Niels Bohr und Philolaos: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Philolaos''' ([[Griechisches Alphabet|griechisch]] {{lang|grc|Φιλόλαος}}; * wohl um [[w:470 v. Chr.|470 v. Chr.]]; † nach [[w:399 v. Chr.|399 v. Chr.]]) war ein antiker griechischer [[Philosoph]] ([[Pythagoreer]]). Er war ein Zeitgenosse des [[Sokrates]], wird aber wegen seiner Denkweise zu den [[Vorsokratiker]]n gezählt.
'''Niels Henrik David Bohr''' (* [[7. Oktober]] [[1885]] in Kopenhagen; † [[18. November]] [[1962]] ebenda) war ein dänischer [[Physiker]]. Er erhielt 1921 die Hughes-Medaille der Royal Society<ref>{{Internetquelle | url=http://royalsociety.org/awards/hughes-medal/ | titel=Hughes Medal | hrsg=The Royal Society | zugriff=2012-02-02 | sprache=en}}</ref> und den Nobelpreis für Physik im Jahr 1922 „für seine Verdienste um die Erforschung der Struktur der Atome und der von ihnen ausgehenden Strahlung“.<ref>{{Internetquelle | url=http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1922/ | titel=The Nobel Prize in Physics 1922 | hrsg=The Nobel Foundation | werk=The Official Website of the Nobel Prize | zugriff=2012-02-02 | sprache=en}}</ref>


== Leben ==
== Leben ==
=== Frühe Jahre und Ausbildungen ===
Der Vater von Niels Bohr, Christian Bohr, war Professor für [[Physiologie]];<ref name="ord">{{Internetquelle | url=http://www.lib.uchicago.edu/e/scrc/findingaids/view.php?eadid=ICU.SPCL.BOHR | titel=Guide to the Niels Bohr Collection 1909–1963 | hrsg=University of Chicago Library | datum=2006 | zugriff=2012-02-02 | sprache=en}}</ref> seine Mutter Ellen (geb. Adler) entstammte einer jüdischen Familie. Gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder Harald Bohr führte er regelmäßig Gespräche und Diskussionen zu wissenschaftlichen Themen, die bei beiden Brüdern das Interesse für die Naturwissenschaften stärkten und das spätere Leben prägten. „Ich wuchs in einem Haus mit einem reichen intellektuellen Leben auf, in dem wissenschaftliche Diskussionen alltäglich waren. In der Tat machte mein Vater kaum eine Unterscheidung zwischen seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit und seinem lebhaften Interesse an allen Problemen des menschlichen Lebens“, urteilt Niels Bohr später rückblickend über sein Elternhaus. Harald Bohr wurde später Professor für Mathematik, während sich Niels Bohr der Physik zuwendete. Beide waren darüber hinaus in der Anfangszeit des Fußballs auf dem europäischen Kontinent als Fußballspieler für den Verein Akademisk Boldklub aktiv, Niels Bohr als Torhüter. Sein Bruder schaffte sogar den Sprung in die dänische Nationalmannschaft und nahm am ersten Fußballturnier der Olympischen Sommerspiele 1908 teil. Ob Niels Bohr auch zu den Ehren eines Nationalspielers kam, ist aufgrund der Quellenlage der frühen dänischen Länderspiele abseits der olympischen Turniere nicht bekannt.


Nach dem Abitur an der Latein- und Oberrealschule im Kopenhagener Stadtteil Gammelholm<ref>{{Internetquelle |url=http://www.uni-muenster.de/Physik/Studieninteressierte/Wissenswertes/beruehmte.html |titel=Stimmen von berühmten Physikern |zugriff=2010-02-27 |hrsg=Universität Münster}}</ref> im Jahr 1903 studierte Niels Bohr Physik, Mathematik, Chemie, Astronomie und Philosophie an der Universität Kopenhagen. Manche schreiben ihm die „Rolle“ als Prüfling in der sogenannten [[Barometer-Frage]] zu. 1907 erhielt er die Goldmedaille der ''Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften'' für seine Arbeit über die [[Oberflächenspannung]] von Flüssigkeiten. Sein Magisterabschluss erfolgte 1909 und im Jahr 1911 schloss er sein Studium mit seiner Doktorarbeit bei Christian Christiansen über die [[Magnetismus|magnetischen]] Eigenschaften von [[Metalle]]n ab  (''Studier over metallernes elektrontheori''). Im selben Jahr wechselte er nach Cambridge an das Cavendish Laboratory, das vom Physik-Nobelpreisträger von 1906, Joseph John Thomson, geleitet wurde, und ein Jahr später nach Manchester in das Labor von Ernest Rutherford, der 1908 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte. Hier lernte Niels Bohr auch Margarethe Nørlund kennen, die er später heiratete. Gemeinsam mit ihr hatte er sechs Söhne, von denen zwei schon in jungen Jahren starben. Ihr Sohn Aage Niels Bohr erhielt 1975 den Physik-Nobelpreis.
Über das Leben des Philolaos ist wenig bekannt. Wahrscheinlich stammte er aus [[Crotone|Kroton]]. Vermutlich lebte er später in [[Tarent]].<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 6.</ref>


