Zahlensystem

Aus AnthroWiki
Version vom 28. März 2018, 08:11 Uhr von imported>Odyssee

Ein Zahlensystem (seltener auch: Zahlsystem) dient der schriftlichen Darstellung von Zahlen. Eine Zahl wird dabei nach festgelegten Regeln als eine Folge von Zahlzeichen (Ziffern) festgehalten. Im Zuge der Menschheitsgeschichte wurden verschiedene Zahlensysteme entwickelt, wobei man grundsätzlich - und weitgehend in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entstehung - zwischen additiven, hybriden und positionellen Systemen (Stellenwertsysteme) unterscheiden kann.

Additive Zahlensysteme

In additiven Systemen errechnet sich die Zahl als Summe der Ziffern ohne Rücksicht auf ihre Position.

Strichliste

Strichliste

Das einfachste Beispiel ist die bekannte Strichliste, bei der jeder Strich den Wert Eins repräsentiert. In der Regel werden die Striche der Übersichtlichkeit halber zu 5er-Blöcken zusammengefasst, indem auf vier vertikale Striche ein horizontaler oder diagonaler Durchstrich folgt.

Ägyptische Hieroglyphenzahlen

Schon vor etwa 5000 Jahren gab es im Alten Ägypten ein entwickelt additives, nach Zehnerpotenzen geordnetes Zahlensystem, bei dem es für jede Zehnerpotenz zwischen 1 und 1.000.000 ein eigenes Zeichen gab:

1 10 100 1.000 10.000 100.000 1.000.000
Z1
V20
V1
M12
D50
I8
C11
Einfacher Strich Rindsgespann Seilschlinge Wasserlilie Finger Kaulquappe oder Frosch Heh (altägyptischer Gott der Unendlichkeit)
Die 36 hieratischen Zahlzeichen

Die Zahl 1913, die aus einem Tausender-Zeichen, neun Hunderter-Zeichen, einem Zehner-Zeichen und drei Einer-Zeichen besteht, würde z.B. so geschrieben:

M12V1V1V1V1V1V1V1V1V1V20C11

Meist wurden die einzelnen Stellen der besseren Übersichtlichkeit wegen graphisch zu Blöcken geordnet:

V1V1V1
         
C11
M12
V1V1V1
V20
   
C11
V1V1V1
C11

Da die Hieroglyphen für den alltäglich Gebrauch viel zu umständlich waren, wurde schon ab Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. handschriftlich die hieratische Schrift benutzt und die Blöcke mit lauter gleichartigen Zeichen zu einem einzigen Zeichen zusammengefasst. Dabei wurden vier Zeichen für die Zehnerpotenzen 1, 10, 100 und 1.000 sowie 32 (4 mal 8) Zeichen für deren Vervielfachungen, also insgesamt 36 Zahlzeichen. für die Schreibung der Zahlen 1 bis 9.999 verwendet.

Römische Zahlen

Bei der Römischen Zahlschrift handelt es sich ebenfalls um ein additives System mit ergänzenden Regeln zur subtraktiven Schreibung bestimmter Zahlen. Die Zahlschrift umfasst sieben durch Buchstaben repräsentierte Ziffern:

Die römischen Ziffern
Zeichen I V X L C D M
Wert 1 5 10 50 100 500 1000

Dabei gelten folgende Subtraktionsregeln:

  • I vor V oder X: IV (4), IX (9)
  • X vor L oder C: XL (40), XC (90)
  • C vor D oder M: CD (400), CM (900)
Beispiel
MCMLXXXIV = 1000 + (1000 - 100) + 50 + 10 + 10 + 10 + (5 - 1) = 1984
              M         CM         L    X    X    X     IV

Hybride Zahlensysteme

Bei hybriden Zahlensystemen wird eine Grundziffer mit einem nachfolgenden Zeichen multipliziert, das eine Potenz der Basis darstellt. In Europa gab es solche Syteme kaum, wohl aber seit zweiten Jahrtausends v. Chr. in Mesopotamien und später auch im ganzen Nahen Osten, Äthiopien, Südindien, Sri Lanka, China und Japan und auch bei den Maya in Mittelamerika.

Hier ein Beispiel aus dem japanischen Zahlsystem:

    23:  二十三  (2 × 10 + 3)
30.000:  三万    (3 × 10.000)

Stellenwertsysteme

Bei einem Stellenwertsystem hängt der Wert einer Ziffer von ihrer Position (Stelle) innerhalb der Zahl ab, die eine entsprechende Potenz der gewählten Basis darstellt, die gleich der Anzahl der insgesamt in diesem System verwendeten Ziffern ist.

Der Wert der Zahl ergibt sich dann durch Addition dieser Ziffern, die zuvor mit ihrem jeweiligen Stellenwert multipliziert werden, mit .

Dualsystem

Das Dualsystem, auch Binärsystem, ist das einfachste Stellenwertsystem und verwendet nur die Ziffern 0 und 1, hat also die Basis 2.

