Stanislas Dehaene und Verifikationismus: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Joachim Stiller
 
imported>Odyssee
(Die Seite wurde neu angelegt: „'''Verifikationismus''' ist eine Position in der Sprachphilosophie, der zufolge der Sinn eines Satzes in der Methode seiner Verifikat…“)
 
Zeile 1: Zeile 1:
[[Datei:Stanislas Dehaene 2014.jpg|mini|hochkant|Stanislas Dehaene 2014]]
'''Verifikationismus''' ist eine Position in der [[Sprachphilosophie]], der zufolge der [[Sinn (Semantik)|Sinn]] eines Satzes in der Methode seiner [[Verifikation]] besteht.<ref>[[Moritz Schlick]]: ''Philosophische Logik''. Frankfurt 1986, S. 144.</ref>
'''Stanislas Dehaene''' (* [[Wikipedia:12. Mai|12. Mai]] [[Wikipedia:1965|1965]] in [[Wikipedia:Roubaix|Roubaix]]) ist ein [[Frankreich|französischer]] Neurowissenschaftler und Professor am [[Wikipedia:Collège de France|Collège de France]]. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die [[kognitiv]]e [[Neurowissenschaft]] und hier insbesondere die numerische Kognition und die Theorie der [[Neuronales Korrelat des Bewusstseins|neuronalen Korrelate des Bewusstseins]]. Dehaene gehört zu den einflussreichsten Forschern im Bereich der mentalen Verarbeitung mathematischer Probleme und hat die [[kognitionswissenschaft]]liche Debatte in Frankreich maßgeblich beeinflusst.


== Leben ==
Der Verifikationismus ist auf dem Hintergrund des Problems zu sehen, ein [[Sinnkriterium]] zu formulieren, das [[Wissenschaft|wissenschaftlich]] bedeutsame Aussagen von [[Metaphysik|metaphysischen]] [[Aussage|Aussagen]] zu unterscheiden erlaubt. Der Verifikationismus hat damit zur Absicht und Konsequenz, dass Sätze, die sich nicht verifizieren lassen, als sinnlos bezeichnet werden. Sinnlose Aussagen sind aus der empirischen Wissenschaft auszuscheiden.
Nach einem Studium der Mathematik an der [[Wikipedia:École normale supérieure|École normale supérieure]] 1984 bis 1989 wandte sich Dehaene der [[Neurowissenschaft]] zu, wozu er durch [[Jean-Pierre Changeux]]s einflussreiches Buch ''L’Homme neuronal'' inspiriert wurde. Nach seinem [[Wikipedia:PhD|PhD]] in Psychologie arbeitete Dehaene unter anderem in der Forschungsgruppe von [[Wikipedia:Michael Posner (Psychologe)|Michael Posner]] an der [[Wikipedia:University of Oregon|University of Oregon]].


Von 1997 bis 2005 war er Forschungsdirektor am [[Wikipedia:Institut national de la santé et de la recherche médicale|Institut national de la santé et de la recherche médicale]] (INSERM, Nationales französisches Institut für medizinische Forschung).
Ausgehend von [[Ludwig Wittgenstein]] wurde der Verifikationismus durch den [[Wiener Kreis]] vertreten, und zwar in unterschiedlichen Versionen von [[Rudolf Carnap]], [[Moritz Schlick]] und [[Friedrich Waismann]].


Seit 2005 ist er Leiter des Instituts für experimentelle [[Kognitionspsychologie]] am Collège de France. Er ist Mitherausgeber der Zeitschriften ''[[Wikipedia:Science|Science]]'', ''[[Wikipedia:Cognition|Cognition]]'' und ''Frontiers in Neurosciences'', außerdem Beiratsmitglied von ''[[Wikipedia:NeuroImage|NeuroImage]]'', ''[[Wikipedia:PLoS Biology|PLoS Biology]]'' und ''Mind Brain and Education''.
Der Verifikationismus ist nicht einfach die Umkehrung des [[Falsifikationismus]]. Denn [[Karl Popper|Popper]] geht es bei letzterem um ein davon abweichendes Problem: Er sucht nicht ein Kriterium für den Sinn von Aussagen, sondern ein [[Abgrenzungsproblem|Abgrenzungskriterium]] von empirischer Wissenschaft einerseits und Metaphysik, [[Logik]], [[Mathematik]] und [[Pseudowissenschaft]] auf der anderen Seite. Er findet dieses Kriterium in der Widerlegbarkeit von Aussagen durch empirische Tests.<ref>Hans-Joachim Dahms: ''Positivismusstreit: Die Auseinandersetzungen der Frankfurter Schule mit dem logischen Positivismus, dem amerikanischen Pragmatismus und dem kritischen Rationalismus.'' Suhrkamp, 1994, ISBN 3-518-28658-7, S. 330 ff.</ref>