=== Entwicklung des Bohrschen Atommodells ===
Um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts brachen in Süditalien schwere antipythagoreische Unruhen aus. Die Versammlungsstätte der Pythagoreer in Kroton, das Haus des (längst verstorbenen) Athleten [[Milon]], wurde angezündet. Dabei sollen alle anwesenden Pythagoreer außer zweien ums Leben gekommen sein. Nach der Darstellung des spätantiken [[Neuplatonismus|Neuplatonikers]] [[Olympiodoros der Jüngere|Olympiodoros]] war Philolaos einer der beiden, die entkamen. Damit stimmt [[Plutarch]]<ref>Plutarch, ''De genio Socratis'' 13 (583a).</ref> überein, der jedoch den Vorgang irrtümlich nach [[Metapont]] verlegt und hinzufügt, Philolaos sei dann zunächst nach [[Lukanien]] geflohen. [[Aristoxenos]], dessen Bericht glaubwürdiger ist, kennt die Geschichte auch, gibt jedoch statt Philolaos’ Namen einen anderen ([[Archippos von Tarent]]) an. Jedenfalls emigrierten manche Pythagoreer, darunter Philolaos, wegen der Verfolgung in Süditalien nach Griechenland. Philolaos ließ sich zeitweilig in [[Theben (Böotien)|Theben]] nieder. In [[Platon]]s [[Platonischer Dialog|Dialog]] ''[[Phaidon]]'', der sich im Jahr 399 abspielt, wird er als ehemaliger Lehrer zweier Dialogteilnehmer, der Thebaner [[Kebes]] und Simmias, erwähnt.<ref>Platon, ''Phaidon'' 61d–e.</ref> Nach einer Überlieferung, deren Zuverlässigkeit ungewiss ist, traf Platon auf seiner ersten Italienreise (um 388) mit Philolaos zusammen, der in diesem Fall aus Griechenland heimgekehrt sein müsste.<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 4 f.</ref>
Während des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieges]] nahm Niels Bohr 1914 eine Dozentenstelle in Manchester und kurz danach in Kopenhagen an. Zwei Jahre später wurde er Professor für Physik an der Universität in Kopenhagen. Bei einem Aufenthalt und Vortrag in Berlin 1920 machte er die Bekanntschaft mit [[Max Planck]] und [[Albert Einstein]]. Mit Hilfe der von ihnen aufgestellten Theorien zur [[Quantenphysik]], die er mit den Gesetzen der klassischen Physik verband, gelang es Bohr bereits 1913, das [[Bohrsches Atommodell|Bohrsche Atommodell]] zu erstellen. Mit dem Modell konnten die [[Linienspektrum|Linienspektren]] des Wasserstoffs erklärt werden. Aus heutiger Sicht ist es wie seine Weiterentwicklung zum [[Bohr-sommerfeldsches_Atommodell|Bohr-Sommerfeldschen Atommodell]] von 1915/16 überholt und durch das [[Quantenmechanik|quantenmechanische]] [[Atomorbital|Orbitalmodell]] ersetzt, obwohl es nach wie vor im Chemieunterricht von Schulen unterrichtet wird.


Trotzdem wird sein Modell als ein Meilenstein der theoretischen Physik angesehen, da hier zum ersten Mal erfolgreich auf Atom-Niveau die [[Quantisierung (Physik)|Quantisierung]] in ein Atommodell integriert wurde. Zuvor war erst seit 1911 das [[Rutherfordsches_Atommodell|Rutherfordsche Atommodell]] bekannt, demzufolge Atome keine massiven Kugeln sind, sondern aus einem winzigen Kern und einer mindestens tausendfach größeren Atomhülle bestehen.
Nach einem Bericht von zweifelhafter Glaubwürdigkeit war Philolaos ein Schüler des Pythagoreers [[Lysis (Pythagoreer)|Lysis]] aus Tarent, der ebenfalls wegen der politischen Unruhen aus Italien nach Theben emigrierte. Als Schüler des Philolaos werden  [[Archytas von Tarent]], [[Eurytos (Philosoph)|Eurytos]] und [[Demokrit]] genannt.<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 4 und Anm. 3; zum Verhältnis zwischen Archytas und Philolaos siehe auch Carl A. Huffman: ''Archytas of Tarentum'', Cambridge 2005, S. 7.</ref>


Von 1916 bis 1919 war Niels Bohr Vorsitzender der Dänischen Physikalischen Gesellschaft und ab 1917 auch Mitglied der dänischen [[Akademie der Wissenschaften]]. 1918 formulierte er das [[Bohrsches Korrespondenzprinzip|Bohrsche Korrespondenzprinzip]], welches den Zusammenhang zwischen der Quantentheorie und der klassischen Physik erklärte und darstellte, dass sich mit steigender [[Quantenzahl]] die Gesetze des [[Plancksches Wirkungsquantum|Planckschen Wirkungsquantums]] vernachlässigen lassen. Während dieser Zeit arbeitete er daran, ein eigenes Institut an der Universität in Kopenhagen aufzubauen, das am 3. März 1921 als Institut für theoretische Physik eröffnet wurde. Seine Göttinger Vorträge, die er im Sommer 1922 hielt, wurden international bekannt und gingen als „Bohr-Festspiele“ in die Wissenschaftsgeschichte ein. 1922 gelang ihm auf der Basis des von [[Arnold Sommerfeld]] erweiterten Atommodells eine Erklärung für den Aufbau des [[Periodensystem der Elemente|Periodensystems der Elemente]], bei der er ein Schalenmodell annahm. Am 10. Dezember 1922 erhielt er für seine Forschungen über die Atomstruktur sowie die von den Atomen ausgehende Strahlung den Nobelpreis für Physik. Im selben Jahr kam auch sein Sohn [[Aage Niels Bohr]] zur Welt, der 1975 ebenfalls den Nobelpreis für Physik erhielt.
== Werk ==


