Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie und Reflexbogen: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:Goethes_Maerchen_01.jpg|thumb|200px|Der Fährmann und die zwei Irrlichter; Illustration zu Goethes Märchen von Gustav Wolf (1922)]]
[[Datei:Medulla spinalis - Querschnitt - German and Latin.svg|mini|500px|Querschnitt des Rückenmarks mit der einfachen [[Synapse|monosynaptischen]] Verschaltung einer [[afferent]]en und einer [[efferent]]en [[Nervenfaser]].]]
'''[[Goethe]]s Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie''' ist als letzte Erzählung in dem Novellenzyklus [[Wikipedia:Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten|Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten]] enthalten, der erstmals 1795 in der von [[TheaterWiki:Friedrich Schiller|Friedrich Schiller]] herausgegeben Zeitschrift [[Wikipedia:Die Horen (Schiller)|Die Horen]] erschienen ist. Das Märchen zeigt in bildhafter Form, wie sich der [[Mensch]] in einer dem [[Bewusstseinsseelenzeitalter]] gemäßen Form in ein bewusstes, freies Verhältnis zur [[Geistige Welt|übersinnlichen Welt]] setzen kann. '''Goethes geheime Offenbarung''', wie [[Rudolf Steiner]] das Märchen auch nannte, bildete den Ausgangspunkt zur Entwicklung der [[Anthroposophie]] ([[#Goethes Märchen und die Anthroposophie|s.u.]]); ausführliche Betrachtungen Steiners dazu finden sich etwa in {{G|053|329ff}} und {{G|057|23ff}}. Auch [[die Mysteriendramen Rudolf Steiners]] sind auf Grundlage des Märchens entstanden {{Lit|{{G|014|}}}}.
[[Datei:Einfacher Regelkreis n.svg|mini|500px|Blockschaltbild eines einfachen [[Regelkreis|Standardregelkreises]], bestehend aus der '''Regelstrecke''', dem '''Regler''' und einer [[Negative Rückkopplung|negativen Rückkopplung]] der '''Regelgröße''' ''y'' (auch ''Istwert''). Die Regelgröße ''y'' wird mit der '''Führungsgröße''' (''Sollwert'') ''w'' verglichen. Die '''Regeldifferenz''' ''e'' = ''w'' – ''y'' wird dem Regler zugeführt, der daraus entsprechend der gewünschten Dynamik des Regelkreises eine '''Stellgröße''' ''u'' bildet. Die '''Störgröße''' ''d'' wirkt meistens auf den Ausgang der Regelstrecke, sie kann aber auch auf verschiedene Teile der Regelstrecke Einfluss nehmen.]]


== Personen ==
Der '''Reflexbogen''' ist ein grundlegendes funktionales Element des gesamten [[Nervensystem]]s und beruht auf der Verkopplung [[afferent]]er und [[efferent]]er [[Neuron]]en mittels entsprechender [[Synapse]]n. Diese funktionale Verschaltung der miteinander verkoppelten Neuronen wird auch als '''neuronaler Erregungskreis''' oder '''neuronaler Schaltkreis''' bezeichnet.


* Der Fährmann
Im einfachsten Fall handelt es dabei um einen ''monosynaptischen Reflexbogen'' wie er im [[Rückenmark]] anzutreffen ist und die funktionelle Basis einfacher [[Reflex]]e bildet. Hier sind die beiden Nervenfasern über eine einzige Synapse im Vorderhorn des Rückenmarks miteinander verbunden. Weil hier die beiden Nervenfasern unmittelbar im gleichen Organ liegen, werden diese einfachen Reflexe auch '''Eigenreflexe''' genannt.
* Zwei [[Irrlichter]]
* [[Die grüne Schlange]]
* Der Riese
* Der Alte mit der Lampe
* Seine Frau
* Der Mops
* [[Der goldene König]]
* [[Der silberne König]]
* [[Der eherne König]]
* [[Der gemischte König]]
* Der Jüngling
* Die schöne Lilie
* Ihre drei Dienerinnen
* Ihr Kanarienvogel
* Der Habicht


== Inhalt ==
Bei ''polysynaptische Reflexbögen'' sind oft eine ganze Reihe von Neuronen auf wesentlich komplexere Weise miteinander verschaltet, wobei die afferenten und efferenten Fasern räumlich oft weit auseinander liegen können, weshalb man hier von '''Fremdreflexen''' spricht.


Mitten in der Nacht wird der alte Fährmann von zwei Irrlichtern gebeten, sie über den vom starken Regen geschwollenen Fluss überzusetzten. Er tut es und zum Dank wollen die beiden Irrlichter ihn mit Goldstücken bezahlen, die sie mühelos von sich abschütteln. Doch entsetzt weist der Alte diesen gefährlichen Lohn zurück. Wäre nur eines der Goldstücke in den Fluss gefallen, der dieses Metall nicht leiden kann, so hätten sich die Wellen gewaltig erhoben. Der alte Fährmann fordert einen ganz anderen Lohn. Er will mit Früchten der Erde entschädigt werden, mit drei Kohlhäuptern, drei Artischocken und drei Zwiebeln. Als die Irrlichter diese Forderung ignorieren und schnell scherzend davonschlüpfen wollen, merken sie, dass sie an den Boden gefesselt sind. Er als sie fest versprechen, die Forderung nächstens zu erfüllen, werden sie freigelassen.  
In den [[Neurowissenschaften]] wird die Funktion des Reflexbogens in [[Analogie]] zu einem technischen [[Regelkreis]] gedacht, womit aber eine Wirkung des [[Geist]]es und der [[Seele]] des [[Mensch]]en nicht mehr denkmöglich erscheint.  


Indessen macht sich der alte Fährmann auf, das gefährliche Gold in der Erde zu versenken. Er wirft es in eine ungeheure Kluft zwischen hohen Felsen und kehrt dann heim zu seiner Hütte.
[[Rudolf Steiner]] hat daher ein völlig anderes Bild gezeichnet, ohne deswegen in den von den Neurowissenschaftler zurecht mehrheitlich abgelehnten cartesianischen [[Dualismus]] zu verfallen. [[René Descartes|Descartes]] „[[res cogitans]]“ ist nicht das wirkliche [[Ich]] des Menschen, sondern nur dessen flüchtiges, am [[Gehirn]] reflektiertes [[mental]]es Spiegelbild, dem keine eigenständige [[Realität]] zukommt und daher auch nicht in den [[Organismus]] eingreifen kann - weder über die [[Epiphyse]], wie Descartes meinte, noch sonst wie.


In dieser Kluft haust auch die schöne grüne Schlange, die durch das Geklimper der Goldstücke geweckt wird und nun begierig das Gold verschlingt, worauf sie auf die wunderbarste Weise von innen her im schönsten Smaragdgrün zu leuchten beginnt. Fröhlich verläßt sie die Erdentiefen und trifft endlich auch auf die zwei Irrlichter, die sie zu ihrer höchsten Freude mit weiterem Gold versorgen. Gerne würde sie daher auch die Bitte der Irrlichter erfüllen, sie zur schönen Lilie  zu bringen, doch diese haust leider auf dem anderen Ufer, von dem die Irrlichter eben erst herübergesetzt haben. Der Fährmann, so eröffnet ihnen die Schlange, könne sie nicht wieder zurückbringen, denn er dürfe zwar jemanden herüber, aber niemand hinüber führen. Doch gäbe es zwei andere Wege. Der eine könne nur zu Mittag beschritten werden, wenn sie selbst, die grüne Schlange, zu dieser Stunde eine Brücke über den Fluss bilden würde. Der zweite Weg hingegen erscheint nur in der Morgen- oder Abenddämmerung, wenn der große Riese, der nicht weit von hier wohnt, seinen Schatten über den Fluss wirft. Auf diesem Schatten könne man hinübergleiten.
Rudolf Steiners aus geistiger Erfahrung geschöpfte Darstellung steht gleichermaßen im Widerspruch zu Descartes als auch zur zeitgenössischen Neurowissenschaft. Steiner war sich dieses Widerspruchs ganz bewusst. Unermüdlich hat er darauf hingewiesen, dass die bis heute unverrückbar Unterscheidung [[Motorische Nerven|motorischer]] und [[Sensorische Nerven|sensorischer Nerven]], die ihren Ursprung schon bei den allerersten Anatomen der griechischen [[Antike]] hat, völlig unsinnig ist und auch [[Anatomie|anatomisch]] nicht zu rechtfertigen sei. Die [[Muskel]]bewegungen würden keinesfalls durch sog. „motorische“ [[Nerven]] ausgelöst oder gar gesteuert, sondern vielmehr dadurch, dass das [[Wirkliches Ich|wirkliche Ich]] und der [[Astralleib]] im [[Wille]]nsakt ''von außen'' - d.h. aus der geistigen Außenwelt - ''unmittelbar'' in den [[Stoffwechsel]] eingreifen. Die sog. „motorischen“ Nerven dienen nur der [[Wahrnehmung]] des [[Muskelsystem]]s und der resultierenden [[Bewegung]]en. Ohne diese Wahrnehmung könne die Bewegung nicht stattfinden. Die [[Körperbewegung]] ist in diesem Sinn kein rein innerlich bewirktes Körpergeschehen, sondern ein Weltgeschehen, durch das sich unser [[Karma]] verwirklicht und an dem höchsten geistigen [[Hierarchien]] beteiligt sind.  


Nachdem sich die Irrlichter mit einer leichten Verbeugung entfernt haben, kriecht die Schlange weiter durch das Gestein, um jene Ort wiederzufinden, wo sie schon früher eine seltsame Entdeckung gemacht hatte. Zwar nicht gesehen, doch gefühlt hatte sie schon damals, dass dieser unterirdische Ort künstlich angelegt war und sie hatte auch verschiedene merkwürdige Gegenstände unterscheiden können, doch nun wollte sie all das auch durch ihr neu erworbenes Licht beleuchten und mit eigenen Augen sehen. Die grüne Schlange erreicht auch bald den Ort, doch reicht ihr Licht nicht hin, das ganze Heiligtum - denn ein solches ist es - zu erleuchten. Doch immerhin erkennt sie im Vorübergleiten drei sitzende Könige. Einer ist aus lauterem Gold, der zweite aus Silber und der dritte aus Erz geformt. In einer entfernteren Ecke meint sie noch einen vierten König zu gewahren, den sie aber nur undeutlich erkennt. Als sie an dem goldenen König vorbeikriecht, spricht dieser sie an:
{{GZ|Ich will ganz absehen davon, daß ja schließlich die sensitiven von
den motorischen Nerven anatomisch fast gar nicht zu unterscheiden
sind; die einen sind höchstens etwas dicker als die anderen; aber in
bezug auf die Struktur ist wirklich ein wesentlicher Unterschied nicht
vorhanden. Was anthroposophische Forschung in dieser Beziehung
lehrt - ich kann das nur andeuten, nur Ergebnisse mitteilen, ich müßte
sonst anthroposophische Physiologie vortragen - , das ist dieses, daß die
Nerven durchaus einheitliche Organe sind, daß es ein Unding ist, von
zweierlei Nerven, von sensitiven und motorischen Nerven zu sprechen.
Da im Seelischen das Willensmäßige und Empfindungsmäßige überall
durchgebildet ist, stelle ich es jedem frei, motorisch oder sensitiv zu
sagen, aber er muß einheitlich werten, denn sie sind absolut einheitlich,
es gibt keinen Unterschied. Der Unterschied liegt nämlich nur in
der Richtung der Funktion. Wenn der sensitive Nerv nach dem Auge
hingeht, so öffnet er sich den Eindrücken des Lichtes, und es wirkt
wiederum dasjenige, was an der Peripherie des Menschen liegt, auf
einen anderen Nerv, den die heutige Physiologie als einen motorischen
Nerv anspricht. Wenn er nun vom Gehirn ausgeht nach dem übrigen
Organismus, so ist dieser Nerv dazu da, daß er dasjenige wahrnimmt,
was bei einer Bewegung vorgeht. Eine richtige Behandlung der Tabes
gibt schon auch durchaus Bestätigung dieses Resultates.
Der Nerv also, der motorischer Nerv genannt ist, der ist dazu da,
um die Bewegungsimpulse, das, was da während der Bewegung vorgeht,
wahrzunehmen, nicht um der Bewegung den Impuls zu geben.
Nerven sind überall die Vermittlungsorgane für die Wahrnehmungen,
die sensitiven Nerven für die Wahrnehmungen nach außen, die sogenannten
motorischen Nerven, die auch sensitive Nerven sind, für die
Wahrnehmungen nach innen. Es gibt nur ''einen'' Nerv. Und nur eine
materialistische Wissenschaftsgesinnung hat diese Telegraphengeschichte
als Analogon erfunden.


