Nachahmung

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Nachahmung prägt das Leben des Kindes im ersten Jahrsiebent seines irdischen Daseins. Es ist in diesem Alter noch ganz Sinnesorgan und ahmt bis in die Gestaltung seines Leibes alles nach, was es mit den Sinnen wahrnimmt.

"Wenn wir durch die Geburt hereintreten in das physische Dasein, so kommen wir aus einer Welt, in der wir uns auch noch während der Erdenzeit gewissermaßen in einer ähnlichen Lage befinden wie während der Mondenzeit, als wir unter dem starken Einflüsse der höheren geistigen Impulse waren da oben in der geistigen Welt, die wir durchzumachen hatten, bevor wir durch die Geburt ins Erdendasein herunterstiegen. Da sind es immer höhere geistige Wesenheiten, die uns zu dem anleiten, was wir zu verrichten haben, um unser Erdendasein aus der geistigen Welt heraus vorzubereiten, so daß es karmagemäß ablaufen kann. Und mit dem Eingehen in den physischen Leib werden wir entrissen dieser Welt, in der es keine Gewohnheiten gibt, sondern nur fortwährende Impulse der höheren geistigen Wesenheiten. Wir haben gewissermaßen, wenn wir ins physische Dasein hereintreten, noch einen Nachklang dieser Lage, in der wir waren in der geistigen Welt. Und dieser Nachklang drückt sich dadurch aus, daß wir als Kinder so ziemlich bis zu unserem siebenten Jahre uns weniger nach Gewohnheiten richten, sondern mehr unter dem Einflüsse der Nachahmung stehen. Wir machen das nach, was uns vorgemacht wird, und wir machen anfangs eigentlich unter dem unmittelbaren Einflüsse des Vormachens die Dinge nach. Das ist ein Nachklang der Art, wie es notwendig war für uns in der geistigen Welt. In der geistigen Welt war es für uns notwendig, zu jeder einzelnen Betätigung den Impuls zu erhalten. Daher überliefern wir uns als Kinder zunächst den unmittelbaren Impulsen, ahmen nach. Und erst im Laufe der Zeit tritt, ebenso wie die Fähigkeit, Gewohnheitsmäßiges auszuleben, die Selbständigkeit, die selbständige Betätigung innerhalb unseres Seelenlebens auf." (Lit.: GA 170, S. 195f)

"Deshalb, weil dasjenige, was heruntersteigt aus der geistigen Welt als ein geistig-seelisches Wesen und ebenso real ist, als was wir mit Augen aus dem Mutterkörper hervorgehend schauen, weil das noch loser mit der physischen Körperlichkeit verbunden ist, als es später beim Menschen der Fall ist, deshalb lebt das Kind noch viel mehr als der spätere erwachsene Mensch außerhalb seines Leibes.

Und damit ist nur in anderer Art ausgedrückt, was ich schon gestern sagte: Das Kind ist im allerhöchsten Grade seinem ganzen Wesen nach in dieser ersten Zeit ein Sinneswesen. Es ist wie ein Sinnesorgan. Durch den ganzen Organismus rieselt dasjenige, was an Eindrücken aus der Umgebung kommt, klingt nach, tönt nach, weil das Kind noch nicht so innig wie später der Mensch mit seinem Körper verbunden ist, sondern in der Umgebung lebt mit dem loseren Geistig- Seelischen. Daher wird alles aufgenommen, was an Eindrücken aus dieser Umgebung kommt." (Lit.: GA 308, S. 27f)

"Das bedeutet, daß das Kind eigentlich noch ganz Sinnesorgan ist. Für das Kind gibt es noch nichts, als daß es Sinnesorgan ist, und es nimmt alles, was es aufnimmt, so auf wie ein Sinnesorgan.

