Bibliothek:Rudolf Steiner/Werke/GA 9 Theosophie/Die drei Welten/I. Die Seelenwelt

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Die drei Welten

I. Die Seelenwelt

Die Betrachtung des Menschen hat gezeigt, daß er drei Welten angehört. Aus der Welt der physischen Körperlichkeit sind die Stoffe und Kräfte entnommen, die seinen Leib auferbauen. Er hat von dieser Welt Kenntnis durch die Wahrnehmungen seiner äußeren physischen Sinne. Wer allein diesen Sinnen vertraut und lediglich deren Wahrnehmungsfähigkeit entwickelt, der kann sich keinen Aufschluß verschaffen über die beiden andern Welten, über die seelische und geistige. - Ob ein Mensch sich von der Wirklichkeit eines Dinges oder Wesens überzeugen kann, das hängt davon ab, ob er dafür ein Wahrnehmungsorgan, einen Sinn, hat. - Es kann natürlich leicht zu Mißverständnissen führen, wenn man, wie es hier geschieht, die höheren Wahrnehmungsorgane geistige Sinne nennt. Denn wenn man von «Sinnen» spricht, so verbindet man damit unwillkürlich den Gedanken des «Physischen». Man bezeichnet ja gerade die physische Welt auch als die «sinnliche» im Gegensatz zur «geistigen». Um das Mißverständnis zu vermeiden, muß man berücksichtigen, daß hier eben von «höheren Sinnen» nur vergleichsweise, in übertragenem Sinne gesprochen wird. Wie die physischen Sinne das Physische wahrnehmen, so die seelischen und geistigen das Seelische und Geistige. Nur in der Bedeutung von «Wahrnehmungsorganen» wird der Ausdruck «Sinn» gebraucht. Der Mensch hätte keine Kenntnis von dem Licht und der Farbe, wenn er nicht ein lichtempfindendes Auge hätte; er wüßte nichts von Klängen, wenn [91] er nicht ein klangempfindendes Ohr hätte. In dieser Beziehung sagt mit vollem Recht der deutsche Philosoph Lotze: «Ohne ein Licht empfindendes Auge und ohne ein Klang empfindendes Ohr wäre die ganze Welt finster und stumm. Es würde in ihr ebensowenig Licht oder Schall geben, als ein Zahnschmerz möglich wäre ohne einen den Schmerz empfindenden Nerv des Zahnes.» - Um das, was hiermit gesagt ist, im richtigen Lichte zu sehen, braucht man sich nicht einmal zu überlegen, wie ganz anders, als für den Menschen, sich die Welt für die niederen Lebewesen offenbaren muß, die nur eine Art Tast- oder Gefühlssinn über die ganze Oberfläche ihres Körpers ausgebreitet haben. Licht, Farbe und Ton können für diese jedenfalls nicht in dem Sinne vorhanden sein wie für Wesen, die mit Augen und Ohren begabt sind. Die Luftschwingungen, die ein Flintenschuß verursacht, mögen auch auf sie eine Wirkung ausüben, wenn sie von ihnen getroffen werden. Daß sich diese Luftschwingungen der Seele als Knall offenbaren, dazu ist ein Ohr notwendig. Und daß sich gewisse Vorgänge in dem feinen Stoffe, den man Äther nennt, als Licht und Farbe offenbaren, dazu ist ein Auge notwendig. - Nur dadurch weiß der Mensch etwas von einem Wesen oder Dinge, daß er durch eines seiner Organe eine Wirkung davon empfängt. Dies Verhältnis des Menschen zur Welt des Wirklichen kommt trefflich in dem folgenden Ausspruch Goethes zur Darstellung: «Eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen [92] zu schildern: man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten. Die Farben sind Taten des Lichtes, Taten und Leiden... Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genauesten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken; denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will. Ebenso entdeckt sich die Natur einem andern Sinne.. So spricht die Natur hinabwärts zu anderen Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot, noch stumm.» Es wäre unrichtig, wenn man diesen Ausspruch Goethes so auffassen wollte, daß damit die Erkennbarkeit des Wesens der Dinge in Abrede gestellt würde. Goethe meint nicht: man nehme nur die Wirkung des Dinges wahr und das Wesen verberge sich dahinter. Er meint vielmehr, daß man von einem solchen «verborgenen Wesen» gar nicht sprechen soll. Das Wesen ist nicht hinter seiner Offenbarung; es kommt vielmehr durch die Offenbarung zum Vorschein. Nur ist dies Wesen vielfach so reich, daß es sich andern Sinnen in noch anderen Gestalten offenbaren kann. Was sich offenbart, ist zum Wesen gehörig, nur ist es wegen der Beschränktheit der Sinne nicht das ganze Wesen. Diese Goethesche Anschauung ist auch durchaus die hier geisteswissenschaftlich gemeinte.
