Hermann Lotze und Reflexbogen: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Humboldt-Universitätsbibliothek-Lotze.jpg|mini|Rudolf Hermann Lotze]]
[[Datei:Medulla spinalis - Querschnitt - German and Latin.svg|mini|500px|Querschnitt des Rückenmarks mit der einfachen [[Synapse|monosynaptischen]] Verschaltung einer [[afferent]]en und einer [[efferent]]en [[Nervenfaser]].]]
'''Rudolf Hermann Lotze''' (* [[Wikipedia:21. Mai|21. Mai]] [[Wikipedia:1817|1817]] in [[Wikipedia:Bautzen|Budissin]]; † [[Wikipedia:1. Juli|1. Juli]] [[Wikipedia:1881|1881]] in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]]) war ein deutscher [[Medizin]]er und [[Philosoph]], eine der zentralen Persönlichkeiten der akademischen Philosophie des 19. Jahrhunderts und gehörte bis in die 1920er Jahre zu den bekanntesten und meist diskutierten Philosophen Deutschlands, der auch weltweit hohes Ansehen genoss.  
[[Datei:Einfacher Regelkreis n.svg|mini|500px|Blockschaltbild eines einfachen [[Regelkreis|Standardregelkreises]], bestehend aus der '''Regelstrecke''', dem '''Regler''' und einer [[Negative Rückkopplung|negativen Rückkopplung]] der '''Regelgröße''' ''y'' (auch ''Istwert''). Die Regelgröße ''y'' wird mit der '''Führungsgröße''' (''Sollwert'') ''w'' verglichen. Die '''Regeldifferenz''' ''e'' = ''w'' – ''y'' wird dem Regler zugeführt, der daraus entsprechend der gewünschten Dynamik des Regelkreises eine '''Stellgröße''' ''u'' bildet. Die '''Störgröße''' ''d'' wirkt meistens auf den Ausgang der Regelstrecke, sie kann aber auch auf verschiedene Teile der Regelstrecke Einfluss nehmen.]]


== Leben ==
Der '''Reflexbogen''' ist ein grundlegendes funktionales Element des gesamten [[Nervensystem]]s und beruht auf der Verkopplung [[afferent]]er und [[efferent]]er [[Neuron]]en mittels entsprechender [[Synapse]]n. Diese funktionale Verschaltung der miteinander verkoppelten Neuronen wird auch als '''neuronaler Erregungskreis''' oder '''neuronaler Schaltkreis''' bezeichnet.


Lotze wurde als drittes Kind eines Militärarztes in [[Wikipedia:Bautzen|Bautzen]] geboren. Er besuchte das Gymnasium in [[Wikipedia:Zittau|Zittau]], wo er später auch ein Jahr lang als praktischer Arzt tätig war. Er studierte in [[Wikipedia:Leipzig|Leipzig]], promovierte dort in [[Philosophie]] und habilitierte sich 1839 in [[Medizin]] und 1840 in Philosophie. 1843 wurde er zum außerordentlichen Professor der Philosophie ernannt und 1844 wurde er als Professor und Nachfolger von [[Johann Friedrich Herbart]] nach [[Wikipedia:Göttingen|Göttingen]] berufen.<ref>Volker Zimmermann: ''Lotze, Rudolph Hermann.'' In: [[Wikipedia:Werner E. Gerabek|Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Wikipedia:Gundolf Keil|Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 866 f.; hier: S. 866.</ref> In diese Zeit fallen seine bedeutendsten Arbeiten. 1864 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der [[Wikipedia:Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften|Preußischen Akademie der Wissenschaften]] gewählt. Seit 1876 war er auswärtiges Mitglied der [[Wikipedia:Bayerische Akademie der Wissenschaften|Bayerischen Akademie der Wissenschaften]]. Teile seines Alterswerkes, vor allem sein System der Philosophie, verbinden sich mit [[Wikipedia:Berlin|Berlin]], wohin er 1880 berufen wurde, wo er aber auch kurze Zeit später (1881) starb.  
Im einfachsten Fall handelt es dabei um einen ''monosynaptischen Reflexbogen'' wie er im [[Rückenmark]] anzutreffen ist und die funktionelle Basis einfacher [[Reflex]]e bildet. Hier sind die beiden Nervenfasern über eine einzige Synapse im Vorderhorn des Rückenmarks miteinander verbunden. Weil hier die beiden Nervenfasern unmittelbar im gleichen Organ liegen, werden diese einfachen Reflexe auch '''Eigenreflexe''' genannt.  


Zu seinen bekanntesten Studenten gehörte der amerikanische Philosoph [[Wikipedia:Josiah Royce|Josiah Royce]] (1855-1916). Ein anderer Schüler von Lotze, der spätere Göttinger Philosophieprofessor [[Julius Baumann]] (1837-1916)<ref>http://kalliope-verbund.info/de/eac?eac.id=116088524</ref>, den [[Rudolf Steiner]] erwähnt, vertrat auf naturwissenschaftlicher Grundlage den [[Reinkarnation]]sgedanken:
Bei ''polysynaptische Reflexbögen'' sind oft eine ganze Reihe von Neuronen auf wesentlich komplexere Weise miteinander verschaltet, wobei die afferenten und efferenten Fasern räumlich oft weit auseinander liegen können, weshalb man hier von '''Fremdreflexen''' spricht.


{{GZ|So lesen wir in der Schrift des Göttinger Philosophieprofessors
In den [[Neurowissenschaften]] wird die Funktion des Reflexbogens in [[Analogie]] zu einem technischen [[Regelkreis]] gedacht, womit aber eine Wirkung des [[Geist]]es und der [[Seele]] des [[Mensch]]en nicht mehr denkmöglich erscheint.  
Julius Baumann über «Neuchristentum und
reale Religion» unter den neununddreißig Sätzen eines «Entwurfes
eines kurzen Inbegriffs realwissenschaftlicher Religion»
auch den folgenden (zweiundzwanzigsten): «... Wie
... in der unorganischen Natur die physikalisch-chemischen
Elemente und Kräfte nicht vergehen, sondern nur ihre Kombinationen
ändern, so ist dies nach realwissenschaftlicher Methode
auch anzunehmen von den organischen und den organisch-geistigen Kräften. ''Die Menschenseele als formale Einheit,
als verknüpfendes Ich kehrt wieder in neuen Menschenleibern und kann
so alle Stufen menschheitlicher Entwickelung durchleben.''»|34|85f}}


== Werk ==
[[Rudolf Steiner]] hat daher ein völlig anderes Bild gezeichnet, ohne deswegen in den von den Neurowissenschaftler zurecht mehrheitlich abgelehnten cartesianischen [[Dualismus]] zu verfallen. [[René Descartes|Descartes]] „[[res cogitans]]“ ist nicht das wirkliche [[Ich]] des Menschen, sondern nur dessen flüchtiges, am [[Gehirn]] reflektiertes [[mental]]es Spiegelbild, dem keine eigenständige [[Realität]] zukommt und daher auch nicht in den [[Organismus]] eingreifen kann - weder über die [[Epiphyse]], wie Descartes meinte, noch sonst wie.


Lotze, der sich ganz besonders von [[Gottfried Wilhelm Leibniz]] und dessen [[Monadologie]] angeregt fühlte, vereinigte in sich gleichermaßen [[naturwissenschaft]]liche als auch [[Philosophie|philosophische]] Kompetenz. Durch eine Synthese von [[Theismus]] und [[Pantheismus]], [[Dualismus]] ([[Pluralismus]]) und [[Monismus]], [[Mechanismus]] und [[Teleologie]], wollte er den dogmatischen [[Naturalismus]] überwinden<ref name="Eisler" />, ohne dabei die strenge wissenschaftliche Gesinnung aufzugeben.
Rudolf Steiners aus geistiger Erfahrung geschöpfte Darstellung steht gleichermaßen im Widerspruch zu Descartes als auch zur zeitgenössischen Neurowissenschaft. Steiner war sich dieses Widerspruchs ganz bewusst. Unermüdlich hat er darauf hingewiesen, dass die bis heute unverrückbar Unterscheidung [[Motorische Nerven|motorischer]] und [[Sensorische Nerven|sensorischer Nerven]], die ihren Ursprung schon bei den allerersten Anatomen der griechischen [[Antike]] hat, völlig unsinnig ist und auch [[Anatomie|anatomisch]] nicht zu rechtfertigen sei. Die [[Muskel]]bewegungen würden keinesfalls durch sog. „motorische“ [[Nerven]] ausgelöst oder gar gesteuert, sondern vielmehr dadurch, dass das [[Wirkliches Ich|wirkliche Ich]] und der [[Astralleib]] im [[Wille]]nsakt ''von außen'' - d.h. aus der geistigen Außenwelt - ''unmittelbar'' in den [[Stoffwechsel]] eingreifen. Die sog. „motorischen“ Nerven dienen nur der [[Wahrnehmung]] des [[Muskelsystem]]s und der resultierenden [[Bewegung]]en. Ohne diese Wahrnehmung könne die Bewegung nicht stattfinden. Die [[Körperbewegung]] ist in diesem Sinn kein rein innerlich bewirktes Körpergeschehen, sondern ein Weltgeschehen, durch das sich unser [[Karma]] verwirklicht und an dem höchsten geistigen [[Hierarchien]] beteiligt sind.  


[[Rudolf Steiner]] schreibt über Lotze:
{{GZ|Ich will ganz absehen davon, daß ja schließlich die sensitiven von
den motorischen Nerven anatomisch fast gar nicht zu unterscheiden
sind; die einen sind höchstens etwas dicker als die anderen; aber in
bezug auf die Struktur ist wirklich ein wesentlicher Unterschied nicht
vorhanden. Was anthroposophische Forschung in dieser Beziehung
lehrt - ich kann das nur andeuten, nur Ergebnisse mitteilen, ich müßte
sonst anthroposophische Physiologie vortragen - , das ist dieses, daß die
Nerven durchaus einheitliche Organe sind, daß es ein Unding ist, von
zweierlei Nerven, von sensitiven und motorischen Nerven zu sprechen.
Da im Seelischen das Willensmäßige und Empfindungsmäßige überall
durchgebildet ist, stelle ich es jedem frei, motorisch oder sensitiv zu
sagen, aber er muß einheitlich werten, denn sie sind absolut einheitlich,
es gibt keinen Unterschied. Der Unterschied liegt nämlich nur in
der Richtung der Funktion. Wenn der sensitive Nerv nach dem Auge
hingeht, so öffnet er sich den Eindrücken des Lichtes, und es wirkt
wiederum dasjenige, was an der Peripherie des Menschen liegt, auf
einen anderen Nerv, den die heutige Physiologie als einen motorischen
Nerv anspricht. Wenn er nun vom Gehirn ausgeht nach dem übrigen
Organismus, so ist dieser Nerv dazu da, daß er dasjenige wahrnimmt,
was bei einer Bewegung vorgeht. Eine richtige Behandlung der Tabes
gibt schon auch durchaus Bestätigung dieses Resultates.
Der Nerv also, der motorischer Nerv genannt ist, der ist dazu da,
um die Bewegungsimpulse, das, was da während der Bewegung vorgeht,
wahrzunehmen, nicht um der Bewegung den Impuls zu geben.
Nerven sind überall die Vermittlungsorgane für die Wahrnehmungen,
die sensitiven Nerven für die Wahrnehmungen nach außen, die sogenannten
motorischen Nerven, die auch sensitive Nerven sind, für die
Wahrnehmungen nach innen. Es gibt nur ''einen'' Nerv. Und nur eine
materialistische Wissenschaftsgesinnung hat diese Telegraphengeschichte
als Analogon erfunden.


