Viele-Welten-Interpretation und Atlas (Mythologie): Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Joachim Stiller
 
imported>Joachim Stiller
 
Zeile 1: Zeile 1:
[[Datei:Schroedingers cat film.svg|mini|Veranschaulichung der Separation des [[Universum]]s aufgrund zweier [[Superposition (Physik)|überlagerter]] und [[Quantenverschränkung|verschränkter]] [[Zustand (Quantenmechanik)|quantenmechanischer Zustände]] anhand von [[Schrödingers Katze]]]]
[[Datei:Atlas, pazo de Bendaña, praza do Toural, Santiago de Compostela.jpg|mini|Atlas trägt das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern. (Statue auf dem ''Plaza del Toral'' in [[Santiago de Compostela]], 18. Jahrhundert)]]
Die '''Viele-Welten-Interpretation''' ('''VWI'''; von [[Englische Sprache|engl.]] ''{{lang|en|many-worlds interpretation}}'', Abk.: '''''{{lang|en|MWI}}''''') ist in der [[Physik]] eine [[Interpretationen der Quantenmechanik|Interpretation der Quantenmechanik]]. Sie geht auf den US-amerikanischen Physiker [[Hugh Everett|Hugh Everett III.]] zurück und ist wie die traditionelle [[Kopenhagener Deutung]] ([[Niels Bohr|Bohr]]/[[Werner Heisenberg|Heisenberg]]) eine weit verbreitete, wenn auch umstrittene [[Quantenmechanik]]-Interpretation.<ref name="Tegmark_2009">{{Literatur |Autor=[[Max Tegmark]] |Titel=Many Worlds in Context |Ort=[[Massachusetts Institute of Technology]] ([[Cambridge (Massachusetts)|Cambridge]]/USA) |Datum=2009 |arxiv=0905.2182v2}}</ref> Andere Namen sind '''Everett-Interpretation''', '''EWG-Interpretation''' (Everett/[[John Archibald Wheeler|Wheeler]]/[[R. Neil Graham|Graham]])''', Theorie-der-universellen-Wellenfunktion, Viele-Vergangenheiten-Interpretation''', '''Viele-Welten-Theorie''' oder schlicht '''Viele-Welten'''.
'''Atlas''' ({{grcS|Ἄτλας|Átlas}}, vom Wortstamm {{lang|grc|τλα}} wie in {{lang|grc|τλῆναι|tlḗnai|de=tragen, erdulden}}) ist in der [[Griechische Mythologie|griechischen Mythologie]] ein [[Titan (Mythologie)|Titan]], der das [[Himmel (planetär)|Himmelsgewölbe]] am westlichsten Punkt der damals bekannten Welt stützte. Er ist somit auch die [[Personifizierung]] des [[Atlas (Gebirge)|Atlasgebirges]].


Everett formulierte relative [[Zustand (Quantenmechanik)|quantenmechanische Zustände]] im Jahre 1957. Der US-Physiker [[Bryce DeWitt]] verbreitete diese Theorie in den 1960er und 1970er Jahren unter ''Viele-Welten'' und bezeichnete damit die unterschiedlichen Zustände des [[Quantensystem]]s nach einer Messung.<ref name="DeWitt_1970">{{Literatur |Autor=[[Bryce DeWitt|Bryce S. DeWitt]] |Titel=Quantum mechanics and reality |Sammelwerk=physicstoday |Band=Vol.&nbsp;23 |Nummer=9 |Datum=1970 |Seiten=30 |DOI=10.1063/1.3022331}}</ref> Die VWI enthält keinen [[Kollaps der Wellenfunktion]] und erklärt dessen subjektives Erscheinen mit dem Mechanismus der Quanten-[[Dekohärenz]], was die physikalischen Paradoxa der Quantentheorie, wie das [[Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon|EPR]]-Paradoxon und das [[Schrödingers Katze|Schrödinger's Katze-Paradoxon]], auflöst, da jedes mögliche Ergebnis jedes Ereignisses in seiner eigenen "Vergangenheit" oder "Welt" definiert ist und tatsächlich existiert.<ref name="Everett_1957">{{Literatur |Autor=[[Hugh Everett|Hugh Everett III]] |Titel=“Relative State” Formulation of Quantum Mechanics |Sammelwerk=Reviews of modern physics |Band=Vol.&nbsp;29 |Datum=1957 |Seiten=454–462 |DOI=10.1103/RevModPhys.29.454}}</ref>
== Mythos ==
=== Abstammung ===
Atlas war der Sohn des Titanen [[Iapetos]] und der [[Okeanide]] (Meeresnymphe) [[Asia (Mythologie)|Asia]],<ref>''[[Bibliotheke des Apollodor]]'' 1.2.3</ref> auch Klymene<ref>[[Hesiod]], [[Theogonie]] 359; [[Homer]], [[Odyssee]] 1.51-54</ref> genannt. [[Hyginus Mythographus]], der das Urweltliche der Gestalt herausstreichen wollte, machte Atlas zum Sohn von [[Aither|Aether]] und [[Gaia (Mythologie)|Gaia]].<ref>Hyginus, ''[[Genealogiae|Fabulae]]'' (Vorwort)</ref> Er hatte drei Brüder, nämlich [[Menoitios (Sohn des Iapetos)|Menoitios]], [[Prometheus]] und [[Epimetheus]].<ref>Hesiod, ''Theogonie'' 507ff; Homer, ''Odyssee'' 1.51-54</ref>


