Donald Tusk

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Donald Tusk (2017) Unterschrift von Donald Tusk

Donald Franciszek Tusk [ˈdɔnalt franˈʨiʃɛk ˈtusk] Audio-Datei / Hörbeispiel anhören?/i (* 22. April 1957 in Danzig, Volksrepublik Polen) ist ein polnischer Politiker und Ministerpräsident von Polen[1]. Von 2019 bis 2022 war er Vorsitzender der Europäischen Volkspartei.[2] Zuvor war er von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates und von 2007 bis 2014 Ministerpräsident der Republik Polen. Von 2003 bis 2014 war er Vorsitzender der liberal-konservativen Partei Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform). Im Oktober 2021 trat er nach einem online durchgeführten Votum der Parteimitglieder erneut an die Spitze der PO, nachdem ihn der Parteikonvent zum kommissarischen Vorsitzenden gewählt hatte.[3]

Familie

Tusks Großeltern väterlicher- und mütterlicherseits gehörten der ethnischen Minderheit der Kaschuben in der damaligen Freien Stadt Danzig an. Die Sprache seiner Großmutter mütterlicherseits Anna Liebke war Danziger Deutsch.[4] Beide Großväter waren während des Zweiten Weltkrieges zeitweilig in NS-Konzentrationslagern (KZ Stutthof und KZ Neuengamme) inhaftiert.[5] Am 2. August 1944 wurde Tusks Großvater Józef Tusk (1907–1987) aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Deutschen Volksliste zur Wehrmacht einberufen. Wahrscheinlich desertierte er, denn er trat drei Monate später am 24. November 1944 den Polnischen Streitkräften im Westen bei. Tusks Vater war Tischler und starb 1972.

Bei der Präsidentschaftswahl in Polen 2005 wurde im Wahlkampf von Tusks politischem Gegner, der Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, Recht und Gerechtigkeit) die kurze Zugehörigkeit seines Großvaters zur Wehrmacht thematisiert, um ihn selbst dadurch als unpatriotisch zu diffamieren.

Leben

Oppositionelles Engagement in der Volksrepublik

Die Niederschlagung des Aufstandes vom Dezember 1970 in Polen hat Tusk politisch geprägt.[6] Er engagierte sich in der Opposition gegen die Herrschaft der kommunistischen Polska Zjednoczona Partia Robotnicza. Als Student der Geschichtswissenschaft an der Universität Danzig war er Ende der 1970er Jahre Mitbegründer des örtlichen Studencki Komitet Solidarności (Studentischen Komitees der Solidarität). Die Gründung war eine Reaktion auf den Tod des im Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (polnisch Komitet Obrony Robotników, kurz KOR) engagierten Krakauer Studenten Stanisław Pyjas (1953–1977), für den die Oppositionellen den polnischen Staatssicherheitsdienst Służba Bezpieczeństwa verantwortlich machten. Des Weiteren war Tusk auch für die oppositionellen Wolne Związki Zawodowe Wybrzeża (Freie Gewerkschaften der Küstenregion) tätig.[7] 1980 gehörte er außerdem zu den Initiatoren des Unabhängigen Studentenverbandes (polnisch Niezależne Zrzeszenie Studentów, kurz NZS).[7] Tusk beendete sein Studium 1980 mit einer Abschlussarbeit über den Mythos und die Legende um Józef Piłsudski.

Wenige Monate nach den August-Streiks 1980 in Polen begann Tusk eine Tätigkeit als Journalist bei der Wochenzeitschrift Samorządność. Er wurde zum Vorsitzenden des Betriebskomitees der Solidarność in dem herausgebenden Verlag in Danzig gewählt. Als das Kriegsrecht in Polen 1981–1983 ausgerufen worden war, wurde er wegen seiner Oppositionstätigkeit aus diesem staatlichen Verlag entlassen und mit einem Berufsverbot belegt. 1984–1989 war er als Arbeiter bei der von den Danziger Oppositionellen unter der Leitung von Maciej Płażyński gegründeten Genossenschaft Świetlik tätig,[7] die riskante Höhenarbeiten ausführte.[8]

