Tetraktys und Hellenismus: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Tetraktys''' ([[Wikipedia:Altgriechische Sprache|griechisch]] τετρακτύς ''tetraktýs'' „Vierheit“ oder „Vierergruppe“) ist ein Begriff aus der Zahlenlehre der antiken [[Pythagoreer]]. Die Tetraktys spielte in der pythagoreischen [[Kosmologie]] und Musiktheorie eine zentrale Rolle, da man in der Tetraktys den Schlüssel zum Verständnis der [[Weltharmonie]] sah. Die [[Pythagoreer]] schworen sogar auf die Tetraktys:
#WEITERLEITUNG [[Antike]]


{{Zitat|Segne uns, geheiligte Zahl, du, die du Götter und Menschen erschaffen hast! Oh heilige, heilige Tetraktys, du umfasst die Wurzel und den Ursprung der ewig fließenden Schöpfung!}}
[[Kategorie:Hellenismus|!]]
 
[[Kategorie:Antike]]
Die pythagoräische [[Vierheit]] hängt laut [[Rudolf Steiner]] mit den vier grundlegenden [[Wesensglieder]]n des [[Mensch]]en zusammen ([[#Die Tetraktys und die vier Wesensglieder|siehe unten]]):
 
{{GZ|Die pythagoräische Vierheit ist nichts anderes als diese Vierheit: [[physischer Leib]], [[Ätherleib]], [[Astralleib]] und [[Ich]].|55|73}}
 
== Geschichte ==
=== Antike ===
 
Als Tetraktys bezeichneten die Pythagoreer die Gesamtheit der Zahlen 1, 2, 3 und 4, deren Summe 10 ergibt. Da die [[Zehn]] ([[Wikipedia:Altgriechische Sprache|griechisch]] δεκάς ''dekás'' "Zehnzahl", "Zehnergruppe") die Summe der ersten vier Zahlen ist, nahm man an, dass die Vierheit die Zehn „erzeugt“. Der Zehn kam schon durch den Umstand, dass sie bei Griechen und „Barbaren“ (Nichtgriechen) gleichermaßen als Grundzahl des [[Wikipedia:Dezimalsystem|Dezimalsystem]]s diente, eine herausgehobene Rolle zu.<ref>Walter Burkert: ''Weisheit und Wissenschaft'', Nürnberg 1962, S. 64.</ref> Von den Pythagoreern wurde die Zehn überdies, wie [[Aristoteles]] berichtet, wegen ihres Zusammenhangs mit der Tetraktys als „etwas Vollkommenes“ betrachtet, das „das ganze Wesen der Zahlen umfasst“.<ref>Aristoteles: ''[[Wikipedia:Metaphysik (Aristoteles)|Metaphysik]]'' 986a8-10.</ref> Daher wurde die Zehn auch „heilige Zahl“ genannt.<ref>Van der Waerden (1979) S. 457f.</ref> 
 
[[Vier]] ist die [[Zahl des Kosmos]], die [[Zahl der Schöpfung]], der äußeren Erscheinungswelt überhaupt und manifestiert sich in den [[Raum|räumlichen]] und [[zeit]]lichen Gegebenheiten der [[Welt]], etwa in den vier [[Himmelsrichtungen]], den vier [[Jahreszeiten]] oder den vier [[Mond]]phasen.
 
Man kann in diesem Sinn auch von dem '''Pythagoräischen Viereck''' oder vom '''Pythagoräischen Quadrat''' sprechen, das seinerseits wieder mit dem [[Wikipedia:Kreis|Kreis]] als der vollkommensten aller [[Geometrie|geometrischen]] Figuren korrespondiert, denn das [[Wikipedia:Viereck|Viereck]] ist das einzige [[Wikipedia:Polygon|Polygon]], bei der die [[Wikipedia:Winkelsumme|Summe der Innenwinkel]] stets 360° beträgt, also einem vollen Kreisumlauf entspricht. Im Spezialfall des [[Wikipedia:Quadrat|Quadrat]]s setzt sich diese [[Wikipedia:Winkelsumme|Winkelsumme]] aus vier [[Wikipedia:Rechter Winkel|rechten Winkeln]] (90°) zusammen: 4 x 90° = 360°. Das [[Fünfeck]] hat bereits eine Winkelsumme von 3 x 180° = 540°, was 1½ Kreisumläufen entsprich, das [[Wikipedia:Sechseck|Sechseck]] 4 x 180° = 720° (2 Kreisumläufe) usw. Im allgemeinen Fall eines beliebigen n-Ecks beträgt die Winkelsumme <math> \sum {\alpha =}(n - 2) \cdot 180^\circ</math>.
 
