Theodor W. Adorno und Soziale Gerechtigkeit: Unterschied zwischen den Seiten

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Der Begriff der '''sozialen Gerechtigkeit''' bezieht sich auf gesellschaftliche Zustände, die hinsichtlich ihrer relativen Verteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen als [[Fairness|fair]] oder [[Gerechtigkeit|gerecht]] bezeichnet werden können.<ref>Olaf Cramme, Patrick Diamond: ''Social Justice in the Global Age''. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3.</ref> Was genau Inhalt und Maßstab dieser Form von [[Gerechtigkeit]] sei, ist aber seit jeher umstritten und vielschichtig.<ref>Olaf Cramme, Patrick Diamond: ''Social Justice in the Global Age''. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3. Radikal kritisch als ein inhaltsleeres [[Politisches Schlagwort|Schlagwort]] wertete [[Friedrich August von Hayek]] „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch ''Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit'' von 1976.</ref>
'''Theodor W. Adorno''' (* [[11. September]] [[1903]] in [[Frankfurt am Main]]; † [[6. August]] [[1969]] in [[Visp]], [[Schweiz]]; eigentlich ''Theodor Ludwig Wiesengrund'') war ein deutscher [[Philosoph]], [[Soziologe]], [[Musiktheorie|Musiktheoretiker]] und [[Komponist]]. Er zählt mit [[Max Horkheimer]] zu den Hauptvertretern der als [[Kritische Theorie]] bezeichneten Denkrichtung, die auch unter dem Namen [[Frankfurter Schule]] bekannt wurde. Mit Horkheimer, den er während seines Studiums kennengelernt hatte, verband ihn eine enge, lebenslange Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft.


Adorno wuchs in behüteten, großbürgerlichen Verhältnissen in Frankfurt auf. Als Kind erhielt er eine intensive musikalische Erziehung, und bereits als Schüler beschäftigte er sich mit der Philosophie [[Immanuel Kant]]s. Nach dem Studium der Philosophie widmete er sich der Kompositionslehre im Kreis der [[Wiener Schule (Moderne)|Zweiten Wiener Schule]] um [[Arnold Schönberg]] und betätigte sich als [[Musikkritiker]]. Ab 1931 lehrte er zudem als [[Privatdozent]] an der Frankfurter Universität bis zum [[Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums|Lehrverbot]] 1933 durch die Nationalsozialisten.
Als eigenständiger Ausdruck entstand „soziale Gerechtigkeit“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der [[Soziale Frage|Sozialen Frage]]. Der Terminus geht auf das Werk ''Saggio teoretico di diritto naturale appoggiato sul fatto (1840–43)'' von [[Luigi Taparelli d’Azeglio]] zurück.<ref>Harald Jung: ''Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung.'' Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 286.</ref><ref>Arno Anzenbacher: ''Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien.'' UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.</ref> 1931 wurde er mit der Veröffentlichung der [[Enzyklika]] ''[[Quadragesimo anno]]'' von Papst [[Pius XI.]] erstmals formell und offiziell in den [[Lehrmeinung]]en des [[Papst]]es verwendet. Soziale Gerechtigkeit wurde als regulatives Prinzip zur Lösung der Sozialen Frage herangezogen. Innerhalb der Enzyklika wurde der Begriff noch nicht mit völliger wissenschaftlicher Schärfe verwendet, so dass noch Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieb.<ref>Laut Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' 2006, S. 290 hat {{"|Nell-Breuning […] denn auch kein Hehl daraus gemacht, dass der Begriff der iuststitia socialis innerhalb der Enziklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt ist. Für ihn besteht die eigentliche ‚Großtat‘ Prius Xl. denn auch gerade darin, dass er den Begriff zu einem Zeitpunkt verwendet, als die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerung im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mußte.}}</ref>


Während der [[Zeit des Nationalsozialismus]] emigrierte er in die USA und wurde dort offiziell Mitarbeiter des [[Institut für Sozialforschung|Instituts für Sozialforschung]], bearbeitete einige [[Empirie|empirische]] Forschungsprojekte, unter anderem über den [[Autoritärer Charakter|autoritären Charakter]], und schrieb mit Max Horkheimer die ''[[Dialektik der Aufklärung]]''. Nach seiner Rückkehr war er einer der Direktoren des in Frankfurt wiedereröffneten Instituts. Wie nur wenige Vertreter der akademischen Elite wirkte er als „öffentlicher Intellektueller“ mit Reden, Rundfunkvorträgen und Publikationen auf das kulturelle und intellektuelle Leben [[Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland|Nachkriegsdeutschlands]] ein und trug – mit allgemeinverständlichen Vorträgen – gewollt und mittelbar zur demokratischen [[Reeducation|Umerziehung]] des deutschen Volkes bei.<ref>„Unter allen intellektuellen Gruppierungen hat keine das politisch-kulturelle Selbstverständnis der Bundesrepublik […] mehr beeinflusst als die Frankfurter Schule“. Clemens Albrecht, Günter C. Behrmann, Michael Bock, Harald Homann, Friedrich H. Tenbruck: ''Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsanalyse der Frankfurter Schule''. Campus, Frankfurt am Main 1999, S. 20. Siehe auch die auf S. 204 zitierte Bemerkung von [[René König]] über den erfolgreichen Gebrauch von Massenmedien, den „eine scheinbar so [[Esoterik|esoterische]] Gruppe von Intellektuellen“, wie die der Frankfurter Schule, machte, und über deren Einfluss auf den politischen Journalismus ihrer Zeit. Fußend auf einer statistischen Auswertung Clemens Albrechts von 218 Radio- und Fernsehsendungen, konstatiert Emil Walter-Busch, Adorno sei „''der'' Medienstar unter den Intellektuellen des westlichen Nachkriegsdeutschland“ gewesen. Siehe dazu das Kapitel „Adornos politisch aufklärende Vorträge 1950–1966“ in: Emil Walter-Busch: ''Geschichte der Frankfurter Schule, Kritische Theorie und Politik''. Fink, München 2010, S. 164–175, hier S. 175. Laut Michael Schwarz, Mitarbeiter des Walter-Benjamin- und des Theodor-W.-Adorno-Archivs, lassen sich für die 1950er und 1960er Jahre „fast 300 Rundfunkbeiträge ermitteln. Hinzu kommen mehr als 300 Auftritte vor Präsenzpublikum. Man konnte Adorno also fast jede Woche irgendwo hören.“ Siehe Michael Schwarz: ''„Er redet leicht, schreibt schwer“. Theodor W. Adorno am Mikrophon.'' In: [http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2011/id=4700 ''Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History''. Online-Ausgabe 8 (2011), Heft 2, S. 1.]</ref>
Seit den 1970er Jahren hat die Diskussion über soziale Gerechtigkeit, insbesondere unter Bezugnahme auf den von [[John Rawls]] in ''[[A Theory of Justice]]'' vertretenen [[Egalitärer Liberalismus|egalitären Liberalismus]] eine neue Bedeutung gewonnen. Als weiterer Vertreter dieser Richtung gilt [[Amartya Sen]]. An Rawls schloss unter anderem die Kritik durch [[Kommunitarismus|Kommunitaristen]] wie [[Michael Walzer]] an. Auch im deutschsprachigen Raum wird soziale Gerechtigkeit seit den späten 1960er Jahren wieder zunehmend in der gesellschaftlichen Diskussion thematisiert.


Adornos Arbeit als Philosoph und Soziologe steht in der Tradition von [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel]], [[Karl Marx]] und [[Sigmund Freud]]. Wegen der Resonanz, die seine schonungslose Kritik an der [[Kapitalismus|kapitalistischen]] Gesellschaft unter den Studenten fand, galt er bei Befürwortern und Kritikern als einer der geistigen Väter der [[Westdeutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre|deutschen Studentenbewegung]]. Obwohl er die Kritik der Studenten an den restaurativen Tendenzen der [[Spätkapitalismus|spätkapitalistischen]] Gesellschaft teilte, stand er den Aktionen der Studentenbewegung wegen der offenen Regelverletzungen und der Bereitschaft zum Gewalteinsatz mit Befremden und Distanz gegenüber.
== Ideengeschichte ==
Die Grundlegung der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs erfolgte durch [[Aristoteles]], diese wurde von [[Thomas von Aquin]] maßgeblich weiterentwickelt.<ref name="Anzenbacher">Arno Anzenbacher: ''Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien.'' UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.</ref> Bezüge zur sozialen Gerechtigkeit ließen sich laut Rolf Kramer bereits bei Aristoteles finden. Auf Grund der legalen Gerechtigkeit ist der Bürger ein Mitglied des Staates, das dem ganzen verpflichtet ist. Auch die partikulare Gerechtigkeit in Form der ausgleichenden Gerechtigkeit und insbesondere der austeilenden Gerechtigkeit hätten einen Bezug zur sozialen Gerechtigkeit.<ref>Rolf Kramer: ''Soziale Gerechtigkeit – Inhalt und Grenzen.'' Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 37.</ref> Dagegen vertritt [[Arno Anzenbacher]] die Auffassung, dass soziale Gerechtigkeit sich innerhalb der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs von Aristoteles nicht genau einordnen lasse.<ref name="Anzenbacher" /> Auch Christoph Giersch kommt zu dem Schluss, dass die Verhältnisbestimmung zu diesem klassischen Gerechtigkeitsverständnis uneinheitlich und unklar bleibe.<ref name="Giersch">Christoph Giersch: ''Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz.'' Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 26.</ref>


== Leben ==
Laut [[Otfried Höffe]] erscheint der Ausdruck ‚soziale Gerechtigkeit‘ in der Philosophie sehr spät und zudem „so beiläufig, daß sein erstes Auftreten kaum dingfest zu machen“ sei.<ref>Höffe S. 84.</ref> Die Vorstellung einer „sozialen Gerechtigkeit“ wurde erst gemeinsam mit der sozialen Frage in der [[Industrie]]gesellschaft thematisiert. Zum Unterschied vom auf Aristoteles zurückgehenden Denkmodell, welches nur die Beziehung von Einzelpersonen untereinander (Verkehrsgerechtigkeit) oder zum [[Staat]] (verteilende und legale Gerechtigkeit) betraf, bezeichnete der Begriff soziale Gerechtigkeit auch jene Verhältnisse, als deren Subjekte und Objekte soziale Schichtungen und Strukturen gelten.
=== Frühe Frankfurter Jahre (1903–1924) ===
Adorno wurde 1903 in Frankfurt als Theodor Ludwig Wiesengrund geboren. Er war das einzige Kind des [[Weinhandel|Weingroßhändl]]ers Oscar Alexander Wiesengrund (1870–1946) und der Sängerin [[Maria Calvelli-Adorno]] (1865–1952). Die [[Katholizismus|katholische]] Mutter war Tochter eines [[korsisch]]en [[Offizier]]s, der sich als mittelloser [[Fechtmeister]] in der [[Freie Reichsstadt|Freien Reichsstadt]] [[Freie Stadt Frankfurt|Frankfurt]] um 1860 niedergelassen hatte. Sie trat als ausgebildete Sängerin auch am kaiserlichen Hof in [[Wien]], an der [[Wiener Oper]]<ref>Theodor W. Adorno: ''Briefe an die Eltern. 1939–1951.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 121.</ref> und an den [[Stadttheater]]n [[Köln]] und [[Riga]] auf. Der Vater, Oscar Alexander Wiesengrund, stammte aus einer [[jüdisch]]en Familie und gehörte zur Zeit der Geburt des Sohnes noch der [[Judentum|israelitischen Religion]]“ an,<ref>Laut Taufbuch der Frankfurter Dompfarrei von 1903. Siehe: ''Ein Sohn aus gutem Hause.'' In: Goethe-Universität Frankfurt am Main (Hrsg.): ''Forschung Frankfurt''. Ausgabe 3–4, 2003, S. 44 [http://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/36050217/44-48-Adorno-Kindheit.pdf]</ref> erst später konvertierte er zum [[Protestantismus]]. Die von Theodor vorgenommene Ergänzung des väterlichen Nachnamens um den Namen der Mutter soll ein Wunsch der Mutter gewesen sein, er erfüllte sich jedoch erst später. Während die ersten Veröffentlichungen noch mit „Wiesengrund“ gezeichnet waren, verwendete er in seiner publizistischen Tätigkeit früh den Doppelnamen „Wiesengrund-Adorno“. Eine Verkürzung auf „W. Adorno“ nahm er bei seinen Veröffentlichungen in der amerikanischen Emigration vor. Nach der formellen Einbürgerung als [[US-Staatsbürgerschaft|US-Bürger]] Ende 1943 lautete sein amtlicher Name „Theodore Adorno“.<ref>Theodor W. Adorno: Briefe an die Eltern 1939-1951. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, S. 234.</ref> Seine Publikationen zeichnete er indes fortan mit Theodor W. Adorno.


Als Kind wurde der Junge „Teddie“ gerufen. Er wuchs in einer Straße am [[Main]]ufer auf: in der „Schönen Aussicht“, Hausnummer 9. Im Nebenhaus betrieb sein Vater eine Weinhandlung, zu der ein großes [[Weingut]] im [[Rheingau (Weinbaugebiet)|Rheingau]] gehörte.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Theodor W. Adorno''. Beck, München 1987, S. 12.</ref> 1914 zog die Familie in ein neu erbautes Haus im Stadtteil [[Frankfurt-Oberrad|Oberrad]].<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 47.</ref>
Soziale Gerechtigkeit umfasst nach Peter Koller sowohl distributive als auch korrektive, politische als auch kommutative Elemente.<ref>Erik Oschek: ''Ist der deutsche Sozialstaat gerecht? Eine sozialphilosophische Betrachtung für die Soziale Arbeit.'' Frank & Timme GmbH, 2007, ISBN 978-3-86596-140-2, S. 101 (unter Verweis auf Koller, in: Kersting (Hrsg.): ''Politische Philosophie des Sozialstaats.'' 2000, 123 f.).</ref> Sie ist auch in folgenden Dimensionen beschrieben worden<ref>[[Otfried Höffe]]: ''Gerechtigkeit''; siehe Literatur.</ref> (siehe auch [[Gerechtigkeitstheorien]]):
* [[Tauschgerechtigkeit]]
* [[ausgleichende Gerechtigkeit]]
* [[Generationengerechtigkeit]]
* Gerechtigkeit gegen Tiere
* globale Gerechtigkeit


Adorno wurde [[katholisch]] ge[[Taufe|tauf]]t und empfing die [[Erstkommunion]]. Auf Wunsch seiner gläubigen Mutter war er geraume Zeit auch als [[Ministrant]] tätig.<ref>Dorothea Razumovsky: ''Credo, Kanon, Theorie und Praxis.'' In: Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Portraits. Erinnerungen von Zeitgenossen''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, S. 280.</ref> Anders als etwa seine Jugendfreunde [[Leo Löwenthal]] und [[Erich Fromm]], die sich in dem – in Frankfurt einflussreichen – [[Freies Jüdisches Lehrhaus|Freien Jüdischen Lehrhaus]] betätigten,<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 37.</ref> hatte er zur [[Jüdische Religion|Religion seiner väterlichen Vorfahren]] keine besondere Beziehung. Ein engeres Verhältnis zum [[Judentum]] gewann er erst unter dem Eindruck des [[Holocaust|Völkermords an den Juden]].<ref>Christian Schneider: ''Atempausen und Schlupflöcher. Theodor Adornos Briefe an die Eltern.'' In: ''Mittelweg 36.'' 12. Jg., Heft 6/2003, S. 50.</ref> Die mit den Adornos befreundete [[Publizistin]] [[Dorothea Gräfin Razumovsky|Dorothea Razumovsky]] brachte es auf den Punkt: Nicht sein toleranter und [[Assimilation (Soziologie)#Assimilation der Juden|assimilierter]] Vater, sondern [[Adolf Hitler|Hitler]] habe ihn zum Juden gemacht.<ref>Dorothea Razumovsky: ''Credo, Kanon, Theorie und Praxis.'' In: Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Portraits. Erinnerungen von Zeitgenossen''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, S. 280.</ref>
== Konzeptualisierung und Kontroversen ==
=== Katholische Soziallehre ===
Der Terminus ''Soziale Gerechtigkeit'' bzw. ''Sozialgerechtigkeit'', wie er in die Katholische Soziallehre Eingang fand, wurde im 19. Jh. vermutlich erstmals durch den Jesuiten [[Luigi Taparelli d’Azeglio]] geprägt.<ref>Vgl. etwa {{LThK|Peter Langhorst|Gerechtigkeit, V. Kirchliche Soziallehre|3|4|304}}.</ref> In seinem fünfbändigen Werk zur Begründung des [[Naturrecht]]s in der Tradition der [[Rationalismus|rationalistischen]] [[Barockscholastik]] spricht Taparelli d’Azeglio von einer ''giustizia sociale'',<ref>Vgl. Band II c. 3, n. 341, S. 142 ff., Band I Intr. I c. 4 a. 1 XCII, S. 44 u.&nbsp;ö.</ref> in französischer Übersetzung ''justice [et droit] social''<ref>Vgl, S. 142ff.</ref> und in deutscher Übersetzung ''Socialgerechtigkeit''.<ref>Vgl. Taparelli: ''Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts.'' Übers. von F. Schöttl, C. Rinecker, 2 Bände, Regensburg 1845, Band 1 ([http://archive.org/details/versucheinesauf00azegoog Digitalisat] bei [[archive.org]]), S. 137 ff., bes. 142 f.</ref> Dieses Konzept beschreibt er als „Gerechtigkeit eines Menschen gegen den andern“ und bezieht es auf eine Gleichstellung jedes Menschen hinsichtlich der „Rechte der Menschheit im Allgemeinen“. Gleichwohl sucht Taparelli den naturgegebenen individuellen Unterschieden gerecht zu werden und postuliert: „[D]ie Handlungen eines Menschen werden also gerecht sein, wenn sie den verschiedenen individuellen Rechten seiner Mitmenschen angepasst sind“.<ref>Vgl, S. 143.</ref> So müssten etwa empfangene Güter quantitativ („austauschende Gerechtigkeit“), im Falle einer eingegangenen Gütergemeinschaft proportional („vertheilende Gerechtigkeit“) ausgeglichen werden.<ref>Vgl. S. 144 f.</ref> Letztere Termini entsprechen der Unterscheidung von Hinsichten der Gerechtigkeit insbesondere bei [[Thomas von Aquin]] und [[Aristoteles]]. Taparellis Naturrechtslehre und seine Begriffe von „Sozialwohl“ und „Sozialgerechtigkeit“ hatten für die spätere katholische Soziallehre beträchtlichen Einfluss u. a. über den direkten Schüler Taparellis, den späteren Papst [[Leo XIII.]], der die erste Sozialenzyklika, [[Rerum novarum]], verfasste.<ref>Vgl. den Überblick bei Gunter M. Prüller-Jagenteufel: ''“Socialwohl” und “Socialgerechtigkeit”. Zum Einfluss von Luigi Taparellis “Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts” auf die katholische Sozialverkündigung'', in: Stephan Haering, Josef Kandler, Raimund Sagmeister (Hrsg.): ''Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht'' (FS Gerhard Holotik), Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1999 (= Schriftenreihe des Erzbischof-Rohracher-Studienfonds 5), S. 115–128. Walther Homberg: ''Luigi Taparelli d'Azeglio als Erneuerer der scholastischen Philosophie in Italien'', Ingelheim 1955.</ref>


Im Haushalt der Familie lebte auch die Sängerin und [[Pianistin]] Agathe Calvelli-Adorno, eine unverheiratete Schwester seiner Mutter, die Adorno als seine „zweite Mutter“ bezeichnete.<ref>Hartmut Scheible: ''Theodor W. Adorno in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten''. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 8.</ref> Adornos „überaus behütete Kindheit“ war vornehmlich geprägt von den beiden „Müttern“.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Theodor W. Adorno''. Beck, München 1987, S. 12.</ref> Von ihnen erlernte er das Klavierspiel. Die Musik bildete den kulturellen Mittelpunkt der [[kosmopolitisch]] ausgerichteten, [[Großbürger|großbürgerlich]]en Familie. So zog seine Mutter mit der Partie des ''Waldvögleins'' aus [[Richard Wagner]]s Oper ''[[Siegfried (Oper)|Siegfried]]'' durch [[Europa]]. Adorno wurde mit der [[kammermusik]]alischen und symphonischen Literatur durch das Vierhändigspielen vertraut gemacht und konnte somit seine musikalische Kompetenz schon früh ausbilden.<ref>Lorenz Jäger: ''Adorno. Eine politische Biographie''. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, S. 15.</ref> Er nahm neben dem Schulunterricht bei [[Bernhard Sekles]] Privatstunden in Komposition.
Wenig später sprach auch der einflussreiche [[Antonio Rosmini]], der, beeinflusst u. a. von Taparelli, die Tradition des Naturrechts auf die marktwirtschaftlichen Entwicklungen der Moderne bezog, von einer ''giustizia sociale'', und zwar bereits im Titel seiner Muster-Staatsverfassung, ''Progetto di costituzione secondo la giustizia sociale'',<ref>Vgl. ''La costituzione secondo la giustiza sociale'', in: ''Scritti politici'', Stresa 1997, 43–249, Mailand 1848.</ref> ein Werk, das auch für einige Jahre [[Index Librorum Prohibitorum|indiziert]] wurde.


Nachdem er zwei Klassen übersprungen hatte, bestand der „privilegierte Hochbegabte“<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor W. Adorno zur Einführung'' Junius, Hamburg 1996, S. 10.</ref> 1921 am Kaiser-Wilhelms-Gymnasium (heute [[Freiherr-vom-Stein-Schule (Frankfurt am Main)|Freiherr-vom-Stein-Schule]]) in Frankfurt bereits mit 17 Jahren das [[Abitur]] als Jahrgangsbester.<ref>Jubiläumsschrift: ''50 Jahre Freiherr-vom Stein-Schule, Gymnasium für Jungen, Frankfurt am Main, 1909–1959''. Frankfurt am Main 1959, S. 100.</ref> Als Primus erlebte er Ressentiment und Feindseligkeit, die eine solche Begabung auf sich ziehen kann.<ref>Hartmut Scheible: ''Theodor W. Adorno in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten''. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 20.</ref> So erlitt er im Gymnasium Quälereien derjenigen, die „keinen richtigen Satz zustande brachten, aber jeden von mir zu lang fanden“ (GS 4: 219f).<ref>Original-Zitate im Fließtext werden mit den Siglen „GS“ für die von Rolf Tiedemann hrsgg. „Gesammelten Schriften“ sowie der Angabe von Band- und Seitenzahl nachgewiesen, siehe oben vor Anmerkung 1.</ref>
Hinsichtlich des Verhältnisses des Begriffs der Sozialen Gerechtigkeit zu Gerechtigkeitsformen, wie sie in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin unterschieden wurden, gab es mehrere Deutungen.<ref>J. Brian Benestad: ''Church, State, and Society: An Introduction to Catholic Social Doctrine.'' CUA Press, 2011, S. 152.</ref> Zu den Rezipienten des Begriffs sozialer Gerechtigkeit zählen neben den bereits genannten auch [[Gustav Ermecke]], [[Heinrich Pesch]], [[Eberhard Welty]], [[Johannes Messner]] und [[Oswald von Nell-Breuning]]. Dabei wurde zumeist der Bezug auf das Gemeinwohl (''bonum commune'') besonders betont.<ref>Vgl. Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: ''Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie.'' Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.</ref>


Philosophisch geschult wurde er durch seinen 14 Jahre älteren Freund [[Siegfried Kracauer]], den er bei einer Freundin seiner Eltern kennengelernt hatte. Kracauer war ein bedeutender [[Feuilleton]]redakteur der ''[[Frankfurter Zeitung]]''. In einem Brief an Leo Löwenthal gestand er, zu seinem jüngeren Freund „eine unnatürliche Leidenschaft“ zu empfinden und sich für „geistig [[Homosexualität|homosexuell]]“ zu halten.<ref>Lorenz Jäger: ''Adorno. Eine politische Biographie''. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, S. 31.</ref> Gemeinsam lasen sie über Jahre hinweg regelmäßig an Samstagnachmittagen Immanuel Kants ''[[Kritik der reinen Vernunft]]'', eine Erfahrung, die nach Adornos Selbstzeugnis für ihn prägend war: „Nicht im leisesten übertreibe ich, wenn ich sage, daß ich dieser Lektüre mehr verdanke als meinen akademischen Lehrern“ (GS 11: 388). Als Abiturient las er fasziniert die gerade erschienenen Bücher ''Theorie des Romans'' von [[Georg Lukács]] und ''Geist der Utopie'' von [[Ernst Bloch]].<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 61f.</ref> Im [[Gymnasium]] erlernte er die Fremdsprachen [[Latein]], [[Griechischunterricht|Griechisch]] und [[Französische Sprache|Französisch]];<ref>Theodor W. Adorno Archiv: ''Adorno. Eine Bildmonogrphie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 20.</ref> später in der [[Emigration]] kam Englisch hinzu.
Im Vorfeld des [[Erstes Vatikanisches Konzil|Ersten Vatikanischen Konzils]] wurde der Terminus ''Sozialgerechtigkeit'' kontrovers diskutiert und dabei auch mit durch das Lehramt verurteilten, als „[[Modernismus (Katholizismus)|Modernismus]]“ bezeichneten Auffassungen in Verbindung gebracht.<ref>Vgl. dazu [[Oswald von Nell-Breuning]]: ''Die soziale Enzyklika. Erläuterungen zum Weltrundschreiben Papst Pius’ XI.'' Köln 1932, S. 169 ff. 249 et passim. A Volanthen: ''Idee und Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit.'' Freiburg/Schweiz 1971, S. 14 ff.</ref>


An der [[Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main|Universität Frankfurt]] belegte er ab 1921 [[Philosophie]], [[Musikwissenschaft]], [[Psychologie]] und [[Soziologie]]; zur gleichen Zeit begann er seine Tätigkeit als Musikkritiker. [[Philosophie]] hörte er bei [[Hans Cornelius]], Soziologie bei [[Gottfried Salomon]]-Delatour und [[Franz Oppenheimer]].<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 926.</ref> In der Universität traf er 1922 in einem Seminar auf Max Horkheimer, mit dem er theoretische Anschauungen teilte und Freundschaft schloss. Auch mit [[Walter Benjamin]], den er durch Vermittlung Kracauers als Student kennengelernt hatte, pflegte er eine enge und dauerhafte Freundschaftsbeziehung. Das Studium absolvierte er sehr zügig: Ende 1924 schloss er es mit einer [[Dissertation]] über [[Edmund Husserl]]s [[Phänomenologie]] mit [[Dissertation#Bewertungsstufen einer Dissertation|summa cum laude]] ab. Die Arbeit, die er im Geist seines Lehrers Cornelius abfasste, enthielt reine Schulphilosophie, die noch wenig von Adornos späterem Denken ahnen ließ.
In der [[Enzyklika]] ''[[Quadragesimo anno]]'' (1931) von Papst [[Pius XI.]] griff das päpstliche Lehramt den Begriff erstmals auf.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_288-289">Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 288–289.</ref> [[Oswald von Nell-Breuning]] erklärte als einer der Mitwirkenden an der Enzyklika, dass der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit innerhalb der Enzyklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt sei, da „die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerungen im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mu[ss]te“. Die „Großtat“ von Pius XI. bestand nach seiner Ansicht darin, Soziale Gerechtigkeit „geradezu zum Kernstück seines Weltrundschreibens“ gemacht zu haben. Dadurch wurde nach Ansicht von [[Franz-Josef Bormann]] ''Soziale Gerechtigkeit'' eines bloßen Schlagwortcharakters entkleidet und damit gegen ideologischen Missbrauch immunisiert.


Aus der Geschäftsbeziehung zwischen der Frankfurter Weinhandlung Oscar Wiesengrund und der Berliner Fabrik für Lederverarbeitung Karplus & Herzberger entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Eigentümer-Familien beider Firmen. Zwischen dem temperamentvollen jungen „Teddie“ Wiesengrund und der Berlinerin [[Gretel Adorno|Margarete (Rufname: Gretel) Karplus]] kam es zu einer Liebesbeziehung, die zu einer lebenslangen Bindung führen sollte.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 86.</ref>
Die Konturen des Begriffes blieben in der Enzyklika aber so vage, dass Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieben, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zu den traditionellen Gerechtigkeitsformen.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_290f">Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 290&nbsp;f.</ref> Dabei haben sich drei Deutungen herausgebildet. Nach einer Ansicht ist Soziale Gerechtigkeit innerhalb des Gerechtigkeitsverständnisses von [[Thomas von Aquin]] in der Gemeinwohlgerechtigkeit zu verorten. Nach anderer Ansicht steht Soziale Gerechtigkeit (''[[iustitia socialis]]'') außerhalb des Gerechtigkeitsdreiecks Regelgerechtigkeit (''[[iustitia legalis]]''), Tauschgerechtigkeit (''[[iustitia commutativa]]'') und der Verteilungsgerechtigkeit (''[[iustitia distributiva]]'') als gleichrangige 4. Gerechtigkeitsart bzw. nach dritter Ansicht als integrativer übergeordneter Oberbegriff.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_289-290">Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 289–290.</ref><ref>[[Winfried Löffler]]: ''Soziale Gerechtigkeit – Wurzeln und Gegenwart eines Konzepts in der Christlichen Soziallehre.'' In: [[Peter Koller (Rechtsphilosoph)|Peter Koller]]: ''Gerechtigkeit im politischen Diskurs der Gegenwart.'' Passagen Verlag, 2001, ISBN 3-85165-509-5, S. 74–75.</ref><ref>Werner Veith: ''Von der sozialen Gerechtigkeit zur intergenerationellen Gerechtigkeit.'' In: Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: ''Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie.'' Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.</ref> Auch gut siebzig Jahre nach der ''Quadragesimo anno'' werden alle drei Deutungen weiter vertreten.<ref name="Giersch" />


=== Aufenthalt in Wien (1925–1926) ===
In ''Quadragesimo anno'' wird Soziale Gerechtigkeit als regulatives Prinzip zur Lösung der [[Soziale Frage|Sozialen Frage]] herangezogen und dies durch zwei wesentliche Argumentationslinien begründet:
# Die Lohngerechtigkeit umfasst als Untergrenze das Existenzminimum des Einzelnen Arbeiters und als Obergrenze die Lebensfähigkeit des Unternehmens. Die Soziale Gerechtigkeit als Gemeinwohlgerechtigkeit erfordere eine angemessene Beteiligung der Arbeiter am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand, wobei sich die Lohnhöhe auch daran orientieren muss, dass möglichst viele eine Arbeitsgelegenheit bekommen können.<ref>Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 286.</ref>
# Weiterhin wird die Vorstellung, der Staat habe die Wirtschaft frei und ungehindert sich selbst zu überlassen, als „Grundirrtum der individualistischen Wirtschaftswissenschaft“ kritisiert. Um die Einseitigkeit einer solchen Sichtweise zu überwinden, sei die soziale Gerechtigkeit und die soziale Liebe als durchgreifendes regulatives Prinzip notwendig. Dadurch soll die Individualfunktion und die Sozialfunktion der Wirtschaft in einen harmonischen Ausgleich gebracht werden. Die soziale Gerechtigkeit müsse eine Rechts- und Gesellschaftsordnung herbeiführen, die der Wirtschaft „ganz und gar das Gepräge gibt“. Es obliege demnach der sittlichen Vernunft, „das von Gott, dem Schöpfer, der Wirtschaft als Ganzem vorgesteckte Ziel“ zu bestimmen, während sich die ökonomische Rationalität darauf beschränkt, geeignete Mittel zu finden.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_288-289" />


Im März 1925 zog Adorno nach Wien, der Geburtsstätte der [[Zwölftontechnik|Zwölftonmusik]], wo er sich ein Zimmer in der Pension „Luisenheim“ im [[Alsergrund|9. Bezirk]] nahm.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 130.</ref> Bei [[Alban Berg]], dem Schüler Arnold Schönbergs, begann er ein Aufbaustudium in Komposition und bei [[Eduard Steuermann]] nahm er gleichzeitig Klavierunterricht. Adorno hatte Alban Berg anlässlich der Uraufführung seiner ''Drei Bruchstücke für Gesang und Orchester aus Wozzek'' 1924 in Frankfurt kennengelernt.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 927.</ref> Der aus Polen stammende Steuermann, der die meisten Klavierwerke Schönbergs uraufgeführt hatte, war der maßgebliche Pianist der Zweiten Wiener Schule, mit deren Begründer er ebenfalls zusammentraf. Adorno schätzte Schönberg als „revolutionären Veränderer der überlieferten Kompositionsweise“.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 129.</ref> Dessen Zwölftonkompositionen würdigte er später (1949) in der ''[[Philosophie der neuen Musik]]''. Persönlich jedoch entwickelte sich eine „wechselseitige [[Antipathie]]“ zwischen beiden.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 136.</ref> Schönberg hielt Adornos „Schreibstil für [[Manierismus|manieriert]], die [[Musiktheorie|musiktheoretische]] Begriffsbildung für zu unverständlich“ und glaubte, dass dies der [[Neue Musik|Neuen Musik]] in der öffentlichen Wirkung schade.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 147.</ref> Adornos musikästhetische Wertschätzung und persönliche Sympathie galten vor allem Alban Berg,<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 129.</ref> zu dem er eine freundschaftliche Beziehung pflegte, die sich bis zu dessen frühem Tod (1935) in einem intensiven Briefwechsel niederschlug. Später veröffentlichte er über ihn die Monographie ''Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs'' (1968).
Die Entwicklung der [[Soziale Marktwirtschaft|Sozialen Marktwirtschaft]] wurde sowohl von der katholischen Soziallehre als auch der evangelischen Sozialethik beeinflusst.<ref>Harald Jung: ''Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung.'' Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 304.</ref> Die "Gründerväter" der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft beriefen sich auf Motive und Quellen theologischer Sozialethik.


