Heinrich Marianus Deinhardt

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Heinrich Marianus Deinhardt

Heinrich Marianus Deinhardt[1], geb. 29.1.1821 (Niederzimmern bei Weimar) - gestorben 11.3.1880 in Wien, war ein deutscher Reformpädagoge. Er gilt als Begründer der Heilpädagogik[2]. Deinhardt studierte ab 1840[3] Theologie, Geschichte und Philosophie in Jena und Halle und galt als Hegel-Experte, erwarb jedoch keinen akademischen Abschluß. Zusammen mit Jan Daniel Georgens und Jeanne Marie von Gayette gründete er 1854 die "Heilpflege- und Erziehungsanstalt Levana" in Baden bei Wien.

1861 und 1863 veröffentlichte er zusammen mit Georgens ein zweibändiges Werk mit dem Titel: "Die Heilpädagogik. Mit besonderer Berücksichtigung der Idiotie und der Idiotenanstalten". Ebenfalls 1861 veröffentliche er ein Werk über Schiller: "Beiträge zur Würdigung und zum Verständnisse Schillers".

In der 1848er Revolution spielte er eine aktive Rolle und mußte in die Schweiz fliehen[4]. Nach seiner Rückkehr war er von akademischer Tätigkeit ausgeschlossen und versuchte, sich als Privatlehrer durchzuschlagen.[5] Daneben hatte er Einnahmen als Schriftsteller. Deinhardt war mit Karl Julius Schröer befreundet und verdankte diesem auch eine Anstellung als Lehrer in Wien (1861 - 1866). Von 1870 bis 1875 war er Professor an der Lehrerbildungsanstalt in Wien[6]. Deinhardt war mit Therese Böhmer verheiratet und hatte Kinder. Er soll nach einem Beinbruch an den Folgen von Unterernährung gestorben sein. (Ausführlichere, teils anders lautende biographische Angaben siehe Lit.: Meyer 2011, vgl. auch Lit.: Kirmsse 1934).

Rudolf Steiner über Heinrich Deinhardt

„Ich habe öfter erzählt, daß in Wien ein einsamer Mensch lebte, Heinrich Deinhardt hieß er. Er hat Briefe über Briefe über diese ästhetische Erziehung des Menschen geschrieben, sehr geistvolle Briefe. Der Mann hatte das Malheur, daß er einmal ein Bein brach auf der Straße, als er hinfiel. Das Bein konnte eingerichtet werden, aber er konnte nicht genesen, er starb an dem Beinbruch, weil er unterernährt war. Das heißt, derjenige, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch Schillers «Ästhetische Briefe» in gewissenhaftester Weise ausgelegt hat, starb den Hungertod. Und diese Deinhardtschen Briefe über Schillers ästhetische Erziehung des Menschen sind völlig vergessen!“ (Lit.:GA 199, S. 138)

„Und so möchte ich die Anregung machen, daß einzelnes von dem gelesen wird, was so wunderschön geistig im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts von Geistern des Abendlandes zutage gefördert worden ist, Großes, Bedeutsames. Aber mit all diesen Bestrebungen geht es ja ganz sonderbar. Zu dem Größten — ich habe in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, in diesem Buche war es nicht notwendig, noch einmal darauf zurückzukommen — gehören die philosophischen Schriften Schillers, zum Beispiel die Briefe «Über die ästhetische Erziehung des Menschen». Man kann sagen, wer das mit innerem Anteil gelesen hat, hat außerordentlich viel für das Leben seiner Seele getan. Es haben sich ja verschiedene Leute Mühe gegeben, die Menschen hinzuweisen auf die philosophischen Schriften Schillers. Deinhardt war solch einer, der in Wien lebende Heinrich Deinhardt.

Er hat ein schönes, außerordentlich geistvolles Büchelchen geschrieben über Schillers Weltanschauung in den Sechzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts. Ich glaube nicht, daß Sie es irgendwo bekommen, es ist längst eingestampft, höchstens irgendwo ein verlorenes antiquarisches Exemplar, denn gelesen hat das, was Deinhardt über Schiller geschrieben hat, das zu dem Besten gehört, was über Schiller geschrieben worden ist, niemand! Aber der Mann war ein vergessener Lehrer in Wien, der das Malheur gehabt hat, sich einmal ein Bein zu brechen, und trotzdem es mit Sorgfalt eingerichtet worden ist, konnte er nicht gesund werden, weil er zu schlecht ernährt war. Der Mann hat eines der besten Bücher über Schiller geschrieben, ein Buch, das sicherlich besser ist, als alle die zahlreichen Quatsch-Schriften, die später über Schiller geschrieben worden sind; aber er mußte verhungern. So geht es eben.“ (Lit.:GA 169)