== Motivation und grundlegende Konzepte ==
=== Bestrafung ===
Die [[Kopenhagener Interpretation]] galt zu Everetts Zeiten als die vorherrschende Lehrmeinung. Viele Physiker sahen jedoch einen Widerspruch zwischen der [[Determinismus|deterministischen]] Zeitentwicklung eines quantenphysikalischen Zustandes nach der kontinuierlichen [[Schrödingergleichung]] und der Forderung nach einem [[probabilistisch]]en und instantanen [[Kollaps der Wellenfunktion]] im Augenblick einer Messung (vgl. auch ''[[Mathematische Struktur der Quantenmechanik#Postulate der Quantenmechanik (Kopenhagener Interpretation)|Postulate der Quantenmechanik]]''). Damit sieht die Kopenhagener Interpretation zwei [[Komplementarität|komplementäre]] Dynamiken: Zum einen die [[Reversibler Prozess|reversible]] und deterministische Entwicklung des Zustandes in einem unbeobachteten System, zum anderen eine sprunghafte, [[Irreversibler Prozess|irreversible]] und nichtlokale Änderung des Zustandes bei einer Messung. Die Begründer der Kopenhagener Interpretation rechtfertigten dies mit der Notwendigkeit von klassischen Begriffen, die eine Unterteilung des Gesamtsystems in klassischen und quantenmechanischen Bereich unausweichlich macht: Nur wenn ein Messergebnis mit klassischen Begriffen beschreibbar ist, kann das Messergebnis als eindeutiges und irreversibel eingetretenes Ereignis (Faktum) gelten.
Atlas und sein Bruder Menoitios sahen sich nach dem [[Titanomachie|Titanenkampf]] gegen die [[Olympier]] auf der Seite der Verlierer und wurden für ihre Loyalität zu [[Kronos]] von [[Zeus]] bestraft. Anders als die meisten anderen Titanen wurde Atlas aber nicht in den [[Tartaros]] verbannt, sondern erhielt die beschwerliche Aufgabe, an Gaias (Personifizierung der Erde) westlichem Rand zu stehen und dort den [[Uranos]] (Personifizierung des Himmels) zu stemmen, um so zu verhindern, dass jene beide ihre urweltliche Umklammerung wieder aufnähmen. (Denn in [[Urzeit]]en war Gaia es überdrüssig geworden, dauernd von [[Uranos#Der Schöpfungs-Mythos|Uranos]] vergewaltigt zu werden). So wurde Atlas zum ''Atlas Telamon'' (= verankerter Atlas) und erhielt mit [[Koios (Mythologie)|Koios]], der die [[Weltachse]], um die sich der Himmel dreht, personifiziert, ein Gegenstück.<ref>P. R. Hardie, "Atlas and Axis" ''The Classical Quarterly'' N.S. 33.1 (1983:220-228)</ref>


Everetts Motivation war es vornehmlich, das Kollapspostulat sowie die [[Wahrscheinlichkeitsinterpretation]] aus den anderen [[Axiom]]en abzuleiten. Er zielte auf eine Vereinfachung der Axiomatik der Quantenmechanik. Er wollte dadurch auch eine Möglichkeit der internen Anwendung der Quantenmechanik, also eine Anwendung des Formalismus auf ein rein quantenmechanisches System geben.<ref name="Everett_1957" /> Dies ist in der Kopenhagener Interpretation aufgrund der Unterteilung in klassische und quantenmechanische Bereiche nicht möglich. Diese Fragestellung war insbesondere für die Entwicklung einer konsistenten Theorie der [[Quantengravitation]] von großem Interesse. Ein oft zitiertes Beispiel für eine solche interne Anwendung ist die Formulierung einer [[Wellenfunktion]] des Universums, also die Beschreibung eines rein quantenmechanischen Universums ohne außenstehenden Beobachter.
==== Treffen mit Perseus ====
[[Datei:Atlas Turned to Stone Edward Burne Jones.jpg|mini|Atlas wird zu Stein. Rechts entflieht Perseus auf seinen Flügelschuhen. (Gemälde von [[Edward Coley Burne-Jones]], 1882, Southampton City Art Gallery)]]
In einer spät entstandenen Sage ist Zeus’ Vergeltung an Atlas indirekter Natur; Ovid erzählt dazu: Nachdem [[Perseus (Mythologie)|Perseus]] im Land der [[Hyperboreer]] die [[Gorgonen|Gorgo]] [[Medusa]], deren schrecklicher Anblick jeden augenblicklich zu Stein erstarren ließ, enthauptet hatte, gelangte er auf seiner Weiterreise zum Palast des Atlas. Der Titan aber verweigerte ihm die gastliche Aufnahme, weil das [[Orakel von Delphi|Orakel]] einst geweissagt hatte, ein Sohn des Zeus würde erscheinen und die Äpfel seiner Tochter rauben (→ [[Hesperiden]]). Der erboste Perseus hielt ihm daraufhin das erbeutete Haupt der Medusa entgegen, worauf der Titan zu einem gigantischen Felsen, dem Atlasgebirge, versteinerte.<ref>Ovid, [[Metamorphosen (Ovid)|Metamorphosen]] IV.617ff</ref>


In seinem ursprünglichen Artikel ''Relative State Formulation of Quantum Mechanics'' von 1957<ref name="Everett_1957" /> zielt Everett darauf ab, die Quantenmechanik ''nur'' von der deterministischen Entwicklung eines Zustandes gemäß der Schrödingergleichung zu rekonstruieren, er verzichtet also auf ein Kollapspostulat und versucht, den Messvorgang nur unter Benutzung der Schrödingergleichung zu beschreiben. Er legt dabei Wert darauf, dass der Wellenfunktion keine [[a priori|a-priori]]-Interpretation zukommt, diese müsse erst aus der Korrespondenz mit der Erfahrung gewonnen werden. Der Rahmen der Interpretation sei allerdings durch die Theorie bestimmt. Everett betont, dass auch eine Beschreibung des Beobachters im Rahmen der Theorie notwendig sei.
=== Treffen mit Herakles ===
In seiner elften Arbeit für [[Eurystheus]] sollte [[Herakles]] die goldenen Äpfel der Hesperiden beschaffen. Diese gediehen an einem Baum, der ein Hochzeitsgeschenk der Erdgöttin Gaia an [[Hera]] war. Letztere vertraute den Apfelbaum den Hesperiden, den Töchtern des Atlas, an. Er wuchs an einem Hang des Atlasgebirges und wurde vom hundertköpfigen Drachen [[Ladon (Mythologie)|Ladon]] bewacht.
Als Herakles bei seiner Exkursion auf Atlas traf und sich erklärte, anerbot sich Atlas, die Äpfel für Herakles zu pflücken, damit ihm der Kampf gegen den argwöhnischen Drachen erspart bliebe. Währenddessen sollte Herakles Atlas beim Tragen des Firmaments ablösen. Der Held bedankte sich und lud die Himmelssphäre auf seine Schultern, während der Titan die goldenen Äpfel besorgte. Berauscht von seiner neuen Freiheit wollte Atlas diese nun selbst dem Eurystheus bringen. Auch damit war Herakles zum Schein einverstanden, bat aber Atlas die Last nochmals für kurze Zeit zu übernehmen, damit er seinen Umhang neu ordnen könne, um so ein Stoffpolster zwischen Schulter und Last zu schaffen. Atlas erfüllte ihm diesen Dienst; Herakles dagegen machte sich mit der Beute auf und davon.


