Symbolischer Interaktionismus und Samuel von Pufendorf: Unterschied zwischen den Seiten

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Der '''symbolische Interaktionismus''' ist eine [[Soziologie|soziologische]] Theorie aus der [[Mikrosoziologie]], die sich mit der [[Interaktion]] zwischen Personen beschäftigt. Diese [[Handlungstheorie (Soziologie)|Handlungstheorie]] basiert auf dem Grundgedanken, dass die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen im [[symbol]]isch vermittelten Prozess der Interaktion/Kommunikation hervorgebracht wird (''siehe auch:'' [[Handeln]] und [[Soziales Handeln]], [[Symbolische Kommunikation]]).<ref>[http://www.soziologie.phil.uni-erlangen.de/system/files/22.11._symbolischer_interaktionismus_nach_h._blumer.pdf Jakob Krüger: ''Symbolischer Interaktionismus nach Herbert Blumer – Grundsätze und Methoden.'' Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Soziologie, WS 2010/11]</ref>
[[Datei:Samuel-von-Pufendorf-Jean-Barbeyrac-Le-droit-de-la-nature-et-des-gens MG 0992.tif|mini|Samuel von Pufendorf, Kupferstich von Pieter van Gunst nach einem Gemälde von David Klöcker Ehrenstrahl]]
[[Datei:Samuel von Pufendorf Unterschrift.png|mini|Unterschrift Pufendorfs]]
[[Datei:Samuel-von-Pufendorf-Introduction-à-l'histoire-générale-et-politique-de-l'univers MG 9225.tif|mini|Samuel von Pufendorf: ''Introduction à l’histoire générale et politique de l’univers'']]
'''Samuel Freiherr von Pufendorf''' (* 8. Januar 1632 in Dorfchemnitz; † 26. Oktober 1694 in [[Berlin]]) war ein deutscher [[Naturrecht|Naturrechtsphilosoph]], [[Historiker]] sowie [[Naturgeschichte|Natur]]- und [[Völkerrecht|Völkerrechtslehrer]] am Beginn des [[Aufklärung|Zeitalters der Aufklärung]]. Er gilt als Begründer der [[Vernunftrecht]]slehre.


== Grundlagen ==
== Leben ==
Die Schule des symbolischen Interaktionismus wurde von [[Herbert Blumer]] (1900–1987) begründet. Blumer war ein Schüler des Sozialphilosophen und frühen Sozialpsychologen [[George Herbert Mead]] (1863–1931). Als Blumer den Symbolischen Interaktionismus ausarbeitete, orientierte er sich vor allem an Meads Überlegungen zur stammesgeschichtlichen (''[[Phylogenese|phylogenetischen]]'') Bildung des Bewusstseins und persönlichen (''[[Ontogenese|ontogenetischen]]'') Entwicklung der Identität unter Verwendung einer gemeinsamen Sprache: „Logisches Universum signifikanter Symbole“ (siehe auch [[John Cunningham Lilly]]). Auch der amerikanische Soziologe [[Charles Cooley]] (1864–1929) trug mit seinen Überlegungen zur Entstehung der Theorie des symbolischen Interaktionismus bei, seine These (im Anschluss an [[Sozialpsychologie|sozialpsychologische]] Vorarbeiten von [[William James]], [[John Dewey]] und [[James Mark Baldwin]]) war, dass das Individuum schon geistig (mental) ein soziales Wesen sei; die abstrakte, begriffliche Gegenüberstellung von Individuum/Gesellschaft sei fehlgeleitete [[Metaphysik]]. Gesellschaft fasste er ebenfalls mental auf, insofern sie aus den geistigen Vorstellungen besteht, die aus den sozialen Interaktionen und Kommunikationen herauswachsen.<ref>Robert Cooley Angell: ''Introduction.'' In: ''The Two Major Works of Charles H. Cooley. Social Organization. Human Nature and the Social Order.'' With an Introduction of Robert Cooley Angell. The Free Press, Glencoe, Ill. 1956. S. xvi.</ref>
Samuel Pufendorf wurde als fünftes von acht Kindern des lutherischen Pfarrers Esaias Elias Pufendörfer und dessen Ehefrau Margarete, Tochter des [[Dippoldiswalde]]r [[Tuchscherer]]s Thomas Hickmann, in Dorfchemnitz (bei [[Stollberg/Erzgeb.]]) geboren. Seine Brüder waren Jeremias Pufendorf und der Diplomat [[Esaias von Pufendorf]].


== George H. Meads Überlegungen als Grundlage zum Symbolischen Interaktionismus ==
Seine Kinderjahre verbrachte Pufendorf in [[Flöha]], hier hatte sein Vater seit 1634 die Pfarrersstelle inne. Mit der finanziellen Unterstützung eines Freundes der Familie besuchte er, wie zuvor seine beiden älteren Brüder, ab 1645 die [[Gymnasium St. Augustin|Fürstenschule Grimma]]. Ausbildungsschwerpunkte waren Grammatik, Logik, Rhetorik und Religion. Pufendorf widmete sich darüber hinaus dem Studium der griechischen und römischen [[Antike]]. 1650 schloss er die Schule als Primus des Jahres ab.


=== Der Mensch als soziales Wesen ===
Im selben Jahr nahm er auf Wunsch seines inzwischen verstorbenen Vaters an der [[Universität Leipzig]] ein Studium der [[Theologie]] auf. Nach kurzer Zeit wechselte er jedoch zur [[Rechtswissenschaft]]. Den Ausschlag dafür gab das starre Festhalten der Theologieprofessoren an den verbindlich fixierten Lehrmeinungen der [[Konkordienformel]]. Im Gegensatz dazu war Pufendorf eher den kritisch-konstruktiven Lehren von [[René Descartes]] und [[Galileo Galilei]] zugetan. Ergänzend nahm er das Studium der [[Naturphilosophie]], Finanz-, Wirtschafts- und Verwaltungslehre ([[Kameralistik]]) sowie der Geschichte und [[Staatswissenschaft]] auf. 1656 ging Pufendorf an die [[Friedrich-Schiller-Universität Jena|Universität Jena]], wo er hauptsächlich durch [[Erhard Weigel]] beeinflusst wurde. In Jena widmete er sich u.&nbsp;a. den Werken von René Descartes, [[Hugo Grotius]]<ref>[[Martin Schermaier]]: ''Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB'' (= Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte. Band 29). Böhlau Verlag Wien/Köln/Weimar 2000, Abschnitt 10, ''Die Irrtumsrechtliche Diskussion zwischen Erklärungs-, Vertrauens- und Willenstheorie'', S. 537 ff.</ref> und [[Thomas Hobbes]], die sein späteres Wirken beeinflussen sollten. 1658 beendete Pufendorf das Studium mit dem Titel des ''[[Magister]]s''.