{{GZ|Lotze trat in seiner 1843 veröffentlichten Arbeit über
Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, ebenso
«Leben und Lebenskraft» (in R. Wagners Handwörterbuch
wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrnehmung
der Physiologie) mit Entschiedenheit gegen den Glauben
der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Vermittelung
auf, daß in den Lebewesen eine besondere Kraft, die
des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall.
Lebenskraft, vorhanden sei, und verteidigte den Gedanken,
Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt
daß die Lebenserscheinungen nur durch komplizierte
er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des
Vorgänge von der Art zu erklären sind, wie sie sich auch
Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der
in der leblosen Natur abspielen. Er stellte sich in dieser
Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermittelt
Beziehung also durchaus auf die Seite der neueren naturwissenschaftlichen
nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem
Vorstellungsart, die den alten Gegensatz
ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem
zwischen dem Leblosen und dem Lebendigen zu überbrücken
tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger
suchte. Im Sinne eines solchen Gesichtspunktes
Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und
sind seine Werke gehalten, die naturwissenschaftliche
auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr.
Dinge behandeln: seine «Allgemeine Pathologie und Therapie
Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven,
als mechanische Naturwissenschaften» (1842) und
die sind bloß dasjenige, was die Äußerungen, den Impuls des Willens
«Allgemeine Physiologie des körperlichen Lebens» (1851).|18|503}}
wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher
wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen.
Wenn Sie aber diesen Zusammenhang voll einsehen, dann werden Sie
es auch begreiflich finden, daß ich nun eben ein Paradoxon, eine Ketzerei
vor Sie hinstellen muß: denn dann wirkt das Geistig-Seelische ja
eben auf den ganzen übrigen Menschen.|303|208f}}


Als [[Physiologe]] verwarf Lotze 1843 in seiner Abhandlung ''Leben und Lebenskraft'' den (unkritischen) [[Vitalismus]]<ref name="Schischkoff419"> [[Wikipedia:Georgi Schischkoff|Georgi Schischkoff]] (Hg.): ''Philosophisches Wörterbuch'', 21. Auflage, Kröner, Stuttgart 1982, Stichwort: ''Lotze, Rudolf Hermann'', S. 419</ref>, der alle wissenschaftliche Forschung untergrabe, indem er sich auf willkürliche Eingriffe Gottes beriefe<ref>Ein Problem, das durchaus auch auf viele Varianten des modernen [[Intelligent Design]] zutrifft.</ref>.
[[Datei:Steiner Der dreigliedrige Mensch 1.jpg|mini|250px|[[Rudolf Steiner]]: ''Der dreigliedrige Mensch'', Pastell auf Transparentpapier, 12. Juni 1923]]
Laut Rudolf Steiner lässt sich das [[Seelenleben]] des [[Mensch]]en nicht auf die Tätigkeit des [[Nervensystem]]s reduzieren, vielmehr sei der ganze [[Dreigliederung des menschlichen Organismus|dreigliedrige Organismus]] des Menschen daran beteiligt. In etwas abgewandelter Form gilt das auch für die [[Tiere]]. Nur die [[Sinneswahrnehmung]] und die [[Vorstellung]]stätigkeit bedient sich unmittelbar des [[Nerven-Sinnessystem]]s. Das [[Fühlen]] wirkt unmittelbar im [[Rhythmisches System|rhythmischen System]] und das [[Wollen]] - und damit auch die [[Körperbewegung]] - gründet sich auf das [[Stoffwechsel-Gliedmaßensystem]]. Letztere werfen nur ''mittelbar'' durch das Nervensystem ihren Schatten in das [[Bewusstsein]]. [[Denken]] bzw. Vorstellen, Fühlen und Wollen haben dadurch ganz unterschiedliche Bewusstseinsgrade. Nur im Denken sind wir voll wach, im Fühlen [[Traum|träumen]] wir und die eigentliche Willenstätigkeit [[Schlaf|verschlafen]] wir praktisch völlig.


{{Zitat|Wenn die Physiologie des Lebendigen den Satz aufstellt, dass aus der Complexion einfacher Stoffe a, b, c, manchmal zwar das Resultat d folge, welches nach allgemein mechanischen Gesetzen dieser Verbindung zukommt, manchmal aber auch e, welches ohne mechanische Berechtigung von der Allmacht Gottes hinzugefügt werde, wer kann uns dann noch die Richtigkeit mechanischer Regeln auch nur innerhalb der Grenzen des unbelebten Geschehens sichern? Warum soll nicht auch am Hebel zuweilen eine mechanisch nicht zulässige Wirkung hervortreten? Mit dieser Annahme, dass aus gleichen Prämissen mehr als ein Schluss möglich ist, hört alle Naturwissenschaft in einer haltlosen Zweideutigkeit der Gesetze und Erscheinungen auf.|Hermann Lotze|''Leben. Lebenskraft''<ref>Hermann Lotze: ''Kleine Schriften'', Band 1, Verlag von S. Hirzel, Leipzig 1885, [https://archive.org/stream/kleineschriften01unse_0#page/144/mode/2up S. 145]</ref>}}
{{GZ|Das Nerven- und Sinnessystem,
wie es im Kopfe zentralisiert ist, ist im menschlichen Organismus ein
eigenes, für sich bestehendes, selbständiges Glied. Was als Lungen- und
Herzsystem, als Zirkulationssystem vorliegt, ist wiederum ein für sich
bestehendes, selbständiges Glied. Ebenso das Stoffwechselsystem. Das
Genauere können Sie in meinem Buch «Von Seelenrätseln» nachlesen.
Das ist das Charakteristische im menschlichen Organismus, daß seine
Systeme gerade dadurch ihre rechte Entfaltung und Wirksamkeit entfalten,
daß sie nicht zentralisiert sind, sondern daß sie nebeneinander bestehen
und frei zusammenwirken. Kann man heute nicht einmal in dieser
umfassenden, eindringlichen Weise den menschlichen Organismus begreifen,
so kann man mit der Wissenschaft, die noch nicht reformiert ist,
die aber in geisteswissenschaftlichem Sinne reformiert werden muß, den
sozialen Organismus erst recht nicht verstehen. Man glaubt heute, der
menschliche Organismus ist etwas Zentralisiertes, während er eine Dreigliedrigkeit
ist.|328|21}}


Steiner schreibt weiter:
Die gestaltende Grundform des [[Nervensystem]]s, insbesondere des Reflexbogens, die überhaupt auch die [[Gestalt]]ung des ganzen [[Organismus]] bestimmt (→ [[Nervensystem#Nervensystem und Gestaltbildung|Nervensystem und Gestaltbildung]]), ist die [[Lemniskate]].


{{GZ|Lotze hat eine Auslegung der Welterscheinungen, wie
{{GZ|... ich rate Ihnen,
sie den Bedürfnissen seines Gemütes entspricht, in seinem
versuchen Sie einmal - wie gesagt, hier sollen ja zunächst nur Anregungen
Werke «Mikrokosmos» (1856-1864) und in seinen Schriften
gegeben werden, und es sollte durchaus sehr emsig wissenschaftlich
«Drei Bücher der Logik» (1874) und «Drei Bücher
nach dieser Richtung gearbeitet werden -, versuchen Sie
Metaphysik» (1879) gegeben. Auch sind die Nachschriften
einmal, Untersuchungen darüber anzustellen, welche Kurve entsteht,
der Vorträge erschienen, die er über die verschiedenen Gebiete
wenn Sie die mittlere Linie der linken Rippe zeichnen, über
der Philosophie gehalten hat. Sein Verfahren stellt
den Anschluß der Rippe hinausgehen in den Rückenwirbel, da sich
sich dar als ein Verfolgen der streng natürlichen Gesetzmäßigkeit
drehen und wiederum zurückgehen (Fig. 11). Bringen Sie in Anschlag,
in der Welt, und ein nachheriges Zurechtlegen
daß der Wirbel eine wesentlich andere innere Struktur aufweist
dieser Gesetzmäßigkeit im Sinne einer idealen, harmonischen,
als die Rippen, und bringen Sie in Anschlag, daß das bedeutet,
seelenvollen Ordnung und Wirksamkeit des Weltgrundes.
daß bei diesem Beschreiben der Linie Rippe-Wirbel-Rippe, natürlich
Wir sehen ein Ding auf das andere wirken; aber
nicht nur quantitativ, sondern qualitativ, innere Wachstumsverhältnisse
das erstere könnte das zweite gar nicht zu einer Wirkung
in Betracht kommen, dann werden Sie die Morphologie dieses
vermögen, wenn nicht eine ursprüngliche Verwandtschaft
ganzen Systems verstehen durch die Lemniskate, durch die Schleifenbildung.
und Einheit zwischen den beiden bestünde. Dem zweiten
Sie werden, je mehr Sie hinaufgehen zur Kopforganisation,
Dinge müßte es gleichgültig bleiben, was das erste vollbringt,
notwendig haben, starke Modifikationen dieser Lemniskate
wenn es nicht die Fähigkeit hätte, im Sinne dessen,
vorzunehmen. Es wird ein gewisser Punkt eintreten, wo Sie genötigt
was das erste will, sein eigenes Tun einzurichten. Eine Kugel
sind, dasjenige, was ja schon vorbereitet ist in der Bildung des Brustbeines,
kann durch eine andere, von der sie gestoßen wird,
das Zusammengehen der beiden Bögen hier (Fig. 11),
nur dann zu einer Bewegung veranlaßt werden, wenn sie
gewissermaßen der anderen mit Verständnis entgegenkommt,
wenn in ihr dasselbe Verständnis von Bewegung
ist wie in der ersten. Die Bewegungsfähigkeit ist etwas,
was sowohl in der einen wie in der andern Kugel als ihr
Gemeinsames enthalten ist. Alle Dinge und Vorgänge
müssen ein solches Gemeinsames haben. Daß wir sie als
Dinge und Vorkommnisse wahrnehmen, die voneinander
getrennt sind, rührt daher, daß wir bei unserer Beobachtung
nur ihre Außenseite kennenlernen; könnten wir in
ihr Inneres sehen, so erschiene uns das, was sie nicht trennt,
sondern zu einem großen Weltganzen verbindet. Nur ein
Wesen gibt es für uns, das wir nicht bloß von außen, sondern
von innen kennen, das wir nicht nur anschauen, sondern
in das wir hineinschauen können. Das ist unsere
eigene Seele, das Ganze unserer geistigen Persönlichkeit.
Weil aber alle Dinge in ihrem Innern ein Gemeinsames
aufweisen müssen, so muß ihnen allen auch mit unserer
Seele das gemeinsam sein, was deren innersten Kern ausmacht.
Wir dürfen daher uns das Innere der Dinge ähnlich
der Beschaffenheit unserer eigenen Seele vorstellen.
Und der Weltgrund, der als das Gemeinsame aller Dinge
waltet, kann von uns nicht anders gedacht werden, denn
als eine umfassende Persönlichkeit nach dem Bilde unserer
eigenen Persönlichkeit. «Der Sehnsucht des Gemütes, das
Höchste, was ihm zu ahnen gestattet ist, als Wirklichkeit
zu fassen, kann keine andere Gestalt seines Daseins als
die der Persönlichkeit genügen oder nur in Frage kommen.
So sehr ist sie davon überzeugt, daß lebendige, sich
selbst besitzende und genießende Ichheit die unabweisliche
Vorbedingung und die einzige mögliche Heimat alles Guten
und aller Güter ist, so sehr von stiller Geringschätzung
gegen alles anscheinend leblose Dasein erfüllt, daß
wir stets die beginnende Religion in ihren mythenbildenden
Anfängen beschäftigt finden, die natürliche Wirklichkeit
zur geistigen zu verklären, nie hat sie dagegen ein
Bedürfnis empfunden, geistige Lebendigkeit auf blinde
Realität als festeren Grund zurückzudeuten.» Und seine
eigene Empfindung gegenüber den Dingen der Natur kleidet
Lotze in die Worte: «Ich kenne sie nicht, die toten
Massen, von denen ihr redet; mir ist alles Leben und Regsamkeit
und auch die Ruhe und der Tod nur dumpfer
vorübergehender Schein rastlosen inneren Webens.» Und
wenn die Naturvorgänge, wie sie in der Beobachtung erscheinen,
nur solch ein dumpfer vorübergehender Schein
sind, so kann auch ihr tiefstes Wesen nicht in dieser der
Beobachtung vorliegenden Gesetzmäßigkeit, sondern in
dem «rastlosen Weben» der sie alle beseligenden Gesamtpersönlichkeit,
in deren Zielen und Zwecken gesucht werden.
Lotze stellt sich daher vor, daß sich in allem natürlichen
Wirken ein von einer Persönlichkeit gesetzter moralischer
Zweck zum Ausdrucke bringt, dem die Welt zustrebt.
Die Naturgesetze sind der äußere Ausdruck einer
allwaltenden ethischen Gesetzmäßigkeit der Welt. Es steht
mit dieser ethischen Auslegung der Welt vollkommen im
Einklang, was Lotze über das Fortleben der menschlichen
Seele nach dem Tode vorbringt: «Kein anderer Grundsatz
steht uns außer der allgemeinen idealistischen Überzeugung
zu Gebote: fortdauern werde jedes Geschaffene, dessen
Fortdauer zu dem Sinne der Welt gehört; ...vergehen
werde alles, dessen Wirklichkeit nur in einer vorübergehenden
Phase des Weltlaufs seine berechtigte Stelle
hatte. Daß dieser Grundsatz keine weitere Anwendung in
menschlichen Händen gestatte, bedarf kaum der Erwähnung;
wir kennen sicher die Verdienste nicht, die dem
einen Wesen Anspruch auf ewiges Bestehen erwerben
können, noch die Mängel, die ihn anderen versagen.»
(Drei Bücher Metaphysik, § 245<ref>Hermann Lotze: ''Drei Bücher Metaphysik'', Verlag von S. Hirzel, Leipzig 1879, [https://archive.org/stream/systemderphilos03lotzgoog#page/n501/mode/2up § 245]</ref>.) Wo Lotze seine Betrachtungen
einmünden läßt in das Gebiet der großen philosophischen
Rätselfragen, erhalten seine Gedanken einen
unsicheren Charakter. Es ist ihnen anzumerken, daß ihr
Träger aus seinen beiden Erkenntnisquellen, der Naturwissenschaft
und der seelischen Selbstbeobachtung, keine
sichere Vorstellung gewinnen kann über das Verhältnis
des Menschen zum Weltverlauf. Die innere Kraft der
Selbstbeobachtung dringt nicht durch zu einem Gedanken,
welcher dem Ich ein Recht geben könnte, sich als eine bestimmte
Wesenheit innerhalb des Weltganzen zu erfühlen.
In seinen Vorlesungen über «Religionsphilosophie»
steht zu lesen: «Der ‚Glaube an ''Unsterblichkeit''‘ hat kein
anderes sicheres Fundament als das ‚''Religiöse Bedürfnis''‘.
Es läßt sich daher auch philosophisch über die Art der Fortdauer
nichts weiter bestimmen, als was aus einem einfachen
metaphysischen Satze fließen könnte. Nämlich: da wir
jedes Wesen nur als ''Geschöpf'' Gottes betrachten, so gibt es
durchaus kein ursprünglich gültiges ''Recht'', auf welches die
einzelne Seele, etwa als «Substanz» sich berufen könnte, um
ewige individuelle Fortdauer zu fordern. Vielmehr können
wir bloß behaupten: jedes Wesen werde ''so lange'' von Gott
''erhalten'' werden, als sein Dasein eine wertvolle Bedeutung
für das Ganze seines Weltplanes hat...» In der Unbestimmtheit
solcher Sätze drückt sich aus, welche ''Tragweite'' die
Lotzeschen Ideen in das Gebiet der großen philosophischen
Rätselfragen hinein entwickeln können.|18|505ff}}


