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| '''An sich''' ({{ELSalt|καθ` αύτὸ}}, ''kath auto''; [[lat.]] ''per se'') oder '''für sich''' ist ein in der [[Philosophie]] gebräuchlicher [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischer]] [[Begriff]], der das bezeichnet, was einem [[Sein|Seienden]] seinem [[Wesen]] gemäß aus sich selbst zukommt, unabhängig davon, ob und wie es '''für uns''', d.h. für das [[mensch]]liche [[Bewusstsein]] [[Erscheinung|erscheint]]. Nach [[Immanuel Kant]] sind die [[Ding an sich|Dinge an sich]] dem menschlichen Bewusstsein vollkommen [[transzendent]] und daher grundsätzlich unerkennbar. Dieser Auffassung hat [[Rudolf Steiner]] schon in seinen frühen erkenntnistheoretischen Schriften energisch widersprochen. Dass sich das Wesen der [[Ding]]e, ihr ''an sich'', gerade im menschlichen Bewusstsein - und ''nur'' dort - ausspricht, bildet einen Kernpunkt der [[Anthroposophie|anthroposophischen Geisteswissenschaft]].
| | Fotographie Beatrice Vohler |
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| "Bei diesem
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| Kernpunkt handelt es sich nämlich darum, daß sowohl in
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| meinem Buche «Wahrheit und Wissenschaft» wie in meinem Buche
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| «Die Philosophie der Freiheit» ein bewußt anti-kantischer Standpunkt
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| einmal klar und deutlich formuliert worden ist. Und das,
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| worauf es dabei ankommt, das ist, daß von mir gezeigt worden ist,
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| daß man überhaupt nicht sich der sinnlichen Außenwelt so gegenüberstellen
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| kann wie Kant und alle seine Nachbeter sich dieser
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| sinnlichen Außenwelt gegenübergestellt haben, so daß man sie einfach
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| hinnimmt und fragt: Kann man nun tiefer in sie hineindringen
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| oder nicht? - Dasjenige, was ich habe zeigen wollen im Beginne
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| meiner schriftstellerischen Laufbahn, das war das, daß die äußere
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| Sinneswelt, so wie sie sich uns darbietet, deshalb ein bloßer Schein
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| ist, deshalb eine halbe Wirklichkeit ist, weil wir in die Welt nicht
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| so hereingeboren werden, daß unser Verhältnis zu der Außenwelt
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| ein fertiges ist, sondern daß unser Verhältnis zur Außenwelt ein
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| solches ist, das wir selber erst fertigzustellen haben, wenn wir über
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| die Welt denken, wenn wir über die Welt dies oder jenes an Erfahrungen,
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| an Erlebnissen uns aneignen. Wenn wir also im weitesten
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| Sinne uns Wissen über die Welt erwerben, dann erst kommen wir
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| zur Wirklichkeit.
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| Das ist der Grundfehler des Philosophierens des 19. Jahrhunderts,
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| daß immer einfach die Sinneswelt als fertige genommen wird.
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| Man ist sich nicht bewußt geworden, daß zur wahren Wirklichkeit
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| der Mensch dazugehört, daß dasjenige, was im Menschen namentlich
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| an Gedanken auftritt, sich abspaltet von der Wirklichkeit,
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| indem der Mensch in die Wirklichkeit hineingeboren wird, daß die
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| Wirklichkeit zunächst verborgen ist, so daß sie uns als eine Scheinwirklichkeit
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| entgegentritt; und erst wenn wir diese Scheinwirklichkeit
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| durchdringen mit dem, was in uns aufleben kann, haben wir
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| die volle Wirklichkeit vor uns. Damit aber würde von vornherein
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| philosophisch, vom Gesichtspunkt einer gewissen Erkenntnistheorie,
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| alles dasjenige charakterisiert sein, was später wiederum meiner
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| Anthroposophie zugrundeliegt. Denn es ist vom Anfang an versucht
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| worden nachzuweisen, daß die Sinneswelt nicht eine Wirklichkeit
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| ist, sondern daß sie eine Scheinwirklichkeit ist, zu der erst
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| hinzukommen muß dasjenige, was der Mensch zu ihr hinzubringt,
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| was dem Menschen in seinem Inneren aufleuchtet und was er dann
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| erarbeitet. Die ganze kantische und nach-kantische Philosophie
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| geht im Grunde genommen davon aus, daß man eine fertige
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| Wirklichkeit vor sich habe und daß man dann die Frage aufstellen
