Theokratie und Soziale Gerechtigkeit: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Theokratie''' ({{ELSalt|''θεοκρατία''}}, von ''θεός, theós – Gott'' und ''κρατεῖν, krateín – herrschen'') ist eine [[Herrschaftsform]], bei der die [[Staatsgewalt]] allein religiös legitimiert und von einer (in der Sicht der Anhänger der Staatsreligion) göttlich erwählten Person (gottberufener Prophet, gottbegnadeter König usw.), einer Priesterschaft (Klerus) oder [[Heilig|sakralen]] [[Institution]] ([[Hierokratie]]) auf der Grundlage religiöser Prinzipien ausgeübt wird. Es gibt dort weder eine [[Trennung von Staat und Religion]] noch von weltlichem Recht und religiösen Vorschriften. Ein auf der Theokratie basierender Staat wird auch als ''Gottesstaat'' bezeichnet, da die sozialen Normen göttlichen und nicht menschlichen Ursprungs sein sollen. Damit widerspricht die Konzeption einer Theokratie dem Ideal eines freiheitlich-demokratischen [[Rechtsstaat]]s. Führt die religiöse Legitimierung von Macht zu einer [[Klerikalismus|klerikalen]] Herrschaft, spricht man in der [[Politikwissenschaft]] von [[Priesteraristokratie]].
Der Begriff der '''sozialen Gerechtigkeit''' bezieht sich auf gesellschaftliche Zustände, die hinsichtlich ihrer relativen Verteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen als [[Fairness|fair]] oder [[Gerechtigkeit|gerecht]] bezeichnet werden können.<ref>Olaf Cramme, Patrick Diamond: ''Social Justice in the Global Age''. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3.</ref> Was genau Inhalt und Maßstab dieser Form von [[Gerechtigkeit]] sei, ist aber seit jeher umstritten und vielschichtig.<ref>Olaf Cramme, Patrick Diamond: ''Social Justice in the Global Age''. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3. Radikal kritisch als ein inhaltsleeres [[Politisches Schlagwort|Schlagwort]] wertete [[Friedrich August von Hayek]] „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch ''Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit'' von 1976.</ref>


== Theokratien in der Geschichte ==
Als eigenständiger Ausdruck entstand „soziale Gerechtigkeit“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der [[Soziale Frage|Sozialen Frage]]. Der Terminus geht auf das Werk ''Saggio teoretico di diritto naturale appoggiato sul fatto (1840–43)'' von [[Luigi Taparelli d’Azeglio]] zurück.<ref>Harald Jung: ''Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung.'' Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 286.</ref><ref>Arno Anzenbacher: ''Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien.'' UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.</ref> 1931 wurde er mit der Veröffentlichung der [[Enzyklika]] ''[[Quadragesimo anno]]'' von Papst [[Pius XI.]] erstmals formell und offiziell in den [[Lehrmeinung]]en des [[Papst]]es verwendet. Soziale Gerechtigkeit wurde als regulatives Prinzip zur Lösung der Sozialen Frage herangezogen. Innerhalb der Enzyklika wurde der Begriff noch nicht mit völliger wissenschaftlicher Schärfe verwendet, so dass noch Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieb.<ref>Laut Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' 2006, S. 290 hat {{"|Nell-Breuning […] denn auch kein Hehl daraus gemacht, dass der Begriff der iuststitia socialis innerhalb der Enziklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt ist. Für ihn besteht die eigentliche ‚Großtat‘ Prius Xl. denn auch gerade darin, dass er den Begriff zu einem Zeitpunkt verwendet, als die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerung im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mußte.}}</ref>
Auch die [[Zwölf Stämme Israels]] bildeten laut der Bibel in vorstaatlicher Zeit – ob als [[Amphiktyonie]], ist umstritten – von ca. [[1250 v. Chr.]] bis zum Königtum ab Saul rund [[1050 v. Chr.]] nach dem [[Tanach]] eine, von Gott gelenkte, und besonders im Verteidigungskrieg einheitliche auftretende Größe. Kennzeichnend für die israelitische Theokratie der Richterzeit war das Fehlen von ständigen Verwaltungsorganen und das geringe Maß an Organisation sowie die Zuweisung von Eigenverantwortung an die Bürger, die insbesondere an der Verbundenheit zu Gott gemessen wurde. Die in dieser Zeit häufigen Einfälle von Nachbarstämmen wurden genau wie die Einsetzung von Richtern als regulierende Maßnahmen Gottes angesehen, die abhängig von dem allgemeinen Grad an Verbundenheit zu Gott ergriffen wurden. Da aber fast alle biblischen Passagen über diese Zeit erst viel später geschrieben und zudem stark religiös ausgedeutet wurden, gilt dies unter vielen Forschern eher als unhistorisch.


Theokratisch war auch die Regierungspraxis der antiken [[Römische Kaiserzeit|römischen Kaiser]]. Nach dem Vorbild [[Alexander der Große|Alexanders des Großen]], und in Anlehnung an die Herrscherkulte im [[Hellenismus|hellenistisch]] geprägten Osten des Reiches, ließen sie sich selbst als Götter verehren. Der römische Kaiserkult hatte eine wichtige staatstragende Funktion. Die Huldigung des vergöttlichten Kaisers war gleichzeitig ein Bekenntnis zu den Prinzipien des [[Römisches Reich|römischen Reiches]]. Abgesehen vom öffentlichen [[Kaiserkult]] (''sacra publica'') galt Religion jedoch als Privatangelegenheit (''sacra privata''). Der [[Polytheismus|polytheistische]] Götterhimmel der Römer bot Raum für religiöse Vielfalt und Toleranz.
Seit den 1970er Jahren hat die Diskussion über soziale Gerechtigkeit, insbesondere unter Bezugnahme auf den von [[John Rawls]] in ''[[A Theory of Justice]]'' vertretenen [[Egalitärer Liberalismus|egalitären Liberalismus]] eine neue Bedeutung gewonnen. Als weiterer Vertreter dieser Richtung gilt [[Amartya Sen]]. An Rawls schloss unter anderem die Kritik durch [[Kommunitarismus|Kommunitaristen]] wie [[Michael Walzer]] an. Auch im deutschsprachigen Raum wird soziale Gerechtigkeit seit den späten 1960er Jahren wieder zunehmend in der gesellschaftlichen Diskussion thematisiert.


Juden und Christen zogen gleichwohl Zorn auf sich, wenn sie sich beharrlich weigerten, den Kaiser als Gott anzuerkennen und damit aus Sicht der Römer auch die religiös legitimierte Staatsordnung ablehnten. Insbesondere Christen wurden daher als politische Gefahr angesehen und teilweise [[Christenverfolgung|verfolgt]].
== Ideengeschichte ==
Die Grundlegung der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs erfolgte durch [[Aristoteles]], diese wurde von [[Thomas von Aquin]] maßgeblich weiterentwickelt.<ref name="Anzenbacher">Arno Anzenbacher: ''Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien.'' UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.</ref> Bezüge zur sozialen Gerechtigkeit ließen sich laut Rolf Kramer bereits bei Aristoteles finden. Auf Grund der legalen Gerechtigkeit ist der Bürger ein Mitglied des Staates, das dem ganzen verpflichtet ist. Auch die partikulare Gerechtigkeit in Form der ausgleichenden Gerechtigkeit und insbesondere der austeilenden Gerechtigkeit hätten einen Bezug zur sozialen Gerechtigkeit.<ref>Rolf Kramer: ''Soziale Gerechtigkeit – Inhalt und Grenzen.'' Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 37.</ref> Dagegen vertritt [[Arno Anzenbacher]] die Auffassung, dass soziale Gerechtigkeit sich innerhalb der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs von Aristoteles nicht genau einordnen lasse.<ref name="Anzenbacher" /> Auch Christoph Giersch kommt zu dem Schluss, dass die Verhältnisbestimmung zu diesem klassischen Gerechtigkeitsverständnis uneinheitlich und unklar bleibe.<ref name="Giersch">Christoph Giersch: ''Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz.'' Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 26.</ref>


Kaiser [[Konstantin der Große|Konstantin I.]] leitete eine religiöse [[Konstantinische Wende|Wende]] ein. Er ließ die Christenverfolgungen unterbinden, erließ ein Toleranzedikt für die christliche Religion und förderte die Etablierung einer christlich-einheitlichen Kirche, mitsamt der Verfolgung von Häretikern, auch wenn bis heute strittig ist, ob bzw. wann er selbst sich taufen ließ. Kaiser [[Theodosius I.]] erhob später das Christentum zur Staatsreligion des römischen Reiches und verbot damit auch alle anderen Kulte mit Ausnahme der Juden. Die einst verfolgte [[Kirche (Organisation)|Kirche]] wurde nun mit weitreichenden politischen [[Privileg]]ien ausgestattet, welche die umfassende Ausbreitung des Christentums ermöglichten. Im [[Byzantinisches Reich|Oströmischen Reich]] lebte der Kaiserkult jedoch in abgewandelter Form fort, indem der Kaiser sich nun als christlicher Priesterkönig (''rex [[Römische Priester und Priesterschaften#Sacerdos|sacerdos]]'') und sogar als Stellvertreter Christi auf Erden verstand, was einer der Faktoren in den zunehmenden Konflikten mit dem seinerseits immer monarchistischer eingestellten [[Papst]]tum war, das sich seit dem 6. Jahrhundert machtpolitisch etablierte. Dieses erlebte seinen Macht-Höhepunkt bereits unter dem nach Universalherrschaft strebenden [[Innozenz III.]] (1198–1216).<ref>Walter Ullmann: ''Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter'', Graz 1960, S. 24 f.</ref>
Laut [[Otfried Höffe]] erscheint der Ausdruck ‚soziale Gerechtigkeit‘ in der Philosophie sehr spät und zudem „so beiläufig, daß sein erstes Auftreten kaum dingfest zu machen“ sei.<ref>Höffe S. 84.</ref> Die Vorstellung einer „sozialen Gerechtigkeit“ wurde erst gemeinsam mit der sozialen Frage in der [[Industrie]]gesellschaft thematisiert. Zum Unterschied vom auf Aristoteles zurückgehenden Denkmodell, welches nur die Beziehung von Einzelpersonen untereinander (Verkehrsgerechtigkeit) oder zum [[Staat]] (verteilende und legale Gerechtigkeit) betraf, bezeichnete der Begriff soziale Gerechtigkeit auch jene Verhältnisse, als deren Subjekte und Objekte soziale Schichtungen und Strukturen gelten.


Auch die westlichen Kaiser seit [[Karl der Große|Karl dem Großen]] verstanden sich – mancher mehr, mancher weniger – als theokratisch. Das zeigte sich vor allem in der Praxis, Reichsbischöfe und -äbte ein- und abzusetzen ([[Investitur]]). Die Trennung zwischen geistlicher und lehnsrechtlicher Autorität bestand noch nicht im heute bekannten Maße, der Kaiser war sowohl oberster weltlicher als auch geistlicher Herrscher, zumal solange der Einfluss des Papsttums weltkirchlich noch überschaubar blieb. Referenz dieses Verständnisses war die [[Salbung]], die die Gottgebundenheit des Herrschers darstellte. In der Zeitgenössischen [[Panegyrik]] wurden immer wieder Vergleiche zu biblischen Königen wie [[Salomo]] und [[David]] gezogen. Als der Perfektion der theokratischen Praxis wird das sogenannte [[Ottonisch-salisches Reichskirchensystem|ottonisch-salische Reichskirchensystem]] gesehen, dass unter [[Heinrich III. (HRR)|Heinrich III.]] seinen Höhepunkt erreichte, der sogar Einfluss auf die Besetzung des [[Heiliger Stuhl|Heiligen Stuhls]] nahm. Die von ihm unterstützte kirchliche [[Reformpapsttum|Reformbewegung]] bekämpfte allerdings im [[Investiturstreit]] mit [[Heinrich IV. (HRR)|Heinrich IV.]] diese Praxis und schuf mit der ([[Kirchenrecht|kirchen-]])rechtlichen Trennung von [[Spiritualie]]n und [[Temporalie]]n, ein Konstrukt, das den Kaiser nur auf die weltliche Autorität der [[Lehnswesen|Lehnsvergabe]] reduzierte. Nach dem Ende des Investiturstreites setzten sich allerdings die kaiserliche Investitur wie auch die Konflikte mit dem Papsttum noch lange fort.<ref>Vgl. Egon Boshof: ''Die Salier'', 4., aktualisierte Aufl., Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 2000; Karl Jordan: ''Investiturstreit und frühe Stauferzeit. 1056–1197'', 10. Aufl., DTB, München 1999, sowie die darin angegeben Literatur und überhaupt die ganze überaus zahlreiche Literatur zum Investiturstreit</ref>
Soziale Gerechtigkeit umfasst nach Peter Koller sowohl distributive als auch korrektive, politische als auch kommutative Elemente.<ref>Erik Oschek: ''Ist der deutsche Sozialstaat gerecht? Eine sozialphilosophische Betrachtung für die Soziale Arbeit.'' Frank & Timme GmbH, 2007, ISBN 978-3-86596-140-2, S. 101 (unter Verweis auf Koller, in: Kersting (Hrsg.): ''Politische Philosophie des Sozialstaats.'' 2000, 123 f.).</ref> Sie ist auch in folgenden Dimensionen beschrieben worden<ref>[[Otfried Höffe]]: ''Gerechtigkeit''; siehe Literatur.</ref> (siehe auch [[Gerechtigkeitstheorien]]):
* [[Tauschgerechtigkeit]]
* [[ausgleichende Gerechtigkeit]]
* [[Generationengerechtigkeit]]
* Gerechtigkeit gegen Tiere
* globale Gerechtigkeit


