Genotyp

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Der Genotyp (von griech. γένος, génos, „Gattung, Geschlecht“ und τύπος, týpos, „Gestalt, Abbild, Muster“) umfasst die gesammte im Zellkern befindliche genetische| Anlage eines Organismus. Die genetische Information der gesammten Zelle, die auch die Genome der Mitochondrien und Plastiden einschließt, wird als Idiotyp bezeichnet. Genotyp bzw. Idotyp sind die physischen Träger der Vererbungskräfte und haben - neben anderen, epigentischen Faktoren - einen wesentliche Einfluss auf das äußere Erscheinungsbild (den Phänotyp) des Organismus.

Es entspricht allerdings einem weit verbreiteten Vorurteil, dass sich die Gestalt eines jeglichen Lebewesens aus seiner genetischen Grundlage verstehen lasse. Zweifellos sind die Gene und die in ihnen enthaltenen Nukleinsäuren Träger wichtiger biologisch relevanter Information, doch diese allein reicht nicht aus, die Gestalt eines Lebewesens zu erklären. Tatsächlich lässt sich nicht einmal die Struktur der einfachsten lebendigen Zelle aus den Genen ableiten. Die Biologin Ellen Baake sagt daher zu Recht:

"Kaum jemand bestreitet, daß selbst die vollständige Kenntnis der genetischen Ausstattung eines Organismus bei weitem nicht dafür ausreichen würde, seine Eigenschaften vorauszusagen."[1]

Und J.T. Fraser präzisiert noch weiter:

"Entgegen der Annahme, daß gewisse körperliche Kennzeichen in den Genen verankert seien, vermitteln diese wunderbaren tanzenden Dinge nicht «vom Vater die Statur, vom Mütterchen die Frohnatur». Nirgendwo ist im Verlauf und beim Kopieren der ursprünglichen Melodie etwas darüber gesagt worden, wie eine Zelle gebaut ist, ganz zu schweigen vom Körper. Das ursprüngliche Lied wird mit vielen Veränderungen nur als Fahrplan gebraucht, das den Ribosomen zeigt, wie und in welcher Reihenfolge sie Aminosäuren lehren können, einer bestehenden Umwelt Komponenten zu entnehmen, damit sie Proteine herstellen können."[2]

Dass den Genen und den an der Morphogenese beteiligten musterbildenden Morphogenen dennoch eine wichtige Rolle zukommt, soll deshalb keineswegs geleugnet werden, denn sie stellen das geeignet bildsame Material bereit, das von dem gestaltenden Licht und anderen verwandten Kräften durchformt werden kann, die Rudolf Steiner zusammenfassend als ätherische Bildekräfte bezeichnet hat.

Das arttypische ideelle Urbild, die archetypische begriffliche Urgestalt, die in jeder Pflanzen- oder Tierart gestaltend wirkt und dadurch sowohl den Phänotypus als auch den Genotypus bestimmt, ist der nur sinnlich-übersinnlich erfahrbare Typus, wie ihn Goethe erstmals in seiner Metamorphosenlehre beschrieben hat. Der Typus der Pflanzen ist die Urpflanze, der Typus der Tiere das Urtier und jeder individuelle Mensch ist sein eigener unverwechselbarer Typus, der sich im Laufe der Reinkarnationen immer deutlicher ausgestaltet.

