Mikrogeschichte und Pein: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Mikrogeschichte''' ist eine [[Geschichtswissenschaft|geschichtswissenschaftliche]] Forschungsrichtung, die ihre Erkenntnis durch sehr detaillierte Analysen von relativ kleinen beziehungsweise überschaubaren Forschungseinheiten erzielt. Im Zentrum der mikrohistorischen Perspektive steht aber nicht das historische Detail an sich, sondern dieses wird benutzt, um aufgrund der genaueren Betrachtung der kleineren Einheit reichhaltigere und besser begründete Aussagen über Geschichte in größeren Zusammenhängen treffen zu können. Dennoch geht es der Mikrogeschichte nicht darum, den kleineren und strukturell oder quantitativ begrenzten Forschungen wie der [[w:Lokalgeschcihte|Lokalgeschichte]] oder Einzel[[biografie]]n und Anderen ihre Bedeutung abzusprechen, sondern vielmehr sie in einen neuen, größeren Bedeutungszusammenhang zu stellen.
'''Pein''' (ahd. ''pīna'', mtl. ''pena'', lat. ‚poena‘ = Sühne, Buße, Strafe, Qual) bezeichnet in der heutigen Sprache gehoben „heftiges körperliches, seelisches Unbehagen; etwas, was jemanden quält“.<ref>[http://www.duden.de/rechtschreibung/Pein ''Pein''] in duden.de, abgerufen am 17. November 2013.</ref> Ableitungen davon sind ''Peinigung'', ''peinigen'', ''peinlich'' und ''Peinlichkeit'', aber auch bildungssprachlich ''penibel''<ref>[http://www.duden.de/rechtschreibung/penibel ''penibel''] in duden.de, abgerufen am 17. November 2013.</ref> und umgangssprachlich ''pingelig''.<ref>[http://www.duden.de/rechtschreibung/pingelig ''pingelig''], duden.de, abgerufen am 17. November 2013.</ref>


== Geschichte und Methode ==
== Wortgeschichte ==
=== Entstehungsgeschichte ===
=== Etymologie ===
Die Mikrogeschichte entstand in [[Italien]] als Reaktion auf die vorherrschenden Trends in der französischen [[Annales-Schule]]. Beide Denkweisen teilten die Absicht, dass die einfachen bzw. vergessenen Menschen Europas in die Geschichte einbezogen werden müssen. Dabei waren sie sich nicht einig, welcher methodische Weg der Beste ist, um dies zu erreichen. Die Mikrohistoriker wollten sich nicht der Populärkultur anhand der quantitativen Methoden und historischen Demographien annähern, stattdessen konzentrierten sie sich auf die Untersuchungen kleiner Einheiten wie Einzelpersonen, Familien, kleine Gemeinschaften oder einzelnen Ereignissen. Zentrale Figuren der mikrohistorischen Anfänge waren unter anderem [[Carlo Ginzburg]], [[Giovanni Levi]], [[Edoardo Grendi]] und [[Carlo Poni]]. Der ideelle Kontext zum Ursprung der Bewegung kann durchaus als politisch beschrieben werden. Viele Historiker der italienischen ''Microstoria'' waren politisch am linken Spektrum aktiv. Sie distanzierten sich von der [[Historischer Materialismus|marxistischen Geschichtsschreibung]] und nahmen Abstand von Gedanken an große, kollektive Akteure, was zur Fokussierung auf die [[Subjektivierung]] der Akteure führte.<ref>Thomas Kroll: ''Die Anfänge der microstoria.'' In: Jeanette Granda, Jürgen Schreiber (Hrsg.): ''Perspektiven durch Retrospektiven: Wirtschaftsgeschichtliche Beiträge. Festschrift für Rolf Walter zum 60. Geburtstag.'' Böhlau Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-412-21086-1, S. 280–281.</ref>
''Pein'' für ‚Strafe, Qual, Schmerz‘ wurde im 8. Jahrhundert mit dem [[Christentum]] in das Germanische in Form des [[Althochdeutsch]]en ''pīna'', [[Mittelhochdeutsch|mhd.]] und [[Mittelniederdeutsche Sprache|mnd.]] ''pīne'', ''pīn'' ‚Mühseligkeit‘ entlehnt (ursprünglich lat. ''poena'', griech. ''poinḗ'' (ποινή) ‚Sühne, Strafe, Rache‘, lat. auch ‚Qual‘). Das Verb ''peinigen'' für ‚Schmerzen zufügen, quälen‘, mhd. ''pīnegen'', ''pīnigen'', ''pīngen'', älter auch ''peinen'', davon abgeleitet auch ''Peinigung'' entstanden ebenso um 800. Das Adjektiv ''peinlich'' für ‚qualvoll, schmerzlich, unangenehm, [[Schamgefühl|beschämend]], wurde zunächst in der [[w:Gerichtssprache|Gerichtssprache]] verwendet und bedeutete ‚mit Folterschmerzen verbunden‘. Im 16. Jahrhundert bezeichnete man etwa mit ''peinliche Frage'' eine ‚Befragung unter Anwendung bzw. Androhung der [[Folter]]‘. Zugleich wurde ''peinlich'' auch mit ‚innerliche Unruhe, Verlegenheit bereitend, innerlich quälend, voller Eifer‘ verwendet, Mitte des 18. Jahrhunderts auch als ‚gewissenhaft, übertrieben sorgfältig‘. Von Köln aus verbreitete sich seit dem 19. Jahrhundert die westdeutsche Form ''pingelig'' ‚übertrieben gewissenhaft, übergenau, kleinlich, heikel‘, aus dem Rheinischen ''pingelich, pingelije'' für ‚sehr empfindlich, zimperlich, peinlich genau‘ insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<ref>Etymologisches Wörterbuch nach Pfeifer ([http://www.dwds.de/?qu=Pein online] im [[DWDS]], abgerufen am 17. November 2013).</ref>