„Ein mir (Rudolf Steiner) selbst sehr nahestehender alter Freund [Karl Julius Schröer, 1825-1900] war einem anderen Manne befreundet [Heinrich Deinhardt, 1821-1880]. Dieser Mann war ein ausgezeichneter feiner Geist. Er hat nicht viel geschrieben, nicht viel drucken lassen, aber was er hat drucken lassen, das hatte ein ungeheuer bedeutsames Gewicht, und hätte, wenn es durchgedrungen wäre, zum Bewusstsein der Menschen gekommen wäre, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in den Menschenseelen Bedeutsames wirken können. Der Mann, der das Wenige – ich werde gleich Näheres darüber sprechen – hat drucken lassen, fiel einmal hin und brach sich ein Bein und starb daran. Das Bein hätte leicht eingerichtet werden können, aber er konnte nicht durchgebracht werden durch den Fall, denn er war unterernährt. So sagte man nach dem Tode, und mit Recht. Sehen Sie, das war einer der tiefsten Geister Mitteleuropas, Deinhardt. Er ist vor vielen Jahrzehnten schon gestorben. Er war unterernährt geblieben, denn man hatte kein Interesse für seine besondere Art von Geistigkeit. Nun, was wollte er denn? Ja, er wollte etwas, wovon man heute gar nicht wird begreifen können, daß es eigentlich unberücksichtigt geblieben ist. Und dennoch, gerade daß man es nicht begreifen kann, das ist so bedeutsam für unsere Zeit. Meine lieben Freunde, dieser Mann wollte gar nichts anderes als den ungeheuren geistigen Impuls, der in Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen liegt, pädagogisch fruchtbar machen für die ganze Menschheit. Dazu hat er geringe Anzahl von Schriften geschrieben, die ungeheuer geistreich sind. Ich glaube, es ist heute alles eingestampft. Ich glaube nicht, das man etwas erhalten kann von diesen Schriften. Und er starb Hungers. Niemand hat sich interessiert dafür, daß aus diesen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen gezogen werden kann etwas, was das ganze geistige Niveau der Menschheit durch eine ungeheuer tiefe soziale Volkspädagogik heben könnte.“ (Lit.: (Vortrag vom 12. 6. 1917 in Hannover) zitiert nach anthrolexus)

„An derjenigen Stätte - und ich habe es auch hier schon erzählt vor Jahren -, wo jetzt unser Freund Dr. Kolisko meine Aufsätze gesammelt hat, da lebte in den siebziger und sechziger Jahren ein Mensch, der hieß Heinrich Deinhardt, der war ein Wiener Pädagoge. Er hatte in sich den Geist, von dem Standpunkt der Schillerschen Ästhetischen Briefe aus in seinem in den Materialismus hineinsegelnden Zeitalter in die Pädagogik einzugreifen. Er hat schöne Erklärungsbriefe geschrieben über Schillers Ästhetische Briefe, die dazumal gedruckt worden sind, darüber, wie der Mensch erzogen werden solle, sich von der zwingenden logischen Notwendigkeit und der Notdurft, die nur in den Trieben lebt, zu befreien. Der war einer der Warner, die gesagt haben: Auf den Erziehungswegen muß verhindert werden, was sonst kommen muß. Er hat nicht schon mit geisteswissenschaftlichen Begriffen reden können, aber er hat dazumal darauf hingewiesen mit seinen Worten, wie die luziferisch-ahrimanische Kultur kommen müsse, wenn man nicht in dieser Gleichgewichtslage die Erziehungswissenschaft gestalte, die Erziehungskunst gestalte. Dieser Mann, Heinrich Deinhardt, hatte dazumal in Wien den Unfall, auf der Straße umgestoßen zu werden und sich das Bein zu brechen, eine Sache, die mit einer leichten Operation hätte geheilt werden können; aber dieser Mann war nach der Aussage seiner Ärzte so schlecht ernährt, daß der Heilungsprozeß sich nicht vollziehen konnte. Und so starb an dem kleinen Unfall dieser eine Mann, der in das Getriebe der Zeit schon ganz tief hineingeschaut hat. Ja, so behandelte man in Mitteleuropa diejenigen, die aus der Spiritualität heraus etwas wollten. Dieses Beispiel, es könnte vervielfältigt werden.“ (Lit.:GA 195, S. 80f)

„Es darf bei dieser Gelegenheit auf die vorzügliche Darstellung von Schillers Wollen in der Schrift Heinrich Deinhardts «Beiträge zur Würdigung Schillers» hingewiesen werden, die vor kurzem im Kommenden Tag Verlag in Stuttgart erschienen ist.“ (Lit.:GA 36, S. 291)