<div style="margin-left:20px">
Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, ebenso
"Wo kommst du her? – Aus den Klüften, versetzte die Schlange, in denen das Gold wohnt. – Was ist herrlicher als Gold? fragte der König. – Das Licht, antwortete die Schlange. – Was ist erquicklicher als Licht? fragte jener. – Das Gespräch, antwortete diese."
wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrnehmung
</div>
der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Vermittelung
des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall.
Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt
er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des
Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der
Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermittelt
nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem
ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem
tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger
Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und
auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr.
Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven,
die sind bloß dasjenige, was die Äußerungen, den Impuls des Willens
wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher
wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen.
Wenn Sie aber diesen Zusammenhang voll einsehen, dann werden Sie
es auch begreiflich finden, daß ich nun eben ein Paradoxon, eine Ketzerei
vor Sie hinstellen muß: denn dann wirkt das Geistig-Seelische ja
eben auf den ganzen übrigen Menschen.|303|208f}}


Da tritt plötzlich ein bäuerlich gekleideter alter Mann mit einer kleinen Lampe herein, die mit einem Schlag den ganzen unterirdischen Dom erhellt. Diese Lampe hatte die merkwürdige Eigenschaft, dass sie nur dort Licht verbreiten konnte, wo schon welches war:
[[Datei:Steiner Der dreigliedrige Mensch 1.jpg|mini|250px|[[Rudolf Steiner]]: ''Der dreigliedrige Mensch'', Pastell auf Transparentpapier, 12. Juni 1923]]
Laut Rudolf Steiner lässt sich das [[Seelenleben]] des [[Mensch]]en nicht auf die Tätigkeit des [[Nervensystem]]s reduzieren, vielmehr sei der ganze [[Dreigliederung des menschlichen Organismus|dreigliedrige Organismus]] des Menschen daran beteiligt. In etwas abgewandelter Form gilt das auch für die [[Tiere]]. Nur die [[Sinneswahrnehmung]] und die [[Vorstellung]]stätigkeit bedient sich unmittelbar des [[Nerven-Sinnessystem]]s. Das [[Fühlen]] wirkt unmittelbar im [[Rhythmisches System|rhythmischen System]] und das [[Wollen]] - und damit auch die [[Körperbewegung]] - gründet sich auf das [[Stoffwechsel-Gliedmaßensystem]]. Letztere werfen nur ''mittelbar'' durch das Nervensystem ihren Schatten in das [[Bewusstsein]]. [[Denken]] bzw. Vorstellen, Fühlen und Wollen haben dadurch ganz unterschiedliche Bewusstseinsgrade. Nur im Denken sind wir voll wach, im Fühlen [[Traum|träumen]] wir und die eigentliche Willenstätigkeit [[Schlaf|verschlafen]] wir praktisch völlig.


<div style="margin-left:20px">
{{GZ|Das Nerven- und Sinnessystem,
"Warum kommst du, da wir Licht haben? fragte der goldene König. – Ihr wißt, daß ich das Dunkle nicht erleuchten darf. – Endigt sich mein Reich? fragte der silberne König. – Spät oder nie, versetzte der Alte."
wie es im Kopfe zentralisiert ist, ist im menschlichen Organismus ein
eigenes, für sich bestehendes, selbständiges Glied. Was als Lungen- und
Herzsystem, als Zirkulationssystem vorliegt, ist wiederum ein für sich
bestehendes, selbständiges Glied. Ebenso das Stoffwechselsystem. Das
Genauere können Sie in meinem Buch «Von Seelenrätseln» nachlesen.
Das ist das Charakteristische im menschlichen Organismus, daß seine
Systeme gerade dadurch ihre rechte Entfaltung und Wirksamkeit entfalten,
daß sie nicht zentralisiert sind, sondern daß sie nebeneinander bestehen
und frei zusammenwirken. Kann man heute nicht einmal in dieser
umfassenden, eindringlichen Weise den menschlichen Organismus begreifen,
so kann man mit der Wissenschaft, die noch nicht reformiert ist,
die aber in geisteswissenschaftlichem Sinne reformiert werden muß, den
sozialen Organismus erst recht nicht verstehen. Man glaubt heute, der
menschliche Organismus ist etwas Zentralisiertes, während er eine Dreigliedrigkeit
ist.|328|21}}


Mit einer starken Stimme fing der eheren König an zu fragen: Wann werde ich aufstehn? – Bald, versetzte der Alte. – Mit wem soll ich mich verbinden? fragte der König. – Mit deinen älteren Brüdern, sagte der Alte. – Was wird aus dem jüngsten werden? fragte der König. – Er wird sich setzen, sagte der Alte.
Die gestaltende Grundform des [[Nervensystem]]s, insbesondere des Reflexbogens, die überhaupt auch die [[Gestalt]]ung des ganzen [[Organismus]] bestimmt (→ [[Nervensystem#Nervensystem und Gestaltbildung|Nervensystem und Gestaltbildung]]), ist die [[Lemniskate]].


Ich bin nicht müde, rief der vierte König mit einer rauhen stotternden Stimme."
{{GZ|... ich rate Ihnen,
</div>
versuchen Sie einmal - wie gesagt, hier sollen ja zunächst nur Anregungen
gegeben werden, und es sollte durchaus sehr emsig wissenschaftlich
nach dieser Richtung gearbeitet werden -, versuchen Sie
einmal, Untersuchungen darüber anzustellen, welche Kurve entsteht,
wenn Sie die mittlere Linie der linken Rippe zeichnen, über
den Anschluß der Rippe hinausgehen in den Rückenwirbel, da sich
drehen und wiederum zurückgehen (Fig. 11). Bringen Sie in Anschlag,
daß der Wirbel eine wesentlich andere innere Struktur aufweist
als die Rippen, und bringen Sie in Anschlag, daß das bedeutet,
daß bei diesem Beschreiben der Linie Rippe-Wirbel-Rippe, natürlich
nicht nur quantitativ, sondern qualitativ, innere Wachstumsverhältnisse
in Betracht kommen, dann werden Sie die Morphologie dieses
ganzen Systems verstehen durch die Lemniskate, durch die Schleifenbildung.
Sie werden, je mehr Sie hinaufgehen zur Kopforganisation,
notwendig haben, starke Modifikationen dieser Lemniskate
vorzunehmen. Es wird ein gewisser Punkt eintreten, wo Sie genötigt
sind, dasjenige, was ja schon vorbereitet ist in der Bildung des Brustbeines,
das Zusammengehen der beiden Bögen hier (Fig. 11),


Beim Schein der Lampe konnte die Schlange nun erkennen, dass der vierte aus einer Mischung aller drei Metalle geformt war und sehr schwerfällig erschien.
[[Datei:GA323 211.gif|center|300px|Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)]]


<div style="margin-left:20px">
sich eigentlich als verwandelt zu denken, aber Sie bekommen eine
"Indessen sagte der goldne König zum Manne: Wie viel Geheimnis weißt du? – Drei, versetzte der Alte. – Welches ist das wichtigste? fragte der silberne König. – Das offenbare, versetzte der Alte. – Willst du es auch uns eröffnen? fragte der eherne. – Sobald ich das vierte weiß, sagte der Alte. – Was kümmerts’s mich! murmelte der zusammengesetzte König vor sich hin.
Metamorphose, eine Modifikation dieser Lemniskatenbüdung,
wenn Sie zum Haupte hinaufgehen. Und Sie bekommen, wenn Sie
gewissermaßen studieren die gesamte menschliche Figur in dem
Gegensatz von Sinnes-Nervenorganisation und Stoffwechsel-Organisation,
eine nach unten auseinandergehende und nach oben
sich schließende Lemniskate. Sie bekommen auch Lemniskaten,
nur sind die Lemniskaten eben sehr modifiziert, die eine Hälfte
durch die eine Schleife ist außerordentlich klein, wenn Sie den
Weg verfolgen, der genommen wird von Zentripetalnerven durch
das Zentrum zum Ende der Zentrifugalnerven. Sie bekommen
überall eingeschrieben, wenn Sie die Dinge sachgemäß verfolgen,
gerade in die menschliche Natur in einer gewissen Weise diese
Lemniskate.


Ich weiß das vierte, sagte die Schlange, näherte sich dem Alten und zischte ihm etwas ins Ohr. – Es ist an der Zeit! rief der Alte mit gewaltiger Stimme. Der Tempel schallte wider, die metallenen Bildsäulen klangen, und in dem Augenblicke versank der Alte nach Westen und die Schlange nach Osten, und jedes durchstrich mit großer Schnelle die Klüfte der Felsen."
Und wenn Sie dann beim Tiere die tierische Organisation im
</div>
ausgesprochen horizontalen Rückgrat nehmen, so werden Sie finden,
daß diese tierische Organisation sich von der menschlichen Organisation
dadurch unterscheidet, daß diese Lemniskaten, diese
nach unten offenen Lemniskaten oder auch etwas geschlossenen
Lemniskaten, beim Tier wesentlich weniger Modifikationen aufweisen
als beim Menschen, namentlich aber auch, daß die Ebenen
dieser Lemniskaten beim Tier immer parallel sind, während sie beim
Menschen schiefe Winkel miteinander einschließen.


Während der Alte so durch die unterirdischen Gänge wandelte, füllten sie sich sogleich mit Gold, denn seine Lampe hatte noch eine weitere wunderbare Eigenschafte. Sie konnte zwar nicht die Dunkelheit erhellen, doch verwandelte sie im Dunkeln alles Gestein zu Gold, alles Holz zu Silber und tote Tiere zu wunderschönen Edelsteinen.
Hier liegt ein ungeheures Arbeitsfeld, ein Arbeitsfeld, welches
uns daraufhinweist, das morphologische Element immer weiter und
weiter auszubauen.|323|210ff}}


Als der Alte endlich seine an den Berg angebaute Hütte erreichte kam ihm seine Frau betrübt und weinend entgegen. Sie war von den zwei Irrlichtern besucht worden. In ihrer Gutmütigkeit hatte sie versprochen, die Schuld, die die beiden bei dem Fährmann offen hatten, für sie mit den gewünschten Früchten der Erde zu bezahlen. Die Irrlichter aber hätten mit größter Begier das ganze Gold von den Wänden der Hütte abgeleckt, worauf sie viel größer, breiter und glänzender geworden waren und eine Unzahl von Goldstücken von sich abgeschüttelt hätten. Und schlimmer noch, ihr treuer Mops hätte einige der Goldstücke gefressen und wäre daraufhin gestorben.
Rudolf Steiner wies weiters darauf hin, dass die ''Unterberechung'', welche die [[Zentripetal (Neurologie)|zentripetalen]] ([[afferent]]en) „sensorischen“ und die [[Zentrifugal (Neurologie)|zentrifugalen]] ([[efferent]]en) „motorischen“ Nerven (an der [[Synapse]]) voneinander trennt, erst ermöglicht, dass sich das Geistige und Seelische in die Tätigkeit des Leibes einschalten kann. Die Unterbrechung bildet den Übergang vom physischen zum geistigen Erleben. Ohne sie wäre der Mensch tatsächlich ein bloß gehirn- bzw. nervengesteuerter [[Automat]], wie viele [[Hirnforscher]] mittlerweile annehmen. So behauptet etwa der [[Neurophysiologe]] [[Wolf Singer]]: „''Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen''“<ref>Wolf Singer in:  Christian Geyer (Hrsg.): ''Hirnforschung und Willensfreiheit'', 2004, S. 30ff.</ref> und fordert entsprechende [[Ethik|ethische]] und [[Rechtsleben|juristische]] Konsequenzen bezüglich der [[Schuld]]fähigkeit des Menschen. Aus ganz anderen als den von Singer genannten Gründen ist es tatsächlich nicht zielführend, von einer primären [[Willensfreiheit]] auszugehen. Da wir, wie oben ausgeführt, im Willen schlafen, uns des Willens also nicht bewusst sind, hat hier die [[Freiheit]] keine Grundlage. Die Freiheit beginnt erst, wie Rudolf Steiner bereits in seiner «[[Philosophie der Freiheit]]» ausgeführt hat, im [[Reines Denken|reinen, willensdurchdrungenen Denken]], in dem Denken, Fühlen und Wollen eine bewusste, vom [[Ich]], d.h. vom wirklichen [[Geist]] des Menschen, durchkraftete Einheit bilden.  