Die Mikrohistoriker verbreiteten ihre Texte mithilfe ihrer Fachzeitschrift ''[[Quaderni Storici]]'' und einer eigenen auflagenstarken Buchreihe ''Microstoria'', welche beim Verlag [[Einaudi]] in Turin erschien. In der mikrohistorischen Historiographie kam es nie zu einer Schulbildung, stattdessen formierte sich die Teildisziplin um einige zentrale Personen und insbesondere um diese beiden Medienkanäle ''Quaderni Storici'' und ''Microstoria''. Die Buchreihe ''Microstoria'' war nicht nur auf ein Fach- sondern auch auf ein Laienpublikum ausgerichtet. Die internationale Vernetzung wurde durch die frühen Übersetzungen der Werke ermöglicht, welche eine schnelle Verbreitung in den USA und Westeuropa in Gang brachten. Besonders in der nordamerikanischen Historiographie wurde die Mikrohistorie rasch rezipiert und geschätzt. Von der schnellen Verbreitung und der Anpassung an die jeweilig vorherrschenden historiographischen Traditionen angetrieben, differenzierte sich die Mikrogeschichte in viele verschiedene Richtungen aus.<ref>Thomas Kroll: ''Die Anfänge der microstoria.'' In: Jeanette Granda, Jürgen Schreiber (Hrsg.): ''Perspektiven durch Retrospektiven: Wirtschaftsgeschichtliche Beiträge. Festschrift für Rolf Walter zum 60. Geburtstag.'' Böhlau Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-412-21086-1, S. 284–287.</ref> Schlussendlich haben die Vielfalt und die differenzierten konzeptionellen Rahmenbedingungen wesentlich zur Entwicklung der Mikrogeschichte beigetragen, wie sie heute in den Geistes- und Sozialwissenschaften bekannt ist.<ref>[http://www.akademia.is/sigm/research.htm ''Dr. Sigurður Gylfi Magnússon: Biography and projects''] In: ''Akademia.'' 2006.</ref>
=== Lexikalische Definitionen ===
[[Johann Christoph Adelung]] nannte ''Pein'' in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch 1798 als „1) Mühe, Arbeit; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche noch im Nieders. angetroffen wird, und worin es mit dem Franz. ''Peine'', dem Griech. ''πονος'', und dem [[Albanische Sprache|Alban.]] ''Puna'' überein kommt. 2) Der höchste Grad der Unlust, es sey nun körperlicher Schmerzen oder auch der Unlust des Gemüthes; wie Marter und Qual. Pein empfinden, leiden. Jemandes Pein lindern. Jemanden allerley Pein anthun.<ref>Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 681 ([https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/gehezuseite/bsb00009133?page=681 online] auf digitale-sammlungen.de, abgerufen am 21. Juli 2021).</ref> Als ''Peinlichkeit'' bezeichnete er: „welches in allen Bedeutungen des vorigen Beywortes von dem Zustande einer Person oder Sache, da sie peinlich ist, gebraucht werden könnte. Ehedem bedeutete es auch die [[peinliche Gerichtsbarkeit]], das Halsgericht; in welchem Verstande es doch wenig mehr gebraucht wird.“<ref>Adelung[[Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 683 ([https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/gehezuseite/bsb00009133?page=683 online] auf digitale-sammlungen.de, abgerufen am 21. Juli 2021).</ref> Das [[Deutsches Wörterbuch|Deutsche Wörterbuch]] von [[Jacob und Wilhelm Grimm]] nannte unter dem Stichwort ''Peinlichkeit:''
{{Zitat|mhd. und md. pînlîcheit, leibliche oder innerliche pein, qual, leiden; auch peinliches gerichtsverfahren, tortur (Lexer 2, 273), und so noch im 16. und 17. jahrh.: dasz der gefangne mit der peinligkeit billich angegriffen werde. Dief.-Wülcker 795 (vom j. 1591); was jeder grad der peinligkeit oder tortur in sich habe. Adrian mittheilungen 299 (17. jahrh.); jetzt bedeutet das den älteren nhd. wörterbüchern fehlende wort einen peinlichen zustand (Adelung), besonders die peinliche, [[Pedanterie|pedantische]], übertriebene sorgfalt und genauigkeit: die grüblerische peinlichkeit (des pedanten). Kant 1, 372; pünktlichkeit in der übereinkunft mit regeln, aber ohne peinlichkeit. 7, 167. 10, 359; aus der gewissenhaften peinlichkeit, die sowohl seine (A. Dürers) gemählde als holzschnitte beschränkt, trat er heraus. Göthe 32, 50; der herzog ist pünktlich bis zur peinlichkeit. C. F. Meyer Jürg Jenatsch 140.|Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. 13, Sp. 1529 bis 1531|ref=<ref>Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971 ([http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=peinlichkeit online] im Wörterbuchnetz.de).</ref>}}