Wie im Leibe Auge und Ohr als Wahrnehmungs-Organe, als Sinne für die körperlichen Vorgänge sich entwickeln, so vermag der Mensch in sich seelische und geistige Wahrnehmungsorgane auszubilden, durch die ihm [93] die Seelen- und die Geisteswelt erschlossen werden. Für denjenigen, der solche höhere Sinne nicht hat, sind diese Welten «finster und stumm», wie für ein Wesen ohne Ohr und Auge die Körperwelt «finster und stumm» ist. Allerdings ist das Verhältnis des Menschen zu diesen höheren Sinnen etwas anders als zu den körperlichen. Daß diese letzteren in ihm vollkommen ausgebildet werden, dafür sorgt in der Regel die gütige Mutter Natur. Sie kommen ohne sein Zutun zustande. An der Entwickelung seiner höheren Sinne muß er selbst arbeiten. Er muß Seele und Geist ausbilden, wenn er die Seelen- und Geisteswelt wahrnehmen will, wie die Natur seinen Leib ausgebildet hat, damit er seine körperliche Umwelt wahrnehmen und sich in ihr orientieren könne. Eine solche Ausbildung von höheren Organen, welche die Natur noch nicht selbst entwickelt hat, ist nicht unnatürlich; denn im höheren Sinne gehört ja auch alles, was der Mensch vollbringt, mit zur Natur. Nur derjenige, welcher behaupten wollte, der Mensch müsse auf der Stufe der Entwickelung stehenbleiben, auf der er aus der Hand der Natur entlassen wird, - nur der könnte die Ausbildung höherer Sinne unnatürlich nennen. Von ihm werden diese Organe «verkannt» in ihrer Bedeutung im Sinne des angeführten Ausspruches Goethes. Ein solcher sollte nur aber auch gleich alle Erziehung des Menschen bekämpfen, denn auch sie setzt das Werk der Natur fort. Und insbesondere müßte er sich gegen die Operation von Blindgeborenen wenden. Denn ungefähr so wie dem operierten Blindgeborenen ergeht es dem, der in sich seine höheren Sinne in der Art erweckt, wie im letzten Teile dieser Schrift dargelegt wird. Mit neuen Eigenschaften, mit Vorgängen und Tatsachen, [94] von denen die physischen Sinne nichts offenbaren, erscheint ihm die Welt. Ihm ist klar, daß er durch diese höheren Organe nichts willkürlich zu der Wirklichkeit hinzufügt, sondern daß ihm ohne dieselben der wesentliche Teil dieser Wirklichkeit verborgen geblieben wäre. Die Seelen- und Geisteswelt sind nichts neben oder außer der physischen, sie sind nicht räumlich von dieser getrennt. So wie für den operierten Blindgeborenen die vorherige finstere Welt in Licht und Farben erstrahlt, so offenbaren dem seelisch und geistig Erweckten Dinge, die ihm vorher nur körperlich erschienen waren, ihre seelischen und geistigen Eigenschaften. Allerdings erfüllt sich diese Welt auch noch mit Vorgängen und Wesenheiten, die für den nicht seelisch und geistig Erweckten völlig unbekannt bleiben. - (Später soll in diesem Buche genauer über die Ausbildung der seelischen und geistigen Sinne gesprochen werden. Hier werden zunächst diese höheren Welten selbst beschrieben. Wer diese Welten leugnet, der sagt nichts anderes, als daß er seine höheren Organe noch nicht entwickelt hat. Die Menschheitsentwickelung ist auf keiner Stufe abgeschlossen; sie muß immer weitergehen.)