Der Alte tröstet nun seine Frau und mit HIlfe seiner Lampe überzieht er die Wände sogleich wieder mit dem schönsten Gold und den Mops verwandelt er in einen wunderschönen Onyx. Dann bittet er seine Frau, die Schuld der Irrlichter zu begleichen, denn sie könnten ihnen später noch dienlich sein. Die Früchte und auch den zum Onyx verwandelten Mops solle sie in einen Korb legen und damit zum Fährmann gehen und weiter zur Mittagstunde über die von der Schlange gebildete Brücke in das Reich der schönen Lilie hinüberwechseln.  
{{GZ|Auf eine Vorstellung habe ich öfters hingewiesen, öffentlich nun
auch in meinem Buch «[[Von Seelenrätseln]]»: Es ist eine gangbare naturwissenschaftliche
Vorstellung heute, daß man im Nervensystem - bleiben
wir zunächst beim Menschen, aber in ähnlicher Weise, nur in ähnlicher
Weise ist das auch beim Tiere gültig -, daß man im Nervensystem
unterscheidet zwischen sogenannten sensitiven Nerven, Sinnesnerven,
Wahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Schematisch kann das
nur so dargestellt werden, daß zum Beispiel irgendein Nerv, sagen wir
ein Tastnerv, die Tastempfindung hineinträgt bis zum Zentralorgan,
sagen wir bis zum Rückenmark (gelb), da mündet dasjenige, was da aus
der Peripherie des Leibes geleitet wird, in einem Horn des Rückenmarks.
Und dann geht von einem andern Horn, Vorderhorn, der sogenannte
motorische Nerv aus, da wird wiederum weitergeleitet der
Willensimpuls (siehe Zeichnung S. 12).


<div style="margin-left:20px">
[[Datei:GA179 012.gif|center|400px|Zeichnung aus GA 179, S. 12]]
"Bring ihr den Onyx, sie wird ihn durch ihre Berührung lebendig machen, wie sie alles Lebendige durch ihre Berührung tötet; sie wird einen treuen Gefährten an ihm haben. Sage ihr, sie solle nicht trauern, ihre Erlösung sei nahe, das größte Unglück könne sie als das größte Glück betrachten, denn es sei an der Zeit."
</div>


So machte sich die Alte auf den Weg. Der Onyx trug sich ganz leicht, doch die Früchte der Erde beschwerten sie. Plötzlich naht sich der mächtige Riese, der gerade im Fluss gebadet hatte, und raubt ein Kohlhaupt, eine Artischocke und eine Zwiebel aus dem Korb und macht sich davon.
Beim Gehirn ist das nur komplizierter dargestellt, so etwa, wie wenn
die Nerven eine Art Telegraphendrähte wären. Der Sinneseindruck,
der Hauteindruck wird bis zum Zentralorgan geleitet, dort wird gewissermaßen
der Befehl erteilt, daß eine Bewegung ausgeführt werden
soll. Eine Fliege setzt sich irgendwo auf einen Körperteil, das macht
einen Eindruck, das wird geleitet bis zum Zentralorgan; dort wird der
Befehl gegeben, die Hand bis zu der Stirne zu erheben und die Fliege
wird weggejagt. Es ist eine, schematisch angedeutet, sehr gangbare
Vorstellung. Künftigen Zeiten wird diese Vorstellung außerordentlich
komisch erscheinen, denn sie ist ja nur komisch für denjenigen, der die
Tatsache durchschaut. Aber es ist eine Vorstellung, von der heute ein
großer Teil der fachmännischen und fachmännischesten Wissenschaft
beherrscht ist. Sie können das nächstbeste Elementarbuch, das Sie über
solche Dinge unterrichtet, aufschlagen, und Sie werden finden, man
habe zu unterscheiden zwischen Sinneswahrnehmungsnerven und motorischen
Nerven. Und man wird besonders das urkomische Bild von
den Telegraphenleitungen - wie der Eindruck bis zum Zentralorgan
geleitet und dort der Befehl gegeben wird, daß die Bewegung entstehe -
gerade in populären Werken heute noch immer sehr verbreitet finden
können.


Als endlich der Fährmann erschien, der soeben einen seltsam unglücklich scheinenden jungen, edlen, schönem Mann über das Ufer gesetzt hatte, wollte ihn die Alte mit den verbliebenen Früchten bezahlen, die ihr schon eine schwere Last geworden waren, doch das wies dieser zurück. Drei Früchte jeder Art müssten es sein, das hinge gar nicht von ihm ab, denn "was mir gebührt, muß ich neun Stunden zusammen lassen, und ich darf nichts annehmen, bis ich dem Fluß ein Dritteil übergeben habe." Nur wenn sie sich dem Fluss gegenüber für ihre Schuld
Die Wirklichkeit ist allerdings schwieriger zu durchschauen, als die
verbürge, könne er einstweilen die sechs verbliebenen Früchte übernehmen, mit der Bedingnis, dass er die restlichen zwei rechtzeitig erhalten würde. Zum Zeichen des Schwures muss die Alte nun ihre Hand in den Fluss tauchen und wie sie sie wieder herauszieht, muss sie zu ihrem Schrecken erkennen, dass sie ganz schwarz geworden ist und allmählich dahinzuschwinden scheint.  
an die primitivsten Vorstellungen erinnernden Vergleichsvorstellungen
von den Telegraphendrähten. Die Wirklichkeit kann nur durchschaut
werden, wenn sie eben mit Geisteswissenschaft durchschaut wird. Daß
ein Willensimpuls erfolgt, hat mit einem solchen Vorgange, den man in
kindischer Weise so ausdrückt, als ob da irgendwo in einem materiellen
Zentralorgan ein Befehl erteilt würde, wirklich gar nichts zu tun. Die
Nerven sind nur da, um einer einheitlichen Funktion zu dienen, sowohl
diejenigen Nerven, die man heute sensitive Nerven nennt, wie auch
diejenigen, die man motorische Nerven nennt. Und ob nun im Rückenmark
oder im Gehirn der Nervenstrang durchbrochen ist, beides weist
auf dasselbe hin; im Gehirn ist er nur in komplizierterer Weise durchbrochen.


<div style="margin-left:20px">
Diese Durchbrechung ist nicht deshalb da, damit durch die eine
"Jetzt scheint es nur so, sagte der Alte; wenn ihr aber nicht Wort haltet, kann es wahr werden. Die Hand wird nach und nach schwinden und endlich ganz verschwinden, ohne daß ihr den Gebrauch derselben entbehrt. Ihr werdet alles damit verrichten können, nur daß sie niemand sehen wird. – Ich wollte lieber, ich könnte sie nicht brauchen und man säh’s mir’s nicht an, sagte die Alte; indessen hat das nichts zu bedeuten, ich werde mein Wort halten, um diese schwarze Haut und diese Sorge bald los zu werden."
Hälfte, wenn ich so sagen darf, von der Außenwelt etwas zum Zentralorgan
</div>
geleitet wird und dann, nachdem sie vom Zentralorgan durch
 
die andere Hälfte in einen Willen umgewandelt worden ist, weitergeleitet
Eilig bricht nun die Alte auf, aber nicht, ohne zuvor mit dem traurigen Jüngling ins Gespräch zu kommen, um die Ursache seines Kummers zu erfragen. Der greift nach dem zum wunderschönen Onyx verwandelten toten Mops, der in dem Korb der Alten liegt, und klagt endlich sein Leid:
würde. Diese Unterbrechung ist aus einem ganz andern Grunde
da. Daß unser Nervensystem so gebaut und in dieser regelmäßigen
Weise durchbrochen ist, hat seinen Grund darin: An der Stelle, wo
unsere Nerven durchbrochen sind, da liegt im Abbilde im Menschen -
allerdings nur im körperlichen Abbilde einer komplizierten geistigen
Wirklichkeit — die Grenze zwischen physischem und geistigem Erfahren,
physischem und geistigem Erleben. Sie ist allerdings im Menschen
auf eine merkwürdige Weise enthalten. Sie ist so enthalten, daß
der Mensch mit der ihm zunächstliegenden physischen Welt in eine
solche Beziehung tritt, daß mit dieser Beziehung der Teil des Nervenstranges,
der bis zu jener Unterbrechung geht, etwas zu tun hat. Aber
der Mensch muß auch als seelisches Wesen eine Beziehung haben zu
seinem eigenen physischen Leib. Diese Beziehung, die er zu seinem
eigenen physischen Leib hat, ist durch den andern Teil vermittelt. Wenn
ich eine Hand bewege, dadurch veranlaßt, daß ein äußerer Sinneseindruck
auf mich gemacht worden ist, dann liegt der Impuls, daß diese
Hand bewegt wird, vereinigt von der Seele mit dem Sinneseindruck,
schematisch dargestellt, schon bereits hier (siehe Zeichnung, a). Und
dasjenige, was geleitet wird, wird auf den ganzen sensitiven Nerven
und den sogenannten motorischen Nerven entlang geleitet von a bis
zu b. Das ist nicht so, daß der Sinneseindruck erst bis zu c geht und dann
von da aus einen Befehl gibt, damit b dazu veranlaßt werde - nein,
wenn ein Willensimpuls stattfindet, lebt das Seelische schon befruchtet
bei a und geht durch den ganzen unterbrochenen Nervenweg durch.


<div style="margin-left:20px">
Es ist keine Rede davon, daß solche kindischen Vorstellungen, als
"Glückliches Tier! rief er aus, du wirst von ihren Händen berührt, du wirst von ihr belebt werden, anstatt daß Lebendige vor ihr fliehen, um nicht ein trauriges Schicksal zu erfahren. Doch was sage ich traurig! ist es nicht viel betrübter und bänglicher durch ihre Gegenwart gelähmt zu werden, als es sein würde von ihrer Hand zu sterben! Sieh mich an, sagte er zu der Alten; in meinen Jahren, welch eine elenden Zustand muß ich erdulden. Diesen Harnisch, den ich mit Ehren im Kriege getragen, diesen Purpur, den ich durch eine weise Regierung zu verdienen suchte, hat mir das Schicksal gelassen, jene als eine unnötige Last, diesen als eine unbedeutende Zierde. Krone, Zepter und Schwert sind hinweg, ich bin im übrigen so nackt und bedürftig, als jeder andere Erdensohn, denn so unselig wirken ihre schönen blauen Augen, daß sie allen lebendigen Wesen ihre Kraft nehmen, und daß diejenigen, die ihre berührende Hand nicht tötet, sich in den Zustand lebendig wandelnder Schatten versetzt fühlen."
ob die Seele da irgendwo säße zwischen den sensitiven und motorischen
</div>
Nerven und wie ein Telegraphist die Eindrücke der Außenwelt empfangen
und dann Befehle aussenden würde, es ist keine Rede davon,
daß diese kindischen Vorstellungen irgendeiner auch wie immer gearteten
Wirklichkeit entsprechen würden. Diese kindische Vorstellung,
die wir immer hören, nimmt sich recht sonderbar komisch aus neben
der Forderung, man soll ja in der Naturwissenschaft nicht anthropomorphistisch
sein! Da fordern nun die Leute, man solle ja nicht anthropomorphistisch
sein und merken nicht, wie anthropomorphistisch sie
sind, wenn sie Worte gebrauchen wie: Ein Eindruck wird empfangen,
ein Befehl wird ausgegeben und so weiter. - Sie reden darauf los, ohne
auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie alles für mythologische
Wesen - wenn sie die Worte ernst nehmen würden - hineinträumen in
den menschlichen Organismus.


