Hans Driesch und Karl Ernst von Baer: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Driesch1.jpg|mini|Hans Adolf Eduard Driesch]]
[[Datei:Voyages de la Commission scientifique du Nord, en Scandinavie, en Laponie, au Spitzberg et aux Feröe - no-nb digibok 2009040211001-118.jpg|mini|Karl Ernst von Baer 1840]]
'''Hans Adolf Eduard Driesch''' (* [[Wikipedia:28. Oktober|28. Oktober]] [[Wikipedia:1867|1867]] in [[Wikipedia:Bad Kreuznach|Kreuznach]]; † [[Wikipedia:17. April|17. April]] [[Wikipedia:1941|1941]] in [[Wikipedia:Leipzig|Leipzig]]) war ein deutscher [[Biologe]], [[Philosoph]] und Hauptvertreter des [[Neovitalismus]].
[[Datei:Karl Ernst von Baer.jpg|mini|Karl Ernst von Baer]]
[[Datei:Tartu 1866.jpg|mini|Dorpat (heute Tartu) 1866]]
[[Datei:Baer KM 1865.jpg|mini|Karl Ernst von Baer, 1865]]
[[Datei:Karl Ernst von Baer2.jpg|mini|Karl Ernst von Baer (erblindet, vor 1876)]]


== Leben ==
'''Karl Ernst von Baer''' (* {{JULGREGDATUM|28|2|1792|Link="fals"}}<ref>Datum nach seiner Selbstbiografie [http://dspace.utlib.ee/dspace/handle/10062/16420 Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimraths Dr. Karl Ernst von Baer], Sankt Petersburg 1865.</ref> auf Gut [[Wikipedia:Piibe|Piep]] (estnisch: ''Piibe''), heute Gemeinde [[Wikipedia:Rakke|Rakke]], in [[Wikipedia:Estland|Estland]]; †&nbsp;{{JULGREGDATUM|28|11|1876|Link="false"}} in [[Wikipedia:Tartu|Dorpat]], Estland) war ein [[Wikipedia:Deutsch-Balte|deutsch-baltischer]] [[Medizin|Mediziner]] und [[Naturforscher]], insbesondere [[Zoologe]], [[Embryologe]], [[Anthropologe]], [[Geograph]] und [[Wikipedia:Forschungsreisender|Forschungsreisender]].
Driesch besuchte von 1877 bis 1886 die [[Wikipedia:Gelehrtenschule des Johanneums|Gelehrtenschule des Johanneums]] in [[Wikipedia:Hamburg|Hamburg]]. Er studierte zunächst ab 1886 an der [[Wikipedia:Albert-Ludwigs-Universität|Universität Freiburg]] bei [[Wikipedia:August Weismann|August Weismann]], ab 1887 an der [[Wikipedia:Universität Jena|Universität Jena]] [[Zoologie]] bei [[Ernst Haeckel]] und [[Wikipedia:Oscar Hertwig|Oscar Hertwig]] und [[Botanik]] bei [[Wikipedia:Ernst Stahl (Botaniker)|Ernst Stahl]]. 1889 hielt er sich auf der neu gegründeten meeresbiologischen Station [[Wikipedia:Plymouth|Plymouth]] zu Studien auf. 1889 promovierte er bei Haeckel mit seiner Arbeit „Tektonische Studien an Hydroidpolypen“.<ref>Jeanische Zeitschrift für Naturwissenschaft 1889 und 1890</ref> 1890 unternahm er Studienreisen nach [[Wikipedia:Indien|Indien]] und [[Wikipedia:Hvar|Lesina]]. Ab 1891 forschte er an der [[Wikipedia:Zoologische Station Neapel|Zoologischen Station Neapel]]. 1907 und 1908 hielt er Vorlesungen an der [[Wikipedia:Universität Aberdeen|Universität Aberdeen]] in [[Wikipedia:Schottland|Schottland]] im Rahmen der [[Wikipedia:Gifford Lectures|Gifford Lectures]]. 1909 wurde Driesch [[Wikipedia:Privatdozent|Privatdozent]] für [[Naturphilosophie]] an der [[Wikipedia:Universität Heidelberg|Universität Heidelberg]], 1911 außerordentlicher Professor und 1920 Ordinarius für [[Philosophie]] an der [[Wikipedia:Universität Köln|Universität Köln]] und ab 1921 ordentlicher Professor und Direktor des Philosophischen Seminars der [[Wikipedia:Universität Leipzig|Universität Leipzig]]. Die [[Wikipedia:Universität Hamburg|Universität Hamburg]] verlieh Driesch 1923 den medizinischen, die [[Wikipedia:Universität Nanking|Universität Nanking]] im selben Jahr einen naturwissenschaftlichen Ehrendoktor.


Hans Driesch war seit 1899 mit der Schriftstellerin Margaretha Reifferscheidt (1874–1946) verheiratet.
== Leben und Werk ==


== Experimentelle Forschungen ==
Karl Ernst von Baer, Sohn des estländischen Rittergutsbesitzers und Landrats [[Wikipedia:Johann Magnus von Baer|Johann Magnus von Baer]] (1765–1825) und von ''Julie Marie von Baer'' (1764–1820),<ref name="GH">''Genealogisches Handbuch der baltischen Ritterschaften'', Görlitz 1930, Seiten [http://personen.digitale-sammlungen.de/baltlex/Blatt_bsb00000601,00021.html 12], [http://personen.digitale-sammlungen.de/baltlex/Blatt_bsb00000601,00022.html '''13 einschließlich FN 6'''], [http://personen.digitale-sammlungen.de/baltlex/Blatt_bsb00000601,00023.html 14.]</ref> Tochter eines russischen Offiziers, besuchte von 1808 bis 1810 die deutschsprachige [[Wikipedia:Ritter- und Domschule zu Reval|Domschule]] in [[Wikipedia:Tallinn|Reval]], dem heutigen Tallinn. Anschließend studierte er bis 1814 Medizin an der damals ebenfalls deutschsprachigen, 1802 gegründeten [[Wikipedia:Universität Dorpat|Universität Dorpat]]. Nach dem Doktorat setzte Baer seine medizinischen Studien in [[Wikipedia:Wien|Wien]] und später in [[Wikipedia:Würzburg|Würzburg]] fort. Er wurde schließlich an der [[Wikipedia:Albertus-Universität Königsberg|Universität Königsberg]] [[Wikipedia:Habilitation|habilitiert]] und arbeitete von 1817 bis 1834 in [[Wikipedia:Königsberg (Preußen)|Königsberg]].  
Ab 1891 führte Driesch an der [[Wikipedia:Zoologischen Station Neapel|Zoologischen Station Neapel]] experimentelle entwicklungsmechanische Studien an Seeigelkeimen durch. Er trennte die Keime in ihrem zweizelligen Stadium der Furchungszellen durch heftiges Schütteln in einem kleinen Glasrohr. Die überlebenden Furchungszellen entwickelten sich genauso, als wenn sie nicht von ihrer Schwesterzelle getrennt worden wären.<ref>Hans Driesch: Philosophie des Organischen, 4. Aufl. Leipzig 1928, S. 42f.</ref> Jede der Zellen war also in der Lage, einen kompletten Organismus hervorzubringen. Dementsprechend bezeichnete Driesch die gesamte Entwicklungsmöglichkeit einer Zelle als ihre „prospektive Potenz“. Das, was bei einer normalen Entwicklung tatsächlich aus der Zelle hervorgeht, als ihre „prospektive  Bedeutung“. Beim Seeigel ist die prospektive Potenz der Blastomeren größer als die prospektive Bedeutung.<ref>Hans Driesch: ''Entwicklungsmechanische Studien''. I–II, Der Wert der beiden ersten Furchungszellen in der Echinodermententwicklung. Experimentelle Erzeugung von Teil- und Doppelbildungen. Z. wiss. Zool. 53 (1891).</ref><ref>Biologie Oberstufe, Gesamtband, hrsg. Von Ulrich Weber, Berlin 2001, S. 218</ref>


Driesch variierte diese Experimente vielfach mit unterschiedlichen Organismen und stieß dabei immer wieder auf die Fähigkeit vieler Organismen, Zerstückeltes und Zerstörtes selbsttätig auszugleichen. Weil es Driesch nicht gelang, dies im Hinblick auf die biologische [[Morphogenese]] auf mechanistische und damit materialistische Weise zu erklären, irritierte ihn dieses Ergebnis.<ref>Hans Driesch: Lebenserinnerungen, Basel 1951, S. 74</ref> Bei einem „Mechanismus“ seien die „Anordnung der Teile, die 'Konstellation', die 'Struktur' und die letzten Wirkungsgesetze zwischen den Teilen“ das Entscheidende. Die bei Drieschs Experimenten beobachteten Ergebnisse seien jedoch durch einen in dieser Weise verstandenen Mechanismus nicht zu erklären.<ref>Hans Driesch: Biologische Probleme höherer Ordnung, 2. Aufl. Leipzig 1944, S. 28</ref>
1819 heiratete Baer Auguste [[Wikipedia:Medem (Adelsgeschlecht)|von Medem]] († 1864) aus Königsberg; aus dieser Ehe gingen sechs Kinder hervor.<ref name="GH" /> Im gleichen Jahr wurde Baer zum außerordentlichen Professor ernannt, zwei Jahre später übernahm er vom Königsberger Universalgelehrten [[Wikipedia:Karl Gottfried Hagen|Karl Gottfried Hagen]] das Ordinariat für [[Zoologie]], 1826 auch das für [[Anatomie]].