Man stellt sich oft unwillkürlich die «höheren Organe» als zu ähnlich den physischen vor. Man sollte sich aber klarmachen, daß man es mit geistigen oder seelischen Gebilden in diesen Organen zu tun hat. Man darf deshalb auch nicht erwarten, daß dasjenige, was man in den höheren Welten wahrnimmt, etwa nur eine nebelhaft verdünnte Stofflichkeit sei. Solange man so etwas erwartet, wird man zu keiner klaren Vorstellung von dem kommen können, was hier mit «höheren Welten» eigentlich gemeint ist. Es wäre für viele Menschen gar nicht so [95] schwer, wie es wirklich ist, etwas von diesen «höheren Welten» zu wissen - zunächst allerdings nur das Elementare -, wenn sie sich nicht vorstellten, daß es doch wieder etwas verfeinertes Physisches sein müsse, was sie wahrnehmen sollen. Da sie so etwas voraussetzen, so wollen sie in der Regel das gar nicht anerkennen, um was es sich wirklich handelt. Sie finden es unwirklich, lassen es nicht als etwas gelten, was sie befriedigt, und so weiter. Gewiß: die höheren Stufen der geistigen Entwickelung sind schwer zugänglich; diejenige aber, die hinreicht, um das Wesen der geistigen Welt zu erkennen - und das ist schon viel -, wäre gar nicht so sehr schwer zu erreichen, wenn man sich zunächst von dem Vorurteile freimachen wollte, welches darin besteht, das Seelische und Geistige doch wieder nur als ein feineres Physisches sich vorzustellen.
So wie wir einen Menschen nicht ganz kennen, wenn wir bloß von seinem physischen Äußeren eine Vorstellung haben, so kennen wir auch die Welt, die uns umgibt, nicht, wenn wir bloß das von ihr wissen, was uns die physischen Sinne offenbaren. Und so wie eine Photographie uns verständlich und lebensvoll wird, wenn wir der photographierten Person so nahetreten, daß wir ihre Seele erkennen lernen, so können wir auch die körperliche Welt nur wirklich verstehen, wenn wir ihre seelische und geistige Grundlage kennenlernen. Deshalb empfiehlt es sich, hier zuerst von den höheren Welten, von der seelischen und geistigen, zu sprechen und dann erst die physische vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus zu beurteilen.
Es bietet gewisse Schwierigkeiten, in der gegenwärtigen Kulturepoche über die höheren Welten zu sprechen. Denn diese Kulturepoche ist vor allem groß in der Erkenntnis [96] und Beherrschung der körperlichen Welt. Unsere Worte haben zunächst ihre Prägung und Bedeutung in bezug auf diese körperliche Welt erhalten. Man muß sich aber dieser gebräuchlichen Worte bedienen, um an Bekanntes anzuknüpfen. Dadurch wird bei denen, die nur ihren äußeren Sinnen vertrauen wollen, dem Mißverständnis Tür und Tor geöffnet. - Manches kann ja zunächst nur gleichnisweise ausgesprochen und angedeutet werden. Aber so muß es sein, denn solche Gleichnisse sind ein mittel, durch das der Mensch zunächst auf diese höheren Welten verwiesen wird und durch das seine eigene Erhebung zu ihnen gefördert wird. (Von dieser Erhebung wird in einem späteren Kapitel zu sprechen sein, in dem auf die Ausbildung der seelischen und geistigen Wahrnehmungsorgane hingewiesen werden wird. Zunächst soll der Mensch durch Gleichnisse von den höheren Welten Kenntnis nehmen. Dann kann er daran denken, sich selbst einen Einblick in dieselben zu verschaffen.) Wie die Stoffe und Kräfte, die unsern Magen, unser Herz, unsere Lunge, unser Gehirn und so weiter zusammensetzen und beherrschen, aus der körperlichen Welt strammen, so stammen unsere seelischen Eigenschaften, unsere Triebe, Begierden, Gefühle, Leidenschaften, Wünsche, Empfindungen und so weiter aus der seelischen Welt. Des Menschen Seele ist ein Glied in dieser seelischen Welt, wie sein Leib ein Teil der physischen Körperwelt ist. Will man zunächst einen Unterschied der körperlichen Welt von der seelischen angeben, so kann man sagen, die letztere ist in allen ihren Dingen und Wesenheiten viel feiner, beweglicher, bildsamer als die erstere. Doch muß man sich klar darüber bleiben, daß man eine gegenüber [97] der physischen völlig neue Welt betritt, wenn man in die seelische kommt. Redet man also von gröber und feiner in dieser Hinsicht, so muß man sich bewußt bleiben, daß man vergleichsweise andeutet, was doch grundverschieden ist. So ist es mit allem, was über die Seelenwelt in Worten gesagt wird, die der physischen Körperlichkeit entlehnt sind. Berücksichtigt man dieses, dann kann man sagen, daß die Gebilde und Wesen der Seelenwelt ebenso aus Seelenstoffen bestehen und ebenso von Seelenkräften gelenkt werden, wie das in der physischen Welt mit physischen Stoffen und Kräften der Fall ist.