Gemeinsam mit der Alten schreitet er nun über die durch die Schlange gebildete Brücke zurück in das Reich der Lilie. Die Brücke sieht jetzt ganz anders aus als in früherer Zeit und erscheint wie aus durchsichtigem Smaragd und Beryll gemacht. Kaum dass sie drüben waren, senkte sich die Schlange nieder und glitt den Wanderern nach. Auch hört man nun ein seltsames Gezische. Es sind die Irrlichter, die sich dem Zug anschliessen, und die man bei Tag nur hören, aber nicht sehen kann.
Nun entsteht aber die Frage: Warum ist der Nervenstrang unterbrochen?
— Er ist unterbrochen aus dem Grunde, weil wir, wenn er
nicht unterbrochen wäre, nicht eingeschaltet wären in den ganzen Vorgang.
Nur dadurch, daß gewissermaßen der Impuls an der Unterbrechungsstelle
überspringt - der gleiche Impuls, wenn es ein Willensimpuls
ist, geht schon von a aus -, dadurch sind wir selbst drinnen in
der Welt, dadurch sind wir bei diesem Impuls dabei. Würde er einheitlich
sein, würde hier nicht eine Unterbrechung sein, so wäre das ganze
ein Naturvorgang, ohne daß wir dabei wären.


Schließlich erreicht die ganze bunte Gesellschaft den Garten der schönen Lilie, die gerade mit Tränen in den Augen mit sanften Harfentönen ihren toten Kanarienvogel betrauert. Durch einen wilden Habicht erschreckt, war er an ihre Brust geflüchtet und durch die Berührung sofort getötet worden. Die Alte überingt nun die Worte ihres Mannes, denn "es sei an der Zeit", wie dieser gesagt habe, und überreicht der Lilie den Onyx, den sie sich zu einem neuen, lieben Gefährten wiederbeleben solle. Auch spricht sie von der Schuld, die sie zu tilgen hat und weist traurig ihre dahinschwindende schwarze Hand vor. All das sind für die Lilie höchst bemerkenswerte Zeichen, doch lindert es ihren Kummer nur wenig:
Stellen Sie sich denselben Vorgang, den Sie bei einer sogenannten
Reflexbewegung haben, vor: Eine Fliege setzt sich Ihnen irgendwo hin,
der ganze Vorgang kommt Ihnen gar nicht voll zum Bewußtsein, aber
Sie wehren die Fliege ab. Dieser ganze Vorgang hat sein Analogen,
sein ganz gerechtfertigtes Analogen auf physikalischem Gebiete. Insofern
dieser Vorgang physikalische Erklärung herausfordert, muß diese
Erklärung nur etwas komplizierter sein als ein anderer physikalischer
Vorgang. Nehmen Sie an, Sie haben hier einen Kautschukball, Sie
stoßen hinein, Sie deformieren den Kautschukball: das geht wieder
heraus, richtet sich wieder her. Sie stoßen nochmals hinein; er stößt
wieder heraus. Das ist der einfache physikalische Vorgang: eine Reflexbewegung.  


<table align="center"><tr><td>
[[Datei:GA179 015.gif|center|300px|Zeichnung aus GA 179, S. 15]]
Was helfen mir die vielen guten Zeichen? <br>
Des Vogels Tod, der Freundin schwarze Hand? <br>
Der Mops von Edelstein, hat er wohl seinesgleichen? <br>
Und hat ihn nicht die Lampe mir gesandt?<br><br>


Entfernt vom süßen menschlichen Genusse, <br>
Nur ist kein Wahrnehmungsorgan eingeschaltet, nichts
Bin ich doch mit dem Jammer nur vertraut. <br>
Geistiges ist eingeschaltet. Schalten Sie hier etwas Geistiges ein (innerer
Ach! warum steht der Tempel nicht am Flusse! <br>
Kreis) und unterbrechen Sie hier (Zentrum), dann fühlt sich die Kautschukkugel
Ach! warum ist die Brücke nicht gebaut!
als ein Eigenwesen. Die Kautschukkugel müßte dann allerdings,
</td></tr></table>
um sowohl die Welt wie sich zu empfinden, ein Nervensystem
einschalten. Aber das Nervensystem ist immer da, um die Welt in sich
zu empfinden, niemals irgendwie da, um auf der einen Seite des Drahtes
eine Sensation zu leiten und auf der andern Seite des Drahtes einen
motorischen Impuls zu leiten.


Da meldet sich die Schlange:
Ich deute dieses an aus dem Grunde, weil dies, wenn es weiter verfolgt
wird, auf einen der zahlreichen Punkte hinführt, wo Naturwissenschaft
korrigiert werden muß, wenn sie zu Vorstellungen führen soll,
die einigermaßen der Wirklichkeit gewachsen sind. Die Vorstellungen,
die heute herrschen, sind eben weiter nichts als solche Vorstellungen,
die den Impulsen der Geister der Finsternis dienen. Im Menschen selber
ist die Grenze zwischen dem physischen Erleben und dem geistigen
Erleben.


<div style="margin-left:20px">
Dieses Stück des Nervs, das ich rot bezeichnet habe, dient im
"Die Weissagung von der Brücke ist erfüllt! rief sie aus; fragt nur diese gute Frau wie herrlich der Bogen gegenwärtig erscheint. Was sonst undurchsichtiger Japsis, was nur eine Prasem war, durch den das Licht höchstens auf den Kanten durchschimmerte, ist nun durchsichtiger Edelstein geworden. Kein Beryll ist so klar und kein Smaragd so schönfarbig.
wesentlichen dazu, um uns hineinzustellen in die physische Welt, um
uns Empfindung zu vermitteln innerhalb der physischen Welt. Das
andere Stück des Nervs, das ich blau bezeichnet habe, dient im wesentlichen
dazu, um uns selbst uns empfinden zu lassen als Leib. Und
es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir eine Farbe außen bewußt
erleben durch den Strang a-c, oder ob wir innerlich ein Organ oder
eine Organlage oder dergleichen erleben durch den Strang d-b; das ist
im wesentlichen dasselbe. Das eine Mal erleben wir ein Physisches, das
nicht in uns zu sein scheint, das andere Mal erleben wir ein Physisches,
das in uns ist, das heißt innerhalb unserer Haut. Dadurch aber sind wir
eingeschaltet, daß wir bei einem Willensvorgang alles das erleben können,
was nicht nur außen ist, sondern auch was innerlich an uns ist.
Aber die Stärke der Wahrnehmung ist verschieden vermittelt durch
den Strang a-c und durch den Strang d-b. Dasjenige, was eintritt, ist
allerdings eine wesentliche Abschwächung der Intensität. Wenn wir
eine Vorstellung mit einem Willensimpuls zusammen formen in a, so
wird dieser Impuls von a aus weitergeleitet. Indem er von c auf d überspringt,
schwächt sich das Ganze so ab für unser Bewußtsein, für unser
bewußtes Erleben, daß wir das weitere, was wir nun in uns erleben, die
Hebung der Hand und so weiter, nur mit der geringen Intensität des
Bewußtseins erleben, die wir sonst auch im Schlafe haben. Wir sehen
das Wollen erst wiederum, wenn die Hand sich bewegt, wenn wir
wieder von einer andern Seite her eine Sensation haben.|179|11ff}}


Ich wünsche Euch Glück dazu, sagte die Lilie, allein verzeihet mir, wenn ich die Weissagung noch nicht erfüllt glaube. Über den hohen Bogen Eurer Brücke können nur Fußgänger hinüber schreiten und es ist uns versprochen, daß Pferde und Wagen und Reisende aller Art zu gleicher Zeit über die Brücke herüber und hinüber wandern sollen. Ist nicht von den großen Pfeilern geweissagt, die aus dem Flusse selbst heraussteigen werden?"
== Literatur ==
</div>


Dann bittet die schöne Lilie die Alte, sie mögen den toten Kanarienvogel, ehe die Verwesung einsetze, noch vor Sonnenuntergang zu ihrem Mann bringen, damit dieser ihn mit der Lampe in einen schönen Topas verwandeln könnte, den sie sich wieder zum Gefährten erwecken würde. Inzwischen wolle sie den Mops zum Gespielen nehmen. Eilig packt nun die Alte den Kanarienvogel in ihren Korb und eilt davon. Indessen meldet sich die Schlange wieder:
* [[Wolfgang Schad]] (Hrsg.): ''Die menschliche Nervenorganisation und die Soziale Frage: Teil 1: Ein anthropologisch-anthroposophisches Gespräch'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1991, ISBN 978-3772504068
* Wolfgang Schad (Hrsg.): ''Die menschliche Nervenorganisation und die Soziale Frage: Teil 2: Dokumentarischer Anhang'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1992, ISBN 978-3772504075
* Wolfgang Schad (Hrsg.): ''Die Doppelnatur des Ich: Der übersinnliche Mensch und seine Nervenorganisation'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2014, ISBN 978-3772512827
* Wolfgang Schad: ''Der periphere Blick: Die Vervollständigung der Aufklärung'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2014, ISBN 978-3772514012, EBook {{ASIN|B01LZF3IZ3}}
* [[Karl Ballmer]]: ''Briefwechsel über die motorischen Nerven'', erweiterte Neuausgabe, Edition LGC 2013, ISBN 978-3-930 964-22-2
* Peter Wyssling: ''Rudolf Steiners Kampf gegen die motorischen Nerven. Das Schicksal einer Weltanschauungsentscheidung in Karl Ballmer und Gerhard Kienle.'' 3., erweiterte und verbesserte Auflage, Edition LGC 2016, ISBN 978-3-930 964-26-0
* [[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
*Johannes W. Rohen: ''Funktionelle Neuroanatomie: Lehrbuch und Atlas'', Schattauer, F.K. Verlag 2001, ISBN 978-3794521289
*Johannes W. Rohen: ''Eine funktionelle und spirituelle Anthropologie: unter Einbeziehung der Menschenkunde Rudolf Steiners'', 1. Aufl., Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2009, ISBN 978-3772520983
*Johannes W. Rohen: ''Morphologie des menschlichen Organismus'', 4. Aufl., Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2016, ISBN 978-3772519987
* Rudolf Steiner: ''Geschichtliche Notwendigkeit und Freiheit. Schicksalseinwirkungen aus der Welt der Toten'', [[GA 179]] (1993), ISBN 3-7274-1790-0 {{Vorträge|179}}
* Rudolf Steiner: ''Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. Eine Einführung in die anthroposophische Pädagogik und Didaktik.'', [[GA 303]] (1978), ISBN 3-7274-3031-1 {{Vorträge|303}}
* Rudolf Steiner: ''Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie'', [[GA 323]] (1997), ISBN 3-7274-3230-6 {{Vorträge|323}}
* Rudolf Steiner: ''Die soziale Frage'', [[GA 328]] (1977), ISBN 3-7274-3280-2 {{Vorträge|328}}


<div style="margin-left.20px">
{{GA}}
"Wie dem auch sei, sagte die Schlange, indem sie das abgesprochene Gespräch fortsetzte, der Tempel ist erbauet.
 
Er steht aber noch im Flusse, versetzte die Schöne.
 
Noch ruht er in den Tiefen der Erde, sagte die Schlange; ich habe die Könige gesehen und gesprochen.
 