Politischer Aufstieg

Mit Beginn der Dritten Polnischen Republik gründete Tusk 1989 mit Jan Krzysztof Bielecki und Janusz Lewandowski den Kongres Liberalno-Demokratyczny (KLD, Liberal-Demokratischer Kongress). 1991 wurde er zum Parteivorsitzenden und erstmals in den Sejm, das polnische Parlament, gewählt. Er unterstützte 1992 mit seiner Partei das Misstrauensvotum gegen den damaligen Ministerpräsidenten Jan Olszewski und anschließend die Minderheitsregierung unter dessen Nachfolgerin Hanna Suchocka. 1993 wurde der Sejm vorzeitig aufgelöst und der KLD konnte bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Polen 1993 die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr überspringen. Nach den verlorenen Wahlen fusionierte der KLD mit der liberalen Partei Unia Demokratyczna (UD, Demokratische Union) des ehemaligen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki zur Partei Unia Wolności (UW, Freiheitsunion).[7] Nach einer verlorenen Auseinandersetzung mit Bronisław Geremek im Jahre 2000 um den Parteivorsitz verließ Tusk die UW. Mit Andrzej Olechowski und Maciej Płażyński gründete er Anfang 2001 die Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform).

Bereits 1997 war Tusk mit über 230.000 Stimmen in Danzig in den Senat der Republik Polen gewählt worden. Als Mitglied des Sejms war er 2001–2005 dessen stellvertretender Vorsitzender und davor 1997–2001 stellvertretender Vorsitzender des Senats. Die PO vertrat er im Sejm als Fraktionsvorsitzender von 2003 bis 2006. Von 2003 bis 2014 war er außerdem ihr alleiniger Parteivorsitzender.

Präsidentschaftswahlen 2005

Bei den Präsidentschaftswahl in Polen 2005 erzielte Tusk im ersten Wahlgang 36,3 Prozent der Stimmen und damit das beste Ergebnis der angetretenen Kandidaten; doch verfehlte er die notwendige Mehrheit von 50 Prozent. Er musste am 23. Oktober 2005 zur Stichwahl gegen den damaligen Warschauer Bürgermeister Lech Kaczyński, der zuvor 33,1 Prozent erlangt hatte, antreten und unterlag mit 46,5 Prozent zu 53,5 Prozent.

Parlamentswahlen 2007

Kabinett Tusk I (2007)

Bei der nach dem Zerfall der damaligen Regierungskoalition unter Führung der PiS erforderlich gewordenen Parlamentswahl in Polen 2007 setzten sich Tusk und die PO mit 41,51 Prozent der Stimmen gegenüber der PiS von Ministerpräsident Jarosław Kaczyński, mit rund 32 Prozent der Stimmen, durch. Die PO verfügte nun im Sejm zusammen mit der gemäßigt konservativen Polskie Stronnictwo Ludowe (kurz PSL, deutsch Polnische Volkspartei), die vor allem die Interessen der Landwirte vertritt, über eine Mehrheit von 240 der 460 Abgeordnetensitze. Beide Parteien verständigten sich nach dem Wahlsieg auf eine Koalition.

Tusk auf dem Kongress der EVP in Warschau 2009

Seit dem 16. November 2007 führte Tusk als Ministerpräsident die polnische Regierung. In seiner ersten Regierungserklärung, am 23. November 2007, kündigte er die baldige Ratifizierung des Vertrags von Lissabon und die Einführung des Euro in Polen an. Außerdem trat er für eine Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland ein, die in der Amtszeit seines Vorgängers Kaczyński teilweise angespannt waren. Tusk warb in diesem Zusammenhang für die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks, einer engen Kooperation zwischen Warschau, Paris und Berlin.[9] Schon im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen hatte Tusk offensiv auf eine internationale Zusammenarbeit gesetzt.

Nach den Parlamentswahlen 2011

Tusk mit Barack Obama (2011)

Bei der Parlamentswahl in Polen 2011 erreichte die PO 39,2 Prozent der Stimmen. Mit 206 Abgeordneten stellte sie danach die mit Abstand stärkste Fraktion im Sejm. Zusammen mit der PSL sowie der sich traditionell dem Regierungslager anschließenden Deutschen Minderheit in Polen, die einen Sitz erhielt, kam sie auf 235 von 460 Abgeordnetensitzen.[10] Erstmals seit dem Beginn der sogenannten Dritten Polnischen Republik war damit eine Regierung im Amt bestätigt worden. Seine Wiederwahl erfolgte am 19. November 2011.