== Philosophie ==
1827 entdeckte Baer die menschlichen [[Eizelle]]. 1828 formulierte er die [[Baer-Regel]] der ''Embryonenähnlichkeit'', auf die [[Ernst Haeckel]]s [[Biogenetisches Grundgesetz|biogenetische Grundregel]] aufbaute, sowie das nach ihm benannte Gesetz der unterschiedlichen [[Wikipedia:Erosion (Geologie)|Erosion]] von Flussufern durch die [[Wikipedia:Corioliskraft|Corioliskraft]]. Er gilt als einer der bedeutendsten [[Naturwissenschaftler]] des 19. Jahrhunderts und wird wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen auf zahlreichen Gebieten manchmal auch als der „[[Alexander von Humboldt]] des Nordens“ bezeichnet.
[[Datei:Emil-Fuchs-Straße Nr. 1 (2014).jpeg|mini|Leipzig, ehemaliges Wohnhaus von Hans Driesch in den Jahren 1921 bis 1941, Emil-Fuchs-Straße Nr. 1 (2014)]]
[[Datei:Hans Driesch, Gedenktafel in Leipzig.jpeg|mini|Leipzig, Gedenktafel für Hans Driesch an seinem ehemaligen Wohnhaus, Emil-Fuchs-Straße Nr. 1  (2014)]]
[[Datei:GrabtafelHansDriesch.JPG|miniatur|Leipzig, Grabtafel Hans Driesch auf dem [[Wikipedia:Neuer Johannisfriedhof|Neuen Johannisfriedhof]]]]


Das in Drieschs Augen unter mechanistischen und materialistischen Voraussetzungen nicht erklärbare Ergebnis seiner Experimente führte ihn in die [[Philosophie]]. Seine Ausgangsfrage lautete: „Ist eine gegebene rein materielle Struktur als Grundlage des Formbildungsgeschehens denkbar oder nicht?“<ref>Hans Driesch: Die Überwindung des Materialismus, Zürich 1935, S. 32</ref> Den Begriff „Mechanismus“ verstand er dabei wie folgt: Alle künftigen Zustände können aus einem gegenwärtigen Zustand abgeleitet werden, wenn in Bezug auf den gegenwärtigen Zustand bekannt sind: 1. die Lagen jedes materiellen Elements, 2. die Geschwindigkeit jedes Elements und 3. das Gesetz der Wechselwirkung zwischen den Elementen. In diesem Sinne seien die künftigen Geschehnisse die geometrische Summe aller einzelnen Bewegungen und Kräfte der materiellen Elemente.<ref>Hans Driesch: Philosophie des Organischen, 4. Aufl. Leipzig 1928, S. 311.</ref>
{{GZ|Ich
möchte manchem, der heute, nachdem er so ein bißchen hineingerochen
hat in Haeckels, in Darwins Bücher, raten, bevor er daran geht, eine
Filiale für einen Monistenverein zu gründen, mancherlei anderes vorher
zu tun: so zum Beispiel wenn Haeckel Ernst von Baer anführt, selber
einmal Karl Ernst von Baer in die Hand zu nehmen und zu lesen.
Ich will Ihnen nur eine Stelle aus Karl Ernst von Baer vorlesen, wo er
sich darüber ausspricht, wie es mit der geistigen Welt im Verhältnis
zur Erdenwelt bestellt ist. Da sagt Baer: «Der Erdkörper ist nur das
Samenbeet, auf welchem das geistige Erbteil des Menschen wuchert,
und die Geschichte der Natur ist nur die Geschichte fortschreitender
Siege des Geistigen über den Stoff. Das ist der Grundgedanke der
Schöpfung, dem zu Gefallen, nein, zu dessen Erreichung sie Individuen
und Zeugungs-Reihen schwinden läßt und die Gegenwart auf dem Gerüste
einer unermeßlichen Vergangenheit erhebt.»
Was sagt also dieser Baer? Der Erdenkörper, die Erde ist das Samenbeet,
und da hinein werden versenkt die geistigen Keime, damit
sie sich umhüllen. - Die reine Wahrheit hat dieser Baer gesagt im Beginne
des 19. Jahrhunderts!|174b|178}}


=== Die Entelechie ===
{{GZ|Da sieht man beispielsweise,
wie Ernst Haeckel darauf hinweist, daß einer
der Größten, auf die er sich selbst berufen will, ''Karl Ernst von Baer'' ist. Und immer wieder finden wir Karl Ernst
von Baer angeführt als einen Mann, der beweisend sein soll
für die rein materialistische Weltanschauung, die Haeckel
aus seinem Forschen ableitet. Wieviele Menschen gehen nun
hin, um einen Einblick zu gewinnen in das, was eigentlich
in dem heutigen Wissenschaftsbetriebe steckt, - wieviele
Menschen gehen nun hin und fassen so etwas an? Wieviele
Menschen bleiben dabei stehen, daß sie bei Haeckel lesen:
Karl Ernst von Baer kann angesehen werden als einer, der
so spricht, wie Haeckel daraus ableitet! Da glaubt man
selbstverständlich, daß Baer so etwas spricht, wie Haeckel
daraus ableiten kann. Nun, ich will Ihnen einige Stellen
aus Karl Ernst von Baer vorlesen: «Der Erdkörper ist nur
das Samenbeet, auf welchem das geistige Erbteil des Menschen
wuchert, und die Geschichte der Natur ist nicht nur
die Geschichte fortschreitender Siege des Geistigen über den
Stoff. Das ist der Grundgedanke der Schöpfung, dem zu
Gefallen, nein, zu dessen Erreichung sie Individuen und
Zeugungs-Reihen schwinden läßt und die Zukunft auf dem
Gerüste einer unermeßlichen Vergangenheit erbaut.»<ref>Karl Ernst von Baer: ''Reden und kleinere Aufsätze'', Petersburg 1864, I. Band, S. 71f.</ref>
Eine wunderbar geistgemäße Auffassung der Welt hat
der, den Haeckel alle Augenblicke anführt für seine Auffassungsweise!|65|487}}


Driesch hielt es für unmöglich, die Morphogenese der [[Organismen]] auf das materielle Geschehen hinreichend zu erklären. Obwohl Driesch es war, der den Begriff des biologischen [[System]]s einführte<ref>Heinz Penzlin: Das Phänomen Leben. Grundfragen theoretischer Biologie, Berlin, Heidelberg 2014, S. 45</ref>, war er der Meinung, dass auch eine [[Systembiologie|systembiologische]] Sicht an diesem Tatbestand nichts ändere. „Geordnete Ganzheit ist kein 'Mechanismus', und aus echtem Mechanismus kann sich nie Ganzheit ergeben (...)“<ref>Hans Driesch: Wirklichkeitslehre. Ein metaphysischer Versuch, 2. Aufl. Leipzig 1922, S. 79</ref>  
Im Zentrum von Baers Denken stand der [[Teleologie]]begriff: Naturprozesse sind durch Zweck- und Zielstrebigkeiten gekennzeichnet, modellhaftes Vorbild dabei ist die Embryonalentwicklung. Angeregt durch seinen Jugendfreund und Studienkollegen [[Wikipedia:Christian Heinrich Pander|Christian Heinrich Pander]], der bereits in den 1820er Jahren eine unbeschränkte Umbildung der Arten für möglich gehalten hatte, stellte Baer schon vor Darwin Überlegungen zur [[Evolution]] an. In seinem Aufsatz ''Über Papuas und Alfuren'' (1859) sprach er sich gegen die Artkonstanz und für eine Umbildung der Arten in einem gewissen Rahmen aus. Einer Entstehung von neuen Typen durch Evolution stand er ablehnend gegenüber, letztlich sah er die Frage nach dem Ursprung des Menschen als wahrscheinlich nie lösbares Problem an. Hauptkritikpunkt am Darwinismus ist dessen Nicht-Anerkennen einer nur telelogisch erklärbaren Natur. Seine ambivalente Haltung gegenüber der Evolutionstheorie fasste Baer 1876 selbst so zusammen:
{{"|''Zuvörderst habe ich das ungewöhnliche Glück, dass ich sowohl als Förderer der Darwinschen Lehre, wie auch als Gegner derselben angeführt werde. In der Tat glaube ich für die Begründung derselben einigen Stoff geliefert zu haben, wenn auch die Zeit und Darwin selbst auf das Fundament ein Gebäude aufgeführt haben, dem ich mich fremd fühle.''}}<ref>Ueber Darwin's Lehre. In: Reden und kleinere Aufsätze, Bd. 2. St. Petersburg 1876, S. 239</ref>


