Apatheia

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Mit Apatheia (griech. ἀπάθεια apátheia „Unempfindlichkeit“, „Gelassenheit“) bezeichnet man in der Philosophie die Leidenschaftslosigkeit und den Gleichmut. Im philosophischen Sprachgebrauch ist der Begriff gewöhnlich positiv konnotiert, die Apatheia gilt als erstrebenswert. Völlig anders ist die medizinische Begriffsverwendung; in der Medizin versteht man unter Apathie (Teilnahmslosigkeit) ein Krankheitssymptom.

Antike Philosophie

Der Begriff Apatheia bezeichnet in der altgriechischen Sprache allgemein die Eigenschaft eines Dinges oder einer Person, keiner Beeinflussung durch etwas Äußeres zu unterliegen. Wenn es sich um eine Person handelt, ist das Fehlen von Gefühlsbewegungen und Gemütszuständen gemeint, die von Sinneswahrnehmungen ausgelöst werden. Im Gemüt desjenigen, bei dem Apatheia vorliegt, wird durch die Wahrnehmung von Sachverhalten in der Außenwelt keine Erregung ausgelöst. Daher ist er leidenschaftslos, bedürfnislos und selbstgenügsam; Sehnsucht und Begehren (epithymía) sind ihm ebenso fremd wie Furcht. Im weiteren Sinne ist mit Apatheia die Abwesenheit aller Affekte gemeint, also auch der angenehmen, die gewöhnlich als erwünscht gelten. Oft wird aber in der antiken Literatur der Begriff Apatheia in einem engeren Sinne verwendet, wonach nur oder in erster Linie als negativ empfundene bzw. aus philosophischer Sicht unerwünschte Gemütserregungen gemeint sind.[1]

In der antiken Philosophie wurde Apatheia im gemäßigten Sinn als Zurückdrängung und Beherrschung leidvoller und destruktiver Affekte wie Zorn, Furcht, Neid und Hass verstanden, im radikalen Sinn als völlige Austilgung solcher Gemütsbewegungen. Sie galt (zumindest im gemäßigten Sinn) als Voraussetzung für die Verwirklichung der Ataraxie (Unerschütterlichkeit des Gemüts) und wurde als hohes oder gar höchstes Gut betrachtet. In diesem Sinne hat Antisthenes, der Begründer des Kynismus, Apatheia als erstrebenswertes Ziel verstanden, wobei er Sokrates als Vorbild hinstellte. Die Stoiker übernahmen diese Idee und machten sie zu einem zentralen Bestandteil ihrer Lehre. Befreiung von der Tyrannei der Triebe und Affekte sollte Gelassenheit und Seelenfrieden sowie vernunftgemäßes Handeln ermöglichen. Zu den missbilligten Affekten zählten auch das Mitleid und die Reue, da sie Kummer verursachen, was für einen stoischen Weisen nicht akzeptabel ist. Weil Mitleid und Neid Ursache von Kummer sind, wurden sie auf dieselbe Stufe gestellt.[2] Vollkommene Apatheia galt als Kennzeichen des stoischen Weisen. So schrieb der Stoiker Mark Aurel[3]:

„Der Klippe gleich sein, an der sich ständig die Wogen brechen. Sie aber steht unerschüttert, und um sie herum beruhigt sich die Brandung.“

Die Apatheia wurde von den Stoikern nicht rein negativ als bloße Abwesenheit der unerwünschten Gemütszustände aufgefasst, sondern auch positiv als beständige Haltung (griechisch héxis) des Gleichmuts. So überschneidet sich der Begriff der Apatheia mit dem der Ataraxie. Die Apatheia galt nicht als Einzeltugend, sondern als Disposition, welche die Grundlage für ein tugendhaftes und vernunftgemäßes Leben bildet.

Die Befreiung von unerwünschten Affekten wurde zwar hauptsächlich von den Kynikern und Stoikern propagiert, aber auch die anderen Philosophenschulen stimmten mehr oder weniger mit diesem Ziel überein, denn Ataraxie war für alle (auch und besonders für die Epikureer) ein Gut von höchstem Rang. Eine klassische Formulierung für das Ideal des weltüberlegenen Menschen fand Horaz in den berühmten Versen:[4]

Si fractus inlabatur orbis
inpavidum ferient ruinae.
„Selbst wenn die Welt zerborsten einstürzt,
werden die Trümmer einen Furchtlosen treffen.“