Selbstbewusstsein/Identität und die Fähigkeit zum Denken entwickelt der Mensch erst innerhalb und mithilfe sozialer Beziehungen. Dementsprechend sind Individuum und Gesellschaft prozesshaft verwoben und bedingen sich gegenseitig.  
Durch Vermittlung seines Bruders Esaias bekam Pufendorf eine Stelle als Hauslehrer beim schwedischen Gesandten [[Peter Julius Coyet]] in [[Kopenhagen]]. Er verließ Sachsen, das er nie wieder betrat. Bald nach der Ankunft in Kopenhagen geriet er im Schwedisch-Dänischen Krieg in achtmonatige Gefangenschaft. 1660 folgte er dem schwedischen Gesandten nach [[Den Haag]], wo er seine Schrift ''Grundlagen einer allgemeinen Rechtslehre'' veröffentlichte, einen Beitrag zur damals schwelenden [[naturrecht]]stheoretischen Diskussion. Pufendorf ging von einem rein weltlichen Rechtsgedanken aus und verstand das Naturrecht als Erfahrungswissenschaft. In den Niederlanden machte Pufendorf die Bekanntschaft von [[Baruch Spinoza]].
Mead postuliert, dass Kommunikation der Faktor ist, der die Entwicklung des Menschen als soziales Wesen bedingt, weil die typische menschliche Kommunikation und Interaktion über „signifikante Symbole“ stattfindet. Diese Symbole sind Allgemeinbegriffe, d.&nbsp;h. dass das Symbol bei einem selbst das Gleiche auslöst wie bei den Anderen. Der Sinn oder die Bedeutung eines Symbols wird von allen Mitgliedern der Gesellschaft gleich interpretiert.  


Ein Beispiel dafür wäre eine Situation, in der jemand „Feuer!“ schreit. Die Menschen interpretieren das Wort, da es ein Allgemeinbegriff ist, gleich und reagieren und handeln deshalb in der Situation auch gleich. Soziale Interaktion wird durch den symbolischen Interaktionismus möglich. Er setzt voraus, dass man die Fremdperspektive einnehmen und verinnerlichen und sich selbst aus der Fremdperspektive betrachten kann.
1661 berief ihn der pfälzische Kurfürst [[Karl I. Ludwig (Pfalz)|Karl Ludwig]] nach [[Heidelberg]], wo er in seiner ersten Professur am für ihn neu eingerichteten Lehrstuhl Natur- und Völkerrecht lehrte. Dort erregte er mit seiner scharfen Kritik an der Reichsverfassung den Unwillen seiner Kollegen und ging deshalb 1668 nach [[Lund]] in [[Schweden]], wo er eine Professur für Praktische Philosophie erhielt. 1670 amtierte er als [[Rektor]] der Universität. 1672 erschien sein lateinisch verfasstes Hauptwerk ''De jure naturae et gentium libri octo'', das 1711 in deutscher Übersetzung unter dem Titel ''Acht Bücher von Natur und Völkerrecht'' veröffentlicht wurde. 1677 wechselte Pufendorf nach [[Stockholm]]. Der schwedische König [[Karl XI. (Schweden)|Karl&nbsp;XI.]] ernannte ihn zum [[Hofhistoriografie|Hofhistoriographen]], zum [[Geheimrat|Geheimen Rat]] und Staatssekretär. Der Lutheraner Pufendorf sprach sich für religiöse [[Toleranz]] sowie für die wissenschaftliche Trennung von Theologie und Philosophie aus, was ihm zunehmende Anfeindungen einbrachte. Obwohl der schwedische König Pufendorf gerne an seinem Hof gehalten hätte, wechselte er 1688 nach Berlin an den brandenburgischen Hof, ebenfalls als Hofhistoriograph und Geheimer Rat. Dahinter stand neben materiellen Anreizen vor allem die Motivation, gegen das erstarkende Frankreich in den öffentlichen Diskurs einzugreifen. 1694 wurde er von Karl&nbsp;XI. von Schweden in den [[Freiherr]]enstand erhoben.


===Sozialisation bei Mead===
Samuel von Pufendorf starb im Alter von 62 Jahren in Berlin und wurde nahe dem Altar der [[Nikolaikirche (Berlin)|Nikolaikirche]] beigesetzt.


Sozialisation wird bei Mead verstanden als ein Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit und Integration in die Gesellschaft. Erst in der organisierten Gemeinschaft oder gesellschaftlichen Gruppe entwickelt der Einzelne eine einheitliche Identität. Ein „generalisierter Anderer“ spielt eine Rolle bei der Sozialisation. Er übt prägenden Einfluss auf den Einzelnen aus. Merkmale eines „generalisierten Anderen“ sind ''emotionale Besetzung, permanente Interaktion'' und ''Machtgefälle''. Beispiele sind Eltern und Lehrer.
Ein Großneffe von Samuel von Pufendorf ist der Jurist und Universalgelehrte [[Friedrich Esaias Pufendorf]].
Das Kind wird zu einem Mitglied der Gesellschaft, indem es die Rollen und Einstellungen der „konkreten Anderen“ und somit die Moral und die Normen der Gesellschaft bis zu einem gewissen – individuell verschiedenen – Grad übernimmt (siehe [[Selbstkonzept]]).


=== Sozialisation als Prozess der Identitätsbildung ===
== Wirken ==
[[Datei:Pufendorf - De jure naturae et gentium, 1744 - 329.tif|mini|''De jure naturae et gentium'', 1744.]]
[[Datei:Ehrentafel für Samuel von Pufendorf im Gymnasium St. Augustin Grimma (im Durchgang des Hauptportals).JPG|mini|Ehrentafel für Samuel von Pufendorf im [[Gymnasium St. Augustin]] Grimma (im Durchgang des Hauptportals)]]
[[Datei:Pufendorf.3.jpg|mini|Aus einem Brief von Samuel Pufendorf aus Stockholm an einen ''Jean Christofle'' in Stralsund, 15.&nbsp;Dezember 1686<ref>Ediert von Johann Claußen im [[Schulprogramm (historisch)|Schulprogramm]] des Christianeums zu Altona, 1906.</ref>]]


Durch die Übernahme der Haltungen der anderen entwickelt sich bei den Menschen die Identität und konsistentes Selbstbewusstsein. Eine Identität eines Menschen besteht aus elementaren Identitäten, die den verschiedenen Aspekten des gesellschaftlichen Prozesses entsprechen. Die Struktur der vollständigen Identität ist somit eine Spiegelung des vollständigen gesellschaftlichen Prozesses. So wird die Identität nur möglich, wenn ein Mensch in einer Gemeinschaft oder in einer gesellschaftlichen Gruppe lebt.  
Mit seiner Rechtsauffassung eines säkularen [[Naturrecht]]s ([[Vernunftrecht]]s) und der Befürwortung eines einheitlichen [[Völkerrecht]]s nahm Pufendorf maßgeblichen Einfluss auf die deutsche, aber auch europäische [[Rechtsphilosophie|Rechts-]] und [[Staatstheorie|Staatsphilosophie]] im 18. und 19. Jahrhundert und wurde zu einem der Wegbereiter der [[Aufklärung]]. Jedoch stimmte für ihn das Naturrecht „mit der christlichen Offenbarung überein, da beide ihren Ursprung in Gott haben. Unter calvinistischen Herrschern bewährte sich Pufendorf als treuer [[Lutheraner]]. Er war noch kein Aufklärer. Sein Rationalismus bejahte eine ‚praktische, von Erfahrung geleitete Sozialvernunft‘, die unter Betonung der natürlichen Gleichheit der Menschen den Gedanken der [[Humanität]] und der [[Menschenrechte]] den Weg bereitete“<ref>[[Hans Hohlwein]]: ''Pufendorf, Samuel Freiherr von''. In: ''Die [[Religion in Geschichte und Gegenwart]]'', 3. Auflage. Band V, Sp. 721.</ref> und für Toleranz plädierte. Das Naturrecht, das seinem Wesen nach inhaltlich unbestimmt ist,<ref>Helmut Thielicke: ''Theologische Ethik'', 1. Band. Tübingen (1958), S. 657. - Vgl. Erik Wolf: ''Naturrecht. Profanes Naturrecht''. In: ''Die Religion in Geschichte und Gegenwart'', 3. Auflage. Band IV, Spalte 1355.</ref> ist bei Pufendorf ähnlich wie bei seinem Zeitgenossen [[John Locke]] nur scheinbar säkularer Art, da es durch seine Gleichsetzung mit der christlichen Offenbarung durch die ethischen und rechtlichen Grundüberzeugungen der [[Bibel]], wie sie vor allem im [[Zehn Gebote|Dekalog]] (10 Gebote; {{B|2 Mos|20}}) und [[Jesus Christus|Jesu]] [[Liebesgebot]] {{Bibel|Matthäus|5,44}} zum Ausdruck kommen, inhaltlich definiert wird.<ref>Cf. Jeremy Waldron: ''God, Locke, and Equality: Christian Foundations in Locke’s Political Thought''. Cambridge University Press (2002), S. 22 ff.</ref> Da seine Schriften zusammen mit denen Lockes in den englischen Kolonien Nordamerikas großes Gehör fanden, wurde Pufendorf zu einem der Vordenker der [[Amerikanische Revolution|amerikanischen Revolution]] und der [[Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten]].<ref>Clifton E. Olmstead: ''History of Religion in the United States''. Prentice-Hall, Englewood Cliffs, N.J. (1960), S. 89.</ref>