„(Es wird gefragt nach den Stufen des Sprachunterrichts.) Dr. Steiner: Es sind Stufen da. Es wäre interessant, diese Dinge im Zusammenhang mit den anderen zu behandeln. Ich habe vor, einen Aufsatz zu schreiben über das Buch von Deinhardt, über die ersten Elemente des ästhetischen Prinzips für den Unterricht[7]. Es wird natürlich sowohl von Schiller und von Deinhardt selbst überspannt. Aber man kann das sehr leicht auseinandersetzen. Nun wäre es gut, wenn man es zu gleicher Zeit benützen würde, um dem Verlag gegenüber das Buch zu erwähnen. Es könnte jemand aus dem Lehrerkreis über das Buch eine produktive Kritik schreiben, in Anlehnung an Schiller. Sie kennen das Buch noch nicht? Das Buch ist schwierig zu lesen. Der Steffen wurde zuerst aufgefordert, zu diesem Buch eine Vorrede zu schreiben, aber er hat es greulich langweilig gefunden. Das ist aber lediglich durch die Bandwurmsätze. Daß solche Bandwurmsätze darin sind, das begreift der Österreicher.“ (Lit.:GA 300b, S. 200f)

Weiteres über Deinhardt

„So ist Schiller verloren gegangen, so Wilhelm von Humboldt als Bildungspolitiker, so Heinrich Marianus Deinhard, ein bedeutender Pädagoge der Nach-Goethe-Zeit, der in Wien, aufbauend auf Schillers Briefen, eine Pädagogik, die sich zur Volkspädagogik erweiterte, aus dem Spiel als Kulturfähigkeit entwickelt hat. Seine Schüler, so sagte man, waren noch viele Jahre im Leben daran zu erkennen, dass sie besondere Leistungen hervorbrachten. Ihm ist die Erkenntnis zu verdanken über die Wesensverwandtschaft von Spiel und Arbeit. Spiel nennt er die freigewordene, künstlerisch gesteigerte Arbeitskraft und Arbeit das auf Produktion im Widerstand gegen Material gerichtete Spiel (als freiwillig geleistete Menschenkraft). Erst durch die einander induzierende Wirkung von Spiel und menschlicher, sinnvoller, rhythmischer und anschaulicher Arbeit ist Spiel als pädagogischer und Kulturfaktor überhaupt verständlich.“ (Lit.: Werner Kuhfuss, Früherziehung kontra Spiel des Kindes, S. 25)

In seinen Kommentaren zu den ästhetischen Briefen geht Deinhardt, neben kritischen Einwänden in einzelnem, in vielem über Schiller hinaus, wobei man den Eindruck gewinnt, es handle sich um schlüssige Konsequenzen aus dem Schillerschen Ansatz, die von Schiller selbst hätten kommen können, wäre er nicht logisch-deduktiv daran gehindert gewesen. So nimmt Deinhardt den Spieltrieb als einen faktisch realen dritten neben dem Form- und Stofftrieb an. Schiller mußte die tatsächliche empirische Existenz eines Spieltriebs aus transzendentalogischen Gründen verneinen, für ihn bestand dieser Trieb aus einer Art gemeinsamen Wirkens von Form- und Stofftrieb, einem ästhetischen Zustand, aus dem dann freilich eine Kraft hervorgeht, die man als Trieb bezeichnen könnte. Es ist diese nach Schiller aber keine ursprüngliche Kraft, der Spieltrieb besteht nicht schon gleich von vorherein als diejenige dritte Kraft, die, im Unterschied zu Form- und Stofftrieb, nach dem ästhetischen Zustand zielt.

„Damit ist ausgesprochen, daß die Genesis des Spieltriebes nicht in einer »Erfahrung« liegt, welche die »vollständige Entwicklung der beiden Grundtriebe«  zur Voraussetzung hat, daß er vielmehr in der Tat als ein ursprünglicher Trieb wirkt und aus seiner Betätigung die Erfahrungen, die er zunächst braucht, gewinnt, obgleich er weiterhin die Anschauungen der Wirklichkeit in sein Bereich zieht. Daß er aber der Tendenz nach von vornherein ästhetischer Trieb ist, liegt in dem Begriffe der »Selbstproduktion«, welcher die äußere Nötigung ausschließt und das Gefühl wie das Verlangen der Freiheit voraussetzt.“ (Lit.: Deinhardt, Beiträge, S. 155 (Ausgabe Die Kommenden))

Aus dem Vorwort Deinhardts zu seinem Werk "Beiträge zur Würdigung und zum Verständnisse Schillers"