Schon im ersten Jahr seines Aufenthalts in Wien verfasste er Aufsätze über Werke von Berg und Schönberg. Er setzte damit seine bereits als Student aufgenommene musikkritische Tätigkeit fort, die er 1928 mit dem Eintritt in die Redaktion der musikalischen [[Avantgarde]]-Zeitschrift ''[[Musikblätter des Anbruch|Anbruch]]'' fundieren konnte.<ref>Heinz Steinert: ''Adorno in Wien. Über die (Un-)Möglichkeit von Kunst, Kultur und Befreiung''. Fischer, Frankfurt am Main 1989, S. 152.</ref> Adornos Bestreben, die Zeitschrift als musikpolitisches Machtinstrument zur Durchsetzung [[Avantgarde#Avantgarde in der Musik|avancierter Musik]] zu nutzen, war jedoch auf Widerstand in der Redaktion gestoßen, aus der er dann 1931 offiziell ausschied.<ref>Heinz Steinert: ''Adorno in Wien. Über die (Un-)Möglichkeit von Kunst, Kultur und Befreiung''. Fischer, Frankfurt am Main 1989, S. 155–160.</ref>
[[Wilhelm Röpke (Wirtschaftswissenschaftler)|Wilhelm Röpke]], einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, sah eine Nähe zur katholischen Soziallehre insbesondere mit Bezug zu Quadragesimo anno, die ein „vollkommen mit unserem Standpunkt sich deckendes Programm“ enthält.<ref>Stephan Wirz, Philipp W. Hildmann: ''Soziale Marktwirtschaft: Zukunfts- oder Auslaufmodell?'' Theologischer Verlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-290-20059-6, S. 28.</ref>


Die Jahre seines Wiener Aufenthalts waren für Adorno die kompositorisch intensivsten. Unter seinen Kompositionen machen eine Reihe von Klavierliederzyklen den umfangreichsten und auch gewichtigsten Teil aus. Daneben schrieb er Orchesterstücke, Kammermusik für [[Streichinstrument|Streicher]] und [[A cappella|A-cappella]]-Chöre und bearbeitete französische [[Volkslied]]er.
=== Soziale Gerechtigkeit aus marxistischer Sicht ===
Als eine [[Materialismus|materialistische]] Philosophie der [[Praxis (Philosophie)|Praxis]] nimmt der [[Marxismus]] gegenüber ethischen Postulaten ein kritisches Verhältnis ein. Es ist von einem „vielschichtigen Gerechtigkeitsverständnis von Marx und Engels“ auszugehen.<ref>Eintrag ''Gerechtigkeit.'' In: ''Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus.'' Band 5, Sp. 383.</ref> Sie lehnten „die Existenz einer ahistorischen und transzendentalen, also absoluten Gerechtigkeit radikal ab“.<ref>Eintrag ''Gerechtigkeit.'' In: ''Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus.'' Band 5, Sp. 384.</ref> Wenn Marx den Kapitalismus als ein System des Zwangs, der Knechtschaft und der Ausbeutung beschreibt, so ist doch nirgends von Ungerechtigkeit des Kapitalismus oder der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse die Rede; gerecht ist ihm zufolge, was der „gegebenen Produktionsweise entspricht“,<ref>Andreas Wildt: ''Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“.'' In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): ''Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie.'' Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.</ref> selbst wenn dem – wie bei der Lohnarbeit – die [[Ausbeutung]] menschlicher Arbeitskraft zugrunde liegt. Gleichwohl hat Marx in der ''Kritik des Gothaer Programms'' der SPD gesellschaftliche Gerechtigkeitsprinzipien für die klassenlose Gesellschaft formuliert, die Andreas Wildt als „Prinzipien kommunistischer Gerechtigkeit“ bezeichnet.<ref>Andreas Wildt: ''Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“.'' In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): ''Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie''. Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.</ref> Ihnen zufolge kann in der „kommunistischen Gesellschaft […] der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“<ref>Karl Marx, Friedrich Engels: ''Werke Band 19.'' Dietz, Berlin 1969, S. 31.</ref> In den Frühschriften von Marx findet sich als „kategorischer Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.<ref>Karl Marx, Friedrich Engels: ''Werke Band 1''. Dietz, Berlin 1961, S. 385.</ref> Unter den späteren Marxisten hat vornehmlich [[Ernst Bloch]] mit seinem Werk ''Naturrecht und menschliche Würde'' (1961) „eine eigene, genuin marxistische Gerechtigkeitstheorie“ formuliert.<ref>''Grechtigkeit.'' In: ''Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus.'' Band 5. Argument-Verlag, Hamburg 2001, Sp. 391.</ref> Der patriarchalischen und gönnerischen „Gerechtigkeit von oben“ setzte er eine aus den Forderungen sozialer Bewegungen hervorgehende „Gerechtigkeit von unten“ entgegen, die sich beispielsweise in Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit niedergeschlagen habe.<ref>Vgl. Ernst Bloch: ''Naturrecht und menschliche Würde.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1961, S. 50 ff., 227 ff. sowie [[Eva Kreisky]]: Gerechtigkeitsdiskurse [http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_gerechtigkeitsdiskurse.pdf (PDF)]</ref>
=== Friedrich Nietzsche ===
[[Friedrich Nietzsche]] sieht den Ursprung der Gerechtigkeit im Charakter des [[Tausch]]es unter ungefähr gleich Mächtigen: „Jeder stellt den anderen zufrieden, indem er bekommt, was er mehr schätzt als der andere. Man gibt jedem, was er haben will, als das nunmehr Seinige, und empfängt dafür das Gewünschte.“ Auch Rache ist ein Austausch und „gehört ursprünglich […] in den Bereich der Gerechtigkeit“.<ref>Friedrich Nietzsche: ''[[Menschliches, Allzumenschliches]]'', Aphorismus 92.</ref> An anderer Stelle meint er, die ganze Vergangenheit der alten Cultur sei auf Gewalt, Sklaverei, Betrug, Irrtum aufgebaut. In uns Menschen stecke diese ungerechte Gesinnung, auch in den Seelen der Nicht-Besitzenden. Nicht gewaltsame neue Verteilungen, wie sie die Sozialisten anstreben, sondern langsame Umschaffungen des Sinnes tue not. Die Gerechtigkeit müsse in allen größer werden, der gewalttätige Instinkt schwächer.<ref>Friedrich Nietzsche: ''Menschliches, Allzumenschliches.'' Aphorismus 452.</ref>


Zusammen mit Berg besuchte er Lesungen von [[Karl Kraus]]. Dessen spektakuläre Vortragsweise machte auf ihn anfänglich den Eindruck eines „halb priesterlichen und halb clownesken Komödianten“, erst später, vermittelt durch Lektüre, begann er ihn zu schätzen.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 139.</ref> Zu den zahlreichen Bekanntschaften, die er in Wien machte, zählte die von Georg Lukács, der hier unter schwierigen Lebensbedingungen als Emigrant lebte. Gegenüber Berg gestand er, dass Lukács ihn „geistig [] tiefer fast als jeder andere beeinflusst“ habe. Dessen ''Theorie des Romans'' hatte ihn bereits als Abiturienten begeistert und dessen 1922 in Wien abgeschlossene Arbeit ''[[Geschichte und Klassenbewußtsein]]'' war für seine [[Karl Marx|Marx]]-Rezeption (wie für die seiner engeren Freunde) eminent wichtig.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 142f.</ref> Eine enge Freundschaft verband ihn in dieser Zeit auch mit dem Prager Schriftsteller und Musiker [[Hermann Grab]].
=== John Rawls ===
[[John Rawls]] bezeichnet Gerechtigkeit als „erste Tugend sozialer Institutionen“, er fasst also den Gerechtigkeitsbegriff bereits im Ansatz in seiner sozialen Dimension.<ref>Vgl. zu den individual- und sozialethischen Aspekten des Gerechtigkeitsbegriffs einführend {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/justice-virtue/|Justice as a Virtue|Michael Slote}}.</ref> Gerechtigkeit ist für Rawls insofern per se auch soziale Gerechtigkeit und nicht nur eine Disposition von Individuen. Bezugspunkt ist dabei das ''Resultat einer gerechten Sozialordnung'', was sich insbesondere auf die Verteilung der Güter bezieht sowie auf einen Ausgleich unter den Teilhabern. Rawls geht davon aus, dass Menschen, die Disposition besitzen bzw. erwerben, ihr persönliches Streben nach Glück mit einem ''[[John Rawls#Der Gerechtigkeitssinn|Gerechtigkeitssinn]]'' zu überwölben. Eine überzeugende [[Eine Theorie der Gerechtigkeit|Theorie der Gerechtigkeit]] müsse das Glück der am schlechtesten gestellten Personen berücksichtigen. Auch die Benachteiligsten müssten den Prinzipien einer gerechten sozialen Ordnung zustimmen können. Eine solche Ordnung skizziert Rawls in einem hypothetischen [[Vertragstheorie|Gesellschaftsvertrag]]. Jede Person weiß in diesem Gedankenexperiment zunächst nicht, welche Güter und Rechte ihr schlussendlich zugeteilt werden, welche soziale Stellung sie einnehmen wird – sie steht unter einem „Schleier der Ungewissheit“. Dabei würde jeder vermeiden wollen, dass „ihm sein Feind einen Platz zuweisen kann“, und deshalb werde diejenige Alternative bevorzugt, „deren schlechtmöglichstes Ergebnis besser ist, als das jeder anderen“ ([[Entscheidung unter Ungewissheit#Maximin-Regel|Maximin-Regel]]).<ref>Vgl. John Rawls: ''Eine Theorie der Gerechtigkeit.'' Frankfurt am Main 1971/79, S. 177 f. et passim.</ref> Schlussendlich müssten sich nach Rawls die Vertragspartner nicht auf z.&nbsp;B. strikt [[Egalitarismus|egalitäre]], [[Libertarismus|libertaristische]] oder [[Utilitarismus|utilitaristische]] Prinzipien einigen, sondern zwei Gerechtigkeitsprinzipien, die Rawls auch kurz als Gleichheits- und Differenzprinzip bezeichnet:
# Jeder ist gleichermaßen im Besitz unveräußerlicher Grundfreiheiten (Freiheit, Leben, Eigentum usw.)
# Soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist nur zulässig, wenn sie sich zumindest auch für die am wenigsten Begüterten in der Gemeinschaft zum Vorteil auswirkt und wenn solche Ungleichheiten verbunden sind mit Ämtern (engl. ''offices'') und Positionen, die allen gemäß fairer Chancengleichheit (engl. ''under conditions of fair equality of opportunity'') offenstehen.<ref>Zu Versuchen, den Begriff ''equality of opportunity'' und seine Anwendungsbedingungen philosophisch zu präzisieren, vgl. einführend {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/equal-opportunity/|Equality of Opportunity|Richard Arneson}}; zum Differenzprinzip z.&nbsp;B. {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/justice-distributive/#Difference|Distributive Justice, 3. The Difference Principle|Julian Lamont, Christi Favor}}.</ref>


Mit Berg und dessen Frau [[Helene Berg|Helene]] besuchte er nicht nur Konzerte und Opern; die Bergs führten ihn auch in exzellente Restaurants. Überhaupt genoss er die sinnliche Lebensfreude der Donaumetropole, inklusive „vorsichtig erprobter Liebschaften“.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 137f.</ref>
Dabei haben die Grundfreiheiten (gemäß dem Gleichheitsprinzip 1.) einen Vorrang (gegenüber Ungleichverteilungen, wie sie durch 2. begrenzt zulässig werden). Grundfreiheiten dürfen nur eingeschränkt werden, wenn geringere Freiheit das Gesamtsystem der Freiheiten für alle stärkt und für die Betroffenen annehmbar ist. Beide Gerechtigkeitsprinzipien (1. und 2.) haben nach Rawls einen Vorrang gegenüber Leistungsfähigkeit und Nutzenmaximierung, wonach jede Chancen-Ungleichheit die Chancen Benachteiligter verbessern muss und eine hohe Sparrate eine ''Milderung'' der Last der Betroffenen zur Folge haben muss.<ref>Vgl. John Rawls: ''Eine Theorie der Gerechtigkeit.'' Frankfurt am Main 1971/79, S. 81 et passim.</ref> In einem frühen Aufsatz<ref>John Rawls: ''Distributive Gerechtigkeit.'' In: John Rawls: ''Gerechtigkeit als Fairneß.'' hg. von [[Otfried Höffe]], Freiburg-München 1977, S. 84–124.</ref> hatte Rawls das Differenzprinzip in der Fassung formuliert, dass die „sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten so zu verteilen“ seien, „dass sie sowohl (a) vermutlich zu jedermanns Vorteil sind und (b) Positionen und Ämtern zukommen, die allen gleichermaßen offen stehen“. Beide Klauseln (a und b) lassen aber, so Rawls, verschiedene Interpretationen zu:
# im Sinne eines Systems der natürlichen Freiheit (bzw. „formalen Chancengleichheit“), wo (a) als [[Pareto-Optimum|pareto-optimierendes]] Effizienzprinzip etwa gemäß der [[Wohlfahrtsökonomie]] verstanden wird, so dass durch Umverteilung keiner besser zu stellen wäre, wobei (zu b) „Begabten alle Laufbahnen offen stehen“, aber „keine Bemühungen darum“ vorgesehen sind, „Gleichheit […] zu bewahren“ - Ungleichheiten durch „natürliche und gesellschaftliche Zufälligkeiten“ werden akzeptiert.
# im Sinne eines „Systems der liberalen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengleichheit“) werde versucht „den Einfluss sozialer Zufälligkeiten auf die Verteilung der Anteile abzuschwächen“. Positionen sollen „nicht nur im formalen Sinne offen stehen sollten“; ebenfalls sollen alle „auch eine faire Chance haben […], sie zu erreichen“. Die „Ausgangsposition innerhalb des sozialen Systems“, etwa durch jene „Klasse, in die sie hineingeboren wurden“, dürfe dem nicht im Wege stehen. Allerdings bleibt „die resultierende [[Vermögensverteilung|Besitz-]] und [[Einkommensverteilung]] entsprechend der natürlichen Verteilung von Fähigkeiten und Begabungen“, es entscheidet also eine „natürliche Lotterie“ über die Anteilsverteilung.<ref>Für einen ersten Überblick zur philosophischen Diskussion über natürliche und soziale „Lotterie“ bzw. Gerechtigkeit und Zufallsgeschick, der auch die Grundideen Rawls' anspricht, vgl. {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/justice-bad-luck/|Justice and Bad Luck|Kasper Lippert-Rasmussen}}.</ref>
# im „System der natürlichen [[Aristokratie]]“ (bzw. „formalen Chancengerechtigkeit“, wie etwa bei [[Edmund Burke|Burke]] oder [[Jean-Jacques Rousseau|Rousseau]]) wird zwar die „natürliche Lotterie“ ausgeglichen, aber „kein Versuch unternommen, die Wirkungen sozialer Zufälligkeiten zu steuern, der über die Erfordernisse der formalen Chancengleichheit hinausgeht“.
# erst im „System der demokratischen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengerechtigkeit“), für das Rawls plädiert, wird die Anteilsverteilung „weder durch gesellschaftliche Zufälligkeiten noch durch die Lotterie der natürlichen Vorzüge auf unangemessene Weise beeinflusst“, was auch „auf die Dauer und über Generationen hinweg“ sicherzustellen ist. Gemäß dem Differenzprinzip würde hier „faire Chancengerechtigkeit“ ggf. auch ohne Chancengleichheit bestehen.


In die Wiener Zeit fällt ein knapp dreiwöchiger Aufenthalt mit Siegfried Kracauer am [[Golf von Neapel]] (September 1925), wo beide mit Walter Benjamin und [[Alfred Sohn-Rethel]] zu fruchtbarem Gedankenaustausch zusammentrafen. Martin Mittelmeier interpretiert diesen Aufenthalt als einen Wendepunkt in der intellektuellen Biographie Adornos. Hier habe er unter dem Einfluss Benjamins die für seine Texte bedeutsamste Darstellungsform, die „Konstellation“, gefunden.<ref>Martin Mittelmeier: ''Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt''. Siedler, München 2013.</ref>
=== Amartya Sen ===
Der Ökonom [[Amartya Sen]] und die Sozialphilosophin [[Martha Nussbaum]] haben den [[Capability Approach|Befähigungsansatz]] entwickelt, der im Hinblick auf die Gerechtigkeit von Entwicklungs-, Geschlechter- und Sozialpolitik diskutiert wird.<ref>Vgl. etwa John M. Alexander: ''Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum.'' Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0.</ref> Darin wird dem Thema der sozialen Gerechtigkeit die Frage zugrunde gelegt, was ein Mensch für Befähigungen benötigt, um sein Leben erfolgreich zu gestalten. Die Vertreter dieser Theorie verbinden die Idee der Sozialen Gerechtigkeit mit einem gehaltvollen Freiheitsbegriff. Zentrale Themen sind dabei etwa die Gesundheitsversorgung oder Bildungschancen unterprivilegierter Bevölkerungsschichten.<ref>Martha C. Nussbaum: ''Capabilities as fundamental entitlements: Sen and Social Justice.'' In: ''Feminist Economics.'' 9(2 – 3), 2003, S. 33–59 {{Webarchiv|url=http://www.lawforlife.org.uk/research-and-theory/further-reading/capabilities-as-fundamental-entitlements-sen-and-social-justice,10105,FP.html|wayback=20121116104603|text=(online)}}</ref>


=== Mittlere Frankfurter Jahre (1926–1934) ===
=== Walter Eucken ===
Zurück aus Wien, widmete er sich der musikpublizistischen Tätigkeit und dem Komponieren. Daneben begann Adorno die Arbeit an einer [[Habilitationsschrift]]. Die Ergebnisse einer ausführlichen Beschäftigung mit der [[Psychoanalyse]] verarbeitete er in einer umfangreichen philosophisch-psychologischen Abhandlung mit dem Titel ''Begriff des [[Das Unbewusste|Unbewußten]] in der transzendentalen Seelenlehre'', die er seinem Doktorvater Cornelius vorlegte. Nachdem dieser Bedenken geäußert hatte, denen sich sein Assistent Horkheimer anschloss, zog Adorno 1928 das [[Habilitation]]sgesuch zurück. Cornelius hatte bemängelt, dass die Arbeit zu wenig originell sei und sein eigenes, Cornelius’ Denken [[Paraphrase (Sprache)|paraphrasiere]].<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 156–161.</ref>
Die durch [[Walter Eucken]] begründete [[Ordnungspolitik]] verortet die Gerechtigkeitsproblematik nicht mehr in den Tauschakten, sondern verlagert sie in die Rahmenordnung für den Wirtschaftsprozess. Durch die Wettbewerbsordnung sollen „zentrale moralische Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden verwirklicht werden“.<ref>Eintrag ''Ordnungspolitik.'' In: In: Georges Enderle, Karl Homan, Martin Honecker, Walter Kerber, Horst Steinmann (Hrsg.): ''Lexikon der Wirtschaftsethik.'' Herder, Freiburg/ Basel/ Wien 1993, ISBN 3-451-22336-8, Sp. 786.</ref> Nach [[Hans G. Nutzinger]] erkennt Eucken „nicht nur die Sinnhaftigkeit eines über die Tauschgerechtigkeit hinausgehenden Konzeptes von ''sozialer Gerechtigkeit'' an, er sieht den Hauptteil der Lösung des Gerechtigkeitsproblems gerade durch die geeignete ordnungspolitische Gestaltung des Wettbewerbsprozesses gesichert“<ref>Hans G. Nutzinger/ Christian Hecker: ''Gerechtigkeit in der Ökonomie – ein unlösbarer Widerspruch?'' [http://www.springerlink.com/content/pu1hqm13p8032265/], S. 559.</ref> und befürwortet darüber hinaus auch korrigierende Eingriffe in die [[Einkommensverteilung]] und [[Vermögensverteilung]].


Die Jahre 1928–1930 waren für Adorno Jahre der beruflichen Ungewissheit. Vergeblich bemühte er sich um eine feste Anstellung als Musikkritiker bei [[Ullstein Verlag|Ullstein]] in Berlin. Zahlreiche Kompositionen und musikkritische Beiträge aus dieser Zeit zeugen indessen von nicht erlahmter Produktivität. Über seine finanzielle Lage brauchte er sich keine Sorgen zu machen, sein Vater hatte ihm weitere Unterstützung zugesagt.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 183.</ref> Adorno weilte in diesen Jahren mehrfach in Berlin bei der – mit ihm inzwischen verlobten promovierten Chemikerin und Unternehmerin Gretel Karplus. Mit ihr unternahm er auch mehrere Reisen, u.&nbsp;a. nach [[Amorbach]], Italien und Frankreich.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 88.</ref> Während der Berlin-Aufenthalte traf er mit vielen zeitgenössischen Autoren und Künstlern zusammen, u.&nbsp;a. mit Ernst Bloch, [[Kurt Weill]], [[Hanns Eisler]] und [[Bertolt Brecht]].
=== Friedrich August von Hayek ===
Als ein inhaltsleeres [[Politisches Schlagwort|Schlagwort]] wertete [[Friedrich August von Hayek]] „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch ''Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit'' von 1976, das nach Einschätzung von [[Otfried Höffe]] das erste größere philosophische Werk zu diesem Thema ist.<ref>[[Otfried Höffe]]: ''Gerechtigkeit: Eine philosophische Einführung.'' 2. Auflage. Verlag C.H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44768-6, S. 84.</ref> Die Aufmerksamkeit, die Hayeks Kritik in der sozialwissenschaftlichen Literatur gefunden hat, konzentriert sich zumeist auf seine Ablehnung der Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit im Sinne von [[Verteilungsgerechtigkeit]].<ref>[[Viktor Vanberg]], ''Marktwirtschaft und Gerechtigkeit F.A. Hayeks Kritik am Konzept der „sozialen Gerechtigkeit“'', Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung Abteilung für Wirtschaftspolitik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2011, S. 2.</ref> An eine [[Marktwirtschaft]], so Hayek, können keine moralischen Maßstäbe wie soziale Gerechtigkeit angelegt werden,<ref name="reitz">Jörg Reitzig: ''Eine Kategorie des Unsinns...'' In: ''Neoliberalismus: Analysen und Alternativen.'' Springer-Verlag, 2008, S. 137.</ref> da in einer Marktwirtschaft niemand Einkommen verteile. Es gebe für die Ergebnisse des Marktprozesses keine Kriterien, an denen sich eine gerechte Verteilung messen ließe. Ein solcher Gerechtigkeitsmaßstab sei nur in einer [[Zentralverwaltungswirtschaft]] sinnvoll anwendbar, in der eine zentrale Autorität die Verteilung von Gütern und Pflichten anordnet, was jedoch, so Hayek, auf eine totalitäre Gesamtkontrolle der Gesellschaft und eine Lähmung der wirtschaftlichen Prozesse hinausliefe.<ref>[[Walter Reese-Schäfer]]: ''Politische Theorie der Gegenwart in fünfzehn Modellen, Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft.'' Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-57930-4, S. 19.</ref> Aber auch in einer solchen Wirtschaftsordnung könne nur irgendeine bestimmte Vorstellung von „sozialer Gerechtigkeit“ durchgesetzt und wohl kaum ein übergreifender Konsens zur „sozial gerechten“ Verteilung erzielt werden.<ref name="Vanberg">[[Viktor Vanberg]]: ''Marktwirtschaft und Gerechtigkeit. Zu F.A. Hayeks Kritik am Konzept der "sozialen Gerechtigkeit".'' Universität Freiburg, Walter Eucken Institut, Freiburg 2011. [http://www.wipo.uni-freiburg.de/dateien/folder.2005-09-22.7023880203/folder.2005-09-22.7371202696/05_11bw.pdf (online)]</ref> Der Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ gehöre daher, so Hayek, „in die Kategorie des [..] Unsinns“.<ref name="reitz" /> Würden im Namen der „sozialen Gerechtigkeit“ Staatseingriffe gefordert, so geschehe dies meist, um Privilegien bestimmter Gruppen oder Personen durchzusetzen. Privilegienfreiheit sei jedoch Kernanforderung für eine gerechte Regelordnung.<ref name="Vanberg" /> Nothilfe hingegen sei mindestens dort politisch zu organisieren, wo die autonome Initiative versage; in [[Prosperität|prosperierenden]] Gesellschaften lägen derartige Hilfen legitimerweise oberhalb des physischen [[Existenzminimum]]s. Hayek betont, dass es dabei nicht um die Korrektur von vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Marktprozesse gehe.<ref>Reinhard Zintl, ''Von Hayek – Freiheit und „soziale Gerechtigkeit“.'' In: ''Politische Philosophie.'' (=&nbsp;Uni-Taschenbücher M, Grundkurs Politikwissenschaft. Band 2816). 2. Auflage. 2006, ISBN 3-8252-2816-9, S. 152.</ref>


Adorno konzentrierte sich zudem auf die Abfassung einer zweiten Habilitationsschrift. Er hatte das Angebot des 1929 auf einen philosophischen Lehrstuhl neu berufenen [[evangelisch]]en Theologen [[Paul Tillich]], bei ihm zu habilitieren, angenommen. Nachdem er binnen eines Jahres die Arbeit über den dänischen [[Existenzphilosophie|Existentialphilosophen]] und [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]]-Kritiker [[Søren Kierkegaard|Kierkegaard]] niedergeschrieben hatte, reichte er sie unter dem Titel ''Kierkegaard – Konstruktion des Ästhetischen'' ein und wurde damit im Februar 1931 an der Frankfurter Universität habilitiert. Die stark überarbeitete Buchausgabe (1933) trug die Widmung: „Meinem Freunde Siegfried Kracauer“.
=== Michael Walzer ===
Der US-amerikanische politische Philosoph [[Michael Walzer]] geht davon aus, dass in der menschlichen Gesellschaft Güter produziert und in unterschiedlichen sozialen Kontexten (sog. „Sphären“) nach unterschiedlichen Prinzipien, z.&nbsp;B. nach Verdienst, Bedürftigkeit oder freiem Austausch, verteilt werden.<ref>Richard Bellamy: ''Justice in the Community. Walzer on Pluralism, Equality and Democracy.'' In: David Boucher, Paul Joseph Kelly (Hrsg.): ''Social Justice: From Hume to Walzer.'' Band 1, Routledge, 1998, ISBN 0-415-14997-5, S. 157–180.</ref> Dabei würde eine universale und abstrakte Gerechtigkeit den unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen zur Produktion verschiedene „Güter“ nicht gerecht. Als unterschiedliche soziale Kontexte identifiziert er unter anderem „Sphären“ zur Verwirklichung von Wohlfahrt und Sicherheit, Geld und Waren, Bildung, politischer Macht, Gemeinschaft, Verwandtschaft und Liebe und so weiter. In der Gesellschaft würden sich in diesen unterschiedlichen „Sphären der Gerechtigkeit“ (so der Titel seines Buches von 1983) verschiedene Ausprägungen der Gerechtigkeit und insgesamt eine „komplexe“ Gleichheitsvorstellung entwickeln. Demnach kann es gerecht sein, im Gesundheitssystem Leistungen nach Bedürftigkeit und im Wirtschaftssystem Leistungen nach Verdienst zu verteilen.


Kontakt zu [[Politische Linke|linksorientierten]] Frankfurter Intellektuellen pflegte er in einem Kreis, „Kränzchen“ genannt, der im lockeren Turnus im ''[[Café Laumer]]'' zur Diskussion zusammentraf. Zu ihm gehörten Horkheimer, Tillich, [[Friedrich Pollock]], der Nationalökonom [[Adolf Löwe]] und der frisch berufene Soziologe [[Karl Mannheim]]. Obwohl noch ohne Habilitation, genoss Adorno „das Privileg“, zu jenem „Kränzchen“ geladen zu werden.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 217f.</ref>
=== Wolfgang Merkel und Mirko Krück ===
Eine Arbeitsgruppe im Auftrag der [[Friedrich-Ebert-Stiftung]]<ref>[[Wolfgang Merkel]], [[Mirko Krück]], [http://library.fes.de/fulltext/id/01706.htm Soziale Gerechtigkeit und Demokratie : auf der Suche nach dem Zusammenhang]</ref> entwickelte aus vier zeitgenössischen Gerechtigkeitstheorien ([[Friedrich Hayek|F.&nbsp;A. von Hayek]], [[John Rawls]], [[Michael Walzer]] und [[Amartya Sen]]) als „Prinzipien“ für „soziale Gerechtigkeit“
* die Gleichverteilung der Zugangsmöglichkeiten zu den notwendigen Grundgütern für die individuell zu entscheidende Entfaltung von Lebenschancen und
* die Stärkung der individuellen Fähigkeiten, die persönliche [[Autonomie]], [[Würde]], Entscheidungsfreiheit, Lebenschancen und Optionsvielfalt schützen, sichern und erweitern.


Nachdem Adorno die ''[[Habilitation|Venia legendi]]'' verliehen worden war, hielt er im Mai 1931 seine Antrittsvorlesung als [[Privatdozent]] für Philosophie; ihr Titel: „Die Aktualität der Philosophie“, die viele Gedanken enthielt, die in sein späteres Gesamtwerk eingingen.<ref>Albrecht Wellmer: ''Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 139.</ref>
Aus diesen beiden Prinzipien werden fünf Dimensionen „sozialer Gerechtigkeit“ abgeleitet:
# Vermeidung von Armut
# Soziale Chancen durch Bildung
# Soziale Chancen durch einen integrativen Markt (Beschäftigungsquote, angemessene [[Einkommensverteilung]])
# Berücksichtigung der besonderen Rolle der Frau
# Soziale Sicherung (Gesundheits- und Sozialausgaben im Verhältnis zum Sozialprodukt)


Im Auftrag Tillichs hatte Adorno schon vor der Antrittsvorlesung an der Frankfurter Universität Seminare veranstaltet. Sie waren, wie die nach der Ernennung zum Privatdozenten selbstständig durchgeführten Kollegs, der Ästhetik gewidmet. Nach der ihm erteilten Lehrbefugnis verblieben ihm noch vier Semester an der Frankfurter Universität. Zu den angebotenen Lehrveranstaltungen gehörten – neben „Kierkegaard“ und „Erkenntnistheoretische Übungen (Husserl)“ – „Probleme der Kunstphilosophie“, eine Veranstaltung, in der er sich mit Benjamins Schrift ''Ursprung des deutschen Trauerspiels'' befasste,<ref>Hartmut Scheible: ''Theodor W. Adorno in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten''. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 69.</ref> die Benjamin bereits 1925 als Habilitationsschrift bei der Frankfurter Philosophischen Fakultät eingereicht hatte und die von dieser abgelehnt worden war.
Dieses Verständnis sozialer Gerechtigkeit ist stark auf die gerechte (hier: gleiche) Verteilung von Zugangschancen gerichtet. Nachträgliche Umverteilungen durch passive [[sozialstaat]]liche Maßnahmen seien weniger geeignet, [[Soziale Klasse|Klassenstrukturen]] zu brechen, Lebenschancen zu erweitern und Armutsfallen zu vermeiden. Trete trotzdem Armut auf, sei sie allerdings durch Ex-Post-Umverteilung mit hoher politischer Präferenz zu bekämpfen, da Armut die individuelle Autonomie und Würde des Menschen beschädigt und zu einer Falle für die nachfolgenden Generationen in armen Familien werden kann.