Zu einer Fehldeutung kann der Titel der Schrift ''[[De civitate Dei]]'' (wörtlich: ''„Von der [[Civitas|Bürgergemeinschaft]] Gottes“'') des [[Kirchenväter|Kirchenvaters]] [[Augustinus von Hippo|Augustinus]] verleiten, welche oft unzutreffend mit dem Begriff „Gottesstaat“ übersetzt wird. Dieser epochemachende Text behandelt jedoch keine theokratische Verschmelzung von Religion und Politik, sondern stellt vielmehr die unsichtbare, aber umfassende Herrschaft Gottes über die gesamte [[Weltgeschichte]] heraus. Augustinus unterscheidet dabei grundsätzlich zwischen der „Gemeinschaft Gottes“ (''civitas dei'') und der rein „irdisch-orientierten Gemeinschaft“ (''civitas terrena''). Damit liefert Augustinus bereits die theoretische Grundlage für die spätere Zweiteilung von geistlicher und weltlicher Macht, die im christlichen [[Mittelalter]] durch die gleichsam rivalisierende Verbindung zwischen [[Papst]] und [[Kaiser]] – in den modernen politischen Systemen seit der [[Aufklärung]] als organisatorische Trennung von Kirche und Staat zum Ausdruck kommt.
== Konzeptualisierung und Kontroversen ==
=== Katholische Soziallehre ===
Der Terminus ''Soziale Gerechtigkeit'' bzw. ''Sozialgerechtigkeit'', wie er in die Katholische Soziallehre Eingang fand, wurde im 19. Jh. vermutlich erstmals durch den Jesuiten [[Luigi Taparelli d’Azeglio]] geprägt.<ref>Vgl. etwa {{LThK|Peter Langhorst|Gerechtigkeit, V. Kirchliche Soziallehre|3|4|304}}.</ref> In seinem fünfbändigen Werk zur Begründung des [[Naturrecht]]s in der Tradition der [[Rationalismus|rationalistischen]] [[Barockscholastik]] spricht Taparelli d’Azeglio von einer ''giustizia sociale'',<ref>Vgl. Band II c. 3, n. 341, S. 142 ff., Band I Intr. I c. 4 a. 1 XCII, S. 44 u.&nbsp;ö.</ref> in französischer Übersetzung ''justice [et droit] social''<ref>Vgl, S. 142ff.</ref> und in deutscher Übersetzung ''Socialgerechtigkeit''.<ref>Vgl. Taparelli: ''Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts.'' Übers. von F. Schöttl, C. Rinecker, 2 Bände, Regensburg 1845, Band 1 ([http://archive.org/details/versucheinesauf00azegoog Digitalisat] bei [[archive.org]]), S. 137 ff., bes. 142 f.</ref> Dieses Konzept beschreibt er als „Gerechtigkeit eines Menschen gegen den andern“ und bezieht es auf eine Gleichstellung jedes Menschen hinsichtlich der „Rechte der Menschheit im Allgemeinen“. Gleichwohl sucht Taparelli den naturgegebenen individuellen Unterschieden gerecht zu werden und postuliert: „[D]ie Handlungen eines Menschen werden also gerecht sein, wenn sie den verschiedenen individuellen Rechten seiner Mitmenschen angepasst sind“.<ref>Vgl, S. 143.</ref> So müssten etwa empfangene Güter quantitativ („austauschende Gerechtigkeit“), im Falle einer eingegangenen Gütergemeinschaft proportional („vertheilende Gerechtigkeit“) ausgeglichen werden.<ref>Vgl. S. 144 f.</ref> Letztere Termini entsprechen der Unterscheidung von Hinsichten der Gerechtigkeit insbesondere bei [[Thomas von Aquin]] und [[Aristoteles]]. Taparellis Naturrechtslehre und seine Begriffe von „Sozialwohl“ und „Sozialgerechtigkeit“ hatten für die spätere katholische Soziallehre beträchtlichen Einfluss u. a. über den direkten Schüler Taparellis, den späteren Papst [[Leo XIII.]], der die erste Sozialenzyklika, [[Rerum novarum]], verfasste.<ref>Vgl. den Überblick bei Gunter M. Prüller-Jagenteufel: ''“Socialwohl” und “Socialgerechtigkeit”. Zum Einfluss von Luigi Taparellis “Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts” auf die katholische Sozialverkündigung'', in: Stephan Haering, Josef Kandler, Raimund Sagmeister (Hrsg.): ''Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht'' (FS Gerhard Holotik), Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1999 (= Schriftenreihe des Erzbischof-Rohracher-Studienfonds 5), S. 115–128. Walther Homberg: ''Luigi Taparelli d'Azeglio als Erneuerer der scholastischen Philosophie in Italien'', Ingelheim 1955.</ref>


Als Theokratie könnte man auch das so genannte ''heilige Experiment'' in Pennsylvania von 1681 bis 1756 bezeichnen. Es war der erste und einzige [[Quäker]]staat. Mehr dazu im Artikel [[Quäker#USA|Quäker]] und [[William Penn]].
Wenig später sprach auch der einflussreiche [[Antonio Rosmini]], der, beeinflusst u. a. von Taparelli, die Tradition des Naturrechts auf die marktwirtschaftlichen Entwicklungen der Moderne bezog, von einer ''giustizia sociale'', und zwar bereits im Titel seiner Muster-Staatsverfassung, ''Progetto di costituzione secondo la giustizia sociale'',<ref>Vgl. ''La costituzione secondo la giustiza sociale'', in: ''Scritti politici'', Stresa 1997, 43–249, Mailand 1848.</ref> ein Werk, das auch für einige Jahre [[Index Librorum Prohibitorum|indiziert]] wurde.


== Theokratien heute ==
Hinsichtlich des Verhältnisses des Begriffs der Sozialen Gerechtigkeit zu Gerechtigkeitsformen, wie sie in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin unterschieden wurden, gab es mehrere Deutungen.<ref>J. Brian Benestad: ''Church, State, and Society: An Introduction to Catholic Social Doctrine.'' CUA Press, 2011, S. 152.</ref> Zu den Rezipienten des Begriffs sozialer Gerechtigkeit zählen neben den bereits genannten auch [[Gustav Ermecke]], [[Heinrich Pesch]], [[Eberhard Welty]], [[Johannes Messner]] und [[Oswald von Nell-Breuning]]. Dabei wurde zumeist der Bezug auf das Gemeinwohl (''bonum commune'') besonders betont.<ref>Vgl. Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: ''Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie.'' Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.</ref>
[[Datei:Theocratic republics.svg|mini|Theokratische Republiken heute (Rot), teilweise theokratische Republiken (Orange), Republiken mit Staatsreligion (Blau), Republiken mit besonderer Anerkennung einer bestimmten Religion (Grün)]]
Westliche Staaten strebten seit der [[Aufklärung]] eine [[Trennung von Kirche und Staat|Trennung zwischen Staat und Religion]] an. Manche versuchen sogar explizit einen [[Laizismus]] zu vertreten, was aber nicht selten [[Fundamentalismus|fundamentalistische]] Gegenreaktionen ausgelöst hat.


=== Islamische Republik Iran ===
Im Vorfeld des [[Erstes Vatikanisches Konzil|Ersten Vatikanischen Konzils]] wurde der Terminus ''Sozialgerechtigkeit'' kontrovers diskutiert und dabei auch mit durch das Lehramt verurteilten, als „[[Modernismus (Katholizismus)|Modernismus]]“ bezeichneten Auffassungen in Verbindung gebracht.<ref>Vgl. dazu [[Oswald von Nell-Breuning]]: ''Die soziale Enzyklika. Erläuterungen zum Weltrundschreiben Papst Pius’ XI.'' Köln 1932, S. 169 ff. 249 et passim. A Volanthen: ''Idee und Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit.'' Freiburg/Schweiz 1971, S. 14 ff.</ref>
Ein Beispiel für eine Theokratie in der heutigen Zeit ist die 1979 gegründete [[Islamische Republik Iran]], die den Anspruch erhebt, eine Theokratie zu sein. Gleichwohl enthält das [[Politisches System des Iran|politische System des Iran]] pseudodemokratische Elemente. So ist es nach der Verfassung zwar möglich, dass der direkt vom Volk gewählte [[Expertenrat]] den [[Führer (Iran)|Führer]] abwählt. Zu bedenken ist aber, dass die zur Wahl zugelassenen Kandidaten nur [[Mullah]]s mit mindestens dem religiösen Titel [[Hodschatoleslam]], die nach Art&nbsp;109 der Verfassung zur politischen und gesellschaftlichen Führung geeignet sind und die Fähigkeit zur Erteilung von Rechtsgutachten (''[[Idschtihād]]'') haben, sein können.<ref>Wahied Wahdat-Hagh: Die islamische Republik Iran. Berlin 2003, ISBN 3-8258-6781-1, S. 259 ff.</ref> Faktisch dürfte die Abwahl des Führers eine rein akademische Frage darstellen, da der Führer die Hälfte des Wächterrats bestimmt und dieser die Vorauswahl der Kandidaten des Expertenrates vornimmt.


=== Staat Vatikanstadt ===
In der [[Enzyklika]] ''[[Quadragesimo anno]]'' (1931) von Papst [[Pius XI.]] griff das päpstliche Lehramt den Begriff erstmals auf.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_288-289">Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 288–289.</ref> [[Oswald von Nell-Breuning]] erklärte als einer der Mitwirkenden an der Enzyklika, dass der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit innerhalb der Enzyklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt sei, da „die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerungen im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mu[ss]te“. Die „Großtat“ von Pius XI. bestand nach seiner Ansicht darin, Soziale Gerechtigkeit „geradezu zum Kernstück seines Weltrundschreibens“ gemacht zu haben. Dadurch wurde nach Ansicht von [[Franz-Josef Bormann]] ''Soziale Gerechtigkeit'' eines bloßen Schlagwortcharakters entkleidet und damit gegen ideologischen Missbrauch immunisiert.
Der [[Vatikanstadt|Staat Vatikanstadt]] wird als Theokratie bezeichnet, da er eine eindeutige Priesterherrschaft ist. Als Angleichung an die Rechtspraxis moderner [[Rechtsstaat|Verfassungsstaaten]] verfügt der Vatikanstaat seit seiner Gründung 1929 über ein Grundgesetz, das im Jahr 2000 erneuert wurde.<ref>[http://www.vatican.va/vatican_city_state/legislation/documents/scv_doc_20001126_legge-fondamentale-scv_ge.html Das neue Grundgesetz des Vatikanstaates]</ref> Dennoch subsumiert man den Vatikan nicht auf Anhieb unter dem Begriff der Theokratien, weil die päpstliche Herrschaft in einer für Theokratien unüblich erscheinenden pragmatischen Weise damit begründet wird, dass er für die [[Libertas ecclesiae|Freiheit der Kirche]] (insbesondere von weltlichen Machthabern) eine kleine souveräne territoriale Basis benötige. Insofern der Vatikanstaat unter der Herrschaft von Geistlichen steht, steht er eher in der Erbschaft der [[Fürstbischof|Fürstbistümer]] feudaler Zeiten und natürlich des [[Kirchenstaat]]es; wobei er wie dieser, und im Unterschied zu jenen keinen Lehnsherren über sich hat.


== Theokratismus ==
Die Konturen des Begriffes blieben in der Enzyklika aber so vage, dass Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieben, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zu den traditionellen Gerechtigkeitsformen.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_290f">Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 290&nbsp;f.</ref> Dabei haben sich drei Deutungen herausgebildet. Nach einer Ansicht ist Soziale Gerechtigkeit innerhalb des Gerechtigkeitsverständnisses von [[Thomas von Aquin]] in der Gemeinwohlgerechtigkeit zu verorten. Nach anderer Ansicht steht Soziale Gerechtigkeit (''[[iustitia socialis]]'') außerhalb des Gerechtigkeitsdreiecks Regelgerechtigkeit (''[[iustitia legalis]]''), Tauschgerechtigkeit (''[[iustitia commutativa]]'') und der Verteilungsgerechtigkeit (''[[iustitia distributiva]]'') als gleichrangige 4. Gerechtigkeitsart bzw. nach dritter Ansicht als integrativer übergeordneter Oberbegriff.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_289-290">Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 289–290.</ref><ref>[[Winfried Löffler]]: ''Soziale Gerechtigkeit – Wurzeln und Gegenwart eines Konzepts in der Christlichen Soziallehre.'' In: [[Peter Koller (Rechtsphilosoph)|Peter Koller]]: ''Gerechtigkeit im politischen Diskurs der Gegenwart.'' Passagen Verlag, 2001, ISBN 3-85165-509-5, S. 74–75.</ref><ref>Werner Veith: ''Von der sozialen Gerechtigkeit zur intergenerationellen Gerechtigkeit.'' In: Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: ''Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie.'' Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.</ref> Auch gut siebzig Jahre nach der ''Quadragesimo anno'' werden alle drei Deutungen weiter vertreten.<ref name="Giersch" />
Der [[Theokratismus]] möchte an der Verwirklichung eines Reiches Gottes „auf Erden“ mitwirken und die Theokratie als politisches Gestaltungsbild durchsetzen. Er wird dadurch zur [[Politische Religion|politischen Religion]]. Die absolutistische Vorstellung des [[Gottesgnadentum]]s kommt einer theokratischen Vorstellung sehr nahe.