"Was versteht Goethe unter diesem Typus? Er hat sich darüber klar und unzweideutig ausgesprochen. Er sagt, er fühlte die Notwendigkeit: «einen Typus aufzustellen, an welchem alle Säugetiere nach Übereinstimmung und Verschiedenheit zu prüfen wären, und wie ich früher die Urpflanze aufgesucht, so trachtete ich nunmehr das Urtier zu finden, das heißt denn doch zuletzt: den Begriff, die Idee des Tieres». Und ein anderes Mal mit noch größerer Deutlichkeit: «Hat man aber die Idee von diesem Typus gefaßt, so wird man recht einsehen, wie unmöglich es sei, eine einzelne Gattung als Kanon aufzustellen. Das Einzelne kann kein Muster des Ganzen sein, und so dürfen wir das Muster für alle nicht im Einzelnen suchen. Die Klassen, Gattungen, Arten und Individuen verhalten sich wie die Fälle zum Gesetz: sie sind darin enthalten, aber sie enthalten und geben es nicht.» Hätte man also Goethe gefragt, ob er in einer bestimmten Tier- oder Pflanzenform, die zu irgendeiner Zeit existiert hat, seine Urform, seinen Typus verwirklicht sehe, so hatte er ohne Zweifel mit einem kräftigen Nein geantwortet. Er hätte gesagt: So wie der Haushund, so ist auch der einfachste tierische Organismus nur ein Spezialfall dessen, was ich unter Typus verstehe. Den Typus findet man überhaupt nicht in der Außenwelt verwirklicht, sondern er geht uns als Idee in unserem Innern auf, wenn wir das Gemeinsame der Lebewesen betrachten. Sowenig der Physiker einen einzelnen Fall, eine zufällige Erscheinung zum Ausgangspunkte seiner Untersuchungen macht, sowenig darf der Zoologe oder Botaniker einen einzelnen Organismus als Urorganismus ansprechen. Und hier ist der Punkt, an dem es klar werden muß, daß der neuere Darwinismus weit hinter Goethes Grundgedanken zurückbleibt. Diese wissenschaftliche Strömung findet, daß es zwei Ursachen gibt, unter deren Einfluß eine organische Form sich in eine andere umformen kann: die Anpassung und den Kampf ums Dasein. Unter Anpassung versteht man die Tatsache, daß ein Organismus infolge von Einwirkungen der Außenwelt eine Veränderung in seiner Lebenstätigkeit und in seinen Gestaltverhältnissen annimmt. Er erhält dadurch Eigentümlichkeiten, die seine Voreltern nicht hatten. Auf diesem Wege kann sich also eine Umformung bestehender organischer Formen vollziehen. Das Gesetz vom Kampf ums Dasein beruht auf folgenden Erwägungen. Das organische Leben bringt viel mehr Keime hervor, als auf der Erde Platz zu ihrer Ernährung und Entwickelung finden. Nicht alle können zur vollen Reife kommen. Jeder entstehende Organismus sucht aus seiner Umgebung die Mittel zu seiner Existenz. Es ist unausbleiblich, daß bei der Fülle der Keime ein Kampf entsteht zwischen den einzelnen Wesen. Und da nur eine begrenzte Zahl den Lebensunterhalt finden kann, so ist es natürlich, daß diese aus denen besteht, die sich im Kampf als die stärkeren erweisen. Diese werden als Sieger hervorgehen. Welche sind aber die Stärkeren? Ohne Zweifel diejenigen mit einer Einrichtung, die sich als zweckmäßig erweist, um die Mittel zum Leben zu beschaffen. Die Wesen mit unzweckmäßiger Organisation müssen unterliegen und aussterben. Deswegen, sagt der Darwinismus, kann es nur zweckmäßige Organisationen geben. Die anderen sind einfach im Kampf ums Dasein zugrunde gegangen. Der Darwinismus erklärt mit Zugrundelegung dieser beiden Prinzipien den Ursprung der Arten so, daß sich die Organismen unter dem Einfluß der Außenwelt durch Anpassung umwandeln, die hierdurch gewonnenen neuen Eigentümlichkeiten auf ihre Nachkommen verpflanzen und von den auf diese Weise umgewandelten Formen immer diejenigen sich erhalten, welche in dem Umwandlungsprozesse die zweckentsprechendste Gestalt angenommen haben.