=== Methode ===
[[Pierer’s Universal-Lexikon]] definierte ''Pein'' und die dazu abgeleiteten Begriffe 1861 wie folgt:
Methodisch werden in mikrohistorischen Studien unterschiedliche Wege beschritten, die als gemeinsamen Nenner nur die detaillierte Betrachtung eines überschaubaren Untersuchungsobjekts haben. Aufgrund der vielfach praktizierten Konzentration von mikroanalytischen Untersuchungen auf [[Individuum|Individuen]] („Akteure“) und kleinere soziale Netzwerke und des weitgehenden Aussparens historischer Strukturen ([[Strukturfunktionalismus]]) bestehen große Überschneidungen mit der [[Alltagsgeschichte]] und der [[Historische Anthropologie|historischen Anthropologie]].<ref>Martin Scheutz, Harald Tersch: [https://homepage.univie.ac.at/martin.scheutz/website/wp-content/uploads/2014/10/16_Scheutz_Tersch_Selbstzeugnisse.pdf ''Individualisierungsprozesse in der Frühen Neuzeit? Anmerkungen zu einem Konzept.''] [[Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit]] 2001, S. 38–59</ref>
{{Zitat|Pein, heftiger Schmerz, welcher das Gemüth in Beklemmung u. Bedrängniß versetzt. Daher Peinigen, Einem [[Schmerz]] verursachen, auch als [[Strafe]] für eine wirkliche od. beigemessene Schuld; daher Peinigung, sonst so v.w. Folter, u. Peiniger, der Henkersknecht als Vollzieher der Folter. [[Peinliche Befragung]], 1) im ältern [[Inquisitionsverfahren|Inquisitionsprocesse]] der Theil der Verhörer des Angeschuldigten, welcher die eigentliche Inquisition desselben über die Verübung des ihm schuldgegebenen Verbrechens enthält; 2) beim hochnothpeinlichen [[Halsgericht]] […] die zum letzten Mal wiederholte Frage an den Verbrecher, ob er sein Verbrechen u. alles darüber bereits Eingestandene nochmals zugestehe, nach deren Bejahung dann der Stab gebrochen u. der Missethäter dem Nachrichter zur Vollziehung des Todesurtheils übergeben wurde; 3) so v.w. [[Tortur]]. Peinliche Halsgerichtsordnung, Name einer Anzahl von Landes- u. Reichsgesetzen, welche im Anfang des 16. Jahrh. erschienen u. die Ordnung des Criminalrechts u. Criminalprocesses zum Gegenstand hatten, insbesondere der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] (Carolina), der [[Bambergensis]] u.a., s.u. Halsgerichtsordnung. Peinliche Strafen, nach älterem deutschen Recht die Strafen, welche an Hals u. Hand gingen, zu denen außer den Todes- u. verstümmelnden Strafen auch die lebenslänglichen Freiheitsstrafen, Ehrlosigkeit, Landesverweisung u. völlige Vermögensconfiscation gerechnet wurden; Peinliche Sachen, solche Verbrechensfälle, welche mit peinlichen Strafen bedroht sind; Peinliches Recht, so v.w. Criminalrecht.|Pierer’s Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 782.<ref>Pierer’s Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 782 ([http://www.zeno.org/nid/2001060457X online] auf Zeno.org, abgerufen am 17. November 2013).</ref>}}
 