Mead unterscheidet drei Stufen von Entwicklungen der Rollenübernahme, die sich nach Komplexität unterscheiden:
Darüber hinaus leistete Pufendorf eine naturrechtliche Systematisierung der [[Frühe Neuzeit|frühneuzeitlichen]] Rechtsverhältnisse. Er leitete die Staatenbildung aus der natürlichen Geselligkeit und der Bedürftigkeit des Menschen ab, den Unterschied zwischen [[Recht]] und [[Unrecht]] zu erkennen. Damit setzte er sich in Widerspruch zur bisherigen Staatstheorie, die das Recht auf göttliche Gesetze zurückführte. Darüber hinaus führte Pufendorf den Begriff der [[Menschenwürde|Würde ''(dignatio)'' des Menschen]] ein, eine Fundamentalnorm (Grundwert), die später in zahlreichen Verfassungen eine zentrale Bedeutung erlangen sollte.


# Nachahmendes Rollenspiel (''play'')
Pufendorf hat den neuzeitlichen Autonomiegedanken u.&nbsp;a. mit Rekurs auf antikes Vorstellungsmaterial (z.&nbsp;B. [[Cicero]], [[Seneca]], [[Maximus Tyrius]]) mitvorbereitet.<ref>vgl. Pufendorf: ''De Jure Naturae Et Gentium'' [= JNG], I, 3: libri octo: Tomus primus [ed. Gottfridus Mascovius]. Frankfurt-Leipzig 1759 [Neudruck: Frankfurt/M. 1967], S. 8; vgl. JNG I, 1, §14: ed. Mascovius, S. 15.</ref>
#:Bezugspunkt der [[Perspektivenübernahme]] ist dabei ein individueller Anderer und Orientierungsgrundlage des Handelns sind antizipierte Handlungen. „Play“ ist nach Mead eine spielerische Interaktion des Kindes mit einem imaginären Freund. Dies ist die einfachste Form der [[Rollenübernahme]]. Diese Stufe der Identitätsbildung erreicht ein Kind, wenn es variable Rollen übernehmen kann, z.&nbsp;B. wenn es einen Indianer oder Verkäufer spielt. Dadurch haben Kinder zwei elementare Identitäten: ihre eigene und die gespielte Identität. Eine voll entwickelte Identität haben sie aber noch nicht, weil die Reize in diesem Stadium noch nicht organisiert sind. Die Rollenübernahme findet also nacheinander statt, nicht gleichzeitig.
Dabei vertiefte er das Naturverständnis der Antike in Richtung einer theistischen Letztbegründung. Die Selbstgesetzgebung der Freiheit findet dadurch zu ihrer humanen Form und kann sich als ''actio humana'' in die kreative Weltgestaltung einbringen. Pufendorf kann somit als Wegbereiter eines moralischen Idealismus im Stile Immanuel Kants gelten, der, angesichts des natürlichen Handlungsspielraums in der Welt, vor der Frage nach Gott als Frage nach unverlierbarem Glück nicht zurückschreckt.<ref>vgl. Pufendorf: ''De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo'', Lib. I, Cap. I, §1. Londini Scanorum [Lund] 1673. In: ''Gesammelte Werke'' [hrsg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann]: Band 2 [hrsg. von [[Gerald Hartung]]]. Berlin 1997, S. 13.</ref>
# Regelgerechte Kooperation (''game'')
#:Das organisierte Spiel (Wettkampf) repräsentiert im Leben des Kindes den Übergang von der spielerischen Übernahme der Rolle anderer zur organisierten Rollenübernahme mehrerer anderer, die für das Identitätsbewusstsein entscheidend ist.
#:Im "game" muss die Person verschiedene Rollen in einer systematischen Ordnung wahrnehmen und sich darauf beziehen lernen. Dies bedeutet, dass ein Kind die Haltung aller am Spiel beteiligten Personen übernehmen und diese Rollen in Beziehung zueinander setzen muss.
#:Bei dieser Stufe ist der Bezugspunkt der Perspektivenübernahme die begrenzte Gemeinschaft, in der das Kind sich befindet. Dabei handelt das Kind unter Berücksichtigung der gemeinschaftsspezifischen Normen ("Spielregeln").
#:Beispiel Baseball:
#:Bevor ein Kind einen bestimmten Wurf macht, so muss es, um ein erfolgreiches Spiel zu leisten, wissen, wie die anderen Teilnehmer auf seine Handlung reagieren werden. Dies wird erst möglich, wenn es sich in die verschiedenen Rollen (z.&nbsp;B. des Fängers und des Werfers) hineinversetzt. Die Reaktionen der anderen müssen so organisiert sein, dass die Haltung des einen Spielers die Haltung des anderen auslöst.
# Universelle Kooperation und Verständigung
#:Bezugspunkt der Perspektivenübernahme ist hier die universelle menschliche Gesellschaft (universeller Anderer), sozusagen eine Weltgesellschaft. Das Handeln soll dabei nach einem Universalisierungsprinzip ablaufen. Dafür müssen gemeinsame Normen und Symbole geschaffen werden, damit ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Gesellschaften entsteht.


===Persönlichkeitstheorie===
Zu großer und schon zeitgenössischer Bekanntheit brachte es außerdem seine Charakterisierung der Verfassung des [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reichs]] als eines „irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körpers“ ''(irregulare aliquod corpus et monstro simile)''.<ref>Samuel von Pufendorf: ''Die Verfassung des deutschen Reiches''. Herausgegeben und übersetzt von Horst Denzer (=&nbsp;Bibliothek des deutschen Staatsdenkens, hrsg. von Hans Maier und Michael Stolleis, Bd. 4). Leipzig, 1994, c. VI, § 9 (S. 198&nbsp;f.).</ref> Dieses Urteil, zu dem er in einer großen Studie über den Zustand des Reiches kommt (''De statu imperii Germanici'' von 1667), machte ihn rasch zum bedeutendsten, aber auch umstrittensten Denker der [[Reichspublizistik]], obgleich er seine Reichsverfassungsschrift zu Lebzeiten nur unter Pseudonym ''(Severinus de Monzambano)'' veröffentlicht hatte. Zur Einschätzung der Reichsverfassung als „irregulär“ und „monströs“ gelangte er auf Grund der Erkenntnis, dass das Reich weder einer der [[Aristoteles#Bürger und Verfassung eines Staates|aristotelischen Staatsformen]] zuzuordnen ist noch den Begrifflichkeiten der [[Souveränitätsthese]] gerecht wird. Obwohl sein Urteil infolgedessen gar nicht wertend verstanden werden muss, lieferte es bis in das 20. Jahrhundert hinein eine Grundlage dafür, das Alte Reich etwa als „Unstaat“ und als Hemmschuh der deutschen Nation anzusehen (insbesondere [[Heinrich von Treitschke]] vertrat diese Ansicht).<ref>Julia Haas: ''Die Reichstheorie in Pufendorfs „Severinus de Monzambo“. Monstrositätsthese und Reichsdebatte im Spiegel der politisch-juristischen Literatur von 1667 bis heute''. Duncker & Humblot, Berlin 2007, S. 108&nbsp;ff.</ref>