== Heilserwartungslehren ==
In ''Quadragesimo anno'' wird Soziale Gerechtigkeit als regulatives Prinzip zur Lösung der [[Soziale Frage|Sozialen Frage]] herangezogen und dies durch zwei wesentliche Argumentationslinien begründet:
Christen erwarten für die Zeit nach der Wiederkunft Christi beim [[Jüngstes Gericht|Jüngsten Gericht]] eine „Königsherrschaft Gottes“ (''basileia tou theou'') unter der unmittelbaren „Macht und Herrlichkeit“ des Herrn Jesus Christus, die seit der Frühzeit des Christentums mit [[Chiliasmus|chiliastischen]] und [[Millenarismus|millenaristischen]] Vorstellungen verbunden ist.
# Die Lohngerechtigkeit umfasst als Untergrenze das Existenzminimum des Einzelnen Arbeiters und als Obergrenze die Lebensfähigkeit des Unternehmens. Die Soziale Gerechtigkeit als Gemeinwohlgerechtigkeit erfordere eine angemessene Beteiligung der Arbeiter am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand, wobei sich die Lohnhöhe auch daran orientieren muss, dass möglichst viele eine Arbeitsgelegenheit bekommen können.<ref>Franz-Josef Bormann: ''Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre.'' Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 286.</ref>
# Weiterhin wird die Vorstellung, der Staat habe die Wirtschaft frei und ungehindert sich selbst zu überlassen, als „Grundirrtum der individualistischen Wirtschaftswissenschaft“ kritisiert. Um die Einseitigkeit einer solchen Sichtweise zu überwinden, sei die soziale Gerechtigkeit und die soziale Liebe als durchgreifendes regulatives Prinzip notwendig. Dadurch soll die Individualfunktion und die Sozialfunktion der Wirtschaft in einen harmonischen Ausgleich gebracht werden. Die soziale Gerechtigkeit müsse eine Rechts- und Gesellschaftsordnung herbeiführen, die der Wirtschaft „ganz und gar das Gepräge gibt“. Es obliege demnach der sittlichen Vernunft, „das von Gott, dem Schöpfer, der Wirtschaft als Ganzem vorgesteckte Ziel“ zu bestimmen, während sich die ökonomische Rationalität darauf beschränkt, geeignete Mittel zu finden.<ref name="Bormann_SozialeGerechtigkeit_288-289" />


Die [[Zeugen Jehovas]] und generell die [[Bibelforscherbewegung]], erwarten eine konkrete, diesseitige Theokratie auf der „gereinigten Erde“, während die traditionellen Christen das [[Reich Gottes]] als ein jenseitiges [[Himmel (Religion)|Himmelreich]] in der Ewigkeit des allmächtigen Herrgottes – außerhalb der Raum-Zeit-Dimension – begreifen.
Die Entwicklung der [[Soziale Marktwirtschaft|Sozialen Marktwirtschaft]] wurde sowohl von der katholischen Soziallehre als auch der evangelischen Sozialethik beeinflusst.<ref>Harald Jung: ''Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung.'' Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 304.</ref> Die "Gründerväter" der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft beriefen sich auf Motive und Quellen theologischer Sozialethik.


== Begriffskritik ==  
[[Wilhelm Röpke (Wirtschaftswissenschaftler)|Wilhelm Röpke]], einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, sah eine Nähe zur katholischen Soziallehre insbesondere mit Bezug zu Quadragesimo anno, die ein „vollkommen mit unserem Standpunkt sich deckendes Programm“ enthält.<ref>Stephan Wirz, Philipp W. Hildmann: ''Soziale Marktwirtschaft: Zukunfts- oder Auslaufmodell?'' Theologischer Verlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-290-20059-6, S. 28.</ref>
Wenn terroristische Aktivitäten mit Verweis auf die Religion – in den letzten Jahren vor allem auf den Islam legitimiert werden, ist in der Berichterstattung häufig von „Gottesstaaten“ und „Gotteskriegern“ die Rede. Diese Begriffe sind jedoch nach Auffassung Ingrid Thurners falsch, die Berufung auf Gott erfolge missbräuchlich, wenn damit Verbrechen gerechtfertigt werden sollen, hinter denen sich machtpolitische Interessen verstecken.<ref>Ingrid Thurner: ''Gottesstaaten überall''. In: [http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/653057_Gottesstaaten-ueberall.html ''Wiener Zeitung'', 20. August 2014].</ref>
 
=== Soziale Gerechtigkeit aus marxistischer Sicht ===
Als eine [[Materialismus|materialistische]] Philosophie der [[Praxis (Philosophie)|Praxis]] nimmt der [[Marxismus]] gegenüber ethischen Postulaten ein kritisches Verhältnis ein. Es ist von einem „vielschichtigen Gerechtigkeitsverständnis von Marx und Engels“ auszugehen.<ref>Eintrag ''Gerechtigkeit.'' In: ''Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus.'' Band 5, Sp. 383.</ref> Sie lehnten „die Existenz einer ahistorischen und transzendentalen, also absoluten Gerechtigkeit radikal ab“.<ref>Eintrag ''Gerechtigkeit.'' In: ''Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus.'' Band 5, Sp. 384.</ref> Wenn Marx den Kapitalismus als ein System des Zwangs, der Knechtschaft und der Ausbeutung beschreibt, so ist doch nirgends von Ungerechtigkeit des Kapitalismus oder der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse die Rede; gerecht ist ihm zufolge, was der „gegebenen Produktionsweise entspricht“,<ref>Andreas Wildt: ''Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“.'' In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): ''Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie.'' Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.</ref> selbst wenn dem – wie bei der Lohnarbeit – die [[Ausbeutung]] menschlicher Arbeitskraft zugrunde liegt. Gleichwohl hat Marx in der ''Kritik des Gothaer Programms'' der SPD gesellschaftliche Gerechtigkeitsprinzipien für die klassenlose Gesellschaft formuliert, die Andreas Wildt als „Prinzipien kommunistischer Gerechtigkeit“ bezeichnet.<ref>Andreas Wildt: ''Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“.'' In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): ''Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie''. Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.</ref> Ihnen zufolge kann in der „kommunistischen Gesellschaft […] der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“<ref>Karl Marx, Friedrich Engels: ''Werke Band 19.'' Dietz, Berlin 1969, S. 31.</ref> In den Frühschriften von Marx findet sich als „kategorischer Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.<ref>Karl Marx, Friedrich Engels: ''Werke Band 1''. Dietz, Berlin 1961, S. 385.</ref> Unter den späteren Marxisten hat vornehmlich [[Ernst Bloch]] mit seinem Werk ''Naturrecht und menschliche Würde'' (1961) „eine eigene, genuin marxistische Gerechtigkeitstheorie“ formuliert.<ref>''Grechtigkeit.'' In: ''Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus.'' Band 5. Argument-Verlag, Hamburg 2001, Sp. 391.</ref> Der patriarchalischen und gönnerischen „Gerechtigkeit von oben“ setzte er eine aus den Forderungen sozialer Bewegungen hervorgehende „Gerechtigkeit von unten“ entgegen, die sich beispielsweise in Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit niedergeschlagen habe.<ref>Vgl. Ernst Bloch: ''Naturrecht und menschliche Würde.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1961, S. 50 ff., 227 ff. sowie [[Eva Kreisky]]: Gerechtigkeitsdiskurse [http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_gerechtigkeitsdiskurse.pdf (PDF)]</ref>
=== Friedrich Nietzsche ===
[[Friedrich Nietzsche]] sieht den Ursprung der Gerechtigkeit im Charakter des [[Tausch]]es unter ungefähr gleich Mächtigen: „Jeder stellt den anderen zufrieden, indem er bekommt, was er mehr schätzt als der andere. Man gibt jedem, was er haben will, als das nunmehr Seinige, und empfängt dafür das Gewünschte.“ Auch Rache ist ein Austausch und „gehört ursprünglich […] in den Bereich der Gerechtigkeit“.<ref>Friedrich Nietzsche: ''[[Menschliches, Allzumenschliches]]'', Aphorismus 92.</ref> An anderer Stelle meint er, die ganze Vergangenheit der alten Cultur sei auf Gewalt, Sklaverei, Betrug, Irrtum aufgebaut. In uns Menschen stecke diese ungerechte Gesinnung, auch in den Seelen der Nicht-Besitzenden. Nicht gewaltsame neue Verteilungen, wie sie die Sozialisten anstreben, sondern langsame Umschaffungen des Sinnes tue not. Die Gerechtigkeit müsse in allen größer werden, der gewalttätige Instinkt schwächer.<ref>Friedrich Nietzsche: ''Menschliches, Allzumenschliches.'' Aphorismus 452.</ref>
 
=== John Rawls ===
[[John Rawls]] bezeichnet Gerechtigkeit als „erste Tugend sozialer Institutionen“, er fasst also den Gerechtigkeitsbegriff bereits im Ansatz in seiner sozialen Dimension.<ref>Vgl. zu den individual- und sozialethischen Aspekten des Gerechtigkeitsbegriffs einführend {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/justice-virtue/|Justice as a Virtue|Michael Slote}}.</ref> Gerechtigkeit ist für Rawls insofern per se auch soziale Gerechtigkeit und nicht nur eine Disposition von Individuen. Bezugspunkt ist dabei das ''Resultat einer gerechten Sozialordnung'', was sich insbesondere auf die Verteilung der Güter bezieht sowie auf einen Ausgleich unter den Teilhabern. Rawls geht davon aus, dass Menschen, die Disposition besitzen bzw. erwerben, ihr persönliches Streben nach Glück mit einem ''[[John Rawls#Der Gerechtigkeitssinn|Gerechtigkeitssinn]]'' zu überwölben. Eine überzeugende [[Eine Theorie der Gerechtigkeit|Theorie der Gerechtigkeit]] müsse das Glück der am schlechtesten gestellten Personen berücksichtigen. Auch die Benachteiligsten müssten den Prinzipien einer gerechten sozialen Ordnung zustimmen können. Eine solche Ordnung skizziert Rawls in einem hypothetischen [[Vertragstheorie|Gesellschaftsvertrag]]. Jede Person weiß in diesem Gedankenexperiment zunächst nicht, welche Güter und Rechte ihr schlussendlich zugeteilt werden, welche soziale Stellung sie einnehmen wird sie steht unter einem „Schleier der Ungewissheit“. Dabei würde jeder vermeiden wollen, dass „ihm sein Feind einen Platz zuweisen kann“, und deshalb werde diejenige Alternative bevorzugt, „deren schlechtmöglichstes Ergebnis besser ist, als das jeder anderen“ ([[Entscheidung unter Ungewissheit#Maximin-Regel|Maximin-Regel]]).<ref>Vgl. John Rawls: ''Eine Theorie der Gerechtigkeit.'' Frankfurt am Main 1971/79, S. 177 f. et passim.</ref> Schlussendlich müssten sich nach Rawls die Vertragspartner nicht auf z.&nbsp;B. strikt [[Egalitarismus|egalitäre]], [[Libertarismus|libertaristische]] oder [[Utilitarismus|utilitaristische]] Prinzipien einigen, sondern zwei Gerechtigkeitsprinzipien, die Rawls auch kurz als Gleichheits- und Differenzprinzip bezeichnet:
# Jeder ist gleichermaßen im Besitz unveräußerlicher Grundfreiheiten (Freiheit, Leben, Eigentum usw.)
# Soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist nur zulässig, wenn sie sich zumindest auch für die am wenigsten Begüterten in der Gemeinschaft zum Vorteil auswirkt und wenn solche Ungleichheiten verbunden sind mit Ämtern (engl. ''offices'') und Positionen, die allen gemäß fairer Chancengleichheit (engl. ''under conditions of fair equality of opportunity'') offenstehen.<ref>Zu Versuchen, den Begriff ''equality of opportunity'' und seine Anwendungsbedingungen philosophisch zu präzisieren, vgl. einführend {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/equal-opportunity/|Equality of Opportunity|Richard Arneson}}; zum Differenzprinzip z.&nbsp;B. {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/justice-distributive/#Difference|Distributive Justice, 3. The Difference Principle|Julian Lamont, Christi Favor}}.</ref>
 
Dabei haben die Grundfreiheiten (gemäß dem Gleichheitsprinzip 1.) einen Vorrang (gegenüber Ungleichverteilungen, wie sie durch 2. begrenzt zulässig werden). Grundfreiheiten dürfen nur eingeschränkt werden, wenn geringere Freiheit das Gesamtsystem der Freiheiten für alle stärkt und für die Betroffenen annehmbar ist. Beide Gerechtigkeitsprinzipien (1. und 2.) haben nach Rawls einen Vorrang gegenüber Leistungsfähigkeit und Nutzenmaximierung, wonach jede Chancen-Ungleichheit die Chancen Benachteiligter verbessern muss und eine hohe Sparrate eine ''Milderung'' der Last der Betroffenen zur Folge haben muss.<ref>Vgl. John Rawls: ''Eine Theorie der Gerechtigkeit.'' Frankfurt am Main 1971/79, S. 81 et passim.</ref> In einem frühen Aufsatz<ref>John Rawls: ''Distributive Gerechtigkeit.'' In: John Rawls: ''Gerechtigkeit als Fairneß.'' hg. von [[Otfried Höffe]], Freiburg-München 1977, S. 84–124.</ref> hatte Rawls das Differenzprinzip in der Fassung formuliert, dass die „sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten so zu verteilen“ seien, „dass sie sowohl (a) vermutlich zu jedermanns Vorteil sind und (b) Positionen und Ämtern zukommen, die allen gleichermaßen offen stehen“. Beide Klauseln (a und b) lassen aber, so Rawls, verschiedene Interpretationen zu:
# im Sinne eines Systems der natürlichen Freiheit (bzw. „formalen Chancengleichheit“), wo (a) als [[Pareto-Optimum|pareto-optimierendes]] Effizienzprinzip etwa gemäß der [[Wohlfahrtsökonomie]] verstanden wird, so dass durch Umverteilung keiner besser zu stellen wäre, wobei (zu b) „Begabten alle Laufbahnen offen stehen“, aber „keine Bemühungen darum“ vorgesehen sind, „Gleichheit […] zu bewahren“ - Ungleichheiten durch „natürliche und gesellschaftliche Zufälligkeiten“ werden akzeptiert.
# im Sinne eines „Systems der liberalen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengleichheit“) werde versucht „den Einfluss sozialer Zufälligkeiten auf die Verteilung der Anteile abzuschwächen“. Positionen sollen „nicht nur im formalen Sinne offen stehen sollten“; ebenfalls sollen alle „auch eine faire Chance haben […], sie zu erreichen“. Die „Ausgangsposition innerhalb des sozialen Systems“, etwa durch jene „Klasse, in die sie hineingeboren wurden“, dürfe dem nicht im Wege stehen. Allerdings bleibt „die resultierende [[Vermögensverteilung|Besitz-]] und [[Einkommensverteilung]] entsprechend der natürlichen Verteilung von Fähigkeiten und Begabungen“, es entscheidet also eine „natürliche Lotterie“ über die Anteilsverteilung.<ref>Für einen ersten Überblick zur philosophischen Diskussion über natürliche und soziale „Lotterie“ bzw. Gerechtigkeit und Zufallsgeschick, der auch die Grundideen Rawls' anspricht, vgl. {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/justice-bad-luck/|Justice and Bad Luck|Kasper Lippert-Rasmussen}}.</ref>
# im „System der natürlichen [[Aristokratie]]“ (bzw. „formalen Chancengerechtigkeit“, wie etwa bei [[Edmund Burke|Burke]] oder [[Jean-Jacques Rousseau|Rousseau]]) wird zwar die „natürliche Lotterie“ ausgeglichen, aber „kein Versuch unternommen, die Wirkungen sozialer Zufälligkeiten zu steuern, der über die Erfordernisse der formalen Chancengleichheit hinausgeht“.
# erst im „System der demokratischen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengerechtigkeit“), für das Rawls plädiert, wird die Anteilsverteilung „weder durch gesellschaftliche Zufälligkeiten noch durch die Lotterie der natürlichen Vorzüge auf unangemessene Weise beeinflusst“, was auch „auf die Dauer und über Generationen hinweg“ sicherzustellen ist. Gemäß dem Differenzprinzip würde hier „faire Chancengerechtigkeit“ ggf. auch ohne Chancengleichheit bestehen.
 