=== Weiteres Wirken nach dem Nobelpreis ===
Anscheinend war Philolaos der erste Pythagoreer, der ein Buch über pythagoreische Naturphilosophie verfasste.<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 15 und Anm. 25.</ref> Von dem Werk, das in dorischem Dialekt geschrieben war, sind nur Fragmente erhalten, deren Echtheit teilweise ungewiss ist. Ein großer Teil gilt heute als authentisch. Platon soll das Buch auf seiner ersten Italienreise erworben haben; er wurde später beschuldigt, die in seinem Dialog ''[[Timaios]]'' dargelegten Lehren seien [[Plagiat|plagiiert]] und stammten in Wirklichkeit von Philolaos.<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 4 f., 12 f.</ref>
[[Datei:Niels Bohr Albert Einstein3 by Ehrenfest.jpg|mini|Niels Bohr (links) 1925 mit [[Albert Einstein]] (fotografiert von [[Paul Ehrenfest]], Photo I)]]
In den folgenden Jahren wurden das Atommodell Bohrs und die Modifikationen der Atomtheorie [[Arnold Sommerfeld]]s weiter ausgebaut, bis in der Zeit von 1925 bis 1927 die Betrachtung der Atomphysik durch die Formulierung der nichtrelativistischen Quantenmechanik revolutioniert wurde ([[Werner Heisenberg]], [[Erwin Schrödinger]], [[Paul Dirac]]). 1924 veröffentlichte Bohr zusammen mit [[Hendrik Anthony Kramers]] und [[John C. Slater]] die philosophisch bedeutsame Arbeit „The quantum theory of radiation“<ref>Bohr, Niels, H.A. Kramers, and J.C. Slater. Philosophical Magazine 47(1924): 785–802</ref>, in der erstmals die strenge Einhaltung des [[Energieerhaltungssatz#Energieerhaltungssatz in der Quantenmechanik|Energieerhaltungssatzes]] in Frage gestellt und durch statistische Energieerhaltung ersetzt wurde. 1926/27 dozierte Werner Heisenberg am Institut von Niels Bohr und durch die Diskussionen der beiden Forscher entwickelten sich Heisenbergs [[Unschärferelation]] sowie das [[Komplementaritätsprinzip]] Bohrs als „[[Kopenhagener Interpretation|Kopenhagener Deutungen]]“ der Quantentheorie, die beide 1927 publiziert wurden. Das Komplementaritätsprinzip sollte die Widerspruchsfreiheit zwischen formulierten Theorien und der Abwägung tatsächlicher Beobachtungen gewährleisten und er wendete es später auch auf Prinzipien außerhalb der Physik an.


In den Folgejahren konzentrierte sich Bohr weiterhin auf die Fragen der Quantenmechanik,<ref>So widersprach er z.&nbsp;B. entschieden einer Arbeit von Albert Einstein und Mitarbeitern aus dem Jahre 1935 (siehe [[Wikipedia:Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon|EPR-Effekt]]), in welcher Einstein im Gegensatz zur „Kopenhagener Deutung“ argumentierte, dass die Quantenmechanik durch sog. „verborgene Variable“ ergänzt werden müsse. Dies stellte sich später als Irrtum heraus, so dass hier Bohr selbst gegenüber Einstein Recht behielt.</ref> während sein Atommodell den Pionieren der [[Kernforschung]] beim Verständnis elementarer Eigenschaften der chemischen Elemente half. Das Modell bot Erklärungen für die [[Wertigkeit (Chemie)|Valenzen]], den Metall- und Nichtmetallcharakter der Stoffe sowie für die [[Ion]]eneigenschaften. Er selbst versuchte die durch den Beschuss mit Partikeln ausgelösten Reaktionen der Atomkerne zu erklären und führte zu diesem Zweck den Begriff des „[[Compoundkern]]es“ ein. 1936 entwickelte er zwei neue [[Atomkern#Kernmodelle|Kernmodelle]], die er als [[Sandsackmodell|Sandsack-]] und [[Tröpfchenmodell]] bezeichnete. Gemeinsam mit [[John Archibald Wheeler]] erarbeitete er die Möglichkeit der Energiegewinnung, nachdem [[Otto Hahn]] und [[Friedrich Wilhelm Straßmann]] die erste Kernspaltung durchführten.
== Lehre ==


Während der [[Unternehmen Weserübung|deutschen Besatzung Dänemarks]] engagierte sich Niels Bohr im [[dänischer Widerstand|dänischen Widerstand]]. 1943 floh er mit seiner Familie unterstützt durch den britischen und dänischen Geheimdienst nach [[Schweden]]. Dort bat er beim schwedischen König und beim Außenminister erfolgreich um [[Rettung der dänischen Juden|Asyl für seine jüdischen Landsleute]]. Dann reiste er unter dem Decknamen ''Nicholas Baker'' in die USA weiter, wo er in [[Los Alamos National Laboratory|Los Alamos]] wichtige theoretische Vorarbeiten zum Bau der US-Atombombe leistete.<ref>Matthias Bath: ''Danebrog gegen Hakenkreuz'', Wachholz, 2011, ISBN 978-3-529-02817-5, S.&nbsp;137</ref> Nach dem Krieg kehrte er nach Dänemark zurück und setzte seine Forschung zur Atomenergie auf seiner alten Position fort. Gleichzeitig warnte er jedoch vor deren missbräuchlicher Nutzung, vor allem durch einen offenen Brief an die [[Vereinte Nationen|Vereinten Nationen]] 1950, und wurde deshalb 1957 Preisträger des ''„[[Atoms for Peace Award]]“''. 1962 starb er in Kopenhagen und wurde auf dem [[Assistenzfriedhof]] beigesetzt.
Das philosophische Denken des Philolaos kreist um den Gegensatz zwischen den unbegrenzten Dingen (''ápeira'') und den grenzbildenden Dingen (''peraínonta''). Dieser Gegensatz ist für ihn die primäre Gegebenheit. Aus der Verbindung von unbegrenzten und begrenzenden Dingen bzw. Faktoren (er verwendet immer den Plural) geht die gesamte Wirklichkeit hervor, sowohl der Kosmos als Ganzes als auch seine einzelnen Bestandteile. Im Unterschied zu Platons Denkweise meint Philolaos nicht abstrakte Prinzipien (Unendlichkeit und Endlichkeit), sondern sinnlich Wahrnehmbares als solches. Das Ewige und die Natur an sich hält er für unerkennbar. Alles Erkennbare ist begrenzt, anderenfalls könnte es nicht erkannt werden.