Driesch forderte daher zusätzlich zu den physiko-chemischen Vorgängen einen Naturfaktor, der die geordnete [[Ganzheit]] des Organismus erzeugt. In diesem Faktor sah er den entscheidenden Unterschied zwischen Belebtem und Unbelebten. Er nannte ihn, von Aristoteles herkommend, „[[Entelechie]]“.  
{{GZ|Die Deszendenztheorie hat die Wissenschaft
darauf hingewiesen, die wirklichen Ursachen der individuellen
Entwickelung des Einzelorganismus bei dessen Vorfahren zu
suchen, und die Naturwissenschaft ersetzt auf diesem Wege alle
ideellen Entwickelungsgesetze, die von irgendwo außerhalb an den
organischen Stoff herantreten sollen, durch die tatsächlichen Vor-
gänge der Stammesgeschichte, die im Einzelwesen als Gestaltungskräfte
fortwirken.


Gelegentlich sprach er von „X-Agentien“<ref>Hans Driesch: Parapsychologie, Kindler Taschenbücher, München o. J. (ca. 1970), S. 109</ref> Es handle sich um einen immateriellen Faktor, der – da alles Materielle räumlich ist – wie von „außerhalb“ in den Raum hineinwirke. „Die vitale Kausalität, mit dem Begriff der Entelechie als einem nicht-materiellen, 'in den Raum hinein' wirkenden Agens arbeitend, heißt Ganzheitskausalität, weil der Organismus ganz ist und nach Störungen wieder ganz ganz wird.“<ref>Hans Driesch: Systematische Selbstdarstellung, in der Reihe: Deutsche systematische Philosophie nach ihren Gestaltern, hrsg. v. Hermann Schwarz, Berlin 1933, S. 156</ref> Nicht auf die Bezeichnung komme es jedoch an, sondern „nur auf die Einsicht, dass ein der Materie gegenüber grundsätzlich Fremdes am Werk ist, das, anders gesagt, nicht von der Materie aus, sondern mit der Materie hier gearbeitet wird.“<ref>Hans Driesch: Biologische Probleme höherer Ordnung, S. 15f.</ref> Das sei laut [[Rudolf Steiner]] ein deutlicher Hinweis auf den [[Ätherleib]]:
Immer mehr nähert sich unter dem Einfluß der Deszendenztheorie
die Naturwissenschaft dem großen Ziele, das einer der
größten Naturforscher des Jahrhunderts, Karl Ernst von Baer, mit
den Worten vorgezeichnet hat: «Ein Grundgedanke ist es, der
durch alle Formen und Stufen der tierischen Entwicklung geht
und alle einzelnen Verhältnisse beherrscht. Derselbe Grundgedanke
ist es, der im Weltraum die verteilte Masse in Sphären
sammelte und diese zu Sonnensystemen verband; derselbe, der den
verwitterten Staub an der Oberfläche des Planeten in lebendige
Formen hervorwachsen ließ. Dieser Gedanke ist aber nichts als
das Leben selbst, und die Worte und Silben, in welchen er sich
ausspricht, sind die verschiedenen Formen des Lebendigen.» Ein
anderer Ausspruch Baers gibt dieselbe Vorstellung in anderer
Form: «Noch manchem wird ein Preis zuteil werden. Die Palme
aber wird der Glückliche erringen, dem es vorbehalten ist, die
bildenden Kräfte des tierischen Körpers auf die allgemeinen
Kräfte oder Lebensverrichtungen des Weltganzen zurückzuführen.»|30|188f}}


{{GZ|Heute gibt es wieder eine Anzahl Naturforscher, welche
Baer beschrieb 1828 als erster die [[Wikipedia:Chorda dorsalis|Chorda dorsalis]], von ihm Rückensaite (später Wirbel- oder Spinalsaite) genannt, als gemeinsames Merkmal der Wirbeltiere (bzw. der später so genannten [[Wikipedia:Chordatiere|Chordatiere]]): {{"|''Diese Saite ist nicht nur die Axe, um welche sich die ersten Theile des Embryo bilden, sondern auch der wahre Maaßstab für den ganzen Leib und alle Hauptsysteme''.}} (so Baer 1828). Diese Begriffsbildung bedeutete auch die Ausdehnung des Verwandtschaftsverhältnisses des Menschen bis hin zu den Neunaugen. In seinem embryologischen Werk ''Ueber Entwickelungsgeschichte der Thiere'' (2 Bde. Königsberg 1828/1837) baute Baer das von seinem Freund Pander entwickelte revolutionäre [[Keimblatt]]modell unter Einbeziehung weiterer Tiergruppen bis hin zum Menschen aus.  
glauben, nicht auskommen zu können mit dem Leblosen,
die also wenigstens ahnend das annehmen, was die Theosophen
den Ätherkörper nennen. Sie nennen sich die Neovitalisten.
Ich brauche nur auf ''Hans Driesch'' und andere zu
verweisen, um zu zeigen, wie der Naturforscher wiederum
dazu kommt, diesen Ätherkörper, wenn auch unter anderen
Namen, als etwas wirklich Bestehendes zu bezeichnen. Und
je weiter die Naturwissenschaft vorrückt, desto mehr wird
sie auch erkennen, daß die Pflanze schon einen solchen
Ätherkörper hat, denn sonst könnte sie nicht leben. Auch
das Tier und der Mensch haben einen solchen Ätherdoppelkörper.
Derjenige Mensch, welcher die höheren Körper
ausbildet, kann diesen Ätherkörper auch mit den einfachsten,
primitivsten Organen seelischer Anschauung wirklich
beobachten. Dazu ist ein ganz einfacher, allerdings nur für
den esoterisch ausgebildeten Theosophen, Kunstgriff notwendig.
Sie kennen das Wort Suggestion. Die Suggestion
besteht darin, daß der Mensch Dinge wahrnehmen kann, die
scheinbar nicht da sind. Die Suggestion, bei der dem Menschen
etwas eingeredet wird, interessiert uns zunächst nicht.
Wichtiger für uns ist, um zu der Anschauung des Ätherkörpers
zu kommen, eine andere Suggestion. Derjenige, der sich
mit der Theorie der Suggestion befaßt hat, weiß, daß der
Hypnotiseur imstande ist, dem Menschen Dinge abzusuggerieren,
so daß er Dinge, die vorhanden sind, eben nicht sieht.
Sagen wir, es würde ein Hypnotiseur einem Menschen
absuggerieren, daß hier eine Uhr liegt. Dann sähe der Betreffende
nichts an der Stelle im Raum. Es ist dies nichts
anderes, als ein Ablenken der Aufmerksamkeit auf einem
abnormen Gebiet, ein künstliches Ablenken der Aufmerksamkeit.
Diesen Vorgang kann jeder an sich beobachten. Der
Mensch ist imstande, sich selbst abzusuggerieren, was vor
ihm ist. Der theosophisch Gebildete muß folgenden Kunstgriff
ausführen können, dann gelangt er zur Anschauung des
ätherischen Körpers; Er muß sich den physischen Körper
eines Tiers oder eines Menschen absuggerieren. Ist dann sein
geistiges Auge erweckt, dann sieht er nicht etwa an der
Stelle, wo der physische Körper war, nichts, sondern er sieht
den Raum ausgefüllt mit ganz bestimmten Farbenbildern.
Die Ausführung dieser Anleitung muß natürlich mit der
allergrößten Vorsicht geschehen, denn es sind allerlei Illusionen
auf diesem Gebiete möglich. Allein, wer wirklich weiß,
mit welcher Vorsicht, mit welcher alle wissenschaftliche
Genauigkeit übersteigenden Exaktheit gerade die theosophische
Forschung gepflegt wird, der weiß Bescheid. Der Raum
ist erfüllt mit Lichtbildern. Das ist der Äther- oder Doppelkörper.
Dieses Lichtbild erscheint in einer Farbe, die nicht in
unserem gewöhnlichen Spektrum vom Ultrarot bis Ultraviolett
enthalten ist. Sie ähnelt etwa der Farbe der Pfirsichblüte.
Das ist die Farbe, in der der Ätherdoppelkörper
erscheint. Einen solchen Ätherdoppelkörper finden Sie bei
jeder Pflanze, bei jedem Tier, überhaupt bei jedem Lebewesen.
Es ist der äußerliche, sinnliche Ausdruck für das, was
der Naturforscher heute wieder ahnt, für das, was man
Lebenskraft nennt.|53|54f}}