=== Amartya Sen ===
Der Ökonom [[Amartya Sen]] und die Sozialphilosophin [[Martha Nussbaum]] haben den [[Capability Approach|Befähigungsansatz]] entwickelt, der im Hinblick auf die Gerechtigkeit von Entwicklungs-, Geschlechter- und Sozialpolitik diskutiert wird.<ref>Vgl. etwa John M. Alexander: ''Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum.'' Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0.</ref> Darin wird dem Thema der sozialen Gerechtigkeit die Frage zugrunde gelegt, was ein Mensch für Befähigungen benötigt, um sein Leben erfolgreich zu gestalten. Die Vertreter dieser Theorie verbinden die Idee der Sozialen Gerechtigkeit mit einem gehaltvollen Freiheitsbegriff. Zentrale Themen sind dabei etwa die Gesundheitsversorgung oder Bildungschancen unterprivilegierter Bevölkerungsschichten.<ref>Martha C. Nussbaum: ''Capabilities as fundamental entitlements: Sen and Social Justice.'' In: ''Feminist Economics.'' 9(2 – 3), 2003, S. 33–59 {{Webarchiv|url=http://www.lawforlife.org.uk/research-and-theory/further-reading/capabilities-as-fundamental-entitlements-sen-and-social-justice,10105,FP.html|wayback=20121116104603|text=(online)}}</ref>
 
=== Walter Eucken ===
Die durch [[Walter Eucken]] begründete [[Ordnungspolitik]] verortet die Gerechtigkeitsproblematik nicht mehr in den Tauschakten, sondern verlagert sie in die Rahmenordnung für den Wirtschaftsprozess. Durch die Wettbewerbsordnung sollen „zentrale moralische Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden verwirklicht werden“.<ref>Eintrag ''Ordnungspolitik.'' In: In: Georges Enderle, Karl Homan, Martin Honecker, Walter Kerber, Horst Steinmann (Hrsg.): ''Lexikon der Wirtschaftsethik.'' Herder, Freiburg/ Basel/ Wien 1993, ISBN 3-451-22336-8, Sp. 786.</ref> Nach [[Hans G. Nutzinger]] erkennt Eucken „nicht nur die Sinnhaftigkeit eines über die Tauschgerechtigkeit hinausgehenden Konzeptes von ''sozialer Gerechtigkeit'' an, er sieht den Hauptteil der Lösung des Gerechtigkeitsproblems gerade durch die geeignete ordnungspolitische Gestaltung des Wettbewerbsprozesses gesichert“<ref>Hans G. Nutzinger/ Christian Hecker: ''Gerechtigkeit in der Ökonomie – ein unlösbarer Widerspruch?'' [http://www.springerlink.com/content/pu1hqm13p8032265/], S. 559.</ref> und befürwortet darüber hinaus auch korrigierende Eingriffe in die [[Einkommensverteilung]] und [[Vermögensverteilung]].
 
=== Friedrich August von Hayek ===
Als ein inhaltsleeres [[Politisches Schlagwort|Schlagwort]] wertete [[Friedrich August von Hayek]] „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch ''Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit'' von 1976, das nach Einschätzung von [[Otfried Höffe]] das erste größere philosophische Werk zu diesem Thema ist.<ref>[[Otfried Höffe]]: ''Gerechtigkeit: Eine philosophische Einführung.'' 2. Auflage. Verlag C.H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44768-6, S. 84.</ref> Die Aufmerksamkeit, die Hayeks Kritik in der sozialwissenschaftlichen Literatur gefunden hat, konzentriert sich zumeist auf seine Ablehnung der Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit im Sinne von [[Verteilungsgerechtigkeit]].<ref>[[Viktor Vanberg]], ''Marktwirtschaft und Gerechtigkeit – F.A. Hayeks Kritik am Konzept der „sozialen Gerechtigkeit“'', Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung – Abteilung für Wirtschaftspolitik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2011, S. 2.</ref> An eine [[Marktwirtschaft]], so Hayek, können keine moralischen Maßstäbe wie soziale Gerechtigkeit angelegt werden,<ref name="reitz">Jörg Reitzig: ''Eine Kategorie des Unsinns...'' In: ''Neoliberalismus: Analysen und Alternativen.'' Springer-Verlag, 2008, S. 137.</ref> da in einer Marktwirtschaft niemand Einkommen verteile. Es gebe für die Ergebnisse des Marktprozesses keine Kriterien, an denen sich eine gerechte Verteilung messen ließe. Ein solcher Gerechtigkeitsmaßstab sei nur in einer [[Zentralverwaltungswirtschaft]] sinnvoll anwendbar, in der eine zentrale Autorität die Verteilung von Gütern und Pflichten anordnet, was jedoch, so Hayek, auf eine totalitäre Gesamtkontrolle der Gesellschaft und eine Lähmung der wirtschaftlichen Prozesse hinausliefe.<ref>[[Walter Reese-Schäfer]]: ''Politische Theorie der Gegenwart in fünfzehn Modellen, Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft.'' Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-57930-4, S. 19.</ref> Aber auch in einer solchen Wirtschaftsordnung könne nur irgendeine bestimmte Vorstellung von „sozialer Gerechtigkeit“ durchgesetzt und wohl kaum ein übergreifender Konsens zur „sozial gerechten“ Verteilung erzielt werden.<ref name="Vanberg">[[Viktor Vanberg]]: ''Marktwirtschaft und Gerechtigkeit. Zu F.A. Hayeks Kritik am Konzept der "sozialen Gerechtigkeit".'' Universität Freiburg, Walter Eucken Institut, Freiburg 2011. [http://www.wipo.uni-freiburg.de/dateien/folder.2005-09-22.7023880203/folder.2005-09-22.7371202696/05_11bw.pdf (online)]</ref> Der Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ gehöre daher, so Hayek, „in die Kategorie des [..] Unsinns“.<ref name="reitz" /> Würden im Namen der „sozialen Gerechtigkeit“ Staatseingriffe gefordert, so geschehe dies meist, um Privilegien bestimmter Gruppen oder Personen durchzusetzen. Privilegienfreiheit sei jedoch Kernanforderung für eine gerechte Regelordnung.<ref name="Vanberg" /> Nothilfe hingegen sei mindestens dort politisch zu organisieren, wo die autonome Initiative versage; in [[Prosperität|prosperierenden]] Gesellschaften lägen derartige Hilfen legitimerweise oberhalb des physischen [[Existenzminimum]]s. Hayek betont, dass es dabei nicht um die Korrektur von vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Marktprozesse gehe.<ref>Reinhard Zintl, ''Von Hayek – Freiheit und „soziale Gerechtigkeit“.'' In: ''Politische Philosophie.'' (=&nbsp;Uni-Taschenbücher M, Grundkurs Politikwissenschaft. Band 2816). 2. Auflage. 2006, ISBN 3-8252-2816-9, S. 152.</ref>
 
=== Michael Walzer ===
Der US-amerikanische politische Philosoph [[Michael Walzer]] geht davon aus, dass in der menschlichen Gesellschaft Güter produziert und in unterschiedlichen sozialen Kontexten (sog. „Sphären“) nach unterschiedlichen Prinzipien, z.&nbsp;B. nach Verdienst, Bedürftigkeit oder freiem Austausch, verteilt werden.<ref>Richard Bellamy: ''Justice in the Community. Walzer on Pluralism, Equality and Democracy.'' In: David Boucher, Paul Joseph Kelly (Hrsg.): ''Social Justice: From Hume to Walzer.'' Band 1, Routledge, 1998, ISBN 0-415-14997-5, S. 157–180.</ref> Dabei würde eine universale und abstrakte Gerechtigkeit den unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen zur Produktion verschiedene „Güter“ nicht gerecht. Als unterschiedliche soziale Kontexte identifiziert er unter anderem „Sphären“ zur Verwirklichung von Wohlfahrt und Sicherheit, Geld und Waren, Bildung, politischer Macht, Gemeinschaft, Verwandtschaft und Liebe und so weiter. In der Gesellschaft würden sich in diesen unterschiedlichen „Sphären der Gerechtigkeit“ (so der Titel seines Buches von 1983) verschiedene Ausprägungen der Gerechtigkeit und insgesamt eine „komplexe“ Gleichheitsvorstellung entwickeln. Demnach kann es gerecht sein, im Gesundheitssystem Leistungen nach Bedürftigkeit und im Wirtschaftssystem Leistungen nach Verdienst zu verteilen.
 
=== Wolfgang Merkel und Mirko Krück ===
Eine Arbeitsgruppe im Auftrag der [[Friedrich-Ebert-Stiftung]]<ref>[[Wolfgang Merkel]], [[Mirko Krück]], [http://library.fes.de/fulltext/id/01706.htm Soziale Gerechtigkeit und Demokratie : auf der Suche nach dem Zusammenhang]</ref> entwickelte aus vier zeitgenössischen Gerechtigkeitstheorien ([[Friedrich Hayek|F.&nbsp;A. von Hayek]], [[John Rawls]], [[Michael Walzer]] und [[Amartya Sen]]) als „Prinzipien“ für „soziale Gerechtigkeit“
* die Gleichverteilung der Zugangsmöglichkeiten zu den notwendigen Grundgütern für die individuell zu entscheidende Entfaltung von Lebenschancen und
* die Stärkung der individuellen Fähigkeiten, die persönliche [[Autonomie]], [[Würde]], Entscheidungsfreiheit, Lebenschancen und Optionsvielfalt schützen, sichern und erweitern.
 
Aus diesen beiden Prinzipien werden fünf Dimensionen „sozialer Gerechtigkeit“ abgeleitet:
# Vermeidung von Armut
# Soziale Chancen durch Bildung
# Soziale Chancen durch einen integrativen Markt (Beschäftigungsquote, angemessene [[Einkommensverteilung]])
# Berücksichtigung der besonderen Rolle der Frau
# Soziale Sicherung (Gesundheits- und Sozialausgaben im Verhältnis zum Sozialprodukt)
 
Dieses Verständnis sozialer Gerechtigkeit ist stark auf die gerechte (hier: gleiche) Verteilung von Zugangschancen gerichtet. Nachträgliche Umverteilungen durch passive [[sozialstaat]]liche Maßnahmen seien weniger geeignet, [[Soziale Klasse|Klassenstrukturen]] zu brechen, Lebenschancen zu erweitern und Armutsfallen zu vermeiden. Trete trotzdem Armut auf, sei sie allerdings durch Ex-Post-Umverteilung mit hoher politischer Präferenz zu bekämpfen, da Armut die individuelle Autonomie und Würde des Menschen beschädigt und zu einer Falle für die nachfolgenden Generationen in armen Familien werden kann.
 
=== James Buchanan ===
Die 1985 von [[James M. Buchanan]] zusammen mit Geoffrey Brennan veröffentlichte Theorie sozialer Gerechtigkeit konzentriert sich stärker noch als Rawls auf [[Regelgerechtigkeit]]. Maßstab für Gerechtigkeit seien weder in ethischen Instanzen noch in Verteilungsprofilen, sondern ausschließlich im Verfahren der Verfassungsgebung und Verfassungsentwicklung. Handlungen sind demnach gerecht, wenn sie Regeln folgen, die wiederum höheren Regeln entsprechen; die Regelhierarchie führt letztlich zur „Verfassung“, in der die „berechtigten Erwartungen“ der Individuen innerhalb einer Gesellschaft per Konsens festlegt sind.<ref>Nick Lin-Hi im [http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/gerechtigkeit.html Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: ''Gerechtigkeit''].</ref>
 
=== Kontroversen ===
 
Ein Streitpunkt ist die Frage der Universalität oder Gemeinschaftsgebundenheit von Gerechtigkeitsvorstellungen. Während Rawls von allgemeingültigen Bedingungen für gerechte Gesellschaften ausgeht, die sich vor allem in fairen Verfahren niederschlagen, sind eher kommunitaristisch orientierte Philosophen wie Walzer der Auffassung, dass Gerechtigkeitsvorstellungen oft implizit und an lokale Gemeinschaften gebunden sind.<ref>Norman P. Barry: ''An Introduction to Modern Political Theory.'' 4. Auflage. Palgrave Macmillan, 2000, ISBN 0-312-23516-X, S. 155.</ref> Insbesondere im Kontext von Handelsliberalisierung und der Zunahme grenzüberschreitender Wirtschaftsbeziehungen haben diese Fragen eine besondere Brisanz erhalten.<ref>Heather Widdows, Nicola J. Smith: ''Global Social Justice''. Taylor & Francis, 2011, ISBN 978-1-136-72591-3.</ref> Hier geht es darum auszuloten, inwiefern sich die philosophischen und sozialen Grundlagen globaler sozialer Gerechtigkeit als tragfähig erweisen, um nationale Vergemeinschaftung und Solidarität ergänzen oder gar ersetzen zu können.
 