Nach brisanten Enthüllungen aus illegal abgehörten Gesprächen verschiedener Kabinettsmitglieder legte der polnische Präsident Bronisław Komorowski der polnischen Regierung den Rücktritt nahe.[11] Auch Tusk schloss Neuwahlen nicht aus, nachdem er zunächst Rücktrittsforderungen der Opposition zurückgewiesen hatte.[12] Am 25. Juni 2014 stellte er im Sejm die Vertrauensfrage gemäß Art. 158 der Verfassung Polens. 237 von insgesamt 440 Abgeordneten sprachen der Regierung ihr Vertrauen aus, 203 stimmten gegen sie.

Präsident des Europäischen Rates von 2014 bis 2019

Am 9. September 2014 erklärte Tusk seinen vorzeitigen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten,[13] nachdem er zum Nachfolger von Herman Van Rompuy als Präsident des Europäischen Rates bestimmt worden war.[14] Tusk amtierte als kommissarischer Ministerpräsident noch bis zum 22. September 2014, als die bisherige polnische Sejmmarschallin Ewa Kopacz zu seiner Nachfolgerin gewählt wurde. Sein neues Amt in Brüssel trat Tusk zum 1. Dezember 2014 an.[15] Am 9. März 2017 wurde er gegen den Widerstand der polnischen Regierungspartei PiS als Präsident des Europäischen Rates wiedergewählt.[16] Es war seit der Schaffung des Amtes 2009 die erste Abstimmung, bei der der später gewählte Amtsinhaber nicht die Stimmen aller Länder auf sich vereinen konnte. Besonders hervorgestellt in den Medien wurde, dass das Heimatland Tusks gegen ihn gestimmt hatte und somit erstmals in der Geschichte der EU parteipolitische Erwägungen höher gewertet wurden als der „eigene“ Landesvertreter.[17][18] Am 20. November 2019 wurde Tusk zum neuen Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei gewählt. Er trat diesen Posten am 1. Dezember 2019 an. Zugleich endete seine Amtszeit als EU-Ratspräsident.[19][20]

Rückkehr nach Warschau 2019

Donald Tusk im Jahr 2021

Im Juli 2021 wählte ihn der Parteikonvent der Bürgerplattform einstimmig zum Vize-Parteichef, der kommissarisch auch die Funktion des Vorsitzenden übernahm. Im Oktober 2021 trat er nach einem online durchgeführten Votum der Parteimitglieder erneut an die Spitze der PO. Für ihn stimmten 97,4 Prozent der Parteimitglieder, die sich an dem Votum beteiligten; Gegenkandidaten hatte es nicht gegeben.[21] Am 31. Mai 2022 folgte ihm Manfred Weber im Amt des EVP-Parteivorsitzenden nach.

Tusk ging auf Konfrontationskurs zur katholischen Kirche, als er sich für die Aufhebung des Abtreibungsverbots und eine Fristenregelung wie in den meisten europäischen Staaten aussprach.[22]

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 kritisierte er die deutsche Regierung, die nach seiner Auffassung einen Beschluss über härtere Sanktionen gegenüber Russland blockierte: „Diejenigen EU-Regierungen, die harte Entscheidungen blockiert haben, haben Schande über sich selbst gebracht.“ Konkret nannte er diesbezüglich nicht nur Deutschland, sondern auch Ungarn und Italien.[23]

Im Juli 2023 sprach er sich gegen den Zuzug weiterer Migranten nach Polen aus: „Die Polen müssen die Kontrolle über ihren Staat und seine Grenzen zurückgewinnen.“[24]

Schriften

  • Idee gdańskiego liberalizmu (dt. Ideen des Danziger Liberalismus), Gdańsk 1998, ISBN 83-906004-0-4.
  • mit Grzegorz Fortuna und Krzysztof Grynder: Wrzeszcz. Gdańsk 2002, ISBN 83-912807-2-1.
  • Solidarność i duma (dt. Solidarität und Stolz), Gdańsk 2005, ISBN 83-7453-640-3.
  • mit Grzegorz Fortuna: Od Oruni po Siedlce (dt. Von Orunia nach Siedlce), Gdańsk 2005, ISBN 83-912807-7-2.
  • mit Grzegorz Fortuna: Był sobie Gdańsk (dt. Es war einmal Danzig), Gdańsk 2006, ISBN 83-906018-0-X.