Vor seiner Emigration in die USA gehörte Adorno noch nicht zu den offiziellen Mitarbeitern des Instituts für Sozialforschung (wie Horkheimer, Pollock, Fromm und Löwenthal), publizierte aber bereits im ersten Heft der von Horkheimer seit 1932 herausgegebenen ''[[Zeitschrift für Sozialforschung]]'' den Aufsatz ''Zur gesellschaftlichen Lage der Musik''. Darin untersuchte er [[Ideologiekritik|ideologiekritisch]] die Produktion und Konsumtion von Musik in der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft.
=== James Buchanan ===
Die 1985 von [[James M. Buchanan]] zusammen mit Geoffrey Brennan veröffentlichte Theorie sozialer Gerechtigkeit konzentriert sich stärker noch als Rawls auf [[Regelgerechtigkeit]]. Maßstab für Gerechtigkeit seien weder in ethischen Instanzen noch in Verteilungsprofilen, sondern ausschließlich im Verfahren der Verfassungsgebung und Verfassungsentwicklung. Handlungen sind demnach gerecht, wenn sie Regeln folgen, die wiederum höheren Regeln entsprechen; die Regelhierarchie führt letztlich zur „Verfassung“, in der die „berechtigten Erwartungen“ der Individuen innerhalb einer Gesellschaft per Konsens festlegt sind.<ref>Nick Lin-Hi im [http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/gerechtigkeit.html Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: ''Gerechtigkeit''].</ref>


Adornos Lehrtätigkeit endete mit dem Wintersemester 1933. Das [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistische Regime]] entzog ihm im Herbst die Befugnis zur akademischen Lehre wegen seiner väterlicherseits jüdischen Abstammung. Wie viele andere Intellektuelle seiner Zeit erwartete er keine lange Dauer des neuen Regimes und räumte rückblickend ein, dass er die politische Lage 1933 völlig falsch beurteilt hatte.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 271.</ref> Er machte sich anfangs sogar noch Hoffnung auf den Posten eines Musikkritikers bei der ''[[Vossische Zeitung|Vossischen Zeitung]]''. In der Zeitschrift ''[[Europäische Revue]]'' glossierte er das von den Nationalsozialisten durchgesetzte Verbot des „[[Negermusik|Negerjazz]]“ dahingehend, dass das Dekret nachträglich bestätige, was sich musikalisch bereits vollzogen habe. Auch lobte er 1934 [[Männerchor|Männerchöre]], die vertonte Gedichte von [[Adolf Hitler|Hitlers]] Jugendführer [[Baldur von Schirach]] sangen.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 280.</ref> Im Wintersemester 1962/63 von der Frankfurter Studentenzeitung ''Diskus'' mit diesen Veröffentlichungen konfrontiert, bedauerte er in einem offenen Brief seine „dumm-taktischen Sätze“, die der Torheit dessen geschuldet seien, „dem der Entschluß zur Emigration unendlich schwer fiel“.<ref>Studentenzeitung ''Diskus'' Januar 1963; zit. nach GS 19: 638. Detaillierter dazu Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 793–795 (Fn 63).</ref>
=== Kontroversen ===


=== Zwischenstation Oxford (1934–1937) ===
Ein Streitpunkt ist die Frage der Universalität oder Gemeinschaftsgebundenheit von Gerechtigkeitsvorstellungen. Während Rawls von allgemeingültigen Bedingungen für gerechte Gesellschaften ausgeht, die sich vor allem in fairen Verfahren niederschlagen, sind eher kommunitaristisch orientierte Philosophen wie Walzer der Auffassung, dass Gerechtigkeitsvorstellungen oft implizit und an lokale Gemeinschaften gebunden sind.<ref>Norman P. Barry: ''An Introduction to Modern Political Theory.'' 4. Auflage. Palgrave Macmillan, 2000, ISBN 0-312-23516-X, S. 155.</ref> Insbesondere im Kontext von Handelsliberalisierung und der Zunahme grenzüberschreitender Wirtschaftsbeziehungen haben diese Fragen eine besondere Brisanz erhalten.<ref>Heather Widdows, Nicola J. Smith: ''Global Social Justice''. Taylor & Francis, 2011, ISBN 978-1-136-72591-3.</ref> Hier geht es darum auszuloten, inwiefern sich die philosophischen und sozialen Grundlagen globaler sozialer Gerechtigkeit als tragfähig erweisen, um nationale Vergemeinschaftung und Solidarität ergänzen oder gar ersetzen zu können.
Als durch die [[Nürnberger Gesetze|nationalsozialistische Rassengesetzgebung]] definiertem „[[Halbjude]]n“ blieb Adorno zunächst noch Bewegungsspielraum in Nazi-Deutschland. Unter Beibehaltung seines amtlich gemeldeten Wohnsitzes in Frankfurt<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 347.</ref> ging er nach [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]], wo er, obwohl bereits deutscher Philosophiedozent, nur als ''advanced student'' im Fach Philosophie am [[Merton College]] in [[Oxford]] aufgenommen wurde.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 288.</ref> Er plante, mit einer Arbeit über die Philosophie Edmund Husserls den akademischen Grad [[Ph.D.]] zu erwerben. Sein Tutor war [[Gilbert Ryle]], kompetenter Kenner der deutschen Philosophie, insbesondere Husserls und [[Martin Heidegger|Heideggers]], und später berühmter Autor von ''The Concept of Mind''. Kontakt hatte er auch zu dem Ideengeschichtler [[Isaiah Berlin]].<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 292.</ref> Wie er Freunden mitteilte, arbeitete er „in einer unbeschreiblichen Ruhe und unter sehr angenehmen äußeren Arbeitsbedingungen“ (Brief an [[Ernst Krenek]]),<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 293.</ref> wenngleich er „das Leben eines mittelalterlichen Studenten mit [[Mütze|Cap]] und Gown“<ref>Das ist die an anglo-amerikanischen Colleges und Universitäten übliche Bekleidung der [[Akademischer Grad|Graduierten]].</ref> zu führen gezwungen war, wie er an Walter Benjamin schrieb.<ref>Theodor W. Adorno, Walter Benjamin: ''Briefwechsel 1928–1940''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994, S. 76.</ref>


Die Oxforder Jahre nutzte Adorno nicht nur für seine Husserl-Studien. Er schrieb eine kritische Abhandlung über die Wissenssoziologie [[Karl Mannheim]]s<ref>Die ursprünglich für die ''Zeitschrift für Sozialforschung'' gedachte scharfe Abgrenzung von Mannheims Ideologiebegriff, den Adorno als formalsoziologisch abqualifizierte, wurde, obwohl bereits gesetzt, nach Einspruch Horkheimers mit Rücksicht auf die Lage der Emigranten nicht publiziert. Die Arbeit erschien erstmals 1953 unter dem Titel ''Das Bewußtsein der Wissenssoziologie''. Vgl. dazu Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 239–243.</ref> und musiktheoretische Artikel für die der Avantgarde verpflichtete ''Wiener Musikzeitschrift 23'' sowie den Aufsatz ''Über Jazz.'', der 1936 in der ''[[Zeitschrift für Sozialforschung]]'' unter dem Pseudonym Hektor Rottweiler erschien<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 302f.</ref> und bis über Adornos Tod hinaus heftigste Reaktionen hervorrief.
Eine weitere Kontroverse besteht in dem Zusammenhang zwischen [[Freiheit]] und sozialer Gerechtigkeit. Der liberale politische Philosoph [[Isaiah Berlin]], der Freiheit vor allem als [[negative Freiheit]] bestimmt, betont die schweren Entscheidungen (''hard choices'') zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.<ref>George Crowder: ''Isaiah Berlin: Liberty and Pluralism.'' Polity, 2004, ISBN 0-7456-2477-4, S. 179.</ref> Andere Theoretiker, die eher in einer [[Republikanismus|republikanischen]] Tradition stehen, wie Amartya Sen, heben hervor, dass soziale Gerechtigkeit im Sinne von Chancengleichheit und Befähigung als Voraussetzung für eine gehaltvolle individuelle Freiheitsausübung gelten muss.<ref>John M. Alexander: ''Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum.'' Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0, S. 151.</ref>


Da die damaligen Devisenbestimmungen nur die Ausfuhr geringer Beträge erlaubten, kehrte Adorno, um sein Leben in Oxford finanzieren zu können, regelmäßig nach den Semestern zu längeren Aufenthalten nach Deutschland zurück – in ein Land, das ihm zur „Hölle“ geworden war, wie er dem in die USA emigrierten Horkheimer schrieb. Er traf dort neben Freunden seine Eltern und seine Verlobte,<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 289 f.</ref> für die, als Jüdin, das Leben in Deutschland immer prekärer wurde und die daher im August 1937 nach London übersiedelte, wo beide am 8. September 1937 im Standesamt des Districts Paddington heirateten. Einer der Trauzeugen war Horkheimer, der zu dieser Zeit, aus den USA kommend, die Zweigstellen des Instituts für Sozialforschung in Europa (Genf, Paris, London) bereiste.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 356.</ref> Adorno bestand auf einer traditionellen Arbeitsteilung mit seiner Frau: „er dachte nicht im entferntesten daran, sich an der Organisation und Führung des Haushaltes zu beteiligen“.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 348.</ref>
Nach Harald Jung hatte Hayek die „Illusion sozialer Gerechtigkeit“ vor dem Hintergrund einer eindimensionalen, historischen Fassung von Gerechtigkeit angegriffen. Anders als Hayek in seinem sozialstaatskritischen Plädoyer Der Weg zur Knechtschaft von 1944 annähme, liege der Ursprung des Begriffs Soziale Gerechtigkeit nicht in „sozialistischen Utopien“ der „Sozialisten in allen Parteien“, sondern in einem auf Aristoteles zurückgehenden mehrdimensionalen Gerechtigkeitsverständnis, auf das etwa Emil Brunner als Abendländische Gerechtigkeitsidee bezug nahm.<ref>Harald Jung: ''Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung.'' Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 285, 286.</ref> Der Sozialwissenschaftler Jörg Reitzig verortet Hayeks Kritik am Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ in einem generellen Angriff neoliberaler Theoriebildung gegen das Konzept der sozialen Gerechtigkeit.<ref>Jörg Reitzig: „Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): ''Neoliberalismus: Analysen und Alternativen.'' VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146. Vgl. Andreas Dorschel: 'Ist soziale Gerechtigkeit ein 'sinnloser' Begriff? Zu einer These Friedrich August von Hayeks', in: ''Österreichische Zeitschrift für Soziologie'' XIII (1988), Nr. 1, S. 4–13.</ref> Für den Soziologen [[Albert O. Hirschman|Albert Hirschman]] stellt der diskursive Ausschluss der Möglichkeit von sozialer Gerechtigkeit ein Hauptelement der von ihm so bezeichneten „Rhetorik der Reaktion“ dar.<ref>Lea Hartung: [http://www.icae.at/wp/wp-content/uploads/2011/06/Hartung_MPS.pdf „Half-an-idea machine“ – Die Mont Pèlerin Society zwischen Gelehrten-Gesellschaft und Think Tank] (PDF-Datei; 655&nbsp;kB) In: Thomas Brandstetter, Claus Pias, Sebastian Vehlken (Hrsg.): ''Think Tanks: Die Beratung der Gesellschaft.'' Diaphanes, Zürich 2010, S. 106.</ref>


Während dieser Zeit unterhielt Adorno einen intensiven Briefwechsel mit dem bereits im amerikanischen Exil lebenden Max Horkheimer, den er im Dezember 1935 in Paris getroffen und im Juni 1937 für zwei Wochen in New York besucht hatte. Horkheimer machte ihm schließlich das Angebot, in den USA eine existenzsichernde wissenschaftliche Tätigkeit aufzunehmen und offizieller Mitarbeiter in seinem Institut für Sozialforschung zu werden.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 929.</ref>
== Verwendung des Begriffs in der politischen Diskussion ==
Der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit wird innerhalb öffentlicher Debatten zwar sehr häufig verwendet, aber selten exakt definiert.<ref>Christoph Giersch: ''Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz'' (=&nbsp;Bochumer Studien zur Gerechtigkeit; Band 2), Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.</ref> Politische Entscheidungsträger erzeugen und vertreten bestimmte Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit.<ref>Roswitha Pioch: ''Soziale Gerechtigkeit in der Politik: Orientierungen von Politikern in Deutschland und den Niederlanden.'' Campus Verlag, 2000, ISBN 3-593-36486-7, S. 59.</ref> Der Begriff ist meist positiv besetzt, bei politischen Auseinandersetzungen beanspruchen daher die Vertreter unterschiedlicher und selbst widersprüchlicher Positionen das Etikett ''sozial gerecht'' für sich. Entsprechend dient die Etikettierung einer Position als ''sozial ungerecht'' der Disqualifizierung missliebiger Positionen.<ref>Christoph Giersch: ''Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz.'' Band 2 von Bochumer Studien zur Gerechtigkeit, Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.</ref> Der Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ liege nach Ansicht von Rolf Kramer oft nicht der Wille zur [[Gerechtigkeit]], sondern zu einer [[Umverteilung]], zu einer besseren und gerechteren Verteilung der [[Wirtschaftliches Gut|Güter]] zugrunde.<ref>Rolf Kramer: ''Soziale Gerechtigkeit: Inhalt und Grenzen.'' Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 6.</ref>


Mitte Dezember 1937 verbrachten die Adornos noch einen Urlaub an der Ligurischen Küste, wo sie sich mit Walter Benjamin trafen; und in Brüssel verabschiedete sich Adorno von den Eltern, die später nachkommen sollten.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 930.</ref>
=== Verwendung in Deutschland ===


=== Emigrant in den USA (1938–1953) ===
Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich bereits im [[Deutsches Reich|Deutschen Reich]] in der Zeit der [[Weimarer Republik]] (1918 bis 1933) und wurde z.&nbsp;B. von der [[Deutsche Zentrumspartei|Deutschen Zentrumspartei]] zum politischen Ziel erklärt.<ref>Heiko Bollmeyer: ''Der steinige Weg zur Demokratie: Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik.'' Campus Verlag, 2007, ISBN 978-3-593-38445-0, S. 210–211.</ref> Mit der [[Weimarer Reichsverfassung]] vom 19. Juli 1919 wurden im [[Weimarer Verfassung#Fünfter Abschnitt: Das Wirtschaftsleben|fünften Abschnitt]], der das Wirtschaftsleben regelte, erstmals weitgehende „soziale Rechte“ in einer Verfassung verankert. Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der [[Bundesrepublik Deutschland]]<ref name="disk">[[Frank Nullmeier]]: ''Soziale Gerechtigkeit – ein politischer „Kampfbegriff“?'' In: [http://www.bpb.de/files/W1C8PC.pdf Soziale Gerechtigkeit] (PDF-Datei; 2,3&nbsp;MB), [[Aus Politik und Zeitgeschichte]] 47/2009, 16. November 2009, S. 9–13.</ref> in der Form des [[Sozialstaatspostulat]]es das, zusätzlich durch die [[Ewigkeitsklausel]] von Verfassungsänderungen ausgenommen, einen „sozialen Bundesstaat“ sowie einen „sozialen Rechtsstaat“ festschreibt.
[[Datei:45 Christopher St NYC.jpg|mini|Christopher Street 45, 1938 zeitweise Wohnhaus der Adornos]]
Horkheimers Einladung folgend, siedelte Adorno mit seiner Frau im Februar 1938 in die USA über und emigrierte damit aus Nazi-Deutschland. Seinen Eltern, die bei den antijüdischen Ausschreitungen während der [[Novemberpogrome 1938|Kristallnacht]]“ misshandelt und verhaftet worden waren, gelang die Ausreise nach Havanna im Jahr darauf.<ref>Lorenz Jäger: ''Adorno. Eine politische Biographie''. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, S. 148f.</ref> Nachdem die Adornos in den ersten Wochen eine provisorische Wohnung in [[Greenwich Village]] ([[New York City]]) bezogen hatten, mieteten sie ein [[Apartment]] unweit der [[Columbia University]], die dem Institut für Sozialforschung (nunmehr unter dem Namen ''Institute of Social Research'') ein Gebäude zur Verfügung gestellt hatte. Das Paar richtete sich hier mit den aus Deutschland verschifften Möbeln ein und hatte von Anfang an keinen Mangel an privaten Kontakten und Beziehungen.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 369–371.</ref>


Gleich nach seiner Ankunft wurde Adorno Mitarbeiter des ''Princeton Radio Research Projects'', eines von dem österreichischen Soziologen [[Paul Lazarsfeld]] geleiteten größeren Forschungsvorhabens. Adorno wurde die Durchführung eines Teilprojekts für den Bereich der Musik übertragen, die für ihn eine gänzlich ungewohnte und aufreibende Tätigkeit bedeutete.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 372 f.</ref> Während er seine Arbeit zur Hälfte dem empirischen Projekt widmete, war er zur anderen Hälfte als nunmehr offizieller Mitarbeiter an Horkheimers ''Institute of Social Research'' tätig (GS 10/2: 705) und neben Leo Löwenthal für die redaktionelle Arbeit an der ''Zeitschrift für Sozialforschung'' verantwortlich. Überdies beteiligte er sich an den Seminaren, Vorträgen und internen Diskussionen über den Charakter des Nationalsozialismus.<ref>Vgl. dazu den Band ''Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus. Analysen des Instituts für Sozialforschung 1939–1942''. Hrgg. von [[Helmut Dubiel]] und [[Alfred Söllner]]. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984. Aus diesem Diskussionszusammenhang stammt auch ein Arbeitspapier Adornos mit dem Titel ''Reflexionen zur Klassentheorie'', das erstmals posthum in den ''Gesammelten Schriften'' (GS 8: 373–391) veröffentlicht wurde.</ref>
Soziale Gerechtigkeit gehört laut der Konrad-Adenauer-Stiftung zu den Grundwerten im Konzept der [[Soziale Marktwirtschaft|Sozialen Marktwirtschaft]].<ref>Konrad-Adenauer-Stiftung: Lexikon der Sozialen Marktwirtschaft, Stichwort: [http://www.kas.de/wf/de/71.10938/ ''Soziale Gerechtigkeit (sozialer Ausgleich)''] sowie Stichwort: [http://www.kas.de/wf/de/71.10270 ''Soziale Marktwirtschaft: Soziale Irenik''].</ref> Soziale Gerechtigkeit ist laut Umfragen ein wichtiger Wert für die Bevölkerung und auch öffentliches Thema in Debatten zum Gemeinwesen.<ref>Vgl. etwa [[Ingo Schulze (Autor)|Ingo Schulze]]: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kapitalismus/zukunft-des-kapitalismus-16-das-monster-in-der-grube-1843083.html ''Das Monster in der Grube.''] In: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ]].'' August 2009.</ref>


Da Adorno auf seiner kritischen Einstellung gegenüber dem ''administrative research''<ref>Von Paul F. Lazarsfeld eingeführter Begriff für empirische Sozialforschung im Auftrag einer öffentlichen oder privaten Administration. Vgl. Paul F. Lazarsfeld: ''Remarks on Administrative and Critical Communications Research'' In: ''Studies in Philosophy and Social Science.'' Jg. IX/1941, S. 2–16.</ref> beharrte, kam es zu einem „anhaltenden Disput zwischen dem Musiktheoretiker und dem Sozialforscher“,<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 379.</ref> der schließlich dazu führte, dass Lazarsfeld die Zusammenarbeit nach zwei Jahren beendete.
In der politischen Diskussion in Deutschland wird der Begriff seit der [[Agenda 2010]] und den [[Hartz-Konzept#Hartz IV mit Wirkung ab 1. Januar 2005|Hartz-IV]]-Gesetzen wieder vermehrt verwendet und steht in der sozialstaatlichen Diskussion unter anderem für den Wunsch nach einem höheren Maß an sozialer Gleichheit und sozialer Sicherung. Aktuell taucht der Begriff auch z.&nbsp;B. in der Diskussion um die ungleicher werdende Einkommensverteilung und die Bankenrettungspakete auf. Während die Kritiker dieser Entwicklung als Folge eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit sehen, wird von einigen Befürwortern diese Kritik als „[[Sozialneid|Neiddebatte]]“ bezeichnet und zurückgewiesen. Die Begriffsverwendung führt dadurch auch zu einer politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien entsprechend der Rechts-links-Achse des Parteiensystems.<ref name="disk" /> Seit den Ergebnissen der [[PISA-Studien]], die gezeigt haben, dass in Deutschland die soziale Herkunft sich oft entscheidend auf die Bildungschancen auswirkt, wird insbesondere auch die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit des Bildungssystems diskutiert.<ref>Heinz Sünker: ''Bildungspolitik, Bildung und soziale Gerechtigkeit PISA und die Folgen'' In: Hans-Uwe Otto, Thomas Rauschenbach (Hrsg.): ''Die andere Seite der Bildung.'' 2. Auflage. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, S. 223–236.</ref>


Horkheimer, der Adorno nach seinem Ausscheiden aus dem Radio-Projekt eine volle Institutsstelle zugesagt hatte, suchte in dieser Zeit die engere Zusammenarbeit mit ihm. Er hatte ihn als Mitarbeiter an dem schon länger geplanten Buch über „dialektische Logik“, das die Selbstzerstörung der Vernunft zum Thema haben sollte, vorgesehen. Ab Herbst 1939 fanden zwischen beiden Gespräche statt, die Gretel Adorno teilweise protokollierte.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 397.</ref> Zeitweilig war auch [[Herbert Marcuse]], der damalige „hauptamtliche Philosoph des Instituts“,<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 392.</ref> mit dem Horkheimer in New York an einer materialistischen Kritik des Idealismus arbeitete, ebenfalls für die Mitarbeit vorgesehen. Da Horkheimer keineswegs mit letzter Deutlichkeit ausgeschlossen hatte, ihn an dem ''Dialektik-Buch'' zu beteiligen, war Adorno, „nicht frei von Eifersucht, […] alles dran gelegen, mit Horkheimer exklusiv das Buch zu schreiben“.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 409.</ref> Bereits im Mai 1935 hatte Adorno aus Oxford an Horkheimer über Marcuse geschrieben, es mache ihn traurig, dass „Sie philosophisch unmittelbar mit einem Mann arbeiten, den ich schließlich für einen durch Judentum verhinderten [[Faschismus|Faszisten]] halte“.<ref>Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: ''Briefwechsel, Band I: 1927–1837. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 65.</ref><ref>Diesen Vorwurf begründete Adorno mit der 1932 im [[Verlag Vittorio Klostermann]] veröffentlichten Habilitationsschrift Marcuses: ''Hegels Ontologie und die Theorie der Geschichtlichkeit'', und zwar, weil dieser im Vorwort sich bei Heidegger bedankt hatte und der Verleger [[Vittorio Klostermann]] dem jungkonservativen [[Tat-Kreis]] angehörte. Adorno ließ dabei unberücksichtigt, dass Marcuse bereits 1931 wegen politischer Differenzen mit Heidegger Freiburg verlassen hatte und nach Frankfurt gegangen war, wo Horkheimer den Abschluss seiner Habilitation betreute. (Vgl. Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: ''Briefwechsel, Band I: 1927–1937. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 70.)</ref>
=== Dimensionen sozialer Gerechtigkeit ===
[[Lutz Leisering]] kommt nach Analyse der öffentlichen Diskussion über den deutschen [[Wohlfahrtsstaat]] zu dem Ergebnis, dass es vier Paradigmen sozialer Gerechtigkeit gebe:<ref name="lieb">[[Stefan Liebig]]: {{Webarchiv|url=http://www.das-parlament.de/2009/47/Beilage/001.html|wayback=20100121164754|text=''Dimensionen sozialer Gerechtigkeit.''}} In: ''Das Parlament.'' 47/2009.</ref>


Horkheimer und seine Frau Maidon siedelten 1940, vorwiegend aus gesundheitlichen Gründen – vor allem Maidon litt unter dem New Yorker Klima –, nach [[Los Angeles]] über und bezogen in [[Pacific Palisades]] einen eigens für sie gebauten Bungalow. Die Adornos zogen im November 1941 nach und dort in ein gemietetes Haus ein.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 931.</ref> Beide wohnten in unmittelbarer Nähe und zudem in Nachbarschaft einer Kolonie deutscher und österreichischer Emigranten, wie [[Berthold Viertel|Berthold]] und [[Salka Viertel]], [[Thomas Mann|Thomas]] und [[Katja Mann]], [[Hanns Eisler]], Bertolt Brecht und [[Helene Weigel]], [[Max Reinhardt]], Arnold Schönberg und vielen anderen. Die meisten von ihnen waren Hollywoods wegen gekommen, weil sie sich Aufträge von der Filmindustrie erhofften.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Die Frankfurter Schule. Geschichte – Theoretische Entwicklung – Politische Bedeutung''. Hanser, München 1986, S. 327.</ref>
# Bedarfsprinzip: der [[Staat]] hat die Aufgabe einer umfassenden Bedarfsabsicherung und [[Umverteilung]]
# Leistungsprinzip: hier steht Leistungsgerechtigkeit im Vordergrund, was geringe Eingriffe in die Marktverteilung und eine nur minimale Absicherung gegenüber unverschuldeten Notlagen bedeutet.
# Produktivistische Gerechtigkeit: die Zuweisung von Gütern oder Lasten erfolgt nach den für die Gesellschaft erbrachten Leistungen.
# Teilhabegerechtigkeit: diese soll eine gesellschaftliche Teilhabe im Sinne der rechtlichen Gleichstellung, sozialen Anerkennung und Beteiligung am sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben garantieren.


Anfang 1942 begannen Adorno und Horkheimer mit der Arbeit an dem Buch, das später den Titel ''[[Dialektik der Aufklärung]]'' tragen sollte. Mit ihm entstand als Gemeinschaftsarbeit beider, unter Mithilfe von Adornos Frau Gretel, das Hauptwerk der [[Kritische Theorie|Kritischen Theorie]], das erstmals 1944 im Herstellungsverfahren der [[Mimeographie]] unter dem Titel ''Philosophische Fragmente'' mit der Widmung „[[Friedrich Pollock]] zum 50. Geburtstag“ im Verlag des ''New York Institute of Social Research'' erschien und in seiner endgültigen Form 1947 im Amsterdamer [[Querido Verlag]] veröffentlicht wurde.
Bei materieller Ungleichheiten handelt es sich nicht notwendigerweise um soziale Ungerechtigkeiten, dies hängt von der zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellung ab. Einkommensungleichheiten sind nur dann ungerecht, wenn man soziale Gerechtigkeit als Ergebnisgleichheit versteht.<ref name="lieb" /> Nach Einschätzung Leiserings gewinnt das Paradigma der Teilhabegerechtigkeit in den aktuellen Debatten zunehmend an Bedeutung und löst das klassische, an den Ergebnissen der Verteilung ausgerichteten Verständnis sozialer Gerechtigkeit ab. Nach Einschätzung [[Stefan Liebig]]s werden die Fragen der Bedarfsgerechtigkeit im klassischen Sinne dadurch jedoch keineswegs obsolet. Der Schutz vor Marktversagen, die Absicherung vor nicht selbstverschuldeten Notlagen und die Sicherung eines bestimmten Mindestlebensstandards bleiben wichtige Forderungen. Im Unterschied zur Bedarfsabsicherung z.&nbsp;B. in Familien erfolgt eine derartige staatliche Ausfallbürgschaft nicht unbedingt, sondern es knüpfen sich daran auch Erwartungen an entsprechende Gegenleistungen.<ref name="lieb" />


Angesichts des an den Juden und anderen Bevölkerungsgruppen verübten [[Holocaust|Massenmords]] legten die beiden Autoren eine Geschichtsphilosophie der Gesellschaft nach [[KZ Auschwitz|Auschwitz]] vor, die eine grundsätzliche Kritik der [[Aufklärung]] darstellte, deren Fortschrittsoptimismus obsolet geworden sei. Programmatisch heißt es gleich auf der ersten Seite, es gehe um „die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt“ (GS 3: 11). Dies zu erklären, setzte das Buch mit der [[Dialektik|dialektischen]] These einer Verschränkung von Vernunft und Mythos, von Natur und Rationalität ein. Die Vernunftkritik erfolgte aus einer katastrophischen Perspektive.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor W. Adorno zur Einführung''. Junius, Hamburg 1996, S. 39–44.</ref>
Der französische Soziologe [[François Dubet]] geht von einer pluralen Theorie der Gerechtigkeit aus, die er in einer großangelegten Befragung von Erwerbstätigen ermittelt hat.<ref>François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008.</ref> Drei zentrale und widersprüchliche Prinzipien, die nicht aufeinander zurückführbar sind,
sind für seinen Gerechtigkeitsbegriff konstitutiv: Gleichheit, Leistung und Autonomie. Bei der „Gleichheit“ geht es nicht um [[Egalitarismus]], sondern um „Gleichheit als eine gerechte Ordnung“,<ref>François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 95.</ref> wobei Positionen in Gesellschaft und Arbeitsorganisation unter dem Gesichtspunkt einer gerechten [[Sozialer Status|Statushierarchie]] beurteilt werden. Dabei kann wiederum unterscheiden werden: zwischen einer Gleichheit der Positionen und einer der Startchancen. Die „Leistung“ als Gerechtigkeitsprinzip kommt in [[Meritokratie|meritokratischer]] Einstellung zur Geltung. Hierbei geht es den Befragten primär um die Angemessenheit der Entlohnung für ihre Leistung und ihr Engagement. „Autonomie“ steht als drittes Gerechtigkeitsprinzip im Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und Entfremdung. Das Autonomieprinzip beruht auf der Überzeugung, „einen eigenen Wert zu haben, eine Freiheit, die von den Arbeitsbedingungen bedroht wird“<ref>François Dubet Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 147.</ref> Für die Dimension der Autonomie nimmt der Beruf eine besondere Bedeutung ein, weil er dem Arbeiter Stolz und Würde, das Gefühl, nicht bloße Arbeitskraft zu sein, vermittel. Autonomieverlust und Entfremdung entsteht durch verschärfte Kontrolle der Arbeit durch Vorgesetzte; sie unterbindet Engagement und Initiative. Ihre Folgen sind Erschöpfung und Stress.


Über das Ende des NS-Regimes und Hitlers Tod äußerte Adorno sich in privaten Briefen an seine Eltern (1. Mai 1945) und an Horkheimer (9. Mai 1945) mit einer Mischung aus Gefühlen von Freude, Trauer und Sarkasmus.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 471. – Christian Schneider: ''Atempausen und Schlupflöcher. Theodor Adornos Briefe an die Eltern.'' In: ''Mittelweg 36.'' 12. Jg., 2003, Heft 6, S. 41–56.</ref>
== Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in verschiedenen Sozialstaatsmodellen ==
Nach [[Wolfgang Merkel]]<ref>Wolfgang Merkel: ''Soziale Gerechtigkeit im OECD Vergleich.'' In: Empter/Varenkamp: ''Soziale Gerechtigkeit – eine Bestandsaufnahme.'' 2007, ISBN 978-3-89204-925-8, S. 233 ff.</ref> hat sich in der Gegenwart eine Aufteilung in „drei Welten des [[Wohlfahrtskapitalismus]]“ ergeben, die in der realen Welt zwar in Mischformen auftreten, sich aber doch durch charakteristische Strukturmerkmale deutlich voneinander unterscheiden lassen:
* „Marginales angelsächsisches Modell“ mit dem „selektiven [[Fürsorgeprinzip]]“ als Merkmal,
* „[[Sozialversicherung]]sstaat Kontinentaleuropas“ mit dem „[[Versicherungsprinzip]]“ als Merkmal und
* „Universalistisches Modell [[Skandinavien]]s“ mit der „steuerfinanzierten Staatsbürgerversorgung“ als Merkmal.


[[Hartmut Scheible]] bezeichnet die Jahre in Kalifornien als die fruchtbarsten in Adornos Leben.<ref>Hartmut Scheible: ''Theodor W. Adorno mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten''. Rowohlt, Reinbek 1989, S. 116.</ref> Hier entstanden neben der ''Dialektik der Aufklärung'' die ''[[Minima Moralia]]'' und die ''[[Philosophie der neuen Musik]]''. Für [[Rolf Wiggershaus]] stellten die ''Minima Moralia'' „so etwas wie die [[Aphorismus|aphoristische]] Fortsetzung“ der ''Dialektik der Aufklärung'' dar.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Die Frankfurter Schule. Geschichte – Theoretische Entwicklung – Politische Bedeutung.'' 2. Auflage. Hanser, München 1987, S. 438.</ref>
=== Deutschland ===


In diese Jahre fällt auch die Zusammenarbeit mit Thomas Mann, der für seinen Roman ''[[Doktor Faustus]]'' zahlreiche Anregungen aus Adornos Manuskript zur ''Philosophie der neuen Musik'' bezog, insbesondere aus dem ersten Teil über Schönberg.<ref>Hartmut Scheible: ''Theodor W. Adorno mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten''. Rowohlt, Reinbek 1989, S. 117.</ref> Im September 1943 hatte Thomas Mann Adorno in sein Haus am San Remo Drive eingeladen und aus dem achten Kapitel vorgelesen. Adornos Einwände und Ergänzungsvorschläge, die er „zunächst spontan, dann in schriftlicher Form machte, hat der Autor für die ersten Kapitel seines Romans [] weitgehend berücksichtigt“.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 480 f.</ref> Er verdankte Adorno als dem intimen Kenner der Musik-Avantgarde wichtige Auskünfte zu musikphilosophischen und kompositionstechnischen Fragen. Bis ins kleinste musikalische Detail profitierte Thomas Mann sowohl in Gesprächen anlässlich mehrerer wechselseitiger Einladungen beider Familien als auch durch die Korrespondenz von der Expertise eines „so erstaunlichen Kenners“ (Mann über Adorno).<ref>Theodor W. Adorno, Thomas Mann: ''Briefwechsel 1943–1955''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, S. 9 f.</ref> Mann bedankte sich für diese Zusammenarbeit mit diversen Anspielungen auf Adorno im Roman, so ähnelt er einer der wechselnden Teufelsgestalten.
In der [[Deutschland|Bundesrepublik Deutschland]] wird ''soziale Gerechtigkeit'' als ideelles Ziel des aus dem [[Sozialstaat]]sgedanken des Artikel 20, Absatz 1 des [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|Grundgesetzes]] abgeleiteten Bestreben der [[Sozialpolitik]] angesehen. Dem Bürger soll eine existenzsichernde Teilhabe an den materiellen und geistigen Gütern der Gemeinschaft garantiert werden. Insbesondere wird auch angestrebt, eine angemessene Mindestsicherheit zur Führung eines selbst bestimmten Lebens in Würde und Selbstachtung zu gewährleisten.


Hanns Eisler, mit dem Adorno seit 1925 befreundet war und der nur ein paar Straßen weiter wohnte, trat im Dezember 1942 an Adorno mit der Idee heran, zusammen ein Buch über [[Filmmusik]] zu schreiben. Das 1944 auf Deutsch abgeschlossene Buch erschien erst 1949 unter dem Titel ''Composing for the Films'' auf Englisch, mit Eisler als alleinigem Autor. Adorno, der in einem Brief an seine Mutter beanspruchte, 90 Prozent des Textes verfasst zu haben, war als Co-Autor zurückgetreten, weil Eisler, ein Anhänger des [[Marxismus-Leninismus|Sowjetmarxismus]], vor das ''[[Komitee für unamerikanische Umtriebe|Committee of Un-American Activities]]'' zitiert worden war und Adorno nicht „[[Märtyrer]] einer Sache“ werden wollte, „die nicht die meine war und nicht die meine ist“ (GS 15: 144), wie er 1969 im Nachwort zum Erstdruck der Originalfassung rückblickend sich rechtfertigte.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 479.</ref>
Für die aus dem Sozialstaatsprinzip hergeleitete Verpflichtung des Staates zu einer ''gerechten Sozialordnung'' steht dem Gesetzgeber ein ''weiter Gestaltungsspielraum'' zu.<ref>Vgl. Beschluss des [[Bundesverfassungsgericht]]s vom 13. Januar 1982, [http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv059231.html BVerfGE 59, 231 – Freie Mitarbeiter].</ref>


Nachdem Anfang 1944 das Manuskript des Dialektik-Buchs – zunächst noch mit ''Philosophische Fragmente'' betitelt – abgeschlossen worden war, stieg Adorno in das gemeinsam von der [[University of Berkeley]] und dem ''Institute of Social Research'' betriebene großangelegte [[Autoritäre Persönlichkeit#Das Forschungsprojekt Authoritarian Personality|Forschungsprojekt]] zum Thema [[Antisemitismus (bis 1945)|Antisemitismus]] ein.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 444.</ref>
Nach Angaben des Kinderhilfswerks [[UNICEF]] wächst die [[Kinderarmut in den Industrieländern|Kinderarmut]] in Deutschland schneller als in den meisten anderen Industriestaaten. Neben den [[PISA-Studien]] sehen auch andere international vergleichende Bildungsstudien (z.&nbsp;B. [[Euro-Student-Report]], UNICEF-Studie: ''Educational Disadvantage in Rich Nations'') Deutschland auf den hintersten Rängen bezüglich sozialer Gerechtigkeit.