«[[Sein]]» heißt nach Lotze „in Beziehung stehen“; ein beziehungsloses Sein scheint ihm undenkbar<ref>Hermann Lotze: ''Grundzüge der Metaphysik'', 1883, [https://archive.org/stream/grundzgedermeta01lotzgoog#page/n19/mode/2up S. 10]</ref>. Die [[Raum|räumlichen Beziehungen]], sind nur [[Erscheinung]]en der in Wahrheit unräumlichen Beziehungen der eigentlichen Elemente der [[Ding]]e, der „unräumlichen Atome“, der [[Monade]]n, die einfache ausdehnungslose immaterielle Wesen mit rein [[Qualität|qualitativen]] Eigenschaften sind.  Als einfache [[Substanz]]en mit inneren Zuständen, durch die sie die Welt spiegeln, bewirken sie erst durch ihre Verbindung die Erscheinung der [[Materie]] und [[Körper]]lichkeit. [[An sich]] wirken sie nur durch ihre ''inneren'' Zustände aufeinander und das erscheint äußerlich als gesetzmäßige räumliche [[Mechanik|mechanische]] [[Bewegung]]. Nirgends geschieht daher äußerlich etwas anders als durch Vermittlung dieses [[Mechanismus]]. Das allen Monaden Gemeinsame aber ist der göttliche Urgrund, aus und in dem sie sind, der ihre [[Wechselwirkung]] erst ermöglicht und den Bewegungen ihr [[Ziel]] gibt, das den göttlichen [[Idee]]n entspricht.
[[Datei:GA323 211.gif|center|300px|Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)]]


{{Anker|Teleologischer Idealismus}}
sich eigentlich als verwandelt zu denken, aber Sie bekommen eine
Seinen eigenen wissenschaftlichen Standpunkt bezeichnete Lotze konsequent als '''teleologischen Idealismus''', indem die [[Metaphysik]] ihren Anfang nicht in sich selbst, sondern vielmehr in der [[Ethik]] habe: „''Nur die Einsicht in das, was sein soll, wird uns auch die eröffnen in das, was ist.''“<ref name="Eisler">[[Wikipedia:Rudolf Eisler (Philosoph)|Rudolf Eisler]]: ''[http://www.zeno.org/Eisler-1912/A/Lotze,%20Rudolf%20Hermann Lotze, Rudolf Hermann]'' in ''Philosophen-Lexikon. Erste Ausgabe'', Berlin 1912, S. 425–432</ref> In diesem Sinn beschäftigte er sich auch mit dem Rätsel des [[Das Böse|Bösen]]<ref>Hermann Lotze: ''Mikrokosmos. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit'', Band 3, 9. Buch, 5. Kapitel, 2. Auflage, Verlag von S. Hirzel, Leipzig 1872, [https://archive.org/stream/mikrokosmusidee08lotzgoog#page/n589/mode/2upS. 576ff.]</ref>.
Metamorphose, eine Modifikation dieser Lemniskatenbüdung,
wenn Sie zum Haupte hinaufgehen. Und Sie bekommen, wenn Sie
gewissermaßen studieren die gesamte menschliche Figur in dem
Gegensatz von Sinnes-Nervenorganisation und Stoffwechsel-Organisation,
eine nach unten auseinandergehende und nach oben
sich schließende Lemniskate. Sie bekommen auch Lemniskaten,
nur sind die Lemniskaten eben sehr modifiziert, die eine Hälfte
durch die eine Schleife ist außerordentlich klein, wenn Sie den
Weg verfolgen, der genommen wird von Zentripetalnerven durch
das Zentrum zum Ende der Zentrifugalnerven. Sie bekommen
überall eingeschrieben, wenn Sie die Dinge sachgemäß verfolgen,
gerade in die menschliche Natur in einer gewissen Weise diese
Lemniskate.


{{GZ|Ein Denker des neunzehnten Jahrhunderts, der wahrhaftig
Und wenn Sie dann beim Tiere die tierische Organisation im
zu den bedeutendsten gehört, versuchte sich mit dem
ausgesprochen horizontalen Rückgrat nehmen, so werden Sie finden,
Übel und dem Bösen auseinanderzusetzen, und die Hauptgedanken
daß diese tierische Organisation sich von der menschlichen Organisation
seines Denkens möchte ich kurz darstellen. Er sah
dadurch unterscheidet, daß diese Lemniskaten, diese
in der Welt um sich herum Teile des Übels, Teile des menschlichen
nach unten offenen Lemniskaten oder auch etwas geschlossenen
Bösen, und er stand als ein Philosoph, bei dem insbesondere
Lemniskaten, beim Tier wesentlich weniger Modifikationen aufweisen
die Gemütseigenschaften tief ausgebildet waren,
als beim Menschen, namentlich aber auch, daß die Ebenen
vor dem Übel und dem Bösen: ''Hermann Lotze'', einer der
dieser Lemniskaten beim Tier immer parallel sind, während sie beim
bedeutendsten Denker des neunzehnten Jahrhunderts, der
Menschen schiefe Winkel miteinander einschließen.
den sehr bedeutenden «Mikrokosmos» zum Beispiel und
andere für das neunzehnte Jahrhundert bedeutsame philosophische
Werke geschrieben hat. Versuchen wir uns vor die
Seele zu rufen, wie Hermann Lotze, also einer unserer bedeutendsten
Zeitgenossen, vor dem Problem des Bösen steht.


Er sagt sich: Wegleugnen läßt sich das Böse nicht. Wie
Hier liegt ein ungeheures Arbeitsfeld, ein Arbeitsfeld, welches
hat man sich die Frage nach dem Bösen zu beantworten versucht?
uns daraufhinweist, das morphologische Element immer weiter und
Man hat zum Beispiel gesagt, daß das Übel und das
weiter auszubauen.|323|210ff}}
Böse im Leben da sein müsse; denn nur dadurch, daß sich die
Menschenseele aus dem Bösen herausarbeite, könne man sie
erziehen. Da nun Lotze nicht zu den Atheisten gehört, sondern
einen die Welt durchlebenden und durchwebenden Gott
annimmt, so sagt er: Wie muß man sich also im Sinne der
Erziehungsidee zu dem Bösen und dem Übel stellen? Man
müsse annehmen, daß Gott das Böse und das Übel gebraucht
hätte, um die Menschen herauszuarbeiten und zum freien
Gebrauch ihrer Seele zu erheben. Das konnte nur geschehen,
indem sie selbst diese innere Arbeit verrichteten, indem sie
selbst diesen inneren Zustand erlebten, der in dem Herausarbeiten
aus dem Bösen besteht, und dadurch erst, selbstbewußt
ihr wahres Wesen und ihren wahren Wert erkennen
lernten. - Lotze wendet zugleich dagegen ein: Wer eine
solche Antwort gibt, berücksichtige vor allem nicht die Tierwelt,
in welcher uns wahrhaftig nicht nur das Übel, sondern
auch das Böse im umfassenden Sinne entgegentreten. Wie
tritt uns in der Tierwelt Grausamkeit, wie tritt uns alles,
was, in das Menschenleben heraufgenommen, zu den furchtbarsten
Lastern werden kann, überall in der Tierwelt entgegen!
Wer aber vermöchte der Tierwelt gegenüber die Erziehung
ins Feld zu führen, die ja bei der Tierwelt nicht
angeführt werden kann? So weist Lotze die Idee der Erziehung
ab. Insbesondere macht er darauf aufmerksam, daß
der Allmacht seines Gottes diese Erziehungsidee widersprechen
würde; denn nur dann habe man nötig, meint Lotze,
das Bessere in einem Wesen aus dem Schlechten herauszuarbeiten,
wenn man erst das Schlechte gegeben hat. Aber das
würde der Allmacht des Gottes widersprechen: erst das
Schlechte herausarbeiten zu müssen, gleichsam zur Vorbereitung,
um dann das Gute darauf auferbauen zu können.