Identität entwickelt sich immer in Wechselwirkung mit der Gesellschaft. Auf der Ebene der Persönlichkeit unterscheidet Mead zwei zentrale Instanzen, die im Zusammenspiel gleichzeitig Handlung koordinieren und Identität konstituieren. Diese Instanzen des Selbst nennt Mead „me“ und „I“ (deutsch häufig mit „ICH“ und „ich“ übersetzt).
Im [[Eherecht]] wurde er über die in ''De iure naturae et gentium libri octo''<ref>Buch 6, Kapitel 1, §§ 9–13.</ref> ausformulierte und mit zahlreichen Beispielen belegte Theorie von der Ehe als [[Vertrag]] zwischen zwei bis zum Vertragsschluss mit gleichen Rechten ausgestatteten Individuen zu einem Wegbereiter der [[Gleichberechtigung]]. Diese 1672 publizierte Schrift zum Natur- und Völkerrecht setzte vornehmlich von Grotius bereits entworfenes Zivilrecht fort, das er allerdings systematisiert und in von jenem nicht bearbeiteten Bereichen ergänzt.<ref>[[Jan Dirk Harke]]: ''Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen''. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (''Grundrisse des Rechts''), § 3 Rnr. 4.</ref> 1673 folgte sein Werk ''De officio hominis et civis prout ipsi praescribuntur lege naturali''. Beide Werke zusammen gelten als Begründungsarbeiten der [[Vernunftrecht]]slehre.<ref>[[Helmut Coing]]: ''Epochen der Rechtsgeschichte in Deutschland'', München 1. Auflage 1967, 1976, S. 129.</ref> Viele spätere Naturrechtler wie [[Christian Thomasius]], [[Christian Wolff (Philosoph)|Christian Wolff]] und [[Karl Anton von Martini]] bauen mehr oder weniger deutlich auf den Gedanken Pufendorfs zum ehelichen Verhältnis der Geschlechter auf.


Das „I“ (personales Selbst) bezeichnet Spontanität, Kreativität und das einmalig Subjektive. Diese Instanz stellt eine stellungnehmende Reaktion auf die Haltungen Anderer zur eigenen Person dar.  Häufig wird dieser Aspekt mit der Triebausstattung des Menschen verglichen.
== Werke (Auswahl) ==
 
* ''De iure naturae et gentium libri octo.'' 1672, deutsch: ''Acht Bücher vom Natur- und Völcker-Rechte / mit des … Johann Nicolai Hertii, Johann Barbeyrac u.&nbsp;a. hochgelehrten Männern außerlesenen Anm. erl. u. in die teutsche Sprach übers.''  Knochen, Franckfurt a.M 1711. (Nachdruck: Olms, Hildesheim 2001) {{URN|nbn|de:hbz:061:1-5824}} bei der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf.
Das „me“ (soziales Selbst) bezeichnet die Vorstellung von dem Bild, das andere von mir haben, die Verinnerlichung ihrer Erwartungen an mich. Es ist Bewertungsinstanz für die Strukturierung der spontanen Impulse. Es handelt sich also um den sozialen Aspekt der Identität.
* ''De officio hominis et civis prout ipsi praescribuntur lege naturali.'' 1673 (Nachdruck: Hein, Buffalo NY 1995)<ref>weitere lat. Fass.: De officio hominis et civis juxta legem naturalem</ref>
Für die Erwartungen eines jeden Anderen entwickelt sich entsprechend eine Ausprägung des „me“, also eine soziale Repräsentation des Bildes von einem selbst. Im Laufe der Ontogenese werden diese verschiedenen Perspektiven in ständigem Dialog mit dem „I“ zu einem abstrakten Gesamtbild synthetisiert.
** Deutsch: ''Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur''. Hg., Übers. Klaus Luig, Insel, Frankfurt 1994 ISBN 978-3-458-16652-8
 
** ''On the duty of man and citizen according to natural law.'' Übers. Michael Silverthorne, Cambridge Texts in the History of Political Thought, Hg. James Tully. Cambridge University Press, 1991. Japanische Ausgabe 2003
Die beiden Teile befinden sich ständig im inneren Dialog. Der innere Dialog entscheidet über weitere Handlungen und über die Entwicklung einer Person. Der Ausgang des inneren Dialogs ist aber zunächst offen, weil die Gewichtung zwischen „me“ und „I“ von mehreren Faktoren abhängt. Laut Mead verändert und reorganisiert sich die eigene Identität im Laufe des Lebens immer wieder neu und ist somit ein aktiver Prozess (Sozialisation).
* ''De statu imperii germanici ad Laelium fratrem, dominum Trezolani, liber unus.'' Genf (Den Haag) 1667 (veröffentlicht unter dem Pseudonym „Severinus de Monzambano Veronensis“).
 
** Deutsche Übersetzung „durch einen liebhaber der Sachen“, s. l. 1667 {{DTAW|pufendorf_bericht_1667}}
=== Phasen des Selbst im inneren Dialog ===
** Deutsche Übersetzung von Harry Bresslau, Verlag von L. Heimann, Berlin 1870: ''Ueber die Verfassung des deutschen Reiches'' bei Wikisource.
* ''Elementorum Iurisprudentiae Universalis Libri Duo.'' Jena 1660 (Nachdruck: Hein, Buffalo NY 1995).
Phase I: Handlungsentwurf des Individuums („I“)  
* ''Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten, so itziger Zeit in Europa sich befinden.'' Frankfurt am Main 1684 ([http://ora-web.swkk.de/digimo_online/digimo.entry?source=digimo.Digitalisat_anzeigen&a_id=991 Ausgabe 1695]).
         
* ''Commentariorum De Rebus Suecicis ab Expeditione Gustavi Adolphi in Germaniam ad Abdicationem usque Christinae.'' 1686.
Phase II: Stellungnahme aus der Perspektive des generalisierten anderen („me“)
* ''Über die Natur und Eigenschaft der christlichen Religion und Kirche in Ansehung des bürgerlichen Lebens und Staats.'' 1687.
 
* ''Einleitung zur Sitten- und Stats-Lehre.'' Übersetzt durch Immanuel Weber. Gleditsch, Leipzig 1691. {{DTAW|pufendorf_einleitung_1691}}
Phase III: Stellungnahme und Entscheidung des Individuums („Self“)
* ''De Rebus Gestis Friderici Wilhelmi Magni Electoris Brandenburgici Commentariorum Libri Novendecim.'' Postum 1695.
 
* ''De rebus a Carolo Gustavo Sueciae rege gestis commentariorum''. Nürnberg 1696 ([https://books.google.de/books?id=XdxiAAAAcAAJ&printsec=frontcover E-Kopie])
== Symbolischer Interaktionismus nach Herbert Blumer ==
* ''Sieben Bücher von denen Thaten Carl Gustavs Königs in Schweden: Mit vortrefflichen Kupffern ausgezieret und mit nöthigen Registern versehen&nbsp;…'' Riegel, Nürnberg, postum 1697.
 