Everett entwickelte zunächst das Konzept der relativen Zustände von zusammengesetzten Systemen: Kommt es zu Wechselwirkungen zwischen Teilen des Systems, so sind die Zustände dieser Teile nicht mehr unabhängig voneinander, sondern auf eine bestimmte Art und Weise [[Korrelation|korreliert]]. Unter diesem Gesichtspunkt behandelt er auch die Messung an einem Quantensystem. Den Beobachter definiert Everett dabei durch ein beliebiges Objekt mit der Fähigkeit, sich an das Ergebnis der Messung zu erinnern. Dies bedeutet, dass sich der Zustand des Beobachters durch das Ergebnis der Messung verändert. Die Messung wird somit lediglich als spezielle Art der Interaktion zweier Quantensysteme behandelt. Sie ist damit, anders als in einigen anderen Interpretationen, ''nicht'' von den Axiomen her ausgezeichnet.
== Darstellung ==
[[Datei:MAN Atlante fronte 1040572.JPG|mini|''[[Farnesische Sammlungen|Farnese Atlas]]'' (Römische Kopie einer hellenistischen Skulptur, 2. Jahrhundert, [[Archäologisches Nationalmuseum Neapel|Museo Archeologico Nazionale]], Neapel)]]
Ursprünglich wurde Atlas in der [[Bildende Kunst|Bildenden Kunst]] meist als Träger dargestellt und als ''[[Atlant]]'' übernahm er in der Architektur sowohl eine stützende wie auch dekorative Funktion. Bei späteren Abbildungen trägt er dann die [[Himmelskugel]] oder nicht selten den [[Globus]].


Indem er die relativen Zustände des Beobachters zum beobachteten System formal im Sinne der dynamischen Entwicklung der Schrödingergleichung analysiert, ist Everett in der Lage, einige Axiome der Kopenhagener Interpretation zu reproduzieren, allerdings ohne einen Kollaps der Wellenfunktion. Stattdessen „verzweigt“ die Wellenfunktion – einschließlich der Beobachter – in verschiedene Ausprägungen, die einander [[Superposition (Physik)|überlagert]] sind und nicht miteinander interagieren können. Diese Zweige sind es, die [[Bryce DeWitt]] später als die namensgebenden vielen Welten bezeichnet, wobei die vielen Welten allerdings ''keine'' räumlich getrennten Welten, sondern getrennte Zustände im jeweiligen [[Zustand (Quantenmechanik)|Zustandsraum]] sind. Everett selber sprach von relativen Zuständen; seine Interpretation bezeichnete er ursprünglich als ''Correlation Interpretation'' und dann als ''Relative State Formulation''. Er verstand diese als Metatheorie zur Quantenmechanik.
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Atlas (Mythologie)}}
== Rezeption ==
* {{WikipediaDE|Ubelluri}}
Unter Anleitung seines Doktorvaters [[John Archibald Wheeler]] veröffentlichte Everett eine verkürzte Version seiner Dissertation (''The Theory of the Universal Wave Function'') unter dem Titel ''‘Relative State’ Formulation of Quantum Mechanics'' im Fachmagazin [[Physical Review|Reviews of Modern Physics]]. Vorausgegangen waren unter anderem Gespräche mit einem der Begründer der Kopenhagener Interpretation, [[Niels Bohr]], der sich ablehnend gegenüber Everetts Arbeit äußerte. Daraufhin pochte Wheeler, selbst Schüler von Bohr, auf eine Neufassung, die vor allem die scharfe Kritik Everetts an der Kopenhagener Interpretation verkürzte. Obgleich den meisten führenden Physikern Everetts Arbeit bekannt war, wurde seine Formulierung in der folgenden Dekade nahezu ignoriert. Frustriert und unverstanden zog sich Everett schließlich aus der Physik zurück und widmete sich der militärpolitischen Beratung des Pentagons in Fragen des Nukleareinsatzes.<ref>{{Literatur |Autor=Peter Byrne |Titel=Viele Welten. Hugh Everett III |TitelErg=ein Familiendrama zwischen kaltem Krieg und Quantenphysik |Verlag=Springer |Ort=Heidelberg |Datum=2012 |ISBN=978-3-642-25179-5 |Originaltitel=The many worlds of Hugh Everett III |Originalsprache=en |Übersetzer=Anita Ehlers}}</ref>
 
Im Jahre 1970 veröffentlichte der amerikanische Physiker Bryce DeWitt in [[Physics Today]] einen Aufsatz mit dem Titel ''Quantum mechanics and reality'', der die Everett’sche Interpretation aufgriff und neu zur Diskussion stellte. In diesem Aufsatz führte er auch den Begriff ''Many-Worlds-Interpretation'' ein.<ref name="DeWitt_1970" /> In den Folgejahren gewann die Viele-Welten-Interpretation stark an Popularität, was auch auf die Entwicklung der [[Dekohärenz]]theorie zurückzuführen ist. Diese geht ebenfalls von einer möglichst weitreichenden Gültigkeit der Schrödingergleichung aus, was dem Konzept der Kopenhagener Interpretation zuwiderläuft.<ref>{{Internetquelle |autor=H. Dieter Zeh |url=http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~as3/KarlsruheText.pdf |titel=Dekohärenz und andere Quantenmißverständnisse |datum=2011-05 |zugriff=2014-04-28 |format=PDF 180&nbsp;kB}}</ref>
 
Auch im Bereich der [[Quantenkosmologie]] und [[Quantengravitation]] erfreute sich der Everett'sche Ansatz wachsender Beliebtheit, da er bisher die einzige Interpretation war, in der es überhaupt sinnvoll war, von einem Quantenuniversum zu sprechen.<ref name="DeWitt_1967">{{Literatur |Autor=Bryce DeWitt |Titel=Quantum Theory of Gravity. I. The Canonical Theory |Sammelwerk=Physical Review |Band=160 |Nummer=12 |Datum=1967 |Seiten=1113–1148 |DOI=10.1103/PhysRev.160.1113}}</ref> Die Idee der universellen Wellenfunktion wurde ebenfalls von einer Reihe von Physikern aufgenommen und weiterentwickelt, unter anderen Wheeler und DeWitt bei der Entwicklung der [[Wheeler-DeWitt-Gleichung]] der Quantengravitation<ref name="DeWitt_1967" /> sowie [[James Hartle]] und [[Stephen W. Hawking]] (Hartle-Hawking-Randbedingung für eine universelle Wellenfunktion).<ref>{{Literatur |Autor=James Hartle, Stephen W. Hawking |Titel=The Wave function of the Universe |Sammelwerk=Physical Review D |Band=28 |Nummer=5 |Datum=1983 |Seiten=2960–2975 |DOI=10.1103/PhysRevD.28.2960}}</ref> Die Viele-Welten-Interpretation entwickelte sich aus einem Nischendasein zu einer populären Interpretation, zu deren grundlegendem Ansatz sich viele der führenden Physiker des späten 20. Jahrhunderts bekannten (u.&nbsp;a. [[Murray Gell-Mann]],<ref>{{Literatur |Autor=Murray Gell-Mann |Titel=The Quark and the Jaguar: Adventures in the Simple and the Complex |Verlag=Owl Books |Datum=2002 |ISBN=0-7167-2725-0}}</ref> Stephen W. Hawking,<ref>{{Literatur |Autor=Stephen W. Hawking |Titel=Black Holes and Thermodynamic |Sammelwerk=Physical Review D |Band=13 |Nummer=2 |Datum=1976 |Seiten=191–197 |DOI=10.1103/PhysRevD.13.191}}</ref> [[Steven Weinberg]]<ref>{{Literatur |Autor=Steven Weinberg |Titel=Dreams of a Final Theory |Verlag=Vintage |Datum=1994 |ISBN=0-679-74408-8}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Frank J Tipler |Titel=The Physics of Immortality: Modern Cosmology, God and the Resurrection of the Dead |Verlag=Anchor |Datum=1997 |ISBN=0-385-46799-0 |Seiten=<!-- 170-171 (?)-->}}</ref>). Es wurde auch versucht, das Konzept der Viele-Welten-Interpretation weiterzuentwickeln. Daraus entstand beispielsweise die [[Interpretationen der Quantenmechanik#Konsistente-Historien-Interpretation|Consistent-Histories-Interpretation]], die versuchte, das Grundkonzept von Everetts Ansatz, die universelle Gültigkeit der Schrödingergleichung, weiterzuführen, allerdings ohne die Existenz vieler Welten.
 