== Lebenswerk ==
Begrenzende und unbegrenzte Dinge sind von Natur aus verschiedenartig; dass sie dennoch zusammentreffen und sich miteinander verbinden und dadurch die Welt entsteht, wird durch das Hinzutreten eines dritten Faktors möglich, den er Harmonie nennt. Die Harmonie hält die Welt zusammen und verschafft ihr eine sinnvolle Struktur (nicht jede beliebige Begrenzung eines an sich grenzenlosen Kontinuums ist harmonisch). Mit den Begriffen „unbegrenzt“ und „begrenzend“ verbindet Philolaos – anders als manche andere Pythagoreer – offenbar keine moralischen Bewertungen.<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 47 Anm. 1.</ref>
[[Datei:Niels Bohr Albert Einstein by Ehrenfest.jpg|mini|Niels Bohr 1925 mit [[Albert Einstein]] (fotografiert von [[Paul Ehrenfest]], Photo II)]]
Sein wichtigster Beitrag zur Physik war das [[Bohrsches Atommodell|Bohrsche Atommodell]], das er 1913 erstmals öffentlich vorstellte. Es stellt einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der [[Quantenmechanik]] dar. Weitere auf ihn zurückgehende Konzepte sind das [[Korrespondenzprinzip]], das den Übergang der Quantenmechanik zur klassischen Mechanik beschreibt, und das Prinzip der [[Komplementarität (Physik)|Komplementarität]], das besagt, dass die Kenntnis bestimmter [[Messgröße]]n notwendigerweise eine totale Unkenntnis bestimmter anderer Größen bedingt. In seinen wissenschaftskritischen Arbeiten vertrat Bohr die Auffassung, dass es von den jeweiligen Beobachtungspraktiken abhängig ist, was eine Apparatur überhaupt ausmacht.<ref>Karen Barad: „Getting Real. Technoscientific Practices and the Materialization of Reality,“ in: differences. A Journal of Feminist Cultural Studies 10 (2), 1998: 87-128.</ref>


== Werke (Auswahl) ==
Da die Objekte der Erkenntnis also endliche Größen sind, sind sie mathematisch ausdrückbar. Nur durch die ihnen zugeordneten Zahlen erschließen sie sich menschlichem Verständnis.
*''Collected Works'', 13 Bände, Herausgeber Leon Rosenfeld, Erik Rüdinger, Finn Aaserud u.&nbsp;a., North Holland, Elsevier, 1972 bis 2008
 
* [http://web.ihep.su/owa/dbserv/hw.part2?s_c=BOHR+1913 Bohr ''On the constitution of atoms and molecules I'', Philosophical Magazine 1913, Bohr´s Atommodell]
Umstritten ist, inwieweit bzw. in welchem Sinne Philolaos und andere frühe Pythagoreer auf eine modernem Denken fremde Art die Auffassung vertreten haben, dass physische Objekte selbst die ihnen entsprechenden Zahlen sind (wie eine auf [[Aristoteles]] zurückgehende, vielleicht missverständliche Deutung der pythagoreischen Zahlenlehre besagt).<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 56 ff., 205 und Leonid Zhmud: ''Wissenschaft, Philosophie und Religion im frühen Pythagoreismus'', Berlin 1997, S. 263 f. plädieren für Beschränkung auf ein [[Erkenntnistheorie|epistemologische]]s Verständnis, während Hermann S. Schibli: ''On ‚The One’ in Philolaus, Fragment 7''. In: ''The Classical Quarterly'' 46, 1996, S. 114–130 für eine [[Ontologie|ontologische]] Deutung im Sinne von Aristoteles’ Auffassung eintritt; vgl. auch die Position von Charles H. Kahn: ''Pythagoras and the Pythagoreans. A Brief History'', Indianapolis 2001, S. 27–29.</ref> Jedenfalls war das Zahlenverständnis dieser vorsokratischen Pythagoreer noch nicht abstrakt in dem seit Platon geläufigen Sinne.
* [http://web.ihep.su/owa/dbserv/hw.part2?s_c=BOHR+1913B Bohr ''On the constitution of atoms and molecules II'', Philosophical Magazine 1913]
 
* [http://web.ihep.su/owa/dbserv/hw.part2?s_c=BOHR+1918 Bohr ''On the quantum theory of line spectra'', Mitt.Kgl.Dänische Akad.Wiss. 1918, Korrespondenzprinzip]
=== Kosmologie ===
* ''The Theory of Spectra and Atomic Constitution'', University Press, Cambridge, 1922 und 1924
 
* ''Atomic Theory and the Description of Nature'', University Press, Cambridge, 1934
Indem die Harmonie die beiden Urgegebenheiten, die grenzenlosen und die begrenzenden Dinge bzw. Faktoren, zusammenfügt, entsteht der Kosmos als ein wohlgeordnetes Weltganzes. Diese Weltordnung stellt Philolaos in einem astronomischen Modell dar, das vielleicht zumindest teilweise auf ihn selbst zurückgeht. Astronomiehistorisch interessant ist das Modell vor allem dadurch, dass es nicht – wie damals üblich – die Erde in den Mittelpunkt des Universums stellt. Vielmehr nimmt Philolaos in der Mitte ein hypothetisches Zentralfeuer („Herd“) an, das von allen Himmelskörpern einschließlich der Erde umkreist wird. Bei ihrem Umlauf um das Zentralfeuer vollzieht die Erde eine Achsendrehung, die so an ihre Kreisbewegung gekoppelt ist, dass sie dem Zentralfeuer immer die gleiche Seite zuwendet. Das Zentralfeuer ist für die Menschen unsichtbar, da sie auf der ihm stets abgewendeten Seite der Erde leben. Auf der innersten Kreisbahn bewegt sich – immer der Erde gegenüber und daher ebenfalls stets für uns unsichtbar – eine [[Gegenerde]]. Weiter außen als die Erde kreisen der Mond, die Sonne und die fünf damals bekannten Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn) um das Zentralfeuer, um das sich auch ganz außen die Fixsternsphäre dreht. Die Fixsternsphäre als Außengrenze des Kosmos ist überall von einem äußeren Feuer umgeben. Den Mond hält Philolaos für bewohnt, die Sonne betrachtet er als glasartigen Körper, der wie eine Linse Licht und Hitze, die vom äußeren Feuer kommen, sammelt und weiterleitet.<ref>Eine Deutung unter astronomischem Gesichtspunkt versucht Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 240 ff.; mythische Wurzeln betonen Walter Burkert: ''Weisheit und Wissenschaft'', Nürnberg 1962, S. 315 ff. und Peter Kingsley: ''Ancient Philosophy, Mystery, and Magic'', Oxford 1995, S. 172–213.</ref>
* ''Neutron capture and nuclear constitution'', Nature, 137 (1936) 344
 