* ''Schwedisch und Deutsche Kriegs-Geschichte'', Von König Gustav Adolfs Feldzuge in Deutschland an, biß zur Abdanckung Der Königin Christina: Darinn zugleich beschrieben wird, Was die Cron Schweden selbige Zeit über mit andern Staaten von Europa zu thun gehabt; Nebst dem Osnabrügischen und Münsterischen Friedens-Schluße, Wie auch einem doppelten Register Der Sachen und Nahmen tapferer Leute und Familien, so in dieser Historie vorkommen, [http://books.google.de/books?id=nd9KAAAAcAAJ Band 1]
=== Grundannahmen ===
[[Herbert Blumer|Blumer]] stellte 1969 folgende Grundannahmen zum Symbolischen Interaktionismus auf:
# Menschen handeln gegenüber Dingen auf der Grundlage der Bedeutungen, die diese Dinge für sie besitzen.
# Die Bedeutung der Dinge entsteht durch soziale Interaktion.
# Die Bedeutungen werden durch einen interpretativen Prozess verändert, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt.
 
Weitere Grundannahmen :
 
* Menschen erschaffen die Erfahrungswelt, in der sie leben.
* Die Bedeutungen dieser Welten sind das Ergebnis von Interaktionen und werden durch die von den Personen jeweils situativ eingebrachten selbstreflexiven Momente mitgestaltet.
* Die Interaktion der Personen mit sich selbst ist mit der sozialen Interaktion verwoben und beeinflusst sie ihrerseits.
* Formierung und Auflösung, Konflikte und Verschmelzungen gemeinsamer Handlungen konstituieren das soziale Leben der menschlichen Gesellschaft.
* Ein komplexer Interpretationsprozess erzeugt und prägt die Bedeutung der Dinge für die Menschen.
 
=== Soziales und individuelles Handeln ===
Interaktionisten erforschen das alltägliche Leben, "doing everyday life"<ref>{{Literatur|Autor=Dellwing, Michael; Prus, Robert|Titel=Einführung in die interaktionistische Ethnografie|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=1. Auflage|Verlag=Springer VS|Ort=Wiesbaden|Datum=2012|Seiten=23f.|ISBN=978-3-531-18268-1}}</ref>. Im Alltag handeln die Menschen auf der Grundlage dessen, was sie wahrnehmen, wie sie das Wahrgenommene einschätzen und interpretieren. Die Wahrnehmung der Bedeutung eines Gegenstands ist eine Zuschreibung von Bedeutung. Das bedeutet, dass in einem Vorgang sozialer Aushandlung diese Wahrnehmung als hinreichend akzeptiert wurde. Diese Interpretation menschlichen [[Handeln]]s lässt sich ebenso auf gemeinsames, kollektives Handeln anwenden, an dem eine Vielzahl von [[Akteur]]en bzw. Individuen beteiligt sind. Gesellschaftliches Handeln (im wörtlichen Sinne, d.&nbsp;h. Handeln in einer Gesellschaft bzw. in einem sozialen Umfeld) lässt sich somit nach Blumer immer als [[soziales Handeln]] benennen. Da gesellschaftliches Handeln immer von Individuen ausgeht, ist es durch den symbolischen Interaktionismus möglich, dieses Handeln sowohl in seinem gemeinsamen, kollektiven Charakter zu betrachten wie auch in seinem individuellen, d.&nbsp;h. durch die symbolischen Interaktionen einzelner Individuen konstituierten Komponenten.
 
===Menschliches Zusammenleben===
 
Kollektives Handeln stellt für den symbolischen Interaktionismus immer das Ergebnis bzw.&nbsp;den Verlauf eines [[sozialer Prozess|Prozesses]] gegenseitig interpretierender Interaktionen dar. Menschliches Zusammenleben besteht also in dem gegenseitigen Aufeinanderabstimmen der Handlungen durch die Beteiligten, wobei der Charakter der gemeinsamen Handlungen sich aus der Beziehung der Beteiligten ergibt.<br>
Das gemeinsame Handeln, welches Blumer auch als das „verbundene Handeln der Gesamtheit“ bezeichnet, ist somit immer die Gesamtheit der Verkettungen / Aufeinanderabstimmungen einzelner Handlungen der Individuen und somit das Ergebnis einer fortwährend ablaufenden, niemals abgeschlossenen Entwicklung.<br>
 
=== Deutungen ===
 
Wenn man diejenigen Fälle betrachtet, in denen das gemeinsame Handeln wiederkehrend und stabil ist (also gesellschaftlich gefestigte, sich wiederholende Muster gemeinsamen Handelns), so haben die an der jeweiligen Situation beteiligten Menschen im Voraus ein Verständnis davon, wie sie und andere handeln wollen und wahrscheinlich werden. Dieses Verständnis ergibt sich aus den gemeinsamen, schon bestehenden [[Deutungsmuster]]n bzw. Deutungen dessen, was von der Handlung eines Teilnehmers einer Situation zu erwarten ist. Aufgrund ebendieses Verständnisses ist jeder Teilnehmer in der Lage, sein eigenes Verhalten auf der Grundlage dieser Deutungen zu steuern.
 
=== Das Entstehen von sozialen Normen und Regeln ===
Hierbei besteht die Gefahr, Ursache und Wirkung dahingehend zu vertauschen, dass man zu dem Schluss kommen könnte, es seien die [[Soziale Norm|Norm]]en, Regeln, [[Wertvorstellung|Werte]] und [[Sanktion]]en, welche das Handeln der Menschen bestimmen oder determinieren. Und zwar indem sie vorschreiben, wie Menschen in den unterschiedlichsten Situationen zu handeln haben.
 
Jedoch werden laut Blumer die Interaktionen der Teilnehmer einer Situation nicht von den Werten und Normen vorherbestimmt; sondern die Werte und Normen werden erst durch das kontinuierliche Aushandeln von [[Bedeutung]]en in den Interaktionen der Teilnehmer [[Wikipedia:Konstituierung|konstituiert]].<br>
Dies gilt auch wenn die Handlungen konsistent bleiben. Denn auch wenn es sich um eine dauerhaft bestehende und wiederkehrende Form gemeinsamen Handelns dreht, muss jede einzelne Wiederholung einer solchen gemeinsamen Handlung erneut entwickelt werden. Wenn sich die Handlung wiederholt, so tun die Teilnehmer dies, indem sie dieselben Bedeutungen wiederkehrend und konstant benutzen.
 