Eine weitere Kontroverse besteht in dem Zusammenhang zwischen [[Freiheit]] und sozialer Gerechtigkeit. Der liberale politische Philosoph [[Isaiah Berlin]], der Freiheit vor allem als [[negative Freiheit]] bestimmt, betont die schweren Entscheidungen (''hard choices'') zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.<ref>George Crowder: ''Isaiah Berlin: Liberty and Pluralism.'' Polity, 2004, ISBN 0-7456-2477-4, S. 179.</ref> Andere Theoretiker, die eher in einer [[Republikanismus|republikanischen]] Tradition stehen, wie Amartya Sen, heben hervor, dass soziale Gerechtigkeit im Sinne von Chancengleichheit und Befähigung als Voraussetzung für eine gehaltvolle individuelle Freiheitsausübung gelten muss.<ref>John M. Alexander: ''Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum.'' Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0, S. 151.</ref>
 
Nach Harald Jung hatte Hayek die „Illusion sozialer Gerechtigkeit“ vor dem Hintergrund einer eindimensionalen, historischen Fassung von Gerechtigkeit angegriffen. Anders als Hayek in seinem sozialstaatskritischen Plädoyer Der Weg zur Knechtschaft von 1944 annähme, liege der Ursprung des Begriffs Soziale Gerechtigkeit nicht in „sozialistischen Utopien“ der „Sozialisten in allen Parteien“, sondern in einem auf Aristoteles zurückgehenden mehrdimensionalen Gerechtigkeitsverständnis, auf das etwa Emil Brunner als Abendländische Gerechtigkeitsidee bezug nahm.<ref>Harald Jung: ''Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung.'' Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 285, 286.</ref> Der Sozialwissenschaftler Jörg Reitzig verortet Hayeks Kritik am Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ in einem generellen Angriff neoliberaler Theoriebildung gegen das Konzept der sozialen Gerechtigkeit.<ref>Jörg Reitzig: „Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): ''Neoliberalismus: Analysen und Alternativen.'' VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146. Vgl. Andreas Dorschel: 'Ist soziale Gerechtigkeit ein 'sinnloser' Begriff? Zu einer These Friedrich August von Hayeks', in: ''Österreichische Zeitschrift für Soziologie'' XIII (1988), Nr. 1, S. 4–13.</ref> Für den Soziologen [[Albert O. Hirschman|Albert Hirschman]] stellt der diskursive Ausschluss der Möglichkeit von sozialer Gerechtigkeit ein Hauptelement der von ihm so bezeichneten „Rhetorik der Reaktion“ dar.<ref>Lea Hartung: [http://www.icae.at/wp/wp-content/uploads/2011/06/Hartung_MPS.pdf „Half-an-idea machine“ – Die Mont Pèlerin Society zwischen Gelehrten-Gesellschaft und Think Tank] (PDF-Datei; 655&nbsp;kB) In: Thomas Brandstetter, Claus Pias, Sebastian Vehlken (Hrsg.): ''Think Tanks: Die Beratung der Gesellschaft.'' Diaphanes,  Zürich 2010, S. 106.</ref>
 
== Verwendung des Begriffs in der politischen Diskussion ==
Der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit wird innerhalb öffentlicher Debatten zwar sehr häufig verwendet, aber selten exakt definiert.<ref>Christoph Giersch: ''Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz'' (=&nbsp;Bochumer Studien zur Gerechtigkeit; Band 2), Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.</ref> Politische Entscheidungsträger erzeugen und vertreten bestimmte Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit.<ref>Roswitha Pioch: ''Soziale Gerechtigkeit in der Politik: Orientierungen von Politikern in Deutschland und den Niederlanden.'' Campus Verlag, 2000, ISBN 3-593-36486-7, S. 59.</ref> Der Begriff ist meist positiv besetzt, bei politischen Auseinandersetzungen beanspruchen daher die Vertreter unterschiedlicher und selbst widersprüchlicher Positionen das Etikett ''sozial gerecht'' für sich. Entsprechend dient die Etikettierung einer Position als ''sozial ungerecht'' der Disqualifizierung missliebiger Positionen.<ref>Christoph Giersch: ''Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz.'' Band 2 von Bochumer Studien zur Gerechtigkeit, Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.</ref> Der Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ liege nach Ansicht von Rolf Kramer oft nicht der Wille zur [[Gerechtigkeit]], sondern zu einer [[Umverteilung]], zu einer besseren und gerechteren Verteilung der [[Wirtschaftliches Gut|Güter]] zugrunde.<ref>Rolf Kramer: ''Soziale Gerechtigkeit: Inhalt und Grenzen.'' Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 6.</ref>
 
=== Verwendung in Deutschland ===
 
Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich bereits im [[Deutsches Reich|Deutschen Reich]] in der Zeit der [[Weimarer Republik]] (1918 bis 1933) und wurde z.&nbsp;B. von der [[Deutsche Zentrumspartei|Deutschen Zentrumspartei]] zum politischen Ziel erklärt.<ref>Heiko Bollmeyer: ''Der steinige Weg zur Demokratie: Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik.'' Campus Verlag, 2007, ISBN 978-3-593-38445-0, S. 210–211.</ref> Mit der [[Weimarer Reichsverfassung]] vom 19. Juli 1919 wurden im [[Weimarer Verfassung#Fünfter Abschnitt: Das Wirtschaftsleben|fünften Abschnitt]], der das Wirtschaftsleben regelte, erstmals weitgehende „soziale Rechte“ in einer Verfassung verankert. Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der [[Bundesrepublik Deutschland]]<ref name="disk">[[Frank Nullmeier]]: ''Soziale Gerechtigkeit – ein politischer „Kampfbegriff“?'' In: [http://www.bpb.de/files/W1C8PC.pdf Soziale Gerechtigkeit] (PDF-Datei; 2,3&nbsp;MB), [[Aus Politik und Zeitgeschichte]] 47/2009, 16. November 2009, S. 9–13.</ref> in der Form des [[Sozialstaatspostulat]]es das, zusätzlich durch die [[Ewigkeitsklausel]] von Verfassungsänderungen ausgenommen, einen „sozialen Bundesstaat“ sowie einen „sozialen Rechtsstaat“ festschreibt.
 
Soziale Gerechtigkeit gehört laut der Konrad-Adenauer-Stiftung zu den Grundwerten im Konzept der [[Soziale Marktwirtschaft|Sozialen Marktwirtschaft]].<ref>Konrad-Adenauer-Stiftung: Lexikon der Sozialen Marktwirtschaft, Stichwort: [http://www.kas.de/wf/de/71.10938/ ''Soziale Gerechtigkeit (sozialer Ausgleich)''] sowie Stichwort: [http://www.kas.de/wf/de/71.10270 ''Soziale Marktwirtschaft: Soziale Irenik''].</ref> Soziale Gerechtigkeit ist laut Umfragen ein wichtiger Wert für die Bevölkerung und auch öffentliches Thema in Debatten zum Gemeinwesen.<ref>Vgl. etwa [[Ingo Schulze (Autor)|Ingo Schulze]]: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kapitalismus/zukunft-des-kapitalismus-16-das-monster-in-der-grube-1843083.html ''Das Monster in der Grube.''] In: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ]].'' August 2009.</ref>
 
In der politischen Diskussion in Deutschland wird der Begriff seit der [[Agenda 2010]] und den [[Hartz-Konzept#Hartz IV mit Wirkung ab 1. Januar 2005|Hartz-IV]]-Gesetzen wieder vermehrt verwendet und steht in der sozialstaatlichen Diskussion unter anderem für den Wunsch nach einem höheren Maß an sozialer Gleichheit und sozialer Sicherung. Aktuell taucht der Begriff auch z.&nbsp;B. in der Diskussion um die ungleicher werdende Einkommensverteilung und die Bankenrettungspakete auf. Während die Kritiker dieser Entwicklung als Folge eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit sehen, wird von einigen Befürwortern diese Kritik als „[[Sozialneid|Neiddebatte]]“ bezeichnet und zurückgewiesen. Die Begriffsverwendung führt dadurch auch zu einer politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien entsprechend der Rechts-links-Achse des Parteiensystems.<ref name="disk" /> Seit den Ergebnissen der [[PISA-Studien]], die gezeigt haben, dass in Deutschland die soziale Herkunft sich oft entscheidend auf die Bildungschancen auswirkt, wird insbesondere auch die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit des Bildungssystems diskutiert.<ref>Heinz Sünker: ''Bildungspolitik, Bildung und soziale Gerechtigkeit PISA und die Folgen'' In: Hans-Uwe Otto, Thomas Rauschenbach (Hrsg.): ''Die andere Seite der Bildung.'' 2. Auflage. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, S. 223–236.</ref>
 
=== Dimensionen sozialer Gerechtigkeit ===
[[Lutz Leisering]] kommt nach Analyse der öffentlichen Diskussion über den deutschen [[Wohlfahrtsstaat]] zu dem Ergebnis, dass es vier Paradigmen sozialer Gerechtigkeit gebe:<ref name="lieb">[[Stefan Liebig]]: {{Webarchiv|url=http://www.das-parlament.de/2009/47/Beilage/001.html|wayback=20100121164754|text=''Dimensionen sozialer Gerechtigkeit.''}} In: ''Das Parlament.'' 47/2009.</ref>
 
# Bedarfsprinzip: der [[Staat]] hat die Aufgabe einer umfassenden Bedarfsabsicherung und [[Umverteilung]]
# Leistungsprinzip: hier steht Leistungsgerechtigkeit im Vordergrund, was geringe Eingriffe in die Marktverteilung und eine nur minimale Absicherung gegenüber unverschuldeten Notlagen bedeutet.
# Produktivistische Gerechtigkeit: die Zuweisung von Gütern oder Lasten erfolgt nach den für die Gesellschaft erbrachten Leistungen.
# Teilhabegerechtigkeit: diese soll eine gesellschaftliche Teilhabe im Sinne der rechtlichen Gleichstellung, sozialen Anerkennung und Beteiligung am sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben garantieren.
 
Bei materieller Ungleichheiten handelt es sich nicht notwendigerweise um soziale Ungerechtigkeiten, dies hängt von der zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellung ab. Einkommensungleichheiten sind nur dann ungerecht, wenn man soziale Gerechtigkeit als Ergebnisgleichheit versteht.<ref name="lieb" /> Nach Einschätzung Leiserings gewinnt das Paradigma der Teilhabegerechtigkeit in den aktuellen Debatten zunehmend an Bedeutung und löst das klassische, an den Ergebnissen der Verteilung ausgerichteten Verständnis sozialer Gerechtigkeit ab. Nach Einschätzung [[Stefan Liebig]]s werden die Fragen der Bedarfsgerechtigkeit im klassischen Sinne dadurch jedoch keineswegs obsolet. Der Schutz vor Marktversagen, die Absicherung vor nicht selbstverschuldeten Notlagen und die Sicherung eines bestimmten Mindestlebensstandards bleiben wichtige Forderungen. Im Unterschied zur Bedarfsabsicherung z.&nbsp;B. in Familien erfolgt eine derartige staatliche Ausfallbürgschaft nicht unbedingt, sondern es knüpfen sich daran auch Erwartungen an entsprechende Gegenleistungen.<ref name="lieb" />
 
Der französische Soziologe [[François Dubet]] geht von einer pluralen Theorie der Gerechtigkeit aus, die er in einer großangelegten Befragung von Erwerbstätigen ermittelt hat.<ref>François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008.</ref> Drei zentrale und widersprüchliche Prinzipien, die nicht aufeinander zurückführbar sind,
sind für seinen Gerechtigkeitsbegriff konstitutiv: Gleichheit, Leistung und Autonomie. Bei der „Gleichheit“ geht es nicht um [[Egalitarismus]], sondern um „Gleichheit als eine gerechte Ordnung“,<ref>François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 95.</ref> wobei Positionen in Gesellschaft und Arbeitsorganisation unter dem Gesichtspunkt einer gerechten [[Sozialer Status|Statushierarchie]] beurteilt werden. Dabei kann wiederum unterscheiden werden: zwischen einer Gleichheit der Positionen und einer der Startchancen. Die „Leistung“ als Gerechtigkeitsprinzip kommt in [[Meritokratie|meritokratischer]] Einstellung zur Geltung. Hierbei geht es den Befragten primär um die Angemessenheit der Entlohnung für ihre Leistung und ihr Engagement. „Autonomie“ steht als drittes Gerechtigkeitsprinzip im Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und Entfremdung. Das Autonomieprinzip beruht auf der Überzeugung, „einen eigenen Wert zu haben, eine Freiheit, die von den Arbeitsbedingungen bedroht wird“<ref>François Dubet Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 147.</ref> Für die Dimension der Autonomie nimmt der Beruf eine besondere Bedeutung ein, weil er dem Arbeiter Stolz und Würde, das Gefühl, nicht bloße Arbeitskraft zu sein, vermittel. Autonomieverlust und Entfremdung entsteht durch verschärfte Kontrolle der Arbeit durch Vorgesetzte; sie unterbindet Engagement und Initiative. Ihre Folgen sind Erschöpfung und Stress.
 
== Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in verschiedenen Sozialstaatsmodellen ==
Nach [[Wolfgang Merkel]]<ref>Wolfgang Merkel: ''Soziale Gerechtigkeit im OECD Vergleich.'' In: Empter/Varenkamp: ''Soziale Gerechtigkeit – eine Bestandsaufnahme.'' 2007, ISBN 978-3-89204-925-8, S. 233 ff.</ref> hat sich in der Gegenwart eine Aufteilung in „drei Welten des [[Wohlfahrtskapitalismus]]“ ergeben, die in der realen Welt zwar in Mischformen auftreten, sich aber doch durch charakteristische Strukturmerkmale deutlich voneinander unterscheiden lassen:
* „Marginales angelsächsisches Modell“ mit dem „selektiven [[Fürsorgeprinzip]]“ als Merkmal,
* „[[Sozialversicherung]]sstaat Kontinentaleuropas“ mit dem „[[Versicherungsprinzip]]“ als Merkmal und
* „Universalistisches Modell [[Skandinavien]]s“ mit der „steuerfinanzierten Staatsbürgerversorgung“ als Merkmal.
 