=== Neovitalismus ===
1837 sammelte Baer Tiere und Pflanzen auf [[Wikipedia:Nowaja Semlja|Nowaja Semlja]], einer Inselgruppe im arktischen Eismeer, wo er auch übersommerte. Auf weiteren Expeditionen erforschte er Spuren der [[Wikipedia:Letzte Kaltzeit|Eiszeit]] an der Südküste [[Wikipedia:Finnland|Finnland]]s (1838/1839). An den [[Wikipedia:Arktischer Ozean|Nordmeerküsten]], am [[Wikipedia:Kaspisches Meer|Kaspischen Meer]] und im [[Wikipedia:Kaukasus|Kaukasus]] untersuchte er 1851 bis 1856 die Fischerei und die Fischbestände. Diese Untersuchungen führten 1856 zum ersten Gesetz zum Schutz der Fischbestände in [[Wikipedia:Russland|Russland]]. Mit seinen Eismeer-Untersuchungen wurde Baer einer der Begründer der wissenschaftlichen Arktisforschung.


{{Hauptartikel|Neovitalismus}}
Von 1867 bis zu seinem Tod 1876 lebte Baer in [[Wikipedia:Tartu|Dorpat]], der Stadt, in der er einst studiert hatte. Hier beschäftigte er sich mit dem Darwinismus und verfasste zahlreiche Aufsätze (z. T. in Buchlänge) zu biologischen, anthropologischen, wissenschafts- und kulturgeschichtlichen Themen.


Mit diesem Ansatz wurde Driesch zu einem zentralen Vertreter des [[Neovitalismus]], dessen vor allem naturphilosophische Werke in den 1920er Jahren sowohl unter Laien als auch unter Biologen und Zoologen weite Verbreitung fanden. Von der engeren [[Biophilosophie]] ausgehend, entwickelte Hans Driesch eine umfangreiche Gesamtphilosophie, die auch die Bereiche [[Psychologie]],<ref>Hans Driesch: Grundprobleme der Psychologie, 2. Aufl. Leipzig 1929</ref> der [[Wissenschaftstheorie]]<ref>Hans Driesch: Philosophische Forschungslehre, Leipzig 1930</ref> der [[Relativitätstheorie]], <ref>Hans Driesch: Relativitätstheorie und Weltanschauung, 2. Aufl. Leipzig 1930</ref> und der [[Ethik]]<ref>Hans Driesch: Die sittliche Tat. Ein moralphilosophischer Versuch, Leipzig 1927</ref> umfasst. Die Grundtendenz seiner Philosophie lag in einer Kritik des [[Materialismus]] bzw. [[Naturalismus (Philosophie)|Naturalismus]] sowie deren reduktionistischer Tendenz.<ref>Hans Driesch: Die Überwindung des Materialismus, Zürich 1935</ref>
Baer starb, erblindet, aber bis zuletzt wissenschaftlich arbeitend, im Spätherbst 1876 und wurde auf dem Alten Johannisfriedhof Dorpat (Raadi-Friedhof Tartu) beigesetzt.


Rudolf Steiner wies allerdings auch darauf hin, dass die bloße Idee einer eigenständigen Lebenskraft, wie sie von den Neovitalisten wieder aufgewärmt wurde, ungenügend bleibt, solange man nicht zu einer wirklichen übersinnlichen Anschauung des Ätherleibs kommt:
{{GZ|Im Grunde
genommen macht die Geheimwissenschaft nur das zur Tat,
zur Wirklichkeit, was auch die Naturwissenschaft geahnt
hat. Wenn zum Beispiel ein Naturwissenschafter wie Karl
von Baer, dem Ernst Haeckel sein Werk «Ziele und Wege
der heutigen Entwickelungsgeschichte» gewidmet hat, sagt:
Ein Gedanke ist es, der die ganze Welt durchzieht, der die
Planeten ordnet, der aus der Materie die lebendigen Wesen
hervorgerufen hat, der in seinen Budistaben und in seinem
Sinn in den mannigfaltigen Lebensformen erscheint und im
Grunde genommen das Leben selber ist - dann darf man
wohl hinzufügen: Und wenn dieser Gedanke, der in der
übersinnlichen Welt allein gefunden werden kann, gehegt
und gepflegt wird, wenn er bewußt Eingang findet in die
Menschennatur, dann wird er die Menschen gesund, stark
und tüchtig machen. Wird er dann nicht zuerst die Zweifel
zerstreuen, die Gemüter beruhigen, die Herzen erheben und
die Menschennatur gesund machen? Das ist eine tiefere Mission
der Geheim Wissenschaft in unserer Zeit.|56|32f}}


{{GZ|Die Verstandestätigkeit tendiert in unserem Zeitalter
== Werke ==
dahin, nur das Phänomen zu betrachten und es hinzustellen
neben ein anderes, damit Phänomen das Phänomen
erklärt. Aber das läßt sich bei der Lebenskraft nicht ausführen.
Bei der Lebenskraft muß man immer, wenn man
überhaupt etwas tun will, von der Verstandestätigkeit aus
etwas hineinschieben in das Phänomen. Man muß gewissermaßen
dem Phänomen etwas unterschieben. Und darinnen
liegt das, was allmählich im Gebrauche der Idee von
der Lebenskraft bedenklich geworden ist. Das war dann
die Ursache, daß man sie ganz hat fallen lassen und daß
als ein gewisses Ideal in weitesten Kreisen entstanden ist,
die Lebewesen nun überhaupt als einen Zusammenfluß,
eine Kombination derjenigen Kräfte anzuschauen, die
auch in der anorganischen Natur walten.


Mit anderen Worten: die Idee der Lebenskraft ist
* ''De ovi mammalium et hominis genesi'', Leipzig 1827 (Bekanntgabe der Entdeckung des menschlichen Eies) {{IA|deovimammaliumet00baeruoft}}
eigentlich eine Art Wechselbalg geworden. Man ist dazu
gekommen, das Konstitutive in den Wissenschaften nur im
Phänomen zu suchen. Die Lebenskraft ergab sich als
Phänomen nicht. Man mußte - was aber eigentlich nicht
statthaft war in diesem Zeitalter der Menschheitsentwickelung
— vom Verstände aus die Vitalkraft konstruieren.
Das war der negative Teil der Entwicklung, in der wir
heute drinnenstehen. Denn in dem Neovitalismus tritt
nichts Anschauliches auf. Was der Neovitalismus an die
Stelle einer bloß das Anorganische kombinierenden Erklärung
der Lebenserscheinungen setzt, das ist nichts anderes
als eine Art Aufwärmung des alten Vitalismus.|76|102f}}


=== Das Psychoid ===
* ''Über Entwickelungsgeschichte der Thiere''. Beobachtung und Reflexion. Gebrüder Bornträger, Königsberg 1828, 1. Teil {{GBS|ngc5ehai_HIC|PR1}}, {{GBS|ev7OAAAAMAAJ|PR2}}; 2. Teil, 1837 {{GBS|r_7OAAAAMAAJ|PP7}}