Literatur

  • Adam Holesch, Axel Birkenkämper: Von Kaczyński zu Tusk. Eine deutsch-polnische Tragödie? Bouvier, Bonn 2008, ISBN 978-3-416-03235-3.
  • Olaf Müller, Bernd Vincken (Hrsg.): Die Integration vertiefen – Europas Stärken nutzen: ... an Donald Tusk (= Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen, 2010), Einhard, Aachen 2010, ISBN 978-3-936342-82-6 (teilweise deutsch und teilweise englisch).
  • Sławomir Grabias: Donald Tusk. Pierwsza niezależna biografia (dt. Donald Tusk. Die erste unabhängige Biographie), Łodź 2011, ISBN 978-83-932958-0-7.

Weblinks

Commons: Donald Tusk - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1.  Gerhard Gnauck, Warschau: Polnisches Parlament wählt Donald Tusk zum Regierungschef. In: FAZ.NET. 11. Dezember 2023, ISSN 0174-4909 (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/polnisches-parlament-waehlt-donald-tusk-zum-regierungschef-19377921.html).
  2. tagesschau.de: Tusk wird neuer Vorsitzender der EVP. Abgerufen am 5. Dezember 2019.
  3. Donald Tusk wybrany na przewodniczącego PO onet.pl, 24. Oktober 2021.
  4. Reinhold Vetter: Wohin steuert Polen? Das schwierige Erbe der Kaczyńskis. Ch. Links Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86153-468-6.
  5. Donald Tusk. Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, abgerufen am 25. Oktober 2023.
  6. Wer ist Donald Tusk? (Memento vom 21. Oktober 2007 im Internet Archive) Der Tagesspiegel, 21. Oktober 2007.
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 Donald Tusk. Kancelaria Prezesa Rady Ministrów, archiviert vom Original am 4. Oktober 2011; abgerufen am 9. Oktober 2011.
  8. wiadomosci.onet.pl
  9. Tusk will Nachbarschaft zu Deutschland verbessern. (Memento vom 24. Juli 2010 im Internet Archive) Tagesschau, 24. November 2007.
  10. Klarer Sieg, große Probleme für Donald Tusk. In: Der Tagesspiegel, 10. Oktober 2011.
  11. handelsblatt.com
  12. faz.net
  13. Polens Ministerpräsident Tusk tritt zurück. In: Die Zeit. 9. September 2014.
  14. Mogherini wird Chefdiplomatin, Tusk Ratspräsident. In: Die Welt. 30. August 2014.
  15. Ein Pole ist Merkels Mann in Brüssel. In: Rheinische Post, 1. Dezember 2014, S. A5.
  16. SPIEGEL ONLINE, Hamburg Germany: Europäische Union: Donald Tusk als EU-Ratspräsident wiedergewählt – SPIEGEL ONLINE – Politik. Abgerufen am 9. März 2017.
  17. James Kanter: Donald Tusk Gets 2nd Term as President of European Council. New York Times, 9. März 2017, abgerufen am 12. März 2017.
  18. Presseschau: "Saftige Ohrfeige" für Polen, Süddeutsche Zeitung, 10. März 2017
  19. Gabriele Lesser: Donald Tusk übernimmt den Vorsitz der Europäischen Volkspartei. Der Standard, 20, November 2019, abgerufen am selben Tage.
  20. Elena Eggert: EU-Ratspräsident Tusk übergibt an Michel. Phönix, 29. November 2019, abgerufen am 29. Dezember 2019.
  21. Donald Tusk wybrany na przewodniczącego PO onet.pl, 24. Oktober 2021.
  22. Biskupi stali się bezwolni wobec Rydzyka. "Nie reprezentują dziś własnej myśli" Newsweek Polska, 2. Januar 2023, S. 12.
  23.  Ukraine: Früherer EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisiert deutsche Sanktionspolitik. In: Der Spiegel. 25. Februar 2022, ISSN 2195-1349 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ukraine-frueherer-eu-ratspraesident-tusk-kritisiert-deutsche-sanktionspolitik-a-16833fa9-2553-42aa-84b9-6a1f5fca8062).
  24. Stimmungsmache mit Krawallen in Frankreich, in: rbb24, 8. Juli 2023.
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