Die Mikrogeschichte ist bekannt für einen oft narrativen Erzählstil. Beispiele dafür sind der frühe Klassiker ''[[Der Käse und die Würmer]]'' (1976) von Carlo Ginzburg, in welchem Ginzburg die Leser eintauchen lässt in die Spurensicherung, die er selber in der Aufarbeitung der Quellen erlebt hat, oder Werke von [[Natalie Zemon Davis]]' und andere Arbeiten aus der angelsächsischen Mikrogeschichte. Besonders in der italienischen ''Microstoria'' waren nebst dem Erzählstil immer auch Reflexionen über methodologische und theoretische Fragen wichtig. Es ging darum, große Narrative durch die mikroanalytische Betrachtung zu testen und umgekehrt, in Grendis Worten, durch „the exceptional normal“ („eccezionalmente ‘normale'“, das „aussergewöhnliche Normale“) Schlüsse auf größere Entwicklungen, Strukturen und Zusammenhänge zu ziehen. Die nordamerikanische Mikrogeschichte dagegen profilierte sich dadurch, dass sie Menschen an der Peripherie ins Zentrum rückte.<ref>{{Literatur |Autor=Francesca Trivellato |Titel=Is There a Future for Italian Microhistory in the Age of Global History? |Sammelwerk=California Italian Studies |Band=2 |Nummer=1 |Datum=2011 |Online=https://escholarship.org/uc/item/0z94n9hq |Abruf=2019-09-01}}</ref>
 
Ein in den letzten Jahren verstärkt aufkommender Teilbereich ist die sogenannte ''Global Microhistory'', eine Kombination von Mikrogeschichte und [[Globalgeschichte]]. Geprägt wurde dieser Begriff von [[Tonio Andrade]] (2010).<ref>{{Literatur |Autor=Tonio Andrade |Titel=A Chinese Farmer, Two African Boys, and a Warlord: Toward a Global Microhistory |Sammelwerk=Journal of World History |Band=21 |Nummer=4 |Verlag= |Ort= |Datum=2010 |ISSN=1045-6007 |Seiten=573–591 |JSTOR=41060851}}</ref> Schon früher wurden Werke publiziert, die nun im Zusammenhang mit Diskussionen über ''Global Microhistory'' immer wieder erwähnt werden, wie beispielsweise Arbeiten [[Jonathan Spence]]s, unter anderem ''The Question of Hu'' (1988, deutsch: ''[[Der kleine Herr Hu. Ein Chinese in Paris]]'').<ref>{{Literatur |Autor=Hans Medick |Titel=Turning Global? Microhistory in Extension |Sammelwerk=Historische Anthropologie |Band=24 |Nummer=2 |Datum=2016 |ISSN=0942-8704 |DOI=10.7788/ha-2016-0206 |Seiten=241–252 |Online=https://www.degruyter.com/view/j/ha.2016.24.issue-2/ha-2016-0206/ha-2016-0206.xml |Abruf=2019-09-01}}</ref> Obwohl die Teildisziplin ''Global Microhistory'' sich in den letzten Jahren weitgehend etabliert hat, sind nach wie vor viele Fragen offen, wie beispielsweise was unter „micro“ und was unter „global“ zu verstehen sei oder welche Themen und Methoden Bestandteil der ''Global Microhistory'' seien.<ref>{{Internetquelle |autor=Lucas Haasis |url=http://www.hsozkult.de/event/id/termine-38863 |titel=Global Microhistory: Great Expectations? |werk=HSozKult |hrsg= |datum=27.11.2018 |abruf=2019-09-01 |sprache=de}}</ref>
 