Beispiel:

1011 = 1 × 23 + 0 × 22 + 1 × 21 + 1 × 20 = 1 × 8 + 0 × 4 + 1 × 2 + 1 × 1 = 8 + 0 + 2 + 1 = 11
Das binäre Zahlensystem nach einem ersten Entwurf von Gottfried Wilhelm Leibniz (1697)

Gottfried Wilhelm Leibniz sah in dem Dualsystem, das er schon Ende des 17. Jahrhunderts entwickelte und in seinem Aufsatz Explication de l’Arithmétique Binaire[1] 1705 erstmals veröffentlichte, ein Sinnbild des Christentums. Leibniz entwarf dazu auch eine Gedenk-Medaille. In einem Brief an Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel Rudolph August vom 2. Januar 1697 heißt es:

„Denn einer der Hauptpuncten des christlichen Glaubens, und zwar unter denjenigen, die den Weltweisen am wenigsten eingegangen, und noch den Heyden nicht wohl beizubringen sind, ist die Erschaffung der Dinge aus Nichts durch die Allmacht Gottes. Nun kann man wohl sagen, daß nichts in der Welt soie besser vorstelle, ja gleichsam demonstrire, als der Ursprung der Zahlen, wie er allhier vorgestellet ist, durch deren Ausdrückung blos und allein mit Eins und mit Nulle oder Nichts alle Zahlen entstehen. Und wird wohl schwerlich in der Natur und Philosophie ein bessres Vorbild dieses Geheimnisses zu finden sein, daher ich auch die entworfene Medaille gesetzet:

IMAGO CREATIONIS.

Es ist aber doch dabei nicht weniger betrachtungswürdig, wie schon darus erscheinet, nicht nur, daß Gott Alles aus Nichts gemacht, sondern auch daß Gott Alles wohl gemacht, und daß Alles, was er geschaffen, gut gewesen; wie wirs hier denn in diesem Vorbilde der Schöpfung auch mit Augen sehen. [...]
Auf daß aber die Schöpfung besser abgebildet würde, und auch die Medaille selbst nicht nur Zahlen, sondern auch sonst etwas haben möchte, so den leiblichen Augen angenehm wäre; so habe darauf entworfen Licht und Finsterniß, oder, nach menschlicher Abbildung, den Geist GOttes über dem Wasser: denn Finsterniß war auf der Tiefe, und der Geist GOttes schwebete auf dem Wasser. Da sprach Gott: Es werde Licht, und es ward Licht. Und kommt solches um so mehr zu Passe, weilen die leere Tiefe und wüste Finsterniß zu Null und Nichts; aber der Geist Gottes mit seinem Lichte zum allmächtigen Eins gehöret.
Wegen der Worte des Sinnbildes, oder Motto dell' impresa, habe ich mich eine Zeitlang bedacht, und endlich gut befunden, diesen Vers zu setzen:

      2,3,4,5 etc. 0
      Omnibus ex nihilo ducendis
      SUFFICIT UNUM,

weil solcher gar klar andeutet, was mit dem ganzen Sinnbilde gemeinet, und warum es sey Imago Creationis.“

Gottfried Wilhelm Leibniz: Brief an Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel Rudolph August[2]

In einem Brief an den französischen Jesuitenpater Joachim Bouvet, der in China als Missionar tätig war, schrieb er:

„Zu Beginn des ersten Tages war die 1, das heißt Gott. Zu Beginn des zweiten Tages die 2, denn Himmel und Erde wurden während des ersten geschaffen. Schließlich zu Beginn des siebenten Tages war schon alles da; deshalb ist der letzte Tag der vollkommenste und der Sabbat, denn an ihm ist alles geschaffen und erfüllt, und deshalb schreibt sich die 7 111, also ohne Null. Und nur wenn man die Zahlen bloß mit 0 und 1 schreibt, erkennt man die Vollkommenheit des siebenten Tages, der als heilig gilt, und von dem noch bemerkenswert ist, dass seine Charaktere einen Bezug zur Dreifaltigkeit haben.“

Leibniz: Brief an Joachim Bouvet[3]

Siehe auch

Literatur

  • Ernst Bindel: Die geistigen Grundlagen der Zahlen. Die Zahl im Spiegel der Kulturen. Elemente einer spirituellen Geometrie und Arithmetik. Freies Geistesleben, Stuttgart 1958
  • Georges Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen, Avus Buch & Medien 1998, ISBN 978-3880599567
  • Wladimir Velminski: Form. Zahl. Symbol: Leonhard Eulers Strategien der Anschaulichkeit, De Gruyter 2009, ISBN 978-3050046044

Einzelnachweise

  1. Leibniz: Explication de l’Arithmétique Binaire (geschrieben 1703, veröffentlicht 1705)
  2. Leibniz: Brief an den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel Rudolph August, 2. Januar 1697 (Vorstellung der binären Zahlen)
  3. Leibniz, SSB I, 20, 569; zitiert nach: Velminski, S. 73f. [1]