So wendet sich denn Lotze dahin zu sagen: Vielleicht
Rudolf Steiner wies weiters darauf hin, dass die ''Unterberechung'', welche die [[Zentripetal (Neurologie)|zentripetalen]] ([[afferent]]en) „sensorischen“ und die [[Zentrifugal (Neurologie)|zentrifugalen]] ([[efferent]]en) „motorischen“ Nerven (an der [[Synapse]]) voneinander trennt, erst ermöglicht, dass sich das Geistige und Seelische in die Tätigkeit des Leibes einschalten kann. Die Unterbrechung bildet den Übergang vom physischen zum geistigen Erleben. Ohne sie wäre der Mensch tatsächlich ein bloß gehirn- bzw. nervengesteuerter [[Automat]], wie viele [[Hirnforscher]] mittlerweile annehmen. So behauptet etwa der [[Neurophysiologe]] [[Wolf Singer]]: „''Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen''“<ref>Wolf Singer in:  Christian Geyer (Hrsg.): ''Hirnforschung und Willensfreiheit'', 2004, S. 30ff.</ref> und fordert entsprechende [[Ethik|ethische]] und [[Rechtsleben|juristische]] Konsequenzen bezüglich der [[Schuld]]fähigkeit des Menschen. Aus ganz anderen als den von Singer genannten Gründen ist es tatsächlich nicht zielführend, von einer primären [[Willensfreiheit]] auszugehen. Da wir, wie oben ausgeführt, im Willen schlafen, uns des Willens also nicht bewusst sind, hat hier die [[Freiheit]] keine Grundlage. Die Freiheit beginnt erst, wie Rudolf Steiner bereits in seiner «[[Philosophie der Freiheit]]» ausgeführt hat, im [[Reines Denken|reinen, willensdurchdrungenen Denken]], in dem Denken, Fühlen und Wollen eine bewusste, vom [[Ich]], d.h. vom wirklichen [[Geist]] des Menschen, durchkraftete Einheit bilden.  
müsse man diejenigen mehr berücksichtigen, welche da sagen:
Dasjenige, was böse, was schlecht ist, was ein Übel ist,
das ist dies nicht durch die Allmacht Gottes, nicht durch den
Willen irgend eines bewußten Wesens; sondern es ist mit
dem, was in der Welt existiert, das Übel so verbunden,
wie zum Beispiel die Tatsache, daß die drei Winkel eines
Dreieckes zusammen 180° betragen, mit einem Dreieck
verbunden ist. Wenn Gott also überhaupt eine Welt schaffen
wollte, mußte er sich richten nach dem, was ohne ihn wahr
ist, daß mit irgendeiner Welt, die er schaffen wollte, das
Böse und das Übel verbunden ist. Er mußte also, wenn er
überhaupt eine Welt schaffen wollte, das Böse und das Übel
mitscharfen. - Dagegen wendet Lotze ein: Dann aber beschränken
wir erst recht das, was man als das Wirken und
Weben eines göttlichen Wesens durch die Welt annehmen
könne. Denn wenn man die Welt betrachtet, dann muß
man sagen: Nach den allgemeinsten Gesetzen, nach dem,
wie man sich die Welterscheinungen durchdenken kann, wäre
sehr wohl eine Welt denkbar ohne das Übel und das Böse.
Wenn man die Welt betrachte, müsse man gerade sagen, gegen
eine eigentliche Freiheit verstoße das Böse; es müsse also
gerade durch die Willkür, durch die Freiheit des göttlichen
Wesens hervorgerufen werden.


Wir könnten noch anderes anführen, was Lotze und andere
{{GZ|Auf eine Vorstellung habe ich öfters hingewiesen, öffentlich nun
Denker - Lotze ist hier nur als Typus angeführt -
auch in meinem Buch «[[Von Seelenrätseln]]»: Es ist eine gangbare naturwissenschaftliche
gegenüber dem Problem und dem Rätsel des Bösen gesagt
Vorstellung heute, daß man im Nervensystem - bleiben
haben. Ich will nur auf das aufmerksam machen, wohin
wir zunächst beim Menschen, aber in ähnlicher Weise, nur in ähnlicher
Lotze zuletzt kommt, weil das nachher für uns wichtig sein
Weise ist das auch beim Tiere gültig -, daß man im Nervensystem
wird., So wendet sich Lotze gegen den deutschen Philosophen
unterscheidet zwischen sogenannten sensitiven Nerven, Sinnesnerven,
Leibniz, der ja eine «Theodizee», das heißt die Rechtfertigung
Wahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Schematisch kann das
Gottes gegenüber dem Übel, geschrieben hat und
nur so dargestellt werden, daß zum Beispiel irgendein Nerv, sagen wir
die Anschauung vertreten hat, daß diese Welt, wenn sie
ein Tastnerv, die Tastempfindung hineinträgt bis zum Zentralorgan,
auch viel Übel enthalte, doch die bestmöglichste der Welten
sagen wir bis zum Rückenmark (gelb), da mündet dasjenige, was da aus
sei. Denn wäre sie nicht die bestmöglichste, meint Leibniz,
der Peripherie des Leibes geleitet wird, in einem Horn des Rückenmarks.
so müsse entweder Gott die bestmöglichste Welt nicht gekannt
Und dann geht von einem andern Horn, Vorderhorn, der sogenannte
haben - das verstößt gegen seine Allwissenheit; oder
motorische Nerv aus, da wird wiederum weitergeleitet der
aber er müßte sie nicht haben schaffen wollen, das verstößt
Willensimpuls (siehe Zeichnung S. 12).
gegen seine Allgüte; oder er müßte sie nicht haben schaffen
können - das verstößt gegen seine Allmacht. Nun sagt Leibniz,
da man im Denken gegen diese drei Prinzipien Gottes
nicht verstoßen könne, so müsse man annehmen, daß die
Welt die bestmöglichste sei. - Dagegen wendet nun Lotze
ein: jedenfalls könne man nicht von einer Allmacht Gottes
sprechen, wenn man in der Welt, wo doch Übel sind und
Böses waltet, diese für einen Ausfluß Gottes halte. Daher
müsse man sagen, so meint Lotze, Leibniz habe die Allmacht
Gottes beschränkt und dadurch sich die Lehre von
der bestmöglichsten der Welten erkauft.


Nun meint Lotze, gebe es noch einen Ausweg. Man müsse
[[Datei:GA179 012.gif|center|400px|Zeichnung aus GA 179, S. 12]]
sagen: Im großen ganzen zeige sich überall, wenn man den
Kosmos betrachtet, Ordnung und Harmonie; nur im einzelnen
sehe man Übel und Böses. Da sagt Lotze: Was aber
kann man auf eine Anschauung geben, die eigentlich bloß
von der Anschauung der Menschen abhängt? Denn von einer
Welt, wo im großen und ganzen Ordnung und Harmonie
herrschen, die man bewundern könne, und wo im einzelnen
Übel und Böses wie schwarze Flecken sich zeigen, könne
man den Ausdruck gebrauchen: Was sagt es, wenn im großen
und ganzen Ordnung und Harmonie in einer Welt herrschen,
und im einzelnen überall Übel und Böses zu finden
ist? Da meint dann Lotze - und das ist die Spitze seiner
Ausführungen, zu der wir hintendieren wollen-, man sollte
sich doch lieber das eine sagen: Das Übel und das Böse sind
doch in der Welt; es muß weise sein, daß das Übel wie das
Vortreffliche, das Böse wie das Gute da seien; wir können
nur diese Weisheit nicht einsehen. Also sind wir gezwungen,
dem Übel und dem Bösen gegenüber eine Grenze unseres
Erkennens anzunehmen. Es müsse doch Weisheit geben, welche
nicht die menschliche Weisheit ist, meint Lotze, Weisheit,
zu der wir nur nicht kommen können, und die die Übel
rechtfertigt. Also in eine unbekannte Welt der Weisheit versetzt
Lotze das weisheitsvolle Begreifen des Übels und des
Bösen.


Ich habe ausdrücklich wenigstens diese, für viele mehr
Beim Gehirn ist das nur komplizierter dargestellt, so etwa, wie wenn
oder weniger pedantischen Auseinandersetzungen gemacht,
die Nerven eine Art Telegraphendrähte wären. Der Sinneseindruck,
weil sie uns zeigen, mit welchen Waffen man sich dem Begreifen
der Hauteindruck wird bis zum Zentralorgan geleitet, dort wird gewissermaßen
des Übels und des Bösen im philosophischen Denken
der Befehl erteilt, daß eine Bewegung ausgeführt werden
der Menschheit zu nähern versucht hat, und wie man dort
soll. Eine Fliege setzt sich irgendwo auf einen Körperteil, das macht
immer wieder und wieder zu dem Geständnis gekommen
einen Eindruck, das wird geleitet bis zum Zentralorgan; dort wird der
ist: diese Waffen erweisen sich gegenüber einem Rätsel, das
Befehl gegeben, die Hand bis zu der Stirne zu erheben und die Fliege
uns auf Schritt und Tritt im Leben begegnet, doch recht
wird weggejagt. Es ist eine, schematisch angedeutet, sehr gangbare
stumpf, ja, wie Lotze sagt, als völlig ungeeignet.|63|231}}
Vorstellung. Künftigen Zeiten wird diese Vorstellung außerordentlich
komisch erscheinen, denn sie ist ja nur komisch für denjenigen, der die
Tatsache durchschaut. Aber es ist eine Vorstellung, von der heute ein
großer Teil der fachmännischen und fachmännischesten Wissenschaft
beherrscht ist. Sie können das nächstbeste Elementarbuch, das Sie über
solche Dinge unterrichtet, aufschlagen, und Sie werden finden, man
habe zu unterscheiden zwischen Sinneswahrnehmungsnerven und motorischen
Nerven. Und man wird besonders das urkomische Bild von
den Telegraphenleitungen - wie der Eindruck bis zum Zentralorgan
geleitet und dort der Befehl gegeben wird, daß die Bewegung entstehe -
gerade in populären Werken heute noch immer sehr verbreitet finden
können.


== Schriften ==
Die Wirklichkeit ist allerdings schwieriger zu durchschauen, als die
an die primitivsten Vorstellungen erinnernden Vergleichsvorstellungen
von den Telegraphendrähten. Die Wirklichkeit kann nur durchschaut
werden, wenn sie eben mit Geisteswissenschaft durchschaut wird. Daß
ein Willensimpuls erfolgt, hat mit einem solchen Vorgange, den man in
kindischer Weise so ausdrückt, als ob da irgendwo in einem materiellen
Zentralorgan ein Befehl erteilt würde, wirklich gar nichts zu tun. Die
Nerven sind nur da, um einer einheitlichen Funktion zu dienen, sowohl
diejenigen Nerven, die man heute sensitive Nerven nennt, wie auch
diejenigen, die man motorische Nerven nennt. Und ob nun im Rückenmark
oder im Gehirn der Nervenstrang durchbrochen ist, beides weist
auf dasselbe hin; im Gehirn ist er nur in komplizierterer Weise durchbrochen.