2001 erhielt Dehaene den [[Wikipedia:Jean-Louis-Signoret-Preis|Jean-Louis-Signoret-Preis]]. 2003 wurde ihm für seine Arbeiten im Bereich der numerischen Kognition der Louis D. Preis des [[Wikipedia:Institut de France|Institut de France]] verliehen, 2012 den [[Wikipedia:Prix Roger de Spoelberch|Prix Roger de Spoelberch]] und 2014 der [[Wikipedia:Brain Prize|Brain Prize]]. Dehaene war zudem Präsident der [[Wikipedia:Association for the Scientific Study of Consciousness|Association for the Scientific Study of Consciousness]]. Seit 2009 ist er ordentliches Mitglied der [[Wikipedia:Academia Europaea|Academia Europaea]],<ref>{{Internetquelle| url=http://www.ae-info.org/ae/Member/Dehaene_Stanislas| titel=Mitgliederverzeichnis: Stanislas Dehaene
Der Philosoph [[Daniel Dennett]] versucht, mittels des Verifikationismus Probleme in der [[Philosophie des Geistes]] – etwa das [[Qualia]]problem – als [[Scheinproblem]]e zu entlarven.
| hrsg=Academia Europaea| zugriff=2017-09-01}}</ref> seit 2010 der [[Wikipedia:National Academy of Sciences|National Academy of Sciences]]. 2014 wurde er in die [[Wikipedia:European Molecular Biology Organization|EMBO]] gewählt.<ref>[http://idw-online.de/en/news585634 EMBO enlarges its membership for 50th anniversary.] Pressemitteilung vom 8. Mai 2014 beim [[Wikipedia:Informationsdienst Wissenschaft|Informationsdienst Wissenschaft]] (idw-online.de)</ref>


== Leistungen ==
[[Michael Dummett]] hat innerhalb seiner Sprachphilosophie folgende Alternative zur Erklärung der Bedeutung eines Satzes in einer jeweiligen Sprache untersucht: a) in Begriffen, wie wir ihn als wahr erweisen; b) in Begriffen dessen, was involviert ist, wenn wir ihn als wahr akzeptieren.<ref>„What we have been considering are two alternative ways of explaining the meanings of sentences of a language in terms of how we establish them as true; and in terms of what is involved in accepting them as true… They are complementary in that both are needed to give an account of the practice of speaking the language.“ (''Language and Truth.'' In: ''The Sea of Language.'' Oxford 1993, S. 142); siehe dazu [[Jürgen Habermas]]: ''Wahrheit und Rechtfertigung.'' Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-29323-0, S. 96.</ref>
Bekannt ist Dehaene insbesondere für seine Erforschung der mentalen Verarbeitung mathematischer Probleme. In der Forschung stützt er sich neben kognitionspsychologischen Methoden insbesondere auf [[Bildgebendes Verfahren (Medizin)|bildgebende Verfahren]] ([[Wikipedia:Elektroenzephalografie|Elektroenzephalografie]] (EEG) und der [[Wikipedia:Magnetresonanztomographie|Magnetresonanztomographie]] (MRT)), die nach Dehaene zeigen, dass beim Lösen mathematischer Probleme primär Bereiche des [[Wikipedia:Frontallappen|Frontal-]] und des [[Wikipedia:Parietallappen|Parietallappen]]s aktiv sind. In eine ähnliche Richtung weisen [[Neurologie|neurologische]] Studien zu [[Wikipedia:Läsion|Gehirnläsionen]].


Dehaene argumentiert zudem, dass auch Tiere und Kinder im Alter von 6 Monaten einen elementaren „[[Zahlensinn]]“ haben. So wurden Ratten darauf trainiert, Aktionen 8 oder 16 mal durchzuführen, um zu Nahrung zu gelangen. Bei Kindern nahm die [[Aufmerksamkeit]] zu, wenn man nach mehrmaliger Präsentation von 16 Punkten ein Bild mit 8 Punkten präsentierte. Dabei wurde darauf geachtet, dass der Aufmerksamkeitswechsel nicht durch Randbedingungen (etwa die Fläche, die die Punkte einnehmen) beeinflusst wurde. Es veränderte sich zudem die Aufmerksamkeit, wenn die Verhältnisse von Punktverteilungen verändert wurden (zunächst etwa das Verteilungsverhältnis 2:1, danach 3:2).<ref name="Feigson et al. 04" />
== Einzelbelege ==
 