* ''The Unity of Knowledge'', Doubleday & Co., New York, 1955.
Die Entstehung der Welt ([[Kosmogonie]]) stellt sich Philolaos so vor, dass sich die Welt von der Mitte (dem Zentralfeuer) aus in alle Richtungen zugleich und in gleicher Weise entwickelt hat. Dies hält er für notwendig, da er keine Richtung als besonders ausgezeichnet betrachtet, sondern Richtungen wie „aufwärts“ und „abwärts“ nur als relative, standortabhängige Aussagen in einem [[Symmetrie (Geometrie)|punktsymmetrischen]] Universum auffasst. Indem unbegrenzte Faktoren wie Zeit und leerer Raum mit begrenzenden – wie der kugelförmigen Gestalt des Universums mit einem Mittelpunkt – verbunden werden, entsteht die Welt.
* ''Essays 1958–1962 on Atomic Physics and Human Knowledge'', herausgegeben von John Wiley and Sons, New York and London 1963
 
* ''Light and Life revisited'', ICSU Rev., 5 (1963) 194
=== Musiktheorie ===
 
Über die Musiktheorie des Philolaos informiert knapp [[Nikomachos von Gerasa]] in seinem ''Harmonikón encheirídion'' ("Handbuch der Harmonielehre"), wobei er auch eine Passage aus dem verlorenen Werk des Philolaos zitiert. Dieses Philolaos-Fragment (Nr. 6a) gilt heute als echt.<ref>Griechischer Text, englische Übersetzung, Erörterung der Echtheitsfrage und Kommentar bei Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 145–165.</ref> Ein anderes Zitat, das [[Boëthius]] in seiner Schrift ''De institutione musica'' mitteilt,<ref>Fragment 6b, ''De institutione musica'' 3,8; griechischer Text, englische Übersetzung und Erörterung der Echtheitsfrage bei Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 364–367.</ref> sowie weitere Angaben von Boethius, [[Proklos]] und [[Porphyrios]] stammen wohl aus einer späteren, Philolaos zu Unrecht zugeschriebenen verlorenen Abhandlung, die bereits den Einfluss von Überlegungen zeigt, welche in der frühen [[Platonische Akademie|Platonischen Akademie]] angestellt wurden.<ref>Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic'', Cambridge 1993, S. 367–380.</ref> Diese Quellen kommen daher für eine Rekonstruktion von Philolaos' Musiklehre nicht in Betracht.
 
Das von Nikomachos überlieferte Fragment fällt durch seine altertümliche Ausdrucksweise auf. So bezeichnet Philolaos die [[Musiktheorie im antiken Griechenland#Tonstufennamen|Paramese]] als "Trite", und auch für die [[Quarte]] und die [[Quinte]] verwendet er später ungebräuchliche Fachausdrücke, die anscheinend alter Musikpraxis entstammen. Philolaos ging wohl von einer siebensaitigen [[Lyra (Zupfinstrument)|Lyra]] aus, wobei die sieben Saiten eine [[Oktave]] ergaben, in der ein Ton fehlte. Die vorausgesetzte Tonleiter ist e f g a h d' e', der fehlende Ton c'. Dabei ist die Paramese h, nicht – wie sonst üblich – b oder c'. Dies wurde Philolaos, wie Nikomachos berichtet, von Kritikern als Fehler angekreidet.<ref>Walter Burkert: ''Weisheit und Wissenschaft'', Nürnberg 1962, S. 369–372.</ref>
 
== Rezeption ==
Die antike Philolaos-Rezeption war, wie [[w:Claudius Aelianus|Aelian]] bedauernd feststellte, relativ schwach.<ref>Aelian, ''Varia historia'' 1,23.</ref> Aristoteles setzte sich kritisch mit der Kosmologie des Philolaos auseinander; zu seiner Zeit war dessen Buch also noch zugänglich. Später nahm das Interesse an Philolaos ab. In der Spätantike hatte sein Name einen guten Klang, wie einige ihm zugeschriebene unechte Werke ([[Pseudepigraphie|Pseudepigraphen]]) erkennen lassen. In der Frühen Neuzeit erlangte er wieder eine gewisse Bedeutung, da [[Nikolaus Kopernikus]] sich für alle historisch bezeugten Alternativen zum geozentrischen Weltbild interessierte und sich daher auch von Philolaos anregen ließ.<ref>Charles H. Kahn: ''Pythagoras and the Pythagoreans. A Brief History'', Indianapolis 2001, S. 26; Walter Burkert: ''Weisheit und Wissenschaft'', Nürnberg 1962, S. 315; Bronisław Biliński: ''Il pitagorismo di Niccolò Copernico'', Wrocław 1977, S. 47–71.</ref>
 