=== Mikrogeschichte und Makrogeschichte ===
Die Mikrogeschichte ist keine Alternative zur [[Makrogeschichte]]. Dieser teilweise zu einem forschungsstrategischen Gegensatz zugespitzte Unterschied der Forschungsperspektive ist weitgehend konstruiert, da sich erstere ja gerade darin von der Lokalgeschichte unterscheidet, dass ihr Blick nicht auf die kleine Untersuchungseinheit begrenzt bleibt, sondern immer wieder auf allgemeinere [[Forschungsfrage]]n bzw. auf größere Forschungseinheiten Bezug nimmt. In der Folge bedeutet das, dass Mikro- und Makrogeschichte nicht komplementäre Teile einer „Gesamtgeschichte“ sind, sondern Forschungsansätze, die sich in Teilen durchaus auch überschneiden können und auch sollen.
 
== Klassische mikrohistorische Studien ==
* Carlo Ginzburg: ''[[w:Der Käse und die Würmer|Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600]].'' Syndikat, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-8108-0118-6.
* Emmanuel Le Roy Ladurie: ''[[w:Montaillou (Buch)|Montaillou. Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 bis 1324]].'' Propyläen-Verlag, Frankfurt am Main u.&nbsp;a. 1980, ISBN 3-549-07390-9.
* Natalie Zemon Davis: ''[[w:The Return of Martin Guerre|Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre]].'' Piper, München u.&nbsp;a. 1989, ISBN 3-492-02858-6.
* Wolfgang Behringer: ''[[w:Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar. Eine Geschichte aus der frühen Neuzeit|Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar. Eine Geschichte aus der frühen Neuzeit]].'' Piper, München 1994, ISBN 3492120954.
* Giovanni Levi: ''[[w:Das immaterielle Erbe|Das immaterielle Erbe. Eine bäuerliche Welt an der Schwelle zur Moderne]].'' Wagenbach, Berlin 1986, ISBN 3-8031-3527-3.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kategorie:Mikrogeschichte}}
* {{WikipediaDE|Pein}}
* {{WikipediaDE|Mikrogeschichte}}
 
== Literatur ==
* Peter Fassl, Wilhelm Liebhart, Wolfgang Wüst (Hrsg.): ''Groß im Kleinen – Klein im Großen. Beiträge zur Mikro- und Landesgeschichte. Gedenkschrift für Pankraz Fried.''UVK Verlagsgesellschaft Konstanz, Konstanz 2013, ISBN 978-3-86764-365-8.
* Carlo Ginzburg: ''Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß.'' In: ''Historische Anthropologie.'' Band 1, 1993, {{ISSN|0942-8704}}, S. 169–192.
* Ewald Hiebl, Ernst Langthaler (Hrsg.): ''Im Kleinen das Große suchen: Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Hans Haas zum 70. Geburtstag'' (= ''Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes''). Studienverlag, Innsbruck / Wien / Bozen 2012, ISBN 3-7065-5216-7.
* Frank Konersmann, Joachim P. Heinz: ''Landes-, Regional- und Mikrogeschichte: Perspektive für die Pfalz und ihre Nachbargebiete'' (= ''Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer''; Band 112), Verlag der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissens in Speyer 2014, ISBN 978-3-932155-37-6 (Verlag der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissens in Speyer) / ISBN 978-3-89735-086-1(Verlag Regionalkultur ab 12/2014).
* Thomas Kroll: ''Die Anfänge der microstoria. Methodenwechsel, Erfahrungswandel und transnationale Rezeption in der europäischen Historiographie der 1970er und 1980er Jahre.'' In: ''Perspektiven durch Retrospektiven''. Böhlau, Wien 2013, ISBN 978-3-412-21086-1.
* Giovanni Levi: ''On Microhistory.'' In: Peter Burke (Hrsg.): ''New Perspectives on Historical Writing.'' Polity, Oxford 1991, ISBN 0-7456-0501-X, S. 93–113.
* Alf Lüdtke: ''Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie.''  In: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): ''Geschichte. Ein Grundkurs'' (= ''Rororo. Rowohlts Enzyklopädie'' 55576). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1998, ISBN 3-499-55576-X, S. 565–567.
* Hans Medick: ''Mikro-Historie.'' In: Winfried Schulze (Hrsg.): ''Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion'' (= ''Kleine Vandenhoeck-Reihe'' 1569). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1994, ISBN 3-525-33593-8, S. 40–53.
* Jürgen Schlumbohm (Hrsg.): ''Mikrogeschichte – Makrogeschichte. Komplementär oder inkommensurabel?'' (= ''Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft.'' Band 7). 2. Auflage. Wallstein-Verlag, Göttingen 2000 (Erstausgabe 1998), ISBN 3-89244-321-1.
* Jakob Tanner: ''Historische Anthropologie zur Einführung.'' Junius, Hamburg 2004, ISBN 3-88506-601-7.
* Otto Ulbricht: ''Mikrogeschichte: Menschen und Konflikte in der Frühen Neuzeit.'' Campus, Frankfurt am Main u.&nbsp;a. 2009, ISBN 978-3-593-38909-7.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.microhistory.eu/ Website des Microhistory Network]
{{wiktionary}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
{{Normdaten|TYP=s|GND=4517986-4}}