Die pythagoreische Kosmologie ging von der Annahme aus, dass der Kosmos nach mathematischen Regeln harmonisch geordnet ist. In dieser Weltdeutung war die Tetraktys ein Schlüsselbegriff, da sie die universelle Harmonie ausdrückte. Daher nahmen manche Pythagoreer an, dass es zehn bewegte Himmelskörper geben müsse, obwohl nur neun sichtbar waren – eine Spekulation, die ihnen Aristoteles verübelte.
 
{{Zitat|Da sie die Zehn für die vollkommene Zahl halten und der Meinung sind, sie befasse die gesamte Natur der Zahlen in sich, so stellen sie die Behauptung auf, auch die Körper, die sich am Himmel umdrehen, seien zehn an der Zahl, und da uns nur neun in wirklicher Erfahrung bekannt sind, so erfinden sie sich einen zehnten in Gestalt der Gegenerde.|Aristoteles|''Metaphysik'' 986a10-15}}
 
Die Entdeckung der Weltharmonie wurde [[Pythagoras von Samos]], dem Begründer der pythagoreischen Tradition, zugeschrieben. Daher gab es bei den Pythagoreern eine Eidesformel, die lautete:
 
{{Zitat|Nein, bei dem, der unserer Seele die Tetraktys übergeben hat, welche die Quelle und Wurzel der ewig strömenden Natur enthält.}}
 
Mit demjenigen, der die Tetraktys übergab, war Pythagoras gemeint.
 
In den „[[Goldene Verse|Goldenen Versen]]“ (''carmen aureum''), einem in der Antike und dann erneut in der Renaissance populären Gedicht, das die pythagoreischen Lehren zusammenfasste, steht eine etwas abweichende Fassung der Formel (Verse 47 und 48):
 
{{Zitat|Ja, bei dem, der unserer Seele die Tetraktys übergeben hat, Quelle der ewig strömenden Natur.}}
 
Die Tetraktys wurde mit Zählsteinen (''psēphoi'') ausgedrückt, indem die vier Zahlen in Form eines gleichseitigen [[Wikipedia:Dreieck|Dreieck]]s übereinander angeordnet wurden:
 
<center>
{|
|-----
| &nbsp;&nbsp; || &nbsp;&nbsp; || &nbsp;&nbsp;
| ° || &nbsp;&nbsp; || &nbsp;&nbsp; || &nbsp;&nbsp;
|-----
|
||  || ° ||
|| °
|
||
|-----
|
|| ° || || ° || || ° ||
|-----
| ° || || ° ||
|| °
|
|| °
|}
</center>
 
Auch hierin lag eine Symbolik, da das gleichseitige Dreieck als eine vollkommene Figur galt. Die [[Zehn]] ist die vierte [[Wikipedia:Dreieckszahl|Dreieckszahl]]<ref name=Dreieckszahl>Ganz allgemein ist die n-te [[Wikipedia:Dreieckszahl|Dreieckszahl]] die Summe der ersten n [[Wikipedia:Natürliche Zahlen|natürlichen Zahlen]]. Die [[Wikipedia:Folge (Mathematik)|Folge]] der Dreieckszahlen beginnt also: 1, 3, 6, 10, 15, 21, 28, 36, 45, 55, 66, 78, 91, 105, 120, 136, ...</ref> und beinhaltet, wie [[Wikipedia:Pythagoras von Samos|Pythagoras von Samos]] meinte, das ganze [[Wikipedia:Dezimalsystem|dezimale]] Zahlensystem. Sie galt als vollkommen und heilig.
 
In der Musik stellten die Pythagoreer fest, dass die harmonischen Grundkonsonanzen [[Quarte]], [[Quinte]] und [[Oktave]], denen die Zahlenverhältnisse 4:3 (= 8:6), 3:2 (= 9:6) und 2:1 (= 12:6) zugeordnet wurden, mit den vier Zahlen der Tetraktys ausgedrückt werden können, ebenso wie auch zwei weitere Intervalle: die aus Oktave und Quinte bestehende [[Duodezime]] (3:1) und die Doppeloktave (4:1). Nur diese fünf Intervalle wurden als symphon anerkannt.<ref>Leonid Zhmud: ''Wissenschaft, Philosophie und Religion im frühen Pythagoreismus'', Berlin 1997, S. 184f. Eine der Hauptquellen ist [[Sextus Empiricus]], ''Adversus Mathematicos'' 4, 2−9.</ref> Die Undezime (8:3), die nicht in den Rahmen der Tetraktys passt, wurde also aufgrund einer theoretischen Überlegung von den konsonanten Intervallen ausgeschlossen, obwohl sie als konsonant oder zumindest nicht als dissonant wahrgenommen wird. Die Theorie der Tetraktys hatte Vorrang gegenüber der sinnlichen Wahrnehmung. Diese Vorgehensweise wurde von dem empirisch denkenden Musiktheoretiker [[Claudius Ptolemäus|Ptolemaios]] kritisiert.
 