Heute ist die Viele-Welten-Interpretation neben der traditionellen Kopenhagener Interpretation die populärste Interpretation der Quantenmechanik,<ref name="Tegmark_2009" /> obgleich Einwände weiterhin kontrovers diskutiert werden. Es finden sich viele Vertreter, insbesondere im Bereich der Quantenkosmologie und der in den 1980ern und 1990ern entwickelten [[Quanteninformation]]. Zu den populärsten Verfechtern der Viele-Welten-Interpretation gehören zurzeit der israelische Physiker [[David Deutsch (Physiker)|David Deutsch]] und der deutsche Physiker [[Dieter Zeh]], einer der Begründer der Dekohärenztheorie. Nach Zeh besteht aus empirischer Sicht ein Vorzug der VWI darin, dass sie die a priori sehr unwahrscheinliche „Feinabstimmung“ der Naturkonstanten, die Leben im Universum erst möglich gemacht hat, plausibel erklären könne, ohne auf ein starkes, zielgerichtetes [[anthropisches Prinzip]] zurückgreifen zu müssen, das an den Plan eines intelligenten Schöpfergottes erinnere und damit religiös gefärbt und nicht naturwissenschaftlich sei ([[Intelligent Design]]). Nach der VWI ist die Tatsache, dass unser Zweig des Multiversums trotz der extrem geringen Wahrscheinlichkeit intelligentes Leben ermöglicht hat, einfach nur darauf zurückzuführen, dass in den unzähligen anderen Zweigen des Everett'schen Multiversums, die diese Voraussetzungen nicht bieten, keine intelligenten Lebewesen existieren, die sich diese Frage überhaupt stellen können. Wir leben also deshalb in einer lebensfreundlichen Welt, weil wir uns in den vielen lebensfeindlichen Welten, die es demnach ebenso gibt, nicht hätten entwickeln können (schwaches anthropisches Prinzip). <ref name="zeh">{{Internetquelle |autor=H. Dieter Zeh |url=http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~as3/VieleWelten.pdf |titel=Wozu braucht man „viele Welten“ in der Quantentheorie? |datum=2012-09 |zugriff=2014-04-30 |format=PDF; 235&nbsp;kB}}</ref>
 
Widerstand gegen die VWI kommt vor allem von Physikern, welche die Quantenmechanik lediglich als Rechenanleitung im mikroskopischen Bereich sehen und die grundsätzliche Unverständlichkeit der Quantenmechanik betonen ({{" |lang=en |Text=''Shut-up-and-calculate''}}). Ein bekannter Vertreter dieser Position ist der deutsche Nobelpreisträger [[Theodor Hänsch]].<ref>{{Internetquelle |url=http://www.drillingsraum.de/theodor_haensch/theodor_haensch_6.html |titel=Interpretationen der Quantenmechanik – Interview Theodor Hänsch |hrsg=drillingsraum.de |datum=2011-08-29 |zugriff=2012-05-05}}</ref>
 
== Formaler Zugang ==
=== Grundlegende Bemerkungen ===
Die Viele-Welten-Interpretation bezieht sich im Wesentlichen auf ein Postulat:<ref name="Tegmark_1997">{{Literatur |Autor=Max Tegmark |Titel=The Interpretation of Quantum Mechanics: Many Worlds or many words? |Datum=1997 |arxiv=quant-ph/9709032v1}}</ref>
* Jedes [[Abgeschlossenes System|isolierte System]] entwickelt sich gemäß der Schrödingergleichung <math>\mathrm{i}\hbar\frac{\partial}{\partial t}|\psi\rangle = \hat{H} |\psi\rangle</math>
Insbesondere mit dem Weglassen der Reduktion des Zustandsvektors ergeben sich aus diesem Postulat zwei wichtige Folgerungen:
# Da das [[Universum]] als Ganzes per definitionem ein isoliertes System ist, entwickelt sich auch dieses gemäß der Schrödingergleichung.
# Messungen können keine eindeutigen Ergebnisse haben. Stattdessen sind die unterschiedlichen Messergebnisse auch in unterschiedlichen Realitätszweigen („Welten“) realisiert (vgl. Beispiel).
Ein wichtiger Vorteil der VWI ist somit, dass sie im Gegensatz zur Kopenhagener Interpretation a priori keine Unterscheidung von klassischen und quantenmechanischen Zuständen kennt. Diese ergibt sich erst aus der Berechnung von Dekohärenzzeiten; bei einer sehr kleinen Dekohärenzzeit kann ein System als [[Quantenmechanik#Klassischer Grenzfall|quasiklassisch]] betrachtet werden. Rein formal ist allerdings in der VWI jedes System zunächst ein Quantensystem.
 