== Textausgaben ==
* Carl A. Huffman: ''Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic''. Cambridge University Press, Cambridge 1993, ISBN 0-521-41525-X (Ausgabe der Fragmente des Philolaos und Zusammenstellung der sonstigen Quellenzeugnisse mit englischer Übersetzung und ausführlichem Kommentar)
* Laura Gemelli Marciano (Hrsg.): ''Die Vorsokratiker''. Band 1, Artemis & Winkler, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-7608-1735-4, S. 140–151 (griechische Texte mit deutscher Übersetzung, Erläuterungen sowie Einführung zu Leben und Werk)
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Philolaos}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Ruth Moore: ''Niels Bohr. Ein Mann und sein Werk verändern die Welt''. List Verlag, München 1970.
* Walter Burkert: ''Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon'' (= ''Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft'', Band 10). Hans Carl, Nürnberg 1962 (Habilitationsschrift).
* Pascual Jordan: ''Begegnungen. Albert Einstein, Karl Heim, Hermann Oberth, Wolfgang Pauli, Walter Heitler, Max Born, Werner Heisenberg, Max von Laue, Niels Bohr.'' Stalling, Oldenburg u.&nbsp;a. 1971, ISBN 3-7979-1934-4.
* Constantinos Macris: ''Philolaos de Crotone.'' In: Richard Goulet (Hrsg.): ''Dictionnaire des philosophes antiques.'' Band 7, CNRS Éditions, Paris 2018, ISBN 978-2-271-09024-9, S. 637–667
* Friedrich Hund: ''Korrespondenz und Komplementarität – Bohrs Weg zur Atomdynamik''. Phys. Bl. 41 (1985) Nr. 9, Physik-Verlag Weinheim, S. 303–317.
* Leonid Zhmud: ''Philolaos aus Kroton''. In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): ''Frühgriechische Philosophie'' (= ''[[Grundriss der Geschichte der Philosophie]]. Die Philosophie der Antike'', Band 1), Halbband 1, Schwabe, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 421–424.
* Abraham Pais: ''Niels Bohr´s times. In physics, philosophy, and polity''. Clarendon Press, Oxford 1991, ISBN 0-19-852049-2.
* Stefan Rozental: ''Schicksalsjahre mit Niels Bohr. Erinnerungen an den Begründer der modernen Atomtheorie.'' Aus dem Dänischen übersetzt von Klaus Stolzenburg. DVA, Stuttgart 1991, ISBN 3-421-06615-9.
* Ulrich Röseberg: ''Niels Bohr. Leben und Werk eines Atomphysikers. 1885–1962.'' 3. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Berlin u.&nbsp;a. 1992, ISBN 3-86025-017-5.
* Bernhard Kupfer: ''Lexikon der Nobelpreisträger''. Patmos Verlag, Düsseldorf 2001, ISBN 3-491-72451-1.
* ''Brockhaus Nobelpreise. Chronik herausragender Leistungen''. 2. Auflage. Brockhaus, Mannheim u.&nbsp;a. 2004, ISBN 3-7653-0492-1.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat}}
* {{DNB-Portal|118791974}}
{{Wikiquote}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/philolaus/|Philolaus|Carl Huffman}}
* {{DNB-Portal|118661051}}
* {{Pressemappe|FID=pe/002096}}
* {{nobel-ph|1922|Niels Bohr}}
* [http://dieumsnh.qfb.umich.mx/archivoshistoricosmq/ Archivos históricos de la mecánica quántica] (umfangreiche Sammlung historischer Texte zur Quantenmechanik)
* [https://zbmath.org/authors/?q=ai:bohr.niels Autoren-Profil] in der Datenbank zbMATH
*[http://www.bourbaphy.fr/decembre2013.html Poincaré Seminar 2013 zu Bohr]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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{{SORTIERUNG:Bohr, Niels}}


[[Kategorie:Physiker (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Vorsokratiker]]
[[Kategorie:Chemiker (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Grieche (Antike)]]
[[Kategorie:Quantenphysiker]]
[[Kategorie:Musiktheoretiker]]
[[Kategorie:Kernphysiker]]
[[Kategorie:Geboren im 5. Jahrhundert v. Chr.]]
[[Kategorie:Hochschullehrer]]
[[Kategorie:Gestorben im 4. Jahrhundert v. Chr.]]
[[Kategorie:Däne]]
[[Kategorie:Geboren 1885]]
[[Kategorie:Gestorben 1962]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 14. August 2020, 17:22 Uhr

Philolaos (griechisch Φιλόλαος; * wohl um 470 v. Chr.; † nach 399 v. Chr.) war ein antiker griechischer Philosoph (Pythagoreer). Er war ein Zeitgenosse des Sokrates, wird aber wegen seiner Denkweise zu den Vorsokratikern gezählt.

Leben

Über das Leben des Philolaos ist wenig bekannt. Wahrscheinlich stammte er aus Kroton. Vermutlich lebte er später in Tarent.[1]

Um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts brachen in Süditalien schwere antipythagoreische Unruhen aus. Die Versammlungsstätte der Pythagoreer in Kroton, das Haus des (längst verstorbenen) Athleten Milon, wurde angezündet. Dabei sollen alle anwesenden Pythagoreer außer zweien ums Leben gekommen sein. Nach der Darstellung des spätantiken Neuplatonikers Olympiodoros war Philolaos einer der beiden, die entkamen. Damit stimmt Plutarch[2] überein, der jedoch den Vorgang irrtümlich nach Metapont verlegt und hinzufügt, Philolaos sei dann zunächst nach Lukanien geflohen. Aristoxenos, dessen Bericht glaubwürdiger ist, kennt die Geschichte auch, gibt jedoch statt Philolaos’ Namen einen anderen (Archippos von Tarent) an. Jedenfalls emigrierten manche Pythagoreer, darunter Philolaos, wegen der Verfolgung in Süditalien nach Griechenland. Philolaos ließ sich zeitweilig in Theben nieder. In Platons Dialog Phaidon, der sich im Jahr 399 abspielt, wird er als ehemaliger Lehrer zweier Dialogteilnehmer, der Thebaner Kebes und Simmias, erwähnt.[3] Nach einer Überlieferung, deren Zuverlässigkeit ungewiss ist, traf Platon auf seiner ersten Italienreise (um 388) mit Philolaos zusammen, der in diesem Fall aus Griechenland heimgekehrt sein müsste.[4]