[[Kategorie:Geschichtswissenschaft]]
==Einzelnachweise==
<references/>


[[Kategorie:Fühlen]]
[[Kategorie:Folter]]
{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 23. Januar 2022, 09:38 Uhr

Pein (ahd. pīna, mtl. pena, lat. ‚poena‘ = Sühne, Buße, Strafe, Qual) bezeichnet in der heutigen Sprache gehoben „heftiges körperliches, seelisches Unbehagen; etwas, was jemanden quält“.[1] Ableitungen davon sind Peinigung, peinigen, peinlich und Peinlichkeit, aber auch bildungssprachlich penibel[2] und umgangssprachlich pingelig.[3]

Wortgeschichte

Etymologie

Pein für ‚Strafe, Qual, Schmerz‘ wurde im 8. Jahrhundert mit dem Christentum in das Germanische in Form des Althochdeutschen pīna, mhd. und mnd. pīne, pīn ‚Mühseligkeit‘ entlehnt (ursprünglich lat. poena, griech. poinḗ (ποινή) ‚Sühne, Strafe, Rache‘, lat. auch ‚Qual‘). Das Verb peinigen für ‚Schmerzen zufügen, quälen‘, mhd. pīnegen, pīnigen, pīngen, älter auch peinen, davon abgeleitet auch Peinigung entstanden ebenso um 800. Das Adjektiv peinlich für ‚qualvoll, schmerzlich, unangenehm, beschämend‘, wurde zunächst in der Gerichtssprache verwendet und bedeutete ‚mit Folterschmerzen verbunden‘. Im 16. Jahrhundert bezeichnete man etwa mit peinliche Frage eine ‚Befragung unter Anwendung bzw. Androhung der Folter‘. Zugleich wurde peinlich auch mit ‚innerliche Unruhe, Verlegenheit bereitend, innerlich quälend, voller Eifer‘ verwendet, Mitte des 18. Jahrhunderts auch als ‚gewissenhaft, übertrieben sorgfältig‘. Von Köln aus verbreitete sich seit dem 19. Jahrhundert die westdeutsche Form pingelig ‚übertrieben gewissenhaft, übergenau, kleinlich, heikel‘, aus dem Rheinischen pingelich, pingelije für ‚sehr empfindlich, zimperlich, peinlich genau‘ insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.[4]

Lexikalische Definitionen

Johann Christoph Adelung nannte Pein in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch 1798 als „1) Mühe, Arbeit; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche noch im Nieders. angetroffen wird, und worin es mit dem Franz. Peine, dem Griech. πονος, und dem Alban. Puna überein kommt. 2) Der höchste Grad der Unlust, es sey nun körperlicher Schmerzen oder auch der Unlust des Gemüthes; wie Marter und Qual. Pein empfinden, leiden. Jemandes Pein lindern. Jemanden allerley Pein anthun.“[5] Als Peinlichkeit bezeichnete er: „welches in allen Bedeutungen des vorigen Beywortes von dem Zustande einer Person oder Sache, da sie peinlich ist, gebraucht werden könnte. Ehedem bedeutete es auch die peinliche Gerichtsbarkeit, das Halsgericht; in welchem Verstande es doch wenig mehr gebraucht wird.“[6] Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm nannte unter dem Stichwort Peinlichkeit:

