Urpflanze und Kategorie:Geschichtswissenschaften: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:Urpflanze.jpg|thumb|220px|[[Rudolf Steiner]], [[Urpflanze]], Aquarell 1924]]
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Die '''Urpflanze''' ist ein Begriff aus [[Goethe]]s [[Metamorphosenlehre]] für das Urbild (Idee, begriffliche Urgestalt), nach dem alle anderen Pflanzenarten durch Abwandlung entstanden sein sollen. Wesentliche Anregungen für seine Pflanzenstudien empfing Goethe auf seiner ''Italienreise'', die er 1786 antrat. Schon auf dem Weg über den Brenner konnte er wichtige Erkenntnisse darüber gewinnen, wie das Klima die Wuchsformen modifiziert:
[[Kategorie:Wissenschaft]]
 
[[Kategorie:Wissenschaft nach Fachgebiet]]
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[[Kategorie:Wissenschaftliches Fachgebiet]]
"Die Pflanzen betreffend, fühl' ich noch sehr meine Schülerschaft. Bis München glaubt' ich wirklich nur die gewöhnlichen zu sehen. Freilich war meine eilige Tag- und Nachtfahrt solchen feinern Beobachtungen nicht günstig. Nun habe ich zwar meinen Linné bei mir und seine Terminologie wohl eingeprägt, wo soll aber Zeit und Ruhe zum Analysieren herkommen, das ohnehin, wenn ich mich recht kenne, meine Stärke niemals werden kann? Daher schärf' ich mein Auge aufs Allgemeine, und als ich am Walchensee die erste Gentiana sah, fiel mir auf, daß ich auch bisher zuerst am Wasser die neuen Pflanzen fand.
[[Kategorie:Geisteswissenschaften]]
 
[[Kategorie:Geschichtswissenschaften|!]]
Was mich noch aufmerksamer machte, war der Einfluß, den die Gebirgshöhe auf die Pflanzen zu haben schien. Nicht nur neue Pflanzen fand ich da, sondern Wachstum der alten verändert; wenn in der tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und mastiger waren, die Augen näher aneinander standen und die Blätter breit waren, so wurden höher ins Gebirg hinauf Zweige und Stengel zarter, die Augen rückten auseinander, so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum stattfand und die Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ich bemerkte dies bei einer Weide und einer Gentiana und überzeugte mich, daß es nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walchensee bemerkte ich längere und schlankere Binsen als im Unterlande." ''(Goethe, Italienische Reise, 8. September, abends)''
[[Kategorie:Realwissenschaften]]
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Goethe suchte die Urpflanze zunächst in der Natur als eine noch unbekannte [[Wikipedia:Art|Art]], oder auch in der Grundgestalt eines Blattes oder eines Stammes zu finden. Einmal glaubte er, sie im botanischen Garten von [[Wikipedia:Palermo|Palermo]] gefunden zu haben:
 
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"Palermo, Dienstag, den 17. April 1787. Es ist ein wahres Unglück, wenn man von vielerlei Geistern verfolgt und versucht wird! Heute früh ging ich mit dem festen, ruhigen Vorsatz, meine dichterischen Träume fortzusetzen, nach dem öffentlichen Garten, allein eh' ich mich's versah, erhaschte mich ein anderes Gespenst, das mir schon diese Tage nachgeschlichen. Die vielen Pflanzen, die ich sonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte Zeit des Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher. Im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes fiel mir die alte Grille wieder ein, ob ich nicht unter dieser Schar die Urpflanze entdecken könnte. Eine solche muß es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären?" ''(Goethe, Italienische Reise, 17. April 1787)''
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Und schon am 17. Mai schrieb er an [[Theaterwiki:Herder|Herder]]:
 
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"Ferner muß ich Dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin und daß es das einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel kann man die schönsten Beobachtungen machen. Den Hauptpunkt, wo der Keim steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden; alles übrige seh' ich auch schon im ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt, die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen." ''(Goethe, Italienische Reise, 17. Mai 1787)''
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[[Theaterwiki:Schiller|Schiller]] wies in einem Gespräch mit Goethe am 20. Juli 1794 darüber hinaus auf den platonischen Ideencharakter der Urpflanze hin.  Sie hatten gerade eine Sitzung der von ''Batsch'' begründeten Naturforschenden Gesellschaft in Jena verlassen und waren ins Gespräch gekommen. Schiller war wenig befriedigt von der dort gepflegten abstrakten Naturanschauung. Da entwickelte ihm Goethe die Vorstellung einer plastisch-ideellen Form, die sich dem Geiste offenbart, wenn er die Mannigfaltigkeit der Pflanzengestalten überschaut und das Gemeinsame der sich ständig metamorphosierenden Formen erlebend verstehen lernt. Nicht willkürlicher Spekulation, sonder unbefangener Beobachtung glaubte er diese "Urpflanze" zu verdanken:
 