=== Relative Zustände ===
Everett entwickelte seinen Ansatz zunächst von einem Konzept der relativen Zustände, die er wie folgt einführte:
 
Ein Gesamtsystem <math>S</math> bestehe aus zwei Teilsystemen <math>S_1</math> und <math>S_2</math>, der [[Hilbertraum]] des Gesamtsystems <math>\mathcal{H}</math> ist das [[Tensorprodukt]] der Hilberträume der beiden Teilsysteme. <math>S</math> sei in einem [[Reiner Zustand|reinen Zustand]] <math>|\Psi\rangle</math>, dann gibt es zu jedem Zustand <math>|X\rangle</math> von <math>S_1</math> einen relativen Zustand <math>|Y\rangle</math> von <math>S_2</math>. Damit lässt sich der Zustand des Gesamtsystems als
:<math>|\Psi\rangle = \sum_{i,j}\alpha_{ij}|X_i\rangle|Y_j\rangle</math>
schreiben, wobei <math>|X_i\rangle</math> und <math>|Y_j\rangle</math> [[Basis (Vektorraum)|Basen]] der Teilsysteme sind. Für beliebige <math>|X_k\rangle</math> lässt sich nun ein relativer Zustand im Bezug auf das Gesamtsystem folgendermaßen konstruieren:
:<math>|\Psi;X_{k, \mathrm{rel}}\rangle=N_k\sum_j\alpha_{kj}|Y_j\rangle</math>,
wobei <math>N_k</math> eine Normierungskonstante ist. Dieser Zustand des Systems ist unabhängig von der Wahl der Basis <math>\{|X_k\rangle\}</math>. Es gilt außerdem:
:<math>|\Psi\rangle=\sum_k\frac{1}{N_k}|X_k\rangle|\Psi;X_{k,rel}\rangle=\sum_k\sum_j\alpha_{kj}|X_k\rangle|Y_j\rangle</math>
Somit ist es offensichtlich sinnlos, den Teilsystemen bestimmte (unabhängige) Zustände zuzuordnen. Es ist nur möglich, einem Teilsystem einen relativen Zustand bezüglich eines bestimmten Zustandes des anderen Teilsystems zuzuordnen. Die Zustände der Teilsysteme sind somit korreliert. Daraus folgt eine fundamentale ''Relativität der Zustände'' bei der Betrachtung zusammengesetzter Systeme.
 
Einfache zusammengesetzte Systeme sind beispielsweise [[Quantenverschränkung|verschränkte]] Systeme wie bei Experimenten zur Verletzung der [[Bellsche Ungleichung|Bellschen Ungleichung]]: In diesem Fall kommen beide [[Spinor|Spinkomponenten]] als Basis infrage. Es ist erst möglich, eine sinnvolle Aussage über den Zustand eines Teilsystems zu machen, wenn der Zustand des anderen Systems feststeht. Dadurch ist es auch nicht sinnvoll, von einer absoluten Zerlegung des Zustands des Gesamtsystems nach Zuständen der beiden Teilsysteme zu sprechen, sondern nur von einer relativen Zerlegung bezüglich eines bestimmten Zustandes der beiden Teilsysteme.


=== Der Beobachtungsprozess ===
== Literatur ==
Der Beobachter mit den o.&nbsp;g. Eigenschaften wird durch einen Zustandsvektor <math>\Psi^B_{[a, b, c, \dots]}</math> beschrieben, wobei <math>a,b,c,\dots</math> die Ereignisse sind, die der Beobachter bisher registriert hat.
* {{RE|II,2|2119|2133|Atlas 3|Konrad Wernicke|RE:Atlas 3}}
 
Everett untersuchte mehrere Fälle von Beobachtungen. Dabei lässt sich das zu untersuchende Quantensystem stets durch den Zustand <math>\sum_n a_n|S_n\rangle</math> beschreiben. Die Zustände des Beobachters seien dabei zu verschiedenen Messdaten klassisch unterscheidbar, es gibt keine Kohärenzen zwischen einzelnen Zuständen des Beobachters.
 
Everett betrachtete nun zunächst mehrfache Beobachtungen eines Systems:
 
:<math>\sum_n a_n|S_n\rangle\otimes\Psi^B_{[\dots]}\longrightarrow\sum_n a_n|S_n\rangle\otimes\Psi^B_{[\dots,S_n]}\longrightarrow \sum_n a_n|S_n\rangle\otimes\Psi^B_{[\dots,S_n,S_n]}</math>
 
Registriert der Beobachter einmal das Ergebnis <math>S_n</math>, so wird die Messung stets dasselbe Ergebnis ergeben, Wiederholung des Experiments am selben System führt daher zum selben Ergebnis. Analoge Betrachtungen zeigen, dass die Durchführung derselben Messung an verschiedenen, identisch präparierten Systemen, im Allgemeinen zu verschiedenen Messergebnissen führt sowie dass mehrere Beobachter am selben System auch immer dasselbe messen.
 
Das nächste Ziel ist es nun, einer Sequenz von Messungen <math>[S_{n_1}^1,S_{n_2}^2, \dots, S_{n_N}^N]</math> ein [[Maß (Mathematik)|Maß]] zuordnen, das für einen Beobachter innerhalb des Systems die Wahrscheinlichkeit der Beobachtung einer bestimmten Sequenz darstellt. Dazu betrachtete Everett zunächst eine Superposition [[Orthogonalsystem|orthonormierter]] Zustände <math>\phi_i</math>, die durch
 
:<math>\alpha\phi'=\sum_ia_i\phi_i</math>
 
gegeben ist, wobei <math>\phi'</math> bereits [[Norm (Mathematik)|normiert]] sein soll. Damit ist direkt ersichtlich, dass <math>|\alpha|^2=\sum_i a^*_ia_i</math> gilt. Nun forderte Everett, dass das Maß für den Zustand <math>\phi'</math>, das nur von <math>|\alpha|</math> abhängen kann, gleich der Summe der Maße der <math>\phi_i</math> ist, damit gilt:
 
:<math>m(\alpha) = m \left(\sqrt{\sum_i a^*_ia_i}\right) = \sum_i a^*_ia_i</math>
 
Diese Gleichung hat als einzige Lösung <math>m(a_i)=ca^*_ia_i</math>, somit hat eine Ereigniskette der o.&nbsp;g. Form das Maß
 
:<math>m\left[S_{n_1}^1, S_{n_2}^2, \dots, S_{n_N}^N\right] = \prod_i a^*_ia_i</math>
 
Wird dies faktorisiert, so kann <math>a^*_ia_i</math> als Wahrscheinlichkeit für das Ereignis <math>S_i</math> aufgefasst werden, was der [[Bornsche Wahrscheinlichkeitsinterpretation|Born'schen Regel]] entspricht.
 
Es existieren auch andere Herleitungen der Born'schen Regel aus dem reduzierten Satz von Axiomen, bekannt sind u.&nbsp;a. die von Deutsch<ref>{{Literatur |Autor=David Deutsch |Titel=Quantum Theory of Probability and Decisions |Sammelwerk=Proceedings of the Royal Society of London A |Band=455 |Datum=1999 |Seiten=3129–3137}}</ref> und Hartle<ref>{{Literatur |Autor=J. B. Harte |Titel=Quantum Mechanics of Individual Systems |Sammelwerk=American Journal of Physics |Band=36 |Datum=1968 |Seiten=704–712}}</ref>.
 
