Kabiren

Aus AnthroWiki
Kabirenbecher

Die Kabiren (griech. Κάβειροι,die Großen, lat. Cabiri) waren nach der mythologischen Überlieferung chthonische Götter beiderlei Geschlechts aus Kleinasien und Diener der Großen Mutter, der Kabeiro, die von den Griechen mit der Göttermutter Rhea, aber auch mit Demeter, Hekate und Aphrodite indentifiziert wurde.

Mythologie

Der Name der Kabiren ist nicht griechischen Ursprungs, sondern leitet sich ab von dem Berg Kabeiros in der Landschaft Berekyntia, der der phrygischen Göttermutter gehörte. Später machten sie Samothrake zu ihrer heiligen Mysterieninsel und begründeten hier die samothrakischen Mysterien. Zu dieser Zeit sei auch Orpheus ihr Schüler gewesen. Von in Not geratenen Seeleuten wurden sie als rettende Götter angerufen.

Verglichen mit der Großen Mutter erschienen sie wie Zwerge, dennoch nannte man sie Megaloi Theoi, »Große Götter«. Von den vier überlieferten Götternamen, die aus Mysterien der Kabiren, wahrscheinlich aus Theben bekannt sind, Axieros, Axiokersos, Axiokersa und Kadmilos, wurde behauptet, sie bezeichneten Persephone, Demeter, Hades und Hermes. Die Vorsilbe axios (griech. ἄξιος), die in diesen Namen vorkommt, bedeutet würdig.

Die Kabiren von Lemnos waren Schmiede, und wurden darum Hephaistoi genannt, was sie in die Verwandtschaft zu den Telchinen rückt, jenen göttlichen Künstlern, die die ersten Götterstatuen nach menschlichem Bild aus Erz geformt haben sollen. Nur trat bei den Telchinen der unterweltliche Zug mehr hervor. Sie waren als böse Zauberer verrufen und hüteten neidisch die Geheimnisse ihrer Kunst.

Es ist auch die Geschichte von einem tragischen Brudermord unter den Kabiren überliefert:

"Auf dem Festlande, den genannten Inseln gegenüber, in Mazedonien, wurde über sie erzählt: es seien einmal drei Korybanten gewesen, drei Brüder, und zwei von ihnen ermordeten den dritten. Sie hüllten das abgeschnittene Haupt in ein purpurnes Gewand, sie bekränzten es und trugen es auf ehernem Schild zum Fuß des Olymp. Dort begruben sie es. Dieselben zwei Brüder trugen auch den Mysterienkorb, der einen Phallos enthielt, das Glied des Dionysos, bis zu den Etruskern." (Lit.: Kerényi, S 70)

Die Kabiren in Goethes «Faust II»

Im zweiten Teil von Goethes Faust-Dichtung, in den Szenen in den Felsbuchten des Ägäischen Meers spielen die Kabiren eine wesentliche Rolle:

NEREIDEN UND TRITONEN.
Was wir auf Händen tragen,
Soll allen euch behagen.
Chelonens Riesenschilde
Entglänzt ein streng Gebilde:
Sind Götter, die wir bringen!
Müßt hohe Lieder singen.

SIRENEN. Klein von Gestalt,
Groß von Gewalt,
Der Scheiternden Retter,
Uralt-verehrte Götter!

NEREIDEN UND TRITONEN.
Wir bringen die Kabiren,
Ein friedlich Fest zu führen;
Denn wo sie heilig walten,
Neptun wird freundlich schalten.

SIRENEN. Wir stehen euch nach:
Wenn ein Schiff zerbrach,
Unwiderstehbar an Kraft,
Schützt ihr die Mannschaft.

NEREIDEN UND TRITONEN.
Drei haben wir mitgenommen,
Der vierte wollte nicht kommen;
Er sagte, er sei der Rechte;
Der für sie alle dächte.

SIRENEN. Ein Gott den andern Gott
Macht wohl zu Spott.
Ehrt ihr alle Gnaden!
Fürchtet jeden Schaden!

NEREIDEN UND TRITONEN.
Sind eigentlich ihrer sieben!

