Lerntheorie

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Lerntheorien sind Modelle und Hypothesen, anhand derer Lernvorgänge psychologisch beschrieben und erklärt werden sollen. Der komplexe Vorgang des Lernens wird dabei mit möglichst einfachen Prinzipien und Regeln erklärt. In der Lernpsychologie werden Theorien entwickelt und mit Hilfe empirischer Untersuchungen ihr Gehalt und ihre Umsetzbarkeit überprüft.

Der Überblick über die wichtigsten lerntheoretischen Ansätze und Aussagen zeigt, dass sich die meisten der vorhandenen Lerntheorien auf besondere, einzelne Formen des Lernens konzentrieren.

Behavioristische Lerntheorien

Bei dem Behaviorismus wird das Verhalten (eng. behavior) eines Lebewesens untersucht. Dieses wissenschaftliche, theoretische Konzept stammt aus dem Bereich der Psychologie. Der Mensch als Ergebnis seiner Umgebung oder Umwelt ist der Hauptpunkt des Behaviorismus. Für die Vertreter der behavioristischen Lerntheorie ist der geistige Vorgang nicht von Bedeutung. Das Verhalten eines Individuums wird ohne diesen Aspekt beobachtet. In den 1960er Jahren entwickelten diese besonderen Vertreter drei unterschiedliche Lerntheorien:

Vertreter: Iwan Petrowitsch Pawlow (1849–1936), John B. Watson (1878–1958)

Vertreter: B.F. Skinner (1904–1990), Edward Lee Thorndike (1874–1949)

Edward Lee Thorndike erforschte am Ende des 19. Jahrhunderts Problemlösen und die Rolle von Einsicht. In seinem paradigmatischen Experiment von 1898 setzte er Katzen in einen Käfig, der von innen durch Ziehen an einer Schnur zu öffnen war, legte außen Futter hin und maß die Zeit, die die Katzen zur Selbstbefreiung benötigten. Seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen führten zur Theorie der instrumentellen Konditionierung.

Kurze Zeit später entstand die Theorie der Klassischen Konditionierung. Zufällig stieß 1905 der Physiologe Iwan Pawlow auf dieses Prinzip (zum Versuch: siehe auch Pawlowscher Hund). Eine klassische Konditionierung erfolgt, wenn ein ursprünglich neutraler Reiz (etwa ein Ton) einen Reflex, zum Beispiel Speichelfluss oder Lidschluss auslöst.

B. F. Skinner hat sich v. a. mit dem operanten Verhalten, also der Rückwirkung der Konsequenzen eines Verhaltens auf dasselbe, beschäftigt und das Prinzip der operanten Konditionierung beschrieben.

Diese Lernprinzipien wurden ab den 1960er Jahren in der Psychologie um die Prinzipien des Lernens am Modell und (mit Einschränkungen) des Lernens durch Einsicht ergänzt.

Instruktionalismus

Beim Instruktionalismus wird dem Lernenden Wissen vermittelt, welches dieser passiv aufnehmen soll. Dieses vermittelte Wissen wird durch Übungen vertieft. Diese Lerntheorie folgt dem Modell des Behaviorismus, d. h. dass Reiz-Reaktionsmodelle verstärkt werden. Auf einen bestimmten Reiz wird eine Reaktion antrainiert. Es wird kaum auf Vorwissen, Erfahrungen oder Stärken des Lerners eingegangen.

Lernen durch Einsicht, Lernen am Modell

Die Lerntheorien des Kognitivismus beziehen Kognitionen und Emotionen mit ein. Eine kognitive Theorie ist beispielsweise die des Lernens durch Einsicht (kognitives Lernen).

Die Theorie des Lernens am Modell beruht darauf, dass viele Tiere und die Menschen durch Abschauen bei anderen lernen und das Gesehene in einfachen oder komplexen kognitiven Prozessen verarbeiten, wobei sie ein kognitives Konzept als Modell eigenen Verhaltens erstellen.

Die Bedeutung von Kognition zeigt sich in der sozial-kognitiven Theorie Albert Banduras:

Die Erwartung der eigenen Selbstwirksamkeit (eng. Self-Efficacy) ist hier ein zentraler Einfluss auf das Verhalten – ein anderer ist hier die aktuelle Gefühlslage.

Lernen am Modell, Imitationslernen und Identifikationslernen sind Formen des sozialen Lernens.

  • Beim Lernen am Modell liegt die Attraktivität bei dem Erfolg der beobachteten Handlung.
  • Beim Imitationslernen liegt die Attraktivität in der beobachteten Handlung.
  • Beim Identifikationslernen liegt die Attraktivität in der beobachteten Person.