== Beispiel ==
Als Beispiel kann ein [[Doppelspaltexperiment]] mit einem einzigen Teilchen (z.&nbsp;B. ein [[Elektron]]) herangezogen werden. Ein Beobachter misst dabei, durch welches Loch das Teilchen gegangen ist. Das System Doppelspalt-Beobachter sei näherungsweise isoliert. Das Teilchen kann an Spalt 1 oder Spalt 2 registriert werden, dies seien die ([[Orthogonalität|orthogonalen]]) Zustände <math>|1\rangle</math> und <math>|2\rangle</math>. Des Weiteren wettet der Beobachter einen Geldbetrag darauf, dass das Teilchen bei Spalt 1 registriert wird, seine Erwartungshaltung <math>|\ddot-\rangle</math> wird sich also bei der Messung in Freude <math>|\ddot\smile\rangle</math> oder Enttäuschung <math>|\ddot\frown\rangle</math> umwandeln.
 
Nun kann gemäß der Schrödingergleichung ein [[Unitärer Operator|unitärer]] [[Zeitentwicklungsoperator]] <math>U</math> definiert werden. Dieser muss dementsprechend die Form <math>U=e^{-iH\tau/\hbar}</math> haben. Bezogen auf das Experiment sind folgende Anforderungen an den Operator gestellt:
* <math>U\left(|1\rangle\otimes|\ddot-\rangle\right)=|1\rangle\otimes|\ddot\smile\rangle</math> (Der Beobachter ist glücklich, wenn das Teilchen bei Spalt 1 registriert wird.)
* <math>U(|2\rangle\otimes|\ddot-\rangle)=|2\rangle\otimes|\ddot\frown\rangle</math> (Der Beobachter ist enttäuscht, wenn das Teilchen bei Spalt 2 registriert wird.)
 
Vor der Messung befindet sich das Teilchen in Superposition von zwei Zuständen, <math>|\psi^T\rangle=|1\rangle +|2\rangle</math>, der Beobachter befindet sich in Erwartungshaltung <math>|\psi^B\rangle=|\ddot-\rangle</math>, der Zustand des Gesamtsystems ist also <math>|\psi_\mathrm{ges}\rangle=|\psi^T\rangle\otimes|\psi^B\rangle=(|1\rangle+|2\rangle)\otimes|\ddot-\rangle</math>. Wird nun die Messung durchgeführt, so wird dies mathematisch beschrieben, indem der Operator <math>U</math> auf den Zustand des Gesamtsystems <math>|\psi_\mathrm{ges}\rangle</math> angewandt wird:
 
:<math>|\psi_\mathrm{ges}\rangle \longrightarrow U|\psi_\mathrm{ges}\rangle=U\left[(|1\rangle+|2\rangle)\otimes|\ddot-\rangle\right]=|1\rangle\otimes|\ddot\smile\rangle+|2\rangle\otimes|\ddot\frown\rangle</math>
Das Ergebnis ist also eine Superposition des zusammengesetzten Systems Teilchen am Doppelspalt und Beobachter. Dies ist offensichtlich ''kein'' eindeutiges Ergebnis, stattdessen findet sich eine Superposition der zwei möglichen Ergebnisse. Dieses Ergebnis wird in der VWI so interpretiert, dass sich im Augenblick der Messung das Universum verzweigt und die beiden mathematisch geforderten Ergebnisse in verschiedenen Welten realisiert sind. Dies ist konsistent, da der glückliche Beobachter formal keine Möglichkeit hat, mit dem unglücklichen Beobachter zu interagieren: Die beiden Zustände stehen im [[Konfigurationsraum]] vollständig orthogonal aufeinander. Somit ist durch die mathematische Struktur dieses Ergebnisses jegliche Interaktion ausgeschlossen.
 
Anhand dieses Beispiels kann auch ein weiterer wichtiger Umstand illustriert werden: Es findet an ''keiner'' Stelle eine nicht durch den Formalismus induzierte Aufspaltung statt. Die stattfindende Verzweigung ist vollständig durch die Dynamik der Zustände von Beobachter und System beschrieben. Sie ist also kein weiteres, unabhängiges Postulat. Dies bedeutet, dass der Messprozess in der VWI keine ausgezeichnete Bedeutung hat – er wird lediglich als Unterklasse gewöhnlicher Interaktionen behandelt.
 
== Kritik ==
=== Ontologie ===
Der wohl bekannteste und häufigste Kritikpunkt an der VWI betrifft ihre [[Ontologie]]: Ihr wird vorgeworfen, das Prinzip der Einfachheit ([[Ockhams Rasiermesser]]) zu verletzen, da sie zwar die Existenz von Myriaden verschiedener Welten voraussagt, jedoch selber den Beweis dafür liefert, dass diese nicht beobachtbar sind. Vertreter der VWI halten dem entgegen, dass die vielen Welten kein unabhängiges Postulat sind, sondern aus der universellen Gültigkeit der [[Schrödingergleichung]] folgen, also aus der konsequenten Anwendung einer empirisch gestützten Theorie. Dies verkürze und vereinfache die Axiomatik der Quantenmechanik. Demzufolge bevorzuge Ockhams Rasiermesser die VWI vor der [[Kopenhagener Interpretation]]. Ockhams Rasiermesser sei nicht auf bloße Existenzpostulate anzuwenden, sondern auf die dahinter stehenden theoretischen Annahmen. So gehe man schließlich auch davon aus, dass auch im Inneren von schwarzen Löchern die [[Relativitätstheorie]] ihre Gültigkeit behalte, auch wenn sich dies nicht direkt beobachten lässt. Die Kopenhagener Interpretation basiere demnach v.&#8239;a. auf dem suggestiven Effekt menschlicher Alltagswahrnehmungen, mache aber unnötige zusätzliche Annahmen, nur um nicht mit diesen in Konflikt zu geraten. Die Tatsache, dass Menschen keine makroskopischen [[Superposition (Physik)|Superpositionen]] wahrnehmen können, folge nach der VWI trivialerweise aus der [[Dekohärenz]] der [[Neuronen]] in unseren Gehirnen und aus der Beschaffenheit des menschlichen Bewusstseins. Daher bestehe gar keine Notwendigkeit, dem im Experiment zu beobachtenden [[Kollaps der Wellenfunktion]] mehr als nur subjektiven Charakter beizumessen. Die Kopenhagener Interpretation deute diesen Kollaps jedoch unnötigerweise in einem „objektiven“, absoluten Sinne und nehme dafür sogar in Kauf, dass er sich weder mathematisch beschreiben, noch plausibel theoretisch begründen lässt. Damit verletze sie das Prinzip der Einfachheit, während die VWI tatsächlich keine zusätzlichen Annahmen beinhalte, die über die bloße, experimentell gestützte Theorie hinausgehen. <ref name="zeh" />
 