Aber wann werden sie aufstehn? fragte Lilie.
 
Die Schlange versetzte: Ich hörte die großen Worte im Tempel ertönen: es ist an der Zeit.
 
Eine angenehme Heiterkeit verbreitete sich über das Angesicht der Schönen. Höre doch, sagte sie, die glücklichen Worte schon heute zum zweitenmal; wann wird der Tag kommen, an dem ich sie dreimal höre?"
</div>
 
Darauf erschien drei schöne Mädchen, die Dienerinnen der Lilie. Die erste nahm ihr die Harfe ab. Dieser folgte eine andre, die den elfenbeinernen geschnitzten Feldstuhl, worauf die Schöne gesessen hatte, zusammenschlug und das silberne Kissen unter den Arm nahm. Eine dritte, die einen großen, mit Perlen gestickten Sonnenschirm trug, zeigte sich darauf, erwartend, ob Lilie auf einem Spaziergange etwa ihrer bedürfe.
 
Dann berührte die schöne Lilie den Mops, der sofort munter herumzuspringen begann, was der Lilie gar sehr gefiel.
 
Jetzt erst tritt auch der schöne Jüngling herein, der zur Erbitterung der Lilie den Habicht ganz ruhig auf seinem Arm trägt.


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== Einzelnachweise ==
"Schilt den unglücklichen Vogel nicht! versetzte darauf der Jüngling; klage vielmehr dich an und das Schicksal, und vergönne mir, daß ich mit dem Gefährten meines Elends Geschäfte mache."
</div>
 
Dass sich die Lilie so sehr mit dem Mops abgibt, macht den Jüngling so wütend, dass er ihn rasch von ihrer Seite reißen will, doch stürzt er dabei unversehens in die Arme der Lilie und fällt augenblicklich tot zu Boden. Da scheint das Herz im Busen der Lilie zu stocken und verzweifelt sieht sie sich um Hilfe um. Indessen hatte sich die Schlange rasch in Bewegung gesetzt und bildet nun einen Kreis um den Leichnam des Jünglings, indem sie das Ende ihres Schwanzes mit den Zähnen fasste.
 
Alsbald erscheinen auch wieder die drei Dienerinnen der Lilie. Die eine bringt ihr wieder den elfenbeinernen Feldstuhl, die zweite einen feuerfarbigen Schleier, den sie der Lilie über das Haupt legt, und die dritte die Harfe. Die Lilie entlockte der Harfe einige Töne und der Schmerz erhöhte ihre Schönheit, der Schleier ihre Reize, die Harfe ihre Anmut, und so sehr man hoffte ihre traurige Lage verändert zu sehen, so sehr wünschte man ihr Bild ewig, wie es gegenwärtig erschien, festzuhalten. Die erste Dienerin holte nun noch rasch einen runden Spiegel, mit dem sie die Blicke der Lilie auffing.
 
Nun könne nur noch der Alte mit der Lampe helfen, zischte die Schlange. Da kam soeben die Alte, deren Hand indessen schon ganz klein geworden war, weinend zurück. Weder der Riese, noch der Fährmann hätten sie über den Fluss gesetzt, dessen Schuldnerin sie noch immer sei. Vergebens habe sie hundert Kohlhäupter und Zwiebeln geboten, doch die Artischocke, die der Fährmann forderte, sei in dieser Gegend nicht zu finden gewesen.
 
Die Schlange rät nun der Alten, dass sie die Irrlichter suchen sollte. Diese könnten in der Dämmerung wohl über den Schatten des Riesen hinübergleiten und den Alten verständigen. Sie eilt davon und schon bald bricht die Abenddämmerung herein, nur der Habicht, der nun aufsteigt, fängt noch mit seinem Gefider die letzten Strahlen der Sonne auf und kurz darauf erscheint tatsächlich der Alte mit der Lampe. Die Sonne war nun schon untergegangen und der Alte läßt auch den toten Kanarienvogel in den Kreis legen. Schon rückte die Mitternacht heran und die drei Dienerinnen der Lilie waren längst eingeschlafen. Da blickt der Alte zu den Sternen auf und spricht:
 
<div style="margin-left:20px">
"Wir sind zur glücklichen Stunde beisammen, jeder verrichte sein Amt, jeder tue seine Pflicht und ein allgemeines Glück wird die einzelnen Schmerzen in sich auflösen, wie ein allgemeines Unglück einzelne Freuden verzehrt."
</div>
 
Der Alte weist nun den Habicht an, mit dem Spiegel die ersten Strahlen der bald aufgehenden Sonne auf die schlafenden Mädchen herunterzulenken. Die Schlange löste indessen ihren Kreis auf und bewegte sich auf den Fluss zu. Die Alte und ihr Mann zogen  solange an dem Korb, bis er groß genug war, um den Jüngling aufzunehmen. Den Kanarienvogel legte man auf seine Brust, die Lilie nahm den Mops auf ihren Arm, und alle gingen nun in einer merkwürdigen Prozession zum Fluss hinunter. Unten angelangt, fragt der Alte die Schlange, was sie nun beschlossen habe. "Mich aufzuopfern, ehe ich aufgeopfert werde", antwortet die Schlange. Auf Geheiß des Alten berührte nun die Lilie mit ihrer Linken die Schlange und faßte mit ihrer Rechten die Hand des Jünglings. Sofort scheint neues Leben diesen zu durchströmen und alsbald richtet er sich auf und der Kanarienvogel flattert auf seine Schulter. Das Leben ist nun wieder in ihm, doch noch nicht der Geist. Indessen ist der Leib der Schlange in tausende grüne Edelsteine zerfallen, die nun von der Alten und dem Alten rasch eingesammelt und alle in den Fluss geworfen werden, sodass kein einziger an Land zurückbleibt. Dann weist der Alte die Irrlichter an, alle zum unterirdischen Tempel zu führen und dessen Pforten zu öffnen. Diese lecken auch schnell das goldene Schloss weg, die Pforten springen auf, man tritt ein und alle begrüßen ehrfürchtig die großen Könige. Nach einer Pause fragt der goldene König:
 
<div style="margin-left:20px">
"Woher kommt ihr? – Aus der Welt, antwortete der Alte. Wohin geht ihr? fragte der silberne König. – In die Welt, sagte die Alte. – Was wollt ihr bei uns? fragte der eherne König. – Euch begleiten, sagte der Alte."
</div>
 
Die Irrlichter schleichen indessen zu dem gemischten König, um das Gold aus ihm herauszulecken.
 
<div style="margin-left:20px">
"Wer wird die Welt beherrschen? rief dieser mit stotternder Stimme. – Wer auf seinen Füßen steht, antwortete der Alte. – Das bin ich! sagte der gemischte König. – Es wird sich offenbaren, sagte der Alte, denn es ist an der Zeit.
</div>
 
Da fällt die Lilie dem Alten glücklich um den Hals, denn zum dritten Mal war nun das bedeutungsvolle Wort erklungen. Der ganze Tempel begann sich nun zu bewegen, stieg durch die Erde auf und tauchte schließlich aus dem Fluss. Die Trümmer der kleinen hölzernen Hütte des Fährmanns, die der Tempel gestreift hatte, fielen durch die Kuppelöffnung herein und bedeckten den Jüngling und den Alten. Das Licht seiner Lampe verwandelte das Holz sogleich zu Silber und auf einmal stand ein herrlicher kleiner Tempel inmitten des großen. Über eine Treppe kam der Alte mit dem Jüngling heraus, der Fährmann folgte ihnen mit einem silbernen Ruder in der Hand und die schöne Lilie eilte ihnen über die Treppe entgegen. Von unten rief die Alte: "Soll ich doch noch unglücklich werden?", denn ihre Hand war nun beinahe vollständig dahingeschwunden. Doch der Alte wies sie an: Geh und bade dich im Fluss. Alle Schulden sind abgetragen!", worauf sie eilig verschwand. Als eben die ersten Sonnenstrahlen die Kuppel erhellten, trat der Alte zwischen den Jüngling und die Jungfrau und sprach mit mächtiger Stimme:
 
<div style="margin-left:20px">
"Drei sind die da herrschen auf Erden: die Weisheit, der Schein und die Gewalt. Bei dem ersten Worte stand der goldne König auf, bei dem zweiten der silberne und bei dem dritten hatte sich der eherne langsam emporgehoben, als der zusammengesetzte König sich plötzlich ungeschickt niedersetzte."
</div>
 
Der Alte führte nun den immer nach starr und geistentleert blickenden Jüngling der Reihe nach zu den drei Königen. Der eherne König gab dem Jüngling sein Schwert und sagte mit mächtiger Stimme: "Das Schwert an der Linken, die Rechte frei!" Der silberne König überreichte ihm sein Zepter und sprach in gefälligem Ton: "Weide die Schafe!" Der goldene König drückte ihm schließlich seinen Eichenkranz aufs Haupt und sprach: "Erkenne das Höchste!" Da erwachte der Jüngling und sein Auge glänzte von unaussprechlichem Geist, und das erste Wort seines Mundes war "Lilie" und sprach dann weiter zu dem Alten:
 
<div style="margin-left:20px">
"Herrlich und sicher ist das Reich unserer Väter, aber du hast die vierte Kraft vergessen, die noch füher, allgemeiner, gewisser die Welt beherrscht, die Kraft der Liebe."
</div>
 
Hierauf fiel er dem schönen Mädchen um den Hals; sie hatte den Schleier weggeworfen und ihre Wangen färbten sich mit der schönsten unvergänglichen Röte. Der Alte aber sagte lächelnd: Die Liebe herrscht nicht, aber sie bildet, und das ist mehr."
 
Draußen aber spannte sich über den Fluss eine breite, auf mächtigen Pfeilern ruhende Brücke, die sich selbst aus den Edelsteinen gebildet hatte, zu denen die Schlange durch ihre Opfertat zerfallen war. Die Brücke war sehr belebt und Menschen und Fuhrwerke zogen in großer Zahl über sie.
 
Indessen war auch der Riese erwachte und taumelte schlaftrunken und alles verwüstend über die Brücke bis in den Vorhof des Tempels hinein. Schon wollte der neue König zum Schwert greifen, um weiteren Schaden zu verhindern, da erstarrte er mitten im Hof zu einer gewaltigen Bildsäule und sein Schatten zeigte die Stunden, die in einem Kreis auf dem Boden um ihn her, nicht in Zahlen, sondern in edlen und bedeutenden Bildern, eingelegt waren.
 
In diesem Augenblick schwebte der Habicht mit dem Spiegel hoch über dem Dom, fing das Licht der Sonne auf und warf es über die auf dem Altar stehende Gruppe. Der König, die Königin und ihre Begleiter erschienen in dem dämmernden Gewölbe des Tempels, von einem himmlischen Glanz erleuchtet, und das Volk fiel auf sein Angesicht. Dann fielen auch noch Goldstücke aus der Luft, die wohl von den Irrlichtern stammten.
 
Endlich zerstreute sich das Volk nach und nach, doch
 
<div style="margin-left:20px">
"bis auf den heutigen Tag wimmelt die Brücke von Wanderern, und der Tempel ist der besuchteste auf der ganzen Erde."
</div>
 
== Goethes Märchen und die Anthroposophie ==
[[Rudolf Steiner]] ist den Weg, den [[Goethe]] durch sein Märchen bezeichnet hat, konsequent weiter gegangen und hat auf der Grundlage des Märchens nicht nur seine [[Mysteriendramen]] geschrieben, sondern die ganze [[Anthroposophie]] ist, nach Steiners eigenen Worten, aus der "Urzelle" jenes Vortrages über ''Goethes geheime Offenbarung'' hervorgegangen, den er am [[Wikipedia:29. September|29. September]] [[1900]] in der Theosophischen Bibliothek in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]] gehalten hatte {{Lit|Lindenberg, S 298}}. Grundlage dieses Vortrags war der gleichnamige Aufsatz, den Steiner am [[Wikipedia:26. August|26. August]] [[1899]] anläßlich Goethes 150. Geburtstages über dessen Märchen veröffentlicht hatte {{Lit|GA 30, S 86ff}}. In "[[Mein Lebensgang]]" schreibt Steiner:
 
<div style="margin-left:20px">
"Der Wille, das Esoterische, das in mir lebte, zur öffentlichen Darstellung zu bringen, drängte mich dazu, zum 28. August 1899, als zu Goethes hundertfünfzigstem Geburtstag, im «Magazin» einen Aufsatz über Goethes Märchen von der «grünen Schlange und der schönen Lilie» unter dem Titel «Goethes geheime Offenbarung» zu schreiben. — Dieser Aufsatz ist ja allerdings noch wenig esoterisch. Aber mehr, als ich gab, konnte ich meinem Publikum nicht zumuten. - In meiner Seele lebte der Inhalt des Märchens als ein durchaus esoterischer. Und aus einer esoterischen Stimmung sind die Ausführungen geschrieben.
 