=== Deutschland ===
 
In der [[Deutschland|Bundesrepublik Deutschland]] wird ''soziale Gerechtigkeit'' als ideelles Ziel des aus dem [[Sozialstaat]]sgedanken des Artikel 20, Absatz 1 des [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|Grundgesetzes]] abgeleiteten Bestreben der [[Sozialpolitik]] angesehen. Dem Bürger soll eine existenzsichernde Teilhabe an den materiellen und geistigen Gütern der Gemeinschaft garantiert werden. Insbesondere wird auch angestrebt, eine angemessene Mindestsicherheit zur Führung eines selbst bestimmten Lebens in Würde und Selbstachtung zu gewährleisten.
 
Für die aus dem Sozialstaatsprinzip hergeleitete Verpflichtung des Staates zu einer ''gerechten Sozialordnung'' steht dem Gesetzgeber ein ''weiter Gestaltungsspielraum'' zu.<ref>Vgl. Beschluss des [[Bundesverfassungsgericht]]s vom 13. Januar 1982, [http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv059231.html BVerfGE 59, 231 – Freie Mitarbeiter].</ref>
 
Nach Angaben des Kinderhilfswerks [[UNICEF]] wächst die [[Kinderarmut in den Industrieländern|Kinderarmut]] in Deutschland schneller als in den meisten anderen Industriestaaten. Neben den [[PISA-Studien]] sehen auch andere international vergleichende Bildungsstudien (z.&nbsp;B. [[Euro-Student-Report]], UNICEF-Studie: ''Educational Disadvantage in Rich Nations'') Deutschland auf den hintersten Rängen bezüglich sozialer Gerechtigkeit.
 
Die [[Bertelsmann Stiftung]] veröffentlichte im Januar 2011 eine Studie, in der „Soziale Gerechtigkeit“ als [[Teilhabegerechtigkeit]] aufgefasst wird. Bei dieser geht es im Unterschied zu einer „gleichmachenden“ [[Verteilungsgerechtigkeit]] oder einer formalen [[Regelgerechtigkeit]] darum, „jedem Individuum tatsächlich gleiche Verwirklichungschancen durch die gezielte Investition in die Entwicklung individueller ‚Fähigkeiten‘ (capabilities) zu garantieren.“<ref>Zit. nach Bertelsmann Stiftung: [http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_33013_33014_2.pdf ''Soziale Gerechtigkeit in der OECD – Wo steht Deutschland? Sustainable Governance Indicators 2011''], 2011 (PDF, S. 10; 3,1&nbsp;MB). Abgerufen am 8.&nbsp;Januar 2011.</ref> Deutschland kommt dabei im [[OECD]]-Vergleich ins Mittelfeld. Besonders kritisiert wurden u.&nbsp;a. die hohe Kinderarmut, die starke soziale Benachteiligung im Bildungssystem, sowie eine unzureichende Förderung von Langzeitarbeitslosen.<ref>Bertelsmann Stiftung: [http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-98216010-B7D393FC/bst/hs.xsl/nachrichten_104942.htm ''Nachholbedarf in Sachen soziale Gerechtigkeit.''] Pressemitteilung, 3.&nbsp;Januar 2011. Abgerufen am 8.&nbsp;Januar 2011.</ref>
 
=== Internationale Aktivitäten ===
Der 20. Februar wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum ''Welttag der Sozialen Gerechtigkeit'' ernannt und 2009 zum ersten Mal begangen.<ref>''{{Webarchiv|url=http://www.un.org/esa/socdev/social/intldays/IntlJustice/launch10Feb09/index.html|wayback=20110310170525|text=Launch of the World Day of Social Justice, New York, 10 February 2009}}''. Auf der Website der UNO, abgerufen am 8. März 2010.</ref>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Theokratie}}
* {{WikipediaDE|Soziale Gerechtigkeit}}
* {{WikipediaDE|Liste von Theokratien}}


== Literatur ==
== Literatur ==
'''Zum Begriff Theokratie:'''
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* C. Blumenberg-Lampe: ''Das wirtschaftspolitische Programm der 'Freiburger Kreise.': Entwurf einer freiheitlich-sozialen Nachkriegswirtschaft.'' Berlin 1973.
'''Weitere Literatur:'''
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* Egon Boshof: ''Die Salier''. 4., aktualisierte Auflage, Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 2000.
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* François Dubet: ''Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz.'' Hamburger Edition, Hamburg 2008.
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* Thomas Ebert: ''Soziale Gerechtigkeit. Ideen – Geschichte – Kontroversen.'' Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, ISBN 978-3-8389-0088-9. {{Webarchiv | url=http://www.was-ist-soziale-gerechtigkeit.de/download/Soziale_Gerechtigkeit--Ideen-Geschichte-Kontroversen_20110510.pdf | wayback=20140223012348 | text=Inhaltsverzeichnis und Volltext}} (PDF-Datei; 2,3&nbsp;MB)
* Kevin Phillips: ''American Theocracy. The Peril and Politics of Radical Religion, Oil, and Borrowed Money in the 21st Century.'' Viking Books, 2006, ISBN 0-670-03486-X ([http://www.nytimes.com/2006/03/19/books/review/19brink.html?_r=1&incamp=article_popular&oref=slogin Rezension]; auch als Audiobuch erhältlich)
* Stefan Empter, Robert B. Vehrkamp (Hrsg.): ''Soziale Gerechtigkeit. Eine Bestandsaufnahme.'' Gemeinschaftsinitiative der Bertelsmann-Stiftung, Heinz Nixdorf Stiftung und Ludwig-Erhard-Stiftung, 2007, ISBN 978-3-89204-925-8.
* Claus Bernet: ''Gebaute Apokalypse. Die Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit''. Zabern, Mainz 2007, ISBN 978-3-8053-3706-9.
* Friedrich August von Hayek: ''Recht, Gesetz und Freiheit.'' Mohr, Tübingen 2003, ISBN 3-16-147878-9 (insbes. Tl. 2: ''Das Trugbild sozialer Gerechtigkeit'').
* Otfried Höffe: ''Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung.'' 3. Auflage. C.&nbsp;H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-44768-6, S. 84–92.
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* Hermann Kunst, Heinrich Tenhumberg (Hrsg.): ''Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung'' (=&nbsp;Entwicklung und Frieden – Dokumente, Berichte, Meinungen. Band 4). Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1976, ISBN 3-7867-0561-5.
* Matthias Möhring-Hesse: ''Die demokratische Ordnung der Verteilung. Eine Theorie der sozialen Gerechtigkeit.'' Campus, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37492-7.
* Rodney G. Peffer: ''Marxism, Morality, and Social Justice: Studies in Moral, Political, and Legal Philosophy''. University Press, Princeton 1990, ISBN 0-691-07789-4.
* Thomas Pogge: ''Gerechtigkeit in der Einen Welt'' (=&nbsp;Kultur in der Diskussion. Band 15). Klartext Verlag, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0153-7.
* John Rawls: ''Eine Theorie der Gerechtigkeit'' (Original: ''A Theory of Justice.'') 1971, ISBN 3-518-06737-0.
* Jörg Reitzig: ''Gesellschaftsvertrag, Gerechtigkeit, Arbeit.'' Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2005, ISBN 3-89691-611-4.
* Jörg Reitzig: ''„Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie.'' In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): ''Neoliberalismus: Analysen und Alternativen.'' VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146.
* Bernd Rüthers: ''Rechtstheorie.'' 4. Auflage. München 2008, S. 224–271.
* Andrea Wesenauer, Sarah Sebinger (Hrsg.): ''Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Gesundheitliche Versorgung und Gesundheitsförderung – eine Frage der sozialen Gerechtigkeit?'' Mabuse-Verlag, 2009, ISBN 978-3-940529-51-0.
* Arne Heise: ''Arbeitslosigkeit und Ungleichheit in verschiedenen Kapitalismusmodellen.'' In: ''Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik.'' Heft 4 (2006), 15. Jg., S. 273–289.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
* Papst Pius XI: [http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/319.html Enzyklika Quadragesimo Anno, ''über die Gesellschaftliche Ordnung.'' 1931]
* Mark Lilla: [http://www.nytimes.com/2007/08/19/magazine/19Religion-t.html?pagewanted=print ''The Politics of God''], New York Times, 19. August 2007 (umfangreicher, lesenswerter Essay; Auszug aus Lillas Buch ''The Stillborn God: Religion, Politics and the Modern West'', September 2007)
* [http://them.polylog.org/3/index-de.htm#fcs Soziale Gerechtigkeit. Stimmen aus dem Süden] (Positionen von Philosophen aus Ländern des Südens)
* [http://www.ekd.de/EKD-Texte/sozialwort/sozialinhalt.html „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“] Sozialwort der Kirchen (1997), insbesondere [http://www.ekd.de/EKD-Texte/sozialwort/sozial3.html#3.3.3 Abschnitt 3.3.3] mit dem Versuch einer Begriffsbestimmung.
* Wolfgang Merkel, Mirko Krück: [http://library.fes.de/fulltext/id/01706.htm ''Soziale Gerechtigkeit und Demokratie: auf der Suche nach dem Zusammenhang.''] Bonn 2003, ISBN 3-89892-229-4.
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* Ulrike Ackermann: [http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/signale/430953/ ''Die Welt ist keine Kinderstube.''] – Eine Kritik (Artikel beim [[Deutschlandfunk]]) am heutigen Konzept der sozialen Gerechtigkeit
* Brian Barry: [http://www.prokla.de/wp/wp-content/uploads/1995/Prokla99.pdf#page=82 Ist soziale Gerechtigkeit eine Illusion?] In: ''PROKLA.'' Heft 99, 25. Jg., 1995, Nr. 2, S. 235–243.
* Otfried Höffe: [http://www.nzz.ch/2005/06/04/li/articleCPK1M.print.html Soziale Gerechtigkeit. Über die Bedingungen realer Freiheit.] In: ''Neue Zürcher Zeitung.'' 4. Juni 2005
* Stefan Liebig: {{Webarchiv|url=http://www.das-parlament.de/2009/47/Beilage/001.html|wayback=20100121164754|text=''Dimensionen sozialer Gerechtigkeit.''}} In: ''Das Parlament.'' 47/2009.
* Winfried Löffler: [http://theol.uibk.ac.at/itl/416.html ''Soziale Gerechtigkeit. Wurzeln und Gegenwart eines Konzepts in der Christlichen Soziallehre.'']
* Wolfgang Merkel: [http://library.fes.de/pdf-files/akademie/online/06078.pdf ''Soziale Gerechtigkeit: Theorie und Wirklichkeit.''] (PDF-Datei der Online-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung; 99&nbsp;kB)
* Jörg Reitzig: [http://www.joerg-reitzig.de/download-Dateien/ABC_Soziale_Gerechtigkeit.pdf Soziale Gerechtigkeit] (PDF-Datei; 244&nbsp;kB) In: Brand/Lösch/Thimme (Hrsg.): ''ABC der Alternativen.'' VSA, Hamburg 2007, S. 214&nbsp;f.
* [[Viktor Vanberg]]: ''Marktwirtschaft und Gerechtigkeit. Zu F.A. Hayeks Kritik am Konzept der „sozialen Gerechtigkeit“.'' (= Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik. 05/11). [http://www.wipo.uni-freiburg.de/dateien/folder.2005-09-22.7023880203/folder.2005-09-22.7371202696/05_11bw.pdf (PDF)]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
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Version vom 24. Januar 2018, 11:30 Uhr

Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit bezieht sich auf gesellschaftliche Zustände, die hinsichtlich ihrer relativen Verteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen als fair oder gerecht bezeichnet werden können.[1] Was genau Inhalt und Maßstab dieser Form von Gerechtigkeit sei, ist aber seit jeher umstritten und vielschichtig.[2]

Als eigenständiger Ausdruck entstand „soziale Gerechtigkeit“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Sozialen Frage. Der Terminus geht auf das Werk Saggio teoretico di diritto naturale appoggiato sul fatto (1840–43) von Luigi Taparelli d’Azeglio zurück.[3][4] 1931 wurde er mit der Veröffentlichung der Enzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius XI. erstmals formell und offiziell in den Lehrmeinungen des Papstes verwendet. Soziale Gerechtigkeit wurde als regulatives Prinzip zur Lösung der Sozialen Frage herangezogen. Innerhalb der Enzyklika wurde der Begriff noch nicht mit völliger wissenschaftlicher Schärfe verwendet, so dass noch Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieb.[5]

Seit den 1970er Jahren hat die Diskussion über soziale Gerechtigkeit, insbesondere unter Bezugnahme auf den von John Rawls in A Theory of Justice vertretenen egalitären Liberalismus eine neue Bedeutung gewonnen. Als weiterer Vertreter dieser Richtung gilt Amartya Sen. An Rawls schloss unter anderem die Kritik durch Kommunitaristen wie Michael Walzer an. Auch im deutschsprachigen Raum wird soziale Gerechtigkeit seit den späten 1960er Jahren wieder zunehmend in der gesellschaftlichen Diskussion thematisiert.