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"Wir gelangten zu seinem Hause, das Gespräch lockte mich hinein; da trug ich die Metamorphose der Pflanzen lebhaft vor und ließ, mit manchen charakteristischen Federstrichen, eine symbolische Pflanze vor seinen Augen entstehen. Er vernahm und schaute das alles mit großer Teilnahme, mit entschiedener Fassungskraft; als ich aber geendet, schüttelte er den Kopf und sagte: «Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee". Ich stutzte, verdrießlich einigermaßen; denn der Punkt, der uns trennte, war dadurch aufs strengste bezeichnet. Die Behauptung aus Anmut und Würde fiel mir wieder ein, der alte Groll wollte sich regen; ich nahm mich aber zusammen und versetzte: «Das kann mir sehr lieb sein, daß ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe»." ''(Goethe, Glückliches Ereignis)''
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Goethe anerkannte nur eine Quelle der Erkenntnis, die Erfahrungswelt, in der die objektive Ideenwelt mit eingeschlossen ist. Anders dachte Schiller. Ideenwelt und Erfahrungswelt empfand er als zwei getrennte Reiche.
 
In Goethes botanischem Hauptwerk „Die Metamorphose der Pflanzen“ (1790) taucht das Wort „Urpflanze“ nicht auf. Das gab Raum für allerlei Spekulationen, was genau Goethe unter der Urpflanze verstanden haben könnte. In einer späteren Ausgabe seiner [[Wikipedia:Morphologie (Biologie)|morphologischen]] Arbeiten („Zur Morphologie“, 1817) griff er das Wort recht versteckt im Vorwort wieder auf: „wie ich früher die Urpflanze aufgesucht, so trachtete ich nunmehr, das Urtier zu finden, das heisst denn doch zuletzt, den Begriff, die Idee des Tiers.“ Wenige Wochen vor seinem Tod schrieb er an den Chemiker [[Wikipedia:Heinrich Wilhelm Ferdinand Wackenroder|Heinrich Wilhelm Ferdinand Wackenroder]]: „Es interessiert mich höchlich, inwiefern es möglich sei, der organisch-chemischen Operation des Lebens beizukommen, durch welche die Metamorphose der Pflanzen nach einem und demselben Gesetz auf die mannigfaltigste Weise bewirkt wird.“<ref>Zitiert nach Dorothea Kuhn: Goethe und die Chemie. In: Typus und Metamorphose. Goethe-Studien. Marbach 1988.</ref> Dieses wenig bekannte Zitat umschreibt nicht nur die Urpflanze als das allgemeine „Gesetz“ der Metamorphose. Es zeigt zugleich, dass Goethe (im hohen Alter jedenfalls) nicht der einseitige [[Wikipedia:Idealismus|Idealist]] war, zu dem er oft stilisiert wird. Er war davon überzeugt, dass die von ihm beschriebene Metamorphose organisch-chemisch ''bewirkt'' wird. Die ''Idee'' der Urpflanze ''wirkt'' demnach ''im'' Stofflichen.
 
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"Goethe sieht in der Idee eines Dinges ein Element, das in demselben unmittelbar gegenwärtig ist, in ihm wirkt und schafft. Ein einzelnes Ding nimmt, nach seiner Ansicht, bestimmte Formen aus dem Grunde an, weil die Idee sich in dem gegebenen Falle in einer besonderen Weise ausleben muß. Es hat für Goethe keinen Sinn zu sagen, ein Ding entspreche der Idee nicht. Denn das Ding kann nichts anderes sein, als das, wozu es die Idee gemacht hat. Anders denkt Schiller. Ihm sind Ideenwelt und Erfahrungswelt zwei getrennte Reiche. Der Erfahrung gehören die mannigfaltigen Dinge und Ereignisse an, die den Raum und die Zeit erfüllen. Ihr steht das Reich der Ideen gegenüber, als eine anders geartete Wirklichkeit, dessen sich die Vernunft bemächtigt. Weil von zwei Seiten dem Menschen seine Erkenntnisse zufließen, von außen durch Beobachtung und von innen durch das Denken, unterscheidet Schiller zwei Quellen der Erkenntnis. Für Goethe gibt es nur eine Quelle der Erkenntnis, die Erfahrungswelt, in welcher die Ideenwelt eingeschossen ist. Für ihn ist es unmöglich, zu sagen: Erfahrung ''und'' Idee, weil ihm die Idee durch die geistige Erfahrung so vor dem geistigen Auge liegt, wie die sinnliche Welt vor dem physischen." {{Lit|GA 6, S 22f}}
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Ausgehend von der Urpflanze beschrieb Goethe die Umwandlung der drei Grundorgane [[Wurzel]], [[Sprossachse]] und [[Blatt]] zur Anpassung an besondere Lebens- und Umweltbedingungen als [[Metamorphose]]. Auch heute noch wird in der Botanik zwischen Wurzel-, Blatt- und Sprossmetamorphosen unterschieden. So sind etwa viele [[Ranke]]n und [[Dorn (Botanik)|Dorn]]bildungen Blattmetamorphosen.
 
== Anmerkungen ==
 
<references/>
 
== Literatur ==
# Rudolf Steiner: ''Goethes Weltanschauung'', [[GA 6]] (1990)
 
[[Kategorie:Botanik]] [[Kategorie:Goethe]] [[Kategorie:Goetheanismus]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 23. Februar 2018, 05:06 Uhr