* ''[http://books.google.de/books?id=cw4sAAAAYAAJ Metaphysik]'', Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig 1841 ([http://books.google.de/books?id=f2IpAAAAYAAJ weiterer Scan], [http://books.google.de/books?id=9TgIAAAAQAAJ dito])
Diese Durchbrechung ist nicht deshalb da, damit durch die eine
* ''[http://books.google.de/books?id=bZc_AAAAcAAJ Allgemeine Pathologie und Therapie als mechanische Naturwissenschaften]'', Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig 1842; [http://books.google.de/books?id=FJg_AAAAcAAJ 2. Auflage] 1848 ([http://books.google.de/books?id=WMgEAAAAYAAJ weiterer Scan])
Hälfte, wenn ich so sagen darf, von der Außenwelt etwas zum Zentralorgan
* ''[http://books.google.de/books?id=zBIOAAAAYAAJ Logik]'', Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig 1843 ([http://books.google.de/books?id=1b0yAAAAYAAJ weiterer Scan])
geleitet wird und dann, nachdem sie vom Zentralorgan durch
* ''[http://books.google.de/books?id=b-QFAAAAQAAJ Ueber den Begriff der Schönheit]'', Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1845 (abgedruckt aus den ''Göttinger Studien''; [http://www.archive.org/details/ueberdenbegriffd00lotz weiterer Scan])
die andere Hälfte in einen Willen umgewandelt worden ist, weitergeleitet
* ''[http://www.archive.org/details/berDenBegriffDerSchnheit Ueber Bedingungen der Kunstschönheit]'', Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1847 (abgedruckt aus den ''Göttinger Studien'')
würde. Diese Unterbrechung ist aus einem ganz andern Grunde
* ''[http://books.google.de/books?id=QH8I6_sWTbsC Allgemeine Physiologie des koerperlichen Lebens]'', Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig 1851
da. Daß unser Nervensystem so gebaut und in dieser regelmäßigen
* ''[http://books.google.de/books?id=pSMAAAAAQAAJ Medicinische Psychologie oder Physiologie der Seele]'', Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig 1852 ([http://books.google.de/books?id=vArZETeu85wC weiterer Scan]); [http://www.archive.org/details/medicinischepsyc00lotz anastatischer Neudruck] A. Dannenberg, Berlin 1896 (mit Bild Lotzes)
Weise durchbrochen ist, hat seinen Grund darin: An der Stelle, wo
* ''Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit. Versuch einer Anthropologie'', S. Hirzel, Leipzig 1856–1864 (dieses Werk machte ihn in seiner Zeit über die Fachgrenzen hinaus bekannt)
unsere Nerven durchbrochen sind, da liegt im Abbilde im Menschen -
** ''[http://books.google.de/books?id=c70IAAAAQAAJ Erster Band]'', 1856 (''Der Leib'', ''Die Seele'', ''Das Leben''; [http://books.google.de/books?id=BrQVAAAAYAAJ weiterer Scan], [http://books.google.de/books?id=dIQ3AAAAMAAJ dito]); [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee01lotzgoog 2. Auflage] 1869; [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee06lotzgoog 3. Auflage] 1876 ([http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee10lotzgoog weiterer Scan]); [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee02unkngoog 4. Auflage] 1884; [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee16lotzgoog 5. Auflage] 1896 (mit Bild Lotzes)
allerdings nur im körperlichen Abbilde einer komplizierten geistigen
** ''[http://books.google.de/books?id=mb0IAAAAQAAJ Zweiter Band]'', 1858 (''Der Mensch'', ''Der Geist'', ''Der Welt Lauf''; [http://books.google.de/books?id=3d0OAAAAIAAJ weiterer Scan], [http://books.google.de/books?id=3bMVAAAAYAAJ dito], [http://books.google.de/books?id=xIQ3AAAAMAAJ dito]); [http://books.google.de/books?id=fkMJAAAAQAAJ 2. Auflage] 1869; [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee03unkngoog 3. Auflage] 1878 ([http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee04lotzgoog weiterer Scan]); [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee05lotzgoog 4. Auflage] 1885 ([http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee16lotzgoog weiterer Scan]); [http://www.archive.org/details/mikrokosmus01lotzgoog 5. Auflage] 1905
Wirklichkeit — die Grenze zwischen physischem und geistigem Erfahren,
** ''[http://books.google.de/books?id=2b0IAAAAQAAJ Dritter Band]'', 1864 (''Die Geschichte'', ''Der Fortschritt'', ''Der Zusammenhang der Dinge''; [http://books.google.de/books?id=WoU3AAAAMAAJ weiterer Scan], [http://books.google.de/books?id=ld0OAAAAIAAJ dito]); [http://www.archive.org/details/mikrokosmus02unkngoog 2. Auflage] 1872 ([http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee02lotzgoog weiterer Scan], [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee08lotzgoog dito]); [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee14lotzgoog 3. Auflage] 1880; [http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee09lotzgoog 4. Auflage] 1888 ([http://www.archive.org/details/mikrokosmusidee15lotzgoog weiterer Scan])
physischem und geistigem Erleben. Sie ist allerdings im Menschen
* ''[http://books.google.de/books?id=WoMRAAAAYAAJ Streitschriften. Erstes Heft. In Bezug auf Prof. I. H. Fichte’s Anthropologie]'', S. Hirzel, Leipzig 1857 ([http://www.archive.org/details/StreitschriftenErstesHeft weiterer Scan])
auf eine merkwürdige Weise enthalten. Sie ist so enthalten, daß
* ''[http://books.google.de/books?id=xS9gvqLpeCcC Geschichte der Aesthetik in Deutschland]'', J. G. Cotta’sche Buchhandlung, München 1868 (Band 7 von ''Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit''; [http://books.google.de/books?id=sYwRtrpg9r8C weiterer Scan], [http://books.google.de/books?id=2xk2AAAAMAAJ dito], [http://www.archive.org/details/geschichtederaes00lotz dito])
der Mensch mit der ihm zunächstliegenden physischen Welt in eine
* ''System der Philosophie'', S. Hirzel, Leipzig 1874/1879 (ein geplanter dritter Teil kam nicht mehr zur Ausführung)
solche Beziehung tritt, daß mit dieser Beziehung der Teil des Nervenstranges,
** ''[http://www.archive.org/details/systemderphilos00lotzgoog Erster Theil. Drei Bücher der Logik]'', 1874 (''Vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen'', das erste Buch ist eine Neufassung von ''Logik'', 1843; [http://www.archive.org/details/systemderphilos02lotzgoog weiterer Scan], [http://www.archive.org/details/logikdreibcher00lotzuoft dito]); 2. Auflage 1880
der bis zu jener Unterbrechung geht, etwas zu tun hat. Aber
** ''[http://www.archive.org/details/systemderphilos03lotzgoog Zweiter Theil. Drei Bücher der Metaphysik]'', 1879 (''Ontologie, Kosmologie und Psychologie''; [http://www.archive.org/details/systemderphilos01lotzgoog weiterer Scan], [http://www.archive.org/details/metaphysikdreib00lotz dito])
der Mensch muß auch als seelisches Wesen eine Beziehung haben zu
seinem eigenen physischen Leib. Diese Beziehung, die er zu seinem
eigenen physischen Leib hat, ist durch den andern Teil vermittelt. Wenn
ich eine Hand bewege, dadurch veranlaßt, daß ein äußerer Sinneseindruck
auf mich gemacht worden ist, dann liegt der Impuls, daß diese
Hand bewegt wird, vereinigt von der Seele mit dem Sinneseindruck,
schematisch dargestellt, schon bereits hier (siehe Zeichnung, a). Und
dasjenige, was geleitet wird, wird auf den ganzen sensitiven Nerven
und den sogenannten motorischen Nerven entlang geleitet von a bis
zu b. Das ist nicht so, daß der Sinneseindruck erst bis zu c geht und dann
von da aus einen Befehl gibt, damit b dazu veranlaßt werde - nein,
wenn ein Willensimpuls stattfindet, lebt das Seelische schon befruchtet
bei a und geht durch den ganzen unterbrochenen Nervenweg durch.


=== Postum ===
Es ist keine Rede davon, daß solche kindischen Vorstellungen, als
ob die Seele da irgendwo säße zwischen den sensitiven und motorischen
Nerven und wie ein Telegraphist die Eindrücke der Außenwelt empfangen
und dann Befehle aussenden würde, es ist keine Rede davon,
daß diese kindischen Vorstellungen irgendeiner auch wie immer gearteten
Wirklichkeit entsprechen würden. Diese kindische Vorstellung,
die wir immer hören, nimmt sich recht sonderbar komisch aus neben
der Forderung, man soll ja in der Naturwissenschaft nicht anthropomorphistisch
sein! Da fordern nun die Leute, man solle ja nicht anthropomorphistisch
sein und merken nicht, wie anthropomorphistisch sie
sind, wenn sie Worte gebrauchen wie: Ein Eindruck wird empfangen,
ein Befehl wird ausgegeben und so weiter. - Sie reden darauf los, ohne
auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie alles für mythologische
Wesen - wenn sie die Worte ernst nehmen würden - hineinträumen in
den menschlichen Organismus.


* Reihe ''Dictate/Diktate aus den Vorlesungen'', S. Hirzel, Leipzig 1881–1884
Nun entsteht aber die Frage: Warum ist der Nervenstrang unterbrochen?
** Robert Lotze (Hrsg.): ''[http://www.archive.org/details/grundzgederpsyc03lotzgoog Grundzüge der Psychologie]'', 1881 (Wintersemester 1880/81; mit ''Verzeichniß der literarischen Publicationen Hermann Lotze’s''; [http://www.archive.org/details/grundzgederpsyc00lotzgoog weiterer Scan], [http://www.archive.org/details/grundzgederpsy00lotz dito]); Eduard Rehnisch (Hrsg.): [http://www.archive.org/details/grundzgederpsyc02lotzgoog 2. Auflage] 1882 ([http://www.archive.org/details/grundzgederpsyc01lotzgoog weiterer Scan])
— Er ist unterbrochen aus dem Grunde, weil wir, wenn er
** ''[http://www.archive.org/details/grundzgederpsyc02lotzgoog Grundzüge der Religionsphilosophie]'', 1882 (Wintersemester 1878/79); [http://www.archive.org/details/grundzgederreli00lotzgoog 2. Auflage] 1884 (Sommersemester 1875 und Wintersemester 1878/79; [http://www.archive.org/details/grundzgederreli01lotzgoog weiterer Scan])
nicht unterbrochen wäre, nicht eingeschaltet wären in den ganzen Vorgang.
** ''[http://www.archive.org/details/grundzgedernatu01lotzgoog Grundzüge der Naturphilosophie]'', 1882 (Wintersemester 1876/77; mit ''Lotze’s Abgangszeugniß von der Universität Leipzig''; [http://www.archive.org/details/grundzgedernatu00lotzgoog weiterer Scan])
Nur dadurch, daß gewissermaßen der Impuls an der Unterbrechungsstelle
** ''[http://www.archive.org/details/grundzgederpsyc02lotzgoog Grundzüge der praktischen Philosophie]'', 1882 (Sommersemester 1880); [http://www.archive.org/details/grundzgederprak01lotzgoog 2. Auflage] 1884 (Sommersemester 1878; [http://www.archive.org/details/grundzgederprak00lotzgoog weiterer Scan])
überspringt - der gleiche Impuls, wenn es ein Willensimpuls
** ''[http://www.archive.org/details/geschichtederde00lotzgoog Geschichte der deutschen Philosophie seit Kant]'', 1882 (Sommersemester 1879; mit ''Uebersicht über Hermann Lotze’s Lehrthätigkeit an den Universitäten Leipzig, Göttingen und Berlin 1839–1881''); [http://www.archive.org/details/geschichtederde01lotzgoog 2. Auflage] 1894 ([http://www.archive.org/details/geschichtederde02lotzgoog weiterer Scan])
ist, geht schon von a aus -, dadurch sind wir selbst drinnen in
** ''[http://www.archive.org/details/grundzgedermeta01lotzgoog Grundzüge der Metaphysik]'', 1883 (''Ontologie'', ''Kosmologie'', ''Phänomenologie''; [http://www.archive.org/details/grundzgedermeta00lotzgoog weiterer Scan])
der Welt, dadurch sind wir bei diesem Impuls dabei. Würde er einheitlich
** ''[http://www.archive.org/details/grundzgederlogi01lotzgoog Grundzüge der Logik und Encyklopädie der Philosophie]'', 1883 ([http://www.archive.org/details/grundzgederlogi03lotzgoog weiterer Scan]); [http://www.archive.org/details/grundzgederlog00lotz 2. Auflage] 1885 ([http://www.archive.org/details/grundzgederlogi00lotzgoog weiterer Scan]); [http://www.archive.org/details/grundzgederlogi02lotzgoog 3. Auflage] 1891
sein, würde hier nicht eine Unterbrechung sein, so wäre das ganze
** ''[http://www.archive.org/details/GrundzgeDersthetik Grundzüge der Aesthetik]'', 1884 (Sommersemester 1856; mit Anhang ''Zur Biographie Hermann Lotze’s'' von Eduard Rehnisch)
ein Naturvorgang, ohne daß wir dabei wären.
* David Peipers (Hrsg.): ''Kleine Schriften'', S. Hirzel, Leipzig 1885–1891
** ''[http://www.archive.org/details/kleineschriften00lotzgoog Erster Band]'', 1885 ([http://www.archive.org/details/kleineschriften00peipgoog weiterer Scan], [http://www.archive.org/details/kleineschriften01lotzgoog dito])
** ''[http://www.archive.org/details/KleineSchriften2 Zweiter Band]'', 1886 ([http://www.archive.org/details/kleineschriften01peipgoog weiterer Scan], [http://www.archive.org/details/kleineschriften02peipgoog dito])
** ''[http://www.archive.org/details/KleineSchriften3-1 Dritter Band. Erste Abtheilung]'', 1891 ([http://www.archive.org/details/kleineschriften02lotzgoog weiterer Scan])
* Reinhardt Pester, [[Wikipedia:Ernst Wolfgang Orth|Ernst Wolfgang Orth]] (Hrsg.): ''Briefe und Dokumente'', Königshausen & Neumann, Würzburg 2003, ISBN 3-8260-2562-8