=== Determinismusproblem ===
Ein von Kritikern häufig hervorgehobenes Problem der Viele-Welten-Interpretation ist die Frage, wie sie die Zufälligkeit von Quantenereignissen erklären kann. Gemäß der VWI wird bei einer Messung jedes Ergebnis tatsächlich realisiert. Dies wirft die Frage auf, inwiefern es sinnvoll ist, von einer Wahrscheinlichkeit zu sprechen, wenn doch tatsächlich alle Ergebnisse eintreten. Die Kritiker betonen, dass die VWI einen „übernatürlichen Beobachter“ erfordere, um die Wahrscheinlichkeitsinterpretation von Messungen überhaupt plausibel zu machen. Selbst dann würden die Erfahrungen realer Beobachter nicht erklärt.<ref>{{Literatur |Autor=Adrian Kent |Titel=Against Many-Worlds Interpretations |Sammelwerk=International Journal of Modern Physics A |Band=5 |Nummer=9 |Datum=1990 |ISSN=0217-751X |Seiten=1745–1762 |arxiv=gr-qc/9703089v1 |DOI=10.1142/S0217751X90000805}}</ref> Vertreter der VWI pochen hier auf eine strikte Unterscheidung von Außen- und Innenperspektive und argumentieren, dass für einen Beobachter aus der Innenperspektive ein Ereignis trotz der deterministischen Entwicklung eines Zustandes gemäß der Schrödingergleichung zufällig wirken kann.<ref name="Tegmark_1997" />
 
=== Basisproblem ===
Ein ebenfalls häufig geäußerter Kritikpunkt an der VWI ist das so genannte Basisproblem (''{{lang|en|Problem of preferred Basis}}'').<ref>{{Literatur |Autor=H. P. Stapp |Titel=The basis problem in many-worlds theories |Sammelwerk=Canadian Journal of Physics |Band=80 |Nummer=9 |Datum=2002 |Seiten=1043–1052 |DOI=10.1139/p02-068}}</ref> Da der Formalismus von den Axiomen her keine bevorzugte Basis festlegt, gibt es abgesehen von der intuitiv gewählten Aufspaltung in die klassischen Basiszustände stets unendlich viele Möglichkeiten für die Aufspaltung eines Quantenzustandes in verschiedene Welten. 1998 gelang es allerdings [[Wojciech Zurek]] mit Methoden der Dekohärenztheorie zu zeigen, dass die klassischen Basen durch die Struktur des [[Hamiltonoperator]]s sowie den Wert des [[Plancksches Wirkungsquantum|Planckschen Wirkungsquantums]] mathematisch insofern bevorzugt sind, als dass sie über einen längeren Zeitraum stabil sind. Dies hat zur Folge, dass die Objekte in diesen Zuständen lange genug bestehen, um von quasiklassischen Messgeräten wahrgenommen werden zu können.<ref>{{Literatur |Autor=Wojciech H. Zurek |Titel=Decoherence, Einselection and the Existential Interpretation (the Rough Guide) |Sammelwerk=Philosophical Transactions of the Royal Society of London A |Band=356 |Nummer=1743 |Datum=1998-08 |Seiten=1793–1821 |DOI=10.1098/rsta.1998.0250}}</ref> Verschiedene Physiker weisen außerdem darauf hin, dass die Frage nach der bevorzugten Basis bzw. der Umstand, dass man wohldefinierte Objekte in klassischen, makroskopischen Zuständen wahrnimmt, wohl auch mit der [[Evolution]] des Menschen in diesem Universum zusammenhänge.<ref>{{Literatur |Autor=Murray Gell-Mann, James Hartle |Hrsg=Wojciech H. Zurek |Titel=Quantum Mechanics in the Light of Quantum Cosmology |Sammelwerk=Complexity, Entropy and the Physics of Information |Verlag=Westview Press |Datum=1990 |ISBN=0-201-51506-7 |Seiten=425–459}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=David Deutsch |Titel=The Fabric of Reality: Towards a Theory of Everything |Auflage=Neue |Verlag=Penguin |Datum=2011 |ISBN=0-14-014690-3}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Roger Penrose |Titel=[[Schatten des Geistes|Shadows of the Mind: A Search for the Missing Science of Consciousness]] |Auflage=Neue |Verlag=Vintage Books |Datum=1995 |ISBN=0-09-958211-2}}</ref>
 
=== Metaphysikeinwand ===
[[Carl Friedrich von Weizsäcker]] weist darauf hin,<ref>{{Literatur |Autor=Carl-Friedrich von Weizsäcker |Titel=Aufbau der Physik |Verlag=Carl Hanser |Ort=München/Wien |Datum=1985 |ISBN=3-446-14142-1 |Kapitel=Elftes Kapitel: Das Deutungsproblem der Quantentheorie / Dreizehntes Kapitel: Jenseits der Quantentheorie |Seiten=563ff, 605f}}</ref> dass kein nennenswerter Unterschied zwischen der VWI und der Kopenhagener Interpretation im Rahmen einer [[Modallogik]] zeitlicher Aussagen bestehe, wenn rein semantisch „wirkliche Welten“ durch „mögliche Welten“ ersetzt werde: Die vielen Welten beschreiben den sich durch die Schrödingergleichung entwickelnden Möglichkeitsraum; die von einem realen Beobachter gemachte Beobachtung ist die Realisierung einer der formal möglichen Welten. V. Weizsäcker erkennt an, dass der Everett'sche Ansatz der einzige unter den üblichen Alternativen sei, der ''„nicht hinter das schon von der Quantentheorie erreichte Verständnis zurück-, sondern vorwärts über sie hinausstrebt“.''<ref>{{Literatur |Autor=Carl-Friedrich von Weizsäcker |Titel=Aufbau der Physik |Verlag=Carl Hanser |Ort=München/Wien |Datum=1985 |ISBN=3-446-14142-1 |Kapitel=Elftes Kapitel: Das Deutungsproblem der Quantentheorie |Seiten=564}}</ref> Everett sei jedoch „konservativ“ bei der Gleichsetzung von Realität und Faktizität geblieben. Sein eigentlicher – philosophischer – Einwand gegen die VWI sei, dass die Existenz einer Menge von Ereignissen („Welten“) gefordert werde, die ''„nicht [[Phänomen]]e werden können“.'' Die Quantenphysik sei aber gerade aus dem Versuch gefolgert, Phänomene konsistent zu beschreiben und vorherzusagen.<ref>{{Literatur |Autor=Carl-Friedrich von Weizsäcker |Titel=Aufbau der Physik |Verlag=Carl Hanser |Ort=München/Wien |Datum=1985 |ISBN=3-446-14142-1 |Kapitel=Dreizehntes Kapitel: Jenseits der Quantentheorie |Seiten=606}}</ref>
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Vile-Welten-Interpretation}}
* {{WikipediaDE|Parallelwelt}} (Multiversum)
* {{WikipediaDE|Quantenselbstmord}}