Die nur teilhafte Sonderausgabe des Kommenden Tag Verlags 1922 mag aus Kostengründen sich auf den Abdruck der ersten Abhandlung von Deinhardts Buch, diejenige über die ästhetischen Briefe Schillers, beschränkt haben. Nicht verständlich ist jedoch, daß das Vorwort zum gesamten Werk über Schiller (neben dem erschienenen ersten Band waren weitere geplant) vollständig in der Sonderausgabe fehlt, da Deinhardt dort sein gesamtes Vorhaben eingehender erläutert und auch darauf verweist, daß in den weiteren Abhandlungen des Buches: "Der Spaziergang", "Die Glocke" und "Der Demetrius-Plan", auf die erste Abhandlung zu den Briefen über die ästhetische Erziehung Bezug genommen werden wird. Statt daß der Kooperative Dürnau Verlag 1987 nur die Sonderausgabe 1922 wiederaufgelegt hat, wäre es sinnvoll gewesen, den gesamten 1. Bd. neu herauszugeben, insbesondere auch mit dem Vorwort. Mittlerweile liegt das Werk aber in digitalisierter Form im Internet zum Lesen und Download bereit. Allerdings in der heute für viele ungewohnten deutschen Schrift.

Das Vorwort wurde deshalb in lateinische Schrift übertragen und ist als PDF bei den Literaturangaben mit verlinkt.

„ (...) Was zunächst die Wahl der eingehend zu behandelnden Werke betrifft, so war sie für mich keine schwankende und insofern keine eigentliche Wahl. Nach meiner Ansicht - die ihre Begründung in einem Vorworte nicht finden kann, sondern in dem Buche selbst finden muß - hat die dramatische Productivität Schillers in der "Braut von Messina", ohne durch diese erhabene Schöpfung erschöpft zu sein, ihren Höhepunkt erreicht, während der "Spaziergang" und die "Glocke", die sich zu einander ergänzend verhalten, die concentrirte Offenbarung der Welt- und Geschichtsanschauung Schillers in lyrisch-didactischer Form abgeben, und die "Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen" die einzige umfassende und zusammenhängende Darlegung seiner geschichtsphilosophischen Ästhetik oder ästhetischen Geschichtsphilosophie sind, indem die spätere Erweiterung und Erhöhung des in den Briefen eingenommenen Standpunktes, die an sich nur eine punktweise war, zu einer ausdrücklichen Darstellung in philosophischer Form nicht gelangte. Wenn daher durch die eingehende Besprechung einzelner Werke der ganze Schiller vergegenwärtigt werden soll, so sind hiezu, falls meine Ansicht Grund hat, die genannten Schöpfungen vorzugsweise geeignet. Indem ich jedoch zu ihnen die übrigen Producte und Leistungen Schillers in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen hatte, fand ich, daß dies allerdings bis zu einer gewissen Grenze unmittelbar, d.h. ohne von dem Gegenstande der jedesmaligen Besprechung in unverhältnismäßigen Excursen abzuweichen, geschehen konnte, daß aber dabei weder dem Bedürfnisse des Überblicks noch dem andern, selbständig hervorragenden Werken eine mehr als momentane Betrachtung zu widmen, vollständig genügt wurde. Ich sah mich also veranlaßt, das Abgeschlossene in verschiedenen Richtungen fortzusetzen und durch Arbeiten, die den Zusammenhang der poetischen und prosaischen Productionen Schillers direct ins Auge fassen, zu ergänzen. Da aber praktische Rücksichten die Veröffentlichung meiner Gesammtarbeit in einzelnen Bänden gebieten - wobei ich sogleich bemerken will, daß die Vollständigkeit dieser Veröffentlichung von dem Interesse, welche sie bei dem Publikum findet, abhängig sein wird - liegt mir ob, die Zusammenstellung, welche ich für den jetzt erscheinenden ersten Band angemessen fand, zu motivieren, und den Inhalt der noch zurückbleibenden Arbeiten anzudeuten.

