Farbmeditation

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Sechstteiliger Farbkreis, Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe.

Die Farbmeditation beruht grundlegend auf der konzentrierten Versenkung des Bewusstseins in einzelne Farbqualitäten, in Farbkombinationen oder auch in den ganzen Farbkreis und seinen inneren Zusammenhang. Rudolf Steiner hat dazu viele Anregungen in seinen Vorträgen über Das Wesen der Farben gegeben. Ein reiches Übungsfeld bietet auch die meditative Betrachtung von Goethes Farbenlehre und insbesondere der von ihm beschriebenen Urphänomene der Chromatik. Ziel der Farbmeditation ist es letztlich, durch das Erleben der Farben zu einem imaginativen Erleben der verschiedenen geistigen Weltbereiche vorzudringen. Das ahnte schon Goethe und scheute nicht davor zurück, in seiner Farbenlehre zuletzt auch auf den allegorischen, symbolischen und mystischen Gebrauch der Farbe einzugehen:

„Dass zuletzt auch die Farbe eine mystische Deutung erlaube, lässt sich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin sich die Farbenmannigfaltigkeit darstellen lässt, solche Urverhältnisse andeutet, die sowohl der menschlichen Anschauung als der Natur angehören, so ist wohl kein Zweifel, dass man sich ihrer Bezüge, gleichsam als einer Sprache, auch da bedienen könne, wenn man Urverhältnisse ausdrücken will, die nicht ebenso mächtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker schätzt den Wert und Gebrauch des Triangels; der Triangel steht bei dem Mystiker in großer Verehrung; gar manches lässt sich im Triangel schematisieren und die Farbenerscheinung gleichfalls, und zwar dergestalt, dass man durch Verdopplung und Verschränkung zu dem alten geheimnisvollen Sechseck gelangt.“

Goethe: Farbenlehre, § 918

Farbmeditation mit Zinnoberrot

Ein Grundübung der Farbmeditation ist, sich in einen reinen Farbton zu versenken und sich im Erleben ganz mit diesem zu verbinden. Wählt man dazu etwa ein leuchtendes Zinnoberrot, so strahlt einem daraus bei fortgesetzter Übung die Aktivität der geistigen Welt entgegen, die sich bis hin zum Zorn Gottes steigern kann, aber auch formend in die räumliche Welt eingreift. Soll dazu die Barmherzigkeit und Güte Gottes hinzutreten, müssen wir von der Mitte her einen Ton von Rosaviolett schwach andeuten müssen als hineinstrahlend in das auseinanderstiebende Rot.

"Nehmen wir einmal zunächst als Grundlage eine Einzelheit. Wir nehmen einfach den Fall, daß wir unseren Blick auf eine gleichmäßig in stark zinnobrigem Rot leuchtende Farbenfläche richten, und wir nehmen ferner an, daß wir dazu gelangen, alles übrige, das um uns herum ist, zu vergessen, uns zu konzentrieren ganz auf das Erleben dieser Farbe, so daß wir diese Farbe nicht bloß als etwas vor uns haben, das auf uns wirkt, sondern so, daß wir diese Farbe als etwas haben, worin wir selber sind, daß wir eins werden mit dieser Farbe. Wir werden dann gleichsam die Empfindung haben können: Du bist jetzt in der Welt, du bist selbst in dieser Welt ganz Farbe geworden, das Innerste deines Seelenwesens ist ganz Farbe geworden, wo du auch hinkommen magst in der Welt mit deiner Seele, wirst du als roterfüllte Seele hinkommen, du wirst überall in Rot, mit Rot und aus Rot leben. — Dies aber wird man bei intensivem Seelenleben nicht erleben können, ohne daß die entsprechende Empfindung übergeht in ein moralisches Erleben, in wirkliches moralisches Erleben.

