Dekonstruktion

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Der Begriff Dekonstruktion wird von Derrida u. a. unter Rückgriff auf eine Analyse der Natur von Zeichen entwickelt.

Der Begriff Dekonstruktion (vgl. frz. déconstruction ‚Zerlegung, Abbau‘; ein Schachtelwort aus „Destruktion“ und „Konstruktion“) bezeichnet eine Reihe von Strömungen in Philosophie, Philologie und Werkinterpretation seit den 1960er-Jahren. Der Begriff wurde von Jacques Derrida als Bezeichnung für ein Lektüre- und Analyseverfahren von Texten geprägt, das sich von hermeneutischen Theorien und deren Praxis der Interpretation abgrenzt. Ein ähnlicher Ansatz findet sich in den Yale Critics[1] von Harold Bloom, Geoffrey Hartman, Paul de Man und J. Hillis Miller, die darum bemüht sind, den „Deutungswahn“ zu zerstören.[2]

Der Unterschied zwischen hermeneutischen und dekonstruktiven (antihermeneutischen) „Textbefragungen“ besteht darin, dass die Hermeneutik von einem quasi dialogischen Verhältnis zwischen Text und Interpret ausgeht, das auf ein zunehmend besseres Verständnis einer im Text enthaltenen Botschaft abzielt. Dabei wird eine rekonstruierbare Sinneinheit, ein Sinnzusammenhang, unterstellt. Dekonstruktivisten bemühen sich hingegen um den Nachweis, dass – und vor allem: wie – ein Text seine Bedeutung selbst hinterfragt, durchkreuzt und gerade mit solchen Paradoxien Sinn schafft, z. B. durch Widersprüche zwischen inhaltlicher Aussage und sprachlicher Form.[3]

Die Methode der Dekonstruktion ist ein kritisches Hinterfragen und Auflösen eines Textes im weiteren Sinn. Sie wird oft auch als Dekonstruktivismus bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine distanzierende Bezeichnung durch außenstehende Autoren. Derrida selber hat die Dekonstruktion kritisch von „Dekonstruktivismus oder Dekonstruktivismen“ als dogmatischen Erscheinungsformen unterschieden.[4]

Begriff der Dekonstruktion und Einflüsse

Historisch knüpft der Begriff der Dekonstruktion unter anderem an Martin Heideggers Verwendung der Begrifflichkeiten „Konstruktion“ und „Destruktion“ und deren methodischer Verschränkung an.[5][6]

Weitere Einflüsse liegen im Strukturalismus und unter anderem daraus hervorgegangenen Theorien über die Natur und den Gebrauch von Zeichen (Semiotik).[7] Zu den philosophischen Grundlagen der Dekonstruktion siehe den Hauptartikel Jacques Derrida. Derrida entwickelte die Dekonstruktion in Zusammenhang mit seinem Konzept der Différance (der Artikel ist in Bezug auf die Erklärung der Dekonstruktion sehr aufschlussreich).

Bei der Dekonstruktion geht es um die Analyse von Sprache bzw. Texten, genauer gesagt von Zeichen, Sinn und Bedeutung.[8] Dabei werden selbst diese Begriffe in Frage gestellt, ebenso wie der ontologische Status des Subjekts.

„Was ich Dekonstruktion nenne, kann natürlich Regeln, Verfahren oder Techniken eröffnen, aber im Grunde genommen ist sie keine Methode und auch keine wissenschaftliche Kritik, weil eine Methode eine Technik des Befragens oder der Lektüre ist, die ohne Rücksicht auf die idiomatischen Züge des Gegenstandes in anderen Zusammenhängen wiederholbar sein soll. Die Dekonstruktion hingegen befasst sich mit Texten, mit besonderen Situationen, mit der Gesamtheit der Philosophiegeschichte, innerhalb derer sich der Begriff der Methode konstituiert hat. Wenn die Dekonstruktion also die Geschichte der Metaphysik oder die des Methodenbegriffs befragt, dann kann sie nicht einfach selbst eine Methode darstellen. Die Dekonstruktion setzt die Umwandlung selbst des Begriffes des Textes und der Schrift voraus. […] Ich nenne eine Institution ebenso wie eine politische Situation, einen Körper oder einen Tanz ›Text‹, was offenbar zu vielen Mißverständnissen geführt hat, weil man mich beschuldigte, die ganze Welt in ein Buch zu stecken. Das ist offensichtlich absurd.“

Derrida: Falter-Interview 1987[9]