Die Besprechung der "Briefe" allem andern voranzustellen, bestimmten mich der Charakter und die Bedeutung dieser Arbeit, wie sie schon bezeichnet wurden: die in ihr durchgeführte Verknüpfung der Ästhetik Schillers mit seinen historischen Anschauungen und Forderungen, die als solche zu einer kritischen Ergänzung wie zur Bezugnahme auf die Zustände und Tendenzen der Gegenwart auffordert. Die Geschichtsansicht aber, die in den "Briefen" philosophisch entwickelt wird, hat im "Spaziergang" und in der "Glocke" ihren poetisch erweiterten und zusammengefaßten Ausdruck, wobei jedoch dem Glockeliede theilweise, zunächst dem "Spaziergang" und sodann, also noch entschiedener, der Betrachtungsart der "Briefe" gegenüber der Charakter einer gegensätzlichen Ergänzung zukommt. Ich hielt es hiernach für angemessen, die Besprechung der beiden "dioskurischen" Dichtungen auf die der "Briefe" folgen zu lassen. Von einer gleichmäßigen Commentierung von vornherein absehend, habe ich den "Spaziergang" in der Form eines Vortrages behandelt, die "Glocke" aber eingehender interpretiert, wozu ich mich insbesondere auch durch die Willkürlichkeiten und Mißverständnisse, mit denen sich viele Erklärer dieser Dichtung, die einen näheren Anspruch auf "Volksthümlichkeit" als der "Spaziergang" hat, an ihr versündigt haben, aufgefordert fühlte. Daß ich bei der Besprechung der "Glocke" nicht nur auf den "Spaziergang", sondern auch auf die Briefe vielfach ausdrücklich Bezug zu nehmen hatte, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Ich benutzte aber auch die hier und da gegebene Gelegenheit, um auf die dramatische Prodution Schillers, die mit der Ausdehnung und dem Fortschritt seiner philosophischen Reflexion überhaupt und seiner Geschichtsbetrachtung insbesondere, wie mit den Gipfelungen seiner didactischen Lyrik allerdings in einem inneren Zusammenhange steht, aber sich zugleich in einer gewissen Absonderung und Selbständigkeit darstellt, jene Beziehungen hervorhebend hinzuweisen. Um jedoch die Entwicklung dieser Productivität für sich und übersichtlich zu charakterisiren, schienen mir, insofern dies vor der Besprechung der "Braut von Messina" und somit nur vorläufig geschehen sollte, das letzte, durch den Eingriff des Todes unterbrochene Werk des Dichters - der Demetrius - mit den früheren, nicht zur Ausführung gelangten dramatischen Plänen den geeigneten Anhalt zu bieten. Denn der Schluß motiviert überall den Rückblick auf die durchlaufene Bahn und das Werk, dessen Vollendung das Schicksal hinderte, erinnert von selbst an die freiwillig aufgegebenen Pläne, welche als Ansätze die voreilig hervorgetretene und deshalb zunächst wieder zurückgenommene Tendenz bezeichnen, also für die innere Vermittlung der sich nach einander mit längeren oder kürzeren Intervallen durchsetzenden Schöpfungsacte bedeutsam sind.

Die eingehende Betrachtung der "Braut von Messina", an welche sich die nähere Darstellung des Verhältnisses, in dem die übrigen Dramen Schillers zu dieser Volltragödie stehen, anschließt, ist für den zweiten Band aufgespart[8]. Außerdem sollen noch theils in diesem, theils in dem letzten Bande die Dramen der verschiedenen Perioden einander gegenübergestellt, die Schiller'sche Lyrik zusammenhängend charakterisirt, die ästhetischen und ästhetisch-kritischen Abhandlungen in ihr Verhältnis zu den "Briefen" gesetzt und die Schillersche Geschichtsschreibung gewürdigt werden.

Von den kleineren Abhandlungen sind die über den "Spaziergang" und die über den "Demetriusplan", die letztere verkürzt, im "Morgenblatte"[9] bereits veröffentlicht worden, und die günstige Erwähnung, die sie mehrfach gefunden, läßt mich hoffen, daß die Gesammtarbeit von der Kritik und dem Publikum mit Wohlwollen aufgenommen wird. Der ernste Wille und die Vertiefung in den Gegenstand werden sich, wie ich glaube, nicht verkennen lassen, und wenn es mir gelingt, nach der einen oder anderen Seite eine nachhaltigere, dem deutschen Culturleben förderliche Anregung zu geben, so werde ich hierin die Genugthuung und Befriedigung finden, die für mich die wünschenswertheste ist.“ (Lit.: Deinhardt, Beiträge, aus dem Vorwort)

Anmerkungen, Nachweise

  1. auch Deinhard, nicht zu verwecheln mit Johann Heinrich Deinhardt (1805 - 1867), dem Onkel des Heinrich Marianus. Diese Verwechslung gibt es auch bei bibliothekarischen und bibliographischen Zuordnungen. Veröffentlichungen in den 40er Jahren auch unter dem Pseudonym "Emil Anhalt".
  2. Studienzentrum August Hermann Francke- Archiv -
  3. [1]
  4. Nach anderer Darstellung: Kurze Inhaftierung in Weimar mit anschließendem freiwilligen Exil in der Schweiz. (Lit.:Meyer 2011). Vgl. Auch MEW 6 (Marx-Engels-Werke Bd. 6, S. 260: "Die Untersuchung gegen den damals auch verhafteten Literat Deinhard von hier hat so wenig ergeben, daß der Staatsanwalt, nachdem Deinhard zwei Monate lang in den ungesunden Kerkern unseres Kriminalgerichts gesessen hat, nicht einmal eine Anklage gegen ihn hat richten können." ([„Neue Rheinische Zeitung" Nr.218 vom 10.Februar 1849]) MEW6, S.260.
  5. Biographische Angaben aus: Encyclopedia of Disability, herausgegeben von Gary L. Albrecht, SAGE Publications 2006, [2]
  6. Lit.:Meyer 2011
  7. Das Vorhaben wurde lt. Notiz des Herausgebers von GA 300b nicht ausgeführt
  8. Zur "Braut von Messina" hat Deinhardt 1854/55 in der Pädagogischen Monatsschrift (s. Lit.) veröffentlicht. Ebenso dort auch zu "Der Spaziergang".
  9. Vermutl. "Morgenblatt für gebildete Stände" (Cotta)