Seine letzte Tätigkeit in den USA trat er im Oktober 1952 als Forschungsdirektor der ''Hacker Psychiatric Foundation'' an und befasste sich mit inhaltsanalytischen Untersuchungen über Zeitungs[[horoskop]]e und [[Fernsehserie]]n. Nachdem er mit dem Aggressionsforscher [[Friedrich Hacker]] in konfliktreiche Auseinandersetzungen geraten war, kündigte er seine Stellung und kehrte im August 1953 nach Deutschland zurück.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 528 f., 934.</ref>
Die [[Bertelsmann Stiftung]] veröffentlichte im Januar 2011 eine Studie, in der „Soziale Gerechtigkeit“ als [[Teilhabegerechtigkeit]] aufgefasst wird. Bei dieser geht es im Unterschied zu einer „gleichmachenden“ [[Verteilungsgerechtigkeit]] oder einer formalen [[Regelgerechtigkeit]] darum, „jedem Individuum tatsächlich gleiche Verwirklichungschancen durch die gezielte Investition in die Entwicklung individueller ‚Fähigkeiten‘ (capabilities) zu garantieren.“<ref>Zit. nach Bertelsmann Stiftung: [http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_33013_33014_2.pdf ''Soziale Gerechtigkeit in der OECD – Wo steht Deutschland? Sustainable Governance Indicators 2011''], 2011 (PDF, S. 10; 3,1&nbsp;MB). Abgerufen am 8.&nbsp;Januar 2011.</ref> Deutschland kommt dabei im [[OECD]]-Vergleich ins Mittelfeld. Besonders kritisiert wurden u.&nbsp;a. die hohe Kinderarmut, die starke soziale Benachteiligung im Bildungssystem, sowie eine unzureichende Förderung von Langzeitarbeitslosen.<ref>Bertelsmann Stiftung: [http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-98216010-B7D393FC/bst/hs.xsl/nachrichten_104942.htm ''Nachholbedarf in Sachen soziale Gerechtigkeit.''] Pressemitteilung, 3.&nbsp;Januar 2011. Abgerufen am 8.&nbsp;Januar 2011.</ref>


So kritisch der Emigrant Adorno auch die in den USA beobachtete konformistische Gleichschaltung, die konsequente „Hereinziehung der Kulturprodukte in die Warensphäre“ beurteilte, ja, das Schreckbild einer möglichen Konvergenz des „europäischen Faschismus und der amerikanischen Unterhaltungsindustrie“ heraufziehen sah, behielt er als „existentielle Dankespflicht“ im Gedächtnis, dass er den USA seine „Rettung vor der nationalsozialistischen Verfolgung“ zu verdanken hatte.<ref>Claus Offe: ''Selbstbetrachtung aus der Ferne. Tocqueville, Weber und Adorno in den USA''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, S. 92, 104, 108 (mit Originalzitaten Adornos).</ref>
=== Internationale Aktivitäten ===
 
Der 20. Februar wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum ''Welttag der Sozialen Gerechtigkeit'' ernannt und 2009 zum ersten Mal begangen.<ref>''{{Webarchiv|url=http://www.un.org/esa/socdev/social/intldays/IntlJustice/launch10Feb09/index.html|wayback=20110310170525|text=Launch of the World Day of Social Justice, New York, 10 February 2009}}''. Auf der Website der UNO, abgerufen am 8. März 2010.</ref>
=== Späte Frankfurter Jahre (1949–1969) ===
[[Datei:Ffm-adorno-ampel001.jpg|miniatur|Institut für Sozialforschung und „Adorno-Ampel“ an der Senckenberganlage in Frankfurt am Main. Adorno hatte sich seit 1962 für den Bau einer Ampel an der vielbefahrenen Straße zwischen dem Institut und dem Universitätscampus in Frankfurt-Bockenheim eingesetzt; allerdings wurde die Ampel erst 1987 installiert. ]]
 
Im Oktober 1949 kehrte Adorno zum ersten Mal seit seiner Emigration wieder nach Deutschland zurück. Unmittelbarer Grund war die Vertretung Horkheimers an der Frankfurter Universität, die Horkheimer bereits 1949 wieder zum ordentlichen Professor, diesmal für Philosophie und Soziologie, berufen hatte.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Max Horkheimer zur Einführung''. Junius, Hamburg 1998, S. 126.</ref> Nach wechselnden Aufenthalten in Deutschland und den USA kehrte Adorno im August 1953 endgültig nach Deutschland zurück, wo ihn die Frankfurter Universität zum außerordentlichen Professor für Philosophie und Soziologie ernannte.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 933&nbsp;f.</ref>
 
Adornos Motivation zur Rückkehr nach Deutschland war nach eigener Aussage subjektiv durch Heimweh und objektiv durch die Sprache bestimmt. Er war auf die deutsche Sprache angewiesen, die für ihn eine „besondere Verwandtschaft zur Philosophie“ habe.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 494.</ref> Sein Denken „ließ sich nicht von der deutschen Sprache lösen“.<ref>Joachim Perels: ''Verteidigung der Erinnerung im Angesicht ihrer Zerstörung - Theodor W. Adorno.'' In: Michael Buckmiller; Dietrich Heimann; Joachim Perels (Hrsg.): ''Judentum und politische Existenz. Siebzehn Porträts deutsch-jüdischer Intellektueller.'' Offizin Verlag, Hannover 2000, S. 274.</ref> Als Wissenschaftler war er zurückgekommen, um an seiner Heimatuniversität an die ihm 1933 entzogene Privatdozentur für Philosophie anzuknüpfen. Er wurde aber bald als Repräsentant einer anderen Disziplin, der Soziologie, bekannt, für die er während seiner Emigrationsjahre vielfältige Qualifikationen erworben hatte. Über die frühen Erfahrungen, die Adorno im besiegten Deutschland machte, äußerte er sich einerseits sehr kritisch: Man treffe so gut wie keine Nazis, keiner wolle es gewesen sein und man habe von allem nichts gewusst,<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 503.</ref> andererseits lobte er an den Studenten eine „leidenschaftliche Teilnahme“.<ref>Theodor W. Adorno, Thomas Mann: ''Briefwechsel 1943–1955''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, S. 46.</ref> Mit der Dichterin [[Marie Luise Kaschnitz]] schloss er Freundschaft; eine enge Zusammenarbeit entstand mit den beiden Herausgebern der ''[[Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte|Frankfurter Hefte]]'', [[Walter Dirks]] und [[Eugen Kogon]].<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 501 f.</ref>
 
Von den alten Institutsmitarbeitern war neben Horkheimer und Adorno nur noch Friedrich Pollock nach Frankfurt zurückgekehrt; Fromm, Löwenthal, Marcuse, [[Franz Neumann (Politikwissenschaftler)|Franz Neumann]] und [[Karl August Wittfogel]] zogen es vor, in den USA ihre akademische Karriere fortzusetzen.<ref>Helmut Gunnior, Rudolf Ringguth:''Max Horkheimer mit Bilddokumenten und Selbstzeugnissen''. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988 (23.-25. Tausend), S. 92.</ref> Für das am 14. November 1951 im neuen Gebäude wiedereröffnete Institut für Sozialforschung war Adorno von Anfang an als stellvertretender Direktor mitverantwortlich. Das Institut war die erste akademische Einrichtung, die ein Soziologiestudium im [[Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland|Nachkriegsdeutschland]] ermöglichte.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 508.</ref>
 
Nach dem Rückzug Horkheimers nach [[Montagnola]] in der Schweiz ruhte die Hauptarbeit faktisch auf Adornos Schultern. 1958 übernahm er offiziell die Leitung des Instituts.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 494 f.</ref> In seiner Frau fand er eine „wesentliche Stütze seines Schaffens“ und aktive Mitarbeiterin. Gemeinsam mit ihm betrat sie morgens das Institut und verließ es abends mit ihm. In ihrem eigenen Büro redigierte sie penibel alle Texte Adornos vor der Drucklegung. Selten verpasste sie eine seiner Vorlesungen. Den Studenten stand sie als „Beichtmutter“ und Vermittlerin zum „Übervater“ bei.<ref>Staci von Boeckmann: ''Trachodon und Teddie: Über Gretel Adorno.'' In: Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Portraits. Erinnerungen von Zeitgenossen''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, S. 335–351.</ref> Dass ihre Ehe kinderlos blieb, war eine von beiden bewusst getroffene Entscheidung, die sie den ungewissen Zeitumständen und Zukunftsperspektiven zuschrieben.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 93.</ref>
 
Die wissenschaftliche Produktivität, die Adorno in den USA auf dem Gebiet der Sozialforschung entfaltet hatte, trug dazu bei, dass er in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren als einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Soziologie anerkannt wurde.<ref>[[Henning Ritter]] zufolge konnte Adorno „‚Amerikanisch‘ besser als irgendeiner sonst im Lande“. Er „war zurückgekommen mit dem amerikanischen Schlüssel zu allem in der Hand, bei einer tiefen Abneigung gegen alles Amerikanische.“ Henning Ritter: ''Adornos Stil. Wenn Adorno spricht.'' In: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten-1/adornos-stil-wenn-adorno-spricht-1712550.html ''Frankfurter Allgemeine Zeitung'' vom 11. Oktober 2008].</ref> Nachdem 1955 [[Ludwig von Friedeburg]] als der für die empirischen Forschungsprojekte verantwortliche neue Abteilungsleiter des Instituts eingestellt worden war, zog sich Adorno allmählich aus der empirischen Forschung zurück, obgleich er sich in der Folgezeit weiterhin zum Verhältnis von theoretischer Reflexion und empirischer Forschung zu Wort meldete.<ref>Wolfgang Bonß: ''Kritische Theorie und empirische Sozialforschung – ein Spannungsverhältnis.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' Metzler, Stuttgart 2011, S. 245.</ref> Seine Skepsis steigerte sich zur Polarisierung im sogenannten ''[[Positivismusstreit]]'', der 1961 mit einem Referat von [[Karl Popper]] und dem Korreferat Adornos zur „Logik der Sozialwissenschaften“ auf einer Tübinger Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie begonnen hatte und an dessen weiterem Verlauf sich [[Ralf Dahrendorf]], [[Jürgen Habermas]] und [[Hans Albert]] beteiligten.<ref>Vgl. Theodor W. Adorno u. a.: ''Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie''. Luchterhand, Neuwied 1969.</ref>
 
Von 1962 bis 1969 hatte Adorno eine Affäre mit der Münchnerin [[Arlette Pielmann]], die ihn regelmäßig in Frankfurt besuchte. Adornos Ehefrau Gretel wusste darüber Bescheid und duldete dies, ohne es zu billigen.<ref>https://books.google.de/books?id=UZJOCgAAQBAJ&pg=PT138&lpg=PT138&dq=Arlette+Pielmann+m%C3%BCnchen&source=bl&ots=Rknw4e-5He&sig=9ip9xwx6MM3AMjKbkV5pN9J51ZA&hl=de&sa=X&ved=0CCYQ6AEwATgKahUKEwikxd6t-ffIAhWKWRQKHVb5DQM#v=onepage&q=Arlette%20Pielmann%20m%C3%BCnchen&f=false</ref>
 
Von 1963 bis 1967 amtierte Adorno als Vorsitzender der [[Deutsche Gesellschaft für Soziologie|Deutschen Gesellschaft für Soziologie]] und zeichnete für den 16. Deutschen [[Deutsche Gesellschaft für Soziologie#Soziologentage / Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie|Soziologentag]] verantwortlich, der unter dem Titel ''[[Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft]]'' 1968 in Frankfurt am Main veranstaltet wurde.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 495 f.</ref> Der Zeitpunkt fiel mit dem Höhepunkt der Studentenbewegung zusammen. Die Vortragenden und Diskutanten auf den Podien reagierten meist gelassen auf wiederholte Störungen, Unterbrechungen und andere Regelverletzungen der Studenten.
 
Neben seiner Tätigkeit als Universitätslehrer und als Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung verfasste Adorno bedeutende philosophische Schriften. Bereits 1951 war die aus der Emigration mitgebrachte und erweiterte Sammlung von [[Aphorismus|Aphorismen]]: ''[[Minima Moralia]]'' erschienen, die er Max Horkheimer gewidmet hatte. Das mehr als 100.000 mal verkaufte Buch enthält die berühmt gewordene Sentenz „[[Es gibt kein richtiges Leben im falschen]]“ (GS 4: 43).<ref>Zu Adornos 100. Geburtstag lud der Suhrkamp Verlag 24 Feuilletonredakteure zu einer „Relektüre“ des berühmten Buches ein, sie wurde von Andreas Bernard und Ulrich Raulff unter dem Titel ''‚Minima Moralia‘ neu gelesen'' (Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003) herausgegeben.</ref> Das 1956 publizierte Werk über Husserl, ''Zur Metakritik der Erkenntnistheorie'', ging in Teilen noch auf die Oxforder Studien zurück. Sein philosophisches Hauptwerk war die ''[[Negative Dialektik]]'', die Adorno selbst als „Antisystem“ (GS 6: 10) charakterisierte (erschienen erstmals 1966).
 
Am westdeutschen Musikleben der Nachkriegszeit nahm Adorno durch seine musikphilosophischen und [[Musiksoziologie|musiksoziologischen]] Veröffentlichungen teil, wie mit der schon in der Emigration entstandenen ''Philosophie der neuen Musik'' (1949), den Monographien über Richard Wagner (1952), [[Gustav Mahler]] (1960) und Alban Berg (1968) sowie der ''Einleitung in die Musiksoziologie'' (1962),<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 496.</ref> aber auch als Musiklehrer im Rahmen der bis in die späten 1960er Jahre im jährlichen Turnus stattfindenden ''[[Darmstädter Ferienkurse|Internationalen Ferienkurse für Neue Musik]]'' in Darmstadt, an denen er zwischen 1950 und 1966 als Referent und Kursleiter nahezu regelmäßig teilnahm.<ref>Claus-Steffen Mahnkopf: ''Adornos Kritik der Neueren Musik.'' In: Richard Klein, Claus-Steffen Mahnkopf (Hrsg.): ''Mit den Ohren denken. Adornos Philosophie der Musik''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, S. 251 f.</ref>
 
Außer der Musik war es die Literatur, die Adornos ästhetisches Denken beflügelte; seine philosophischen Ansichten zu dieser Kunstgattung legte er in zahlreichen Aufsätzen nieder, die in den vier Bänden der ''Noten zur Literatur'' zusammengefasst sind (GS 11). Mit Schriftstellern wie [[Ingeborg Bachmann]], [[Alexander Kluge]] und [[Hans Magnus Enzensberger]] pflegte er freundschaftliche Beziehungen. Er entwickelte eine erstaunliche Medienpräsenz, die ihn zum gefragten Kenner und Diskutanten nicht nur auf den Gebieten der Philosophie und Soziologie, sondern auch der Musiktheorie und [[Literaturkritik]] machte.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 566 f.</ref> In den letzten Lebensjahren arbeitete er an seiner posthum erschienenen ''[[Ästhetische Theorie|Ästhetik]]''.
 
Adorno war ein geschätzter Hochschullehrer. Seit Ende der 1950er Jahre strömten Studenten aller Fachrichtungen in seine Vorlesungen, die im größten Hörsaal stattfanden. Sein auf wenige Notizen sich stützender, in nuancierter Diktion frei formulierter Vortrag schlug viele in den Bann.
 
Die letzten Jahre Adornos standen ganz im Zeichen von Konflikten mit seinen Studenten. Als sich aus der [[Außerparlamentarische Opposition|außerparlamentarischen Opposition]] (APO) gegen die von der [[Große Koalition|Großen Koalition]] aus [[Unionsparteien|CDU/CSU]] und [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]] gebildete Regierung und deren geplante [[Deutsche Notstandsgesetze|Notstandsgesetze]], wie auch gegen den Vietnamkrieg, eine neuartige [[Deutsche Studentenbewegung der 1960er-Jahre|Studentenbewegung]] mit dem [[Sozialistischer Deutscher Studentenbund|SDS]] an der Spitze bildete, verschärften sich die Spannungen.<ref>Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 1: ''Chronik''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998, S. 26 f.</ref> Während Adorno sich den entschiedenen Kritikern dieser Gesetze anschloss und mit ihnen öffentlich auf einer Veranstaltung des Aktionskomitees ''Demokratie im Notstand'' am 28. Mai 1968 Stellung bezog, hielt er Distanz zum studentischen Aktionismus.
 
Es waren Schüler Adornos, die den Geist der Revolte repräsentierten und „praktische Konsequenzen“ aus der [[Kritische Theorie|Kritischen Theorie]] zu ziehen versuchten. Als der Polizist [[Karl-Heinz Kurras]] bei der [[Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin]] gegen den [[Schah]] den Studenten [[Benno Ohnesorg]] erschoss, begann sich die APO zu radikalisieren. Unmittelbar nach dem Tod Ohnesorgs hatte Adorno vor Beginn seiner Ästhetik-Vorlesung seine „Sympathie für den Studenten“ ausgesprochen, „dessen Schicksal […] in gar keinem Verhältnis zu seiner Teilnahme an einer politischen Demonstration steht“.<ref>Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 1: ''Chronik''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998, S. 256 f.</ref> Die Köpfe der [[Frankfurter Schule]] hatten zwar Sympathie mit den studentischen Kritikern und deren Protesten gegen [[Restauration (Geschichte)|restaurative]] Tendenzen und „[[Technokratie|technokratische]] Hochschulreform“,<ref>Eine gemeinsame öffentliche Erklärung von Adorno, Friedeburg und Habermas vom 11. Dezember 1968 beginnt mit dem Satz: „Wir unterstützen den Protest unserer Studenten gegen Gefahren einer technokratischen Hochschulreform“. Zit. nach: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 2: ''Dokumente''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998, S. 502.</ref> waren aber nicht bereit, deren aktionistisches Vorgehen zu unterstützen; als „Pseudo-Aktivität“ und „Ungeduld gegenüber der Theorie“ bezeichnete Adorno es 1969 in seinem Rundfunkvortrag ''Resignation'' (GS 10/2 756 f.).
 
Zum Verhältnis von Theorie und Praxis äußerte sich Adorno in einem längeren ''Spiegel''-Interview im Mai 1969: „Ich habe neulich in einem Fernsehinterview gesagt, ich hätte zwar ein theoretisches Modell aufgestellt, hätte aber nicht ahnen können, dass Leute es mit [[Molotowcocktail|Molotow-Cocktails]] verwirklichen wollen. […] Seitdem es in Berlin 1967 zum erstenmal zu einem Zirkus gegen mich gekommen ist, haben bestimmte Gruppen von Studenten immer wieder versucht, mich zur Solidarität zu zwingen, und praktische Aktionen von mir verlangt. Das habe ich verweigert.“<ref>Dieter Brumm und [[Ernst Elitz]]: [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45741579.html Keine Angst vor dem Elfenbeinturm], Gespräch mit Theodor W. Adorno, ''Spiegel'' Nr. 19, 5. Mai 1969.</ref>
 
Die Studenten agierten zunehmend gegen ihre einstigen Vorbilder, beschimpften sie in einem Flugblatt gar als „[[Scherge|Büttel]] des autoritären Staates“.<ref>Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 1: ''Chronik''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998, S. 382.</ref> Adornos Vorlesungen wurden wiederholt von studentischen Aktivisten gesprengt, besonders spektakulär war eine Aktion im April 1969, als [[Hannah Weitemeier]] und zwei andere Studentinnen Adorno mit entblößten Brüsten auf dem Podium bedrängten und ihn mit Rosen- und Tulpenblüten bestreuten.<ref>Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 1: ''Chronik''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998, S. 418.</ref> „Das Gefühl, mit einem Mal als [[Reaktion (Politik)|Reaktionär]] angegriffen zu werden, hat immerhin etwas Überraschendes“, schrieb Adorno an [[Samuel Beckett]].<ref>Brief an Samuel Beckett, 4. Februar 1969, in: Rolf Tiedemann (Hrsg.): ''Frankfurter Adorno Blätter'', Band III, edition text + kritik, 1998, S. 25.</ref> Andererseits waren Adorno und Horkheimer Vorwürfen von [[Politische Rechte (Politik)|rechts]] ausgesetzt, sie seien die geistigen Urheber der studentischen Gewalt.
 
1969 sah Adorno sich gezwungen, seine Vorlesungen einzustellen. Als am 31. Januar Studenten in das Institut für Sozialforschung eingedrungen waren, um kategorisch eine sofortige Diskussion über die politische Situation durchzusetzen, riefen die Institutsdirektoren – Adorno und Ludwig von Friedeburg – die Polizei und zeigten die Besetzer an. Adorno, der immer ein Gegner des [[Polizeistaat|Polizei]]- und [[Überwachungsstaat]]s gewesen war, litt unter diesem Bruch seines Selbstverständnisses. Er musste als Zeuge vor dem Frankfurter Landgericht gegen [[Hans-Jürgen Krahl]], einen seiner begabtesten Schüler, aussagen. Adorno äußerte sich dazu in einem Brief an Alexander Kluge: „Ich sehe nicht ein, warum ich mich zum Märtyrer des Herrn Krahl machen soll, von dem ich mir doch ausdachte, daß er mir ein Messer an die Kehle setzt, um mir diese durchzuschneiden, und auf meinen gelinden Protest erwidert: Aber Herr Professor, das dürfen Sie doch nicht personalisieren“.<ref>Brief an Alexander Kluge, 1. April 1969, in: Rolf Tiedemann (Hrsg.): ''Frankfurter Adorno Blätter'', Band VI, edition text + kritik, 2000, S. 100.</ref>
 
[[Datei:Theodor.w.adorno-ffm001.jpg|miniatur|Adornos Grab]]
 
Ab Februar 1969 bis zu Adornos Tod trugen Adorno und Herbert Marcuse in einem intensiven Briefwechsel einen Dissens aus, von dem Adorno in einem Brief an Horkheimer bereits befürchtete, er könnte einen „Bruch zwischen ihm und uns“ herbeiführen.<ref>Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 2: ''Dokumente''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998, S. 639.</ref> Marcuse kritisierte Adornos Praxis-Abstinenz ebenso wie Habermas’ Vorwurf des „[[Linksfaschismus|linken Faschismus]]“ gegenüber den rebellierenden Studenten sowie die polizeiliche Räumung des besetzten Instituts.<ref>Vgl. die Dokumente 300, 313, 322, 331, 336, 340, 346, 349 in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 2: ''Dokumente''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998.</ref> Adorno verteidigte Habermas’ Vorwurf. Auch er sah jetzt Tendenzen, die „mit dem Faschismus unmittelbar konvergieren“, und nahm, wie er Marcuse schrieb, „die Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus viel schwerer als Du“.<ref>Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): ''Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995''. Band 2: ''Dokumente''. Rogner & Bernard, Hamburg 1998, S. 652.</ref>
 
Am Tag nach der Gerichtsverhandlung gegen Krahl fuhr er mit seiner Frau in den üblichen Sommerurlaub in die Schweizer Berge nach [[Zermatt]]. Ungenügend akklimatisiert, fuhr er mit der Seilbahn in noch größere Höhe. Mit Herzbeschwerden wurde er in eine Klinik gebracht und erlag dort am 6. August 1969 einem Herzinfarkt.
 
Das Grab von Theodor W. Adorno befindet sich auf dem [[Hauptfriedhof (Frankfurt am Main)|Frankfurter Hauptfriedhof]].
 
== Intellektuelle Einflüsse ==
Wie bei den meisten Theoretikern der Frankfurter Schule steht das Denken Adornos unter dem Einfluss von [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]], [[Karl Marx|Marx]] und [[Sigmund Freud|Freud]]. Deren „Großtheorien“ übten auf viele linke Intellektuelle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Faszination aus. Mit kritischem Unterton spricht [[Lorenz Jäger]] in seiner „politischen Biographie“ von Adornos „[[Achillesferse]]“, das heißt dessen „fast unbegrenzte[m] Vertrauen auf fertige Lehren, auf den Marxismus, die Psychoanalyse, die Lehren der Zweiten Wiener Schule“.<ref>Lorenz Jäger: ''Adorno. Eine politische Biographie''. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, S. 32.</ref> Indessen vertraute Adorno dem Marxismus ebenso wenig unverändert wie der Hegel’schen [[Dialektik]]. Die Zweite Wiener Schule freilich blieb in seinem Wirken als Musikkritiker und Komponist der Leitstern.
 
=== Hegel ===
Adornos Aneignung der Hegel’schen Philosophie lässt sich bis auf seine Antrittsvorlesung von 1931 zurückverfolgen; in ihr postulierte er: „Einzig dialektisch scheint mir philosophische Deutung möglich“ (GS 1: 338). Hegel lehnte es ab, Methode und Inhalt zu trennen, da Denken immer Denken von etwas ist, so dass Dialektik für ihn „die begriffene Bewegung des Gegenstands selbst“ ist.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor W. Adorno zur Einführung.'' 5. Auflage. Junius, Hamburg 2009, S. 31.</ref> Nach [[Gerhard Schweppenhäuser]] hat Adorno sich diesen Anspruch zu eigen gemacht, vornehmlich indem er seine Denkweise auf eine der Hegel’schen Grundkategorien, die ''[[bestimmte Negation]]'', gründete,<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor W. Adorno zur Einführung.'' 5. Auflage. Junius, Hamburg 2009, S. 30–38.</ref> der zufolge etwas nicht abstrakt verneint und in Null aufgelöst, sondern durch Entgegengesetztes in einem neuen, reicheren Begriff ''aufgehoben'' wird.<ref>In einem Gespräch zwischen Horkheimer, Adorno und Gadamer über Nietzsches Moralkritik monierte Adorno, dass es Nietzsche „am Begriff der bestimmten Negation gefehlt“ habe, „also daran, dass, wenn man einem als negativ Erkannten ein Anderes entgegensetzt, in diesem Anderen das Negierte in einer neuen Form mitenthalten sein muss“. Max Horkheimer: ''Gesammelte Schriften.'' Band 13: ''Nachgelassene Schriften 1949–1972''. Fischer, Frankfurt am Main 1989, S. 116.</ref>
 
Seine ''Drei Studien zu Hegel'' verstand Adorno als „Vorbereitung eines veränderten Begriffs von Dialektik“; sie hören dort auf, „wo erst zu beginnen wäre“ (GS 5: 249 f.). Dieser Aufgabe widmete sich Adorno in einem seiner späteren Hauptwerke, der ''[[Negative Dialektik|Negativen Dialektik]]'' (1966). Der Titel bringt „Tradition und Rebellion gleichermaßen zum Ausdruck“.<ref>Tilo Wesche: ''Negative Dialektik: Kritik an Hegel.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2011, S. 318.</ref> Unter Heranziehung Hegel’scher Motive entfaltet Adorno gegen dessen [[Spekulation (Philosophie)|spekulative]] Dialektik seine, die „negative“ Dialektik des „Nichtidentischen“ (siehe dazu weiter unten).
 
=== Karl Marx ===
Die Marx’sche ''[[Kritik der politischen Ökonomie]]'' gehört zum Hintergrundverständnis des Adorno’schen Denkens, freilich – nach Jürgen Habermas – als „verschwiegene [[Orthodoxie]], deren Kategorien […] sich in der kulturkritischen Anwendung [verraten], ohne als solche ausgewiesen zu werden“.<ref>Jürgen Habermas: ''Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien''. Luchterhand, Neuwied 1963, S. 170.</ref> Seine Marx-Rezeption erfolgte zunächst vermittelt durch Georg Lukács’ einflussreiche Schrift ''Geschichte und Klassenbewußtsein''; von ihm übernahm Adorno die marxistischen Kategorien des [[Warenfetisch]]s und der [[Verdinglichung]]. Sie stehen in enger Verbindung zum Begriff des ''[[Tausch]]s'', der wiederum im Zentrum von Adornos Philosophie steht und erkenntnistheoretisch weit über die Ökonomie hinausweist. Unschwer ist die entfaltete „Tauschgesellschaft“ mit ihrem „unersättlichen und destruktiven Expansionsprinzip“ (GS 5: 274) als die kapitalistische zu dechiffrieren. Neben dem Tauschwert nimmt der Marx’sche [[Ideologie]]begriff in seinem gesamten Werk einen prominenten Stellenwert ein.
 
Auch der [[Soziale Klasse|Klassenbegriff]], den Adorno eher selten benutzte, hat seinen Ursprung in der Marx’schen Theorie. Zwei Texte Adornos beziehen sich explizit auf den Klassenbegriff: Der eine ist das Unterkapitel ''Klassen und Schichten'' aus der ''Einleitung in die Musiksoziologie'', der andere ein unveröffentlichter Aufsatz aus dem Jahre 1942 mit dem Titel ''Reflexionen zur Klassentheorie'', der erstmals posthum in den ''Gesammelten Schriften'' veröffentlicht wurde (GS 8: 373–391).
 
=== Sigmund Freud ===
Die [[Psychoanalyse]] ist ein konstitutives Element der Kritischen Theorie. Zwar hat Adorno, im Gegensatz zu Horkheimer, sich nie der praktischen Erfahrung einer Psychoanalyse unterzogen,<ref>Christian Schneider: ''Die Wunde Freud.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2011, S. 284.</ref> aber schon früh das Werk [[Sigmund Freud]]s rezipiert. Seine Freud-Lektüre reicht in die Zeit seiner Arbeit an der ersten (zurückgezogenen) Habilitationsschrift – ''Der Begriff des [[Unbewusstes|Unbewußten]] in der transzendentalen Seelenlehre'' – von 1927 zurück. Darin vertrat Adorno die These, „daß die Heilung aller [[Neurose]]n gleichbedeutend ist mit der vollständigen Erkenntnis des Sinns ihrer [[Symptom]]e durch den Kranken“ (GS 1: 236). In dem Aufsatz ''Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie'' (1955) begründete er als Notwendigkeit, „angesichts des Faschismus“ die „Theorie der Gesellschaft durch Psychologie, zumal analytisch orientierte [[Sozialpsychologie]] zu ergänzen“. Um den Zusammenhalt der repressiven, gegen die Interessen der Menschen gerichteten Gesellschaft erklären zu können, bedürfe es der Erforschung der in den Massen vorherrschenden [[Triebstruktur]]en (GS 8: 42).
 
Adorno blieb immer Anhänger und Verteidiger der orthodoxen Freud’schen Lehre, der „Psychoanalyse in ihrer strengen Gestalt“.<ref>Theodor W. Adorno: ''Probleme der Moralphilosophie.'' Nachgelassene Schriften, Abteilung 4, Band 10: ''Vorlesungen''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 123.</ref> Aus dieser Position heraus hat er schon früh [[Erich Fromm]]<ref>Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: ''Briefwechsel''. Band I: 1927–1937. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 129 f.</ref> und später [[Karen Horney]] wegen ihres [[Revisionismus]] angegriffen (GS 8: 20 ff.). Vorbehalte äußerte er sowohl gegen eine Soziologisierung der Psychoanalyse<ref>Pointiert fasst er diese in die scheinbar paradoxe Formulierung: „Je mehr die Psychoanalyse soziologisiert wird, umso stumpfer wird ihr Organ für die Erkenntnis der sozial verursachten Konflikte.“ (GS 8: 28).</ref> als auch gegen ihre Reduzierung auf ein therapeutisches Verfahren.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 590.</ref> Der Freud-Rezeption verdankte Adorno zentrale analytische Begriffe wie [[Narzissmus]], [[Ich-Schwäche]], [[Lustprinzip|Lust]]- und [[Realitätsprinzip]]. Freuds Schriften ''[[Das Unbehagen in der Kultur]]'' und ''[[Massenpsychologie und Ich-Analyse]]'' waren ihm wichtige Referenzquellen. Der „genialen und viel zu wenig bekannten Spätschrift über das ''Unbehagen in der Kultur''“ (GS 20/1: 144) wünschte er „die allerweiteste Verbreitung gerade im Zusammenhang mit Auschwitz“; zeige sie doch, dass mit der permanenten Versagung, die Zivilisation auferlege, „im Zivilisationsprinzip selbst die Barbarei angelegt ist“ (GS 10/2: 674).
 
== Werk ==
[[Jan Philipp Reemtsma]] hat Adornos Publikationen zu den verschiedenen Themengebieten nach quantitativen Anteilen an seinen ''Gesammelten Schriften'' erfasst: Demnach entfallen auf im weitesten Sinne philosophische Fragen 2.600 Seiten, auf soziologische Themen 1.500 Seiten, auf literaturtheoretische bzw. -kritische rund 800 Seiten, auf die musikalischen Schriften hingegen mehr als 4.000 Seiten.<ref>Jan Philipp Reemtsma: ''Der Traum von der Ich-Ferne. Adornos literarische Aufsätze.'' In: ''Mittelweg 36.'' 12. Jg., Heft 6/2003, S. 3–40.</ref>
 
=== Sprache und Darstellungsformen ===
Adorno gilt als besonders schwer zu lesender oder zu verstehender Autor. Den Vorwurf, dass seine Sprache unverständlich sei, hält [[Henning Ritter]] für eine Legende. Sie erkläre sich einerseits aus der Häufung von Fremdwörtern, aber mehr noch aus einer im philosophischen Zusammenhang überraschenden Simplizität: „Worte der Umgangssprache werden gleichrangig behandelt wie Begriffe“.<ref>Henning Ritter: ''Adornos Stil. Wenn Adorno spricht.'' In: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten-1/adornos-stil-wenn-adorno-spricht-1712550.html ''Frankfurter Allgemeine Zeitung'' vom 11. Oktober 2008].</ref> Indem er Worte aus unterschiedlichen Sprachdimensionen benutzt, fügt er ihnen Assoziationen und Motive eines bestimmten Materials hinzu, „ob es nun ‚tough baby‘ oder ‚ecriture‘ oder ‚[[Déjà-vu|dejavu]]‘ ist“.<ref>[[Rudolf zur Lippe]]: ''Zur Sprache Adornos''. [http://www.solon-line.de/2013/03/02/zur-sprache-adornos/ Solon-line vom 2. März 2013].</ref> Adorno benutzt Alltagsworte als banale Einsprengsel, „um dann doch Dinge zu sagen, die jenseits jeder Banalität liegen – so wie Kunst aus irgendwo gefundenen Dingen gemacht wird“.<ref>Henning Ritter: ''Adornos Stil. Wenn Adorno spricht.'' In: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten-1/adornos-stil-wenn-adorno-spricht-1712550.html ''Frankfurter Allgemeine Zeitung'' vom 11. Oktober 2008].</ref>
Kenner und Analytiker von Adornos Arbeiten haben auf deren Verwandtschaft mit literarischen Texten, musikalischen Kompositionen und den „porösen“ Denkbildern Walter Benjamins hingewiesen.<ref>Zu den „porösen“ Denkbildern vgl. Martin Mittelmeier: ''Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt''. Siedler, München 2013, S. 48–52.</ref> Nach Albrecht Wellmer gleichen seine Texte „komplexen und in jeder Nuance durchgehörten Musikstücken“.<ref>Albrecht Wellmer: ''Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen.'' In: ders.: ''Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 137.</ref> Der Komponist und Musikwissenschaftler Dieter Schnebel deutet auf Adornos „Komposition in Sprache“ hin. Während die übliche Sprachgestaltung von Satz zu Satz fortschreitet, gleichen Kompositionen Beziehungsmodellen, die auf Zukünftiges verweisen und an Zurückliegendes erinnern sowie mit Variationen und Kontrasten, Verkürzungen und Erweiterungen arbeiten.<ref>Dieter Schnebel: ''Komposition von Sprache – sprachliche Gestaltung von Musik in Adornos Werk.'' In: Hermann Schweppenhäuser (Hrsg.): ''Theodor W. Adorno zum Gedächtnis''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1971, S. 127.</ref> Die von ihm häufig gesetzten [[Paradoxon|Paradoxa]] gleichen [[Synkope (Musik)|Synkopen]], die den Text zugleich aufhalten und beschleunigen.<ref>Rudolf zur Lippe: ''Zur Sprache Adornos''. [http://www.solon-line.de/2013/03/02/zur-sprache-adornos/ Solon-line vom 2. März 2013].</ref> [[Ruth Sonderegger]] spricht von einer „[[rhizom]]artigen Struktur“ der Texte.<ref>Ruth Sonderegger: ''Ästhetische Theorie.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' Metzler, Stuttgart 2011, S. 417.</ref>
 
Adornos Art zu schreiben ist ohne Benjamins Vorbild undenkbar; Adorno verdankt ihm den Hinweis auf das enge Verhältnis von Inhalt und Gestaltung. Seit seinen frühen Schriften betont Adorno ein komplementäres Verhältnis von Form und Inhalt philosophischer Texte. Insbesondere die von Adorno bevorzugten „kleinen Formen“ der philosophischen Darstellung – der [[Essay]], der [[Traktat]], der [[Aphorismus]], das [[Fragment (Literatur)|Fragment]] – sind Musterbeispiele seiner sprachlichen Ausbruchsversuche aus dem überkommenen philosophischen Systemdenken.
 