Ideengeschichte

Die Grundlegung der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs erfolgte durch Aristoteles, diese wurde von Thomas von Aquin maßgeblich weiterentwickelt.[6] Bezüge zur sozialen Gerechtigkeit ließen sich laut Rolf Kramer bereits bei Aristoteles finden. Auf Grund der legalen Gerechtigkeit ist der Bürger ein Mitglied des Staates, das dem ganzen verpflichtet ist. Auch die partikulare Gerechtigkeit in Form der ausgleichenden Gerechtigkeit und insbesondere der austeilenden Gerechtigkeit hätten einen Bezug zur sozialen Gerechtigkeit.[7] Dagegen vertritt Arno Anzenbacher die Auffassung, dass soziale Gerechtigkeit sich innerhalb der Differenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs von Aristoteles nicht genau einordnen lasse.[6] Auch Christoph Giersch kommt zu dem Schluss, dass die Verhältnisbestimmung zu diesem klassischen Gerechtigkeitsverständnis uneinheitlich und unklar bleibe.[8]

Laut Otfried Höffe erscheint der Ausdruck ‚soziale Gerechtigkeit‘ in der Philosophie sehr spät und zudem „so beiläufig, daß sein erstes Auftreten kaum dingfest zu machen“ sei.[9] Die Vorstellung einer „sozialen Gerechtigkeit“ wurde erst gemeinsam mit der sozialen Frage in der Industriegesellschaft thematisiert. Zum Unterschied vom auf Aristoteles zurückgehenden Denkmodell, welches nur die Beziehung von Einzelpersonen untereinander (Verkehrsgerechtigkeit) oder zum Staat (verteilende und legale Gerechtigkeit) betraf, bezeichnete der Begriff soziale Gerechtigkeit auch jene Verhältnisse, als deren Subjekte und Objekte soziale Schichtungen und Strukturen gelten.

Soziale Gerechtigkeit umfasst nach Peter Koller sowohl distributive als auch korrektive, politische als auch kommutative Elemente.[10] Sie ist auch in folgenden Dimensionen beschrieben worden[11] (siehe auch Gerechtigkeitstheorien):

Konzeptualisierung und Kontroversen

Katholische Soziallehre

Der Terminus Soziale Gerechtigkeit bzw. Sozialgerechtigkeit, wie er in die Katholische Soziallehre Eingang fand, wurde im 19. Jh. vermutlich erstmals durch den Jesuiten Luigi Taparelli d’Azeglio geprägt.[12] In seinem fünfbändigen Werk zur Begründung des Naturrechts in der Tradition der rationalistischen Barockscholastik spricht Taparelli d’Azeglio von einer giustizia sociale,[13] in französischer Übersetzung justice [et droit] social[14] und in deutscher Übersetzung Socialgerechtigkeit.[15] Dieses Konzept beschreibt er als „Gerechtigkeit eines Menschen gegen den andern“ und bezieht es auf eine Gleichstellung jedes Menschen hinsichtlich der „Rechte der Menschheit im Allgemeinen“. Gleichwohl sucht Taparelli den naturgegebenen individuellen Unterschieden gerecht zu werden und postuliert: „[D]ie Handlungen eines Menschen werden also gerecht sein, wenn sie den verschiedenen individuellen Rechten seiner Mitmenschen angepasst sind“.[16] So müssten etwa empfangene Güter quantitativ („austauschende Gerechtigkeit“), im Falle einer eingegangenen Gütergemeinschaft proportional („vertheilende Gerechtigkeit“) ausgeglichen werden.[17] Letztere Termini entsprechen der Unterscheidung von Hinsichten der Gerechtigkeit insbesondere bei Thomas von Aquin und Aristoteles. Taparellis Naturrechtslehre und seine Begriffe von „Sozialwohl“ und „Sozialgerechtigkeit“ hatten für die spätere katholische Soziallehre beträchtlichen Einfluss u. a. über den direkten Schüler Taparellis, den späteren Papst Leo XIII., der die erste Sozialenzyklika, Rerum novarum, verfasste.[18]

Wenig später sprach auch der einflussreiche Antonio Rosmini, der, beeinflusst u. a. von Taparelli, die Tradition des Naturrechts auf die marktwirtschaftlichen Entwicklungen der Moderne bezog, von einer giustizia sociale, und zwar bereits im Titel seiner Muster-Staatsverfassung, Progetto di costituzione secondo la giustizia sociale,[19] ein Werk, das auch für einige Jahre indiziert wurde.

Hinsichtlich des Verhältnisses des Begriffs der Sozialen Gerechtigkeit zu Gerechtigkeitsformen, wie sie in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin unterschieden wurden, gab es mehrere Deutungen.[20] Zu den Rezipienten des Begriffs sozialer Gerechtigkeit zählen neben den bereits genannten auch Gustav Ermecke, Heinrich Pesch, Eberhard Welty, Johannes Messner und Oswald von Nell-Breuning. Dabei wurde zumeist der Bezug auf das Gemeinwohl (bonum commune) besonders betont.[21]

Im Vorfeld des Ersten Vatikanischen Konzils wurde der Terminus Sozialgerechtigkeit kontrovers diskutiert und dabei auch mit durch das Lehramt verurteilten, als „Modernismus“ bezeichneten Auffassungen in Verbindung gebracht.[22]

In der Enzyklika Quadragesimo anno (1931) von Papst Pius XI. griff das päpstliche Lehramt den Begriff erstmals auf.[23] Oswald von Nell-Breuning erklärte als einer der Mitwirkenden an der Enzyklika, dass der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit innerhalb der Enzyklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt sei, da „die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerungen im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mu[ss]te“. Die „Großtat“ von Pius XI. bestand nach seiner Ansicht darin, Soziale Gerechtigkeit „geradezu zum Kernstück seines Weltrundschreibens“ gemacht zu haben. Dadurch wurde nach Ansicht von Franz-Josef Bormann Soziale Gerechtigkeit eines bloßen Schlagwortcharakters entkleidet und damit gegen ideologischen Missbrauch immunisiert.

Die Konturen des Begriffes blieben in der Enzyklika aber so vage, dass Raum für unterschiedliche Akzentsetzungen blieben, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zu den traditionellen Gerechtigkeitsformen.[24] Dabei haben sich drei Deutungen herausgebildet. Nach einer Ansicht ist Soziale Gerechtigkeit innerhalb des Gerechtigkeitsverständnisses von Thomas von Aquin in der Gemeinwohlgerechtigkeit zu verorten. Nach anderer Ansicht steht Soziale Gerechtigkeit (iustitia socialis) außerhalb des Gerechtigkeitsdreiecks Regelgerechtigkeit (iustitia legalis), Tauschgerechtigkeit (iustitia commutativa) und der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) als gleichrangige 4. Gerechtigkeitsart bzw. nach dritter Ansicht als integrativer übergeordneter Oberbegriff.[25][26][27] Auch gut siebzig Jahre nach der Quadragesimo anno werden alle drei Deutungen weiter vertreten.[8]

In Quadragesimo anno wird Soziale Gerechtigkeit als regulatives Prinzip zur Lösung der Sozialen Frage herangezogen und dies durch zwei wesentliche Argumentationslinien begründet:

  1. Die Lohngerechtigkeit umfasst als Untergrenze das Existenzminimum des Einzelnen Arbeiters und als Obergrenze die Lebensfähigkeit des Unternehmens. Die Soziale Gerechtigkeit als Gemeinwohlgerechtigkeit erfordere eine angemessene Beteiligung der Arbeiter am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand, wobei sich die Lohnhöhe auch daran orientieren muss, dass möglichst viele eine Arbeitsgelegenheit bekommen können.[28]
  2. Weiterhin wird die Vorstellung, der Staat habe die Wirtschaft frei und ungehindert sich selbst zu überlassen, als „Grundirrtum der individualistischen Wirtschaftswissenschaft“ kritisiert. Um die Einseitigkeit einer solchen Sichtweise zu überwinden, sei die soziale Gerechtigkeit und die soziale Liebe als durchgreifendes regulatives Prinzip notwendig. Dadurch soll die Individualfunktion und die Sozialfunktion der Wirtschaft in einen harmonischen Ausgleich gebracht werden. Die soziale Gerechtigkeit müsse eine Rechts- und Gesellschaftsordnung herbeiführen, die der Wirtschaft „ganz und gar das Gepräge gibt“. Es obliege demnach der sittlichen Vernunft, „das von Gott, dem Schöpfer, der Wirtschaft als Ganzem vorgesteckte Ziel“ zu bestimmen, während sich die ökonomische Rationalität darauf beschränkt, geeignete Mittel zu finden.[23]

Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft wurde sowohl von der katholischen Soziallehre als auch der evangelischen Sozialethik beeinflusst.[29] Die "Gründerväter" der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft beriefen sich auf Motive und Quellen theologischer Sozialethik.

Wilhelm Röpke, einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, sah eine Nähe zur katholischen Soziallehre insbesondere mit Bezug zu Quadragesimo anno, die ein „vollkommen mit unserem Standpunkt sich deckendes Programm“ enthält.[30]

Soziale Gerechtigkeit aus marxistischer Sicht

Als eine materialistische Philosophie der Praxis nimmt der Marxismus gegenüber ethischen Postulaten ein kritisches Verhältnis ein. Es ist von einem „vielschichtigen Gerechtigkeitsverständnis von Marx und Engels“ auszugehen.[31] Sie lehnten „die Existenz einer ahistorischen und transzendentalen, also absoluten Gerechtigkeit radikal ab“.[32] Wenn Marx den Kapitalismus als ein System des Zwangs, der Knechtschaft und der Ausbeutung beschreibt, so ist doch nirgends von Ungerechtigkeit des Kapitalismus oder der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse die Rede; gerecht ist ihm zufolge, was der „gegebenen Produktionsweise entspricht“,[33] selbst wenn dem – wie bei der Lohnarbeit – die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft zugrunde liegt. Gleichwohl hat Marx in der Kritik des Gothaer Programms der SPD gesellschaftliche Gerechtigkeitsprinzipien für die klassenlose Gesellschaft formuliert, die Andreas Wildt als „Prinzipien kommunistischer Gerechtigkeit“ bezeichnet.[34] Ihnen zufolge kann in der „kommunistischen Gesellschaft […] der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“[35] In den Frühschriften von Marx findet sich als „kategorischer Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.[36] Unter den späteren Marxisten hat vornehmlich Ernst Bloch mit seinem Werk Naturrecht und menschliche Würde (1961) „eine eigene, genuin marxistische Gerechtigkeitstheorie“ formuliert.[37] Der patriarchalischen und gönnerischen „Gerechtigkeit von oben“ setzte er eine aus den Forderungen sozialer Bewegungen hervorgehende „Gerechtigkeit von unten“ entgegen, die sich beispielsweise in Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit niedergeschlagen habe.[38]

Friedrich Nietzsche

Friedrich Nietzsche sieht den Ursprung der Gerechtigkeit im Charakter des Tausches unter ungefähr gleich Mächtigen: „Jeder stellt den anderen zufrieden, indem er bekommt, was er mehr schätzt als der andere. Man gibt jedem, was er haben will, als das nunmehr Seinige, und empfängt dafür das Gewünschte.“ Auch Rache ist ein Austausch und „gehört ursprünglich […] in den Bereich der Gerechtigkeit“.[39] An anderer Stelle meint er, die ganze Vergangenheit der alten Cultur sei auf Gewalt, Sklaverei, Betrug, Irrtum aufgebaut. In uns Menschen stecke diese ungerechte Gesinnung, auch in den Seelen der Nicht-Besitzenden. Nicht gewaltsame neue Verteilungen, wie sie die Sozialisten anstreben, sondern langsame Umschaffungen des Sinnes tue not. Die Gerechtigkeit müsse in allen größer werden, der gewalttätige Instinkt schwächer.[40]

John Rawls

John Rawls bezeichnet Gerechtigkeit als „erste Tugend sozialer Institutionen“, er fasst also den Gerechtigkeitsbegriff bereits im Ansatz in seiner sozialen Dimension.[41] Gerechtigkeit ist für Rawls insofern per se auch soziale Gerechtigkeit und nicht nur eine Disposition von Individuen. Bezugspunkt ist dabei das Resultat einer gerechten Sozialordnung, was sich insbesondere auf die Verteilung der Güter bezieht sowie auf einen Ausgleich unter den Teilhabern. Rawls geht davon aus, dass Menschen, die Disposition besitzen bzw. erwerben, ihr persönliches Streben nach Glück mit einem Gerechtigkeitssinn zu überwölben. Eine überzeugende Theorie der Gerechtigkeit müsse das Glück der am schlechtesten gestellten Personen berücksichtigen. Auch die Benachteiligsten müssten den Prinzipien einer gerechten sozialen Ordnung zustimmen können. Eine solche Ordnung skizziert Rawls in einem hypothetischen Gesellschaftsvertrag. Jede Person weiß in diesem Gedankenexperiment zunächst nicht, welche Güter und Rechte ihr schlussendlich zugeteilt werden, welche soziale Stellung sie einnehmen wird – sie steht unter einem „Schleier der Ungewissheit“. Dabei würde jeder vermeiden wollen, dass „ihm sein Feind einen Platz zuweisen kann“, und deshalb werde diejenige Alternative bevorzugt, „deren schlechtmöglichstes Ergebnis besser ist, als das jeder anderen“ (Maximin-Regel).[42] Schlussendlich müssten sich nach Rawls die Vertragspartner nicht auf z. B. strikt egalitäre, libertaristische oder utilitaristische Prinzipien einigen, sondern zwei Gerechtigkeitsprinzipien, die Rawls auch kurz als Gleichheits- und Differenzprinzip bezeichnet:

  1. Jeder ist gleichermaßen im Besitz unveräußerlicher Grundfreiheiten (Freiheit, Leben, Eigentum usw.)
  2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist nur zulässig, wenn sie sich zumindest auch für die am wenigsten Begüterten in der Gemeinschaft zum Vorteil auswirkt und wenn solche Ungleichheiten verbunden sind mit Ämtern (engl. offices) und Positionen, die allen gemäß fairer Chancengleichheit (engl. under conditions of fair equality of opportunity) offenstehen.[43]