==Literatur==
Stellen Sie sich denselben Vorgang, den Sie bei einer sogenannten
* {{ADB|19|288|290|Lotze: Rudolf Hermann|[[Wikipedia:Carl von Prantl|Carl von Prantl]]|ADB:Lotze, Hermann (1. Artikel)}}  
Reflexbewegung haben, vor: Eine Fliege setzt sich Ihnen irgendwo hin,
* {{ADB|52|93|97|Lotze: Rudolf Hermann|[[Wikipedia:Richard Falckenberg|Richard Falckenberg]]|ADB:Lotze, Hermann (2. Artikel)}}
der ganze Vorgang kommt Ihnen gar nicht voll zum Bewußtsein, aber
* [[Wikipedia:Rudolf Eisler (Philosoph)| Rudolf Eisler]]: ''[http://www.zeno.org/Eisler-1912/A/Lotze,%20Rudolf%20Hermann Lotze, Rudolf Hermann]'' in ''Philosophen-Lexikon. Erste Ausgabe'', Berlin 1912, S. 425–432
Sie wehren die Fliege ab. Dieser ganze Vorgang hat sein Analogen,
* {{BBKL|archiveurl=https://web.archive.org/web/20070716140809/http://www.bautz.de/bbkl/l/lotze.shtml |autor=Bernd Kettern|artikel=Lotze, Rudolf Hermann|band=5|spalten=270–277}}  
sein ganz gerechtfertigtes Analogen auf physikalischem Gebiete. Insofern
*Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
dieser Vorgang physikalische Erklärung herausfordert, muß diese
*Rudolf Steiner: ''Geisteswissenschaft als Lebensgut'', [[GA 63]] (1986), ISBN 3-7274-0630-5 {{Vorträge|063}}
Erklärung nur etwas komplizierter sein als ein anderer physikalischer
Vorgang. Nehmen Sie an, Sie haben hier einen Kautschukball, Sie
stoßen hinein, Sie deformieren den Kautschukball: das geht wieder
heraus, richtet sich wieder her. Sie stoßen nochmals hinein; er stößt
wieder heraus. Das ist der einfache physikalische Vorgang: eine Reflexbewegung.
 
[[Datei:GA179 015.gif|center|300px|Zeichnung aus GA 179, S. 15]]
 
Nur ist kein Wahrnehmungsorgan eingeschaltet, nichts
Geistiges ist eingeschaltet. Schalten Sie hier etwas Geistiges ein (innerer
Kreis) und unterbrechen Sie hier (Zentrum), dann fühlt sich die Kautschukkugel
als ein Eigenwesen. Die Kautschukkugel müßte dann allerdings,
um sowohl die Welt wie sich zu empfinden, ein Nervensystem
einschalten. Aber das Nervensystem ist immer da, um die Welt in sich
zu empfinden, niemals irgendwie da, um auf der einen Seite des Drahtes
eine Sensation zu leiten und auf der andern Seite des Drahtes einen
motorischen Impuls zu leiten.
 
Ich deute dieses an aus dem Grunde, weil dies, wenn es weiter verfolgt
wird, auf einen der zahlreichen Punkte hinführt, wo Naturwissenschaft
korrigiert werden muß, wenn sie zu Vorstellungen führen soll,
die einigermaßen der Wirklichkeit gewachsen sind. Die Vorstellungen,
die heute herrschen, sind eben weiter nichts als solche Vorstellungen,
die den Impulsen der Geister der Finsternis dienen. Im Menschen selber
ist die Grenze zwischen dem physischen Erleben und dem geistigen
Erleben.
 
Dieses Stück des Nervs, das ich rot bezeichnet habe, dient im
wesentlichen dazu, um uns hineinzustellen in die physische Welt, um
uns Empfindung zu vermitteln innerhalb der physischen Welt. Das
andere Stück des Nervs, das ich blau bezeichnet habe, dient im wesentlichen
dazu, um uns selbst uns empfinden zu lassen als Leib. Und
es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir eine Farbe außen bewußt
erleben durch den Strang a-c, oder ob wir innerlich ein Organ oder
eine Organlage oder dergleichen erleben durch den Strang d-b; das ist
im wesentlichen dasselbe. Das eine Mal erleben wir ein Physisches, das
nicht in uns zu sein scheint, das andere Mal erleben wir ein Physisches,
das in uns ist, das heißt innerhalb unserer Haut. Dadurch aber sind wir
eingeschaltet, daß wir bei einem Willensvorgang alles das erleben können,
was nicht nur außen ist, sondern auch was innerlich an uns ist.
Aber die Stärke der Wahrnehmung ist verschieden vermittelt durch
den Strang a-c und durch den Strang d-b. Dasjenige, was eintritt, ist
allerdings eine wesentliche Abschwächung der Intensität. Wenn wir
eine Vorstellung mit einem Willensimpuls zusammen formen in a, so
wird dieser Impuls von a aus weitergeleitet. Indem er von c auf d überspringt,
schwächt sich das Ganze so ab für unser Bewußtsein, für unser
bewußtes Erleben, daß wir das weitere, was wir nun in uns erleben, die
Hebung der Hand und so weiter, nur mit der geringen Intensität des
Bewußtseins erleben, die wir sonst auch im Schlafe haben. Wir sehen
das Wollen erst wiederum, wenn die Hand sich bewegt, wenn wir
wieder von einer andern Seite her eine Sensation haben.|179|11ff}}
 
== Literatur ==
 
* [[Wolfgang Schad]] (Hrsg.): ''Die menschliche Nervenorganisation und die Soziale Frage: Teil 1: Ein anthropologisch-anthroposophisches Gespräch'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1991, ISBN 978-3772504068
* Wolfgang Schad (Hrsg.): ''Die menschliche Nervenorganisation und die Soziale Frage: Teil 2: Dokumentarischer Anhang'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1992, ISBN 978-3772504075
* Wolfgang Schad (Hrsg.): ''Die Doppelnatur des Ich: Der übersinnliche Mensch und seine Nervenorganisation'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2014, ISBN 978-3772512827
* Wolfgang Schad: ''Der periphere Blick: Die Vervollständigung der Aufklärung'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2014, ISBN 978-3772514012, EBook {{ASIN|B01LZF3IZ3}}
* [[Karl Ballmer]]: ''Briefwechsel über die motorischen Nerven'', erweiterte Neuausgabe, Edition LGC 2013, ISBN 978-3-930 964-22-2
* Peter Wyssling: ''Rudolf Steiners Kampf gegen die motorischen Nerven. Das Schicksal einer Weltanschauungsentscheidung in Karl Ballmer und Gerhard Kienle.'' 3., erweiterte und verbesserte Auflage, Edition LGC 2016, ISBN 978-3-930 964-26-0
* [[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
*Johannes W. Rohen: ''Funktionelle Neuroanatomie: Lehrbuch und Atlas'', Schattauer, F.K. Verlag 2001, ISBN 978-3794521289
*Johannes W. Rohen: ''Eine funktionelle und spirituelle Anthropologie: unter Einbeziehung der Menschenkunde Rudolf Steiners'', 1. Aufl., Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2009, ISBN 978-3772520983
*Johannes W. Rohen: ''Morphologie des menschlichen Organismus'', 4. Aufl., Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2016, ISBN 978-3772519987
* Rudolf Steiner: ''Geschichtliche Notwendigkeit und Freiheit. Schicksalseinwirkungen aus der Welt der Toten'', [[GA 179]] (1993), ISBN 3-7274-1790-0 {{Vorträge|179}}
* Rudolf Steiner: ''Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. Eine Einführung in die anthroposophische Pädagogik und Didaktik.'', [[GA 303]] (1978), ISBN 3-7274-3031-1 {{Vorträge|303}}
* Rudolf Steiner: ''Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie'', [[GA 323]] (1997), ISBN 3-7274-3230-6 {{Vorträge|323}}
* Rudolf Steiner: ''Die soziale Frage'', [[GA 328]] (1977), ISBN 3-7274-3280-2 {{Vorträge|328}}


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Version vom 6. November 2018, 07:35 Uhr

Querschnitt des Rückenmarks mit der einfachen monosynaptischen Verschaltung einer afferenten und einer efferenten Nervenfaser.
Blockschaltbild eines einfachen Standardregelkreises, bestehend aus der Regelstrecke, dem Regler und einer negativen Rückkopplung der Regelgröße y (auch Istwert). Die Regelgröße y wird mit der Führungsgröße (Sollwert) w verglichen. Die Regeldifferenz e = wy wird dem Regler zugeführt, der daraus entsprechend der gewünschten Dynamik des Regelkreises eine Stellgröße u bildet. Die Störgröße d wirkt meistens auf den Ausgang der Regelstrecke, sie kann aber auch auf verschiedene Teile der Regelstrecke Einfluss nehmen.

Der Reflexbogen ist ein grundlegendes funktionales Element des gesamten Nervensystems und beruht auf der Verkopplung afferenter und efferenter Neuronen mittels entsprechender Synapsen. Diese funktionale Verschaltung der miteinander verkoppelten Neuronen wird auch als neuronaler Erregungskreis oder neuronaler Schaltkreis bezeichnet.

Im einfachsten Fall handelt es dabei um einen monosynaptischen Reflexbogen wie er im Rückenmark anzutreffen ist und die funktionelle Basis einfacher Reflexe bildet. Hier sind die beiden Nervenfasern über eine einzige Synapse im Vorderhorn des Rückenmarks miteinander verbunden. Weil hier die beiden Nervenfasern unmittelbar im gleichen Organ liegen, werden diese einfachen Reflexe auch Eigenreflexe genannt.