Akzeptiert man die ständige Neubildung von Handlungen und Deutungen, auch wiederkehrender, bedeutet dies gleichsam eine Verschiebung der Perspektive. Folglich ist es nicht die gemeinsame Handlung, die sich einer immer schon vorhandenen („über allem schwebenden“) Regel oder Norm unterordnet. Blumer geht davon aus, dass die Regeln und Normen dann entstehen, wenn Bedeutungen ausgehandelt werden und die gemeinsame Handlung konstruiert wird.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Symbolischer Interaktionismus}}
* {{WikipediaDE|Samuel von Pufendorf}}
* {{WikipediaDE|Cooleys Beitrag zum Symbolischen Interaktionismus}}


== Literatur ==
== Literatur ==
 
[[Datei:Puf2.JPG|mini|Samuel Pufendorf, Stich von Samuel Blesendorf]]
* Herbert Blumer: ''Symbolic Interactionism. Perspective and Method'', Englewood Cliffs, New Jersey 1969
* Sascha Müller: ''Samuel von Pufendorfs Stärkung des neuzeitlichen Autonomiegedankens. Naturrechtliche Erkenntnis als actio humana''. In: ''Theologische Quartalschrift'' 191, 2011, {{ISSN|0342-1430}}, S.&nbsp;242–259.
* Herbert Blumer: ''Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus''. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): ''Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit'', Bd. 1, Rowohlt, Reinbek 1973 (1981 ISBN 3-531-22054-3)
* Klaus von Beyme: ''Samuel (Freiherr von) Pufendorf.'' In: Klaus von Beyme: ''Geschichte der politischen Theorien in Deutschland. 1300–2000.'' VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16806-7, S. 110–127.
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* {{BBKL|archiveurl=https://web.archive.org/web/20070629055753/http://www.bautz.de/bbkl/p/pufendorf_s.shtml |band=7|spalten=1064-1066|autor=Paul Gerhard Aring|artikel=PUFENDORF, Samuel Freiherr v.}}


== Weblinks ==
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* [http://www.philso.uni-augsburg.de/lehrstuehle/soziologie/sozio1/medienverzeichnis/Bosancic_WS_07_08/GK_Di_PP_symb_interaktionismus.pdf Interaktion und abweichendes Verhalten. Universität Augsburg]
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* {{DNB-Portal|118597051}}
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* [http://gymfloeha.homelinux.net/gymfloeha/index.php?lnk=menu0/pufendorf.inc Samuel-von-Pufendorf-Gymnasium Flöha] – Umfangreiche Biografie
* [http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kalenderblatt/579318/ ''Kalenderblatt''] des Deutschlandfunks anlässlich seines 375. Geburtstags am 8. Januar 2007
* Michael Lausberg: [http://www.tabvlarasa.de/35/Lausberg.php ''Samuel von Pufendorfs politische Philosophie''], TABVLA RASA 35 (2009)
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/pufendorf-moral/|Pufendorf’s Moral and Political Philosophy|Michael Seidler}}


== Einzelnachweise ==
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<references />
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Version vom 28. August 2018, 01:34 Uhr

Samuel von Pufendorf, Kupferstich von Pieter van Gunst nach einem Gemälde von David Klöcker Ehrenstrahl
Unterschrift Pufendorfs
Samuel von Pufendorf: Introduction à l’histoire générale et politique de l’univers

Samuel Freiherr von Pufendorf (* 8. Januar 1632 in Dorfchemnitz; † 26. Oktober 1694 in Berlin) war ein deutscher Naturrechtsphilosoph, Historiker sowie Natur- und Völkerrechtslehrer am Beginn des Zeitalters der Aufklärung. Er gilt als Begründer der Vernunftrechtslehre.

Leben

Samuel Pufendorf wurde als fünftes von acht Kindern des lutherischen Pfarrers Esaias Elias Pufendörfer und dessen Ehefrau Margarete, Tochter des Dippoldiswalder Tuchscherers Thomas Hickmann, in Dorfchemnitz (bei Stollberg/Erzgeb.) geboren. Seine Brüder waren Jeremias Pufendorf und der Diplomat Esaias von Pufendorf.

Seine Kinderjahre verbrachte Pufendorf in Flöha, hier hatte sein Vater seit 1634 die Pfarrersstelle inne. Mit der finanziellen Unterstützung eines Freundes der Familie besuchte er, wie zuvor seine beiden älteren Brüder, ab 1645 die Fürstenschule Grimma. Ausbildungsschwerpunkte waren Grammatik, Logik, Rhetorik und Religion. Pufendorf widmete sich darüber hinaus dem Studium der griechischen und römischen Antike. 1650 schloss er die Schule als Primus des Jahres ab.

Im selben Jahr nahm er auf Wunsch seines inzwischen verstorbenen Vaters an der Universität Leipzig ein Studium der Theologie auf. Nach kurzer Zeit wechselte er jedoch zur Rechtswissenschaft. Den Ausschlag dafür gab das starre Festhalten der Theologieprofessoren an den verbindlich fixierten Lehrmeinungen der Konkordienformel. Im Gegensatz dazu war Pufendorf eher den kritisch-konstruktiven Lehren von René Descartes und Galileo Galilei zugetan. Ergänzend nahm er das Studium der Naturphilosophie, Finanz-, Wirtschafts- und Verwaltungslehre (Kameralistik) sowie der Geschichte und Staatswissenschaft auf. 1656 ging Pufendorf an die Universität Jena, wo er hauptsächlich durch Erhard Weigel beeinflusst wurde. In Jena widmete er sich u. a. den Werken von René Descartes, Hugo Grotius[1] und Thomas Hobbes, die sein späteres Wirken beeinflussen sollten. 1658 beendete Pufendorf das Studium mit dem Titel des Magisters.

Durch Vermittlung seines Bruders Esaias bekam Pufendorf eine Stelle als Hauslehrer beim schwedischen Gesandten Peter Julius Coyet in Kopenhagen. Er verließ Sachsen, das er nie wieder betrat. Bald nach der Ankunft in Kopenhagen geriet er im Schwedisch-Dänischen Krieg in achtmonatige Gefangenschaft. 1660 folgte er dem schwedischen Gesandten nach Den Haag, wo er seine Schrift Grundlagen einer allgemeinen Rechtslehre veröffentlichte, einen Beitrag zur damals schwelenden naturrechtstheoretischen Diskussion. Pufendorf ging von einem rein weltlichen Rechtsgedanken aus und verstand das Naturrecht als Erfahrungswissenschaft. In den Niederlanden machte Pufendorf die Bekanntschaft von Baruch Spinoza.

1661 berief ihn der pfälzische Kurfürst Karl Ludwig nach Heidelberg, wo er in seiner ersten Professur am für ihn neu eingerichteten Lehrstuhl Natur- und Völkerrecht lehrte. Dort erregte er mit seiner scharfen Kritik an der Reichsverfassung den Unwillen seiner Kollegen und ging deshalb 1668 nach Lund in Schweden, wo er eine Professur für Praktische Philosophie erhielt. 1670 amtierte er als Rektor der Universität. 1672 erschien sein lateinisch verfasstes Hauptwerk De jure naturae et gentium libri octo, das 1711 in deutscher Übersetzung unter dem Titel Acht Bücher von Natur und Völkerrecht veröffentlicht wurde. 1677 wechselte Pufendorf nach Stockholm. Der schwedische König Karl XI. ernannte ihn zum Hofhistoriographen, zum Geheimen Rat und Staatssekretär. Der Lutheraner Pufendorf sprach sich für religiöse Toleranz sowie für die wissenschaftliche Trennung von Theologie und Philosophie aus, was ihm zunehmende Anfeindungen einbrachte. Obwohl der schwedische König Pufendorf gerne an seinem Hof gehalten hätte, wechselte er 1688 nach Berlin an den brandenburgischen Hof, ebenfalls als Hofhistoriograph und Geheimer Rat. Dahinter stand neben materiellen Anreizen vor allem die Motivation, gegen das erstarkende Frankreich in den öffentlichen Diskurs einzugreifen. 1694 wurde er von Karl XI. von Schweden in den Freiherrenstand erhoben.

Samuel von Pufendorf starb im Alter von 62 Jahren in Berlin und wurde nahe dem Altar der Nikolaikirche beigesetzt.

Ein Großneffe von Samuel von Pufendorf ist der Jurist und Universalgelehrte Friedrich Esaias Pufendorf.