Strittig war, wie weit man bei der Befreiung von den Affekten gehen sollte. In der Platonischen Akademie wandte sich besonders der Philosoph Krantor von Soloi gegen eine radikale Forderung nach Apatheia. Er vertrat in seiner Schrift Über die Trauer die Überzeugung, die Trauer der Hinterbliebenen um einen Verstorbenen sei naturgemäß und daher zuzulassen. Nur übermäßige und daher widernatürliche Affekte seien zu unterdrücken. Indolenz sei nicht mit der menschlichen Natur vereinbar und führe zur Vertierung.[5] Die Peripatetiker verwarfen die stoische Vorstellung, vollkommene Apatheia sei erreichbar und erstrebenswert. Sie folgten der Lehre ihres Schulgründers Aristoteles, wonach die Affekte nicht auszurotten, sondern nur auf das richtige Maß zu bringen sind (Metriopathie). Gegen Übertreibungen wandte sich auch Cicero mit dem Argument, Gefühllosigkeit sei unmenschlich, da der Mensch nicht aus Stein bestehe.[6] Gegen die Erreichbarkeit der Apatheia wurde argumentiert, dass das Empfinden von Leid (griechisch páthē) naturgegeben und daher eine völlige Befreiung davon illusorisch sei. Der These, Apatheia sei erstrebenswert, wurde entgegengehalten, die Affekte trügen zur Erlangung der Tugend bei und ihre Ausmerzung beeinträchtige die Fähigkeit, tugendhaft zu handeln.[7]

Gegen den Vorwurf, der stoische Weise sei hart und gefühllos, setzten sich die Stoiker zur Wehr. Der römische Stoiker Seneca meinte, das Auftauchen von Affekten und das unfreiwillige Bewegtwerden durch sie könne nicht vermieden werden, wohl aber sei es dem stoischen Weisen möglich, den Affekten keine Macht über sich zu gewähren und sein Handeln nicht von ihnen bestimmen zu lassen. Ähnlich gemäßigt hatte sich schon im 3. Jahrhundert v. Chr. Chrysippos von Soli geäußert. Es gab aber auch Vertreter radikaler Positionen; der Megariker Stilpon, der zur Ethik ähnliche Ansichten vertrat wie die Stoiker, soll der Meinung gewesen sein, dass der Weise nicht nur von den Affekten unbeeinflusst bleibe, sondern sie nicht einmal verspüre.[8]

Die Neuplatoniker, die auf Reinigung des Gemüts größten Wert legten und für Askese eintraten, waren der Ansicht, Apatheia als Freiheit von Leidenschaften sei der natürliche Zustand der von Unwissenheit erlösten Seele des Philosophen.

Ein besonderes philosophisches Problem stellte die göttliche Apatheia dar. Aristoteles hatte den göttlichen „ersten unbewegten Beweger“ als unwandelbar charakterisiert und ihm ausdrücklich Apatheia zugeschrieben.[9] Dies entsprach der in Philosophenkreisen verbreiteten Überzeugung, dass ein Gott keine Bedürfnisse verspürt und es nichts geben kann, was für ihn begehrenswert ist oder ihn stört. Von dieser Vorstellung der göttlichen Autarkie ging im 2. Jahrhundert v. Chr. der skeptisch denkende Platoniker Karneades aus, als er das Problem der göttlichen Apatheia formulierte. Er argumentierte, dass jedes Lebewesen als solches notwendigerweise eine Empfindungsfähigkeit für Angenehmes und Unangenehmes, für Lust und Leid aufweise. Dies gelte daher auch für einen als Lebewesen aufgefassten Gott. Wenn aber ein Gott an etwas Missfallen habe, so bedeute dies eine Veränderung in seinem Gemüt zum Schwächeren hin, und dies sei ein Element der Vergänglichkeit. Unveränderlichkeit und Unvergänglichkeit seien aber Definitionsmerkmale eines Gottes. Daher sei die Vorstellung, dass es Götter gibt, in sich widersprüchlich.

Judentum und Christentum

Menschliche Apatheia

Aus der stoischen Tradition übernahm der jüdische Philosoph und Theologe Philon von Alexandria das Apatheia-Ideal. Für ihn war die Befreiung von schädlichen Affekten (zu denen er auch lustvolle, aber aus seiner Sicht sündhafte Gemütsbewegungen zählte) oder zumindest deren Zügelung eine religiöse Pflicht. Ähnlich dachten zahlreiche östliche Kirchenväter wie Clemens von Alexandria, Origenes, Athanasios, Basilios, Gregor von Nyssa und besonders Euagrios Pontikos. Da die Kirchenväter, die für Apatheia eintraten, in Mönchskreisen sehr einflussreich waren, erlangte das Apatheia-Ideal in der mönchischen Askese des Ostens eine wichtige Rolle. Die christlichen Autoren vertraten es allerdings nicht in der radikalsten Variante, der zufolge sämtliche Affekte nur Störungen sind, sondern in mehr oder weniger gemäßigten Versionen. Der einflussreiche Schriftsteller Johannes Cassianus trug zur Vermittlung solchen Gedankenguts an den Westen bei.