Nach einem Bericht von zweifelhafter Glaubwürdigkeit war Philolaos ein Schüler des Pythagoreers Lysis aus Tarent, der ebenfalls wegen der politischen Unruhen aus Italien nach Theben emigrierte. Als Schüler des Philolaos werden Archytas von Tarent, Eurytos und Demokrit genannt.[5]

Werk

Anscheinend war Philolaos der erste Pythagoreer, der ein Buch über pythagoreische Naturphilosophie verfasste.[6] Von dem Werk, das in dorischem Dialekt geschrieben war, sind nur Fragmente erhalten, deren Echtheit teilweise ungewiss ist. Ein großer Teil gilt heute als authentisch. Platon soll das Buch auf seiner ersten Italienreise erworben haben; er wurde später beschuldigt, die in seinem Dialog Timaios dargelegten Lehren seien plagiiert und stammten in Wirklichkeit von Philolaos.[7]

Lehre

Das philosophische Denken des Philolaos kreist um den Gegensatz zwischen den unbegrenzten Dingen (ápeira) und den grenzbildenden Dingen (peraínonta). Dieser Gegensatz ist für ihn die primäre Gegebenheit. Aus der Verbindung von unbegrenzten und begrenzenden Dingen bzw. Faktoren (er verwendet immer den Plural) geht die gesamte Wirklichkeit hervor, sowohl der Kosmos als Ganzes als auch seine einzelnen Bestandteile. Im Unterschied zu Platons Denkweise meint Philolaos nicht abstrakte Prinzipien (Unendlichkeit und Endlichkeit), sondern sinnlich Wahrnehmbares als solches. Das Ewige und die Natur an sich hält er für unerkennbar. Alles Erkennbare ist begrenzt, anderenfalls könnte es nicht erkannt werden.

Begrenzende und unbegrenzte Dinge sind von Natur aus verschiedenartig; dass sie dennoch zusammentreffen und sich miteinander verbinden und dadurch die Welt entsteht, wird durch das Hinzutreten eines dritten Faktors möglich, den er Harmonie nennt. Die Harmonie hält die Welt zusammen und verschafft ihr eine sinnvolle Struktur (nicht jede beliebige Begrenzung eines an sich grenzenlosen Kontinuums ist harmonisch). Mit den Begriffen „unbegrenzt“ und „begrenzend“ verbindet Philolaos – anders als manche andere Pythagoreer – offenbar keine moralischen Bewertungen.[8]

Da die Objekte der Erkenntnis also endliche Größen sind, sind sie mathematisch ausdrückbar. Nur durch die ihnen zugeordneten Zahlen erschließen sie sich menschlichem Verständnis.

Umstritten ist, inwieweit bzw. in welchem Sinne Philolaos und andere frühe Pythagoreer auf eine modernem Denken fremde Art die Auffassung vertreten haben, dass physische Objekte selbst die ihnen entsprechenden Zahlen sind (wie eine auf Aristoteles zurückgehende, vielleicht missverständliche Deutung der pythagoreischen Zahlenlehre besagt).[9] Jedenfalls war das Zahlenverständnis dieser vorsokratischen Pythagoreer noch nicht abstrakt in dem seit Platon geläufigen Sinne.

Kosmologie

Indem die Harmonie die beiden Urgegebenheiten, die grenzenlosen und die begrenzenden Dinge bzw. Faktoren, zusammenfügt, entsteht der Kosmos als ein wohlgeordnetes Weltganzes. Diese Weltordnung stellt Philolaos in einem astronomischen Modell dar, das vielleicht zumindest teilweise auf ihn selbst zurückgeht. Astronomiehistorisch interessant ist das Modell vor allem dadurch, dass es nicht – wie damals üblich – die Erde in den Mittelpunkt des Universums stellt. Vielmehr nimmt Philolaos in der Mitte ein hypothetisches Zentralfeuer („Herd“) an, das von allen Himmelskörpern einschließlich der Erde umkreist wird. Bei ihrem Umlauf um das Zentralfeuer vollzieht die Erde eine Achsendrehung, die so an ihre Kreisbewegung gekoppelt ist, dass sie dem Zentralfeuer immer die gleiche Seite zuwendet. Das Zentralfeuer ist für die Menschen unsichtbar, da sie auf der ihm stets abgewendeten Seite der Erde leben. Auf der innersten Kreisbahn bewegt sich – immer der Erde gegenüber und daher ebenfalls stets für uns unsichtbar – eine Gegenerde. Weiter außen als die Erde kreisen der Mond, die Sonne und die fünf damals bekannten Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn) um das Zentralfeuer, um das sich auch ganz außen die Fixsternsphäre dreht. Die Fixsternsphäre als Außengrenze des Kosmos ist überall von einem äußeren Feuer umgeben. Den Mond hält Philolaos für bewohnt, die Sonne betrachtet er als glasartigen Körper, der wie eine Linse Licht und Hitze, die vom äußeren Feuer kommen, sammelt und weiterleitet.[10]

Die Entstehung der Welt (Kosmogonie) stellt sich Philolaos so vor, dass sich die Welt von der Mitte (dem Zentralfeuer) aus in alle Richtungen zugleich und in gleicher Weise entwickelt hat. Dies hält er für notwendig, da er keine Richtung als besonders ausgezeichnet betrachtet, sondern Richtungen wie „aufwärts“ und „abwärts“ nur als relative, standortabhängige Aussagen in einem punktsymmetrischen Universum auffasst. Indem unbegrenzte Faktoren wie Zeit und leerer Raum mit begrenzenden – wie der kugelförmigen Gestalt des Universums mit einem Mittelpunkt – verbunden werden, entsteht die Welt.