SIRENEN. Wo sind die drei geblieben?

NEREIDEN UND TRITONEN.
Wir wüßtens nicht zu sagen,
Sind im Olymp zu erfragen;
Dort west auch wohl der achte,
An den noch niemand dachte!
In Gnaden uns gewärtig,
Doch alle noch nicht fertig.
Diese Unvergleichlichen
Wollen immer weiter:
Sehnsuchtsvolle Hungerleider
Nach dem Unerreichlichen.

Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass die Kabiren wesentlich mit dem Werden des Menschen zusammenhängen. Sie stehen in enger Beziehung zu den sieben Wesensgliedern des Menschen:

"Nehmen Sie aus der heutigen Vorstellung die Szene mit den Kabiren heraus, versuchen Sie einmal, in dieser «Faust»-Szene nachzulesen alles, was sich auf die Kabiren bezieht, versuchen Sie, jede einzelne Zeile wirklich mit tieferem Interesse zu verfolgen, und Sie werden sehen, wie Goethe durch seine vergeistigten Instinkte durchaus noch drinnenstand in dem ahnenden Erkennen. Durch solche Vorstellungen und Mysterienverrichtungen, wie sie die Griechen hatten in Anlehnung zum Beispiel an die Kabiren, drückt sich für den Menschen ein Höchstes in bezug auch auf das Erkenntnisstreben und dergleichen aus. Diese Kabiren brachte Goethe mit Recht zusammen mit dem Wege, der führen soll vom Homunkulus zum Homo. Er brachte diese Kabiren mit Recht zusammen mit dem Geheimnisse des menschlichen Werdens.

Drei Kabiren werden herangebracht. Wir reden von drei menschlichen Gliedern zunächst. Bevor wir auf das wahrhaft Innere des Menschen gehen, reden wir von drei menschlichen Gliedern: von dem physischen Leib, dem ätherischen Leib, dem astralischen Leib. Indem man von diesen menschlichen Gliedern spricht, erregt man ja sogleich die Kritik derjenigen Menschen, die sich heute besonders gescheit dünken, die sich heute besonders wissenschaftlich dünken. So wenden zum Beispiel solche Leute ein: Warum denn den einheitlichen Menschen teilen, gliedern? Der Mensch sei doch eine Einheit, es sei schematisch, wenn man den Menschen in solche Glieder auseinanderschält. - Ja, aber so ist die Sache nicht, so einfach liegt sie nicht. Gewiß, wenn bloß eine schematische Einteilung des Menschen zugrunde läge, brauchte man keinen besonderen Wert auf diese Glieder zu legen. Aber diese einzelnen Glieder, die man scheinbar so abstrahiert von dem ganzen Menschen, stehen ja alle mit ganz ändern Sphären des Weltenalls in Verbindung. Dadurch, daß der Mensch einen physischen Leib hat, so wie er ihn heute hat, wie sich dieser physische Leib von seiner saturnischen Anlage heraus entwickelt hat bis in die heutige Zeit, dadurch gehört der Mensch dem Räume an, der Sphäre des Raumes. Und durch seinen ätherischen Leib gehört der Mensch der Sphäre der Zeit an. Also indem der Mensch den zwei total voneinander verschiedenen Sphären angehört, indem er, man könnte sagen, aus der Welt der Zeit und des Raumes herauskristallisiert ist, besteht er aus physischem Leib und aus Ätherleib. Das ist nichts Willkürlich-Schematisches, was man da als Einteilung, als Gliederung des Menschen anführt. Das beruht tatsächlich auf dem ganzen Zusammenhang des Menschen mit dem Weltenall. Und durch seinen astralischen Leib gehört der Mensch schon dem Außerräumlichen und Außerzeitlichen an.