Liste der Quellen zur Biographie

  • Karl Hubert (Carl Hubert): Heinrich Deinhardt, in: Österreichischer Schulbote 30 (7/8), 1880, S. 93 - 104 (auf Angaben von Hubert stützt sich lt. Meyer auch Schröer in der Rede zur Deinhardtfeier)
  • Karl Julius Schröer: Rede zur Deinhardt-Feier, in: «Pädagogisches Jahrbuch 1880», herausgegeben von der Wiener Pädagogischen Gesellschaft, S. 1 - 22, (Biographisches)
  • Hermann Rollett: [Biographisches zu Deinhardt] (Angabe bei Meyer)
  • Franz Frisch: Pädagogische Bildnisse, Langensalza, 1888 (Biographisches) (Angabe bei Kirmsse)
  • Jessen: Geborgene Gaben, 1. Bd., Leipzig 1907 (Biographisches) (Angabe bei Kirmsse)
  • Kirmsse, M.: Deinhardt, Heinrich Marianus. In: Enzyklopädisches Handbuch der Heilpädagogik. Halle 2. Aufl. 1934, S. 499-500 (a). Text
  • Biographischer Eintrag in: Encyclopedia of Disability, herausgegeben von Gary L. Albrecht, SAGE Publications 2006
  • Studienzentrum August Hermann Francke- Archiv -: Hilfslehrer an einer lateinischen Hauptschule 1844 in Halle
  • Thomas Meyer: «Einer der tiefsten Geister Mitteleuropas». Heinrich Marianus Deinhardt (1821-1880) als Brückenbauer deutschen Geisteslebens, Der Europäer, Jg. 16 Nr. 2/3, Dez./Jan. 2011/2012, S. 44 - 51, PDF (Der Aufsatz erschien zuerst im Verlag Kooperative Dürnau)
  • Neue Rheinische Zeitung" Nr.218 vom 10.Februar 1849 (zu Prozeß und Inhaftierung, abgedruckt in MEW 6)

Hinsichtlich der "Erinnerungen eines alten Burschenschafters" ist unklar, ob es sich bei dem Autor Emil Anhalt um Deinhardt handelt. Die Novelle "Ehen werden im Himmel geschlossen" hat lt. Meyer vermutl. autobiographische Züge. Die neuere Bekanntheit von Deinhardt geht weniger von seinen Schriften über Schiller aus, sondern von seinem Ruhm als Begründer der Heilpädagogik (zusammen mit Georgens) während der Levana-Zeit. Eine größere Reihe von Forschungsarbeiten widmen sich dieser Levana-Epoche, und der dort entwickelten heilpädagogischen Lehre, zu der auch eine Lehre der ästhetischen Erziehung gehört. In Niederzimmern wird Deinhardt als Sohn der Stadt ins Auge gefaßt: [http://www.weimarerland.de/landratsamt/amtsblatt/AB_01_2016.pdf (Für die Heimat aktiv: Ortschronisten und Ortshistoriker des Weimarer Landes, Teil 4) (in Vorbereitung)]

Für ein Verständnis der Deinhardtschen Pädagogik scheint es nicht ratsam, sich lediglich auf seine Ausführungen zu den ästhetischen Briefen zu stützen, wie schon Deinhardt selbst, um dem ganzen Schiller näher zu treten, sich mit Schillers Gesamtwerk als einer Einheit beschäftigte, von der die ästhetischen Briefe nur ein Teil sind.