Wie den körperlichen Gebilden die räumliche Ausdehnung und räumliche Bewegung eigentümlich sind, so den seelischen Dingen und Wesenheiten die Reizbarkeit, das triebhafte Begehren. Man bezeichnet deshalb die Seelenwelt auch als die Begierden- oder Wunschwelt oder als die Welt des «Verlangens». Diese Ausdrücke sind der menschlichen Seelenwelt entlehnt. Man muß deshalb festhalten, daß die Dinge in denjenigen Teilen der Seelenwelt, die außer der menschlichen Seele liegen, von den Seelenkräften in dieser ebenso verschieden sind wie die physischen Stoffe und Kräfte der körperlichen Außenwelt von den Teilen, die den physischen Menschenleib zusammensetzen. (Trieb, Wunsch, Verlangen sind Bezeichnungen für das Stoffliche der Seelenwelt. Dieses Stoffliche sei mit «astral» bezeichnet. Nimmt man mehr Rücksicht auf die Kräfte der Seelenwelt, so kann man von «Begierdewesenheit» sprechen. Doch darf man nicht vergessen, daß hier die Unterscheidung von «Stoff» und «Kraft» keine so strenge sein kann wie in der physischen Welt. Ein Trieb kann ebensogut «Kraft» wie «Stoff» genannt werden.) [98] Wer zum erstenmal einen Einblick in die seelische Welt erhält, für den wirken die Unterschiede, die sie von der physischen aufweist, verwirrend. Doch das ist ja auch beim Erschließen eines vorher untätigen physischen Sinnes der Fall. Der operierte Blindgeborene muß sich auch erst orientieren lernen in der Welt, die er vorher durch den Tastsinn gekannt hat. Ein solcher sieht zum Beispiel die Gegenstände zuerst in seinem Auge; dann erblickt er sie außer sich, doch erscheinen sie ihm zunächst so, wie wenn sie auf einer Fläche aufgemalt wären. Erst allmählich erfaßt er die Vertiefung, den räumlichen Abstand der Dinge und so weiter. - In der Seelenwelt gelten durchaus andere Gesetze als in der physischen. Nun sind ja allerdings viele seelische Gebilde an solche der andern Welten gebunden. Die Seele des Menschen zum Beispiel ist an den physischen Menschenleib und an den menschlichen Geist gebunden. Die Vorgänge, die man an ihr beobachten kann, sind also zugleich von der leiblichen und geistigen Welt beeinflußt. Darauf muß man bei der Beobachtung der Seelenwelt Rücksicht nehmen; und man darf nicht als seelische Gesetze ansprechen, was aus der Einwirkung einer andern Welt stammt. - Wenn zum Beispiel der Mensch einen Wunsch aussendet, so ist dieser von einem Gedanken, einer Vorstellung des Geistes getragen und folgt dessen Gesetzen. So wie man aber die Gesetze der physischen Welt feststellen kann, indem man von den Einflüssen absieht, die zum Beispiel der Mensch auf deren Vorgänge nimmt, so ist ein ähnliches auch mit der seelischen Welt möglich.