Von der Entelechie im allgemeinen Sinn unterschied Driesch das sogenannte '''Psychoid''', das handelnd in den Körper eingreift:
* ''Schädel- und Kopfmangel an Embryonen von Schweinen aus der frühesten Zeit der Entwickelung beobachtet''. [1829] {{GBS|5whBAAAAcAAJ|PA827}}


{{LZ|Das autonome nicht-mechanische Naturagens, welches für
* ''Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der Fische nebst einem Anhange über die Schwimmblase''. F. C. W. Vogel, Leipzig 1835 {{GBS|bEYAAAAAQAAJ|PP5}}, {{GBS|6jJCAAAAcAAJ|PT2}}
die Lebensvorgänge wesentich ist, haben wir Entelechie genannt.
Wir wollen es, insofern es an den als „Handlungen"
bezeichneten Bewegungen eines Menschenleibes beteiligt ist,
in Sonderheit ''Psychoid'' nennen. Mein Leib untersteht also in seinen Bewegungen dem Wirken eines „Psychoids".|H. Driesch: ''Leib und Seele'', 1920, S. 88f.}}


{{LZ|Das handelnde „Etwas“ hat die immanente Fähigkeit,
* ''Anatomische und zoologische Untersuchungen über das Wallross (Trichechus rosmarus) und Vergleichung dieses Thiers mit andern See-Säugethieren''. St. Petersburg 1836 {{GBS|UlErAAAAYAAJ|PA97}}, {{GBS|l3orAAAAYAAJ|PA97}}
gewisse spezifische Kombinationen von Muskelbewegungen
zu leisten; die Kombination, welche es in einem besonderen
Falle leistet, hängt von der Individualität des in diesem
Falle tätigen Reizes und von der Gesamtheit aller „Empfindungen“
der Vergangenheit, im weitesten Sinne des
Wortes, ab...


Wir könnten hier, wie
* ''Makrokephalen im Boden der Krim und Österreichs, verglichen mit der Bildungs-Abweichung, welche Blumenbach Macrocephalus genannt hat''. Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1860 {{GBS|pphFAAAAcAAJ|PP2}}
bei der Theorie der Formbildung, wieder von „Entelechie“
sprechen; aber es ist wohl besser, dasjenige Agens, welches
den Körper bildet, von demjenigen elementaren Agens,
welches ihn lenkt, auch im Worte zu unterscheiden.
Die Worte „Seele“, „Geist“ oder „Psyche“ bieten sich
hier nun dar, aber sie alle würden uns in das Bereich der
so sorgfältig vermiedenen Pseudo-Psychologie führen. Ich
kann von meiner „Psyche“ sprechen — womit ich freilich
nicht mehr sage als „Ich“ —, aber in diesem Sinne „gibt“
es keine Seelen im Bereiche desjenigen Phänomens,
welches räumliche Natur heißt. Ich schlage daher den sehr
indifferenten Namen „Psychoid“ für das elementare in
der Handlung entdeckte Agens vor. Psychoid —
d. h. ein Etwas, welches zwar keine Psyche ist, aber doch
nur in psychologischen Analogien erörtert werden kann.|H. Driesch: ''Philosophie des Organischen'', Band 2, S. 78}}


Dieser allerdings völlig wirklichkeitsfremde Begriff des „Psychoids“ wurde von Rudolf Steiner scharf kritisiert:
* ''Bericht über die Zusammenkunft einiger Anthropologen im September 1861 in Göttingen zum Zwecke gemeinsamer Besprechungen''. Eratattet von Karl Ernst von Baer und Rudolph Wagner. Leopold Voss, Leipzig 1861 {{GBS|x2lAAAAAcAAJ|PP5}}, {{GBS|HmpNAAAAcAAJ|PP5}}


{{GZ|Diese
* ''Über ein neues Project, Auster-Bänke an der russischen Ostee-Küste anzulegen, und über den Salz-Gehalt der Ostsee in verschiedenen Gegenden''. Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1861 {{GBS|bF49AAAAYAAJ|PA589}}
Wissenschafter, die auf heutige Art den Materialismus überwinden wollen,
auch diejenigen Theologen, die auf heutige Art den Materialismus
überwinden wollen, die sind vor den Augen dessen, der diese Dinge
durchschaut, eigentlich viel schlimmer als die starren Materialisten, die
nach und nach durch die Absurdität ihrer eigenen Sache die Sache unmöglich
machen. Aber diese Schwätzer über Spiritualismus, über Idealismus
und dergleichen streuen den Leuten Sand in die Augen und sich
selber auch.


Denn was wird denn da, sagen wir in Drieschscher Weise oder in
* ''Welche Auffassung der lebenden Natur ist die richtige? Und Wie ist diese Auffassung auf die Entomologie anzuwenden?'' A. Hirschwald, 1862. Zur Eröffnung der Russischen entomologischen Gesellschaft im Mai 1860 gesprochen. August Hirschwald, Berlin 1862 {{GBS|fxZbAAAAQAAJ|PA1}}
anderer Weise getan, um irgend etwas über materielles Geschehen hinaus
vertreten zu können? Es werden genau dieselben Gedanken, die
jahrhundertelang verwendet worden sind, um bloß das Materielle zu
denken, die auch gar keine andere Möglichkeit haben, als das Materielle
zu denken, verwendet, um ein angeblich Geistiges zu denken. Das
können diese Gedanken gar nicht! Das kann man nur, wenn man in
wirkliche Geisteswissenschaft eingeht. Daher kommen solche sonderbaren
Dinge heraus, die heute gar nicht bemerkt werden. Es spricht
zum Beispiel ein von der Außenwelt offiziell anerkannter, in Wirklichkeit
furchtbar dilettantischer Driesch davon, daß man annehmen
müsse: «Psychoide». Ja, meine Heben Freunde, wenn Sie irgendeinem
Ding eine Ähnlichkeit zuschreiben wollen, muß das Ding irgendwo
da sein. Sie können doch nicht sprechen von affenähnlichen Wesen,
wenn nie ein Affe da ist. Sie können nie von Psychoiden sprechen,
wenn nie eine Seele anerkannt wird im Menschen! Derlei Geschwätz
gilt heute als echte, sogar ins Bessere hineinstrebende Wissenschaft.
Das muß durchschaut werden. Und dann sind diejenigen, welche mit
wissenschaftlicher Bildung drinnenstehen in der anthroposophischen
Bewegung, für die Zivilisationsentwickelung etwas wert, wenn sie sich
nicht blenden lassen von dem aufflackernden Irrlicht, sondern wenn
sie ganz exakt hineinschauen in das, was nun wirklich notwendig ist
und gegenüber dem Materialismus gebraucht wird.|318|135f}}


=== Parapsychologie ===
* ''Reden gehalten in wissenschaftlichen Versammlungen und kleinere Aufsätze vermischten Inhalts''. 3 Bände, St. Petersburg 1864–1876
** Teil 1: ''Reden''. 1864 {{IA|redengehalteninw01baer}}, {{IA2|redengehaltenin01baergoog}} = {{IA2|redengehaltenin00baergoog}} = {{GBS|3FCb8GLnGioC}}, {{MDZ|10603757-2}}
** Teil 2: ''Studien aus dem Gebiete der Naturwissenschaften''. 1876 {{IA2|redengehaltenin05baergoog}} = {{GBS|y_AEAAAAYAAJ|US}}, {{IA2|redengehaltenin04baergoog}} = {{GBS|FeYEAAAAYAAJ|US}}, {{IA2|redengehaltenin02baergoog}} = {{GBS|a90W4-DcaQEC|US}}
** Teil 3: ''Historische Fragen mit Hülfe der Naturwissenschaften beantwortet''. 1873 {{IA2|redengehaltenin03baergoog}} = {{GBS|dK5Yt-cFVxoC|US}}


{{Hauptartikel|Parapsychologie}}
* ''Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimraths Dr. Karl Ernst von Baer'', mitgetheilt von ihm selbst. Veröffentlicht bei Gelegenheit seines fünfzigjährigen Doctor-Jubiläums am 29. August 1864 von der Ritterschaft Ehstlands.
** Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1865 {{GBS|olYzAQAAMAAJ|PP11}}, {{GBS|6F09AQAAIAAJ|PR1}}
** H. Schmitzdorff, St. Petersburg 1866 {{GBS|S8sHAAAAIAAJ|PR3}}, {{GBS|CFQ6AAAAcAAJ|PR3}}, {{GBS|HvYEAAAAYAAJ|PR3}}