Die lateinischsprachigen Kirchenväter, deren Gedankenwelt die Lehre der westlichen Kirche prägte, werteten die Affekte tendenziell positiver als die griechischsprachigen östlichen; besonders Augustinus und Hieronymus lehnten das Ideal der Apatheia (lateinisch impassibilitas) weitgehend ab.[10]

Apatheia Gottes

In der christlichen Theologie stellte das Konzept der Apatheia hinsichtlich des Gottesverständnisses ein Problem dar. Dabei handelte es sich im Prinzip um das schon von Karneades erkannte Dilemma. Einerseits schien die Vorstellung von Gottes ewiger Vollkommenheit und Glückseligkeit auszuschließen, dass er wechselnden affektiven Zuständen unterliegt; andererseits legten das Leiden Christi und der Umstand, dass in der Bibel Gott Zorn und Eifer zugeschrieben werden, die Annahme nahe, es gebe Gemütsbewegungen Gottes, die mit Apatheia schwer zu vereinbaren sind. Die Kirchenväter entschieden sich in Einklang mit den griechischen philosophischen Traditionen für die Antwort, die mit Affekten verbundene Unruhe und Veränderlichkeit komme für Gott nicht in Betracht, daher sei von einer Apatheia Gottes auszugehen. Gelegentlich finden sich aber – etwa bei Ignatios von Antiochien und Origenes – auch einzelne gegenteilige Aussagen, ohne dass es zu einer Auflösung des Widerspruchs kommt.[11]

Zum selben Ergebnis wie die Kirchenväter kam der Jude Philon von Alexandria, der die Angaben des Tanach über einen zürnenden und eifernden Gott als Anpassungen an die begrenzte Fassungskraft einfacher Menschen erklärte. Er hielt Gott für unbeeinflussbar und wandte sich besonders nachdrücklich gegen die Vorstellung, Gott könne eine Entscheidung bereuen. Andererseits akzeptierte er aber die Annahme eines Mitleids Gottes, ging also nicht konsequent von einer Apatheia Gottes aus.

Für das Leiden Christi fanden die Anhänger des Doketismus eine radikale Lösung. Sie lehrten, Christus habe nur scheinbar einen menschlichen Leib gehabt und daher nur scheinbar gelitten. Damit bewahrten sie das Konzept der göttlichen Apatheia. Eine entgegengesetzte Position vertraten die Anhänger des Patripassianismus, die die Einheit Gottes betonten und die Lehre von der Trinität kritisierten. Sie folgerten aus dem Prinzip der Einheit Gottes, dass nicht nur Christus, sondern auch Gottvater bei der Kreuzigung gelitten habe.

Literatur

Weblinks

 Wiktionary: Apathie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Zur Bedeutungsgeschichte siehe Herbert Frohnhofen: APATHEIA TOU THEOU, Frankfurt am Main 1987, S. 28–49.
  2. Michel Spanneut: Apatheia ancienne, apatheia chrétienne, Ière partie: L'apatheia ancienne. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Teil II Band 36/7, Berlin 1994, S. 4658f., 4684.
  3. Mark Aurel: Selbstbetrachtungen 4,49.
  4. Horaz: Carmina 3,3,7f.
  5. Hans Krämer: Die Spätphase der Älteren Akademie. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Bd. 3, hrsg. von Hellmut Flashar, 2. Auflage, Basel 2004, S. 125.
  6. Cicero: Tusculanae disputationes 3, 6 (12); vgl. Lucullus 135.
  7. Paul Moraux: Der Aristotelismus bei den Griechen, Band 2, Berlin 1984, S. 663.
  8. Michel Spanneut: Apatheia ancienne, apatheia chrétienne, Ière partie: L'apatheia ancienne. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Teil II Band 36/7, Berlin 1994, S. 4659–4663.
  9. Aristoteles: Metaphysik 1073a11f.
  10. Pierre de Labriolle: Apatheia. In: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 1, Stuttgart 1950, Sp. 484–487, hier: 486; Paul Wilpert: Ataraxie. In: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 1, Stuttgart 1950, Sp. 844–854, hier: 850f.
  11. Herbert Frohnhofen: APATHEIA TOU THEOU, Frankfurt am Main 1987, S. 117ff.; zahlreiche Belege bietet Paul Wilpert: Ataraxie. In: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 1, Stuttgart 1950, Sp. 844-854, hier: 851.


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