßliche, das Abscheuliche nicht nur anschauen, ob es ihm nichts tut, sondern er muß es innerlich miterleben. Durch die geschilderte Schulung, die der heutigen Menschheit besonders angemessen ist, kommt er dazu, das Gute, das Wahre, das Schöne, aber auch das Böse, das Häßliche, den Irrtum mitzuerleben, ohne davon gefangengenommen zu werden oder sich zu verlieren, denn das durch richtige Vorbereitung erworbene Denken des Herzens führt dazu, daß er durch das unmittelbare Gefühl unterscheiden kann." (Lit.: GA 119, S. 231ff)

Um das, was jemand mit dem Herzdenken erlebt hat, mitteilen zu können, muss man es allerdings in die logische Verstandessprache übersetzen. Das ist sehr schwierig und immer nur bruchstückhaft möglich:

"Wer aus dieser geistigen Welt heraus schildert, muß die Sprache des logischen Denkens benutzen. Wenn man dasjenige, was in der geistigen Welt erlebt wird, umgießen will in logische Gedanken, dann fühlt man etwa so, wie wenn man an einen Hügel herantritt, der eine wunderbare Konfiguration von Felsbildungen zeigt, und daraus Steine ausbrechen muß, weil man sie braucht, um Häuser für die Menschen zu bauen. So fühlt man, wenn man die Erlebnisse in der geistigen Welt umformen muß in logische Gedanken des Verstandes. So wie ein Mensch in der gewöhnlichen Welt das, was er in der Seele erlebt, in Worten aussprechen muß, wenn er es anderen Menschen mitteilen will - und wie man nicht verwechseln darf die Worte mit den Gedanken -, so muß der Geistesforscher, wenn er das mit dem Herzen Erlebte mitteilen will, es kleiden in die Sprache des logischen Denkens. Logisches Denken ist nicht die Sache selber, logisches Denken ist nur die Sprache, in der der Geistesforscher mitteilt, was er in den geistigen Welten erlebt hat. Wer sich an der logischen Gedankenform stößt und nicht fühlt, daß mehr dahinterliegt, der ist in derselben Lage wie ein Zuhörer, der nur die Worte eines Redners hört und nicht die darin eingekleideten Gedanken aufnimmt. Das kann die Schuld desjenigen sein, der spricht, wenn jemand angebliche geisteswissenschaftliche Wahrheiten in solche Gedanken kleidet, daß der Zuhörer darin keine Wahrheiten und Erkenntnisse des Herzens findet. Es braucht aber nicht so zu sein, es kann auch die Schuld dessen sein, der zuhört, wenn er nur den Schall der Worte hört und nicht in der Lage ist, zu den dahinter-liegenden Gedanken zu dringen. Aus dieser Forschung des Herzens heraus kann nur das der Menschheit mitgeteilt werden, was in klar formulierte logische Gedanken umgegossen werden kann. Was nicht in logische Gedanken umgegossen werden kann, das ist nicht reif, der Menschheit mitgeteilt zu werden. Das ist der Probierstein, daß es in klare Worte, in klar formulierbare Gedanken umgegossen werden kann, die scharfe Konturen haben. So müssen wir uns gewöhnen, auch wenn wir die tiefsten Wahrheiten des Herzens hören, sie in Gedankenformen zu vernehmen und hinter diesen Formen auf den Inhalt zu schauen." (Lit.: GA 119, S. 233f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Makrokosmos und Mikrokosmos, GA 119 (1988)
  2. Florin Lowndes: Das Erwecken des Herz-Denkens. Wesen und Leben des sinnlichkeitsfreien Denkens in der Darstellung Rudolf Steiners. Umriß einer Methodik, Vlg. Freies Geistesleben, Stuttgart 1998
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.