Gegen diese beiden Prinzipien hätte Goethe zweifellos nichts einzuwenden. Wir können nachweisen, daß er beide bereits gekannt hat. Für ausreichend aber, um die Gestalten des organischen Lebens zu erklären, hat er sie nicht gehalten. Sie waren ihm äußere Bedingungen, unter deren Einfluß das, was er Typus nannte, besondere Formen annimmt und sich in der mannigfaltigsten Weise verwandeln kann. Bevor sich etwas umwandelt, muß es aber erst vorhanden sein. Anpassung und Kampf ums Dasein setzen das Organische voraus, das sie beeinflussen. Die notwendige Voraussetzung sucht Goethe erst zu gewinnen. Seine 1790 veröffentlichte Schrift «Versuch, die Metamorphose der Pflanzenzu erklären» verfolgt den Gedanken, eine ideale Pflanzengestalt zu finden, welche allen pflanzlichen Wesen als deren Urbild zugrunde liegt. Später versuchte er dasselbe auch für die Tierwelt." (Lit.: GA 030, S. 73ff)

"Der auf sich selbst gebaute Typus enthält die Möglichkeit, bei seinem Eintreten in die Erscheinung unendlich mannigfaltige Formen anzunehmen; und diese Formen sind der Gegenstand unserer sinnlichen Anschauung, sie sind die im Raume und in der Zeit lebenden Gattungen und Arten der Organismen. Indem unser Geist jene allgemeine Idee, den Typus erfaßt, hat er das ganze Organismenreich in seiner Einheit begriffen. Wenn er nun die Gestaltung des Typus in jeder besonderen Erscheinungsform anschaut, wird ihm die letztere begreiflich; sie erscheint ihm als eine der Stufen, der Metamorphosen, in denen sich der Typus verwirklicht. Und diese verschiedenen Stufen aufzuzeigen, sollte das Wesen der durch Goethe zu begründenden Systematik sein. Sowohl im Tier- wie im Pflanzenreiche herrscht eine aufsteigende Entwicklungsreihe; die Organismen gliedern sich in vollkommene und unvollkommene. Wie ist dieses möglich? Die ideelle Form, der Typus der Organismen hat eben das Charakteristische, daß er aus räumlich zeitlichen Elementen besteht. Es erschien deshalb auch Goethe als eine sinnlich-übersinnliche Form. Er enthält räumlich-zeitliche Formen als ideelle Anschauung (intuitiv). Wenn er nun in die Erscheinung tritt, kann die wahrhaft (nicht mehr intuitiv) sinnliche Form jener ideellen völlig entsprechen oder nicht; es kann der Typus zu seiner vollkommenen Ausbildung kommen oder nicht. Die niederen Organismen sind eben dadurch die niederen, daß ihre Erscheinungsform nicht völlig dem organischen Typus entspricht. Je mehr äußere Erscheinung und organischer Typus in einem bestimmten Wesen sich decken, desto vollkommener ist dasselbe. Dies ist der objektive Grund einer aufsteigenden Entwicklungsreihe. Die Aufzeigung dieses Verhältnisses bei jeder Organismenform ist die Aufgabe einer systematischen Darstellung. Bei Aufstellung des Typus, der Urorganismen, kann aber hierauf keine Rücksicht genommen werden; es kann sich dabei nur darum handeln, eine Form zu finden, welche den vollkommensten Ausdruck des Typus darstellt. Eine solche soll Goethes Urpflanze bieten." (Lit.: GA 001, S. 102f)

Anmerkungen

  1. Ellen Baake, Buchbesprechung zu Brian Goodwins: Der Leopard, der seine Flecken verliert, in Spektrum der Wissenschaft, 2/1998, S 126
  2. J. T. Fraser: Die Zeit – vertraut und fremd, Birkhäuser-Verlag, Basel Boston Berlin 1988, S 183

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften, GA 1 (1987), ISBN 3-7274-0011-0; Tb 649, ISBN 978-3-7274-6490-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Methodische Grundlagen der Anthroposophie, GA 30 (1989), ISBN 3-7274-0300-4 html
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