Wenn man so gleichsam die Welt durchschwimmt als Rot, identisch geworden ist mit dem Rot, wenn einem also selbst die Seele und auch die Welt ganz rot ist, so wird man nicht umhin können, in dieser rot gewordenen Welt, mit der man selber rot ist, zu empfinden, als wenn diese ganze Welt im Rot zugleich uns durchsetzt mit der Substanz des göttlichen Zornes, der uns von allen Seiten entgegenstrahlt für alles dasjenige, was an Möglichkeiten des Bösen und der Sünde in uns ist. Wir werden uns gleichsam in dem unendlichen roten Raum wie in einem Strafgerichte Gottes empfinden können, und unser moralisches Empfinden wird wie eine moralische Empfindung unserer Seele im ganzen unendlichen Raum sein können. Und wenn dann die Reaktion kommt, wenn irgend etwas auftaucht in unserer Seele, wenn wir uns also im unendlichen Rot erleben, ich könnte auch sagen, im einzigen Rot erleben, so kann es nur so sein, daß man es bezeichnen möchte mit dem Worte: Man lernt beten. Wenn man im Rot erleben kann das Erstrahlen und Erglühen des göttlichen Zornes mit allem, was an Möglichkeiten des Bösen in der menschlichen Seele liegen kann, und wenn man im Rot erfahren kann, wie man beten lernt, dann ist das Erleben mit dem Rot unendlich vertieft. Dann können wir auch verspüren, wie sich das Rot formend in die Räumlichkeit hineinstellen kann.

Wir können es dann begreifen, wie wir erleben können ein Wesen, das von sich Gutes ausstrahlt, das erfüllt ist mit göttlicher Güte und göttlicher Barmherzigkeit, ein Wesen, das wir hineinempfinden wollen in den Raum. Dann werden wir die Notwendigkeit fühlen, dieses Hineinempfinden in den Raum der göttlichen Barmherzigkeit, der göttlichen Güte, zur Form aus der Farbe heraus sich gestalten zu lassen. Wir werden das Bedürfnis empfinden, abwehren zu lassen die Räumlichkeit, so daß die Güte, die Barmherzigkeit ausstrahlt. Bevor sie da war, war es so zusammengezogen, ganz konzentriert im Mittelpunkt, und jetzt stellt sie sich hinein, diese Güte und Barmherzigkeit, in den Raum, und wie Wolken auseinandergetrieben werden, so treibt sie das zurück, treibt es auseinander, so daß es vor der Barmherzigkeit weicht und wir das Gefühl bekommen: das mußt du verlaufend rot machen. Und dann werden wir das Gefühl bekommen: Hier in der Mitte werden wir eine Art Rosaviolett schwach andeuten müssen als hineinstrahlend in das auseinanderstiebende Rot [siehe Zeichnung].

Wir werden dann mit unserer ganzen Seele bei einem solchen Sich- Formen der Farbe dabei sein. Wir werden mit unserer ganzen Seele etwas nachempfinden, was die Wesen empfunden haben, die insbesondere zu unserem Erdenwerden gehören, die, als sie zu dem Elohimdasein aufgestiegen waren, gelernt haben, aus den Farben heraus die Formenwelt zu gestalten. Wir werden lernen, etwas zu empfinden von dem Schöpferischen der Geister der Form, die uns als Geister die Elohim sind, und wir werden dann begreifen, wie die Formen der Farbe Werk sein können, was angedeutet worden ist in unserem ersten Mysterium. Wir werden auch etwas begreifen davon, wie gleichsam die Fläche der Farbe für uns etwas wird, was überwunden werden muß, weil wir mit der Farbe in das Weltenall gehen. Wenn das bei einer starken Wunschentwickelung auftritt, dann kann eine solche Empfindung entstehen, wie diejenige ist, die in Strader lebt in dem Augenblicke, wo er das Ebenbild des Capesius sieht und sagt: «Die Leinwand, ich möchte sie durchstoßen.»" (Lit.: G)}}

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Das Wesen der Farben, GA 291 (1991), ISBN 3-7274-2910-0
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.