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.hedweb.com/manworld.htm Michael Clive Price – The Everett FAQ] (englisch)
{{Commonscat|Atlas (mythology)|Atlas (Mythologie)}}
* Dieter Zeh: [http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~as3/VieleWelten.pdf ''Wozu braucht man „Viele Welten“ in der Quantentheorie?''] (PDF; 170&nbsp;kB)
* {{Literatur
  |Autor=Max Tegmark
  |Titel=The Interpretation of Quantum Mechanics: Many Worlds or Many Words?
  |Sammelwerk=Fortschritte der Physik
  |Band=46
  |Nummer=6–8
  |Datum=1998-11-01
  |ISSN=1521-3978
  |Seiten=855–862
  |Sprache=en
  |arxiv=quant-ph/9709032v1
  |DOI=10.1002/(SICI)1521-3978(199811)46:6/8<855::AID-PROP855>3.0.CO;2-Q}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


[[Kategorie:Quantenphysik]]
{{Navigationsleiste Titanen (Griechische Mythologie)}}
 
{{Normdaten|TYP=p|GND=11884847X|VIAF=5728390}}
 
[[Kategorie:Titanen|201]]
[[Kategorie:Männliche Gottheit]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Aktuelle Version vom 18. August 2018, 16:44 Uhr

Atlas trägt das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern. (Statue auf dem Plaza del Toral in Santiago de Compostela, 18. Jahrhundert)

Atlas (altgriech. Ἄτλας Átlas, vom Wortstamm τλα wie in τλῆναι) ist in der griechischen Mythologie ein Titan, der das Himmelsgewölbe am westlichsten Punkt der damals bekannten Welt stützte. Er ist somit auch die Personifizierung des Atlasgebirges.

Mythos

Abstammung

Atlas war der Sohn des Titanen Iapetos und der Okeanide (Meeresnymphe) Asia,[1] auch Klymene[2] genannt. Hyginus Mythographus, der das Urweltliche der Gestalt herausstreichen wollte, machte Atlas zum Sohn von Aether und Gaia.[3] Er hatte drei Brüder, nämlich Menoitios, Prometheus und Epimetheus.[4]

Bestrafung

Atlas und sein Bruder Menoitios sahen sich nach dem Titanenkampf gegen die Olympier auf der Seite der Verlierer und wurden für ihre Loyalität zu Kronos von Zeus bestraft. Anders als die meisten anderen Titanen wurde Atlas aber nicht in den Tartaros verbannt, sondern erhielt die beschwerliche Aufgabe, an Gaias (Personifizierung der Erde) westlichem Rand zu stehen und dort den Uranos (Personifizierung des Himmels) zu stemmen, um so zu verhindern, dass jene beide ihre urweltliche Umklammerung wieder aufnähmen. (Denn in Urzeiten war Gaia es überdrüssig geworden, dauernd von Uranos vergewaltigt zu werden). So wurde Atlas zum Atlas Telamon (= verankerter Atlas) und erhielt mit Koios, der die Weltachse, um die sich der Himmel dreht, personifiziert, ein Gegenstück.[5]

Treffen mit Perseus

Atlas wird zu Stein. Rechts entflieht Perseus auf seinen Flügelschuhen. (Gemälde von Edward Coley Burne-Jones, 1882, Southampton City Art Gallery)

In einer spät entstandenen Sage ist Zeus’ Vergeltung an Atlas indirekter Natur; Ovid erzählt dazu: Nachdem Perseus im Land der Hyperboreer die Gorgo Medusa, deren schrecklicher Anblick jeden augenblicklich zu Stein erstarren ließ, enthauptet hatte, gelangte er auf seiner Weiterreise zum Palast des Atlas. Der Titan aber verweigerte ihm die gastliche Aufnahme, weil das Orakel einst geweissagt hatte, ein Sohn des Zeus würde erscheinen und die Äpfel seiner Tochter rauben (→ Hesperiden). Der erboste Perseus hielt ihm daraufhin das erbeutete Haupt der Medusa entgegen, worauf der Titan zu einem gigantischen Felsen, dem Atlasgebirge, versteinerte.[6]

Treffen mit Herakles

In seiner elften Arbeit für Eurystheus sollte Herakles die goldenen Äpfel der Hesperiden beschaffen. Diese gediehen an einem Baum, der ein Hochzeitsgeschenk der Erdgöttin Gaia an Hera war. Letztere vertraute den Apfelbaum den Hesperiden, den Töchtern des Atlas, an. Er wuchs an einem Hang des Atlasgebirges und wurde vom hundertköpfigen Drachen Ladon bewacht. Als Herakles bei seiner Exkursion auf Atlas traf und sich erklärte, anerbot sich Atlas, die Äpfel für Herakles zu pflücken, damit ihm der Kampf gegen den argwöhnischen Drachen erspart bliebe. Währenddessen sollte Herakles Atlas beim Tragen des Firmaments ablösen. Der Held bedankte sich und lud die Himmelssphäre auf seine Schultern, während der Titan die goldenen Äpfel besorgte. Berauscht von seiner neuen Freiheit wollte Atlas diese nun selbst dem Eurystheus bringen. Auch damit war Herakles zum Schein einverstanden, bat aber Atlas die Last nochmals für kurze Zeit zu übernehmen, damit er seinen Umhang neu ordnen könne, um so ein Stoffpolster zwischen Schulter und Last zu schaffen. Atlas erfüllte ihm diesen Dienst; Herakles dagegen machte sich mit der Beute auf und davon.

Darstellung

Farnese Atlas (Römische Kopie einer hellenistischen Skulptur, 2. Jahrhundert, Museo Archeologico Nazionale, Neapel)

Ursprünglich wurde Atlas in der Bildenden Kunst meist als Träger dargestellt und als Atlant übernahm er in der Architektur sowohl eine stützende wie auch dekorative Funktion. Bei späteren Abbildungen trägt er dann die Himmelskugel oder nicht selten den Globus.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Commons: Atlas (Mythologie) - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. Bibliotheke des Apollodor 1.2.3
  2. Hesiod, Theogonie 359; Homer, Odyssee 1.51-54
  3. Hyginus, Fabulae (Vorwort)
  4. Hesiod, Theogonie 507ff; Homer, Odyssee 1.51-54
  5. P. R. Hardie, "Atlas and Axis" The Classical Quarterly N.S. 33.1 (1983:220-228)
  6. Ovid, Metamorphosen IV.617ff



Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Atlas (Mythologie) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.