Bei polysynaptische Reflexbögen sind oft eine ganze Reihe von Neuronen auf wesentlich komplexere Weise miteinander verschaltet, wobei die afferenten und efferenten Fasern räumlich oft weit auseinander liegen können, weshalb man hier von Fremdreflexen spricht.

In den Neurowissenschaften wird die Funktion des Reflexbogens in Analogie zu einem technischen Regelkreis gedacht, womit aber eine Wirkung des Geistes und der Seele des Menschen nicht mehr denkmöglich erscheint.

Rudolf Steiner hat daher ein völlig anderes Bild gezeichnet, ohne deswegen in den von den Neurowissenschaftler zurecht mehrheitlich abgelehnten cartesianischen Dualismus zu verfallen. Descartesres cogitans“ ist nicht das wirkliche Ich des Menschen, sondern nur dessen flüchtiges, am Gehirn reflektiertes mentales Spiegelbild, dem keine eigenständige Realität zukommt und daher auch nicht in den Organismus eingreifen kann - weder über die Epiphyse, wie Descartes meinte, noch sonst wie.

Rudolf Steiners aus geistiger Erfahrung geschöpfte Darstellung steht gleichermaßen im Widerspruch zu Descartes als auch zur zeitgenössischen Neurowissenschaft. Steiner war sich dieses Widerspruchs ganz bewusst. Unermüdlich hat er darauf hingewiesen, dass die bis heute unverrückbar Unterscheidung motorischer und sensorischer Nerven, die ihren Ursprung schon bei den allerersten Anatomen der griechischen Antike hat, völlig unsinnig ist und auch anatomisch nicht zu rechtfertigen sei. Die Muskelbewegungen würden keinesfalls durch sog. „motorische“ Nerven ausgelöst oder gar gesteuert, sondern vielmehr dadurch, dass das wirkliche Ich und der Astralleib im Willensakt von außen - d.h. aus der geistigen Außenwelt - unmittelbar in den Stoffwechsel eingreifen. Die sog. „motorischen“ Nerven dienen nur der Wahrnehmung des Muskelsystems und der resultierenden Bewegungen. Ohne diese Wahrnehmung könne die Bewegung nicht stattfinden. Die Körperbewegung ist in diesem Sinn kein rein innerlich bewirktes Körpergeschehen, sondern ein Weltgeschehen, durch das sich unser Karma verwirklicht und an dem höchsten geistigen Hierarchien beteiligt sind.

„Ich will ganz absehen davon, daß ja schließlich die sensitiven von den motorischen Nerven anatomisch fast gar nicht zu unterscheiden sind; die einen sind höchstens etwas dicker als die anderen; aber in bezug auf die Struktur ist wirklich ein wesentlicher Unterschied nicht vorhanden. Was anthroposophische Forschung in dieser Beziehung lehrt - ich kann das nur andeuten, nur Ergebnisse mitteilen, ich müßte sonst anthroposophische Physiologie vortragen - , das ist dieses, daß die Nerven durchaus einheitliche Organe sind, daß es ein Unding ist, von zweierlei Nerven, von sensitiven und motorischen Nerven zu sprechen. Da im Seelischen das Willensmäßige und Empfindungsmäßige überall durchgebildet ist, stelle ich es jedem frei, motorisch oder sensitiv zu sagen, aber er muß einheitlich werten, denn sie sind absolut einheitlich, es gibt keinen Unterschied. Der Unterschied liegt nämlich nur in der Richtung der Funktion. Wenn der sensitive Nerv nach dem Auge hingeht, so öffnet er sich den Eindrücken des Lichtes, und es wirkt wiederum dasjenige, was an der Peripherie des Menschen liegt, auf einen anderen Nerv, den die heutige Physiologie als einen motorischen Nerv anspricht. Wenn er nun vom Gehirn ausgeht nach dem übrigen Organismus, so ist dieser Nerv dazu da, daß er dasjenige wahrnimmt, was bei einer Bewegung vorgeht. Eine richtige Behandlung der Tabes gibt schon auch durchaus Bestätigung dieses Resultates. Der Nerv also, der motorischer Nerv genannt ist, der ist dazu da, um die Bewegungsimpulse, das, was da während der Bewegung vorgeht, wahrzunehmen, nicht um der Bewegung den Impuls zu geben. Nerven sind überall die Vermittlungsorgane für die Wahrnehmungen, die sensitiven Nerven für die Wahrnehmungen nach außen, die sogenannten motorischen Nerven, die auch sensitive Nerven sind, für die Wahrnehmungen nach innen. Es gibt nur einen Nerv. Und nur eine materialistische Wissenschaftsgesinnung hat diese Telegraphengeschichte als Analogon erfunden.

Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, ebenso wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrnehmung der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Vermittelung des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall. Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermittelt nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr. Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven, die sind bloß dasjenige, was die Äußerungen, den Impuls des Willens wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen. Wenn Sie aber diesen Zusammenhang voll einsehen, dann werden Sie es auch begreiflich finden, daß ich nun eben ein Paradoxon, eine Ketzerei vor Sie hinstellen muß: denn dann wirkt das Geistig-Seelische ja eben auf den ganzen übrigen Menschen.“ (Lit.:GA 303, S. 208f)

Rudolf Steiner: Der dreigliedrige Mensch, Pastell auf Transparentpapier, 12. Juni 1923

Laut Rudolf Steiner lässt sich das Seelenleben des Menschen nicht auf die Tätigkeit des Nervensystems reduzieren, vielmehr sei der ganze dreigliedrige Organismus des Menschen daran beteiligt. In etwas abgewandelter Form gilt das auch für die Tiere. Nur die Sinneswahrnehmung und die Vorstellungstätigkeit bedient sich unmittelbar des Nerven-Sinnessystems. Das Fühlen wirkt unmittelbar im rhythmischen System und das Wollen - und damit auch die Körperbewegung - gründet sich auf das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Letztere werfen nur mittelbar durch das Nervensystem ihren Schatten in das Bewusstsein. Denken bzw. Vorstellen, Fühlen und Wollen haben dadurch ganz unterschiedliche Bewusstseinsgrade. Nur im Denken sind wir voll wach, im Fühlen träumen wir und die eigentliche Willenstätigkeit verschlafen wir praktisch völlig.

„Das Nerven- und Sinnessystem, wie es im Kopfe zentralisiert ist, ist im menschlichen Organismus ein eigenes, für sich bestehendes, selbständiges Glied. Was als Lungen- und Herzsystem, als Zirkulationssystem vorliegt, ist wiederum ein für sich bestehendes, selbständiges Glied. Ebenso das Stoffwechselsystem. Das Genauere können Sie in meinem Buch «Von Seelenrätseln» nachlesen. Das ist das Charakteristische im menschlichen Organismus, daß seine Systeme gerade dadurch ihre rechte Entfaltung und Wirksamkeit entfalten, daß sie nicht zentralisiert sind, sondern daß sie nebeneinander bestehen und frei zusammenwirken. Kann man heute nicht einmal in dieser umfassenden, eindringlichen Weise den menschlichen Organismus begreifen, so kann man mit der Wissenschaft, die noch nicht reformiert ist, die aber in geisteswissenschaftlichem Sinne reformiert werden muß, den sozialen Organismus erst recht nicht verstehen. Man glaubt heute, der menschliche Organismus ist etwas Zentralisiertes, während er eine Dreigliedrigkeit ist.“ (Lit.:GA 328, S. 21)

Die gestaltende Grundform des Nervensystems, insbesondere des Reflexbogens, die überhaupt auch die Gestaltung des ganzen Organismus bestimmt (→ Nervensystem und Gestaltbildung), ist die Lemniskate.

„... ich rate Ihnen, versuchen Sie einmal - wie gesagt, hier sollen ja zunächst nur Anregungen gegeben werden, und es sollte durchaus sehr emsig wissenschaftlich nach dieser Richtung gearbeitet werden -, versuchen Sie einmal, Untersuchungen darüber anzustellen, welche Kurve entsteht, wenn Sie die mittlere Linie der linken Rippe zeichnen, über den Anschluß der Rippe hinausgehen in den Rückenwirbel, da sich drehen und wiederum zurückgehen (Fig. 11). Bringen Sie in Anschlag, daß der Wirbel eine wesentlich andere innere Struktur aufweist als die Rippen, und bringen Sie in Anschlag, daß das bedeutet, daß bei diesem Beschreiben der Linie Rippe-Wirbel-Rippe, natürlich nicht nur quantitativ, sondern qualitativ, innere Wachstumsverhältnisse in Betracht kommen, dann werden Sie die Morphologie dieses ganzen Systems verstehen durch die Lemniskate, durch die Schleifenbildung. Sie werden, je mehr Sie hinaufgehen zur Kopforganisation, notwendig haben, starke Modifikationen dieser Lemniskate vorzunehmen. Es wird ein gewisser Punkt eintreten, wo Sie genötigt sind, dasjenige, was ja schon vorbereitet ist in der Bildung des Brustbeines, das Zusammengehen der beiden Bögen hier (Fig. 11),

Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)
Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)

sich eigentlich als verwandelt zu denken, aber Sie bekommen eine Metamorphose, eine Modifikation dieser Lemniskatenbüdung, wenn Sie zum Haupte hinaufgehen. Und Sie bekommen, wenn Sie gewissermaßen studieren die gesamte menschliche Figur in dem Gegensatz von Sinnes-Nervenorganisation und Stoffwechsel-Organisation, eine nach unten auseinandergehende und nach oben sich schließende Lemniskate. Sie bekommen auch Lemniskaten, nur sind die Lemniskaten eben sehr modifiziert, die eine Hälfte durch die eine Schleife ist außerordentlich klein, wenn Sie den Weg verfolgen, der genommen wird von Zentripetalnerven durch das Zentrum zum Ende der Zentrifugalnerven. Sie bekommen überall eingeschrieben, wenn Sie die Dinge sachgemäß verfolgen, gerade in die menschliche Natur in einer gewissen Weise diese Lemniskate.

Und wenn Sie dann beim Tiere die tierische Organisation im ausgesprochen horizontalen Rückgrat nehmen, so werden Sie finden, daß diese tierische Organisation sich von der menschlichen Organisation dadurch unterscheidet, daß diese Lemniskaten, diese nach unten offenen Lemniskaten oder auch etwas geschlossenen Lemniskaten, beim Tier wesentlich weniger Modifikationen aufweisen als beim Menschen, namentlich aber auch, daß die Ebenen dieser Lemniskaten beim Tier immer parallel sind, während sie beim Menschen schiefe Winkel miteinander einschließen.

Hier liegt ein ungeheures Arbeitsfeld, ein Arbeitsfeld, welches uns daraufhinweist, das morphologische Element immer weiter und weiter auszubauen.“ (Lit.:GA 323, S. 210ff)

Rudolf Steiner wies weiters darauf hin, dass die Unterberechung, welche die zentripetalen (afferenten) „sensorischen“ und die zentrifugalen (efferenten) „motorischen“ Nerven (an der Synapse) voneinander trennt, erst ermöglicht, dass sich das Geistige und Seelische in die Tätigkeit des Leibes einschalten kann. Die Unterbrechung bildet den Übergang vom physischen zum geistigen Erleben. Ohne sie wäre der Mensch tatsächlich ein bloß gehirn- bzw. nervengesteuerter Automat, wie viele Hirnforscher mittlerweile annehmen. So behauptet etwa der Neurophysiologe Wolf Singer: „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen[1] und fordert entsprechende ethische und juristische Konsequenzen bezüglich der Schuldfähigkeit des Menschen. Aus ganz anderen als den von Singer genannten Gründen ist es tatsächlich nicht zielführend, von einer primären Willensfreiheit auszugehen. Da wir, wie oben ausgeführt, im Willen schlafen, uns des Willens also nicht bewusst sind, hat hier die Freiheit keine Grundlage. Die Freiheit beginnt erst, wie Rudolf Steiner bereits in seiner «Philosophie der Freiheit» ausgeführt hat, im reinen, willensdurchdrungenen Denken, in dem Denken, Fühlen und Wollen eine bewusste, vom Ich, d.h. vom wirklichen Geist des Menschen, durchkraftete Einheit bilden.