Wirken

De jure naturae et gentium, 1744.
Ehrentafel für Samuel von Pufendorf im Gymnasium St. Augustin Grimma (im Durchgang des Hauptportals)
Aus einem Brief von Samuel Pufendorf aus Stockholm an einen Jean Christofle in Stralsund, 15. Dezember 1686[2]

Mit seiner Rechtsauffassung eines säkularen Naturrechts (Vernunftrechts) und der Befürwortung eines einheitlichen Völkerrechts nahm Pufendorf maßgeblichen Einfluss auf die deutsche, aber auch europäische Rechts- und Staatsphilosophie im 18. und 19. Jahrhundert und wurde zu einem der Wegbereiter der Aufklärung. Jedoch stimmte für ihn das Naturrecht „mit der christlichen Offenbarung überein, da beide ihren Ursprung in Gott haben. Unter calvinistischen Herrschern bewährte sich Pufendorf als treuer Lutheraner. Er war noch kein Aufklärer. Sein Rationalismus bejahte eine ‚praktische, von Erfahrung geleitete Sozialvernunft‘, die unter Betonung der natürlichen Gleichheit der Menschen den Gedanken der Humanität und der Menschenrechte den Weg bereitete“[3] und für Toleranz plädierte. Das Naturrecht, das seinem Wesen nach inhaltlich unbestimmt ist,[4] ist bei Pufendorf ähnlich wie bei seinem Zeitgenossen John Locke nur scheinbar säkularer Art, da es durch seine Gleichsetzung mit der christlichen Offenbarung durch die ethischen und rechtlichen Grundüberzeugungen der Bibel, wie sie vor allem im Dekalog (10 Gebote; 2 Mos 20 EU) und Jesu Liebesgebot (Matthäus 5,44 EU) zum Ausdruck kommen, inhaltlich definiert wird.[5] Da seine Schriften zusammen mit denen Lockes in den englischen Kolonien Nordamerikas großes Gehör fanden, wurde Pufendorf zu einem der Vordenker der amerikanischen Revolution und der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.[6]

Darüber hinaus leistete Pufendorf eine naturrechtliche Systematisierung der frühneuzeitlichen Rechtsverhältnisse. Er leitete die Staatenbildung aus der natürlichen Geselligkeit und der Bedürftigkeit des Menschen ab, den Unterschied zwischen Recht und Unrecht zu erkennen. Damit setzte er sich in Widerspruch zur bisherigen Staatstheorie, die das Recht auf göttliche Gesetze zurückführte. Darüber hinaus führte Pufendorf den Begriff der Würde (dignatio) des Menschen ein, eine Fundamentalnorm (Grundwert), die später in zahlreichen Verfassungen eine zentrale Bedeutung erlangen sollte.

Pufendorf hat den neuzeitlichen Autonomiegedanken u. a. mit Rekurs auf antikes Vorstellungsmaterial (z. B. Cicero, Seneca, Maximus Tyrius) mitvorbereitet.[7] Dabei vertiefte er das Naturverständnis der Antike in Richtung einer theistischen Letztbegründung. Die Selbstgesetzgebung der Freiheit findet dadurch zu ihrer humanen Form und kann sich als actio humana in die kreative Weltgestaltung einbringen. Pufendorf kann somit als Wegbereiter eines moralischen Idealismus im Stile Immanuel Kants gelten, der, angesichts des natürlichen Handlungsspielraums in der Welt, vor der Frage nach Gott als Frage nach unverlierbarem Glück nicht zurückschreckt.[8]

Zu großer und schon zeitgenössischer Bekanntheit brachte es außerdem seine Charakterisierung der Verfassung des Heiligen Römischen Reichs als eines „irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körpers“ (irregulare aliquod corpus et monstro simile).[9] Dieses Urteil, zu dem er in einer großen Studie über den Zustand des Reiches kommt (De statu imperii Germanici von 1667), machte ihn rasch zum bedeutendsten, aber auch umstrittensten Denker der Reichspublizistik, obgleich er seine Reichsverfassungsschrift zu Lebzeiten nur unter Pseudonym (Severinus de Monzambano) veröffentlicht hatte. Zur Einschätzung der Reichsverfassung als „irregulär“ und „monströs“ gelangte er auf Grund der Erkenntnis, dass das Reich weder einer der aristotelischen Staatsformen zuzuordnen ist noch den Begrifflichkeiten der Souveränitätsthese gerecht wird. Obwohl sein Urteil infolgedessen gar nicht wertend verstanden werden muss, lieferte es bis in das 20. Jahrhundert hinein eine Grundlage dafür, das Alte Reich etwa als „Unstaat“ und als Hemmschuh der deutschen Nation anzusehen (insbesondere Heinrich von Treitschke vertrat diese Ansicht).[10]

Im Eherecht wurde er über die in De iure naturae et gentium libri octo[11] ausformulierte und mit zahlreichen Beispielen belegte Theorie von der Ehe als Vertrag zwischen zwei bis zum Vertragsschluss mit gleichen Rechten ausgestatteten Individuen zu einem Wegbereiter der Gleichberechtigung. Diese 1672 publizierte Schrift zum Natur- und Völkerrecht setzte vornehmlich von Grotius bereits entworfenes Zivilrecht fort, das er allerdings systematisiert und in von jenem nicht bearbeiteten Bereichen ergänzt.[12] 1673 folgte sein Werk De officio hominis et civis prout ipsi praescribuntur lege naturali. Beide Werke zusammen gelten als Begründungsarbeiten der Vernunftrechtslehre.[13] Viele spätere Naturrechtler wie Christian Thomasius, Christian Wolff und Karl Anton von Martini bauen mehr oder weniger deutlich auf den Gedanken Pufendorfs zum ehelichen Verhältnis der Geschlechter auf.

Werke (Auswahl)

  • De iure naturae et gentium libri octo. 1672, deutsch: Acht Bücher vom Natur- und Völcker-Rechte / mit des … Johann Nicolai Hertii, Johann Barbeyrac u. a. hochgelehrten Männern außerlesenen Anm. erl. u. in die teutsche Sprach übers. Knochen, Franckfurt a.M 1711. (Nachdruck: Olms, Hildesheim 2001) urn:nbn:de:hbz:061:1-5824 bei der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf.
  • De officio hominis et civis prout ipsi praescribuntur lege naturali. 1673 (Nachdruck: Hein, Buffalo NY 1995)[14]
    • Deutsch: Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur. Hg., Übers. Klaus Luig, Insel, Frankfurt 1994 ISBN 978-3-458-16652-8
    • On the duty of man and citizen according to natural law. Übers. Michael Silverthorne, Cambridge Texts in the History of Political Thought, Hg. James Tully. Cambridge University Press, 1991. Japanische Ausgabe 2003
  • De statu imperii germanici ad Laelium fratrem, dominum Trezolani, liber unus. Genf (Den Haag) 1667 (veröffentlicht unter dem Pseudonym „Severinus de Monzambano Veronensis“).
    • Deutsche Übersetzung „durch einen liebhaber der Sachen“, s. l. 1667 Digitalisat und Volltext
    • Deutsche Übersetzung von Harry Bresslau, Verlag von L. Heimann, Berlin 1870: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches bei Wikisource.
  • Elementorum Iurisprudentiae Universalis Libri Duo. Jena 1660 (Nachdruck: Hein, Buffalo NY 1995).
  • Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten, so itziger Zeit in Europa sich befinden. Frankfurt am Main 1684 (Ausgabe 1695).
  • Commentariorum De Rebus Suecicis ab Expeditione Gustavi Adolphi in Germaniam ad Abdicationem usque Christinae. 1686.
  • Über die Natur und Eigenschaft der christlichen Religion und Kirche in Ansehung des bürgerlichen Lebens und Staats. 1687.
  • Einleitung zur Sitten- und Stats-Lehre. Übersetzt durch Immanuel Weber. Gleditsch, Leipzig 1691. Digitalisat und Volltext
  • De Rebus Gestis Friderici Wilhelmi Magni Electoris Brandenburgici Commentariorum Libri Novendecim. Postum 1695.
  • De rebus a Carolo Gustavo Sueciae rege gestis commentariorum. Nürnberg 1696 (E-Kopie)
  • Sieben Bücher von denen Thaten Carl Gustavs Königs in Schweden: Mit vortrefflichen Kupffern ausgezieret und mit nöthigen Registern versehen … Riegel, Nürnberg, postum 1697.
  • Schwedisch und Deutsche Kriegs-Geschichte, Von König Gustav Adolfs Feldzuge in Deutschland an, biß zur Abdanckung Der Königin Christina: Darinn zugleich beschrieben wird, Was die Cron Schweden selbige Zeit über mit andern Staaten von Europa zu thun gehabt; Nebst dem Osnabrügischen und Münsterischen Friedens-Schluße, Wie auch einem doppelten Register Der Sachen und Nahmen tapferer Leute und Familien, so in dieser Historie vorkommen, Band 1