„mhd. und md. pînlîcheit, leibliche oder innerliche pein, qual, leiden; auch peinliches gerichtsverfahren, tortur (Lexer 2, 273), und so noch im 16. und 17. jahrh.: dasz der gefangne mit der peinligkeit billich angegriffen werde. Dief.-Wülcker 795 (vom j. 1591); was jeder grad der peinligkeit oder tortur in sich habe. Adrian mittheilungen 299 (17. jahrh.); jetzt bedeutet das den älteren nhd. wörterbüchern fehlende wort einen peinlichen zustand (Adelung), besonders die peinliche, pedantische, übertriebene sorgfalt und genauigkeit: die grüblerische peinlichkeit (des pedanten). Kant 1, 372; pünktlichkeit in der übereinkunft mit regeln, aber ohne peinlichkeit. 7, 167. 10, 359; aus der gewissenhaften peinlichkeit, die sowohl seine (A. Dürers) gemählde als holzschnitte beschränkt, trat er heraus. Göthe 32, 50; der herzog ist pünktlich bis zur peinlichkeit. C. F. Meyer Jürg Jenatsch 140.“

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. 13, Sp. 1529 bis 1531[7]

Pierer’s Universal-Lexikon definierte Pein und die dazu abgeleiteten Begriffe 1861 wie folgt:

„Pein, heftiger Schmerz, welcher das Gemüth in Beklemmung u. Bedrängniß versetzt. Daher Peinigen, Einem Schmerz verursachen, auch als Strafe für eine wirkliche od. beigemessene Schuld; daher Peinigung, sonst so v.w. Folter, u. Peiniger, der Henkersknecht als Vollzieher der Folter. Peinliche Befragung, 1) im ältern Inquisitionsprocesse der Theil der Verhörer des Angeschuldigten, welcher die eigentliche Inquisition desselben über die Verübung des ihm schuldgegebenen Verbrechens enthält; 2) beim hochnothpeinlichen Halsgericht […] die zum letzten Mal wiederholte Frage an den Verbrecher, ob er sein Verbrechen u. alles darüber bereits Eingestandene nochmals zugestehe, nach deren Bejahung dann der Stab gebrochen u. der Missethäter dem Nachrichter zur Vollziehung des Todesurtheils übergeben wurde; 3) so v.w. Tortur. Peinliche Halsgerichtsordnung, Name einer Anzahl von Landes- u. Reichsgesetzen, welche im Anfang des 16. Jahrh. erschienen u. die Ordnung des Criminalrechts u. Criminalprocesses zum Gegenstand hatten, insbesondere der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karl V. (Carolina), der Bambergensis u.a., s.u. Halsgerichtsordnung. Peinliche Strafen, nach älterem deutschen Recht die Strafen, welche an Hals u. Hand gingen, zu denen außer den Todes- u. verstümmelnden Strafen auch die lebenslänglichen Freiheitsstrafen, Ehrlosigkeit, Landesverweisung u. völlige Vermögensconfiscation gerechnet wurden; Peinliche Sachen, solche Verbrechensfälle, welche mit peinlichen Strafen bedroht sind; Peinliches Recht, so v.w. Criminalrecht.“

Pierer’s Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 782.[8]

Siehe auch

Weblinks

 Wiktionary: Pein – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Pein in duden.de, abgerufen am 17. November 2013.
  2. penibel in duden.de, abgerufen am 17. November 2013.
  3. pingelig, duden.de, abgerufen am 17. November 2013.
  4. Etymologisches Wörterbuch nach Pfeifer (online im DWDS, abgerufen am 17. November 2013).
  5. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 681 (online auf digitale-sammlungen.de, abgerufen am 21. Juli 2021).
  6. Adelung[[Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 683 (online auf digitale-sammlungen.de, abgerufen am 21. Juli 2021).
  7. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971 (online im Wörterbuchnetz.de).
  8. Pierer’s Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 782 (online auf Zeno.org, abgerufen am 17. November 2013).
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