Musiktheorie

Über die Musiktheorie des Philolaos informiert knapp Nikomachos von Gerasa in seinem Harmonikón encheirídion ("Handbuch der Harmonielehre"), wobei er auch eine Passage aus dem verlorenen Werk des Philolaos zitiert. Dieses Philolaos-Fragment (Nr. 6a) gilt heute als echt.[11] Ein anderes Zitat, das Boëthius in seiner Schrift De institutione musica mitteilt,[12] sowie weitere Angaben von Boethius, Proklos und Porphyrios stammen wohl aus einer späteren, Philolaos zu Unrecht zugeschriebenen verlorenen Abhandlung, die bereits den Einfluss von Überlegungen zeigt, welche in der frühen Platonischen Akademie angestellt wurden.[13] Diese Quellen kommen daher für eine Rekonstruktion von Philolaos' Musiklehre nicht in Betracht.

Das von Nikomachos überlieferte Fragment fällt durch seine altertümliche Ausdrucksweise auf. So bezeichnet Philolaos die Paramese als "Trite", und auch für die Quarte und die Quinte verwendet er später ungebräuchliche Fachausdrücke, die anscheinend alter Musikpraxis entstammen. Philolaos ging wohl von einer siebensaitigen Lyra aus, wobei die sieben Saiten eine Oktave ergaben, in der ein Ton fehlte. Die vorausgesetzte Tonleiter ist e f g a h d' e', der fehlende Ton c'. Dabei ist die Paramese h, nicht – wie sonst üblich – b oder c'. Dies wurde Philolaos, wie Nikomachos berichtet, von Kritikern als Fehler angekreidet.[14]

Rezeption

Die antike Philolaos-Rezeption war, wie Aelian bedauernd feststellte, relativ schwach.[15] Aristoteles setzte sich kritisch mit der Kosmologie des Philolaos auseinander; zu seiner Zeit war dessen Buch also noch zugänglich. Später nahm das Interesse an Philolaos ab. In der Spätantike hatte sein Name einen guten Klang, wie einige ihm zugeschriebene unechte Werke (Pseudepigraphen) erkennen lassen. In der Frühen Neuzeit erlangte er wieder eine gewisse Bedeutung, da Nikolaus Kopernikus sich für alle historisch bezeugten Alternativen zum geozentrischen Weltbild interessierte und sich daher auch von Philolaos anregen ließ.[16]

Textausgaben

  • Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic. Cambridge University Press, Cambridge 1993, ISBN 0-521-41525-X (Ausgabe der Fragmente des Philolaos und Zusammenstellung der sonstigen Quellenzeugnisse mit englischer Übersetzung und ausführlichem Kommentar)
  • Laura Gemelli Marciano (Hrsg.): Die Vorsokratiker. Band 1, Artemis & Winkler, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-7608-1735-4, S. 140–151 (griechische Texte mit deutscher Übersetzung, Erläuterungen sowie Einführung zu Leben und Werk)

Siehe auch

Literatur

  • Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon (= Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft, Band 10). Hans Carl, Nürnberg 1962 (Habilitationsschrift).
  • Constantinos Macris: Philolaos de Crotone. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 7, CNRS Éditions, Paris 2018, ISBN 978-2-271-09024-9, S. 637–667
  • Leonid Zhmud: Philolaos aus Kroton. In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): Frühgriechische Philosophie (= Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Band 1), Halbband 1, Schwabe, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 421–424.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 6.
  2. Plutarch, De genio Socratis 13 (583a).
  3. Platon, Phaidon 61d–e.
  4. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 4 f.
  5. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 4 und Anm. 3; zum Verhältnis zwischen Archytas und Philolaos siehe auch Carl A. Huffman: Archytas of Tarentum, Cambridge 2005, S. 7.
  6. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 15 und Anm. 25.
  7. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 4 f., 12 f.
  8. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 47 Anm. 1.
  9. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 56 ff., 205 und Leonid Zhmud: Wissenschaft, Philosophie und Religion im frühen Pythagoreismus, Berlin 1997, S. 263 f. plädieren für Beschränkung auf ein epistemologisches Verständnis, während Hermann S. Schibli: On ‚The One’ in Philolaus, Fragment 7. In: The Classical Quarterly 46, 1996, S. 114–130 für eine ontologische Deutung im Sinne von Aristoteles’ Auffassung eintritt; vgl. auch die Position von Charles H. Kahn: Pythagoras and the Pythagoreans. A Brief History, Indianapolis 2001, S. 27–29.
  10. Eine Deutung unter astronomischem Gesichtspunkt versucht Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 240 ff.; mythische Wurzeln betonen Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft, Nürnberg 1962, S. 315 ff. und Peter Kingsley: Ancient Philosophy, Mystery, and Magic, Oxford 1995, S. 172–213.
  11. Griechischer Text, englische Übersetzung, Erörterung der Echtheitsfrage und Kommentar bei Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 145–165.
  12. Fragment 6b, De institutione musica 3,8; griechischer Text, englische Übersetzung und Erörterung der Echtheitsfrage bei Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 364–367.
  13. Carl A. Huffman: Philolaus of Croton, Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993, S. 367–380.
  14. Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft, Nürnberg 1962, S. 369–372.
  15. Aelian, Varia historia 1,23.
  16. Charles H. Kahn: Pythagoras and the Pythagoreans. A Brief History, Indianapolis 2001, S. 26; Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft, Nürnberg 1962, S. 315; Bronisław Biliński: Il pitagorismo di Niccolò Copernico, Wrocław 1977, S. 47–71.


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