Ein wichtiger Unterschied der seelischen Vorgänge von den physischen kann dadurch ausgedrückt werden, daß [99] man die Wechselwirkung bei den ersteren als eine viel innerlichere bezeichnet. Im physischen Raume herrscht zum Beispiel das Gesetz des «Stoßes». Wenn eine bewegte Elfenbeinkugel auf eine ruhende aufstößt, so bewegt sich die letztere weiter in einer Richtung, die sich aus der Bewegung und Elastizität der ersteren berechnen läßt. Im Seelenraume hängt die Wechselwirkung zweier Gebilde, die einander treffen, von ihren inneren Eigenschaften ab. Sie durchdringen sich gegenseitig, verwachsen gleichsam miteinander, wenn sie miteinander verwandt sind. Sie stoßen sich ab, wenn ihre Wesenheiten sich widerstreiten. - Im körperlichen Raume gibt es zum Beispiel für das Sehen bestimmte Gesetze. - Man sieht entfernte Gegenstände in perspektivischer Verkleinerung. Wenn man in eine Allee hineinsieht, so scheinen - nach den Gesetzen der Perspektive - die entfernteren Bäume in kleineren Abständen voneinander zu stehen als die nahen. Im Seelenraume erscheint dem Schauenden dagegen alles, das Nahe und das Entfernte, in den Abständen, die es durch seine innere Natur hat. Durch solches ist natürlich ein Quell der mannigfaltigsten Irrungen für denjenigen gegeben, der den Seelenraum betritt und da mit den Regeln zurechtkommen will, die er von der physischen Welt her mitbringt.
Es gehört zu dem ersten, was man sich für die Orientierung in der seelischen Welt aneignen muß, daß man die verschiedenen Arten ihrer Gebilde in ähnlicher Weise unterscheidet, wie man in der physischen Welt feste, flüssige und luft- oder gasförmige Körper unterscheidet. Um dazu zu kommen, muß man die beiden Grundkräfte kennen, die hier vor allem wichtig sind. Man kann sie Sympathie [100] und Antipathie nennen. Wie diese Grundkräfte in einem seelischen Gebilde wirken, danach bestimmt sich dessen Art. Als Sympathie muß die Kraft bezeichnet werden, mit der ein Seelengebilde andere anzieht, sich mit ihnen zu verschmelzen sucht, seine Verwandtschaft mit ihnen geltend macht. Antipathie ist dagegen die Kraft, mit der sich Seelengebilde abstoßen, ausschließen, mit der sie ihre Eigenheit behaupten. In welchem Maße diese Grundkräfte in einem Seelengebilde vorhanden sind, davon hängt es ab, welche Rolle dieses in der seelischen Welt spielt. Drei Arten von Seelengebilden hat man zunächst zu unterscheiden, je nach dem Wirken von Sympathie und Antipathie in ihnen. Und diese Arten sind dadurch voneinander verschieden, daß Sympathie und Antipathie in ihnen in ganz bestimmten gegenseitigen Verhältnissen stehen. In allen Dreien sind beide Grundkräfte vorhanden. Man nehme zunächst ein Gebilde der ersten Art Es zieht andere Gebilde seiner Umgebung vermöge der in ihm waltenden Sympathie an. Aber außer dieser Sympathie ist: in ihm zugleich Antipathie vorhanden, durch die es in seiner Umgebung Befindliches von sich zurückstößt. Nach außen hin wird ein solches Gebilde so erscheinen, als wenn es nur mit Kräften der Antipathie ausgestattet wäre. Das ist aber nicht der Fall. Es ist Sympathie und Antipathie in ihm. Nur ist die letztere überwiegend. Sie hat über die erstere die Oberhand. Solche Gebilde spielen eine eigensüchtige Rolle im Seelenraum. Sie stoßen vieles um sich her ab und ziehen nur weniges liebevoll an sich heran. Daher bewegen sie sich als unveränderliche Formen durch den Seelenraum. Durch die Kraft der Sympathie, die in ihnen ist, erscheinen sie als gierig. Die Gier [101] erscheint aber zugleich unersättlich, wie wenn sie nicht zu befriedigen wäre, weil die vorwaltende Antipathie so vieles Entgegenkommende abstößt, daß keine Befriedigung eintreten kann. Will man die Seelengebilde dieser Art mit etwas in der physischen Welt vergleichen, so kann man sagen: sie entsprechen