Ab 1924 beschäftigte sich Driesch auch mit der [[Parapsychologie]], fungierte 1926-27 als Präsident der [[Wikipedia:Society for Psychical Research|Society for Psychical Research]] und publizierte 1932 eine Methodenlehre für dieses Gebiet (vielfach neu aufgelegt, mit Beiträgen von [[Wikipedia:Hans Bender (Psychologe)|Hans Bender]] als Taschenbuch). In Leipzig ist eine große Straße im Stadtteil Leutzsch nach Hans Driesch benannt, sie verlängert die Achse der [[Wikipedia:Emil Fuchs|Emil-Fuchs-Straße]], in der sein ehemaliges Wohnhaus steht. Im Kölner Stadtbezirk [[Wikipedia:Köln-Lindenthal|Lindenthal]] wurde das Wirken von Hans Driesch ebenfalls durch die Benennung einer Straße geehrt.<ref>Konrad Adenauer und Volker Gröbe: ''Straßen und Plätze in Lindenthal'', J.P. Bachem, Köln 1992, ISBN 3-7616-1018-1, S.62f.</ref>
* ''Das neuentdeckte Wrangells-Land''. W. Gläser, Dorpat 1868 {{GBS|87lCAAAAcAAJ|PP5}}


Driesch wirkte über viele Jahre als Mitarbeiter an der populärwissenschaftlichen illustrierten Monatsschrift ''Reclams Universum'' mit, die seiner anlässlich seines 60. Geburtstags in ihrer Ausgabe vom 27. Oktober 1927 gedachte.
== Siehe auch ==


Driesch war pazifistischer und demokratischer Gesinnung, musste als einer der ersten Professoren aufgrund eines früheren Eintretens für pazifistische Kollegen unter dem Zwang der Nationalsozialisten seine Emeritierung beantragen und durfte nicht weiter lehren.<ref>Hans Driesch: Lebenserinnerungen, S. 271 ff.</ref>
* {{WikipediaDE|Karl Ernst von Baer}}
 
2013 stiftete Michael W. Driesch, der mit Hans Driesch nicht verwandt ist, einen [[Wikipedia:Hans-Driesch-Wissenschaftspreis|Hans-Driesch-Wissenschaftspreis]], der von der [[Universität Witten/Herdecke]] vergeben wird.<ref>[http://www.idw-online.de/pages/de/news514894 Informationsdienst Wissenschaft: "Universität Witten/Herdecke verleiht 2013 erstmals den Hans-Driesch-Wissenschaftspreis"]</ref>
 
== Driesch bei Kurt Tucholsky ==
Angesichts einer Reichstagsrede Hans Drieschs vor dem Reichstag 1928, in der er sich auch für Mitglieder der Deutschen Liga für Menschenrechte, die wegen ihres radikalen geäußerten Pazifismus, angeklagt waren, indirekt einsetzte, beschreibt [[Wikipedia:Kurt Tucholsky|Tucholsky]] Driesch als „höchst couragiert“<ref> Kurt Tucholsky; Lerne lachen ohne zu Weinen.Auswahl 1928-1929; Berlin 1985; S. 391</ref>, der für die Angeklagten „in verdienstvoller Weise eingetreten sei“<ref>ebenda</ref>, aber er bedauert, dass Driesch nicht viel eindeutiger und ohne Rücksichten auf Konventionen, geredet habe<ref>ebenda</ref>.
 
== Schriften (Auswahl) ==
* Die "Seele" als elementarer Naturfaktor, Leipzig 1903 [https://archive.org/details/dieseelealselem00driegoog archive.org]
* Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft und das System der Biologie, 2. Auf. Leipzig 1911 [https://archive.org/details/diebiologiealsse00drie archive.org]
* Der Begriff der organischen Form, Berlin 1919.
* Das Problem der Freiheit, 2. Aufl. Darmstadt 1920.
* Leib und Seele, 2. Aufl. Leipzig 1920 [https://archive.org/details/leibundseeleeine00drie archive.org]
* Mein System und sein Werdegang, 2. Aufl. Philosophie in Selbstdarstellungen, Leipzig 1922.
* Ordnungslehre, 2. Aufl. Jena 1923.
* Grundprobleme der Psychologie, Leipzig 1926 [https://archive.org/details/b29814686 archive.org]
* Die sittliche Tat. Ein moralphilosophischer Versuch, Leipzig 1927.
* Relativitätstheorie und Weltanschauung, 2. Aufl. Leipzig 1929.
* Wirklichkeitslehre, 3. Aufl. Leipzig 1930 [https://archive.org/details/wirklichkeitsleh00hans archive.org]
* Philosophische Forschungslehre, Leipzig 1930.
* Parapsychologie, München 1932.
* Philosophische Gegenwartsfragen, Leipzig 1933.
* Die Überwindung des Materialismus, Zürich 1935.
* Alltagsrätsel des Seelenlebens, Stuttgart 1938.
* Der Mensch und die Welt, 2. Aufl. Zürich 1945.


== Literatur ==
== Literatur ==


* Raimund Schmidt (Hrsg. & Einf.): ''Die deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen.'' Erster Band: Paul Barth / [[Wikipedia:Erich Becher|Erich Becher]] / Hans Driesch / [[Wikipedia:Karl Joel (Philosoph)|Karl Joël]] / [[Wikipedia:Alexius Meinong|A. Meinong]] / [[Wikipedia:Paul Natorp|Paul Natorp]] / [[Wikipedia:Johannes Rehmke|Johannes Rehmke]] / [[Wikipedia:Johannes Volkelt|Johannes Volkelt]]. Felix Meiner, Leipzig 1921.
* [[Wikipedia:Ludwig Stieda|Ludwig Stieda]]: ''Karl Ernst von Baer. Eine biographische Skizze''. Braunschweig 1878 (erste Baer-Biographie, vom Verwalter des Baer-Nachlasses).
* Otto Heinichen: Drieschs Philosophie. Eine Einführung, Leipzig 1924.
* {{ADB|46|207|212|Baer, Karl Ernst von|Ludwig Stieda|ADB:Baer, Karl Ernst Ritter von}}
* [[Wikipedia:Will Durant|Will Durant]]: Die großen Denker, Zürich 1926, S. 441 - 451.
* Wilhelm Haacke: ''Karl Ernst von Baer''. Leipzig 1905 (kurze Biographie).
* [[Wikipedia:Aloys Wenzl|Aloys Wenzl]]: Hans Driesch: Persönlichkeit und Bedeutung für Biologie und Philosophie heute, Basel 1951
* {{NDB|1|524||Baer, Edler von Huthorn, Karl Ernst Ritter von|Goetz von Selle|118505831}}
* [[Wikipedia:Emil Ungerer|Emil Ungerer]]: ''Hans Driesch. Die Eigengesetzlichkeit des organischen Lebens.'' In: ''Forscher und Wissenschaftler im heutigen Europa. 2. Mediziner, Biologen, Anthropologen.'' Hgg. [[Wikipedia:Hans Schwerte|Hans Schwerte]] & [[Wikipedia:Wilhelm Spengler|Wilhelm Spengler]]. Reihe: Gestalter unserer Zeit Bd. 4. Stalling, Oldenburg 1955, S. 218-227.
* [[Wikipedia:Boris Jewgenjewitsch Raikow|Boris Jewgenjewitsch Raikow]]: ''Karl Ernst von Baer (1792–1876). Sein Leben und sein Werk''. (= Acta historica Leopoldina; Nr. 5). J. A. Barth, Leipzig 1968. (marxistisch-orthodoxe Biographie Baers).
* Reinhard Mocek: Wilhelm Roux, Hans Driesch. Zur Geschichte der Entwicklungsphysiologie der Tiere ("Entwicklungsmechanik"), Jena 1974.
* Rudolf Steiner: ''Methodische Grundlagen der Anthroposophie'', [[GA 30]] (1989), ISBN 3-7274-0300-4 {{Vorträge|030}}
* {{NDB|4|125|126|Driesch, Hans Adolf Eduard|Aloys Wenzl|118527479}}
* Rudolf Steiner: ''Die Erkenntnis der Seele und des Geistes'', [[GA 56]] (1985), ISBN 3-7274-0560-0 {{Vorträge|056}}
* Horst H. Freyhofer: The Vitalism of Hans Driesch. The Success and Decline of a Scientific Theory, Frankfurt/Main, Bern 1982.
* Rudolf Steiner: ''Aus dem mitteleuropäischen Geistesleben'', [[GA 65]] (2000), ISBN 3-7274-0650-X {{Vorträge|065}}
* Walter Hof: Die philosophische Reichweite der modernen Naturwissenschaft, Leer 1984, S. 15 - 26.
* Rudolf Steiner: ''Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges'', [[GA 174b]] (1994), ISBN 3-7274-1742-0 {{Vorträge|174b}}
* Thomas Miller: ''Konstruktion und Begründung''. Zur Struktur und Relevanz der Philosophie Hans Drieschs. G. Olms Verlag, Hildesheim 1991. ISBN 978-3-487-09514-1
* [[Wikipedia:Kurt Tucholsky|Kurt Tucholsky]]; Lerne lachen ohne zu weinen. Auswahl 1928–1929; Berlin 1985
* [[Wikipedia:Hans-Peter Waldrich|Hans-Peter Waldrich]]: Grenzgänger der Wissenschaft, München 1993, S. 64 - 93.
* Rudolf Steiner: ''Ursprung und Ziel des Menschen'', [[GA 53]] (1981), ISBN 3-7274-0532-5 {{Vorträge|053}}
* Rudolf Steiner: ''Die befruchtende Wirkung der Anthroposophie auf die Fachwissenschaften'', [[GA 76]] (1977), ISBN 3-7274-0760-3 {{Vorträge|076}}
* Rudolf Steiner: ''Das Zusammenwirken von Ärzten und Seelsorgern'', [[GA 318]] (1994), ISBN 3-7274-3181-4 {{Vorträge|318}}