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| könne: Ja, kann man denn diese fertige Wirklichkeit erkennen oder
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| kann man sie nicht erkennen? - Sie ist aber keine fertige Wirklichkeit,
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| sie ist nur eine halbe Wirklichkeit, und die ganze Wirklichkeit
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| entsteht erst, wenn der Mensch dazukommt und dasjenige in die
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| Wirklichkeit hineingießt, was ihm in seinem Innersten aufgeht." {{Lit|{{G|255b|40ff}}}}
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| "Was aus dem menschlichen Geiste entspringt, wenn dieser sich
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| beobachtend und denkend der Außenwelt gegenüberstellt, ist die
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| Wahrheit. Der Mensch kann keine andere Erkenntnis verlangen
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| als eine solche, die er selbst hervorbringt. Wer hinter den Dingen
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| noch etwas sucht, das deren eigentliches Wesen bedeuten soll,
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| der hat sich nicht zum Bewußtsein gebracht, daß alle Fragen
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| nach dem Wesen der Dinge nur aus einem menschlichen Bedürfnisse
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| entspringen: das, was man wahrnimmt, auch mit dem Gedanken
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| zu durchdringen. Die Dinge sprechen zu uns, und unser
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| Inneres spricht, wenn wir die Dinge beobachten. Diese zwei Sprachen
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| stammen aus demselben Urwesen, und der Mensch ist berufen,
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| deren gegenseitiges Verständnis zu bewirken. Darin besteht
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| das, was man Erkenntnis nennt. Und dies und nichts anderes
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| sucht der, der die Bedürfnisse der menschlichen Natur versteht.
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| Wer zu diesem Verständnisse nicht gelangt, dem bleiben die
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| Dinge der Außenwelt fremdartig. Er hört aus seinem Innern das
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| Wesen der Dinge nicht zu sich sprechen. Deshalb vermutet er,
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| daß dieses Wesen hinter den Dingen verborgen sei. Er glaubt an
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| eine Außenwelt noch hinter der Wahrnehmungswelt. Aber die
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| Dinge sind uns nur so lange fremd, solange wir sie bloß beobachten.
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| Für den Menschen besteht nur so lange der Gegensatz von
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| objektiver äußerer Wahrnehmung und subjektiver innerer Gedankenwelt,
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| als er die Zusammengehörigkeit dieser Welten nicht
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| erkennt. Die menschliche Innenwelt gehört als ein Glied zum
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| Weltprozeß wie jeder andere Vorgang.
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| Diese Gedanken werden nicht widerlegt durch die Tatsache,
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| daß verschiedene Menschen sich verschiedene Vorstellungen von
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| den Dingen machen. Auch nicht dadurch, daß die Organisationen
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| der Menschen verschieden sind, so daß man nicht weiß, ob eine
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| und dieselbe Farbe von verschiedenen Menschen in der ganz
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| gleichen Weise gesehen wird. Denn nicht darauf kommt es an,
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| ob sich die Menschen über eine und dieselbe Sache genau das
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| gleiche Urteil bilden, sondern darauf, ob die Sprache, die das
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| Innere des Menschen spricht, eben die Sprache ist, die das Wesen
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| der Dinge ausdrückt. Die einzelnen Urteile sind nach der Organisation
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| des Menschen und nach dem Standpunkte, von dem aus er
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| die Dinge betrachtet, verschieden; aber alle Urteile entspringen
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| dem gleichen Elemente und führen in das Wesen der Dinge." {{Lit|{{G|030|203f}}}}
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| == Literatur ==
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| #Rudolf Steiner: ''Methodische Grundlagen der Anthroposophie'', [[GA 30]] (1989), ISBN 3-7274-0300-4 {{Vorträge|030}}
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| #Rudolf Steiner: ''Die Anthroposophie und ihre Gegner 1919 – 1921'', [[GA 255b]] (2003), ISBN 3-7274-2555-5 {{Geschichte|255b}}
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| {{GA}}
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| [[Kategorie:Philosophie|Philosophie]] [[Kategorie:Erkenntnistheorie]] [[Kategorie:Anthroposophie]]
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