Diese Trinität, gewissermaßen die menschliche Hüllentrinität, wird vorgeführt in den drei Kabiren. Der vierte «wollte nicht kommen». Und der ist es, der für sie alle denkt! Steigen wir herauf von den drei Hüllen zum menschlichen Ich, so haben wir in diesem menschlichen Ich zunächst das, was über Raum und Zeit, selbst über das Zeitlose, Raumlose des Astralischen herausragt. Aber dieses Ich des Menschen kam ja erst zum Bewußtsein gerade in dem Zeiträume, der auf die samothrakische Kabirenverehrung folgte. Die Griechen hatten aus der uralt heiligen samothrakischen Lehre allerdings ihren Glauben an das Unsterbliche; aber innerhalb des griechisch-lateinischen Zeitraumes sollte erst das Bewußtsein von dem Ich geboren werden. Daher wollte der vierte nicht kommen, der dasjenige repräsentiert, was als Verhältnis besteht zwischen dem Ich und dem Kosmos. Und wie ferne lag das dem Kabirengeheimnis, das zunächst hinweist auf das, was da war in dem Menschenwerden. Die drei höchsten, der fünfte, sechste und siebente, die sind noch «im Olymp zu erfragen»: Geistselbst, Lebensgeist, Geistesmensch. Die kommen, wie wir wissen, im sechsten und siebenten Zeiträume. Und an den achten hat überhaupt noch niemand gedacht!

Wir erblicken tatsächlich in der alten Form ausgesprochen das Menschheitsgeheimnis, wie es in Samothrake in denjenigen Mysterien verhüllt war, von denen die Griechen das Beste für ihr Seelenwissen, für ihre Seelenweisheit, ja auch das Beste für ihre Dichtung, insofern sich diese auf den Menschen bezog, genommen haben. Das ist das Wichtige, daß man erkennt: Sobald man den Blick zurückwendet in diese alten Zeiten, die Goethe also wiederum zu beleben versuchte, so schaut man hinein in ein Wissen vom Zusammenhang des Menschen mit dem Weltenall. Der Mensch fühlte sich verwandt mit allen Geheimnissen des Daseins. Der Mensch wußte: er ist nicht bloß eingeschlossen in die Grenzen seiner Haut, er gehört dem ganzen, weiten Weltenall an. Und dasjenige, was in seiner Haut eingeschlossen ist, ist nur das Bild seines besonderen Wesens." (Lit.: GA 188, S 168ff)

Die Kabiren als Krüge gestaltet nach dem Entwurf Rudolf Steiners.

Anläßlich der Inszenierung von Szenen aus dem zweiten Teil von Goethes Faust-Dichtung hat Rudolf Steiner nach einer geeigneten künstlerischen Darstellung der Kabiren gesucht:

"Erinnern wir dabei zum Beispiel an die samothrakischen Mysterien, auf die Goethe im zweiten Teile seines «Faust» anspielt, wo er von den Kabiren spricht. Ich habe versucht, in meinem Atelier in Dornach diese Kabiren nachzubilden. Was habe ich herausbekommen? Es war etwas sehr Interessantes. Ich habe einfach mir die Aufgabe gestellt, herauszubekommen durch Anschauung, wie innerhalb der samothrakischen Mysterien die Kabiren ausgesehen haben müssen. Und denken Sie: Ich habe drei Krüge, allerdings plastisch-künstlerisch gestaltete Krüge bekommen! Ich war anfangs selbst erstaunt, obwohl Goethe auch von Krügen spricht. Die Sache wurde mir erst erklärlich, als ich darauf kam: diese Krüge standen auf einem Altar, da wurde etwas Weihrauchähnliches hineingebracht, das Opferwort wurde gesungen, und aus der Kraft des Opferwortes, das in älteren Menschheitszeiten noch eine ganz andere schwingungserregende Gewalt hatte als heute, gestaltete sich der Opferrauch zu dem Bilde der Gottheit, das gesucht wurde. Sie haben unmittelbar in der religiösen Verrichtung den sekundierenden Gesang, der unmittelbar in der Plastik des Rauches sich auslebt." (Lit.: GA 218, S 280)

In Goethes Faust-Dichtung eilen die Nereiden und Tritonen fort, um die Kabiren heranzubringen, was von den Sirenen so kommentiert wird:

SIRENEN: Fort sind sie im Nu!
Nach Samothrake gradezu,
Verschwunden mit günstigem Wind.
Was denken sie zu vollführen
Im Reiche der hohen Kabiren ?
Sind Götter! wundersam eigen,
Die sich immerfort selbst erzeugen,
Und niemals wissen, was sie sind.