Siehe auch

Literatur

Samuel Pufendorf, Stich von Samuel Blesendorf
  • Sascha Müller: Samuel von Pufendorfs Stärkung des neuzeitlichen Autonomiegedankens. Naturrechtliche Erkenntnis als actio humana. In: Theologische Quartalschrift 191, 2011, ISSN 0342-1430, S. 242–259.
  • Klaus von Beyme: Samuel (Freiherr von) Pufendorf. In: Klaus von Beyme: Geschichte der politischen Theorien in Deutschland. 1300–2000. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16806-7, S. 110–127.
  • Harry Breßlau: Pufendorf, Samuel. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Bd. 26, Leipzig 1888, S. 701–708.
  • Craig L. Carr (Hrsg.): Political Writings of Samuel Pufendorf. Oxford University Press, New York u. a. 1994, ISBN 0-19-506560-3.
  • Horst Denzer: Pufendorf. In: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.): Klassiker des Politischen Denkens. Band 2: Von Locke bis Weber. C. H. Beck, München 1968, S. 27–52.
  • Horst Denzer: Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf. Eine geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung zur Geburt des Naturrechts aus der praktischen Philosophie (= Münchener Studien zur Politik 22). C. H. Beck, München 1972, ISBN 3-406-03732-1 (zugleich: München, Univ., Philos. Fak., Diss. 1971).
  • Horst Dreitzel: Samuel Pufendorf. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Band 4: Helmut Holzhey, Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hrsg.): Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa. Halbband 2. Schwabe, Basel 2001, ISBN 3-7965-1035-3, S. 757–812 (mit Literatur-Nachweisen).
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  • Heikki Haara: Sociability in Samuel Pufendorf’s Natural Law Theory. (Dissertation.) Universität Helsinki. ISBN 978-951-51-2904-8. Zusammenfassung.
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  • Dieter Hüning (Hrsg.): Naturrecht und Staatstheorie bei Samuel Pufendorf (= Staatsverständnisse 23). Nomos, Baden-Baden 2009, ISBN 978-3-8329-4467-4.
  • Leonard Krieger: The Politics of Discretion. Pufendorf and the Acceptance of Natural Law. Chicago University Press, Chicago IL u. a. 1965.
  • Klaus Luig: Samuel Pufendorf. Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers. In: Manfred Brocker (Hrsg.): Geschichte des politischen Denkens. Ein Handbuch (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1818). Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-518-29418-5, S. 242–257.
  • Klaus Luig: Pufendorf, Samuel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, S. 3–5 (Digitalisat).
  • Johann Georg Meusel: Leben des Freyherrn Samuel von Pufendorf. In: Historisch-litterarisch-bibliographisches Magazin. 1. Stück, 1788, ISSN 1017-3994, S. 27–37. (Digitalisat).
  • Fiammetta Palladini, Gerald Hartung (Hrsg.): Samuel Pufendorf und die europäische Frühaufklärung. Werk und Einfluß eines deutschen Bürgers der Gelehrtenrepublik nach 300 Jahren (1694–1994). Akademie-Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-05-002874-2.
  • Horst Rabe: Naturrecht und Kirche bei Samuel von Pufendorf. Eine Untersuchung der naturrechtlichen Einflüsse auf den Kirchenbegriff Pufendorfs als Studie zur Entstehung des modernen Denkens (= Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte 5, ISSN 0582-0367). Fabian, Tübingen 1958 (zugleich: Diss. Göttingen).
  • Thorsten Ingo Schmidt: Samuel von Pufendorf – Wegbereiter des Gleichheitssatzes? – Zwischen Menschenwürde und Staatsklugheit. In: Zeitschrift für Rechtsphilosophie. Jg. 2005, ISSN 1618-4726, S. 111–115.
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  • Paul Gerhard Aring: PUFENDORF, Samuel Freiherr v. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 7, Bautz, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-048-4, Sp. 1064–1066.

Weblinks

Commons: Samuel von Pufendorf - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wikisource: Samuel von Pufendorf – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Martin Schermaier: Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB (= Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte. Band 29). Böhlau Verlag Wien/Köln/Weimar 2000, Abschnitt 10, Die Irrtumsrechtliche Diskussion zwischen Erklärungs-, Vertrauens- und Willenstheorie, S. 537 ff.
  2. Ediert von Johann Claußen im Schulprogramm des Christianeums zu Altona, 1906.
  3. Hans Hohlwein: Pufendorf, Samuel Freiherr von. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage. Band V, Sp. 721.
  4. Helmut Thielicke: Theologische Ethik, 1. Band. Tübingen (1958), S. 657. - Vgl. Erik Wolf: Naturrecht. Profanes Naturrecht. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage. Band IV, Spalte 1355.
  5. Cf. Jeremy Waldron: God, Locke, and Equality: Christian Foundations in Locke’s Political Thought. Cambridge University Press (2002), S. 22 ff.
  6. Clifton E. Olmstead: History of Religion in the United States. Prentice-Hall, Englewood Cliffs, N.J. (1960), S. 89.
  7. vgl. Pufendorf: De Jure Naturae Et Gentium [= JNG], I, 3: libri octo: Tomus primus [ed. Gottfridus Mascovius]. Frankfurt-Leipzig 1759 [Neudruck: Frankfurt/M. 1967], S. 8; vgl. JNG I, 1, §14: ed. Mascovius, S. 15.
  8. vgl. Pufendorf: De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo, Lib. I, Cap. I, §1. Londini Scanorum [Lund] 1673. In: Gesammelte Werke [hrsg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann]: Band 2 [hrsg. von Gerald Hartung]. Berlin 1997, S. 13.
  9. Samuel von Pufendorf: Die Verfassung des deutschen Reiches. Herausgegeben und übersetzt von Horst Denzer (= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens, hrsg. von Hans Maier und Michael Stolleis, Bd. 4). Leipzig, 1994, c. VI, § 9 (S. 198 f.).
  10. Julia Haas: Die Reichstheorie in Pufendorfs „Severinus de Monzambo“. Monstrositätsthese und Reichsdebatte im Spiegel der politisch-juristischen Literatur von 1667 bis heute. Duncker & Humblot, Berlin 2007, S. 108 ff.
  11. Buch 6, Kapitel 1, §§ 9–13.
  12. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 3 Rnr. 4.
  13. Helmut Coing: Epochen der Rechtsgeschichte in Deutschland, München 1. Auflage 1967, 1976, S. 129.
  14. weitere lat. Fass.: De officio hominis et civis juxta legem naturalem


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