Neben der Gruppe der Zahlen 1–4 gab es bei den Pythagoreern noch andere bedeutsame Vierergruppen von Zahlen, die ebenfalls Tetraktys genannt wurden. In der Musiktheorie war die Gruppe 6, 8, 9, 12 besonders wichtig, da diese Zahlen den unveränderlichen Saiten der [[Wikipedia:Lyra (Zupfinstrument)|Lyra]] (Hypate, Mese, Paramese, Nete) zugeordnet waren. Der Musiktheoretiker [[Wikipedia:Nikomachos von Gerasa|Nikomachos von Gerasa]] bezeichnet diese Gruppe daher als "erste" Tetraktys, wobei "erste" rangmäßig zu verstehen ist. Er gibt an, dass die 6 dem tiefsten Ton, der Hypate, entspricht, die 12 dem höchsten, der Nete.<ref>Barbara Münxelhaus: ''Pythagoras musicus'', Bonn 1976, S. 22-24, 26-28, 41, 71, 84f., 110, 185-191.</ref>
 
Auch in der Geometrie fand sich mit den vier Elementen Punkt, Linie (Länge), Fläche (Breite) und Körperlichkeit (Tiefe) eine Vierheit, die für die Pythagoreer auf die Tetraktys deutete. Der Punkt wurde der Eins, die Länge der Zwei, die Fläche der Drei und die Körperlichkeit der Vier zugeordnet.<ref>Sextus Empiricus: ''Adversus Mathematicos'' 4,4–6.</ref>
 
Der jüdische Gelehrte [[Wikipedia:Philon von Alexandria|Philon von Alexandria]] verwendete das Tetraktys-Konzept bei der Kommentierung des Buches [[Wikipedia:1. Buch Mose|Genesis]]. Er bezog es auf die Erschaffung der Gestirne am vierten Schöpfungstag.
 
=== Mittelalter ===
 
Die auf dem Tetraktys-Konzept fußende pythagoreische Konsonanzlehre prägte die [[mittelalter|mittelalter]]liche [[Musik]]theorie weitgehend. Die abweichende Auffassung des Ptolemaios war ebenfalls bekannt, da der spätantike Gelehrte [[Wikipedia:Boëthius|Boëthius]] sie im fünften Buch seiner Schrift ''De institutione musica'' dargelegt hatte. Die Frage der Einbeziehung der Undezime in die Gruppe der Konsonanzen wurde kontrovers erörtert, wobei die pythagoreische Auffassung überwog.<ref>Münxelhaus (1976) S. 88-94.</ref>
 
=== Neuzeit ===
 
[[Nikolaus von Kues]] vertrat in seiner Schrift ''De coniecturis'' (1440) die Auffassung, dass in den Zahlen 1, 2, 3 und 4 und ihren Kombinationen alle Harmonie bestehe; er berief sich aber nicht ausdrücklich auf die pythagoreische Tradition.<ref>''De coniecturis'' II.2 (83); siehe dazu Werner Schulze: ''Harmonik und Theologie bei Nikolaus Cusanus'', Wien 1983, S. 70f.</ref> Der Humanist [[Wikipedia:Johannes Reuchlin|Johannes Reuchlin]] verglich in seinem 1494 erschienenen Werk ''De verbo mirifico'' (''Über das Wunder wirkende Wort'') das Tetragramm, das den Gottesnamen [[JHWH]] darstellt, mit der Tetraktys. [[Raffael]] gab sie auf seinem [[Wikipedia:Fresko|Fresko]] ''[[Die Schule von Athen]]'' auf einer Tafel wieder. Auch [[Johannes Kepler]] hat sich in seinem 1619 erschienenen Werk ''Harmonice mundi'' mit der Tetraktys befasst.
 