Hierzu tragen auch Adornos Abneigung gegen Definitionen und die [[Parataxe|parataktische]] Struktur seiner Texte bei, das heißt: Aussagesätze werden nebeneinandergestellt, unter Vermeidung einer [[Hierarchie|hierarchischen]] Ordnung der [[Subsumtion]], weil in dieser – wie Habermas Adorno interpretiert – „die Allgemeinheit der logischen Form dem Individuellen unrecht tut“.<ref>Jürgen Habermas: ''Ein philosophierender Intellektueller.'' In: ''Über Theodor W. Adorno''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968, S. 37.</ref> In den ''Minima Moralia'' fordert er: „In einem philosophischen Text sollten alle Sätze gleich nahe zum Mittelpunkt stehen“ (GS 4: 78). Das zugrundeliegende Gestaltungsprinzip, auf das Adorno immer wieder zurückgreift, bezeichnet er mit ''Konstellation'' oder ''Konfiguration.'' Als Merkmale dieses Verfahrens notiert Martin Mittelmeier die „möglichst differenzierte Aufsplitterung der Phänomene, das Herauslösen aus ihren angestammten Zusammenhängen und Neuzusammensetzung zu ungewohnten Kombinationen“.<ref>Martin Mittelmeier: ''Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt.'' Siedler, München 2013, S. 62.</ref> Das paradoxe Vorhaben, „einen linearen Text nach einem räumlichen Muster zu organisieren“,<ref>Martin Mittelmeier: ''Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt.'' Siedler, München 2013, S. 237.</ref> hat die wechselseitige Erhellung der Begriffe, bei der die Dominanz eines einzelnen Konzepts durch die Gegenüberstellung mit anderen gebrochen wird, zum Ziel.<ref>Andreas Lehr: ''Kleine Formen. Adornos Kombinationen: Konstellation/Konfiguration, Montage und Essay.'' Dissertation, Freiburg i.B. 2000 [http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/27/ (online auf: ''freidok.uni-freiburg.de'')], S. 31.</ref> Für einen philosophischen Text wie etwa die ''Ästhetische Theorie'' betrachtet Adorno eine stufenweise Argumentation vom Allgemeinen zum Besonderen oder umgekehrt und die „unabdingbare Folge des Erst-Nachher“ als der Sache inadäquat.
 
Programmatischen Charakter für Adornos Schreiben wird seinem Aufsatz ''Der Essay als Form'' zugeschrieben.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Der Essay als Form.'' In: Axel Honneth (Hrsg.): ''Schlüsseltexte der Kritischen Theorie''. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 43.</ref> Er ist einer der wenigen Texte, in denen Adorno „Einblicke in seine Werkstatt“ gewährt und [[Metatheorie|metatheoretische]] Auskunft über die Formen der Darstellung in der Philosophie gibt.<ref>Andreas Lehr: ''Kleine Formen. Adornos Kombinationen: Konstellation/Konfiguration, Montage und Essay''. Dissertation, Freiburg i. B. 2000 [http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/27/ (online auf: ''freidok.uni-freiburg.de'')], S. 198.</ref> In seiner anti-systematischen, parataktischen und von Montagen durchschnittenen Form, seinem „methodisch unmethodischen“ Verfahren (GS 11: 21) bildet der Essay „die [[Makrostruktur]] dessen, was auf einer Mikroebene Konstellation und Konfiguration heißt“.<ref>Andreas Lehr: ''Kleine Formen. Adornos Kombinationen: Konstellation/Konfiguration, Montage und Essay''. Dissertation, Freiburg i. B. 2000 [http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/27/ (online auf: ''freidok.uni-freiburg.de'')], S. 197 f.</ref> Als Darstellungsform will der Essay „mit Begriffen aufsprengen, was in Begriffe nicht eingeht“; er lässt sich weder in die Welt der „organisierten Wissenschaft“ einsperren noch von einer Philosophie vereinnahmen, die mit dem „leeren und abstrakten Rest vorlieb nimmt, was der Wissenschaftsbetrieb noch nicht besetzte“; ihr „innerstes Formgesetz […] ist die [[Ketzer]]ei“ (GS 11: 32 f.). Britta Scholze zufolge wurden auch die großen Werke – ''Negative Dialektik'' und ''Ästhetische Theorie'' – nach dem essayistischen Darstellungsmodus verfasst und stellen gewissermaßen „essayistische [[Mosaik]]e“ dar.<ref>Britta Scholze: ''Kunst als Kritik. Adornos Weg aus der Dialektik.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 302.</ref>
 
=== Philosophie ===
Als Adornos philosophische Hauptwerke gelten heute vier sehr unterschiedliche Werke. Die in der Emigration gemeinsam mit Max Horkheimer verfasste ''[[Dialektik der Aufklärung]]. Philosophische Fragmente'' (1947) wird als zentraler Text der Frankfurter Schule angesehen und prägte den Begriff der [[Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug|Kulturindustrie]]. Ebenfalls in der Emigration entstanden die ''[[Minima Moralia]]. Reflexionen aus dem beschädigten Leben'' (1951), eine aphoristische „Diagnose einer global organisierten Unmündigkeit“.<ref>Martin Seel: ''Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.'' In: Axel Honneth (Hrsg.): ''Schlüsseltexte der Kritischen Theorie''. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 35.</ref> Selbst betrachtete Adorno die ''[[Negative Dialektik]]'' (1966) als sein Hauptwerk, eine philosophische Kritik des „identifizierenden Denkens“; der Titel war für ihn gleichbedeutend mit dem Konzept der Kritischen Theorie. Posthum erschien 1970 Adornos ''[[Ästhetische Theorie]]'', die seine Philosophie der Kunst darstellt.<ref>Siehe zu diesen vier Werken die verlinkten Sonderseiten.</ref>
 
[[Albrecht Wellmer]] verweist auf die hohe Kontinuität des philosophischen Denkens Adornos von seiner frühen Frankfurter Antrittsvorlesung ''Die Aktualität der Philosophie'' (1931), in der er sein Konzept der Philosophie als „Deutungswissenschaft“ (GS 1: 334) begründete, bis hin zu seinen Spätwerken. Mit 28 Jahren hätten sich bei ihm bereits „alle entscheidenden Motive seines Denkens, gleichsam dessen Grundkonstellationen“ herausgebildet. Seine spätere reiche Produktion, auch die in der Musikphilosophie und [[Musiksoziologie]], beruhe auf der Entfaltung dieser Grundkonstellationen.<ref>Albrecht Wellmer: ''Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen.'' In: ders.: ''Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 139.</ref>
Anders als Horkheimer, der wenige Monate zuvor in seiner programmatischen Antrittsrede bei der Übernahme des Direktorats des Instituts für Sozialforschung<ref>Max Horkheimer: ''Die gegenwärtige Lage der Sozialphilosophie und die Aufgaben eines Instituts für Sozialforschung''. Öffentliche Antrittsvorlesung bei Übernahme des Lehrstuhls für Sozialphilosophie und der Leitung des Instituts für Sozialforschung am 24. Januar 1931. In: Ders.: ''Gesammelte Schriften.'' Band 3: ''Schriften 1931–1936''. Fischer, Frankfurt am Main 1988, S. 20–35.</ref> allein im interdisziplinären Zusammenwirken der Einzelwissenschaften das Ziel einer „Theorie der gegenwärtigen Gesellschaft als ganzer“ erreichbar sah,<ref>Max Horkheimer: ''Vorwort'' zu Heft 1/2 des ersten Jahrgangs der ''Zeitschrift für Sozialforschung'' (1932). In: Ders.: ''Gesammelte Schriften.'' Band 3: ''Schriften 1931–1936''. Fischer, Frankfurt am Main 1988, S. 36.</ref> wies Adorno in der „dialektischen Kommunikation“ von Soziologie und Philosophie jener die Aufgabe zu, das empirische Material zu liefern, der Philosophie die Deutungsmuster zu generieren; Letzteres fasste er in das Bild: „Schlüssel zu konstruieren, vor denen die Wirklichkeit aufspringt“ (GS 1: 340). Erstmals wurde in der Antrittsvorlesung der Begriff der [[Totalität]] in Frage gestellt, die das Denken nicht zu begreifen vermöge; Philosophie müsse lernen, auf die Totalitätsfrage zu verzichten. Zeitgenössischen Philosophierichtungen wie der Phänomenologie und der [[Ontologie|Seinslehre]] Heideggers sprach er ab, „die philosophischen [[Kardinalfrage]]n“ zu beantworten. Einer Liquidation der Philosophie käme die These gleich, dass diese Fragen prinzipiell unbeantwortbar seien, wie sie der [[Positivismus]] des ''[[Wiener Kreis]]es'' vertrete, der die Philosophie in Wissenschaft aufzulösen vorschlage. Dem hielt Adorno entgegen: „die Idee der Wissenschaft ist Forschung, die der Philosophie Deutung“ (GS 1: 334).
 
Der philosophische Gehalt der Texte Adornos lässt sich nur selten leicht erschließen. Philosophie ist ihm „der Musik verschwistert“; ihr Schwebendes sei „kaum […] recht in Worte zu bringen“ (GS 6: 115). Seine Kategorien sind [[Janus (Mythologie)|janusköpfig]]: je nach Kontext verwendet er sie mit positiver oder negativer [[Konnotation]].<ref>[[Karl Markus Michel]]: ''Versuch, die ‚Ästhetische Theorie‘ zu verstehen.'' In: [[Burkhardt Lindner]], W. [[Martin Lüdke]] (Hrsg.): ''Materialien zur ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. Konstruktion der Moderne''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, S. 64.</ref> Meistens ist Adorno der Analyse des Konkreten verpflichtet, in deren Mittelpunkt das Individuum in der zeitgenössischen Gesellschaft steht. Den philosophischen Systemen wie der klassischen [[Erkenntnistheorie]], die das Individuelle und Nichtidentische verstümmelten, statt es zu begreifen, stellt er seine ''Negative Dialektik'' als „Antisystem“ entgegen. Dennoch hat Adorno an der Philosophie, sogar an [[Metaphysik]] im Sinn der [[Spekulation (Philosophie)|Spekulation]], die das Gegebene [[Transzendenz|transzendiert]], festgehalten. Nur als [[bestimmte Negation]] des Faktischen, so seine Lehre, lasse sich über das Bestehende hinausdenken. Wenn man nicht hinter Kant und Hegel zurückfallen wolle, müsse Philosophie Kritik sein: [[Sprachkritik]], [[Gesellschaftskritik]], [[Kunstkritik]], die zudem die Übertreibung als Erkenntnismethode benutzt.<ref>Albrecht Wellmer: ''Über Negativität und Autonomie der Kunst. Die Aktualität von Adornos Ästhetik und blinde Flecken seiner Musikphilosophie.'' In: Axel Honneth (Hrsg.): ''Dialektik der Freiheit. Frankfurter Adorno-Konferenz 2003.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-29328-1, S. 237 und 240.</ref>
 
An Kierkegaard schätzte Adorno dessen Kritik an Hegels Geringschätzung des Individuums, das hinter dem [[Objektiver Geist|objektiven Geist]] verschwindet. Sie hat Adornos Blick auf Hegels [[Dialektik]] geschärft und nachhaltig beeinflusst. Viele später ausformulierte philosophische Motive Adornos finden sich in der ''Kierkegaard''-Schrift bereits angedeutet. Horkheimer charakterisierte sie als „unerhört schwierig“.<ref>Lore Hühn, Philipp Schwab: ''Intermittenz und ästhetische Konstruktion: Kierkegaard.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' Metzler, Stuttgart 2011, S. 326, 329.</ref>
 
Adornos Auseinandersetzung mit Edmund Husserls Phänomenologie fand ihren Niederschlag in der Schrift ''Zur Metakritik der Erkenntnistheorie''. Adorno hatte an dem Manuskript von 1934 bis Herbst 1937 in Oxford gearbeitet, ohne es abzuschließen.<ref>Hartmut Scheible: ''Theodor W. Adorno in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten''. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 74f.</ref> Nachdem in den folgenden Jahren einzelne Kapitel veröffentlicht worden waren, erschien das Werk erst 1956 als Monographie mit der Widmung „Für Max“. Das Buch gilt als „Solitär“, das keine größere Resonanz in der philosophischen Literatur fand,<ref>Petra Gehring: ''Metakritik der Erkenntnistheorie: Husserl.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung''. Metzler, Stuttgart 2011, S. 354.</ref> obwohl Adorno 1968 die Arbeit als das ihm nächst der ''Negativen Dialektik'' wichtigste seiner Bücher bezeichnete (GS 5: 386).
 
Als [[Antipode]] Heideggers, des führenden Vertreters der [[Fundamentalontologie]], unterzog er im ''[[Jargon der Eigentlichkeit]]'' dessen Begrifflichkeit einer „ideologiekritischen Sprachanalyse“. Doch wusste er zu unterscheiden zwischen der substantiellen Philosophie Heideggers und der Plumpheit der „Imitatoren des existentiell-philosophischen Sprachgestus“.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 655.</ref> Auf die Nähe des Denkens Adornos, seine Überschneidungen mit der Philosophie Heideggers, wurde häufig verwiesen.<ref>Exemplarisch: Tilo Wesche: ''Dialektik oder Ontologie: Heidegger.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' Metzler, Stuttgart 2011, S. 364–373.</ref>
 
==== Philosophie des Nicht-Identischen ====
[[Rolf Wiggershaus]], der Chronist der Frankfurter Schule, bezeichnet in seiner Einführung zu Adornos Denken dessen „Philosophie des Nichtidentischen“ als den Horizont seiner kritischen Gesellschaftstheorie.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Theodor W. Adorno''. Beck, München 1987, S. 9.</ref> Als Nichtidentisches versteht Adorno das „Begriffslose, Einzelne und Besondere“, für das Hegel sein Desinteressement bekundet und worauf er „das Etikett der faulen Existenz“ geklebt habe (GS 6: 20). Auch für den Philosophen [[Albrecht Wellmer]] ist Adorno ein „Anwalt des Nicht-Identischen“.<ref>Albrecht Wellmer: ''Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen.'' In: ders.: ''Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 135–166.</ref> Als Kritiker des „identifizierenden Denkens“ misstraut Adorno dem Denken in allgemeinen Begriffen. Dialektisches Denken erhebt dagegen Einspruch, dass der allgemeine Begriff einen Sachverhalt als etwas Festes, Unveränderliches und sich Gleichbleibendes darstellt (GS 6: 156). Adornos [[Postulat]] an die Philosophie lautet, „über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen“ (GS 6: 27).
 
Die Philosophie des Nichtidentischen wendet sich sowohl gegen [[Ursprungsphilosophie]] (die ein Erstes – Geist oder Materie – voraussetzt) als auch gegen [[Subjekt (Philosophie)|Subjektphilosophie]] (die das Objekt als ein dem Subjekt Unterworfenes oder Nachgeordnetes denkt). „[[Objekt (Philosophie)|Objekt]]“ hat bei Adorno verschiedene Bedeutungen: andere Subjekte, Natur, Dinge, [[Verdinglichung|Verdinglichtes]]. Das Subjekt ist als bewusstes Wesen für Adorno zugleich Teil des ihm gegenüberstehenden Naturzusammenhangs, den es im eigenen Bewusstsein hat, aber als etwas anderes erkennt. Mit dem Verweis auf das mit dem Subjekt nicht Identische plädiert Adorno für ein anderes Verhältnis zur eigenen und äußeren Natur, das nicht mehr durch Verfügung und Herrschaft bestimmt ist, sondern durch Versöhnung und Anverwandlung.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Theodor W. Adorno''. Beck, München 1987, S. 40–47.</ref> Für letzteres bemüht Adorno häufig den Begriff ''[[Mimesis]]''.
 
Zentral für Adornos Philosophie ist der Begriff der „Versöhnung“. Annäherungsweise lässt er sich mit der „gewaltlosen Integration des Divergierenden“ (GS 7: 283) übersetzen. Im Horizont des Adorno’schen Denkens kann Versöhnung so Vielfältiges heißen wie: Versöhnung von Geist und Natur, von Subjekt und Objekt, von Allgemeinem und Besonderem, von Individuum und Gesellschaft, von Moral und Natur. Vornehmlich die unterdrückte Natur, das bedrohte Individuum und das unbegriffene Vereinzelte steht im unversöhnten Verhältnis zu seinem Gegenpart. Versöhnung „gäbe das Nichtidentische frei, […] eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen“ (GS 6: 18).
 
==== Kritik der Erkenntnistheorie ====
Zwar steht die philosophische Erkenntnistheorie nicht im Zentrum von Adornos philosophischen Vorlesungen und Schriften, aber die frühe, durch Kracauer vermittelte Kant-Lektüre und seine Dissertation über Husserls Phänomenologie brachte ihn bereits in den frühen Phasen seiner intellektuellen Entwicklung mit dieser philosophischen Disziplin in Kontakt. Er ist Erkenntnistheoretiker insoweit, als er das Verhältnis des Denkens zur Wirklichkeit als den Prüfstein und die Vorbedingung zuverlässiger Erkenntnis diskutiert.<ref>Peter Decker: ''Die Methodologie kritischer Sinnsuche. Systembildende Konzeptionen Adornos im Lichte der philosophischen Tradition.'' 1982 [https://www.farberot.de/texte/wiss/phil/PETER_DECKER_Adornos_Methodologie_krit_Sinnsuche.pdf S. 37.]</ref>
 
Wie nahezu alle philosophischen Fragen hat Adorno auch die der Erkenntnistheorie unter Aspekten der Kritik behandelt. Seine Studien über Husserls Phänomenologie hat er mit ''Metakritik der Erkenntnistheorie'' überschrieben. In dem nur dürftig rezipierten Werk erörtert er das Verhältnis zwischen erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt. Husserls Idee der Objektivität der Wahrheit und die Idee des denkenden Vollzugs wahrer Erkenntnis lagen auch Adorno am Herzen.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Die Frankfurter Schule. Geschichte – Theoretische Entwicklung – Politische Bedeutung.'' Hanser, München 1986, S. 592.</ref> Doch Husserls Vorstellung, mit einer vorurteilsfreien Philosophie, die sich mit der Methode der „phänomenologischen Reduktion“ auf „die Sachen selbst“ beziehe, kritisiert er als „logischen Widersinn“, der mit Hegels „Lehre von der Vermitteltheit“ unvereinbar sei (GS 5: 13). Mit diesem teilt Adorno die Skepsis gegenüber einem „absolut Ersten als des zweifelfrei gewissen Ausgangspunktes der Philosophie“ (GS 5: 13) und insistiert auf der „Vermitteltheit eines jeglichen Unmittelbaren“ (GS 5: 160). Selbst wenn Adorno in materialistischer Denkweise häufig vom „Vorrang des Objekts“ (GS 6: 186) spricht und auf einer „dem Subjekt gegenübertretenden Alterität [= Andersheit, Andersartigkeit] beharrt“,<ref>Petra Gehring: ''Metakritik der Erkenntnistheorie: Husserl.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' Metzler, Stuttgart 2011, S. 362.</ref> geschieht dies nicht ohne die Überzeugung, dass „die Beschaffenheiten der Erkenntnisobjekte immer nur durch das reflektierende Subjekt hindurch zu haben sind“.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor. W. Adorno zur Einführung.'' 5. Auflage. Junius, Hamburg 2009, S. 63.</ref>
 
Da Adornos „Erkenntnisutopie“ auf die unverkürzte Erfahrung des Nichtidentischen zielt, erwartet er von der Kunst „als ein genuin anderes Medium der Erkenntnis […] Unterstützung“.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor. W. Adorno zur Einführung.'' 5. Auflage. Junius, Hamburg 2009, S. 69.</ref> Rüdiger Bubner sieht hier eine „Konvergenz von Erkenntnis und Kunst“,<ref>Rüdiger Bubner: ''Ästhetische Erfahrung.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, S. 71.</ref> während Habermas gar von der „Abtretung der Erkenntnis-Kompetenzen an die Kunst“<ref>Jürgen Habermas: ''Theorie des kommunikativen Handelns.'' Band 1. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, S. 514.</ref> spricht.
 
==== Negative Moralphilosophie ====
Der bekannte Ausspruch aus den ''Minima Moralia'' – „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ (GS 4: 43) – wurde in der Sekundärliteratur oft als eine Absage Adornos an die Moralphilosophie interpretiert. Entgegen dieser Auffassung hat Gerhard Schweppenhäuser Adornos untergründig präsente Moralphilosophie herausgearbeitet und sie als eine „negative Moralphilosophie“, eine „[[Ethik]] nach Auschwitz“ bezeichnet, wobei [[KZ Auschwitz|Auschwitz]] als [[Chiffre (Literatur)|Chiffre]] für den [[Holocaust]] steht.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie''. Argument, Hamburg 1993, S. 9.</ref> Dagegen spricht auch, dass Adorno immerhin zwei Vorlesungen zur Moralphilosophie gehalten hat (Wintersemester 1956/57, Sommersemester 1963)<ref>Aus dem Nachlass veröffentlicht wurde die vom SS 1963: Theodor W. Adorno: ''Probleme der Moralphilosophie 1963''. Herausgegeben von Thomas Schröder. TB-Ausgabe. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2010.</ref> und seine ''[[Minima Moralia]]'' das Thema falsches versus richtiges Leben ständig umkreisen. Adorno selbst bezeichnete die ''Minima Moralia'' als „ein Buch über das richtige oder vielmehr das falsche Leben“.<ref>Theodor W. Adorno: ''Probleme der Moralphilosophie 1963''. Herausgegeben von Thomas Schröder. TB-Ausgabe. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2010, S. 9.</ref>
 
Aber ähnlich wie zur Metaphysik hat Adorno auch zur Moralphilosophie ein ambivalentes Verhältnis. Er kritisiert, dass die christlich-abendländische Moral den Individuen eine Verantwortung für ihre Handlungen abverlange und dabei eine Handlungsfreiheit unterstelle, die sie als soziale Wesen gar nicht haben. Zugleich sieht er in der Moral aber die „Repräsentantin einer kommenden Freiheit“.<ref>Zitat aus der Vorlesung WS 1956/57 nach Gerhard Schweppenhäuser: ''Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie''. Argument, Hamburg 1993, S. 179.</ref> Moral sei in sich widersprüchlich; sie meine „gleichzeitig immer Freiheit und Unterdrückung“.<ref>Zitat aus der Vorlesung WS 1956/57 nach Gerhard Schweppenhäuser: ''Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie''. Argument, Hamburg 1993, S. 179.</ref> Als Philosoph dürfe man daher weder auf eine [[Affirmation|affirmative]] Gegenmoral noch auf eine abstrakte Negation jeder Moral hinsteuern.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Negative Moralphilosophie.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung''. Metzler, Stuttgart 2011, S. 400.</ref> Statt, wie Nietzsche, die Moral abstrakt zu negieren, müsse ihre [[bestimmte Negation]] einen Hinweis auf das Bessere enthalten.
 
Adornos Ausgangspunkt ist Kants Moralphilosophie, die moralisches Handeln als Selbstbestimmung in Freiheit definiert.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Negative Moralphilosophie.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung''. Metzler, Stuttgart 2011, S. 404.</ref> Aber solange der gesellschaftliche Gesamtzusammenhang hinter den Maßstab eines gerechten Lebens zurückfalle, sei es für die Menschen gar nicht möglich, moralisch richtig zu handeln.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Negative Moralphilosophie.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung''. Metzler, Stuttgart 2011, S. 401.</ref> Ethische Erwägungen bedürfen daher der Ergänzung durch gesellschaftliche Analyse und Kritik. Das moralische Prinzip vom gesellschaftlichen abzutrennen und in die private Gesinnung zu verlegen, bedeute „auf die Verwirklichung des im moralischen Prinzip mitgesetzten menschenwürdigen Zustands“ (GS 4: 103) zu verzichten.
 
Die Frage, was das „richtige Leben“ ausmache, beantwortet Adorno durchgehend in negativer Weise, als bestimmte Negation. „Er setzt bei dem an, ‚was nicht sein soll‘, bzw. am Leben in seiner ‚verkehrten‘ oder ‚entfremdeten Gestalt‘.“<ref>[[Rahel Jaeggi]]: ''„Kein Einzelner vermag etwas dagegen.“ Adornos ''Minima Moralia'' als Kritik von Lebensformen.'' In: Axel Honneth (Hrsg.): ''Dialektik der Freiheit. Frankfurter Adorno-Konferenz 2003''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, S. 133.</ref> Adornos Lehre vom richtigen Leben finde sich nach [[Albrecht Wellmer]] „wie in [[Spiegelschrift]]“<ref>Albrecht Wellmer: ''Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen.'' In: ders.: ''Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 140.</ref> in seinen ''Minima Moralia''.
 
Adorno weigert sich, Inhalt und Ziel einer [[Emanzipation|emanzipierten]] Gesellschaft näher zu bestimmen. Lediglich „daß keiner mehr hungern soll“ (GS 4: 176), nennt er als Minimalbedingung, an anderer Stelle heißt es: „Es soll nicht gefoltert werden“ (GS 6: 281). In der Achtung vor dem Individuellen sieht [[Martin Seel]] Adornos Kerngedanken eines guten menschlichen Lebens.<ref>Martin Seel: ''Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.'' In: Axel Honneth (Hrsg.): ''Schlüsseltexte der Kritischen Theorie''. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 34.</ref> Am Ende seiner Vorlesungen zur Moralphilosophie umkreist Adorno mehrfach das Thema der Möglichkeit und Unmöglichkeit, sich im falschen Leben richtig zu verhalten. Seine Antwort lautet: „Das einzige, was man vielleicht sagen kann, ist, daß das richtige Leben heute in der Gestalt des Widerstands gegen die von dem fortgeschrittensten Bewusstsein durchschauten, kritisch aufgelösten Formen eines falschen Lebens bestünde“.<ref>Theodor W. Adorno: ''Probleme der Moralphilosophie 1963''. Herausgegeben von Thomas Schröder. TB-Ausgabe. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2010, S. 248f.</ref> Widerstand sei „die eigentliche Substanz des Moralischen“.<ref>Zitiert aus der Vorlesung 1956/57 nach Gerhard Schweppenhäuser: ''Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie''. Argument, Hamburg 1993, S. 193.</ref> Ethik müsse politische Philosophie werden, die Frage nach dem richtigen Leben müsse in die Frage nach der richtigen Politik übergehen, heißt es zum Schluss seiner moralphilosophischen Vorlesung.<ref>Theodor W. Adorno: ''Probleme der Moralphilosophie 1963''. Herausgegeben von Thomas Schröder. TB-Ausgabe. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2010, S. 262.</ref>
 
==== Metaphysik und Metaphysikkritik ====
Adornos Verhältnis zur Metaphysik ist ambivalent.<ref>Zu diesem Abschnitt vgl. Georg W. Bertram: ''Metaphysik und Metaphysikkritik.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' Metzler, Stuttgart 2011, S. 405–414.</ref> Seine Kritik gilt sowohl der klassischen Metaphysik als auch der [[Metaphysikkritik]]. Überlegungen zur Metaphysik ziehen sich durch sein ganzes Werk. Besonders ausgearbeitet hat er sie in der ''Negativen Dialektik'', als deren zentrale Intention er gegenüber [[Gershom Scholem]] „die Rettung der Metaphysik“ nennt.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, S. 663.</ref>
 
Adornos Verständnis der Metaphysik hängt eng mit seinem Verständnis abendländischer Rationalität zusammen. Diese gilt ihm als ein Projekt der Selbst- und der Naturbeherrschung (GS 3: 19). Das Ziel dieses Projektes ist es, dass der Mensch sich mittels seiner von der [[Kontingenz (Philosophie)|Kontingenz]] natürlicher Geschehnisse zu befreien versucht, um Herrschaft über sich und seine Umgebung zu erlangen. Innerhalb dieses Projektes spielt die Metaphysik als die „Lehre vom geschichtslos Unveränderlichen“ (GS 2: 261) eine wichtige Rolle. Indem sie den Kontingenzen des empirischen Lebens ein System von begrifflichen Zusammenhängen entgegenstellt, die als unveränderlich aufgefasst werden, leitet die Metaphysik ein „Denken der Identität“ ein. Das identifizierende Denken richtet sich dabei nicht nur gegen das, was dem Subjekt äußerlich begegnet, sondern auch gegen seine eigene leibliche Natur. Auch sie soll durch Identifikation beherrschbar und überwunden werden, was Adorno als „Anpassung ans Tote“ bezeichnet (GS 3: 79, 206). Das metaphysische Denken richtet sich so gegen sein eigentliches Ziel, die rationale Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen. Die Identitäten, die das Kontingente bewältigen sollen, beherrschen den, um dessen Freiheit willen sie gesucht worden sind. Adorno gilt dies als das Skandalon der Metaphysik, aber auch von Rationalität und Aufklärung (GS 6: 361).
 
Auch die Metaphysikkritik, deren Grundprogramm eigentlich die Befreiung des Subjekts von der Metaphysik ist, führt für Adorno letztlich nur zu dessen Unfreiheit. Er setzt sich dabei vor allem mit der Philosophie Kants und dem Positivismus auseinander. Kants Philosophie wird von Adorno als Versuch interpretiert, aus der Metaphysikkritik heraus für die Freiheit des Menschen zu argumentieren. Für Kant ist der Mensch dabei ein Wesen, das nur unter Einbeziehung seiner Sinne und seines Verstandes zu Erkenntnissen zu kommen vermag. Wenn die Erkenntnisse demnach immer unter den feststehenden Anschauungsformen und Verstandesbegriffen stehen, so ist für Adorno damit die Unfreiheit des Subjekts besiegelt: Das menschliche Bewusstsein wird „gleichsam zu ewiger Haft in den ihm nun einmal gegebenen Formen der Erkenntnis verurteilt“ (GS 3: 378). Der Mensch wird so in seinen Erkenntnismöglichkeiten als ein vollkommen festgelegtes und unfreies Wesen begriffen. Diese Festlegung des Menschen auf das Tatsächliche findet nach Adorno seine Fortsetzung im Positivismus.
 
Gegen die traditionelle Metaphysik und Metaphysikkritik will Adorno eine Metaphysik der [[Transzendenz]] rehabilitieren. Metaphysik ist ein Denken des Absoluten, ein Denken dessen, was das Gegebene überschreitet: „Denken über sich selbst hinaus, ins Offene, genau das ist Metaphysik“.<ref>Theodor W. Adorno Archiv (Hrsg.): ''Nachgelassene Schriften. Abteilung 4: Vorlesungen.'' Band 14: ''Metaphysik. Begriff und Probleme'' (1965). Hrsg. v. Rolf Tiedemann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, S. 108.</ref> Wesentlich für das Denken des Absoluten ist es dabei, dass es jenseits der Verfügungsgewalt eines Subjekts steht. Es darf nicht mit dem Begriff des Unveränderlichen charakterisiert werden, sondern muss als das Nichtidentische gedacht werden: „Das Absolute jedoch, wie es der Metaphysik vorschwebt, wäre das Nichtidentische, das erst hervorträte, nachdem der Identitätszwang zerging“ (GS 6: 398).
 
Da die Erkenntnis immer auf das Identische gerichtet ist, kann es vom Absoluten als Nichtidentischem keine Erkenntnis geben. Das Nichtidentische kann aber den Subjekten gegenüber als „metaphysische Erfahrung“ (GS 6: 364) in Erscheinung treten. Sie ist die Erfahrung einer Unverfügbarkeit, Adorno spricht auch von „Unverlässlichkeit“ (GS 6: 364). Die metaphysische Erfahrung ist außerdem eine Erfahrung von Negativität. Das Subjekt erfährt seine eigene Ohnmacht, den Gegenstand der Erfahrung zu fassen zu bekommen.
 
Metaphysische Erfahrungen sind für Adorno vor allem in der Kunst möglich. Er spricht ausdrücklich vom „metaphysischen Gehalt von Kunst“ (GS 7: 122). Kunstwerke deuten auf Nichtidentisches hin, indem sie ihre Rezipienten zu einer bestimmten Verhaltensweise nötigen. Da ein Kunstwerk sich nicht einfach entziffern lässt, sind Rezipienten gezwungen, sich von den Strukturen des Kunstwerks leiten zu lassen. Sie werden dadurch zu einer Praxis der Anverwandlung gedrängt, die Adorno ''Mimesis'' nennt. Die damit von den Kunstwerken eröffnete Erfahrung deutet auf etwas hin, das sich nicht identifizierend fassen lässt.
 
==== Positivismuskritik ====
Adorno bestand darauf, dass in einer widersprüchlichen Welt auch das Denken widersprüchlich sein müsse und somit das Postulat der Widerspruchsfreiheit wie auch das „falsche Ideal“ der Systembildung, an dem sich die „große Philosophie“ orientiere, abzulehnen seien. „Das Ganze ist das Unwahre“, heißt ein zentraler Satz in den ''Minima Moralia'' (GS 4: 55). Er beschäftigte sich mit den Einzelwissenschaften, übte gleichwohl immanente Kritik an der Arbeitsteiligkeit, die immer mehr einzelne wissenschaftliche Disziplinen von der Philosophie abgespalten und zu gegeneinander abgegrenzten Fächern im Wissenschaftsbetrieb gemacht habe. Reflexion über die gesellschaftlichen Bedingungen der wissenschaftlichen Arbeitsteilung machte ihn zum Kritiker des [[Positivismus]], den er weiter fasste als allgemein üblich. Neben dem [[Logischer Empirismus|Logischen Positivismus]] des „Wiener Kreises“ und der [[Analytische Philosophie|Analytischen Philosophie]] zählte er dazu auch Autoren wie Karl Popper und [[Hans Albert]], die sich selbst als Positivismus-Kritiker verstanden,<ref>Hermann Kocyba: ''Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Einleitung.'' In: Axel Honneth (Hrsg.): ''Schlüsseltexte der Kritischen Theorie''. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 69.</ref> und [[Ludwig Wittgenstein]], den „reflektiertesten Positivisten“ (GS 8: 282). Seine Grundthese im ''Tractatus'', „Die Welt ist alles, was der Fall ist“,<ref>Ludwig Wittgenstein: ''Tractatus.'' Satz 1</ref> ist für Adorno ein Gedanke, der die Unfreiheit des Menschen besiegelt und ihn auf das Bestehende verpflichtet.
 