Werke (Auswahl)

Aus den Jahrgängen 6 - 9 (1852 - 1855) der Pädagogischen Monatsschrift

(Hrsg. Friedrich Löw, Magdeburg, die Jahrgänge 1850 - 1855 sind online erreichbar inkl. pdf-download)

  • Erziehung zur Arbeit durch die Arbeit, 6. Jg. 1852, 10. H., S. 643 - 670
  • Bildung zum Genuß, 6. Jg. 1852, 12. H., S. 883 - 931
  • Ein Gegner der Arbeitsschulen, 7. Jg. 1853, 1. H., S. 40 - 52
  • Die Gymnastik, 7. Jg. 1853, 4. H., S. 243 - 262
  • Die Gymnastik, 7. Jg. 1853, 6. H., S. 403 - 436
  • Der deutschsprachliche Unterricht in den höheren Schulen, 7. Jg. 1853, 9.H, S. 678 - 711
  • Die Gymnastik, 7. Jg. 1853, 10. H., S. 723 - 742
  • Die pädagogische Bedeutung der Triebe und Neigungen, 7 Jg. 1853, 11. H., S. 827 - 852
  • Einige Bemerkungen über den weltkundlichen Unterricht, 8. Jg. 1854, 2. H., S. 107 - 119
  • Die pädagogische Bedeutung der Triebe und Neigungen, 8. Jg. 1854, 4. H., S. 261 - 296
  • Die pädagogische Bedeutung der Triebe und Neigungen, 8. Jg. 1854, 5. H., S. 324 - 358
  • Der pädagogische Wert des Bildes, 8. Jg. 1854, 7. H., S. 516 - 534
  • Synonymische Aufgaben, 8. Jg. 1854, 8. H., S. 563 - 595
  • Zur deutschen Grammatik, 8. Jg. 1854, 9. H., S. 643 - 662
  • Schiller's Braut von Messina, 8. Jg. 1854, 10. H., S. 723 - 744
  • Schiller's Braut von Messina (Schluß), 8. Jg. 1854, 11. H., S. 803 - 860
  • Einige Bemerkungen über Heilgymnastik und Diätetik, 9. Jg. 1855, 2. H., S. 101 - 122
  • Einige Bemerkungen über Heilgymnastik und Diätetik, 9. Jg. 1855, 3. H., S. 131 - 142
  • Gedicht-Besprechungen, 9. Jg. 1855, 4. H., S. 195 - 212
  • Schiller's Braut von Messina, 9. Jg. 1855, 5. H., S. 274 - 322
  • Gedicht-Besprechungen, 9. Jg. 1855, 6. H., S. 323 - 337
  • Einige Fabeln und Parabeln, 9. Jg. 1855, 7. H., S. 438 - 451
  • Zur vorgrammatischen Methode des Lese- und Schreibunterrichts, 9. Jg. 1855, 8. H., S. 452 - 480
  • Einige Fabeln und Parabeln, 9. Jg. 1855, 8. H., S. 501 - 510
  • Der Spaziergang von Schiller, 9. Jg. 1855, 11. H., S. 653 - 686

Aus der Zeitschrift "Der Arbeiter auf dem Erziehfelde der Gegenwart" (1856 -1858)

  • Pädagogische Aphorismen [Grundsätze und Neigungen. Erste Abtheilung] View
  • Pädagogische Aphorismen [1. Grundsätze und Neigungen (Forts.)] PDF
  • Pädagogische Aphorismen [2. Arbeit und Genuß] PDF
  • Pädagogische Aphorismen [3. Über Belohnungen und Strafen] PDF
  • Pädagogische Aphorismen [3. Über Belohnungen und Strafen II.] PDF
  • Pädagogische Aphorismen [4. Über Lektüre] PDF
  • Pädagogische Aphorismen [5. Über Lehrmethoden] PDF
  • Pädagogische Aphorismen [6. Das Verhältnis der Ältern und des Publikums zur Schule] PDF
  • Pädagogische Aphorismen [6. Das Verhältnis der Ältern und des Publikums zur Schule II.] PDF
  • Bemerkungen über den Luxus [1] PDF
  • Bemerkungen über den Luxus, eine Vorbereitung zu den national-ökonomischen Sinn- und Denkübungen [2] PDF
  • Bemerkungen über den Luxus, eine Vorbereitung zu den national-ökonomischen Sinn- und Denkübungen [3] PDF
  • Bemerkungen über den Luxus, eine Vorbereitung zu den national-ökonomischen Sinn- und Denkübungen [4] PDF
  • Noch einige Bemerkungen über den Luxus [5] PDF
  • Noch einige Bemerkungen über den Luxus [6] PDF
  • National-ökonomische Sinn- und Denkübungen [1] PDF
  • National-ökonomische Sinn- und Denkübungen [2] PDF
  • National-ökonomische Sinn- und Denkübungen [3] PDF
  • National-ökonomische Sinn- und Denkübungen [4] PDF
  • National-ökonomische Sinn- und Denkübungen [5] PDF
  • National-ökonomische Sinn- und Denkübungen [6] PDF
  • National-ökonomische Sinn- und Denkübungen [7] PDF
  • Anschluss des Unterrichts an die Jahreszeiten, Tage und Tageszeiten [1] PDF
  • Anschluss des Unterrichts an die Jahreszeiten, Tage und Tageszeiten [2] PDF
  • Zur Verständigung in Bezug auf den Artikel: "Stoffe zur Arbeitsübung I." in Nr. 8 des "Arbeiters" [von Hrn. Dr. Konrad Michelsen] [1] PDF
  • Zur Verständigung in Bezug auf den Artikel: "Stoffe zur Arbeitsübung I." in Nr. 8 des "Arbeiters" [von Hrn. Dr. Konrad Michelsen] [2] PDF