„Auf eine Vorstellung habe ich öfters hingewiesen, öffentlich nun auch in meinem Buch «Von Seelenrätseln»: Es ist eine gangbare naturwissenschaftliche Vorstellung heute, daß man im Nervensystem - bleiben wir zunächst beim Menschen, aber in ähnlicher Weise, nur in ähnlicher Weise ist das auch beim Tiere gültig -, daß man im Nervensystem unterscheidet zwischen sogenannten sensitiven Nerven, Sinnesnerven, Wahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Schematisch kann das nur so dargestellt werden, daß zum Beispiel irgendein Nerv, sagen wir ein Tastnerv, die Tastempfindung hineinträgt bis zum Zentralorgan, sagen wir bis zum Rückenmark (gelb), da mündet dasjenige, was da aus der Peripherie des Leibes geleitet wird, in einem Horn des Rückenmarks. Und dann geht von einem andern Horn, Vorderhorn, der sogenannte motorische Nerv aus, da wird wiederum weitergeleitet der Willensimpuls (siehe Zeichnung S. 12).

Zeichnung aus GA 179, S. 12
Zeichnung aus GA 179, S. 12

Beim Gehirn ist das nur komplizierter dargestellt, so etwa, wie wenn die Nerven eine Art Telegraphendrähte wären. Der Sinneseindruck, der Hauteindruck wird bis zum Zentralorgan geleitet, dort wird gewissermaßen der Befehl erteilt, daß eine Bewegung ausgeführt werden soll. Eine Fliege setzt sich irgendwo auf einen Körperteil, das macht einen Eindruck, das wird geleitet bis zum Zentralorgan; dort wird der Befehl gegeben, die Hand bis zu der Stirne zu erheben und die Fliege wird weggejagt. Es ist eine, schematisch angedeutet, sehr gangbare Vorstellung. Künftigen Zeiten wird diese Vorstellung außerordentlich komisch erscheinen, denn sie ist ja nur komisch für denjenigen, der die Tatsache durchschaut. Aber es ist eine Vorstellung, von der heute ein großer Teil der fachmännischen und fachmännischesten Wissenschaft beherrscht ist. Sie können das nächstbeste Elementarbuch, das Sie über solche Dinge unterrichtet, aufschlagen, und Sie werden finden, man habe zu unterscheiden zwischen Sinneswahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Und man wird besonders das urkomische Bild von den Telegraphenleitungen - wie der Eindruck bis zum Zentralorgan geleitet und dort der Befehl gegeben wird, daß die Bewegung entstehe - gerade in populären Werken heute noch immer sehr verbreitet finden können.

Die Wirklichkeit ist allerdings schwieriger zu durchschauen, als die an die primitivsten Vorstellungen erinnernden Vergleichsvorstellungen von den Telegraphendrähten. Die Wirklichkeit kann nur durchschaut werden, wenn sie eben mit Geisteswissenschaft durchschaut wird. Daß ein Willensimpuls erfolgt, hat mit einem solchen Vorgange, den man in kindischer Weise so ausdrückt, als ob da irgendwo in einem materiellen Zentralorgan ein Befehl erteilt würde, wirklich gar nichts zu tun. Die Nerven sind nur da, um einer einheitlichen Funktion zu dienen, sowohl diejenigen Nerven, die man heute sensitive Nerven nennt, wie auch diejenigen, die man motorische Nerven nennt. Und ob nun im Rückenmark oder im Gehirn der Nervenstrang durchbrochen ist, beides weist auf dasselbe hin; im Gehirn ist er nur in komplizierterer Weise durchbrochen.

Diese Durchbrechung ist nicht deshalb da, damit durch die eine Hälfte, wenn ich so sagen darf, von der Außenwelt etwas zum Zentralorgan geleitet wird und dann, nachdem sie vom Zentralorgan durch die andere Hälfte in einen Willen umgewandelt worden ist, weitergeleitet würde. Diese Unterbrechung ist aus einem ganz andern Grunde da. Daß unser Nervensystem so gebaut und in dieser regelmäßigen Weise durchbrochen ist, hat seinen Grund darin: An der Stelle, wo unsere Nerven durchbrochen sind, da liegt im Abbilde im Menschen - allerdings nur im körperlichen Abbilde einer komplizierten geistigen Wirklichkeit — die Grenze zwischen physischem und geistigem Erfahren, physischem und geistigem Erleben. Sie ist allerdings im Menschen auf eine merkwürdige Weise enthalten. Sie ist so enthalten, daß der Mensch mit der ihm zunächstliegenden physischen Welt in eine solche Beziehung tritt, daß mit dieser Beziehung der Teil des Nervenstranges, der bis zu jener Unterbrechung geht, etwas zu tun hat. Aber der Mensch muß auch als seelisches Wesen eine Beziehung haben zu seinem eigenen physischen Leib. Diese Beziehung, die er zu seinem eigenen physischen Leib hat, ist durch den andern Teil vermittelt. Wenn ich eine Hand bewege, dadurch veranlaßt, daß ein äußerer Sinneseindruck auf mich gemacht worden ist, dann liegt der Impuls, daß diese Hand bewegt wird, vereinigt von der Seele mit dem Sinneseindruck, schematisch dargestellt, schon bereits hier (siehe Zeichnung, a). Und dasjenige, was geleitet wird, wird auf den ganzen sensitiven Nerven und den sogenannten motorischen Nerven entlang geleitet von a bis zu b. Das ist nicht so, daß der Sinneseindruck erst bis zu c geht und dann von da aus einen Befehl gibt, damit b dazu veranlaßt werde - nein, wenn ein Willensimpuls stattfindet, lebt das Seelische schon befruchtet bei a und geht durch den ganzen unterbrochenen Nervenweg durch.

Es ist keine Rede davon, daß solche kindischen Vorstellungen, als ob die Seele da irgendwo säße zwischen den sensitiven und motorischen Nerven und wie ein Telegraphist die Eindrücke der Außenwelt empfangen und dann Befehle aussenden würde, es ist keine Rede davon, daß diese kindischen Vorstellungen irgendeiner auch wie immer gearteten Wirklichkeit entsprechen würden. Diese kindische Vorstellung, die wir immer hören, nimmt sich recht sonderbar komisch aus neben der Forderung, man soll ja in der Naturwissenschaft nicht anthropomorphistisch sein! Da fordern nun die Leute, man solle ja nicht anthropomorphistisch sein und merken nicht, wie anthropomorphistisch sie sind, wenn sie Worte gebrauchen wie: Ein Eindruck wird empfangen, ein Befehl wird ausgegeben und so weiter. - Sie reden darauf los, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie alles für mythologische Wesen - wenn sie die Worte ernst nehmen würden - hineinträumen in den menschlichen Organismus.

Nun entsteht aber die Frage: Warum ist der Nervenstrang unterbrochen? — Er ist unterbrochen aus dem Grunde, weil wir, wenn er nicht unterbrochen wäre, nicht eingeschaltet wären in den ganzen Vorgang. Nur dadurch, daß gewissermaßen der Impuls an der Unterbrechungsstelle überspringt - der gleiche Impuls, wenn es ein Willensimpuls ist, geht schon von a aus -, dadurch sind wir selbst drinnen in der Welt, dadurch sind wir bei diesem Impuls dabei. Würde er einheitlich sein, würde hier nicht eine Unterbrechung sein, so wäre das ganze ein Naturvorgang, ohne daß wir dabei wären.

Stellen Sie sich denselben Vorgang, den Sie bei einer sogenannten Reflexbewegung haben, vor: Eine Fliege setzt sich Ihnen irgendwo hin, der ganze Vorgang kommt Ihnen gar nicht voll zum Bewußtsein, aber Sie wehren die Fliege ab. Dieser ganze Vorgang hat sein Analogen, sein ganz gerechtfertigtes Analogen auf physikalischem Gebiete. Insofern dieser Vorgang physikalische Erklärung herausfordert, muß diese Erklärung nur etwas komplizierter sein als ein anderer physikalischer Vorgang. Nehmen Sie an, Sie haben hier einen Kautschukball, Sie stoßen hinein, Sie deformieren den Kautschukball: das geht wieder heraus, richtet sich wieder her. Sie stoßen nochmals hinein; er stößt wieder heraus. Das ist der einfache physikalische Vorgang: eine Reflexbewegung.

Zeichnung aus GA 179, S. 15
Zeichnung aus GA 179, S. 15

Nur ist kein Wahrnehmungsorgan eingeschaltet, nichts Geistiges ist eingeschaltet. Schalten Sie hier etwas Geistiges ein (innerer Kreis) und unterbrechen Sie hier (Zentrum), dann fühlt sich die Kautschukkugel als ein Eigenwesen. Die Kautschukkugel müßte dann allerdings, um sowohl die Welt wie sich zu empfinden, ein Nervensystem einschalten. Aber das Nervensystem ist immer da, um die Welt in sich zu empfinden, niemals irgendwie da, um auf der einen Seite des Drahtes eine Sensation zu leiten und auf der andern Seite des Drahtes einen motorischen Impuls zu leiten.

Ich deute dieses an aus dem Grunde, weil dies, wenn es weiter verfolgt wird, auf einen der zahlreichen Punkte hinführt, wo Naturwissenschaft korrigiert werden muß, wenn sie zu Vorstellungen führen soll, die einigermaßen der Wirklichkeit gewachsen sind. Die Vorstellungen, die heute herrschen, sind eben weiter nichts als solche Vorstellungen, die den Impulsen der Geister der Finsternis dienen. Im Menschen selber ist die Grenze zwischen dem physischen Erleben und dem geistigen Erleben.

Dieses Stück des Nervs, das ich rot bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns hineinzustellen in die physische Welt, um uns Empfindung zu vermitteln innerhalb der physischen Welt. Das andere Stück des Nervs, das ich blau bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns selbst uns empfinden zu lassen als Leib. Und es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir eine Farbe außen bewußt erleben durch den Strang a-c, oder ob wir innerlich ein Organ oder eine Organlage oder dergleichen erleben durch den Strang d-b; das ist im wesentlichen dasselbe. Das eine Mal erleben wir ein Physisches, das nicht in uns zu sein scheint, das andere Mal erleben wir ein Physisches, das in uns ist, das heißt innerhalb unserer Haut. Dadurch aber sind wir eingeschaltet, daß wir bei einem Willensvorgang alles das erleben können, was nicht nur außen ist, sondern auch was innerlich an uns ist. Aber die Stärke der Wahrnehmung ist verschieden vermittelt durch den Strang a-c und durch den Strang d-b. Dasjenige, was eintritt, ist allerdings eine wesentliche Abschwächung der Intensität. Wenn wir eine Vorstellung mit einem Willensimpuls zusammen formen in a, so wird dieser Impuls von a aus weitergeleitet. Indem er von c auf d überspringt, schwächt sich das Ganze so ab für unser Bewußtsein, für unser bewußtes Erleben, daß wir das weitere, was wir nun in uns erleben, die Hebung der Hand und so weiter, nur mit der geringen Intensität des Bewußtseins erleben, die wir sonst auch im Schlafe haben. Wir sehen das Wollen erst wiederum, wenn die Hand sich bewegt, wenn wir wieder von einer andern Seite her eine Sensation haben.“ (Lit.:GA 179, S. 11ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Wolf Singer in: Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 30ff.