Seit den achtziger Jahren beschäftigten mich Imaginationen, die sich bei mir an dieses Märchen geknüpft haben. Goethes Weg von der Betrachtung der äußeren Natur zum Innern der menschlichen Seele, wie er ihn sich nicht in Begriffen, sondern in Bildern vor den Geist stellte, sah ich in dem Märchen dargestellt. Begriffe schienen Goethe viel zu arm, zu tot, um das Leben und Wirken der Seelenkräfte darstellen zu können.
 
Nun war ihm in Schillers «Briefen über ästhetische Erziehung» ein Versuch entgegengetreten, dieses Leben und Wirken in Begriffe zu fassen. Schiller versuchte zu zeigen, wie das Leben des Menschen durch seine Leiblichkeit der Naturnotwendigkeit und durch seine Vernunft der Geistnotwendigkeit unterliege. Und er meint, zwischen beiden müsse das Seelische ein inneres Gleichgewicht herstellen. In diesem Gleichgewicht lebe dann der Mensch in Freiheit ein wirklich menschenwürdiges Dasein.
 
Das ist geistvoll; aber für das wirkliche Seelenleben viel zu einfach. Dieses läßt seine Kräfte, die in den Tiefen wurzeln, im Bewußtsein aufleuchten; aber im Aufleuchten, nachdem sie andere ebenso flüchtige beeinflußt haben, wieder verschwinden. Das sind Vorgänge, die im Entstehen schon vergehen; abstrakte Begriffe aber sind nur an mehr oder weniger lang Bleibendes zu knüpfen.
 
Das alles wußte Goethe empfindend; er setzte sein Bildwissen im Märchen dem Schiller'schen Begriffswissen gegenüber.
 
Man ist mit einem Erleben dieser Goethe'schen Schöpfung im Vorhof der Esoterik.
 
Es war dies die Zeit, in der ich durch Gräfin und Graf Brockdorff aufgefordert wurde, an einer ihrer allwöchentlichen Veranstaltungen einen Vortrag zu halten. Bei diesen Veranstaltungen kamen Besucher aus allen Kreisen zusammen. Die Vorträge, die gehalten wurden, gehörten allen Gebieten des Lebens und der Erkenntnis an. Ich wußte von alledem nichts, bis ich zu einem Vortrage eingeladen wurde, kannte auch die Brockdorffs nicht, sondern hörte von ihnen zum ersten Male. Als Thema schlug man mir eine Ausführung über Nietzsche vor. Diesen Vortrag hielt ich. Nun bemerkte ich, daß innerhalb der Zuhörerschaft Persönlichkeiten mit großem Interesse für die Geistwelt waren. Ich schlug daher, als man mich aufforderte, einen zweiten Vortrag zu halten, das Thema vor: «Goethes geheime Offenbarung». Und in diesem Vortrag wurde ich in Anknüpfung an das Märchen ganz esoterisch. Es war ein wichtiges Erlebnis für mich, in Worten, die aus der Geistwelt heraus geprägt waren, sprechen zu können, nachdem ich bisher in meiner Berliner Zeit durch die Verhältnisse gezwungen war, das Geistige nur durch meine Darstellungen durchleuchten zu lassen." {{Lit|{{G|028|292f}}}}
</div>
 
Tatsächlich hängt, wie Rudolf Steiner später ausführte, Goethes Märchen eng mit dem [[Karma]] der [[Anthroposophische Gesellschaft|Anthroposophischen Gesellschaft]] und mit himmlischen Kultus zusammen, der von [[Michael]] Ende des [[Wikipedia:18. Jahrhundert|18.]] und bis in die erste Hälfte des [[Wikipedia:19. Jahrhundert|19. Jahrhundert]]s in der [[Geistige Welt|geistigen Welt]] eingerichtet wurde. Dieser himmlische Kultus war ein Ergebnis jener im Geistigen im [[Wikipedia:15. Jahrhundert|15. Jahrhundert]] begründeten [[Michael-Schule]], mit der das [[1879]] beginnende [[Michael-Zeitalter]] vorbereitet werden sollte.
 
<div style="margin-left:20px">
"Was mit dem 20. Jahrhundert hier auf der Erde sich vollzieht als das Zusammenströmen einer Anzahl von Persönlichkeiten zu der Anthroposophischen Gesellschaft, das hat sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dadurch vorbereitet, daß die Seelen dieser heute verkörperten Menschen, die da in großer Anzahl zusammenströmen, im Geistigen vereinigt waren, als sie noch nicht in die physisch-sinnliche Welt herabgestiegen waren. Und es ist dazumal in den geistigen Welten von einer Anzahl von Seelen, zusammen wirkend, eine Art von Kultus gepflegt worden, ein Kultus, der die Vorbereitung für diejenigen Sehnsuchten war, die in den Seelen aufgetreten sind, welche in Leibern jetzt zur Anthroposophischen Gesellschaft zusammenströmen. Und wer die Gabe hat, die Seelen in ihren Leibern wiederzuerkennen, der erkennt sie, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ihm zusammen gewirkt haben, als in der übersinnlichen Welt hingestellt worden sind mächtige kosmische Imaginationen, welche dasjenige darstellen, was ich nennen könnte: das neue Christentum." {{Lit|{{G|240|145}}}}
</div>
 
Die mächtigen kosmischen Imaginationen, in denen der himmlische Kultus Michaels lebte, und die später zum eigentlichen Inhalt der [[Anthroposophie]] werden sollten, spiegeln sich in gedämpfter Form in Goethes Märchen wider.
 
<div style="margin-left:20px">
"Davon sickerte so manches durch. Oben in der geistigen Welt spielte sich ab in mächtigen kosmischen Imaginationen die Vorbereitung für jene intelligente, aber durchaus spirituelle Erschaffung, die dann als Anthroposophie erscheinen sollte. Was da durchsickerte: auf Goethe machte es einen bestimmten Eindruck. Ich möchte sagen, es kam in Miniaturbildern bei ihm durch. Die großen, gewaltigen Bilder, die sich da oben abspielten, kannte Goethe nicht; er verarbeitete diese Miniaturbildchen in seinem «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Eine wunderbare Erscheinung! Wir haben die ganzen Strömungen, die ich geschildert habe, so sich fortsetzend, daß sie zu jenen mächtigen Imaginationen führen, die oben in der geistigen Welt unter der Führung des Alanus ab Insulis und der anderen sich abspielen; wir haben das Mächtige, daß da Dinge durchsickern und Goethe an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts begeistern zu seinem spirituellen Märchen «Von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Es war sozusagen ein erstes Herauskommen desjenigen, was zunächst in mächtigen Imaginationen im Beginne des 19., sogar schon am Ende des 18. Jahrhunderts sich in der geistigen Welt abspielte. Sie werden es daher nicht wunderbar finden, daß im Hinblick auf diesen übersinnlichen Kultus, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfand, mein erstes Mysteriendrama, «Die Pforte der Einweihung», das ja in einer gewissen Weise in dramatischer Form wiedergeben wollte, was sich da im Beginne des 19. Jahrhunderts abspielte, äußerlich in der Struktur etwas ähnlich wurde dem, was Goethe in seinem Märchen «Von der grünen Schlange und der schönen Lilie» dargestellt hat. Denn die Anthroposophie sollte von der Art, wie sie imaginativ in den ersten Zeiten in überirdischen Regionen gelebt hat, heruntersteigen in die irdische Region." {{Lit|{{G|240|178}}}}
</div>
 
== Literatur ==
# [[Christoph Lindenberg]]: ''Rudolf Steiner. Eine Biographie'', Band 1: 1861-1910, Band 2: 1911-1925, Stuttgart: Freies Geistesleben 1997, ISBN 3-7725-1551-7
#Rudolf Steiner: ''Vier Mysteriendramen'', [[GA 14]] (1998), ISBN 3-7274-0140-0; '''Tb 607''' (I + II), ISBN 978-3-7274-6070-8 + '''Tb 608''' (III + IV), ISBN 978-3-7274-6080-7
#Rudolf Steiner: ''Mein Lebensgang'', [[GA 28]] (2000)
#Rudolf Steiner: ''Methodische Grundlagen der Anthroposophie'', [[GA 30]] (1989)
#Rudolf Steiner: ''Ursprung und Ziel des Menschen'', [[GA 53]] (1981), ISBN 3-7274-0532-5 {{Vorträge|053}}
#Rudolf Steiner: ''Wo und wie findet man den Geist?'', [[GA 57]] (1984), ISBN 3-7274-0570-8 {{Vorträge|057}}
#Rudolf Steiner: ''Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Sechster Band'', [[GA 240]] (1992)
 
{{GA}}


== Weblinks ==
<references />
#[http://gutenberg.spiegel.de/goethe/maerchen/maerchen.xml Goethe: ''Das Märchen''] - der ganze Text im [[Wikipedia:Projekt Gutenberg-DE|Projekt Gutenberg-DE]]
#[http://www.wissen-im-netz.info/literatur/goethe/unterh/index.htm Goethe: ''Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten''] - der ganze Text auf http://www.Wissen-im-Netz.info
#[[Bild:Adobepdf_small.gif]] [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Unterhaltungen_deutscher_Ausgewanderten.pdf Goethe: ''Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten]
#[[Bild:Adobepdf_small.gif]] [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Das_Maerchen.pdf Goethe: ''Das Märchen'']
#[[Bild:Adobepdf_small.gif]] [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Das_Maerchen_illustriert.pdf Goethe: ''Das Märchen''] illustriert von Gustav Wolf (1922)
#[[Bild:Adobepdf_small.gif]] [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/Goethes_geheime_Offenbarung.pdf Rudolf Steiner: ''Goethes geheime Offenbarung]


[[Kategorie:Kunst]] [[Kategorie:Dichtung]] [[Kategorie:Schulungsweg]] [[Kategorie:Einweihung]]
[[Kategorie:Nervensystem]]

Version vom 6. November 2018, 07:35 Uhr

Querschnitt des Rückenmarks mit der einfachen monosynaptischen Verschaltung einer afferenten und einer efferenten Nervenfaser.
Blockschaltbild eines einfachen Standardregelkreises, bestehend aus der Regelstrecke, dem Regler und einer negativen Rückkopplung der Regelgröße y (auch Istwert). Die Regelgröße y wird mit der Führungsgröße (Sollwert) w verglichen. Die Regeldifferenz e = wy wird dem Regler zugeführt, der daraus entsprechend der gewünschten Dynamik des Regelkreises eine Stellgröße u bildet. Die Störgröße d wirkt meistens auf den Ausgang der Regelstrecke, sie kann aber auch auf verschiedene Teile der Regelstrecke Einfluss nehmen.

Der Reflexbogen ist ein grundlegendes funktionales Element des gesamten Nervensystems und beruht auf der Verkopplung afferenter und efferenter Neuronen mittels entsprechender Synapsen. Diese funktionale Verschaltung der miteinander verkoppelten Neuronen wird auch als neuronaler Erregungskreis oder neuronaler Schaltkreis bezeichnet.