"Also das sagen die Sirenen von den Kabiren. Es ist vielleicht so am leichtesten nahezukommen der Gesamtverfassung dieser Kabiren, wenn Sie an die Stelle in der Bibel denken, wo von den Elohim die Rede ist, die eigentlich erst, nachdem sie ihr Tagewerk geschaffen haben, sehen, daß es gut war, oder eigentlich, wie es dort steht, daß es schön war. Es ist natürlich für Menschen etwas schwer zu verstehen, weil Götter - die Kabiren - gerade, um die es sich hier handelt, nicht ein solches Bewußtsein haben wie Menschen oder wie gewisse spätere Götter. Die Kabiren sind Götter ersten Entstehens, und sie gehen auf in diesem Entstehen. Daher sind sie von einer viel zu großen Lebendigkeit, als daß sie ein voll ausgebildetes Bewußtsein haben. Sie gehören auch zusammen in dieser Beziehung. Es sind in Samothrake vier solcher Kabirengötter. Eigentlich sind es wohl acht; aber für Samothrake selbst kommen nur die vier in Betracht. Und nun natürlich kann man sagen: «Wundersam eigen, die sich immerfort selbst erzeugen, und niemals wissen, was sie sind.» Das kann man von den dreien, von den drei Hauptgöttern, welche die Erzeugungsgötter sind, schon sagen: von Axieros Axiokersos und Axiokersa. Von denen kann man schon sagen, daß sie nicht wissen, was sie sind. Aber so wenig diese drei zusammen wissen, was sie sind, so gut weiß der vierte für die drei. Also, wenn Sie sich denken: der Mensch bestehe aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, und das Ich vollführt das Bewußtsein, so müssen Sie sich denken: diese Kabiren sind vier. Während beim Menschen diese vier Glieder zusammenhalten, sind aber diese Kabiren vier getrennte Wesen. Und Axieros ist physischer Leib, Axiokersos ist Ätherleib, Axiokersa ist Astralleib; die haben also kein Bewußtsein. Dagegen Kadmilos, der dem Ich entsprechende, der denkt für alle drei. Also das ist das Eigentümliche dieser Götter, daß der vierte eigentlich ihr Bewußtsein zugleich ist.

Wenn Sie den Zyklus nehmen, wo ich von den Elohim gesprochen habe, ist es auch so ähnlich, daß eigentlich der siebente für die sechs denkt.[1]" (Lit.: GA 277, S. 534)

Anmerkungen

  1. vgl. dazu GA 122 (Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte), wo Rudolf Steiner schildert, wie die 7 Elohim durch die Schöpfungstätigkeit und insbesonders durch die Erschaffung des Menschen zu einem höheren Gemeinschaftsbewusstsein erwachen, das durch Jahve repräsentiert wird, der zugleich einer der sieben Elohim ist und sich später mit der Mondensphäre verbindet.

Literatur

  1. Karl Kerényi: Die Mythologie der Griechen, Band I, Deutscher Taschenbuch Verlag, München (1966)
  2. Rudolf Steiner: Der Goetheanismus - ein Umwandlungsimpuls und Auferstehungsgedanke, GA 188 (1982), Achter Vortrag, Dornach, 25. Januar 1919
  3. Rudolf Steiner: Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus, GA 218 (1992), Stuttgart, 4. Dezember 1922
  4. Rudolf Steiner: Eurythmie – Die Offenbarung der sprechenden Seele, GA 277 (1999), ISBN 3-7274-2770-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org

Weblinks

  1. Kabiren - Artikel in Pierer's Universal-Lexikon, 4. Auflage 1857–1865
  2. Karl Barth: Die Kabiren in Deutschland (1832)
  3. Kabeiroi
  4. Kabeiroi - From Wikipedia, the free encyclopedia (Englisch)