Im so genannten [[Positivismusstreit]] zwischen den [[Kritischer Rationalismus|Kritischen Rationalisten]] Popper und Albert auf der einen Seite und Vertretern der [[Frankfurter Schule]] auf der anderen Seite, der in den 1960er Jahren um Methoden und [[Werturteilsstreit|Werturteile]] in den Sozialwissenschaften geführt wurde, war Adorno einer der Protagonisten. Von ihm stammte der Begriff ''Positivismusstreit'', der von den Kontrahenten zunächst abgelehnt wurde, sich aber schließlich durchgesetzt hat.<ref>Theodor W. Adorno, Hans Albert, Ralf Dahrendorf, Jürgen Habermas, Harald Pilot, Karl R. Popper: ''Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie''. Luchterhand, Neuwied 1969.</ref>
 
=== Soziologie ===
==== Gesellschaftskritik ====
Adornos Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer [[Ideologie]] richtet sich gegen die „[[verwaltete Welt]]“ (ein Synonym für den nachliberalen [[Spätkapitalismus]]) und die „[[Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug|Kulturindustrie]]“. Beiden wohne die Tendenz zur Liquidation des Individuums und alles Abweichenden inne, mit anderen Worten: die Beseitigung oder Unterwerfung des Nichtidentischen und Nichtverfügbaren. Im Rahmen des verordneten Konsums und der organisierten Ausfüllung der arbeitsfreien Zeit „durch Kulturindustrie, Technikbegeisterung und Sport“ erfolge eine „restlose Erfassung der Menschen bis in ihr Innenleben hinein“.<ref>Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor W. Adorno zur Einführung.'' 5. Auflage. Junius, Hamburg 2009, S. 86.</ref> Durchgängig ist Adornos negativer Bezug auf die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Auf ein positives Wort wartete schon Thomas Mann 1952 vergebens. Er kritisierte die Negativität des Adorno’schen Denkens: „Gäbe es nur je ein positives Wort bei Ihnen, Verehrter, das eine auch nur ungefähre Vision der wahren, der zu postulierenden Gesellschaft gewährte! Die Reflexionen aus dem beschädigten Leben ließen es daran, nur daran, auch schon fehlen. Was ist, was wäre das Rechte?“<ref>Thomas Mann in: Theodor W. Adorno, Thomas Mann: ''Briefwechsel 1943–1955''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, S. 122.</ref>
 
Das soziologische und sozialpsychologische Werk Adornos steht in der Tradition von Karl Marx, [[Émile Durkheim]], [[Max Weber]], Georg Lukács und Sigmund Freud. Ihnen verdankte er Einsichten, an die er häufig anknüpfte. Der [[Warenfetisch|Warencharakter]] und die [[Verdinglichung]] aller menschlichen Beziehungen, generell der [[Tausch]] bilden den Resonanzboden seiner marxistisch geprägten Gesellschaftsanalysen, die Lukács’ ''Geschichte und Klassenbewußtsein'' zentrale Anregungen verdanken. Das Thema der [[Instrumentelle Vernunft|instrumentellen Vernunft]] finden Horkheimer und er in Max Webers Begriff der „Zweckrationalität“ vorgebildet. Der Begriff der „verwalteten Welt“ bleibt dem Weber’schen [[Idealtypus]] der [[Bürokratie]] mit ihrer Tendenz zur Ausdehnung und Verselbständigung verwandt; wiederholt verweist er darauf in seinen Vorträgen ''Kultur und Verwaltung'' von 1960 (GS 8: 124) und ''Individuum und Organisation'' von 1954 (GS 8: 442).
 
Wie Durkheim begreift er die Objektivität der gesellschaftlichen Tatsachen (''[[Sozialer Tatbestand|faits sociaux]]''), „die These von der Eigenständigkeit gesellschaftlicher Tendenzen gegenüber individuell-psychologischen“ (GS 8: 246)<ref>''Einleitung zu Emile Durkheim, ‚Soziologie und Philosophie‘''</ref> als eine grundlegende soziologische Einsicht, die er in seiner Terminologie als „Vorrang des Objekts“ fasst (exemplarisch dazu in der ''Negativen Dialektik'', GS 6: 184 ff.). Zwar spricht er sich gegen eine unvermittelte Zusammenführung von Erkenntnissen der Psychologie und Soziologie dezidiert aus − so in seinem Aufsatz ''Zum Verhältnis von Psychologie und Soziologie'' (GS 8: 42–92) –, weil angesichts „der gegenwärtigen Ohnmacht des Individuums“ Ökonomie und Soziologie mehr zur Erklärung gesellschaftlicher Vorgänge und Tendenzen beitragen könnten. Gleichwohl sei die Psychologie, insbesondere die Psychoanalyse, ein adäquates Medium zur Erklärung irrationaler Verhaltensweisen von Individuen und Gruppen (GS 8: 86). Wiederholt zog er Freuds Schrift ''[[Massenpsychologie und Ich-Analyse]]'' zur triebdynamischen Erklärung des [[Autoritärer Charakter|autoritären Charakters]] wie der Massengefolgschaft faschistischer Führer heran.
 
Mit seinem Vortrag ''Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft'' eröffnete Adorno 1968 den 16. Deutschen [[Deutsche Gesellschaft für Soziologie#Soziologentage|Soziologentag]], der im Zeichen der Studentenbewegung und des 150. Geburtstags von Karl Marx stand. Anknüpfend an die Marx’sche [[Orthodoxie]] beantwortet er die Titelfrage dahingehend, dass die gegenwärtige Gesellschaft [[Industriegesellschaft]] „nach dem Stand ihrer Produktiv''kräfte''“, jedoch „Kapitalismus in ihren Produktions''verhältnissen''“ (GS 8: 361) sei.
 
==== Empirische Sozialforschung ====
Erst während seiner Emigration in den USA sammelte Adorno Erfahrungen in der [[Empirische Sozialforschung|empirischen Sozialforschung]]. Auf Vermittlung von Horkheimer wurde er Mitarbeiter am ''Princeton Radio Research Project'', einem von dem österreichischen Soziologen [[Paul Lazarsfeld]] geleiteten größeren Forschungsvorhaben mit dem Titel ''The Essential Value of Radio to all Types of Listeners''. Adorno wurde die Durchführung eines Teilprojekts für den musikalischen Bereich übertragen.
 
In seinem Rückblick auf ''Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika'' berichtete er, dass das Radio-Projekt „für kritische Sozialforschung wenig Raum“ ließ (GS 10/2: 707). So schien ihm die Technik, dass [[Proband]]en per Knopfdruck über Gefallen oder Nichtgefallen von Musikstücken abstimmten, „gegenüber der Komplexität des zu Erkennenden höchst unzulänglich“ (GS 10/2: 708). Da sich die Untersuchungen im Rahmen des etablierten kommerziellen Radiosystems vollzogen und „verwertbare Informationen“ erwartet wurden (GS 10/2: 709), war auf diese Weise kaum etwas für die [[Musiksoziologie]] zu ermitteln. Sein erster in den USA geschriebener Aufsatz – ''Über den [[Warenfetisch|Fetischcharakter]] der Musik und die [[Regression (Psychoanalyse)|Regression]] des Hörens'' –, der 1938 in der ''Zeitschrift für Sozialforschung'' erschien, war, nach des Autors eigenem Bekunden, der „erste Niederschlag“ seiner Arbeit am Radio Research Project (GS 14: 9).
 
Adorno bewertete seine Erfahrungen als lehrreiche Auseinandersetzungen mit Sinn und Methoden der Sozialforschung sowie mit Radiomusik und Radiohörern. Aus dieser Tätigkeit resultierte schließlich eine umfangreiche Untersuchung in englischer Sprache: die unter dem Titel ''Current of Music'' zusammengefassten Studien, die Robert Hullot-Kentor rekonstruiert und herausgegeben hat.<ref>Theodor W. Adorno: ''Current of Music: elements of a radio theory''. Hrsg. von Robert Hullot-Kentor. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006.</ref> Insgesamt betrachtet, fand Adorno in den New Yorker wie in den späteren kalifornischen Emigrationsjahren durch praktische Erfahrungen und Auseinandersetzungen einen Zugang zur empirischen Sozialforschung (GS 10/2: 703–738).
 
Nachdem er mit Horkheimer 1944 die ''Dialektik der Aufklärung'' abgeschlossen hatte, wurde er Mitarbeiter an dem vom ''Institute of Social Research'' und von der [[University of Berkeley]] gemeinsam bearbeiteten großangelegten Forschungsprojekt zum Thema Antisemitismus.<ref>Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, S. 444.</ref> Darauf geht die 1950 veröffentlichte soziologische Studie ''The Authoritarian Personality'' ''([[Autoritäre Persönlichkeit|Die autoritäre Persönlichkeit]])'' zurück, die Vorurteilsstrukturen und den Zusammenhang von [[Autorität]]sgläubigkeit und [[Faschismus]] untersucht. In einem Brief vom 19. Juli 1947 an Horkheimer äußerte sich Lazarsfeld geradezu begeistert über die gelungene Kombination von kritischer und empirischer Sozialforschung.<ref>Emil Walter Busch: ''Geschichte der Frankfurter Schule. Kritische Theorie und Politik''. Fink, München 2010, S. 128.</ref> Die von Adorno verfassten Teile sowie die von ihm und den beteiligten Autoren gemeinsam verfasste Einleitung, ferner das Kapitel über die [[F-Skala (Autoritäre Persönlichkeit)|F-Skala]] (engl. Fassung in GS 9/1: 143–508) ließ er von Milli Weinbrenner, einer Mitarbeiterin des Instituts, übersetzen; erst posthum erschienen diese Texte unter dem Titel ''Studien zum autoritären Charakter'' (1973) auf Deutsch in der Bundesrepublik Deutschland.
 
Die von Adorno in den USA gemachten Erfahrungen mit der dort anders betriebenen Soziologie und Sozialforschung, vor allem seine Mitautorschaft an der ''Authoritarian Personality'', bildeten die Grundlage dafür, dass er in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren als einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Soziologie anerkannt wurde. Beigetragen haben dazu auch seine Beiträge zu dem bedeutendsten empirischen Nachkriegsprojekt des Instituts für Sozialforschung: das an die Fragestellungen der ''Authoritarian Personality'' anknüpfende ''[[Gruppendiskussion|Gruppenexperiment]]''.<ref>''Gruppenexperiment. Ein Studienbericht'', bearbeitet von Friedrich Pollock, mit einem Geleitwort von Franz Böhm, erschien 1955 als Band 2 der ''Frankfurter Beiträge zur Soziologie'' in der Europäischen Verlagsanstalt, Frankfurt am Main.</ref> Adorno hatte zu dem abschließenden Forschungsbericht das Kapitel ''Schuld und Abwehr'' und gemeinsam mit Horkheimer das Vorwort verfasst (GS 9/2: 121–324).
 
Unbeschadet dessen hielt er sich nicht zurück mit kritischen Erörterungen über die empirische Sozialforschung. 1952 hielt er die Rede ''[[Zur gegenwärtigen Stellung der empirischen Sozialforschung in Deutschland]]'', in der er deren Bedeutung in modifizierter Form für die [[Kritische Theorie]] betonte (GS 8: 478–531), und in dem erstmals 1957 veröffentlichten Vortrag ''[[Soziologie und empirische Forschung]]'' stellte Adorno seine Kritik an der zeitgenössischen Soziologie und empirischen Sozialforschung dar (GS 8: 196–216). Er hatte zunächst, unter Einbeziehung der aus den USA stammenden Methoden, für den Ausbau der empirischen Sozialforschung in Deutschland und die Verbindung von quantitativen mit qualitativen Verfahren (wie [[Inhaltsanalyse]] und [[Gruppendiskussion]]) votiert. Hatte er dabei noch die Möglichkeit einer Verknüpfung von Empirie mit Theorie betont, äußerte er sich später zunehmend skeptischer hinsichtlich einer derartigen Vermittlung.<ref>Wolfgang Bonß: ''Kritische Theorie und empirische Sozialforschung – ein Spannungsverhältnis.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' Metzler, Stuttgart 2011, S. 245f.</ref> Unverhohlen artikulierte er diese Skepsis im sogenannten ''[[Positivismusstreit]]''.
 
=== Ästhetik und Kulturkritik ===
Adornos Schriften zur Ästhetik und Kulturkritik sind von den Schriften Walter Benjamins, mit dem er in regem Austausch stand, stark beeinflusst. Angefangen vom ''Ursprung des deutschen Trauerspiels'' (1928) bis zum [[Das Passagen-Werk|''Passagen-Werk'']] dienten sie Adorno als wichtige Inspirationsquellen. Der erkenntniskritischen Vorrede der ''Trauerspiel''-Schrift entnahm Adorno die Anregung, eine spezifische Form des philosophischen Umgangs mit der Kunst zu entwickeln: Nicht begrifflich-deduktiv noch induktiv, sondern konfigurativ durch Anordnung der Phänomene in Konstellationen.<ref>Rolf Wiggershaus: ''Ästhetische Theorie.'' In: Axel Honneth (Hrsg.): ''Schlüsseltexte der Kritischen Theorie''. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 81.</ref> Auf Benjamins berühmte Schrift ''[[Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit]]'' reagierte Adorno jedoch kritisch und verärgert.<ref>Siehe Brief an Walter Benjamin vom 18. März 1936, in: ''Theodor W. Adorno – Walter Benjamin: Briefwechsel 1928–1940''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994, S. 168–177 und Brief an Max Horkheimer vom 21. März 1936, in: ''Theodor W. Adorno – Max Horkheimer: Briefwechsel 1927–1937''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994, S. 2003, S. 130–132.</ref> So hatte Benjamin Film und Kino als [[Avantgarde|avantgardistische]] Medien bezeichnet und sich für sie begeistert, während Adorno darin Auswüchse der [[Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug|Kulturindustrie]] sah.
 
Ausgangspunkt der kunstphilosophischen Überlegungen Adornos ist die Annahme einer „fundamentalen Differenz von Kunst und gesellschaftlicher Wirklichkeit“. Geschichte und Sein der Kunst rekonstruiert er „unter dem Vorzeichen der Negativität“. Sie ist „das konkrete Negative des allgemeinen Negativen“. Eine überhistorische Definition der Kunst kann es für ihn nicht geben; alle Vorstellungen und Theoreme der Kunstphilosophie werden radikal historisiert. Da das Kunstwerk noch nicht vollständig in die gesellschaftliche Totalität integriert ist, bildet es den [[Archimedischer Punkt|archimedischen Punkt]], von dem aus historische Erkenntnisse möglich werden.<ref>Britta Scholze: ''Kunst als Kritik. Adornos Weg aus der Dialektik''. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 97.</ref>
 
==== Ästhetische Theorie ====
{{Hauptartikel|Ästhetische Theorie}}
Der Philosoph [[Günter Figal]] sieht in der posthum erschienenen, vom Autor selbst nicht abgeschlossenen ''Ästhetischen Theorie'' Adornos Hauptwerk und Vermächtnis. Sie sei der Versuch, auf die Erfahrung des unverfügbaren „Individuellen und Nichtidentischen in der Kunst aufmerksam zu machen“. Konsequenter als in seinen anderen Schriften setze Adorno hier seine Leitbegriffe als eine Vielzahl von Zentren ein, um die sich seine Reflexionen bildeten und die erst in der Konstellation zueinander ein Ganzes ergäben.<ref>Günter Figal: ''Kritische Theorie. die Philosophen der Frankfurter Schule und ihr Umkreis.'' In: [[Anton Hügli]], Poul Lübcke (Hrsg.): ''Philosophie im 20. Jahrhundert.'' Band 1: ''Phänomenologie, Hermeneutik, Existenzphilosophie und Kritische Theorie''. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 336.</ref> Der [[Germanistik|Germanist]] [[Gerhard Kaiser (Germanist)|Gerhard Kaiser]] versteht Adornos Kritische Theorie im Wesentlichen als „ästhetische Theorie“: In ihr würden „alle Motive seines Denkens enggeführt“.<ref>Gerhard Kaiser: ''Theodor W. Adornos „Ästhetische Theorie“.'' In: Ders.: ''Benjamin. Adorno. Zwei Studien''. Athenäum, Frankfurt am Main 1974, S. 109.</ref>
 
Die zentrale These des Werks lautet für Günter Figal, dass Kunst das „Ergebnis einer rationalen Konstruktion“ ist, die das vielfältige „Material“ (Klänge, Worte, Farben, Holz, Metall etc.) zu einer Einheit stimmig zusammenfügt. Im Kunstwerk würde „das Material in seiner Individualität freigesetzt“ und dadurch das „Nichtidentische“ gerettet.<ref>Günter Figal: ''Kritische Theorie. die Philosophen der Frankfurter Schule und ihr Umkreis.'' In: Anton Hügli, Poul Lübcke (Hrsg.): ''Philosophie im 20. Jahrhundert.'' Band 1: ''Phänomenologie, Hermeneutik, Existenzphilosophie und Kritische Theorie''. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 332 f.</ref> Obwohl zweckmäßig gestaltet, erscheine das Kunstwerk im Resultat, als sei es naturhaft erzeugt, weil das vermögende Gestalten selbst der „Natur im Subjekt“ (Immanuel Kant) zugehört – sei es als vorgeistige Sinnlichkeit oder als kreatürlicher Reflex. Adorno versteht Kunst nicht als Nachahmung der Natur, sondern des ''Naturschönen'', das für Menschen etwas Überwältigendes habe, aber in seiner „Nichtgemachtheit“ sich menschlicher Verständlichkeit gleichzeitig entziehe.<ref>Ruth Sonderegger: ''Ästhetische Theorie.'' In: Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung''. Metzler, Stuttgart 2011, S. 416.</ref>
 
Bereits im einleitenden Abschnitt der ''Ästhetischen Theorie'' spricht Adorno vom „Doppelcharakter der Kunst als autonom und als [[Sozialer Tatbestand|fait social]]“ (GS 7: 16). Der von [[Émile Durkheim]] übernommene Begriff des ''fait social'' bezeichnet einen gesellschaftlich erzeugten Tatbestand. Kunstwerke sind in die herrschenden Produktionsverhältnisse eingebunden und als Produkte gesellschaftlicher Arbeit (GS 7: 337) auch verkäufliche Waren. Ihre Autonomie ist eine sozial determinierte (GS 7: 313); sie wurde „mühsam der Gesellschaft abgezwungen“ (GS 7: 353). Autonomie verkörpere das Kunstwerk darin, dass es allein seinem eigenen Formgesetz gehorche. Aus ihrer Autonomie folge, dass Kunstwerke funktionslos sind: „Soweit von Kunstwerken eine gesellschaftliche Funktion sich prädizieren lässt, ist es ihre Funktionslosigkeit“ (GS 7: 337). In ihrer unversöhnlichen Gegenposition zur Gesellschaft behauptet die Kunst ihre Autonomie: „Indem sie sich als Eigenes in sich kristallisiert, statt bestehenden gesellschaftlichen Normen zu willfahren und als ‚gesellschaftlich nützlich‘ sich zu qualifizieren, kritisiert sie die Gesellschaft, durch ihr bloßes Dasein“ (GS 7: 337).
 
Als [[Utopie]] repräsentiere Kunst das schwarz verhängte „noch nicht Seiende“, die „imaginäre Wiedergutmachung der Katastrophe Weltgeschichte“ (GS 7: 204). Adornos Satz – „In jedem genuinen Kunstwerk erscheint etwas, was es nicht gibt“ (GS 7: 127) – verweist auf ein Glücksversprechen ([[Stendhal]]s ''promesse du bonheur''), das als „Totalnegation der gegebenen Wirklichkeit“ gelesen werden kann. Glück gibt es nur „als Erscheinung, die [[Eschatologie|eschatologisch]] der Erfüllung harrt“.<ref>Norbert Schneider: ''Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne''. Reclam, Stuttgart, S. 184.</ref>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Theodor W. Adorno}}
* {{WikipediaDE|Soziale Gerechtigkeit}}
 
== Schriften ==
'''Buchausgaben zu Lebzeiten:'''
* ''Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen''. Tübingen 1933.
* Willi Reich (Hrsg.): ''Alban Berg''. Mit Bergs eigenen Schriften und Beiträgen von Theodor Wiesengrund-Adorno und Ernst Krenek. Wien, Leipzig, Zürich 1937.
* Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: ''Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente''. Amsterdam 1947
* ''Philosophie der neuen Musik''. Tübingen 1949.
* Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sanford: ''The Authoritarian Personality''. New York 1950, in Deutschland posthum erschienen unter dem Titel ''Studien zum autoritären Charakter''. Frankfurt am Main 1973 (vgl. auch Autoritäre Persönlichkeit)
* ''Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben''. Berlin, Frankfurt am Main 1951
* ''Versuch über Wagner''. Berlin, Frankfurt am Main 1952.
* ''Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft''. Berlin, Frankfurt am Main 1955.
* ''Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien''. Stuttgart 1956.
* ''Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt''. Göttingen 1956.
* ''Aspekte der Hegelschen Philosophie''. Berlin, Frankfurt am Main. 1957.
* ''Noten zur Literatur I''. Berlin, Frankfurt am Main 1958.
* ''Klangfiguren. Musikalische Schriften I''. Berlin, Frankfurt am Main 1959.
* ''Mahler. Eine musikalische Physiognomie''. Frankfurt am Main 1960.
* ''Noten zur Literatur II''. Frankfurt am Main 1961.
* ''Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen''. Frankfurt am Main 1962.
* Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: ''Sociologica II. Reden und Vorträge''. Frankfurt am Main 1962.
* ''Drei Studien zu Hegel''. Frankfurt am Main 1963.
* ''Eingriffe. Neun kritische Modelle''. Frankfurt am Main 1963.
* ''Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis''. Frankfurt am Main 1963.
* ''Quasi una fantasia. Musikalische Schriften II''. Frankfurt am Main 1963.
* ''Moments musicaux. Neu gedruckte Aufsätze 1928–1962''. Frankfurt am Main 1964.
* ''Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie''. Frankfurt am Main 1964
* ''Noten zur Literatur III''. Frankfurt am Main 1965.
* ''Negative Dialektik''. Frankfurt am Main 1966
* ''Ohne Leitbild. Parva Aesthetica''. Frankfurt am Main 1967.
* ''Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs''. Wien 1968.
* ''Impromptus. Zweite Folge neu gedruckter musikalischer Aufsätze''. Frankfurt am Main 1968.
* ''Sechs kurze Orchesterstücke op. 4 <1929>''. Milano 1968.
* Theodor W. Adorno, Hanns Eisler: ''Komposition für den Film''. München 1969.
* ''Stichworte. Kritische Modelle 2''. Frankfurt am Main 1969.
 
'''Sammelausgaben:'''
* ''Gesammelte Schriften''. Hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz. Bde. 1–20 (in 23 Bdn. geb.). 1. Auflage. Frankfurt am Main 1970–1980. – [Rev. Taschenbuch-Ausg.] Frankfurt am Main 1997. – Lizenzausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 1998. – [Revidierte und erweiterte elektronische Ausg. auf CD-ROM:] Digitale Bibliothek Band 97, Directmedia Publishing Berlin 2003, ISBN 3-89853-497-9.
* ''Nachgelassene Schriften''. Hrsg. vom Theodor W. Adorno Verlag. Frankfurt am Main 1993 ff. [Bisher erschienen: 10 Bde.]
* ''Eine Auswahl''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1971. – Lizenzausg. des Deutschen Bücherbundes, Stuttgart 1971.
* ''Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1971.
* ''Philosophie und Gesellschaft''. Fünf Essays. Auswahl und Nachwort Rolf Tiedemann. Stuttgart 1984.
* ''„Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse.“ Ein philosophisches Lesebuch''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1997.
* ''Aufarbeitung der Vergangenheit. Reden und Gespräche''. Auswahl und Begleittext von Rolf Tiedemann. München 1999, DerHörVerlag. (AUDIO BOOKS. Stimmen der Philosophie.) 5 CD: ISBN 3-89584-730-5; 2 MC: ISBN 3-89584-630-9.
* ''Kompositionen''. Hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn. 2 Bde., München 1980
* ''Kompositionen''. Band 3: Kompositionen aus dem Nachlass. Hrsg. von Maria Luisa Lopez-Vito und Ulrich Krämer. München 2007
* ''Klavierstücke''. Hrsg. von Maria Luisa Lopez-Vito, Nachwort von Rolf Tiedemann. München 2001
 
'''Wichtige postume Einzelausgaben:'''
* ''Ästhetische Theorie''. Hrsg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1970; 13. Auflage. 1995.
* ''Über Walter Benjamin''. Hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1970. – [Revidierte und erweiterte Ausg.:] Frankfurt am Main 1990.
* ''Noten zur Literatur IV''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1974.
* ''Der Schatz des Indianer-Joe. Singspiel nach Mark Twain''. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1979.
* ''Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. (Nachgelassene Schriften. Hrsg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Abt. I, Band 1.) Frankfurt am Main 1993. – 2. Auflage. 1994. – [Taschenbuch-Ausg.] Frankfurt am Main 2004.
* ''Probleme der Moralphilosophie <1963>''. Hrsg. von Thomas Schröder. Frankfurt am Main 1996. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Band 10.)
* ''Metaphysik. Begriff und Probleme <1965>''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1998. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Band 14.)
* ''Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit <1964/65>''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 2001. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Band 13.)
* ''Ontologie und Dialektik <1960/61>''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 2002. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Band 7.)
* ''Vorlesung über Negative Dialektik. Fragmente zur Vorlesung 1965/66''. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 2003. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Band 16.)
* ''Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion. Aufzeichnungen, ein Entwurf und zwei Schemata''. Hrsg. von Henri Lonitz. Frankfurt am Main 2001. (Nachgel. Schr., Abt. I, Band 2.)
* ''Traumprotokolle''. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Frankfurt am Main 2005. Hörspielbearbeitung
* ''Current of Music. Elements of a Radio Theory'', hrsg von Robert Hullot-Kentor. Frankfurt am Main 2006.
* ''Komposition für den Film''. Text der Edition in Band 15 der ''Gesammelten Schriften'', durchgesehen, korrigiert und ergänzt von Johannes C. Gall. Mit einem Nachwort von Johannes C. Gall und einer [http://www.hanns-eisler.de/DVD DVD „Hanns Eislers Rockefeller-Filmmusik-Projekt“], im Auftrag der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft hrsg. von Johannes C. Gall. Frankfurt am Main 2006.
 
== Briefwechsel ==
* Theodor W. Adorno – Walter Benjamin: ''Briefwechsel 1928–1940''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Alban Berg: ''Briefwechsel 1925–1935''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Max Horkheimer: ''Briefwechsel 1927–1937''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Max Horkheimer: ''Briefwechsel 1938–1944''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Max Horkheimer: ''Briefwechsel 1945–1949''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Max Horkheimer: ''Briefwechsel 1950–1969''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Thomas Mann: ''Briefwechsel 1943–1955''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Siegfried Kracauer: ''Briefwechsel 1923–1966''. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
* Theodor W. Adorno – Ernst Krenek: ''Briefwechsel''. Suhrkamp, Frankfurt am Main
* Theodor W. Adorno – Heinz-Klaus Metzger: ''Briefwechsel 1954–1967''. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
* Asaf Angermann (Hrsg.): Theodor W. Adorno - Gershom Scholem: ''Der liebe Gott wohnt im Detail. Briefwechsel 1939–1969''. Suhrkamp, Berlin 2015, ISBN 978-3-518-58617-4.
* Wolfgang Schopf (Hrsg.): ''„So müßte ich ein Engel und kein Autor sein“. - Adorno und seine Frankfurter Verleger. Der Briefwechsel mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003
* Theodor W. Adorno – Lotte Tobisch: ''Der private Briefwechsel (1962–1969)''. Droschl, Graz 2003
* Theodor W. Adorno – Paul Celan: ''Briefwechsel 1960–1968''. Hrsg. v. Joachim Seng. In: ''Frankfurter Adorno Blätter VIII.'' edition text + kritik 2003, S. 177–202.
* Theodor W. Adorno und Elisabeth Lenk: ''Briefwechsel 1962–1969''. Herausgegeben von Elisabeth Lenk. edition text + kritik, München 2001
* Theodor W. Adorno – Harald Kaufmann: ''Briefwechsel 1967–1969.'' In: Harald Kaufmann: ''Von innen und außen. Schriften über Musik, Musikleben und Ästhetik'' Hg. v. Werner Grünzweig und Gottfried Krieger. Wolke, Hofheim 1993, S. 261–300.
* Theodor W. Adorno und Alfred Sohn-Rethel: ''Briefwechsel 1936–1969.'' Herausgegeben von Christoph Gödde. edition text + kritik, München 1991.
* Theodor W. Adorno: ''Briefe an die Eltern. 1939–1951.'' Herausgegeben von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003.
 
== Kompositionen ==
* ''Vier Gedichte von Stefan George für Singstimme und Klavier'', op. 1 (1925–1928)
* ''Zwei Stücke für Streichquartett'', op. 2 (1925–1926)
* ''Vier Lieder für eine mittlere Stimme und Klavier'', op. 3 (1928)
* ''Sechs kurze Orchesterstücke'', op. 4 (1929)
* ''Klage. Sechs Lieder für Singstimme und Klavier'', op. 5 (1938–1941)
* ''Sechs Bagatellen für Singstimme und Klavier'', op. 6 (1923–1942)
* ''Vier Lieder nach Gedichten von Stefan George für Singstimme und Klavier'', op. 7 (1944)
* ''Drei Gedichte von Theodor Däubler für vierstimmigen Frauenchor a cappella'', op. 8 (1923–1945)
* ''Zwei Propagandagedichte für Singstimme und Klavier'', o.O. (1943)
* ''Sept chansons populaires francaises, arrangées pour une voix et piano'', o.O. (1925–1939)
* ''Drei Gedichte von Theodor Däubler für vierstimmigen Frauenchor a cappella'', o.O. (1923–1945)
* ''Zwei Lieder mit Orchester aus dem geplanten Singspiel Der Schatz des Indianer-Joe nach Mark Twain'', o.O. (1932/33)
* ''Kinderjahr. Sechs Stücke aus op. 68 von Robert Schumann, für kleines Orchester gesetzt'', o.O. (1941)
* ''Kompositionen aus dem Nachlaß (Klavierstücke, Klavierlieder, Streichquartette, Streichtrios u.&nbsp;a.)'', vgl. Theodor W. Adorno: ''Kompositionen Band 3.'' hg. von Maria Luisa Lopez-Vito und Ulrich Krämer, München 2007.


== Literatur ==
== Literatur ==
* {{WikipediaDE|Philosophie-Bibliographie|Theodor W. Adorno}}
* Anthony Barnes Atkinson: ''Social Justice and Public Policy.'' MIT Press, 1983.
 
* Brian Barry: ''Why Social Justice Matters.'' Polity Press, 2005.
=== Einführungen ===
* Irene Becker, Richard Hauser: ''Soziale Gerechtigkeit – ein magisches Viereck. Zieldimensionen, Politikanalysen und empirische Befunde''. edition sigma, Berlin 2009, ISBN 978-3-8360-8704-9.
* Deborah Cook (Hrsg.): ''Theodor Adorno: Key Concepts.'' Acumen, Stocksfield 2008, ISBN 978-1-84465-120-7.
* C. Blumenberg-Lampe: ''Das wirtschaftspolitische Programm der 'Freiburger Kreise.': Entwurf einer freiheitlich-sozialen Nachkriegswirtschaft.'' Berlin 1973.
* Richard Klein, Johann Kreuzer, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.): ''Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.'' J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-476-02254-7.
* Monica Budowski, Michael Nollert (Hrsg.): ''Soziale Gerechtigkeiten.'' Seismo Verlag, Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen, Zürich 2008, ISBN 978-3-03777-051-1.
* Stefan Müller-Doohm: ''Die Soziologie Theodor W. Adornos. Eine Einführung''. Campus, Frankfurt am Main 1996.
* María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan (Hrsg.): ''Soziale (Un)gerechtigkeit. Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung.'' Lit Verlag, Münster u. a. 2011, ISBN 978-3-8258-1192-1.
* Hartmut Scheible: ''Theodor W. Adorno mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten''. Rowohlt, Reinbek 1989.
* Andreas Dorschel: ''Ist soziale Gerechtigkeit ein 'sinnloser' Begriff? Zu einer These Friedrich August von Hayeks.'' In: ''Österreichische Zeitschrift für Soziologie.'' XIII (1988), Nr. 1, S. 4–13.
* Gerhard Schweppenhäuser: ''Theodor W. Adorno zur Einführung.'' 5. Auflage. Junius, Hamburg 2009, ISBN 978-3-88506-671-2.
* François Dubet: ''Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz.'' Hamburger Edition, Hamburg 2008.
* Rolf Wiggershaus: ''Theodor W. Adorno''. C. H. Beck, München 1987.
* Thomas Ebert: ''Soziale Gerechtigkeit. Ideen – Geschichte – Kontroversen.'' Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, ISBN 978-3-8389-0088-9. {{Webarchiv | url=http://www.was-ist-soziale-gerechtigkeit.de/download/Soziale_Gerechtigkeit--Ideen-Geschichte-Kontroversen_20110510.pdf | wayback=20140223012348 | text=Inhaltsverzeichnis und Volltext}} (PDF-Datei; 2,3&nbsp;MB)
* ''Über Theodor W. Adorno''. Mit Beiträgen von Kurt Oppens, Hans Kudszus, Jürgen Habermas, Bernard Willms, Hermann Schweppenhäuser und Ulrich Sonnemann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968.
* Stefan Empter, Robert B. Vehrkamp (Hrsg.): ''Soziale Gerechtigkeit. Eine Bestandsaufnahme.'' Gemeinschaftsinitiative der Bertelsmann-Stiftung, Heinz Nixdorf Stiftung und Ludwig-Erhard-Stiftung, 2007, ISBN 978-3-89204-925-8.
 
* Friedrich August von Hayek: ''Recht, Gesetz und Freiheit.'' Mohr, Tübingen 2003, ISBN 3-16-147878-9 (insbes. Tl. 2: ''Das Trugbild sozialer Gerechtigkeit'').
=== Biographien ===
* Otfried Höffe: ''Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung.'' 3. Auflage. C.&nbsp;H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-44768-6, S. 84–92.
* Detlev Claussen: ''Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie.'' Fischer, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-10-010813-2.
* Christoph Horn, Nico Scarano (Hrsg.): ''Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-29163-7.
* Lorenz Jäger: ''Adorno. Eine politische Biographie.'' 2. Auflage. DVA, München 2003, ISBN 3-421-05493-2.
* Harald Jung: ''Soziale Marktwirtschaft und Weltliche Ordnung.'' (= EThD Band 21). Berlin 2009.
* Stefan Müller-Doohm: ''Adorno. Eine Biographie'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-58378-6.
* Wolfgang Kersting: ''Theorien der sozialen Gerechtigkeit''. Metzler, Stuttgart/ Weimar 2000, ISBN 3-476-01752-4.
 