<references />
Im Folgenden versucht Dehaene eine evolutionäre und kognitionswissenschaftliche Erklärung für die Entwicklung der numerischen Kognition zu geben: „Weil wir in einer Welt von diskreten und beweglichen Objekten leben, ist das Extrahieren von Nummern sehr nützlich. Sie können helfen, Feinde aufzuspüren oder den besten Platz für die Futtersuche auszuwählen, um nur zwei Beispiele zu erwähnen. Dies ist der Grund, warum die Evolution die Gehirne von uns und vielen Tieren mit einfachen numerischen Mechanismen ausgestattet hat. In Tieren sind diese Mechanismen sehr einfach […]. Wir Menschen haben zudem die Fähigkeit zu Sprache und symbolischer Vorstellung. Dies hat es uns ermöglicht, exakte mentale Repräsentationen für große Zahlen und Algorithmen für präzise Kalkulationen zu entwickeln.“<ref name="Dehaene 97" />
 
In den letzten Jahren hat sich Dehaene zunehmend einer allgemeinen Theorie des Bewusstseins zugewandt, wobei er sich insbesondere auf [[Bernard Baars]]’ Theorie des globalen Arbeitsraums (''Global Workspace Theory'') bezieht. Baars argumentiert, dass kognitive Prozesse genau dann [[Bewusstsein|bewusst]] werden, wenn sie in einem globalen Arbeitsraum präsentiert und somit für andere kognitive Prozesse zugänglich werden. Eine [[Wahrnehmung]] wird etwa bewusst, wenn sie in diesen Arbeitsraum gelangt und dadurch Objekt des expliziten Nachdenkens, Lernens, Problemlösens oder Erinnerns werden kann. Dehaene versucht, Baars’ weitgehend psychologisches Modell auf ein gehirnphysiologisch realistisches Fundament zu stellen.<ref name="Dehaene und Naccache 01" />
 
== Schriften ==
* (Ed.): ''Numerical Cognition'' (''Cognition'', special issue). Blackwell, Oxford 1993. ISBN 1-55786-444-6
* (Ed.): ''Le Cerveau en action: l'imagerie cérébrale en psychologie cognitive''. Presses Universitaires de France, Paris 1997. ISBN 2-13-048270-8
* ''La Bosse des maths''. Odile Jacob, Paris 1997. ISBN 0-7139-9170-4 (englisch: ''The number sense. How the Mind Creates Mathematics''. Oxford University Press, New York 1997; Penguin Press, Cambridge 1997. ISBN 978-0-19-513240-3; deutsch: ''Der Zahlensinn oder Warum wir rechnen können''. Birkhäuser, Basel 1999. ISBN 3-7643-5960-9)
* (Ed.): ''The Cognitive Neuroscience of Consciousness''. MIT Press, Cambridge, MA 2001. ISBN 0-262-54131-9
* mit  Duhamel, J.R., Hauser, M. und Rizzolatti, G. (Eds): ''From Monkey Brain to Human Brain''. MIT Press, Cambridge, MA 2005. ISBN 0-262-04223-1
* ''Vers une science de la vie mentale'' [Antrittsvorlesung am Collège de France]. Fayard, Paris 2007.  ISBN 2-213-63084-4
* ''Les Neurones de la Lecture''. Odile Jacob, Paris 2007 (englisch: ''Reading in the Brain. The Science and Evolution of a Human Invention''. Viking, New York 2009. ISBN 978-0-670-02110-9; deutsch: ''Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert''. Knaus, München 2010. ISBN 978-3-8135-0383-8)
* ''Consciousness and the Brain. Deciphering How the Brain Codes Our Thoughts''. Viking, New York 2014. ISBN 978-0-670-02543-5
** deutsch: ''Denken: Wie das Gehirn Bewusstsein schafft.'' Albrecht Knaus Verlag (Random House), München 2014. ISBN 978-3-8135-0420-0 (Print); ISBN 978-3-641-14774-7 (eBook)


== Literatur ==
== Literatur ==
* Susan M. Fitzpatrick (Hrsg.): ''Carving our destiny. Scientific research faces a new millennium''. J. H. Press, Washington, D.C. 2001, ISBN 0-309-06848-7
* [[Carl G. Hempel]]: ''Empiricist Criteria of Cognitive Significance: Problems and Changes.'' In: ''Aspects of Scientific explanation: And Other Essays In The Philosophy of Science.'' The Free Press, New York/ London 1968.
 