Das Instruktionslernen (Instruktionismus) gehört auch zu den kognitivistischen Lerntheorien und hat nichts mit dem behavioristischen Ansatz des Instruktionalismus zu tun.

Situativer Kontext / Transfer

Dass Lernen in bestimmten Situationen geschieht, ist der Ausgangspunkt für lerntheoretische Ansätze zum Situativen Lernen oder auch situiertem Lernen. Sie beruhen unter anderem auf der Beobachtung, dass Schüler das schulisch Gelernte zwar unter Umständen ganz ordentlich im Unterricht und Schule anwenden, jedoch in einer neuen oder andersartigen Situation (etwa beim Bezahlen im Geschäft) nicht zur Anwendung bringen (Kluft zwischen Wissen und Handeln).

Biokybernetisch-neuronale Lerntheorien

In letzter Zeit werden auch vermehrt biokybernetisch-neuronale Ansätze (Neurobiologie) formuliert, welche in erster Linie die Funktionsweise des menschlichen Gehirns und des Nervensystems beschreiben,[1] siehe auch → Kognitionswissenschaft. Einen Gegenstand innerhalb der biokybernetisch-neuronalen Lerntheorien bilden die Spiegelneurone, die neben Einfühlungsvermögen (Empathie) und Rapportfähigkeit auch an neuronalen Grundfunktionen für das Lernen am Modell beteiligt sein könnten.[2][3]

Maschinelles Lernen

Die statistische Lerntheorie nach Wladimir Wapnik und Alexey Chervonenkis untersucht die statistischen Eigenschaften von Lernalgorithmen (Maschinelles Lernen). Das Hauptziel ist, einen theoretischen Rahmen für das Problem der Inferenz zu bieten – d. h. für das Problem, aus einem Datensatz Wissen über zugrunde liegende Muster zu erlangen.

Kritik

Die Kritiker der Lerntheorien nennen zwei wesentliche Punkte:[4] Zum einen weisen sie darauf hin, dass Lerntheorien nur abgeschautes / nachgemachtes Verhalten erklären können. Es gebe daher keine Erklärung für neues Verhalten, also für Innovation oder Kreativität. Zusätzlich handele es sich bei der Mehrzahl der beobachteten Lernvorgänge um die Verstärkung von Leistungen, die einen Mangelzustand (z. B. Hunger oder Durst) ausgleichen sollen. Kritiker sehen das volle Potenzial des Menschen aber erst dann verwirklicht, wenn übergeordnete Motive angestrebt werden (z. B. Streben nach Selbstverwirklichung). Diese werden – so die Kritiker – bei den Lerntheorien außer Acht gelassen. Einige der Einwände werden redundant, wenn die rein lerntheoretischen Ansätze um kognitive Prozesse erweitert werden, so etwa Banduras sozial-kognitive Lerntheorie.

Der kritische Rationalismus hält die einschlägigen Lerntheorien für schlichtweg unvollständig. Demnach besteht der eigentliche Lernprozess, den die einschlägigen Lerntheorien übersehen, in Wirklichkeit aus freier Setzung plus kritischer Prüfung. Sie beschrieben lediglich den Vorgang, durch den eine einmal so gelernte Theorie vom Bewusstsein in das Unterbewusstsein verlagert werde, so dass z. B. eine erlernte Tätigkeit unbewusst und auf Abruf ausgeführt werden könne.

Siehe auch

Literatur

  • Gordon Bower, Ernest Hilgard: Theorien des Lernens. 2 Bände. 5. Auflage. Stuttgart 1983/84.
  • W. Edelmann: Lernpsychologie. Psychologie Verlags Union, Weinheim 2000.
  • Guy Bodenmann, M. Perrez, M. Schär: Klassische Lerntheorien. Grundlagen und Anwendungen in Erziehung und Psychotherapie. Huber, Bern 2004.
  • Philip Zimbardo, R. J. Gerrig: Psychologie. 18. Auflage. Pearson Verlag, München 2008.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Manfred Spitzer: Geist im Netz. Modelle für Lernen, Denken und Handeln. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1996, ISBN 3-8274-0109-7.
  2. Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia: Empathie und Spiegelneurone: Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt am Main, Suhrkamp 2008, ISBN 978-3-518-26011-1.
  3. Gregory Hickok: Warum wir verstehen, was andere fühlen: Der Mythos der Spiegelneuronen. Carl Hanser Verlag, München 2015, ISBN 978-3-446-44326-6.
  4. Philip Zimbardo: Psychologie. Pearson Verlag, München 2008, ISBN 978-3-8273-7275-8.


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