* Hermann Kunst, Heinrich Tenhumberg (Hrsg.): ''Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung'' (=&nbsp;Entwicklung und Frieden – Dokumente, Berichte, Meinungen. Band 4). Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1976, ISBN 3-7867-0561-5.
=== Biographische Orte ===
* Matthias Möhring-Hesse: ''Die demokratische Ordnung der Verteilung. Eine Theorie der sozialen Gerechtigkeit.'' Campus, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37492-7.
* Martin Mittelmeier: ''Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt''. Siedler, München 2013.
* Rodney G. Peffer: ''Marxism, Morality, and Social Justice: Studies in Moral, Political, and Legal Philosophy''. University Press, Princeton 1990, ISBN 0-691-07789-4.
* Claus Offe: ''Kulturindustrie und andere Ansichten des amerikanischen Jahrhunderts.'' In: Ders.: ''Selbstbetrachtung aus der Ferne: Tocqueville, Weber und Adorno in den Vereinigten Staaten''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, S. 91–120.
* Thomas Pogge: ''Gerechtigkeit in der Einen Welt'' (=&nbsp;Kultur in der Diskussion. Band 15). Klartext Verlag, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0153-7.
* Reinhard Pabst (Hrsg.): ''Theodor W. Adorno. Kindheit in Amorbach. Bilder und Erinnerungen''. Insel, Frankfurt am Main 2003.
* John Rawls: ''Eine Theorie der Gerechtigkeit'' (Original: ''A Theory of Justice.'') 1971, ISBN 3-518-06737-0.
* Wolfram Schütte (Hrsg.): ''Adorno in Frankfurt''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003
* Jörg Reitzig: ''Gesellschaftsvertrag, Gerechtigkeit, Arbeit.'' Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2005, ISBN 3-89691-611-4.
* Heinz Steinert: ''Adorno in Wien. Über die (Un-)Möglichkeit von Kunst, Kultur und Befreiung''. Fischer, Frankfurt am Main 1989
* Jörg Reitzig: ''„Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie.'' In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): ''Neoliberalismus: Analysen und Alternativen.'' VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146.
 
* Bernd Rüthers: ''Rechtstheorie.'' 4. Auflage. München 2008, S. 224–271.
=== Adorno Blätter ===
* Andrea Wesenauer, Sarah Sebinger (Hrsg.): ''Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Gesundheitliche Versorgung und Gesundheitsförderung – eine Frage der sozialen Gerechtigkeit?'' Mabuse-Verlag, 2009, ISBN 978-3-940529-51-0.
* Rolf Tiedemann (Hrsg.): '' Frankfurter Adorno Blätter.'' Band I–VIII. edition text + kritik, 2003, ISBN 3-88377-752-8.
* Arne Heise: ''Arbeitslosigkeit und Ungleichheit in verschiedenen Kapitalismusmodellen.'' In: ''Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik.'' Heft 4 (2006), 15. Jg., S. 273–289.
 
=== Adorno-Konferenzen ===
* Ludwig von Friedeburg, Jürgen Habermas (Hrsg.): ''Adorno-Konferenz 1983.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983.
* Michael Löbig, Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.): ''Hamburger Adorno-Symposion.'' Lüneburg 1984, ISBN 3-924245-01-0.
* Frithjof Hager, Hermann Pfütze (Hrsg.): ''Das unerhört Moderne. Berliner Adorno-Tagung.'' Lüneburg 1990, ISBN 3-924245-17-7
* Axel Honneth (Hrsg.): ''Dialektik der Freiheit. Frankfurter Adorno-Konferenz 2003.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005.
* Andreas Gruschka, Ulrich Oevermann (Hrsg.): ''Die Lebendigkeit der kritischen Gesellschaftstheorie. Dokumentation der Arbeitstagung aus Anlass des 100. Geburtstages von Theodor W. Adorno.'' Wetzlar 2004, ISBN 3-88178-324-5.
 
=== Weiterführende Studien ===
* Wolfram Ette, Günter Figal, Richard Klein, Günter Peters (Hrsg.): ''Adorno im Widerstreit. Zur Präsenz seines Denkens''. Alber, Freiburg/ München 2004.
* Alex Demirovic: ''Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-518-29040-1.
* Gillian Rose: ''The Melancholy Science. An Introduction to the Thought of Theodor W. Adorno''. Macmillan, London 1978, ISBN 0-333-23214-3.
* Hermann Schweppenhäuser (Hrsg.): ''Theodor W. Adorno zum Gedächtnis''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1971
* Rolf Tiedemann: ''Niemandsland. Studien mit und über Theodor W. Adorno''. München 2007, ISBN 978-3-88377-872-3.
* Rainer Hoffmann: ''Figuren Des Scheins: Studien Zum Sprachbild Und Zur Denkform Theodor W. Adornos''
 
'''Philosophie'''
 
* Dirk Auer, Lars Rensmann, Julia Schulze Wessel (Hrsg.): ''Arendt und Adorno.'' 2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-29235-8.
* Jürgen Habermas: ''„Ich selber bin ja ein Stück Natur“ – Adorno über die Naturverflochtenheit der Vernunft.'' In: Jürgen Habermas: ''Zwischen Naturalismus und Religion.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-58448-0, S. 187–215.
* Fredric Jameson: ''Spätmarxismus. Adorno oder Die Beharrlichkeit der Dialektik''. Argument Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-88619-391-8.
* Manuel Knoll: Theodor W. Adorno. Ethik als erste Philosophie, Fink, München 2002, ISBN 978-3-7705-3665-8.
* Ulrich Müller: ''Theodor W. Adornos Negative Dialektik''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-15626-9.
* Martin Seel: ''Adornos Philosophie der Kontemplation''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-29294-3.
* Gerhard Schweppenhäuser: ''Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie''. 2.  überarbeitete Auflage. Springer VS, Würzburg 2016, ISBN 978-3-658-11770-2.
* Rolf Tiedemann: ''Mythos und Utopie. Aspekte der Adornoschen Philosophie''. München 2009, ISBN 978-3-86916-013-9.
* Albrecht Wellmer: ''Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-28132-1.
* Philipp von Wussow: ''Logik der Deutung. Adorno und die Philosophie''. Königshausen & Neumann, Würzburg 2007, ISBN 978-3-8260-3547-0.
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_horkheimer_und_adorno.pdf Max Horkheimer und Theodor W. Adorno - Materialien] PDF
 
'''Soziologie / Gesellschaftskritik / Politische Ökonomie'''
* Frank Böckelmann: ''Über Marx und Adorno. Schwierigkeiten der spätmarxistischen Theorie.'' Zweite, vom Autor mit einem Vorwort versehene Ausgabe der Auflage Frankfurt 1971. ça ira, Freiburg 1998, ISBN 3-924627-53-3.
* Dirk Braunstein: ''Adornos Kritik der politischen Ökonomie''. Transcript, Bielefeld 2011.
* Iring Fetscher, Alfred Schmidt (Hrsg.): ''Emanzipation als Versöhnung. Zu Adornos Kritik der „Warentausch“-Gesellschaft und Perspektiven der Transformation.'' Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-8015-0356-9.
* Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.): ''Soziologie im Spätkapitalismus. Zur Gesellschaftstheorie Theodor W. Adornos''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995.
 
'''Ästhetische Theorie / Kunst- und Literatursoziologie'''
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'''Kompositionen'''
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* René Leibowitz: ''Der Komponist Theodor W. Adorno.'' In: Max Horkheimer (Hrsg.): ''Zeugnisse. Theodor W. Adorno zum sechzigsten Geburtstag''. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1963, S. 355–359.
* Gabriele Geml, Han-Gyeol Lie (Hrsg.): ''»Durchaus rhapsodisch«. Theodor Wiesengrund Adorno: Das kompositorische Werk''. J. B. Metzler, Stuttgart 2017.
 
'''Kulturindustrie'''
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* Dieter Prokop: ''Das Nichtidentische der Kulturindustrie. Neue kritische Kommunikationsforschung über das Kreative der Medien-Waren.'' Herbert von Halem Verlag, Köln 2005.
* Dieter Prokop: ''Ästhetik der Kulturindustrie''. Tectum Verlag, Marburg 2009.
* Heinz Steinert: ''Die Entdeckung der Kulturindustrie''. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien.
* Heinz Steinert: ''Kulturindustrie.'' 3. Auflage. Westfälisches Dampfboot, Münster 2008.
 
== Filme ==
* ''Adorno. 1. Der Bürger als Revolutionär.'' Dokumentarfilm, Deutschland, 2003, 58:40 Min., Buch und Regie: Meinhard Prill und Kurt Schneider, Produktion: arte, SWR, Erstsendung: 1. August 2003 bei arte, [http://programm.ard.de/?sendung=2848612052609335 Inhaltsangabe] von ARD, u.&nbsp;a. mit Alexander Kluge, Rüdiger Safranski, Rolf Wiggershaus, Regina Becker-Schmidt, Bazon Brock, Richard Sennett, Martin Jay, Besprechung in der FAZ:.<ref>Lorenz Jäger: ''[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/fernsehen-der-buerger-auf-den-barrikaden-adorno-1118898.html Fernsehen. Der Bürger auf den Barrikaden: „Adorno“.]'' In: ''FAZ.'' 1. August 2003.</ref>
 
* ''Adorno. 2. Wer denkt, ist nicht wütend.'' Dokumentarfilm, Deutschland, 2003, 58:50 Min., Buch und Regie: Meinhard Prill und Kurt Schneider, Produktion: arte, SWR, Erstsendung: 8. August 2003 bei arte, [http://programm.ard.de/TV/swrfernsehenbw/adorno---wer-denkt--ist-nicht-wuetend--2-2-/eid_2811312052611284 Inhaltsangabe] von ARD.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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* Papst Pius XI: [http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/319.html Enzyklika Quadragesimo Anno, ''über die Gesellschaftliche Ordnung.'' 1931]
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* [http://them.polylog.org/3/index-de.htm#fcs Soziale Gerechtigkeit. Stimmen aus dem Süden] (Positionen von Philosophen aus Ländern des Südens)
* [http://ubu.com/sound/adorno.html Audiodokumente] von Theodor W. Adorno: Radiosendungen, Vorträge, Kompositionen
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* [[b:Soziologische Klassiker/ Adorno, Theodor W.|wikibooks Theodor W. Adorno]]
* Wolfgang Merkel, Mirko Krück: [http://library.fes.de/fulltext/id/01706.htm ''Soziale Gerechtigkeit und Demokratie: auf der Suche nach dem Zusammenhang.''] Bonn 2003, ISBN 3-89892-229-4.
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* Ulrike Ackermann: [http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/signale/430953/ ''Die Welt ist keine Kinderstube.''] – Eine Kritik (Artikel beim [[Deutschlandfunk]]) am heutigen Konzept der sozialen Gerechtigkeit
* Reinhard Pabst: [http://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/36050217/44-48-Adorno-Kindheit.pdf ''Ein Sohn aus gutem Hause.''] Theodor W. Adornos Kindheit in Frankfurt- PDF (742,7&nbsp;KB)
* Brian Barry: [http://www.prokla.de/wp/wp-content/uploads/1995/Prokla99.pdf#page=82 Ist soziale Gerechtigkeit eine Illusion?] In: ''PROKLA.'' Heft 99, 25. Jg., 1995, Nr. 2, S. 235–243.
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* Otfried Höffe: [http://www.nzz.ch/2005/06/04/li/articleCPK1M.print.html Soziale Gerechtigkeit. Über die Bedingungen realer Freiheit.] In: ''Neue Zürcher Zeitung.'' 4. Juni 2005
* Videostream: [https://videogold.de/es-gibt-kein-richtiges-leben-im-falschen/ Es gibt kein richtiges Leben im Falschen]
* Stefan Liebig: {{Webarchiv|url=http://www.das-parlament.de/2009/47/Beilage/001.html|wayback=20100121164754|text=''Dimensionen sozialer Gerechtigkeit.''}} In: ''Das Parlament.'' 47/2009.
* Videostream: [https://videogold.de/adorno-wer-denkt-ist-nicht-wutend/ Adorno – Wer denkt, ist nicht wütend]
* Winfried Löffler: [http://theol.uibk.ac.at/itl/416.html ''Soziale Gerechtigkeit. Wurzeln und Gegenwart eines Konzepts in der Christlichen Soziallehre.'']
* Videostream: [https://videogold.de/der-weg-zur-kritischen-theorie-adorno-horkheimer-fromm-habermas/ Der Weg Zur Kritischen Theorie – Adorno Horkheimer Fromm Habermas]
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* {{UTB-Philosophie|Gerhild Tesak|1|Theodor W. Adorno}}
* Jörg Reitzig: [http://www.joerg-reitzig.de/download-Dateien/ABC_Soziale_Gerechtigkeit.pdf Soziale Gerechtigkeit] (PDF-Datei; 244&nbsp;kB) In: Brand/Lösch/Thimme (Hrsg.): ''ABC der Alternativen.'' VSA, Hamburg 2007, S. 214&nbsp;f.
* [http://www.lesungen.net/lesungen/50-jahre-minima-moralia-1409/ Audiomitschnitt: Gesprächsrunde zu „50 Jahre Minima Moralia“ mit Katharina Hacker, Thomas Lehr und Wilhelm Schmid (2002)]
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* Michael Schwarz: [http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2011/id=4700 ''„Er redet leicht, schreibt schwer“. Theodor W. Adorno am Mikrophon''], in: ''Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History'' 8 (2011), S. 286–294.
* [https://archiv.adk.de/bigobjekt/19345 Theodor W. Adorno Archiv] im Archiv der Akademie der Künste, Berlin


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
Die von Rolf Tiedemann hrsgg. ''Gesammelten Schriften'' werden im Artikel mit dem Kürzel '''GS''' und der Angabe von Band- und Seitenzahl zitiert.
* Band 1: ''Philosophische Frühschriften''. Frankfurt am Main 1973.
* Band 2: ''Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen.'' Frankfurt am Main 1979.
* Band 3: Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: ''Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente.'' Frankfurt am Main 1987.
* Band 4: ''Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.'' Frankfurt am Main 1980.
* Band 5: ''Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien zu Hegel.'' Frankfurt am Main 1970.
* Band 6: ''Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit.'' Frankfurt am Main 1973.
* Band 7: ''Ästhetische Theorie.'' Hrsg. v. Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1970.
* Band 8: ''Soziologische Schriften I.'' Frankfurt am Main 1972.
* Band 9/1: ''Soziologische Schriften II. Erste Hälfte.'' Frankfurt am Main 1971.
* Band 9/2: ''Soziologische Schriften II. Zweite Hälfte.'' Frankfurt am Main 1971.
* Band 10/1: ''Kulturkritik und Gesellschaft I: Prismen. Ohne Leitbild.'' Frankfurt am Main 1977.
* Band 10/2: ''Kulturkritik und Gesellschaft II: Eingriffe. Stichworte.'' Frankfurt am Main 1977.
* Band 11: ''Noten zur Literatur.'' Frankfurt am Main 1974.
* Band 12: ''Philosophie der neuen Musik.'' Frankfurt am Main 1975.
* Band 13: ''Die musikalischen Monographien.'' Frankfurt am Main 1971.
* Band 14: ''Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie.'' Frankfurt am Main 1973.
* Band 15: ''Theodor W. Adorno und Hanns Eisler: Komposition für den Film. Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis.'' Frankfurt am Main 1976.
* Band 16: ''Musikalische Schriften I-III: Klangfiguren (I). Quasi una fantasia (II). Musikalische Schriften III.'' Frankfurt am Main 1978.
* Band 19: ''Musikalische Schriften VI.'' Hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Klaus Schultz. Frankfurt am Main 1984.
* Band 20/1: ''Vermischte Schriften I.'' Frankfurt am Main 1986.
<references />
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Version vom 24. Januar 2018, 11:30 Uhr

Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit bezieht sich auf gesellschaftliche Zustände, die hinsichtlich ihrer relativen Verteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen als fair oder gerecht bezeichnet werden können.[1] Was genau Inhalt und Maßstab dieser Form von Gerechtigkeit sei, ist aber seit jeher umstritten und vielschichtig.[2]

Als eigenständiger Ausdruck entstand „soziale Gerechtigkeit“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Sozialen Frage. Der Terminus geht auf das Werk Saggio teoretico di diritto naturale appoggiato sul fatto (1840–43) von Luigi Taparelli d’Azeglio zurück.[3][4] 1931 wurde er mit der Veröffentlichung der Enzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius XI. erstmals formell und offiziell in den Lehrmeinungen des Papstes verwendet. Soziale Gerechtigkeit wurde als regulatives Prinzip zur Lösung der Sozialen Frage herangezogen. Innerhalb der Enzyklika wurde der Begriff noch nicht mit völliger wissenschaftlicher Schärfe verwendet, so dass noch Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieb.[5]

Seit den 1970er Jahren hat die Diskussion über soziale Gerechtigkeit, insbesondere unter Bezugnahme auf den von John Rawls in A Theory of Justice vertretenen egalitären Liberalismus eine neue Bedeutung gewonnen. Als weiterer Vertreter dieser Richtung gilt Amartya Sen. An Rawls schloss unter anderem die Kritik durch Kommunitaristen wie Michael Walzer an. Auch im deutschsprachigen Raum wird soziale Gerechtigkeit seit den späten 1960er Jahren wieder zunehmend in der gesellschaftlichen Diskussion thematisiert.

Ideengeschichte

Die Grundlegung der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs erfolgte durch Aristoteles, diese wurde von Thomas von Aquin maßgeblich weiterentwickelt.[6] Bezüge zur sozialen Gerechtigkeit ließen sich laut Rolf Kramer bereits bei Aristoteles finden. Auf Grund der legalen Gerechtigkeit ist der Bürger ein Mitglied des Staates, das dem ganzen verpflichtet ist. Auch die partikulare Gerechtigkeit in Form der ausgleichenden Gerechtigkeit und insbesondere der austeilenden Gerechtigkeit hätten einen Bezug zur sozialen Gerechtigkeit.[7] Dagegen vertritt Arno Anzenbacher die Auffassung, dass soziale Gerechtigkeit sich innerhalb der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs von Aristoteles nicht genau einordnen lasse.[6] Auch Christoph Giersch kommt zu dem Schluss, dass die Verhältnisbestimmung zu diesem klassischen Gerechtigkeitsverständnis uneinheitlich und unklar bleibe.[8]

Laut Otfried Höffe erscheint der Ausdruck ‚soziale Gerechtigkeit‘ in der Philosophie sehr spät und zudem „so beiläufig, daß sein erstes Auftreten kaum dingfest zu machen“ sei.[9] Die Vorstellung einer „sozialen Gerechtigkeit“ wurde erst gemeinsam mit der sozialen Frage in der Industriegesellschaft thematisiert. Zum Unterschied vom auf Aristoteles zurückgehenden Denkmodell, welches nur die Beziehung von Einzelpersonen untereinander (Verkehrsgerechtigkeit) oder zum Staat (verteilende und legale Gerechtigkeit) betraf, bezeichnete der Begriff soziale Gerechtigkeit auch jene Verhältnisse, als deren Subjekte und Objekte soziale Schichtungen und Strukturen gelten.

Soziale Gerechtigkeit umfasst nach Peter Koller sowohl distributive als auch korrektive, politische als auch kommutative Elemente.[10] Sie ist auch in folgenden Dimensionen beschrieben worden[11] (siehe auch Gerechtigkeitstheorien):

Konzeptualisierung und Kontroversen

Katholische Soziallehre

Der Terminus Soziale Gerechtigkeit bzw. Sozialgerechtigkeit, wie er in die Katholische Soziallehre Eingang fand, wurde im 19. Jh. vermutlich erstmals durch den Jesuiten Luigi Taparelli d’Azeglio geprägt.[12] In seinem fünfbändigen Werk zur Begründung des Naturrechts in der Tradition der rationalistischen Barockscholastik spricht Taparelli d’Azeglio von einer giustizia sociale,[13] in französischer Übersetzung justice [et droit] social[14] und in deutscher Übersetzung Socialgerechtigkeit.[15] Dieses Konzept beschreibt er als „Gerechtigkeit eines Menschen gegen den andern“ und bezieht es auf eine Gleichstellung jedes Menschen hinsichtlich der „Rechte der Menschheit im Allgemeinen“. Gleichwohl sucht Taparelli den naturgegebenen individuellen Unterschieden gerecht zu werden und postuliert: „[D]ie Handlungen eines Menschen werden also gerecht sein, wenn sie den verschiedenen individuellen Rechten seiner Mitmenschen angepasst sind“.[16] So müssten etwa empfangene Güter quantitativ („austauschende Gerechtigkeit“), im Falle einer eingegangenen Gütergemeinschaft proportional („vertheilende Gerechtigkeit“) ausgeglichen werden.[17] Letztere Termini entsprechen der Unterscheidung von Hinsichten der Gerechtigkeit insbesondere bei Thomas von Aquin und Aristoteles. Taparellis Naturrechtslehre und seine Begriffe von „Sozialwohl“ und „Sozialgerechtigkeit“ hatten für die spätere katholische Soziallehre beträchtlichen Einfluss u. a. über den direkten Schüler Taparellis, den späteren Papst Leo XIII., der die erste Sozialenzyklika, Rerum novarum, verfasste.[18]

Wenig später sprach auch der einflussreiche Antonio Rosmini, der, beeinflusst u. a. von Taparelli, die Tradition des Naturrechts auf die marktwirtschaftlichen Entwicklungen der Moderne bezog, von einer giustizia sociale, und zwar bereits im Titel seiner Muster-Staatsverfassung, Progetto di costituzione secondo la giustizia sociale,[19] ein Werk, das auch für einige Jahre indiziert wurde.

Hinsichtlich des Verhältnisses des Begriffs der Sozialen Gerechtigkeit zu Gerechtigkeitsformen, wie sie in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin unterschieden wurden, gab es mehrere Deutungen.[20] Zu den Rezipienten des Begriffs sozialer Gerechtigkeit zählen neben den bereits genannten auch Gustav Ermecke, Heinrich Pesch, Eberhard Welty, Johannes Messner und Oswald von Nell-Breuning. Dabei wurde zumeist der Bezug auf das Gemeinwohl (bonum commune) besonders betont.[21]

Im Vorfeld des Ersten Vatikanischen Konzils wurde der Terminus Sozialgerechtigkeit kontrovers diskutiert und dabei auch mit durch das Lehramt verurteilten, als „Modernismus“ bezeichneten Auffassungen in Verbindung gebracht.[22]

In der Enzyklika Quadragesimo anno (1931) von Papst Pius XI. griff das päpstliche Lehramt den Begriff erstmals auf.[23] Oswald von Nell-Breuning erklärte als einer der Mitwirkenden an der Enzyklika, dass der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit innerhalb der Enzyklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt sei, da „die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerungen im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mu[ss]te“. Die „Großtat“ von Pius XI. bestand nach seiner Ansicht darin, Soziale Gerechtigkeit „geradezu zum Kernstück seines Weltrundschreibens“ gemacht zu haben. Dadurch wurde nach Ansicht von Franz-Josef Bormann Soziale Gerechtigkeit eines bloßen Schlagwortcharakters entkleidet und damit gegen ideologischen Missbrauch immunisiert.

Die Konturen des Begriffes blieben in der Enzyklika aber so vage, dass Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieben, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zu den traditionellen Gerechtigkeitsformen.[24] Dabei haben sich drei Deutungen herausgebildet. Nach einer Ansicht ist Soziale Gerechtigkeit innerhalb des Gerechtigkeitsverständnisses von Thomas von Aquin in der Gemeinwohlgerechtigkeit zu verorten. Nach anderer Ansicht steht Soziale Gerechtigkeit (iustitia socialis) außerhalb des Gerechtigkeitsdreiecks Regelgerechtigkeit (iustitia legalis), Tauschgerechtigkeit (iustitia commutativa) und der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) als gleichrangige 4. Gerechtigkeitsart bzw. nach dritter Ansicht als integrativer übergeordneter Oberbegriff.[25][26][27] Auch gut siebzig Jahre nach der Quadragesimo anno werden alle drei Deutungen weiter vertreten.[8]

In Quadragesimo anno wird Soziale Gerechtigkeit als regulatives Prinzip zur Lösung der Sozialen Frage herangezogen und dies durch zwei wesentliche Argumentationslinien begründet:

  1. Die Lohngerechtigkeit umfasst als Untergrenze das Existenzminimum des Einzelnen Arbeiters und als Obergrenze die Lebensfähigkeit des Unternehmens. Die Soziale Gerechtigkeit als Gemeinwohlgerechtigkeit erfordere eine angemessene Beteiligung der Arbeiter am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand, wobei sich die Lohnhöhe auch daran orientieren muss, dass möglichst viele eine Arbeitsgelegenheit bekommen können.[28]
  2. Weiterhin wird die Vorstellung, der Staat habe die Wirtschaft frei und ungehindert sich selbst zu überlassen, als „Grundirrtum der individualistischen Wirtschaftswissenschaft“ kritisiert. Um die Einseitigkeit einer solchen Sichtweise zu überwinden, sei die soziale Gerechtigkeit und die soziale Liebe als durchgreifendes regulatives Prinzip notwendig. Dadurch soll die Individualfunktion und die Sozialfunktion der Wirtschaft in einen harmonischen Ausgleich gebracht werden. Die soziale Gerechtigkeit müsse eine Rechts- und Gesellschaftsordnung herbeiführen, die der Wirtschaft „ganz und gar das Gepräge gibt“. Es obliege demnach der sittlichen Vernunft, „das von Gott, dem Schöpfer, der Wirtschaft als Ganzem vorgesteckte Ziel“ zu bestimmen, während sich die ökonomische Rationalität darauf beschränkt, geeignete Mittel zu finden.[23]

Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft wurde sowohl von der katholischen Soziallehre als auch der evangelischen Sozialethik beeinflusst.[29] Die "Gründerväter" der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft beriefen sich auf Motive und Quellen theologischer Sozialethik.

Wilhelm Röpke, einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, sah eine Nähe zur katholischen Soziallehre insbesondere mit Bezug zu Quadragesimo anno, die ein „vollkommen mit unserem Standpunkt sich deckendes Programm“ enthält.[30]

Soziale Gerechtigkeit aus marxistischer Sicht

Als eine materialistische Philosophie der Praxis nimmt der Marxismus gegenüber ethischen Postulaten ein kritisches Verhältnis ein. Es ist von einem „vielschichtigen Gerechtigkeitsverständnis von Marx und Engels“ auszugehen.[31] Sie lehnten „die Existenz einer ahistorischen und transzendentalen, also absoluten Gerechtigkeit radikal ab“.[32] Wenn Marx den Kapitalismus als ein System des Zwangs, der Knechtschaft und der Ausbeutung beschreibt, so ist doch nirgends von Ungerechtigkeit des Kapitalismus oder der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse die Rede; gerecht ist ihm zufolge, was der „gegebenen Produktionsweise entspricht“,[33] selbst wenn dem – wie bei der Lohnarbeit – die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft zugrunde liegt. Gleichwohl hat Marx in der Kritik des Gothaer Programms der SPD gesellschaftliche Gerechtigkeitsprinzipien für die klassenlose Gesellschaft formuliert, die Andreas Wildt als „Prinzipien kommunistischer Gerechtigkeit“ bezeichnet.[34] Ihnen zufolge kann in der „kommunistischen Gesellschaft […] der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“[35] In den Frühschriften von Marx findet sich als „kategorischer Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.[36] Unter den späteren Marxisten hat vornehmlich Ernst Bloch mit seinem Werk Naturrecht und menschliche Würde (1961) „eine eigene, genuin marxistische Gerechtigkeitstheorie“ formuliert.[37] Der patriarchalischen und gönnerischen „Gerechtigkeit von oben“ setzte er eine aus den Forderungen sozialer Bewegungen hervorgehende „Gerechtigkeit von unten“ entgegen, die sich beispielsweise in Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit niedergeschlagen habe.[38]

Friedrich Nietzsche

Friedrich Nietzsche sieht den Ursprung der Gerechtigkeit im Charakter des Tausches unter ungefähr gleich Mächtigen: „Jeder stellt den anderen zufrieden, indem er bekommt, was er mehr schätzt als der andere. Man gibt jedem, was er haben will, als das nunmehr Seinige, und empfängt dafür das Gewünschte.“ Auch Rache ist ein Austausch und „gehört ursprünglich […] in den Bereich der Gerechtigkeit“.[39] An anderer Stelle meint er, die ganze Vergangenheit der alten Cultur sei auf Gewalt, Sklaverei, Betrug, Irrtum aufgebaut. In uns Menschen stecke diese ungerechte Gesinnung, auch in den Seelen der Nicht-Besitzenden. Nicht gewaltsame neue Verteilungen, wie sie die Sozialisten anstreben, sondern langsame Umschaffungen des Sinnes tue not. Die Gerechtigkeit müsse in allen größer werden, der gewalttätige Instinkt schwächer.[40]

John Rawls

John Rawls bezeichnet Gerechtigkeit als „erste Tugend sozialer Institutionen“, er fasst also den Gerechtigkeitsbegriff bereits im Ansatz in seiner sozialen Dimension.[41] Gerechtigkeit ist für Rawls insofern per se auch soziale Gerechtigkeit und nicht nur eine Disposition von Individuen. Bezugspunkt ist dabei das Resultat einer gerechten Sozialordnung, was sich insbesondere auf die Verteilung der Güter bezieht sowie auf einen Ausgleich unter den Teilhabern. Rawls geht davon aus, dass Menschen, die Disposition besitzen bzw. erwerben, ihr persönliches Streben nach Glück mit einem Gerechtigkeitssinn zu überwölben. Eine überzeugende Theorie der Gerechtigkeit müsse das Glück der am schlechtesten gestellten Personen berücksichtigen. Auch die Benachteiligsten müssten den Prinzipien einer gerechten sozialen Ordnung zustimmen können. Eine solche Ordnung skizziert Rawls in einem hypothetischen Gesellschaftsvertrag. Jede Person weiß in diesem Gedankenexperiment zunächst nicht, welche Güter und Rechte ihr schlussendlich zugeteilt werden, welche soziale Stellung sie einnehmen wird – sie steht unter einem „Schleier der Ungewissheit“. Dabei würde jeder vermeiden wollen, dass „ihm sein Feind einen Platz zuweisen kann“, und deshalb werde diejenige Alternative bevorzugt, „deren schlechtmöglichstes Ergebnis besser ist, als das jeder anderen“ (Maximin-Regel).[42] Schlussendlich müssten sich nach Rawls die Vertragspartner nicht auf z. B. strikt egalitäre, libertaristische oder utilitaristische Prinzipien einigen, sondern zwei Gerechtigkeitsprinzipien, die Rawls auch kurz als Gleichheits- und Differenzprinzip bezeichnet:

  1. Jeder ist gleichermaßen im Besitz unveräußerlicher Grundfreiheiten (Freiheit, Leben, Eigentum usw.)
  2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist nur zulässig, wenn sie sich zumindest auch für die am wenigsten Begüterten in der Gemeinschaft zum Vorteil auswirkt und wenn solche Ungleichheiten verbunden sind mit Ämtern (engl. offices) und Positionen, die allen gemäß fairer Chancengleichheit (engl. under conditions of fair equality of opportunity) offenstehen.[43]

Dabei haben die Grundfreiheiten (gemäß dem Gleichheitsprinzip 1.) einen Vorrang (gegenüber Ungleichverteilungen, wie sie durch 2. begrenzt zulässig werden). Grundfreiheiten dürfen nur eingeschränkt werden, wenn geringere Freiheit das Gesamtsystem der Freiheiten für alle stärkt und für die Betroffenen annehmbar ist. Beide Gerechtigkeitsprinzipien (1. und 2.) haben nach Rawls einen Vorrang gegenüber Leistungsfähigkeit und Nutzenmaximierung, wonach jede Chancen-Ungleichheit die Chancen Benachteiligter verbessern muss und eine hohe Sparrate eine Milderung der Last der Betroffenen zur Folge haben muss.[44] In einem frühen Aufsatz[45] hatte Rawls das Differenzprinzip in der Fassung formuliert, dass die „sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten so zu verteilen“ seien, „dass sie sowohl (a) vermutlich zu jedermanns Vorteil sind und (b) Positionen und Ämtern zukommen, die allen gleichermaßen offen stehen“. Beide Klauseln (a und b) lassen aber, so Rawls, verschiedene Interpretationen zu:

  1. im Sinne eines Systems der natürlichen Freiheit (bzw. „formalen Chancengleichheit“), wo (a) als pareto-optimierendes Effizienzprinzip etwa gemäß der Wohlfahrtsökonomie verstanden wird, so dass durch Umverteilung keiner besser zu stellen wäre, wobei (zu b) „Begabten alle Laufbahnen offen stehen“, aber „keine Bemühungen darum“ vorgesehen sind, „Gleichheit […] zu bewahren“ - Ungleichheiten durch „natürliche und gesellschaftliche Zufälligkeiten“ werden akzeptiert.
  2. im Sinne eines „Systems der liberalen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengleichheit“) werde versucht „den Einfluss sozialer Zufälligkeiten auf die Verteilung der Anteile abzuschwächen“. Positionen sollen „nicht nur im formalen Sinne offen stehen sollten“; ebenfalls sollen alle „auch eine faire Chance haben […], sie zu erreichen“. Die „Ausgangsposition innerhalb des sozialen Systems“, etwa durch jene „Klasse, in die sie hineingeboren wurden“, dürfe dem nicht im Wege stehen. Allerdings bleibt „die resultierende Besitz- und Einkommensverteilung entsprechend der natürlichen Verteilung von Fähigkeiten und Begabungen“, es entscheidet also eine „natürliche Lotterie“ über die Anteilsverteilung.[46]
  3. im „System der natürlichen Aristokratie“ (bzw. „formalen Chancengerechtigkeit“, wie etwa bei Burke oder Rousseau) wird zwar die „natürliche Lotterie“ ausgeglichen, aber „kein Versuch unternommen, die Wirkungen sozialer Zufälligkeiten zu steuern, der über die Erfordernisse der formalen Chancengleichheit hinausgeht“.
  4. erst im „System der demokratischen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengerechtigkeit“), für das Rawls plädiert, wird die Anteilsverteilung „weder durch gesellschaftliche Zufälligkeiten noch durch die Lotterie der natürlichen Vorzüge auf unangemessene Weise beeinflusst“, was auch „auf die Dauer und über Generationen hinweg“ sicherzustellen ist. Gemäß dem Differenzprinzip würde hier „faire Chancengerechtigkeit“ ggf. auch ohne Chancengleichheit bestehen.

Amartya Sen

Der Ökonom Amartya Sen und die Sozialphilosophin Martha Nussbaum haben den Befähigungsansatz entwickelt, der im Hinblick auf die Gerechtigkeit von Entwicklungs-, Geschlechter- und Sozialpolitik diskutiert wird.[47] Darin wird dem Thema der sozialen Gerechtigkeit die Frage zugrunde gelegt, was ein Mensch für Befähigungen benötigt, um sein Leben erfolgreich zu gestalten. Die Vertreter dieser Theorie verbinden die Idee der Sozialen Gerechtigkeit mit einem gehaltvollen Freiheitsbegriff. Zentrale Themen sind dabei etwa die Gesundheitsversorgung oder Bildungschancen unterprivilegierter Bevölkerungsschichten.[48]

Walter Eucken

Die durch Walter Eucken begründete Ordnungspolitik verortet die Gerechtigkeitsproblematik nicht mehr in den Tauschakten, sondern verlagert sie in die Rahmenordnung für den Wirtschaftsprozess. Durch die Wettbewerbsordnung sollen „zentrale moralische Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden verwirklicht werden“.[49] Nach Hans G. Nutzinger erkennt Eucken „nicht nur die Sinnhaftigkeit eines über die Tauschgerechtigkeit hinausgehenden Konzeptes von sozialer Gerechtigkeit an, er sieht den Hauptteil der Lösung des Gerechtigkeitsproblems gerade durch die geeignete ordnungspolitische Gestaltung des Wettbewerbsprozesses gesichert“[50] und befürwortet darüber hinaus auch korrigierende Eingriffe in die Einkommensverteilung und Vermögensverteilung.