  • Dr. Emil Anhalts (Heinrich Deinhardt) Schriften im Verlage von Mauke in Jena: 1. Darstellung des Erziehungswesens im Zusammenhang mit der allgemeinen Culturgeschichte. Jena 1845. 2. Die Universität. Überblick ihrer Geschichte und Darstellung ihrer gegenwärtigen Aufgabe. Jena 1845. 3. Die Volksschule und ihre Nebenanstalten. Jena 1846. Rezension von Georgens in Heft 11/12, 1858, S. 284

Literatur

  • Karl Julius Schröer: Rede zur Deinhardt-Feier, in: «Pädagogisches Jahrbuch 1880», herausgegeben von der Wiener Pädagogischen Gesellschaft, S. 1 - 22, (Biographisches)
  • Karl Julius Schröer: Eine Schulstunde bei Heinrich Marianus Deinhardt Geschildert von Karl Julius Schröer Erziehungskunst Jg. 1, Heft 2/3, 1927/1928 Archiv PDF, S. 73 - 77 (Auszug aus Rede zur Deinhardt-Feier, eingeleitet von C.S. Picht)
  • Thomas Meyer: «Einer der tiefsten Geister Mitteleuropas». Heinrich Marianus Deinhardt (1821-1880) als Brückenbauer deutschen Geisteslebens, Der Europäer, Jg. 16 Nr. 2/3, Dez./Jan. 2011/2012, S. 44 - 51, PDF (Der Aufsatz erschien zuerst im Verlag Kooperative Dürnau)

Zitierte Literatur

Weitere Literatur

  • Ute Weinmann: Normalität und Behindertenpädagogik. Historisch und normalismustheoretisch rekonstruiert am Beispiel repräsentativer Werke von Jan Daniel Georgens, Heinrich Marianus Deinhardt, Heinrich Hanselmann, Linus Bopp und Karl Heinrichs, Leverkusen : Leske und Budrich, 2003, ISBN 3-8100-3569-6, Springer VS Inhaltsangabe, Google-View
  • Stephanie Nickel: Ästhetische Erziehung bei Menschen mit geistiger Behinderung, GRIN-Verlag, 2005, Inhaltsangabe
  • P.,R. [Robert Prutz]: [Rezension zu] Heinrich Deinhard: Beiträge zur Würdigung und zum Verständnisse Schiller's. Bd. 1, 1861, Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben Jg. 11, Nr. 33:270-271
  • Kirmsse, M.: Deinhardt, Heinrich Marianus. In: Enzyklopädisches Handbuch der Heilpädagogik. Halle 2. Aufl. 1934, S. 499-500 (a).Text
  • Möckel, Andreas: Geschichte der Heilpädagogik, 2. Aufl. 2007, Kap. IV.10: Jan Daniel Georgens und Heinrich Marianus Deinhardt
  • Stöger, Christian: "Die Heilpädagogik" und ihr Autor : zu einer alten Streitfrage und Problemen der Levana-Historiographie, 2011, Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 63, 2011/11, S. 440-443
  • Theunissen, Georg: Kunst und geistige Behinderung, Klinkhardt, 2004
  • Kuhfuss, Werner: Schiller, Deinhard, Steiner und die Erziehung zur ätherischen Welt, in: Der Europäer Jg. 4 / Nr. 12 / Oktober 2000. S. 16 - 18, PDF
  • Karl Hubert (Carl Hubert): Heinrich Deinhardt, in: Österreichischer Schulbote 30 (7/8), 1880, S. 93 - 104
  • Hermann Rollett: [Biographisches zu Deinhardt]
  • Franz Frisch: Pädagogische Bildnisse, Langensalza, 1888 (Biographisches)
  • Jessen: Geborgene Gaben, 1. Bd., Leipzig 1907 (Biographisches)
  • Stephan Siber: Aesthetic Education and Social Sculpture: Heinrich Marianus Deinhardt's Unnoticed Contribution to the Evolution of Joseph Beuys' 'Expanded Conception of Art' (www.social-sculpture.org) (in Vorbereitung)

Weblinks