den festen physischen Körpern. Begierdenglut soll diese Region der seelischen Stofflichkeit genannt werden. - Das, was von dieser Begierdenglut den Seelen der Tiere und Menschen beigemischt ist, bestimmt dasjenige in ihnen, was man die niederen sinnlichen Triebe nennt, ihre vorwaltenden selbstsüchtigen Instinkte. - Die zweite Art der Seelengebilde ist diejenige, bei denen sich die beiden Grundkräfte das Gleichgewicht halten, bei denen also Sympathie und Antipathie in gleicher Stärke wirken. Diese treten anderen Gebilden mit einer gewissen Neutralität gegenüber; sie wirken als verwandt auf sie, ohne sie besonders anzuziehen und abzustoßen. Sie ziehen gleichsam keine feste Grenze zwischen sich und der Umwelt. Fortwährend lassen sie andere Gebilde in der Umgebung auf sich einwirken; man kann sie deshalb mit den flüssigen Stoffen der physischen Welt vergleichen. Und in der Art, wie solche Gebilde anderes an sich heranziehen, liegt nichts von Gier. Die Wirkung, die hier gemeint ist, liegt zum Beispiel vor, wenn die Menschenseele eine Farbe empfindet. Wenn ich die Empfindung der roten Farbe habe, dann empfange ich zunächst einen neutralen Reiz aus meiner Umgebung. Erst wenn zu diesem Reiz das Wohlgefallen an der roten Farbe hinzutritt, dann kommt eine andere Seelenwirkung in Betracht. Das, was den neutralen Reiz bewirkt, sind Seelengebilde, die in solchem Wechselverhältnisse stehen, [102] daß Sympathie und Antipathie einander das Gleichgewicht halten. Man wird die Seelenstofflichkeit, die hier in Betracht kommt, als eine vollkommen bildsamen, fließende bezeichnen müssen. Nicht eigensüchtig wie die erste bewegt sie sich durch den Seelenraum, sondern so, daß ihr Dasein überall Eindrücke empfängt, daß sie sich mit vielem verwandt erweist, das ihr begegnet. Ein Ausdruck, der für sie anwendbar ist, dürfte sein: fließende Reizbarkeit. - Die dritte Stufe der Seelengebilde ist diejenige, bei welcher die Sympathie die Oberhand über die Antipathie hat. Die Antipathie bewirkt das eigensüchtige Sichgeltendmachen; dieses tritt aber zurück hinter der Hinneigung zu den Dingen der Umgebung. Man denke sich ein solches Gebilde innerhalb des Seelenraumes. Es erscheint als der Mittelpunkt einer anziehenden Sphäre, die sich über die Gegenstände der Umwelt erstreckt solche Gebilde muß man im besonderen als Wunsch-Stofflichkeit bezeichnen. Diese Bezeichnung erscheint deshalb als die richtige, weil durch die bestehende, nur gegenüber der Sympathie schwächere, Antipathie die Anziehung doch so wirkt, daß die angezogenen Gegenstände in den eigenen Bereich des Gebildes gebracht werden sollen. Die Sympathie erhält dadurch einen eigensüchtigen Grundton. Diese Wunsch-Stofflichkeit darf mit den gas- oder luftförmigen Körpern der physischen Welt verglichen werden. Wie ein Gas sich nach allen Seiten auszudehnen bemüht ist, so breitet sich die Wunsch-Stofflichkeit nach allen Richtungen aus.
Höhere Stufen von Seelen-Stofflichkeit kennzeichnen sich dadurch, daß bei ihnen die eine Grundkraft völlig zurücktritt, nämlich die Antipathie, und nur die Sympathie [103] sich als das eigentlich Wirksame erweist. Nun kann sich diese zunächst innerhalb der Teile des Seelengebildes selbst geltend machen. Diese Teile wirken gegenseitig aufeinander anziehend. Die Kraft der Sympathie im Innern eines Seelengebildes kommt in dem zum Ausdrucke, was man Lust nennt. Und jede Herabminderung dieser Sympathie ist Unlust. Die Unlust ist nur eine verminderte Lust, wie die Kälte nur eine verminderte Wärme ist. Lust und Unlust ist dasjenige, was im Menschen als die Welt der Gefühle - im engeren Sinne - lebt. Das Fühlen ist das Weben des Seelischen in sich selbst. Von der Art, wie die Gefühle der Lust und Unlust in dem Seelischen weben, hängt das ab, was man dessen Behagen nennt.