== Einzelnachweise ==
<references>
<ref name="Feigson et al. 04">
Feigenson, L., Dehaene, S. & Spelke, E.''Core systems of number'', in: ''Trends in Cognitive Science'', vol. 8, no. 7, 2004, S. 307–314 {{ISSN|1364-6613}}
</ref>
<ref name="Dehaene 97">
{{Internetquelle
|autor=Stanislas Dehaene
|url=http://www.edge.org/3rd_culture/dehaene/index.html
|sprache=en
|titel=What Are Numbers, Really? A Cerebral Basis For Number Sense
|werk=The Third Culture
|datum=1997-10-27
|zugriff=2010-09-08}}
</ref>
<ref name="Dehaene und Naccache 01">
Dehaene, S. and Naccache, L.: ''Towards a cognitive neuroscience of consciousness: Basic evidence and a workspace framework'', in: ''Cognition'', 2001, S. 1–37.
</ref>
</references>
 
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|130199133}}
* [http://www.unicog.org/ Website von Dehaenes Labor]
* [http://www.college-de-france.fr/default/EN/all/psy_cog/biographie.htm Seite am College de France]
* [http://www.edge.org/3rd_culture/bios/dehaene.html Biographie]
 
{{Normdaten|TYP=p|GND=130199133|LCCN=n/93/7066|VIAF=79101210}}


{{SORTIERUNG:Dehaene, Stanislas}}
[[Kategorie:Sprachphilosophie]]
[[Kategorie:Neurowissenschaftler]]
[[Kategorie:Positivismus]]
[[Kategorie:Mathematiker (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Mathematiker (21. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Franzose]]
[[Kategorie:Geboren 1965]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 15. September 2018, 06:46 Uhr

Verifikationismus ist eine Position in der Sprachphilosophie, der zufolge der Sinn eines Satzes in der Methode seiner Verifikation besteht.[1]

Der Verifikationismus ist auf dem Hintergrund des Problems zu sehen, ein Sinnkriterium zu formulieren, das wissenschaftlich bedeutsame Aussagen von metaphysischen Aussagen zu unterscheiden erlaubt. Der Verifikationismus hat damit zur Absicht und Konsequenz, dass Sätze, die sich nicht verifizieren lassen, als sinnlos bezeichnet werden. Sinnlose Aussagen sind aus der empirischen Wissenschaft auszuscheiden.

Ausgehend von Ludwig Wittgenstein wurde der Verifikationismus durch den Wiener Kreis vertreten, und zwar in unterschiedlichen Versionen von Rudolf Carnap, Moritz Schlick und Friedrich Waismann.

Der Verifikationismus ist nicht einfach die Umkehrung des Falsifikationismus. Denn Popper geht es bei letzterem um ein davon abweichendes Problem: Er sucht nicht ein Kriterium für den Sinn von Aussagen, sondern ein Abgrenzungskriterium von empirischer Wissenschaft einerseits und Metaphysik, Logik, Mathematik und Pseudowissenschaft auf der anderen Seite. Er findet dieses Kriterium in der Widerlegbarkeit von Aussagen durch empirische Tests.[2]

Der Philosoph Daniel Dennett versucht, mittels des Verifikationismus Probleme in der Philosophie des Geistes – etwa das Qualiaproblem – als Scheinprobleme zu entlarven.

Michael Dummett hat innerhalb seiner Sprachphilosophie folgende Alternative zur Erklärung der Bedeutung eines Satzes in einer jeweiligen Sprache untersucht: a) in Begriffen, wie wir ihn als wahr erweisen; b) in Begriffen dessen, was involviert ist, wenn wir ihn als wahr akzeptieren.[3]

Einzelbelege

  1. Moritz Schlick: Philosophische Logik. Frankfurt 1986, S. 144.
  2. Hans-Joachim Dahms: Positivismusstreit: Die Auseinandersetzungen der Frankfurter Schule mit dem logischen Positivismus, dem amerikanischen Pragmatismus und dem kritischen Rationalismus. Suhrkamp, 1994, ISBN 3-518-28658-7, S. 330 ff.
  3. „What we have been considering are two alternative ways of explaining the meanings of sentences of a language in terms of how we establish them as true; and in terms of what is involved in accepting them as true… They are complementary in that both are needed to give an account of the practice of speaking the language.“ (Language and Truth. In: The Sea of Language. Oxford 1993, S. 142); siehe dazu Jürgen Habermas: Wahrheit und Rechtfertigung. Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-29323-0, S. 96.

Literatur

  • Carl G. Hempel: Empiricist Criteria of Cognitive Significance: Problems and Changes. In: Aspects of Scientific explanation: And Other Essays In The Philosophy of Science. The Free Press, New York/ London 1968.


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Verifikationismus aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.