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== Weblinks ==
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== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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== Weblinks ==
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* [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/people/data?id=per63 Kurzbiografie und Bibliografie] (englisch) im [[Wikipedia:Virtual Laboratory|Virtual Laboratory]] des [[Wikipedia:Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte|Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte]]
* {{CPL|Driesch_30}}
* [http://dikuw.org/ueber-hans-driesch/ Biographie von Hans Driesch] beim Düsseldorfer Institut für Kunst und Wissenschaft


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Version vom 27. Oktober 2017, 08:04 Uhr

Karl Ernst von Baer 1840
Karl Ernst von Baer
Dorpat (heute Tartu) 1866
Karl Ernst von Baer, 1865
Karl Ernst von Baer (erblindet, vor 1876)

Karl Ernst von Baer (* 17. Februarjul. / 28. Februar 1792greg.[1] auf Gut Piep (estnisch: Piibe), heute Gemeinde Rakke, in Estland; † 16. Novemberjul. / 28. November 1876greg. in Dorpat, Estland) war ein deutsch-baltischer Mediziner und Naturforscher, insbesondere Zoologe, Embryologe, Anthropologe, Geograph und Forschungsreisender.

Leben und Werk

Karl Ernst von Baer, Sohn des estländischen Rittergutsbesitzers und Landrats Johann Magnus von Baer (1765–1825) und von Julie Marie von Baer (1764–1820),[2] Tochter eines russischen Offiziers, besuchte von 1808 bis 1810 die deutschsprachige Domschule in Reval, dem heutigen Tallinn. Anschließend studierte er bis 1814 Medizin an der damals ebenfalls deutschsprachigen, 1802 gegründeten Universität Dorpat. Nach dem Doktorat setzte Baer seine medizinischen Studien in Wien und später in Würzburg fort. Er wurde schließlich an der Universität Königsberg habilitiert und arbeitete von 1817 bis 1834 in Königsberg.

1819 heiratete Baer Auguste von Medem († 1864) aus Königsberg; aus dieser Ehe gingen sechs Kinder hervor.[2] Im gleichen Jahr wurde Baer zum außerordentlichen Professor ernannt, zwei Jahre später übernahm er vom Königsberger Universalgelehrten Karl Gottfried Hagen das Ordinariat für Zoologie, 1826 auch das für Anatomie.

1827 entdeckte Baer die menschlichen Eizelle. 1828 formulierte er die Baer-Regel der Embryonenähnlichkeit, auf die Ernst Haeckels biogenetische Grundregel aufbaute, sowie das nach ihm benannte Gesetz der unterschiedlichen Erosion von Flussufern durch die Corioliskraft. Er gilt als einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts und wird wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen auf zahlreichen Gebieten manchmal auch als der „Alexander von Humboldt des Nordens“ bezeichnet.

„Ich möchte manchem, der heute, nachdem er so ein bißchen hineingerochen hat in Haeckels, in Darwins Bücher, raten, bevor er daran geht, eine Filiale für einen Monistenverein zu gründen, mancherlei anderes vorher zu tun: so zum Beispiel wenn Haeckel Ernst von Baer anführt, selber einmal Karl Ernst von Baer in die Hand zu nehmen und zu lesen. Ich will Ihnen nur eine Stelle aus Karl Ernst von Baer vorlesen, wo er sich darüber ausspricht, wie es mit der geistigen Welt im Verhältnis zur Erdenwelt bestellt ist. Da sagt Baer: «Der Erdkörper ist nur das Samenbeet, auf welchem das geistige Erbteil des Menschen wuchert, und die Geschichte der Natur ist nur die Geschichte fortschreitender Siege des Geistigen über den Stoff. Das ist der Grundgedanke der Schöpfung, dem zu Gefallen, nein, zu dessen Erreichung sie Individuen und Zeugungs-Reihen schwinden läßt und die Gegenwart auf dem Gerüste einer unermeßlichen Vergangenheit erhebt.» Was sagt also dieser Baer? Der Erdenkörper, die Erde ist das Samenbeet, und da hinein werden versenkt die geistigen Keime, damit sie sich umhüllen. - Die reine Wahrheit hat dieser Baer gesagt im Beginne des 19. Jahrhunderts!“ (Lit.:GA 174b, S. 178)

„Da sieht man beispielsweise, wie Ernst Haeckel darauf hinweist, daß einer der Größten, auf die er sich selbst berufen will, Karl Ernst von Baer ist. Und immer wieder finden wir Karl Ernst von Baer angeführt als einen Mann, der beweisend sein soll für die rein materialistische Weltanschauung, die Haeckel aus seinem Forschen ableitet. Wieviele Menschen gehen nun hin, um einen Einblick zu gewinnen in das, was eigentlich in dem heutigen Wissenschaftsbetriebe steckt, - wieviele Menschen gehen nun hin und fassen so etwas an? Wieviele Menschen bleiben dabei stehen, daß sie bei Haeckel lesen: Karl Ernst von Baer kann angesehen werden als einer, der so spricht, wie Haeckel daraus ableitet! Da glaubt man selbstverständlich, daß Baer so etwas spricht, wie Haeckel daraus ableiten kann. Nun, ich will Ihnen einige Stellen aus Karl Ernst von Baer vorlesen: «Der Erdkörper ist nur das Samenbeet, auf welchem das geistige Erbteil des Menschen wuchert, und die Geschichte der Natur ist nicht nur die Geschichte fortschreitender Siege des Geistigen über den Stoff. Das ist der Grundgedanke der Schöpfung, dem zu Gefallen, nein, zu dessen Erreichung sie Individuen und Zeugungs-Reihen schwinden läßt und die Zukunft auf dem Gerüste einer unermeßlichen Vergangenheit erbaut.»[3] Eine wunderbar geistgemäße Auffassung der Welt hat der, den Haeckel alle Augenblicke anführt für seine Auffassungsweise!“ (Lit.:GA 65, S. 487)

Im Zentrum von Baers Denken stand der Teleologiebegriff: Naturprozesse sind durch Zweck- und Zielstrebigkeiten gekennzeichnet, modellhaftes Vorbild dabei ist die Embryonalentwicklung. Angeregt durch seinen Jugendfreund und Studienkollegen Christian Heinrich Pander, der bereits in den 1820er Jahren eine unbeschränkte Umbildung der Arten für möglich gehalten hatte, stellte Baer schon vor Darwin Überlegungen zur Evolution an. In seinem Aufsatz Über Papuas und Alfuren (1859) sprach er sich gegen die Artkonstanz und für eine Umbildung der Arten in einem gewissen Rahmen aus. Einer Entstehung von neuen Typen durch Evolution stand er ablehnend gegenüber, letztlich sah er die Frage nach dem Ursprung des Menschen als wahrscheinlich nie lösbares Problem an. Hauptkritikpunkt am Darwinismus ist dessen Nicht-Anerkennen einer nur telelogisch erklärbaren Natur. Seine ambivalente Haltung gegenüber der Evolutionstheorie fasste Baer 1876 selbst so zusammen: „Zuvörderst habe ich das ungewöhnliche Glück, dass ich sowohl als Förderer der Darwinschen Lehre, wie auch als Gegner derselben angeführt werde. In der Tat glaube ich für die Begründung derselben einigen Stoff geliefert zu haben, wenn auch die Zeit und Darwin selbst auf das Fundament ein Gebäude aufgeführt haben, dem ich mich fremd fühle.[4]

„Die Deszendenztheorie hat die Wissenschaft darauf hingewiesen, die wirklichen Ursachen der individuellen Entwickelung des Einzelorganismus bei dessen Vorfahren zu suchen, und die Naturwissenschaft ersetzt auf diesem Wege alle ideellen Entwickelungsgesetze, die von irgendwo außerhalb an den organischen Stoff herantreten sollen, durch die tatsächlichen Vor- gänge der Stammesgeschichte, die im Einzelwesen als Gestaltungskräfte fortwirken.