== Die Tetraktys und die vier Wesensglieder ==
 
{{GZ|Das, was wir mit
Augen sehen, mit den Sinnen äußerlich wahrnehmen können,
das, was der Materialismus als das einzige Wesen
der Natur betrachtet, ist der Geistesforschung nichts anderes
als das erste Glied der menschlichen Wesenheit: der
[[physischer Leib|physische Leib]]. Wir wissen, daß dieser in bezug auf seine
Stoffe und Gesetze dem Menschen mit der ganzen übrigen
leblosen Welt gemeinsam ist. Wir wissen aber auch, daß
dieser physische Körper aufgerufen wird zum Leben durch
das, was wir den sogenannten [[Ätherleib|Äther]]- oder [[Lebensleib]]
nennen; und wir wissen dies, weil für die geistige Forschung
dieser Lebensleib nicht eine Spekulation, sondern eine Wirklichkeit
ist, die erschaut werden kann, wenn der Mensch die
höheren Sinne, die in ihm schlummern, in sich eröffnet hat.
Wir betrachten den zweiten Teil der menschlichen Wesenheit,
den Ätherleib, als etwas, was der Mensch gemeinschaftlich
hat mit der übrigen Pflanzenwelt. Als das dritte
Glied der menschlichen Wesenheit betrachten wir den [[Astralleib]],
den Träger von Lust und Unlust, von Begierde und
Leidenschaft, den der Mensch mit der Tierheit gemeinsam
hat. Und dann sehen wir, daß des Menschen Selbstbewußtsein,
die Möglichkeit, zu sich «[[Ich]]» zu sagen, die Krone der
Menschennatur ist, die er mit keinem anderen Wesen gemeinsam
hat; daß dieses Ich als die Blüte der drei Leiber,
des physischen, Äther- und Astralleibes hervorgeht. So
sehen wir einen Zusammenhang dieser vier Glieder, auf
welchen die Geistesforschung immer hingewiesen hat. Die
pythagoräische Vierheit ist nichts anderes als diese Vierheit:
[[physischer Leib]], [[Ätherleib]], [[Astralleib]] und [[Ich]]. Diejenigen,
die sich tiefer mit Theosophie beschäftigt haben, wissen, daß
dieses Ich aus sich selber herausarbeitet, was wir das [[Geistselbst]]
oder [[Manas]], den [[Lebensgeist]] oder [[Buddhi]] und den
eigentlichen [[Geistmensch]]en oder [[Atma]] nennen.|55|73f}}
 
{{GZ|So setzt sich der vierfache Mensch zusammen. Das ist das '''Quadrat der Pythagoreer''':
 
# Das Rückenmark und das Gehirn sind das Organ des Ich.
# Das warme Blut und das Herz sind das Organ des Kama (Astralleib).
# Der Solarplexus (Sonnengeflecht) ist das Organ des Ätherkörpers.
# Der eigentliche physische Körper ist ein komplizierter physikalischer Apparat.
 
So hat man den Menschen vierfach aufgebaut.|93a|90}}
 
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Tetraktys}}
* {{Freimaurer|Tetraktys}}
 
== Literatur ==
* Charles H. Kahn: ''Pythagoras and the Pythagoreans'', Indianapolis 2001, S. 31-36, 84f. ISBN 0-87220-576-2
* [[Wikipedia:Bartel Leendert van der Waerden|Bartel Leendert van der Waerden]]: ''Die Pythagoreer'', Zürich 1979, S. 103-109 ISBN 3-7608-3650-X
* Paul Kucharski: ''Etude sur la doctrine pythagoricienne de la tétrade'', Paris 1952
* Armand Delatte: ''Etudes sur la littérature pythagoricienne'', Paris 1915 [S. 249-268: Kapitel ''La tétractys pythagoricienne'']
* Theo Reiser: ''Das Geheimnis der pythagoreischen Tetraktys'', Lambert Schneider, Heidelberg 1967
* Rudolf Steiner: ''Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit'', [[GA 55]] (1983), ISBN 3-7274-0550-3 {{Vorträge|055}}
* Rudolf Steiner: ''Grundelemente der Esoterik'', [[GA 93a]] (1987), ISBN 3-7274-0935-5 {{Vorträge|093a}}
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/zahlenmystik2a.pdf Einführung in die Zahlenmystik - Teil II] PDF
 
{{GA}}
 
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
* [http://tetraktys.de/ Tetraktys-Interpretation] von Holger Ullmann
 
== Einzelnachweise ==
<references/>
 
[[Kategorie:Symbol]] [[Kategorie:Zahlen]] [[Kategorie:Wesensglieder]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 24. Januar 2020, 21:51 Uhr

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