Im einfachsten Fall handelt es dabei um einen monosynaptischen Reflexbogen wie er im Rückenmark anzutreffen ist und die funktionelle Basis einfacher Reflexe bildet. Hier sind die beiden Nervenfasern über eine einzige Synapse im Vorderhorn des Rückenmarks miteinander verbunden. Weil hier die beiden Nervenfasern unmittelbar im gleichen Organ liegen, werden diese einfachen Reflexe auch Eigenreflexe genannt.

Bei polysynaptische Reflexbögen sind oft eine ganze Reihe von Neuronen auf wesentlich komplexere Weise miteinander verschaltet, wobei die afferenten und efferenten Fasern räumlich oft weit auseinander liegen können, weshalb man hier von Fremdreflexen spricht.

In den Neurowissenschaften wird die Funktion des Reflexbogens in Analogie zu einem technischen Regelkreis gedacht, womit aber eine Wirkung des Geistes und der Seele des Menschen nicht mehr denkmöglich erscheint.

Rudolf Steiner hat daher ein völlig anderes Bild gezeichnet, ohne deswegen in den von den Neurowissenschaftler zurecht mehrheitlich abgelehnten cartesianischen Dualismus zu verfallen. Descartesres cogitans“ ist nicht das wirkliche Ich des Menschen, sondern nur dessen flüchtiges, am Gehirn reflektiertes mentales Spiegelbild, dem keine eigenständige Realität zukommt und daher auch nicht in den Organismus eingreifen kann - weder über die Epiphyse, wie Descartes meinte, noch sonst wie.

Rudolf Steiners aus geistiger Erfahrung geschöpfte Darstellung steht gleichermaßen im Widerspruch zu Descartes als auch zur zeitgenössischen Neurowissenschaft. Steiner war sich dieses Widerspruchs ganz bewusst. Unermüdlich hat er darauf hingewiesen, dass die bis heute unverrückbar Unterscheidung motorischer und sensorischer Nerven, die ihren Ursprung schon bei den allerersten Anatomen der griechischen Antike hat, völlig unsinnig ist und auch anatomisch nicht zu rechtfertigen sei. Die Muskelbewegungen würden keinesfalls durch sog. „motorische“ Nerven ausgelöst oder gar gesteuert, sondern vielmehr dadurch, dass das wirkliche Ich und der Astralleib im Willensakt von außen - d.h. aus der geistigen Außenwelt - unmittelbar in den Stoffwechsel eingreifen. Die sog. „motorischen“ Nerven dienen nur der Wahrnehmung des Muskelsystems und der resultierenden Bewegungen. Ohne diese Wahrnehmung könne die Bewegung nicht stattfinden. Die Körperbewegung ist in diesem Sinn kein rein innerlich bewirktes Körpergeschehen, sondern ein Weltgeschehen, durch das sich unser Karma verwirklicht und an dem höchsten geistigen Hierarchien beteiligt sind.

„Ich will ganz absehen davon, daß ja schließlich die sensitiven von den motorischen Nerven anatomisch fast gar nicht zu unterscheiden sind; die einen sind höchstens etwas dicker als die anderen; aber in bezug auf die Struktur ist wirklich ein wesentlicher Unterschied nicht vorhanden. Was anthroposophische Forschung in dieser Beziehung lehrt - ich kann das nur andeuten, nur Ergebnisse mitteilen, ich müßte sonst anthroposophische Physiologie vortragen - , das ist dieses, daß die Nerven durchaus einheitliche Organe sind, daß es ein Unding ist, von zweierlei Nerven, von sensitiven und motorischen Nerven zu sprechen. Da im Seelischen das Willensmäßige und Empfindungsmäßige überall durchgebildet ist, stelle ich es jedem frei, motorisch oder sensitiv zu sagen, aber er muß einheitlich werten, denn sie sind absolut einheitlich, es gibt keinen Unterschied. Der Unterschied liegt nämlich nur in der Richtung der Funktion. Wenn der sensitive Nerv nach dem Auge hingeht, so öffnet er sich den Eindrücken des Lichtes, und es wirkt wiederum dasjenige, was an der Peripherie des Menschen liegt, auf einen anderen Nerv, den die heutige Physiologie als einen motorischen Nerv anspricht. Wenn er nun vom Gehirn ausgeht nach dem übrigen Organismus, so ist dieser Nerv dazu da, daß er dasjenige wahrnimmt, was bei einer Bewegung vorgeht. Eine richtige Behandlung der Tabes gibt schon auch durchaus Bestätigung dieses Resultates. Der Nerv also, der motorischer Nerv genannt ist, der ist dazu da, um die Bewegungsimpulse, das, was da während der Bewegung vorgeht, wahrzunehmen, nicht um der Bewegung den Impuls zu geben. Nerven sind überall die Vermittlungsorgane für die Wahrnehmungen, die sensitiven Nerven für die Wahrnehmungen nach außen, die sogenannten motorischen Nerven, die auch sensitive Nerven sind, für die Wahrnehmungen nach innen. Es gibt nur einen Nerv. Und nur eine materialistische Wissenschaftsgesinnung hat diese Telegraphengeschichte als Analogon erfunden.

Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, ebenso wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrnehmung der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Vermittelung des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall. Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermittelt nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr. Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven, die sind bloß dasjenige, was die Äußerungen, den Impuls des Willens wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen. Wenn Sie aber diesen Zusammenhang voll einsehen, dann werden Sie es auch begreiflich finden, daß ich nun eben ein Paradoxon, eine Ketzerei vor Sie hinstellen muß: denn dann wirkt das Geistig-Seelische ja eben auf den ganzen übrigen Menschen.“ (Lit.:GA 303, S. 208f)

Rudolf Steiner: Der dreigliedrige Mensch, Pastell auf Transparentpapier, 12. Juni 1923

Laut Rudolf Steiner lässt sich das Seelenleben des Menschen nicht auf die Tätigkeit des Nervensystems reduzieren, vielmehr sei der ganze dreigliedrige Organismus des Menschen daran beteiligt. In etwas abgewandelter Form gilt das auch für die Tiere. Nur die Sinneswahrnehmung und die Vorstellungstätigkeit bedient sich unmittelbar des Nerven-Sinnessystems. Das Fühlen wirkt unmittelbar im rhythmischen System und das Wollen - und damit auch die Körperbewegung - gründet sich auf das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Letztere werfen nur mittelbar durch das Nervensystem ihren Schatten in das Bewusstsein. Denken bzw. Vorstellen, Fühlen und Wollen haben dadurch ganz unterschiedliche Bewusstseinsgrade. Nur im Denken sind wir voll wach, im Fühlen träumen wir und die eigentliche Willenstätigkeit verschlafen wir praktisch völlig.

„Das Nerven- und Sinnessystem, wie es im Kopfe zentralisiert ist, ist im menschlichen Organismus ein eigenes, für sich bestehendes, selbständiges Glied. Was als Lungen- und Herzsystem, als Zirkulationssystem vorliegt, ist wiederum ein für sich bestehendes, selbständiges Glied. Ebenso das Stoffwechselsystem. Das Genauere können Sie in meinem Buch «Von Seelenrätseln» nachlesen. Das ist das Charakteristische im menschlichen Organismus, daß seine Systeme gerade dadurch ihre rechte Entfaltung und Wirksamkeit entfalten, daß sie nicht zentralisiert sind, sondern daß sie nebeneinander bestehen und frei zusammenwirken. Kann man heute nicht einmal in dieser umfassenden, eindringlichen Weise den menschlichen Organismus begreifen, so kann man mit der Wissenschaft, die noch nicht reformiert ist, die aber in geisteswissenschaftlichem Sinne reformiert werden muß, den sozialen Organismus erst recht nicht verstehen. Man glaubt heute, der menschliche Organismus ist etwas Zentralisiertes, während er eine Dreigliedrigkeit ist.“ (Lit.:GA 328, S. 21)

Die gestaltende Grundform des Nervensystems, insbesondere des Reflexbogens, die überhaupt auch die Gestaltung des ganzen Organismus bestimmt (→ Nervensystem und Gestaltbildung), ist die Lemniskate.

„... ich rate Ihnen, versuchen Sie einmal - wie gesagt, hier sollen ja zunächst nur Anregungen gegeben werden, und es sollte durchaus sehr emsig wissenschaftlich nach dieser Richtung gearbeitet werden -, versuchen Sie einmal, Untersuchungen darüber anzustellen, welche Kurve entsteht, wenn Sie die mittlere Linie der linken Rippe zeichnen, über den Anschluß der Rippe hinausgehen in den Rückenwirbel, da sich drehen und wiederum zurückgehen (Fig. 11). Bringen Sie in Anschlag, daß der Wirbel eine wesentlich andere innere Struktur aufweist als die Rippen, und bringen Sie in Anschlag, daß das bedeutet, daß bei diesem Beschreiben der Linie Rippe-Wirbel-Rippe, natürlich nicht nur quantitativ, sondern qualitativ, innere Wachstumsverhältnisse in Betracht kommen, dann werden Sie die Morphologie dieses ganzen Systems verstehen durch die Lemniskate, durch die Schleifenbildung. Sie werden, je mehr Sie hinaufgehen zur Kopforganisation, notwendig haben, starke Modifikationen dieser Lemniskate vorzunehmen. Es wird ein gewisser Punkt eintreten, wo Sie genötigt sind, dasjenige, was ja schon vorbereitet ist in der Bildung des Brustbeines, das Zusammengehen der beiden Bögen hier (Fig. 11),

Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)
Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)

sich eigentlich als verwandelt zu denken, aber Sie bekommen eine Metamorphose, eine Modifikation dieser Lemniskatenbüdung, wenn Sie zum Haupte hinaufgehen. Und Sie bekommen, wenn Sie gewissermaßen studieren die gesamte menschliche Figur in dem Gegensatz von Sinnes-Nervenorganisation und Stoffwechsel-Organisation, eine nach unten auseinandergehende und nach oben sich schließende Lemniskate. Sie bekommen auch Lemniskaten, nur sind die Lemniskaten eben sehr modifiziert, die eine Hälfte durch die eine Schleife ist außerordentlich klein, wenn Sie den Weg verfolgen, der genommen wird von Zentripetalnerven durch das Zentrum zum Ende der Zentrifugalnerven. Sie bekommen überall eingeschrieben, wenn Sie die Dinge sachgemäß verfolgen, gerade in die menschliche Natur in einer gewissen Weise diese Lemniskate.

Und wenn Sie dann beim Tiere die tierische Organisation im ausgesprochen horizontalen Rückgrat nehmen, so werden Sie finden, daß diese tierische Organisation sich von der menschlichen Organisation dadurch unterscheidet, daß diese Lemniskaten, diese nach unten offenen Lemniskaten oder auch etwas geschlossenen Lemniskaten, beim Tier wesentlich weniger Modifikationen aufweisen als beim Menschen, namentlich aber auch, daß die Ebenen dieser Lemniskaten beim Tier immer parallel sind, während sie beim Menschen schiefe Winkel miteinander einschließen.

Hier liegt ein ungeheures Arbeitsfeld, ein Arbeitsfeld, welches uns daraufhinweist, das morphologische Element immer weiter und weiter auszubauen.“ (Lit.:GA 323, S. 210ff)

Rudolf Steiner wies weiters darauf hin, dass die Unterberechung, welche die zentripetalen (afferenten) „sensorischen“ und die zentrifugalen (efferenten) „motorischen“ Nerven (an der Synapse) voneinander trennt, erst ermöglicht, dass sich das Geistige und Seelische in die Tätigkeit des Leibes einschalten kann. Die Unterbrechung bildet den Übergang vom physischen zum geistigen Erleben. Ohne sie wäre der Mensch tatsächlich ein bloß gehirn- bzw. nervengesteuerter Automat, wie viele Hirnforscher mittlerweile annehmen. So behauptet etwa der Neurophysiologe Wolf Singer: „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen[1] und fordert entsprechende ethische und juristische Konsequenzen bezüglich der Schuldfähigkeit des Menschen. Aus ganz anderen als den von Singer genannten Gründen ist es tatsächlich nicht zielführend, von einer primären Willensfreiheit auszugehen. Da wir, wie oben ausgeführt, im Willen schlafen, uns des Willens also nicht bewusst sind, hat hier die Freiheit keine Grundlage. Die Freiheit beginnt erst, wie Rudolf Steiner bereits in seiner «Philosophie der Freiheit» ausgeführt hat, im reinen, willensdurchdrungenen Denken, in dem Denken, Fühlen und Wollen eine bewusste, vom Ich, d.h. vom wirklichen Geist des Menschen, durchkraftete Einheit bilden.