Betrachten Sie das wunderbar gestaltete menschliche Auge: die ganze Welt ist dadrinnen, das Bild der ganzen Welt. Wir können sagen: draußen ist die Welt, drinnen ist die Welt. Beim Kinde ist es ebenso: draußen ist die Welt, drinnen ist die Welt; das Kind ist ganz Sinnesorgan. Wir Erwachsenen haben den Geschmack von Zucker durch Mund, Zunge, Gaumen. Das Kind durchdringt sich ganz mit Geschmack. Man habe nur Sinn dafür, ein Kind zu beobachten, wie es durch und durch Sinn ist, Geschmacksorgan. Und insofern es schaut, nimmt es ja Teil mit seinem ganzen Wesen am Schauen, es geht ganz in seiner Umgebung auf. Daher ist etwas Eigentümliches im Kinde vorhanden: es hat eine naturhafte Religiosität. Die Eltern, die Erzieher sind um das Kind herum, das Kind gibt sich hin, wie das Auge sich selbst hingibt. Wenn das Auge sich selber sehen würde, würde es das andere nicht sehen. Das Kind lebt ganz in der Umgebung; aber es nimmt sie auch ganz körperlich auf. Nehmen wir einen Fall: den jähzornigen Vater neben dem Kinde. Der tut allerlei, die Wut drückt sich aus in seinen Gebärden. Ja, das Kind nimmt seine Gebärden ganz anders wahr, als der Mensch denkt. Das Kind sieht zugleich in den Gebärden die moralische Qualität des Vaters. Das was das Kind innerlich sieht, die Welt, wird moralisch durchleuchtet. So wird das Kind ganz innerlich durchsetzt von einem jähzornigen Vater, einer liebevollen Mutter, von irgend etwas bei irgend jemand anderem. Das breitet sich aus in dem Kinde bis in den physischen Körper hinein. Wie wir in der Umgebung eines Kindes sind, das geht in das Kind hinein, geradeso wie das Kerzenlicht in das Auge hineingeht. Aber es breitet sich das, wie wir in der Umgebung eines Kindes sind, soweit aus, daß sein Blut in den Sinnen anders zirkuliert, in seinen Nerven, indem diese arbeiten, in seinen Muskeln, in den Gefäßsäften, mit denen die Sinne versorgt werden, daß das ganze Wesen des Kindes sich nach dem bildet, wie die äußeren Eindrücke sind. Und noch wenn der Mensch ein Greis ist, dann merkt er die Wirkung desjenigen, was die moralischreligiöse Umgebung in der Verfassung des Kindes, in dem physischen Körper des Kindes bewirkt haben. Des ganzen menschlichen Erdenlebens Gesundheit und Krankheit hängt davon ab, ob wir imstande sind, richtig tief genug einzusehen, daß im Kinde sich alles spiegelt, was in der Umgebung vorgeht. Nicht nur das Physische, sondern auch das Moralische spiegelt sich. Das Moralische, das sich spiegelt, wird wirksam in bezug auf Gesundheit und Krankheit.

Das Kind ist in den ersten sieben Lebensjahren, bis zum Zahnwechsel, ein rein nachahmendes Wesen, ein imitierendes Wesen. Wir können es nur dadurch erziehen, daß wir alles dasjenige, wovon wir meinen, daß es in dem Kinde entwickelt werden muß, in seiner Umgebung tun. Wir sollen nicht ausdenken: Was soll das Kind tun? - sondern wir sollen uns vor allen Dingen klar sein darüber, daß wir selbst es ihm vormachen müssen. Denn nichts anderes ist gesund für das Kind, als was wir ihm vormachen. Und nichts nimmt das Kind wahrhaftig in seine Organe auf, als was wir ihm vormachen." (Lit.: GA 304a, S. 168f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte, GA 170 (1992), ISBN 3-7274-1700-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Anthroposophische Menschenkunde und Pädagogik, GA 304a (1979), ISBN 3-7274-3045-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Die Methodik des Lehrens und die Lebensbedingungen des Erziehens, GA 308 (1986), ISBN 3-7274-3080-X pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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