Immer mehr nähert sich unter dem Einfluß der Deszendenztheorie die Naturwissenschaft dem großen Ziele, das einer der größten Naturforscher des Jahrhunderts, Karl Ernst von Baer, mit den Worten vorgezeichnet hat: «Ein Grundgedanke ist es, der durch alle Formen und Stufen der tierischen Entwicklung geht und alle einzelnen Verhältnisse beherrscht. Derselbe Grundgedanke ist es, der im Weltraum die verteilte Masse in Sphären sammelte und diese zu Sonnensystemen verband; derselbe, der den verwitterten Staub an der Oberfläche des Planeten in lebendige Formen hervorwachsen ließ. Dieser Gedanke ist aber nichts als das Leben selbst, und die Worte und Silben, in welchen er sich ausspricht, sind die verschiedenen Formen des Lebendigen.» Ein anderer Ausspruch Baers gibt dieselbe Vorstellung in anderer Form: «Noch manchem wird ein Preis zuteil werden. Die Palme aber wird der Glückliche erringen, dem es vorbehalten ist, die bildenden Kräfte des tierischen Körpers auf die allgemeinen Kräfte oder Lebensverrichtungen des Weltganzen zurückzuführen.»“ (Lit.:GA 30, S. 188f)

Baer beschrieb 1828 als erster die Chorda dorsalis, von ihm Rückensaite (später Wirbel- oder Spinalsaite) genannt, als gemeinsames Merkmal der Wirbeltiere (bzw. der später so genannten Chordatiere): „Diese Saite ist nicht nur die Axe, um welche sich die ersten Theile des Embryo bilden, sondern auch der wahre Maaßstab für den ganzen Leib und alle Hauptsysteme.“ (so Baer 1828). Diese Begriffsbildung bedeutete auch die Ausdehnung des Verwandtschaftsverhältnisses des Menschen bis hin zu den Neunaugen. In seinem embryologischen Werk Ueber Entwickelungsgeschichte der Thiere (2 Bde. Königsberg 1828/1837) baute Baer das von seinem Freund Pander entwickelte revolutionäre Keimblattmodell unter Einbeziehung weiterer Tiergruppen bis hin zum Menschen aus.

1837 sammelte Baer Tiere und Pflanzen auf Nowaja Semlja, einer Inselgruppe im arktischen Eismeer, wo er auch übersommerte. Auf weiteren Expeditionen erforschte er Spuren der Eiszeit an der Südküste Finnlands (1838/1839). An den Nordmeerküsten, am Kaspischen Meer und im Kaukasus untersuchte er 1851 bis 1856 die Fischerei und die Fischbestände. Diese Untersuchungen führten 1856 zum ersten Gesetz zum Schutz der Fischbestände in Russland. Mit seinen Eismeer-Untersuchungen wurde Baer einer der Begründer der wissenschaftlichen Arktisforschung.

Von 1867 bis zu seinem Tod 1876 lebte Baer in Dorpat, der Stadt, in der er einst studiert hatte. Hier beschäftigte er sich mit dem Darwinismus und verfasste zahlreiche Aufsätze (z. T. in Buchlänge) zu biologischen, anthropologischen, wissenschafts- und kulturgeschichtlichen Themen.

Baer starb, erblindet, aber bis zuletzt wissenschaftlich arbeitend, im Spätherbst 1876 und wurde auf dem Alten Johannisfriedhof Dorpat (Raadi-Friedhof Tartu) beigesetzt.

„Im Grunde genommen macht die Geheimwissenschaft nur das zur Tat, zur Wirklichkeit, was auch die Naturwissenschaft geahnt hat. Wenn zum Beispiel ein Naturwissenschafter wie Karl von Baer, dem Ernst Haeckel sein Werk «Ziele und Wege der heutigen Entwickelungsgeschichte» gewidmet hat, sagt: Ein Gedanke ist es, der die ganze Welt durchzieht, der die Planeten ordnet, der aus der Materie die lebendigen Wesen hervorgerufen hat, der in seinen Budistaben und in seinem Sinn in den mannigfaltigen Lebensformen erscheint und im Grunde genommen das Leben selber ist - dann darf man wohl hinzufügen: Und wenn dieser Gedanke, der in der übersinnlichen Welt allein gefunden werden kann, gehegt und gepflegt wird, wenn er bewußt Eingang findet in die Menschennatur, dann wird er die Menschen gesund, stark und tüchtig machen. Wird er dann nicht zuerst die Zweifel zerstreuen, die Gemüter beruhigen, die Herzen erheben und die Menschennatur gesund machen? Das ist eine tiefere Mission der Geheim Wissenschaft in unserer Zeit.“ (Lit.:GA 56, S. 32f)

Werke

  • De ovi mammalium et hominis genesi, Leipzig 1827 (Bekanntgabe der Entdeckung des menschlichen Eies) Internet Archive
  • Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion. Gebrüder Bornträger, Königsberg 1828, 1. Teil Google, Google; 2. Teil, 1837 Google
  • Schädel- und Kopfmangel an Embryonen von Schweinen aus der frühesten Zeit der Entwickelung beobachtet. [1829] Google
  • Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der Fische nebst einem Anhange über die Schwimmblase. F. C. W. Vogel, Leipzig 1835 Google, Google
  • Anatomische und zoologische Untersuchungen über das Wallross (Trichechus rosmarus) und Vergleichung dieses Thiers mit andern See-Säugethieren. St. Petersburg 1836 Google, Google
  • Makrokephalen im Boden der Krim und Österreichs, verglichen mit der Bildungs-Abweichung, welche Blumenbach Macrocephalus genannt hat. Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1860 Google
  • Bericht über die Zusammenkunft einiger Anthropologen im September 1861 in Göttingen zum Zwecke gemeinsamer Besprechungen. Eratattet von Karl Ernst von Baer und Rudolph Wagner. Leopold Voss, Leipzig 1861 Google, Google
  • Über ein neues Project, Auster-Bänke an der russischen Ostee-Küste anzulegen, und über den Salz-Gehalt der Ostsee in verschiedenen Gegenden. Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1861 Google
  • Welche Auffassung der lebenden Natur ist die richtige? Und Wie ist diese Auffassung auf die Entomologie anzuwenden? A. Hirschwald, 1862. Zur Eröffnung der Russischen entomologischen Gesellschaft im Mai 1860 gesprochen. August Hirschwald, Berlin 1862 Google
  • Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimraths Dr. Karl Ernst von Baer, mitgetheilt von ihm selbst. Veröffentlicht bei Gelegenheit seines fünfzigjährigen Doctor-Jubiläums am 29. August 1864 von der Ritterschaft Ehstlands.
    • Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1865 Google, Google
    • H. Schmitzdorff, St. Petersburg 1866 Google, Google, Google
  • Das neuentdeckte Wrangells-Land. W. Gläser, Dorpat 1868 Google

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Commons: Karl Ernst von Baer - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wikisource: Karl Ernst von Baer – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Datum nach seiner Selbstbiografie Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimraths Dr. Karl Ernst von Baer, Sankt Petersburg 1865.
  2. 2,0 2,1 Genealogisches Handbuch der baltischen Ritterschaften, Görlitz 1930, Seiten 12, 13 einschließlich FN 6, 14.
  3. Karl Ernst von Baer: Reden und kleinere Aufsätze, Petersburg 1864, I. Band, S. 71f.
  4. Ueber Darwin's Lehre. In: Reden und kleinere Aufsätze, Bd. 2. St. Petersburg 1876, S. 239


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