Eine noch höhere Stufe nehmen diejenigen Seelengebilde ein, deren Sympathie nicht im Bereich des Eigenlebens beschlossen bleibt. Von den drei niederen Stufen unterscheiden sich diese, wie ja auch schon die vierte, dadurch, daß bei ihnen die Kraft der Sympathie keine ihr entgegenstellende Antipathie zu überwinden hat. Durch diese höheren Arten der Seelen-Stofflichkeit schließt sich erst die Mannigfaltigkeit der Seelengebilde zu einer gemeinsamen Seelenwelt zusammen. Sofern die Antipathie in Betracht kommt, strebt das Seelengebilde nach etwas anderem um seines Eigenlebens willen, um sich selbst durch das andere zu verstärken und zu bereichern. Wo die Antipathie schweigt, da wird das andere als Offenbarung, als Kundgebung hingenommen. Eine ähnliche Rolle wie das Licht im physischen Raume spielt diese höhere Form von Seelen-Stofflichkeit im Seelenraum. Sie bewirkt, daß ein Seelengebilde das Dasein und Wesen der andern um deren selbst willen gleichsam einsaugt, oder man könnte [104] auch sagen, sich von ihnen bestrahlen läßt. Dadurch, daß die Seelenwesen aus diesen höheren Regionen schöpfen, werden sie erst zum wahren Seelenleben erweckt. Ihr dumpfes Leben im Finstern schließt sich nach außen auf, leuchtet: und strahlt selbst in den Seelenraum hin; das träge, dumpfe Weben im Innern, das sich durch die Antipathie abschließen will, wenn nur die Stoffe der unteren Regionen vorhanden sind, wird Kraft und Regsamkeit, die vom Innern ausgeht und sich nach außen strömend ergießt. Die fließende Reizbarkeit der zweiten Region wirkt nur beim Zusammentreffen der Gebilde. Dann strömt allerdings eins in das andere über. Aber Berührung ist hier notwendig. In den höheren Regionen herrscht freies Hinstrahlen, Ergießen. (Mit Recht bezeichnet man das Wesen dieses Gebietes als ein «Hinstrahlen», denn die Sympathie, welche entwickelt wird, wirkt so, daß man als Sinnbild dafür den Ausdruck gebrauchen kann, der von der Wirkung des Lichtes genommen ist.) Wie eine Pflanze im Keller verkümmert, so die Seelengebilde ohne die sie belebenden Seelenstoffe der höheren Regionen. Seelenlicht, tätige Seelenkraft und das eigentliche Seelenleben im engeren Sinne gehören diesen Regionen an und teilen sich von hier aus den Seelenwesen mit.
Drei untere und drei obere Regionen der Seelenwelt hat man also zu unterscheiden; und beide sind vermittelt durch eine vierte, so daß sich folgende Einteilung der Seelenwelt ergibt:

1. Region der Begierdenglut
2. Region der fließenden Reizbarkeit
3. Region der Wünsche [105]
4. Region von Lust und Unlust
5. Region des Seelenlichtes
6. Region der tätigen Seelenkraft
7. Region des Seelenlebens.
Durch die ersten drei Regionen erhalten die Seelengebilde ihre Eigenschaften aus dem Verhältnisse von Antipathie und Sympathie; durch die vierte Region webt die Sympathie innerhalb der Seelengebilde selbst; durch die drei höchsten wird die Kraft der Sympathie immer freier und freier; leuchtend und belebend durchwehen die Seelenstoffe dieser Region den Seelenraum, aufweckend, was sich sonst durch sich selbst im Eigendasein verlieren müßte.
Es sollte eigentlich überflüssig sein, doch wird, der Klarheit willen, hier doch betont, daß diese sieben Abteilungen der Seelenwelt nicht etwa voneinander getrennte Gebiete darstellen. So wie Festes, Flüssiges und Gasförmiges sich im Physischen durchdringen, so durchdringen sich Begierdenglut, fließende Reizbarkeit und die Kräfte der Wunschwelt im Seelischen. Und wie im Physischen die Wärme die Körper durchdringt, das Licht sie bestrahlt, so ist es im Seelischen mit Lust und Unlust und mit dem Seelenlicht der Fall. Und ein ähnliches findet statt für die tätige Seelenkraft und das eigentliche Seelenleben.