„Auf eine Vorstellung habe ich öfters hingewiesen, öffentlich nun auch in meinem Buch «Von Seelenrätseln»: Es ist eine gangbare naturwissenschaftliche Vorstellung heute, daß man im Nervensystem - bleiben wir zunächst beim Menschen, aber in ähnlicher Weise, nur in ähnlicher Weise ist das auch beim Tiere gültig -, daß man im Nervensystem unterscheidet zwischen sogenannten sensitiven Nerven, Sinnesnerven, Wahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Schematisch kann das nur so dargestellt werden, daß zum Beispiel irgendein Nerv, sagen wir ein Tastnerv, die Tastempfindung hineinträgt bis zum Zentralorgan, sagen wir bis zum Rückenmark (gelb), da mündet dasjenige, was da aus der Peripherie des Leibes geleitet wird, in einem Horn des Rückenmarks. Und dann geht von einem andern Horn, Vorderhorn, der sogenannte motorische Nerv aus, da wird wiederum weitergeleitet der Willensimpuls (siehe Zeichnung S. 12).

Zeichnung aus GA 179, S. 12
Zeichnung aus GA 179, S. 12

Beim Gehirn ist das nur komplizierter dargestellt, so etwa, wie wenn die Nerven eine Art Telegraphendrähte wären. Der Sinneseindruck, der Hauteindruck wird bis zum Zentralorgan geleitet, dort wird gewissermaßen der Befehl erteilt, daß eine Bewegung ausgeführt werden soll. Eine Fliege setzt sich irgendwo auf einen Körperteil, das macht einen Eindruck, das wird geleitet bis zum Zentralorgan; dort wird der Befehl gegeben, die Hand bis zu der Stirne zu erheben und die Fliege wird weggejagt. Es ist eine, schematisch angedeutet, sehr gangbare Vorstellung. Künftigen Zeiten wird diese Vorstellung außerordentlich komisch erscheinen, denn sie ist ja nur komisch für denjenigen, der die Tatsache durchschaut. Aber es ist eine Vorstellung, von der heute ein großer Teil der fachmännischen und fachmännischesten Wissenschaft beherrscht ist. Sie können das nächstbeste Elementarbuch, das Sie über solche Dinge unterrichtet, aufschlagen, und Sie werden finden, man habe zu unterscheiden zwischen Sinneswahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Und man wird besonders das urkomische Bild von den Telegraphenleitungen - wie der Eindruck bis zum Zentralorgan geleitet und dort der Befehl gegeben wird, daß die Bewegung entstehe - gerade in populären Werken heute noch immer sehr verbreitet finden können.

Die Wirklichkeit ist allerdings schwieriger zu durchschauen, als die an die primitivsten Vorstellungen erinnernden Vergleichsvorstellungen von den Telegraphendrähten. Die Wirklichkeit kann nur durchschaut werden, wenn sie eben mit Geisteswissenschaft durchschaut wird. Daß ein Willensimpuls erfolgt, hat mit einem solchen Vorgange, den man in kindischer Weise so ausdrückt, als ob da irgendwo in einem materiellen Zentralorgan ein Befehl erteilt würde, wirklich gar nichts zu tun. Die Nerven sind nur da, um einer einheitlichen Funktion zu dienen, sowohl diejenigen Nerven, die man heute sensitive Nerven nennt, wie auch diejenigen, die man motorische Nerven nennt. Und ob nun im Rückenmark oder im Gehirn der Nervenstrang durchbrochen ist, beides weist auf dasselbe hin; im Gehirn ist er nur in komplizierterer Weise durchbrochen.

Diese Durchbrechung ist nicht deshalb da, damit durch die eine Hälfte, wenn ich so sagen darf, von der Außenwelt etwas zum Zentralorgan geleitet wird und dann, nachdem sie vom Zentralorgan durch die andere Hälfte in einen Willen umgewandelt worden ist, weitergeleitet würde. Diese Unterbrechung ist aus einem ganz andern Grunde da. Daß unser Nervensystem so gebaut und in dieser regelmäßigen Weise durchbrochen ist, hat seinen Grund darin: An der Stelle, wo unsere Nerven durchbrochen sind, da liegt im Abbilde im Menschen - allerdings nur im körperlichen Abbilde einer komplizierten geistigen Wirklichkeit — die Grenze zwischen physischem und geistigem Erfahren, physischem und geistigem Erleben. Sie ist allerdings im Menschen auf eine merkwürdige Weise enthalten. Sie ist so enthalten, daß der Mensch mit der ihm zunächstliegenden physischen Welt in eine solche Beziehung tritt, daß mit dieser Beziehung der Teil des Nervenstranges, der bis zu jener Unterbrechung geht, etwas zu tun hat. Aber der Mensch muß auch als seelisches Wesen eine Beziehung haben zu seinem eigenen physischen Leib. Diese Beziehung, die er zu seinem eigenen physischen Leib hat, ist durch den andern Teil vermittelt. Wenn ich eine Hand bewege, dadurch veranlaßt, daß ein äußerer Sinneseindruck auf mich gemacht worden ist, dann liegt der Impuls, daß diese Hand bewegt wird, vereinigt von der Seele mit dem Sinneseindruck, schematisch dargestellt, schon bereits hier (siehe Zeichnung, a). Und dasjenige, was geleitet wird, wird auf den ganzen sensitiven Nerven und den sogenannten motorischen Nerven entlang geleitet von a bis zu b. Das ist nicht so, daß der Sinneseindruck erst bis zu c geht und dann von da aus einen Befehl gibt, damit b dazu veranlaßt werde - nein, wenn ein Willensimpuls stattfindet, lebt das Seelische schon befruchtet bei a und geht durch den ganzen unterbrochenen Nervenweg durch.

Es ist keine Rede davon, daß solche kindischen Vorstellungen, als ob die Seele da irgendwo säße zwischen den sensitiven und motorischen Nerven und wie ein Telegraphist die Eindrücke der Außenwelt empfangen und dann Befehle aussenden würde, es ist keine Rede davon, daß diese kindischen Vorstellungen irgendeiner auch wie immer gearteten Wirklichkeit entsprechen würden. Diese kindische Vorstellung, die wir immer hören, nimmt sich recht sonderbar komisch aus neben der Forderung, man soll ja in der Naturwissenschaft nicht anthropomorphistisch sein! Da fordern nun die Leute, man solle ja nicht anthropomorphistisch sein und merken nicht, wie anthropomorphistisch sie sind, wenn sie Worte gebrauchen wie: Ein Eindruck wird empfangen, ein Befehl wird ausgegeben und so weiter. - Sie reden darauf los, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie alles für mythologische Wesen - wenn sie die Worte ernst nehmen würden - hineinträumen in den menschlichen Organismus.

Nun entsteht aber die Frage: Warum ist der Nervenstrang unterbrochen? — Er ist unterbrochen aus dem Grunde, weil wir, wenn er nicht unterbrochen wäre, nicht eingeschaltet wären in den ganzen Vorgang. Nur dadurch, daß gewissermaßen der Impuls an der Unterbrechungsstelle überspringt - der gleiche Impuls, wenn es ein Willensimpuls ist, geht schon von a aus -, dadurch sind wir selbst drinnen in der Welt, dadurch sind wir bei diesem Impuls dabei. Würde er einheitlich sein, würde hier nicht eine Unterbrechung sein, so wäre das ganze ein Naturvorgang, ohne daß wir dabei wären.

Stellen Sie sich denselben Vorgang, den Sie bei einer sogenannten Reflexbewegung haben, vor: Eine Fliege setzt sich Ihnen irgendwo hin, der ganze Vorgang kommt Ihnen gar nicht voll zum Bewußtsein, aber Sie wehren die Fliege ab. Dieser ganze Vorgang hat sein Analogen, sein ganz gerechtfertigtes Analogen auf physikalischem Gebiete. Insofern dieser Vorgang physikalische Erklärung herausfordert, muß diese Erklärung nur etwas komplizierter sein als ein anderer physikalischer Vorgang. Nehmen Sie an, Sie haben hier einen Kautschukball, Sie stoßen hinein, Sie deformieren den Kautschukball: das geht wieder heraus, richtet sich wieder her. Sie stoßen nochmals hinein; er stößt wieder heraus. Das ist der einfache physikalische Vorgang: eine Reflexbewegung.

Zeichnung aus GA 179, S. 15
Zeichnung aus GA 179, S. 15

Nur ist kein Wahrnehmungsorgan eingeschaltet, nichts Geistiges ist eingeschaltet. Schalten Sie hier etwas Geistiges ein (innerer Kreis) und unterbrechen Sie hier (Zentrum), dann fühlt sich die Kautschukkugel als ein Eigenwesen. Die Kautschukkugel müßte dann allerdings, um sowohl die Welt wie sich zu empfinden, ein Nervensystem einschalten. Aber das Nervensystem ist immer da, um die Welt in sich zu empfinden, niemals irgendwie da, um auf der einen Seite des Drahtes eine Sensation zu leiten und auf der andern Seite des Drahtes einen motorischen Impuls zu leiten.

Ich deute dieses an aus dem Grunde, weil dies, wenn es weiter verfolgt wird, auf einen der zahlreichen Punkte hinführt, wo Naturwissenschaft korrigiert werden muß, wenn sie zu Vorstellungen führen soll, die einigermaßen der Wirklichkeit gewachsen sind. Die Vorstellungen, die heute herrschen, sind eben weiter nichts als solche Vorstellungen, die den Impulsen der Geister der Finsternis dienen. Im Menschen selber ist die Grenze zwischen dem physischen Erleben und dem geistigen Erleben.

Dieses Stück des Nervs, das ich rot bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns hineinzustellen in die physische Welt, um uns Empfindung zu vermitteln innerhalb der physischen Welt. Das andere Stück des Nervs, das ich blau bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns selbst uns empfinden zu lassen als Leib. Und es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir eine Farbe außen bewußt erleben durch den Strang a-c, oder ob wir innerlich ein Organ oder eine Organlage oder dergleichen erleben durch den Strang d-b; das ist im wesentlichen dasselbe. Das eine Mal erleben wir ein Physisches, das nicht in uns zu sein scheint, das andere Mal erleben wir ein Physisches, das in uns ist, das heißt innerhalb unserer Haut. Dadurch aber sind wir eingeschaltet, daß wir bei einem Willensvorgang alles das erleben können, was nicht nur außen ist, sondern auch was innerlich an uns ist. Aber die Stärke der Wahrnehmung ist verschieden vermittelt durch den Strang a-c und durch den Strang d-b. Dasjenige, was eintritt, ist allerdings eine wesentliche Abschwächung der Intensität. Wenn wir eine Vorstellung mit einem Willensimpuls zusammen formen in a, so wird dieser Impuls von a aus weitergeleitet. Indem er von c auf d überspringt, schwächt sich das Ganze so ab für unser Bewußtsein, für unser bewußtes Erleben, daß wir das weitere, was wir nun in uns erleben, die Hebung der Hand und so weiter, nur mit der geringen Intensität des Bewußtseins erleben, die wir sonst auch im Schlafe haben. Wir sehen das Wollen erst wiederum, wenn die Hand sich bewegt, wenn wir wieder von einer andern Seite her eine Sensation haben.“ (Lit.:GA 179, S. 11ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Wolf Singer in: Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 30ff.