Friedrich August von Hayek

Als ein inhaltsleeres Schlagwort wertete Friedrich August von Hayek „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit von 1976, das nach Einschätzung von Otfried Höffe das erste größere philosophische Werk zu diesem Thema ist.[51] Die Aufmerksamkeit, die Hayeks Kritik in der sozialwissenschaftlichen Literatur gefunden hat, konzentriert sich zumeist auf seine Ablehnung der Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit.[52] An eine Marktwirtschaft, so Hayek, können keine moralischen Maßstäbe wie soziale Gerechtigkeit angelegt werden,[53] da in einer Marktwirtschaft niemand Einkommen verteile. Es gebe für die Ergebnisse des Marktprozesses keine Kriterien, an denen sich eine gerechte Verteilung messen ließe. Ein solcher Gerechtigkeitsmaßstab sei nur in einer Zentralverwaltungswirtschaft sinnvoll anwendbar, in der eine zentrale Autorität die Verteilung von Gütern und Pflichten anordnet, was jedoch, so Hayek, auf eine totalitäre Gesamtkontrolle der Gesellschaft und eine Lähmung der wirtschaftlichen Prozesse hinausliefe.[54] Aber auch in einer solchen Wirtschaftsordnung könne nur irgendeine bestimmte Vorstellung von „sozialer Gerechtigkeit“ durchgesetzt und wohl kaum ein übergreifender Konsens zur „sozial gerechten“ Verteilung erzielt werden.[55] Der Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ gehöre daher, so Hayek, „in die Kategorie des [..] Unsinns“.[53] Würden im Namen der „sozialen Gerechtigkeit“ Staatseingriffe gefordert, so geschehe dies meist, um Privilegien bestimmter Gruppen oder Personen durchzusetzen. Privilegienfreiheit sei jedoch Kernanforderung für eine gerechte Regelordnung.[55] Nothilfe hingegen sei mindestens dort politisch zu organisieren, wo die autonome Initiative versage; in prosperierenden Gesellschaften lägen derartige Hilfen legitimerweise oberhalb des physischen Existenzminimums. Hayek betont, dass es dabei nicht um die Korrektur von vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Marktprozesse gehe.[56]

Michael Walzer

Der US-amerikanische politische Philosoph Michael Walzer geht davon aus, dass in der menschlichen Gesellschaft Güter produziert und in unterschiedlichen sozialen Kontexten (sog. „Sphären“) nach unterschiedlichen Prinzipien, z. B. nach Verdienst, Bedürftigkeit oder freiem Austausch, verteilt werden.[57] Dabei würde eine universale und abstrakte Gerechtigkeit den unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen zur Produktion verschiedene „Güter“ nicht gerecht. Als unterschiedliche soziale Kontexte identifiziert er unter anderem „Sphären“ zur Verwirklichung von Wohlfahrt und Sicherheit, Geld und Waren, Bildung, politischer Macht, Gemeinschaft, Verwandtschaft und Liebe und so weiter. In der Gesellschaft würden sich in diesen unterschiedlichen „Sphären der Gerechtigkeit“ (so der Titel seines Buches von 1983) verschiedene Ausprägungen der Gerechtigkeit und insgesamt eine „komplexe“ Gleichheitsvorstellung entwickeln. Demnach kann es gerecht sein, im Gesundheitssystem Leistungen nach Bedürftigkeit und im Wirtschaftssystem Leistungen nach Verdienst zu verteilen.

Wolfgang Merkel und Mirko Krück

Eine Arbeitsgruppe im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung[58] entwickelte aus vier zeitgenössischen Gerechtigkeitstheorien (F. A. von Hayek, John Rawls, Michael Walzer und Amartya Sen) als „Prinzipien“ für „soziale Gerechtigkeit“

  • die Gleichverteilung der Zugangsmöglichkeiten zu den notwendigen Grundgütern für die individuell zu entscheidende Entfaltung von Lebenschancen und
  • die Stärkung der individuellen Fähigkeiten, die persönliche Autonomie, Würde, Entscheidungsfreiheit, Lebenschancen und Optionsvielfalt schützen, sichern und erweitern.

Aus diesen beiden Prinzipien werden fünf Dimensionen „sozialer Gerechtigkeit“ abgeleitet:

  1. Vermeidung von Armut
  2. Soziale Chancen durch Bildung
  3. Soziale Chancen durch einen integrativen Markt (Beschäftigungsquote, angemessene Einkommensverteilung)
  4. Berücksichtigung der besonderen Rolle der Frau
  5. Soziale Sicherung (Gesundheits- und Sozialausgaben im Verhältnis zum Sozialprodukt)

Dieses Verständnis sozialer Gerechtigkeit ist stark auf die gerechte (hier: gleiche) Verteilung von Zugangschancen gerichtet. Nachträgliche Umverteilungen durch passive sozialstaatliche Maßnahmen seien weniger geeignet, Klassenstrukturen zu brechen, Lebenschancen zu erweitern und Armutsfallen zu vermeiden. Trete trotzdem Armut auf, sei sie allerdings durch Ex-Post-Umverteilung mit hoher politischer Präferenz zu bekämpfen, da Armut die individuelle Autonomie und Würde des Menschen beschädigt und zu einer Falle für die nachfolgenden Generationen in armen Familien werden kann.

James Buchanan

Die 1985 von James M. Buchanan zusammen mit Geoffrey Brennan veröffentlichte Theorie sozialer Gerechtigkeit konzentriert sich stärker noch als Rawls auf Regelgerechtigkeit. Maßstab für Gerechtigkeit seien weder in ethischen Instanzen noch in Verteilungsprofilen, sondern ausschließlich im Verfahren der Verfassungsgebung und Verfassungsentwicklung. Handlungen sind demnach gerecht, wenn sie Regeln folgen, die wiederum höheren Regeln entsprechen; die Regelhierarchie führt letztlich zur „Verfassung“, in der die „berechtigten Erwartungen“ der Individuen innerhalb einer Gesellschaft per Konsens festlegt sind.[59]

Kontroversen

Ein Streitpunkt ist die Frage der Universalität oder Gemeinschaftsgebundenheit von Gerechtigkeitsvorstellungen. Während Rawls von allgemeingültigen Bedingungen für gerechte Gesellschaften ausgeht, die sich vor allem in fairen Verfahren niederschlagen, sind eher kommunitaristisch orientierte Philosophen wie Walzer der Auffassung, dass Gerechtigkeitsvorstellungen oft implizit und an lokale Gemeinschaften gebunden sind.[60] Insbesondere im Kontext von Handelsliberalisierung und der Zunahme grenzüberschreitender Wirtschaftsbeziehungen haben diese Fragen eine besondere Brisanz erhalten.[61] Hier geht es darum auszuloten, inwiefern sich die philosophischen und sozialen Grundlagen globaler sozialer Gerechtigkeit als tragfähig erweisen, um nationale Vergemeinschaftung und Solidarität ergänzen oder gar ersetzen zu können.

Eine weitere Kontroverse besteht in dem Zusammenhang zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Der liberale politische Philosoph Isaiah Berlin, der Freiheit vor allem als negative Freiheit bestimmt, betont die schweren Entscheidungen (hard choices) zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.[62] Andere Theoretiker, die eher in einer republikanischen Tradition stehen, wie Amartya Sen, heben hervor, dass soziale Gerechtigkeit im Sinne von Chancengleichheit und Befähigung als Voraussetzung für eine gehaltvolle individuelle Freiheitsausübung gelten muss.[63]

Nach Harald Jung hatte Hayek die „Illusion sozialer Gerechtigkeit“ vor dem Hintergrund einer eindimensionalen, historischen Fassung von Gerechtigkeit angegriffen. Anders als Hayek in seinem sozialstaatskritischen Plädoyer Der Weg zur Knechtschaft von 1944 annähme, liege der Ursprung des Begriffs Soziale Gerechtigkeit nicht in „sozialistischen Utopien“ der „Sozialisten in allen Parteien“, sondern in einem auf Aristoteles zurückgehenden mehrdimensionalen Gerechtigkeitsverständnis, auf das etwa Emil Brunner als Abendländische Gerechtigkeitsidee bezug nahm.[64] Der Sozialwissenschaftler Jörg Reitzig verortet Hayeks Kritik am Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ in einem generellen Angriff neoliberaler Theoriebildung gegen das Konzept der sozialen Gerechtigkeit.[65] Für den Soziologen Albert Hirschman stellt der diskursive Ausschluss der Möglichkeit von sozialer Gerechtigkeit ein Hauptelement der von ihm so bezeichneten „Rhetorik der Reaktion“ dar.[66]

Verwendung des Begriffs in der politischen Diskussion

Der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit wird innerhalb öffentlicher Debatten zwar sehr häufig verwendet, aber selten exakt definiert.[67] Politische Entscheidungsträger erzeugen und vertreten bestimmte Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit.[68] Der Begriff ist meist positiv besetzt, bei politischen Auseinandersetzungen beanspruchen daher die Vertreter unterschiedlicher und selbst widersprüchlicher Positionen das Etikett sozial gerecht für sich. Entsprechend dient die Etikettierung einer Position als sozial ungerecht der Disqualifizierung missliebiger Positionen.[69] Der Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ liege nach Ansicht von Rolf Kramer oft nicht der Wille zur Gerechtigkeit, sondern zu einer Umverteilung, zu einer besseren und gerechteren Verteilung der Güter zugrunde.[70]

Verwendung in Deutschland

Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich bereits im Deutschen Reich in der Zeit der Weimarer Republik (1918 bis 1933) und wurde z. B. von der Deutschen Zentrumspartei zum politischen Ziel erklärt.[71] Mit der Weimarer Reichsverfassung vom 19. Juli 1919 wurden im fünften Abschnitt, der das Wirtschaftsleben regelte, erstmals weitgehende „soziale Rechte“ in einer Verfassung verankert. Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland[72] in der Form des Sozialstaatspostulates das, zusätzlich durch die Ewigkeitsklausel von Verfassungsänderungen ausgenommen, einen „sozialen Bundesstaat“ sowie einen „sozialen Rechtsstaat“ festschreibt.

Soziale Gerechtigkeit gehört laut der Konrad-Adenauer-Stiftung zu den Grundwerten im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft.[73] Soziale Gerechtigkeit ist laut Umfragen ein wichtiger Wert für die Bevölkerung und auch öffentliches Thema in Debatten zum Gemeinwesen.[74]

In der politischen Diskussion in Deutschland wird der Begriff seit der Agenda 2010 und den Hartz-IV-Gesetzen wieder vermehrt verwendet und steht in der sozialstaatlichen Diskussion unter anderem für den Wunsch nach einem höheren Maß an sozialer Gleichheit und sozialer Sicherung. Aktuell taucht der Begriff auch z. B. in der Diskussion um die ungleicher werdende Einkommensverteilung und die Bankenrettungspakete auf. Während die Kritiker dieser Entwicklung als Folge eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit sehen, wird von einigen Befürwortern diese Kritik als „Neiddebatte“ bezeichnet und zurückgewiesen. Die Begriffsverwendung führt dadurch auch zu einer politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien entsprechend der Rechts-links-Achse des Parteiensystems.[72] Seit den Ergebnissen der PISA-Studien, die gezeigt haben, dass in Deutschland die soziale Herkunft sich oft entscheidend auf die Bildungschancen auswirkt, wird insbesondere auch die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit des Bildungssystems diskutiert.[75]

Dimensionen sozialer Gerechtigkeit

Lutz Leisering kommt nach Analyse der öffentlichen Diskussion über den deutschen Wohlfahrtsstaat zu dem Ergebnis, dass es vier Paradigmen sozialer Gerechtigkeit gebe:[76]

  1. Bedarfsprinzip: der Staat hat die Aufgabe einer umfassenden Bedarfsabsicherung und Umverteilung
  2. Leistungsprinzip: hier steht Leistungsgerechtigkeit im Vordergrund, was geringe Eingriffe in die Marktverteilung und eine nur minimale Absicherung gegenüber unverschuldeten Notlagen bedeutet.
  3. Produktivistische Gerechtigkeit: die Zuweisung von Gütern oder Lasten erfolgt nach den für die Gesellschaft erbrachten Leistungen.
  4. Teilhabegerechtigkeit: diese soll eine gesellschaftliche Teilhabe im Sinne der rechtlichen Gleichstellung, sozialen Anerkennung und Beteiligung am sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben garantieren.

Bei materieller Ungleichheiten handelt es sich nicht notwendigerweise um soziale Ungerechtigkeiten, dies hängt von der zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellung ab. Einkommensungleichheiten sind nur dann ungerecht, wenn man soziale Gerechtigkeit als Ergebnisgleichheit versteht.[76] Nach Einschätzung Leiserings gewinnt das Paradigma der Teilhabegerechtigkeit in den aktuellen Debatten zunehmend an Bedeutung und löst das klassische, an den Ergebnissen der Verteilung ausgerichteten Verständnis sozialer Gerechtigkeit ab. Nach Einschätzung Stefan Liebigs werden die Fragen der Bedarfsgerechtigkeit im klassischen Sinne dadurch jedoch keineswegs obsolet. Der Schutz vor Marktversagen, die Absicherung vor nicht selbstverschuldeten Notlagen und die Sicherung eines bestimmten Mindestlebensstandards bleiben wichtige Forderungen. Im Unterschied zur Bedarfsabsicherung z. B. in Familien erfolgt eine derartige staatliche Ausfallbürgschaft nicht unbedingt, sondern es knüpfen sich daran auch Erwartungen an entsprechende Gegenleistungen.[76]

Der französische Soziologe François Dubet geht von einer pluralen Theorie der Gerechtigkeit aus, die er in einer großangelegten Befragung von Erwerbstätigen ermittelt hat.[77] Drei zentrale und widersprüchliche Prinzipien, die nicht aufeinander zurückführbar sind, sind für seinen Gerechtigkeitsbegriff konstitutiv: Gleichheit, Leistung und Autonomie. Bei der „Gleichheit“ geht es nicht um Egalitarismus, sondern um „Gleichheit als eine gerechte Ordnung“,[78] wobei Positionen in Gesellschaft und Arbeitsorganisation unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Statushierarchie beurteilt werden. Dabei kann wiederum unterscheiden werden: zwischen einer Gleichheit der Positionen und einer der Startchancen. Die „Leistung“ als Gerechtigkeitsprinzip kommt in meritokratischer Einstellung zur Geltung. Hierbei geht es den Befragten primär um die Angemessenheit der Entlohnung für ihre Leistung und ihr Engagement. „Autonomie“ steht als drittes Gerechtigkeitsprinzip im Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und Entfremdung. Das Autonomieprinzip beruht auf der Überzeugung, „einen eigenen Wert zu haben, eine Freiheit, die von den Arbeitsbedingungen bedroht wird“[79] Für die Dimension der Autonomie nimmt der Beruf eine besondere Bedeutung ein, weil er dem Arbeiter Stolz und Würde, das Gefühl, nicht bloße Arbeitskraft zu sein, vermittel. Autonomieverlust und Entfremdung entsteht durch verschärfte Kontrolle der Arbeit durch Vorgesetzte; sie unterbindet Engagement und Initiative. Ihre Folgen sind Erschöpfung und Stress.

Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in verschiedenen Sozialstaatsmodellen

Nach Wolfgang Merkel[80] hat sich in der Gegenwart eine Aufteilung in „drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ ergeben, die in der realen Welt zwar in Mischformen auftreten, sich aber doch durch charakteristische Strukturmerkmale deutlich voneinander unterscheiden lassen:

Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland wird soziale Gerechtigkeit als ideelles Ziel des aus dem Sozialstaatsgedanken des Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes abgeleiteten Bestreben der Sozialpolitik angesehen. Dem Bürger soll eine existenzsichernde Teilhabe an den materiellen und geistigen Gütern der Gemeinschaft garantiert werden. Insbesondere wird auch angestrebt, eine angemessene Mindestsicherheit zur Führung eines selbst bestimmten Lebens in Würde und Selbstachtung zu gewährleisten.

Für die aus dem Sozialstaatsprinzip hergeleitete Verpflichtung des Staates zu einer gerechten Sozialordnung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu.[81]

Nach Angaben des Kinderhilfswerks UNICEF wächst die Kinderarmut in Deutschland schneller als in den meisten anderen Industriestaaten. Neben den PISA-Studien sehen auch andere international vergleichende Bildungsstudien (z. B. Euro-Student-Report, UNICEF-Studie: Educational Disadvantage in Rich Nations) Deutschland auf den hintersten Rängen bezüglich sozialer Gerechtigkeit.

Die Bertelsmann Stiftung veröffentlichte im Januar 2011 eine Studie, in der „Soziale Gerechtigkeit“ als Teilhabegerechtigkeit aufgefasst wird. Bei dieser geht es im Unterschied zu einer „gleichmachenden“ Verteilungsgerechtigkeit oder einer formalen Regelgerechtigkeit darum, „jedem Individuum tatsächlich gleiche Verwirklichungschancen durch die gezielte Investition in die Entwicklung individueller ‚Fähigkeiten‘ (capabilities) zu garantieren.“[82] Deutschland kommt dabei im OECD-Vergleich ins Mittelfeld. Besonders kritisiert wurden u. a. die hohe Kinderarmut, die starke soziale Benachteiligung im Bildungssystem, sowie eine unzureichende Förderung von Langzeitarbeitslosen.[83]

Internationale Aktivitäten

Der 20. Februar wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Welttag der Sozialen Gerechtigkeit ernannt und 2009 zum ersten Mal begangen.[84]

Siehe auch

Literatur

  • Anthony Barnes Atkinson: Social Justice and Public Policy. MIT Press, 1983.
  • Brian Barry: Why Social Justice Matters. Polity Press, 2005.
  • Irene Becker, Richard Hauser: Soziale Gerechtigkeit – ein magisches Viereck. Zieldimensionen, Politikanalysen und empirische Befunde. edition sigma, Berlin 2009, ISBN 978-3-8360-8704-9.
  • C. Blumenberg-Lampe: Das wirtschaftspolitische Programm der 'Freiburger Kreise.': Entwurf einer freiheitlich-sozialen Nachkriegswirtschaft. Berlin 1973.
  • Monica Budowski, Michael Nollert (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeiten. Seismo Verlag, Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen, Zürich 2008, ISBN 978-3-03777-051-1.
  • María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan (Hrsg.): Soziale (Un)gerechtigkeit. Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung. Lit Verlag, Münster u. a. 2011, ISBN 978-3-8258-1192-1.
  • Andreas Dorschel: Ist soziale Gerechtigkeit ein 'sinnloser' Begriff? Zu einer These Friedrich August von Hayeks. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie. XIII (1988), Nr. 1, S. 4–13.
  • François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition, Hamburg 2008.
  • Thomas Ebert: Soziale Gerechtigkeit. Ideen – Geschichte – Kontroversen. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, ISBN 978-3-8389-0088-9. Inhaltsverzeichnis und Volltext (Memento vom 23. Februar 2014 im Internet Archive) (PDF-Datei; 2,3 MB)
  • Stefan Empter, Robert B. Vehrkamp (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit. Eine Bestandsaufnahme. Gemeinschaftsinitiative der Bertelsmann-Stiftung, Heinz Nixdorf Stiftung und Ludwig-Erhard-Stiftung, 2007, ISBN 978-3-89204-925-8.
  • Friedrich August von Hayek: Recht, Gesetz und Freiheit. Mohr, Tübingen 2003, ISBN 3-16-147878-9 (insbes. Tl. 2: Das Trugbild sozialer Gerechtigkeit).
  • Otfried Höffe: Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung. 3. Auflage. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-44768-6, S. 84–92.
  • Christoph Horn, Nico Scarano (Hrsg.): Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-29163-7.
  • Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und Weltliche Ordnung. (= EThD Band 21). Berlin 2009.
  • Wolfgang Kersting: Theorien der sozialen Gerechtigkeit. Metzler, Stuttgart/ Weimar 2000, ISBN 3-476-01752-4.
  • Hermann Kunst, Heinrich Tenhumberg (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung (= Entwicklung und Frieden – Dokumente, Berichte, Meinungen. Band 4). Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1976, ISBN 3-7867-0561-5.
  • Matthias Möhring-Hesse: Die demokratische Ordnung der Verteilung. Eine Theorie der sozialen Gerechtigkeit. Campus, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37492-7.
  • Rodney G. Peffer: Marxism, Morality, and Social Justice: Studies in Moral, Political, and Legal Philosophy. University Press, Princeton 1990, ISBN 0-691-07789-4.
  • Thomas Pogge: Gerechtigkeit in der Einen Welt (= Kultur in der Diskussion. Band 15). Klartext Verlag, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0153-7.
  • John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit (Original: A Theory of Justice.) 1971, ISBN 3-518-06737-0.
  • Jörg Reitzig: Gesellschaftsvertrag, Gerechtigkeit, Arbeit. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2005, ISBN 3-89691-611-4.
  • Jörg Reitzig: „Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): Neoliberalismus: Analysen und Alternativen. VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146.
  • Bernd Rüthers: Rechtstheorie. 4. Auflage. München 2008, S. 224–271.
  • Andrea Wesenauer, Sarah Sebinger (Hrsg.): Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Gesundheitliche Versorgung und Gesundheitsförderung – eine Frage der sozialen Gerechtigkeit? Mabuse-Verlag, 2009, ISBN 978-3-940529-51-0.
  • Arne Heise: Arbeitslosigkeit und Ungleichheit in verschiedenen Kapitalismusmodellen. In: Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik. Heft 4 (2006), 15. Jg., S. 273–289.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Olaf Cramme, Patrick Diamond: Social Justice in the Global Age. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3.
  2. Olaf Cramme, Patrick Diamond: Social Justice in the Global Age. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3. Radikal kritisch als ein inhaltsleeres Schlagwort wertete Friedrich August von Hayek „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit von 1976.
  3. Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung. Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 286.
  4. Arno Anzenbacher: Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien. UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.
  5. Laut Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. 2006, S. 290 hat „Nell-Breuning […] denn auch kein Hehl daraus gemacht, dass der Begriff der iuststitia socialis innerhalb der Enziklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt ist. Für ihn besteht die eigentliche ‚Großtat‘ Prius Xl. denn auch gerade darin, dass er den Begriff zu einem Zeitpunkt verwendet, als die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerung im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mußte.“
  6. 6,0 6,1 Arno Anzenbacher: Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien. UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.
  7. Rolf Kramer: Soziale Gerechtigkeit – Inhalt und Grenzen. Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 37.
  8. 8,0 8,1 Christoph Giersch: Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz. Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 26.
  9. Höffe S. 84.
  10. Erik Oschek: Ist der deutsche Sozialstaat gerecht? Eine sozialphilosophische Betrachtung für die Soziale Arbeit. Frank & Timme GmbH, 2007, ISBN 978-3-86596-140-2, S. 101 (unter Verweis auf Koller, in: Kersting (Hrsg.): Politische Philosophie des Sozialstaats. 2000, 123 f.).
  11. Otfried Höffe: Gerechtigkeit; siehe Literatur.
  12. Vgl. etwa  Peter Langhorst: 'Gerechtigkeit, V. Kirchliche Soziallehre'. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche (LThK). 3. Auflage. Band 4, Herder, Freiburg im Breisgau 1995, Sp. 304..
  13. Vgl. Band II c. 3, n. 341, S. 142 ff., Band I Intr. I c. 4 a. 1 XCII, S. 44 u. ö.
  14. Vgl, S. 142ff.
  15. Vgl. Taparelli: Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts. Übers. von F. Schöttl, C. Rinecker, 2 Bände, Regensburg 1845, Band 1 (Digitalisat bei archive.org), S. 137 ff., bes. 142 f.
  16. Vgl, S. 143.
  17. Vgl. S. 144 f.
  18. Vgl. den Überblick bei Gunter M. Prüller-Jagenteufel: “Socialwohl” und “Socialgerechtigkeit”. Zum Einfluss von Luigi Taparellis “Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts” auf die katholische Sozialverkündigung, in: Stephan Haering, Josef Kandler, Raimund Sagmeister (Hrsg.): Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht (FS Gerhard Holotik), Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1999 (= Schriftenreihe des Erzbischof-Rohracher-Studienfonds 5), S. 115–128. Walther Homberg: Luigi Taparelli d'Azeglio als Erneuerer der scholastischen Philosophie in Italien, Ingelheim 1955.
  19. Vgl. La costituzione secondo la giustiza sociale, in: Scritti politici, Stresa 1997, 43–249, Mailand 1848.
  20. J. Brian Benestad: Church, State, and Society: An Introduction to Catholic Social Doctrine. CUA Press, 2011, S. 152.
  21. Vgl. Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie. Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.
  22. Vgl. dazu Oswald von Nell-Breuning: Die soziale Enzyklika. Erläuterungen zum Weltrundschreiben Papst Pius’ XI. Köln 1932, S. 169 ff. 249 et passim. A Volanthen: Idee und Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit. Freiburg/Schweiz 1971, S. 14 ff.
  23. 23,0 23,1 Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 288–289.
  24. Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 290 f.
  25. Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 289–290.
  26. Winfried Löffler: Soziale Gerechtigkeit – Wurzeln und Gegenwart eines Konzepts in der Christlichen Soziallehre. In: Peter Koller: Gerechtigkeit im politischen Diskurs der Gegenwart. Passagen Verlag, 2001, ISBN 3-85165-509-5, S. 74–75.
  27. Werner Veith: Von der sozialen Gerechtigkeit zur intergenerationellen Gerechtigkeit. In: Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie. Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.
  28. Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 286.
  29. Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung. Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 304.
  30. Stephan Wirz, Philipp W. Hildmann: Soziale Marktwirtschaft: Zukunfts- oder Auslaufmodell? Theologischer Verlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-290-20059-6, S. 28.
  31. Eintrag Gerechtigkeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 5, Sp. 383.
  32. Eintrag Gerechtigkeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 5, Sp. 384.
  33. Andreas Wildt: Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“. In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie. Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.
  34. Andreas Wildt: Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“. In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie. Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.
  35. Karl Marx, Friedrich Engels: Werke Band 19. Dietz, Berlin 1969, S. 31.
  36. Karl Marx, Friedrich Engels: Werke Band 1. Dietz, Berlin 1961, S. 385.
  37. Grechtigkeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 5. Argument-Verlag, Hamburg 2001, Sp. 391.
  38. Vgl. Ernst Bloch: Naturrecht und menschliche Würde. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1961, S. 50 ff., 227 ff. sowie Eva Kreisky: Gerechtigkeitsdiskurse (PDF)
  39. Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, Aphorismus 92.
  40. Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches. Aphorismus 452.
  41. Vgl. zu den individual- und sozialethischen Aspekten des Gerechtigkeitsbegriffs einführend Michael Slote: Justice as a Virtue. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy..
  42. Vgl. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main 1971/79, S. 177 f. et passim.
  43. Zu Versuchen, den Begriff equality of opportunity und seine Anwendungsbedingungen philosophisch zu präzisieren, vgl. einführend Richard Arneson: Equality of Opportunity. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.; zum Differenzprinzip z. B. Julian Lamont, Christi Favor: Distributive Justice, 3. The Difference Principle. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy..
  44. Vgl. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main 1971/79, S. 81 et passim.
  45. John Rawls: Distributive Gerechtigkeit. In: John Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß. hg. von Otfried Höffe, Freiburg-München 1977, S. 84–124.
  46. Für einen ersten Überblick zur philosophischen Diskussion über natürliche und soziale „Lotterie“ bzw. Gerechtigkeit und Zufallsgeschick, der auch die Grundideen Rawls' anspricht, vgl. Kasper Lippert-Rasmussen: Justice and Bad Luck. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy..
  47. Vgl. etwa John M. Alexander: Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum. Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0.
  48. Martha C. Nussbaum: Capabilities as fundamental entitlements: Sen and Social Justice. In: Feminist Economics. 9(2 – 3), 2003, S. 33–59 (online) (Memento vom 16. November 2012 im Internet Archive)
  49. Eintrag Ordnungspolitik. In: In: Georges Enderle, Karl Homan, Martin Honecker, Walter Kerber, Horst Steinmann (Hrsg.): Lexikon der Wirtschaftsethik. Herder, Freiburg/ Basel/ Wien 1993, ISBN 3-451-22336-8, Sp. 786.
  50. Hans G. Nutzinger/ Christian Hecker: Gerechtigkeit in der Ökonomie – ein unlösbarer Widerspruch? [1], S. 559.
  51. Otfried Höffe: Gerechtigkeit: Eine philosophische Einführung. 2. Auflage. Verlag C.H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44768-6, S. 84.
  52. Viktor Vanberg, Marktwirtschaft und Gerechtigkeit – F.A. Hayeks Kritik am Konzept der „sozialen Gerechtigkeit“, Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung – Abteilung für Wirtschaftspolitik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2011, S. 2.
  53. 53,0 53,1 Jörg Reitzig: Eine Kategorie des Unsinns... In: Neoliberalismus: Analysen und Alternativen. Springer-Verlag, 2008, S. 137.
  54. Walter Reese-Schäfer: Politische Theorie der Gegenwart in fünfzehn Modellen, Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-57930-4, S. 19.
  55. 55,0 55,1 Viktor Vanberg: Marktwirtschaft und Gerechtigkeit. Zu F.A. Hayeks Kritik am Konzept der "sozialen Gerechtigkeit". Universität Freiburg, Walter Eucken Institut, Freiburg 2011. (online)
  56. Reinhard Zintl, Von Hayek – Freiheit und „soziale Gerechtigkeit“. In: Politische Philosophie. (= Uni-Taschenbücher M, Grundkurs Politikwissenschaft. Band 2816). 2. Auflage. 2006, ISBN 3-8252-2816-9, S. 152.
  57. Richard Bellamy: Justice in the Community. Walzer on Pluralism, Equality and Democracy. In: David Boucher, Paul Joseph Kelly (Hrsg.): Social Justice: From Hume to Walzer. Band 1, Routledge, 1998, ISBN 0-415-14997-5, S. 157–180.
  58. Wolfgang Merkel, Mirko Krück, Soziale Gerechtigkeit und Demokratie : auf der Suche nach dem Zusammenhang
  59. Nick Lin-Hi im Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Gerechtigkeit.
  60. Norman P. Barry: An Introduction to Modern Political Theory. 4. Auflage. Palgrave Macmillan, 2000, ISBN 0-312-23516-X, S. 155.
  61. Heather Widdows, Nicola J. Smith: Global Social Justice. Taylor & Francis, 2011, ISBN 978-1-136-72591-3.
  62. George Crowder: Isaiah Berlin: Liberty and Pluralism. Polity, 2004, ISBN 0-7456-2477-4, S. 179.
  63. John M. Alexander: Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum. Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0, S. 151.
  64. Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung. Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 285, 286.
  65. Jörg Reitzig: „Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): Neoliberalismus: Analysen und Alternativen. VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146. Vgl. Andreas Dorschel: 'Ist soziale Gerechtigkeit ein 'sinnloser' Begriff? Zu einer These Friedrich August von Hayeks', in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie XIII (1988), Nr. 1, S. 4–13.
  66. Lea Hartung: „Half-an-idea machine“ – Die Mont Pèlerin Society zwischen Gelehrten-Gesellschaft und Think Tank (PDF-Datei; 655 kB) In: Thomas Brandstetter, Claus Pias, Sebastian Vehlken (Hrsg.): Think Tanks: Die Beratung der Gesellschaft. Diaphanes, Zürich 2010, S. 106.
  67. Christoph Giersch: Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz (= Bochumer Studien zur Gerechtigkeit; Band 2), Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.
  68. Roswitha Pioch: Soziale Gerechtigkeit in der Politik: Orientierungen von Politikern in Deutschland und den Niederlanden. Campus Verlag, 2000, ISBN 3-593-36486-7, S. 59.
  69. Christoph Giersch: Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz. Band 2 von Bochumer Studien zur Gerechtigkeit, Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.
  70. Rolf Kramer: Soziale Gerechtigkeit: Inhalt und Grenzen. Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 6.
  71. Heiko Bollmeyer: Der steinige Weg zur Demokratie: Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik. Campus Verlag, 2007, ISBN 978-3-593-38445-0, S. 210–211.
  72. 72,0 72,1 Frank Nullmeier: Soziale Gerechtigkeit – ein politischer „Kampfbegriff“? In: Soziale Gerechtigkeit (PDF-Datei; 2,3 MB), Aus Politik und Zeitgeschichte 47/2009, 16. November 2009, S. 9–13.
  73. Konrad-Adenauer-Stiftung: Lexikon der Sozialen Marktwirtschaft, Stichwort: Soziale Gerechtigkeit (sozialer Ausgleich) sowie Stichwort: Soziale Marktwirtschaft: Soziale Irenik.
  74. Vgl. etwa Ingo Schulze: Das Monster in der Grube. In: FAZ. August 2009.
  75. Heinz Sünker: Bildungspolitik, Bildung und soziale Gerechtigkeit PISA und die Folgen In: Hans-Uwe Otto, Thomas Rauschenbach (Hrsg.): Die andere Seite der Bildung. 2. Auflage. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, S. 223–236.
  76. 76,0 76,1 76,2 Stefan Liebig: Dimensionen sozialer Gerechtigkeit. (Memento vom 21. Januar 2010 im Internet Archive) In: Das Parlament. 47/2009.
  77. François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008.
  78. François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 95.
  79. François Dubet Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 147.
  80. Wolfgang Merkel: Soziale Gerechtigkeit im OECD Vergleich. In: Empter/Varenkamp: Soziale Gerechtigkeit – eine Bestandsaufnahme. 2007, ISBN 978-3-89204-925-8, S. 233 ff.
  81. Vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Januar 1982, BVerfGE 59, 231 – Freie Mitarbeiter.
  82. Zit. nach Bertelsmann Stiftung: Soziale Gerechtigkeit in der OECD – Wo steht Deutschland? Sustainable Governance Indicators 2011, 2011 (PDF, S. 10; 3,1 MB). Abgerufen am 8. Januar 2011.
  83. Bertelsmann Stiftung: Nachholbedarf in Sachen soziale Gerechtigkeit. Pressemitteilung, 3. Januar 2011. Abgerufen am 8. Januar 2011.
  84. Launch of the World Day of Social Justice, New York, 10 February 2009 (Memento vom 10. März 2011 im Internet Archive). Auf der Website der UNO, abgerufen am 8. März 2010.


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