Dekonstruktive Werkinterpretationen

Die Dekonstruktion geht grundsätzlich davon aus, dass die Thematisierung bestimmter Gegenstände (sei es in wissenschaftlicher Theoriebildung, sei es in anderen Wissenssystemen, Darstellungsformen oder Gattungen) andere zugleich ausgrenzt. Anstatt nur auf explizit mitgeteilte Information konzentrieren sich dekonstruktive Analysen daher auch und besonders auf diejenigen Faktoren, welche ausgegrenzt wurden. Systematisch grundlegend dafür ist eine sinnkritische Einklammerung der Sinn- und Verweisungsbeziehungen etwa der Elemente eines Textes. Dies ermöglicht dann Fragen zu stellen wie: welche Ausgrenzungs- und Etablierungsmechanismen, welche Strategien des Glaubwürdigmachens, welche hierarchischen Strukturen eines Signifikantengefüges erlauben, das entsprechende materielle Gefüge als sinnhaften Bedeutungsträger zu verstehen und auf eine bestimmte Bedeutung oder „Aussageabsicht“ zu reduzieren? An welche Konstitutionsbedingungen sind die entsprechenden Sinn- und Geltungsansprüche gebunden? Dies kann insbesondere auch Konflikthaftigkeit, Aggressivität, verdeckte Gehalte und Intentionen sichtbar machen.

Siehe auch

Literatur

  • Jonathan Culler: Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie. (Rowohlts Enzyklopädie. Bd. 55635). Reinbek 1999.
  • Heinz Kimmerle: Derrida zur Einführung. 6. ergänzte Auflage. Junius, Hamburg 2004, ISBN 3-88506-324-7.
  • Nikolaus Wegmann: Dekonstruktion. In: Klaus Weimar (Hrsg.): Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band I, de Gruyter, Berlin/ New York 1997, S. 334–337.
  • Robert Feustel: Die Kunst des Verschiebens. Dekonstruktion für Einsteiger. Wilhelm Fink, München 2015, ISBN 978-3-7705-5857-5

Philosophisch grundlegende Werke

  • Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Ein Essay über das Problem des Zeichens in der Philosophie Husserls. Suhrkamp, Frankfurt 1979, ISBN 3-518-10945-6.
  • Peter Engelmann (Hrsg.): Jacques Derrida: Die différance. Ausgewählte Texte. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-018338-3.
  • Jacques Derrida: Randgänge der Philosophie. Passagen Verlag, Wien 1988, ISBN 3-85165-290-8.
  • Jacques Derrida: Grammatologie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983 (Paris 1967), ISBN 3-518-28017-1.
  • Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, ISBN 3-518-57341-1. (2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003)

Einzelnachweise

  1. The Yale Critics - Deconstruction in America, ed. Jonathan Arac u. a., Univ. of Minnesota Press 1983.
  2. https://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/methoden/dekonstruktion.htm
  3. https://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/methoden/dekonstruktion.htm
  4. Jacques Derrida: Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen. Übersetzt von Susanne Lüdemann. Merve, Berlin 1997, ISBN 3-88396-134-5, S. 43.
  5. Vgl. etwa Sein und Zeit, 22f.: „Die Destruktion hat ebenso wenig den negativen Sinn, einer Abschüttelung der ontologischen Tradition. Sie soll umgekehrt diese in ihren positiven Möglichkeiten, und das besagt immer, in ihren Grenzen abstecken, die mit der jeweiligen Fragestellung und der aus dieser vorgezeichneten Umgrenzung des möglichen Feldes der Untersuchung faktisch gegeben sind“. Hier ist ein „konstruktives“ Moment bereits impliziert.
  6. U. a. in Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, 31 und passim. In der Paraphrase durch R. Capurro, Art. „Die Grundprobleme der Phänomenologie“, in: Lexikon philosophischer Werke, 322, geht es hier um die drei Momente: „die Erfassung des Seienden auf das Verstehen von dessen Sein (phänomenolog. Reduktion), das Entwerfen des vorgegebenen Seienden auf sein Sein und dessen Strukturen (phänomenolog. Konstruktion) und den kritischen Abbau überkommener Begriffe (Destruktion)“.
  7. Vgl. dazu Derridas Auseinandersetzungen mit dem Strukturalismus in Grammatologie und Schrift und Differenz.
  8. siehe das entsprechende Unterkapitel im Artikel zu Derrida
  9. Jacques Derrida: Dekonstruktion. In: Falter, Wiener Stadtzeitung, Beilage zum „Falter“ Nr. 22a/87, laufende Nummer 302, S. 11 u. 12; Florian Roetzer: Gespräch mit Jacques Derrida
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