Dabei haben die Grundfreiheiten (gemäß dem Gleichheitsprinzip 1.) einen Vorrang (gegenüber Ungleichverteilungen, wie sie durch 2. begrenzt zulässig werden). Grundfreiheiten dürfen nur eingeschränkt werden, wenn geringere Freiheit das Gesamtsystem der Freiheiten für alle stärkt und für die Betroffenen annehmbar ist. Beide Gerechtigkeitsprinzipien (1. und 2.) haben nach Rawls einen Vorrang gegenüber Leistungsfähigkeit und Nutzenmaximierung, wonach jede Chancen-Ungleichheit die Chancen Benachteiligter verbessern muss und eine hohe Sparrate eine Milderung der Last der Betroffenen zur Folge haben muss.[44] In einem frühen Aufsatz[45] hatte Rawls das Differenzprinzip in der Fassung formuliert, dass die „sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten so zu verteilen“ seien, „dass sie sowohl (a) vermutlich zu jedermanns Vorteil sind und (b) Positionen und Ämtern zukommen, die allen gleichermaßen offen stehen“. Beide Klauseln (a und b) lassen aber, so Rawls, verschiedene Interpretationen zu:

  1. im Sinne eines Systems der natürlichen Freiheit (bzw. „formalen Chancengleichheit“), wo (a) als pareto-optimierendes Effizienzprinzip etwa gemäß der Wohlfahrtsökonomie verstanden wird, so dass durch Umverteilung keiner besser zu stellen wäre, wobei (zu b) „Begabten alle Laufbahnen offen stehen“, aber „keine Bemühungen darum“ vorgesehen sind, „Gleichheit […] zu bewahren“ - Ungleichheiten durch „natürliche und gesellschaftliche Zufälligkeiten“ werden akzeptiert.
  2. im Sinne eines „Systems der liberalen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengleichheit“) werde versucht „den Einfluss sozialer Zufälligkeiten auf die Verteilung der Anteile abzuschwächen“. Positionen sollen „nicht nur im formalen Sinne offen stehen sollten“; ebenfalls sollen alle „auch eine faire Chance haben […], sie zu erreichen“. Die „Ausgangsposition innerhalb des sozialen Systems“, etwa durch jene „Klasse, in die sie hineingeboren wurden“, dürfe dem nicht im Wege stehen. Allerdings bleibt „die resultierende Besitz- und Einkommensverteilung entsprechend der natürlichen Verteilung von Fähigkeiten und Begabungen“, es entscheidet also eine „natürliche Lotterie“ über die Anteilsverteilung.[46]
  3. im „System der natürlichen Aristokratie“ (bzw. „formalen Chancengerechtigkeit“, wie etwa bei Burke oder Rousseau) wird zwar die „natürliche Lotterie“ ausgeglichen, aber „kein Versuch unternommen, die Wirkungen sozialer Zufälligkeiten zu steuern, der über die Erfordernisse der formalen Chancengleichheit hinausgeht“.
  4. erst im „System der demokratischen Gleichheit“ (bzw. „fairen Chancengerechtigkeit“), für das Rawls plädiert, wird die Anteilsverteilung „weder durch gesellschaftliche Zufälligkeiten noch durch die Lotterie der natürlichen Vorzüge auf unangemessene Weise beeinflusst“, was auch „auf die Dauer und über Generationen hinweg“ sicherzustellen ist. Gemäß dem Differenzprinzip würde hier „faire Chancengerechtigkeit“ ggf. auch ohne Chancengleichheit bestehen.

Amartya Sen

Der Ökonom Amartya Sen und die Sozialphilosophin Martha Nussbaum haben den Befähigungsansatz entwickelt, der im Hinblick auf die Gerechtigkeit von Entwicklungs-, Geschlechter- und Sozialpolitik diskutiert wird.[47] Darin wird dem Thema der sozialen Gerechtigkeit die Frage zugrunde gelegt, was ein Mensch für Befähigungen benötigt, um sein Leben erfolgreich zu gestalten. Die Vertreter dieser Theorie verbinden die Idee der Sozialen Gerechtigkeit mit einem gehaltvollen Freiheitsbegriff. Zentrale Themen sind dabei etwa die Gesundheitsversorgung oder Bildungschancen unterprivilegierter Bevölkerungsschichten.[48]

Walter Eucken

Die durch Walter Eucken begründete Ordnungspolitik verortet die Gerechtigkeitsproblematik nicht mehr in den Tauschakten, sondern verlagert sie in die Rahmenordnung für den Wirtschaftsprozess. Durch die Wettbewerbsordnung sollen „zentrale moralische Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden verwirklicht werden“.[49] Nach Hans G. Nutzinger erkennt Eucken „nicht nur die Sinnhaftigkeit eines über die Tauschgerechtigkeit hinausgehenden Konzeptes von sozialer Gerechtigkeit an, er sieht den Hauptteil der Lösung des Gerechtigkeitsproblems gerade durch die geeignete ordnungspolitische Gestaltung des Wettbewerbsprozesses gesichert“[50] und befürwortet darüber hinaus auch korrigierende Eingriffe in die Einkommensverteilung und Vermögensverteilung.

Friedrich August von Hayek

Als ein inhaltsleeres Schlagwort wertete Friedrich August von Hayek „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit von 1976, das nach Einschätzung von Otfried Höffe das erste größere philosophische Werk zu diesem Thema ist.[51] Die Aufmerksamkeit, die Hayeks Kritik in der sozialwissenschaftlichen Literatur gefunden hat, konzentriert sich zumeist auf seine Ablehnung der Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit.[52] An eine Marktwirtschaft, so Hayek, können keine moralischen Maßstäbe wie soziale Gerechtigkeit angelegt werden,[53] da in einer Marktwirtschaft niemand Einkommen verteile. Es gebe für die Ergebnisse des Marktprozesses keine Kriterien, an denen sich eine gerechte Verteilung messen ließe. Ein solcher Gerechtigkeitsmaßstab sei nur in einer Zentralverwaltungswirtschaft sinnvoll anwendbar, in der eine zentrale Autorität die Verteilung von Gütern und Pflichten anordnet, was jedoch, so Hayek, auf eine totalitäre Gesamtkontrolle der Gesellschaft und eine Lähmung der wirtschaftlichen Prozesse hinausliefe.[54] Aber auch in einer solchen Wirtschaftsordnung könne nur irgendeine bestimmte Vorstellung von „sozialer Gerechtigkeit“ durchgesetzt und wohl kaum ein übergreifender Konsens zur „sozial gerechten“ Verteilung erzielt werden.[55] Der Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ gehöre daher, so Hayek, „in die Kategorie des [..] Unsinns“.[53] Würden im Namen der „sozialen Gerechtigkeit“ Staatseingriffe gefordert, so geschehe dies meist, um Privilegien bestimmter Gruppen oder Personen durchzusetzen. Privilegienfreiheit sei jedoch Kernanforderung für eine gerechte Regelordnung.[55] Nothilfe hingegen sei mindestens dort politisch zu organisieren, wo die autonome Initiative versage; in prosperierenden Gesellschaften lägen derartige Hilfen legitimerweise oberhalb des physischen Existenzminimums. Hayek betont, dass es dabei nicht um die Korrektur von vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Marktprozesse gehe.[56]

Michael Walzer

Der US-amerikanische politische Philosoph Michael Walzer geht davon aus, dass in der menschlichen Gesellschaft Güter produziert und in unterschiedlichen sozialen Kontexten (sog. „Sphären“) nach unterschiedlichen Prinzipien, z. B. nach Verdienst, Bedürftigkeit oder freiem Austausch, verteilt werden.[57] Dabei würde eine universale und abstrakte Gerechtigkeit den unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen zur Produktion verschiedene „Güter“ nicht gerecht. Als unterschiedliche soziale Kontexte identifiziert er unter anderem „Sphären“ zur Verwirklichung von Wohlfahrt und Sicherheit, Geld und Waren, Bildung, politischer Macht, Gemeinschaft, Verwandtschaft und Liebe und so weiter. In der Gesellschaft würden sich in diesen unterschiedlichen „Sphären der Gerechtigkeit“ (so der Titel seines Buches von 1983) verschiedene Ausprägungen der Gerechtigkeit und insgesamt eine „komplexe“ Gleichheitsvorstellung entwickeln. Demnach kann es gerecht sein, im Gesundheitssystem Leistungen nach Bedürftigkeit und im Wirtschaftssystem Leistungen nach Verdienst zu verteilen.

Wolfgang Merkel und Mirko Krück

Eine Arbeitsgruppe im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung[58] entwickelte aus vier zeitgenössischen Gerechtigkeitstheorien (F. A. von Hayek, John Rawls, Michael Walzer und Amartya Sen) als „Prinzipien“ für „soziale Gerechtigkeit“

  • die Gleichverteilung der Zugangsmöglichkeiten zu den notwendigen Grundgütern für die individuell zu entscheidende Entfaltung von Lebenschancen und
  • die Stärkung der individuellen Fähigkeiten, die persönliche Autonomie, Würde, Entscheidungsfreiheit, Lebenschancen und Optionsvielfalt schützen, sichern und erweitern.

Aus diesen beiden Prinzipien werden fünf Dimensionen „sozialer Gerechtigkeit“ abgeleitet:

  1. Vermeidung von Armut
  2. Soziale Chancen durch Bildung
  3. Soziale Chancen durch einen integrativen Markt (Beschäftigungsquote, angemessene Einkommensverteilung)
  4. Berücksichtigung der besonderen Rolle der Frau
  5. Soziale Sicherung (Gesundheits- und Sozialausgaben im Verhältnis zum Sozialprodukt)

Dieses Verständnis sozialer Gerechtigkeit ist stark auf die gerechte (hier: gleiche) Verteilung von Zugangschancen gerichtet. Nachträgliche Umverteilungen durch passive sozialstaatliche Maßnahmen seien weniger geeignet, Klassenstrukturen zu brechen, Lebenschancen zu erweitern und Armutsfallen zu vermeiden. Trete trotzdem Armut auf, sei sie allerdings durch Ex-Post-Umverteilung mit hoher politischer Präferenz zu bekämpfen, da Armut die individuelle Autonomie und Würde des Menschen beschädigt und zu einer Falle für die nachfolgenden Generationen in armen Familien werden kann.

James Buchanan

Die 1985 von James M. Buchanan zusammen mit Geoffrey Brennan veröffentlichte Theorie sozialer Gerechtigkeit konzentriert sich stärker noch als Rawls auf Regelgerechtigkeit. Maßstab für Gerechtigkeit seien weder in ethischen Instanzen noch in Verteilungsprofilen, sondern ausschließlich im Verfahren der Verfassungsgebung und Verfassungsentwicklung. Handlungen sind demnach gerecht, wenn sie Regeln folgen, die wiederum höheren Regeln entsprechen; die Regelhierarchie führt letztlich zur „Verfassung“, in der die „berechtigten Erwartungen“ der Individuen innerhalb einer Gesellschaft per Konsens festlegt sind.[59]

Kontroversen

Ein Streitpunkt ist die Frage der Universalität oder Gemeinschaftsgebundenheit von Gerechtigkeitsvorstellungen. Während Rawls von allgemeingültigen Bedingungen für gerechte Gesellschaften ausgeht, die sich vor allem in fairen Verfahren niederschlagen, sind eher kommunitaristisch orientierte Philosophen wie Walzer der Auffassung, dass Gerechtigkeitsvorstellungen oft implizit und an lokale Gemeinschaften gebunden sind.[60] Insbesondere im Kontext von Handelsliberalisierung und der Zunahme grenzüberschreitender Wirtschaftsbeziehungen haben diese Fragen eine besondere Brisanz erhalten.[61] Hier geht es darum auszuloten, inwiefern sich die philosophischen und sozialen Grundlagen globaler sozialer Gerechtigkeit als tragfähig erweisen, um nationale Vergemeinschaftung und Solidarität ergänzen oder gar ersetzen zu können.

Eine weitere Kontroverse besteht in dem Zusammenhang zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Der liberale politische Philosoph Isaiah Berlin, der Freiheit vor allem als negative Freiheit bestimmt, betont die schweren Entscheidungen (hard choices) zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.[62] Andere Theoretiker, die eher in einer republikanischen Tradition stehen, wie Amartya Sen, heben hervor, dass soziale Gerechtigkeit im Sinne von Chancengleichheit und Befähigung als Voraussetzung für eine gehaltvolle individuelle Freiheitsausübung gelten muss.[63]

Nach Harald Jung hatte Hayek die „Illusion sozialer Gerechtigkeit“ vor dem Hintergrund einer eindimensionalen, historischen Fassung von Gerechtigkeit angegriffen. Anders als Hayek in seinem sozialstaatskritischen Plädoyer Der Weg zur Knechtschaft von 1944 annähme, liege der Ursprung des Begriffs Soziale Gerechtigkeit nicht in „sozialistischen Utopien“ der „Sozialisten in allen Parteien“, sondern in einem auf Aristoteles zurückgehenden mehrdimensionalen Gerechtigkeitsverständnis, auf das etwa Emil Brunner als Abendländische Gerechtigkeitsidee bezug nahm.[64] Der Sozialwissenschaftler Jörg Reitzig verortet Hayeks Kritik am Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ in einem generellen Angriff neoliberaler Theoriebildung gegen das Konzept der sozialen Gerechtigkeit.[65] Für den Soziologen Albert Hirschman stellt der diskursive Ausschluss der Möglichkeit von sozialer Gerechtigkeit ein Hauptelement der von ihm so bezeichneten „Rhetorik der Reaktion“ dar.[66]

Verwendung des Begriffs in der politischen Diskussion

Der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit wird innerhalb öffentlicher Debatten zwar sehr häufig verwendet, aber selten exakt definiert.[67] Politische Entscheidungsträger erzeugen und vertreten bestimmte Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit.[68] Der Begriff ist meist positiv besetzt, bei politischen Auseinandersetzungen beanspruchen daher die Vertreter unterschiedlicher und selbst widersprüchlicher Positionen das Etikett sozial gerecht für sich. Entsprechend dient die Etikettierung einer Position als sozial ungerecht der Disqualifizierung missliebiger Positionen.[69] Der Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ liege nach Ansicht von Rolf Kramer oft nicht der Wille zur Gerechtigkeit, sondern zu einer Umverteilung, zu einer besseren und gerechteren Verteilung der Güter zugrunde.[70]

Verwendung in Deutschland

Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich bereits im Deutschen Reich in der Zeit der Weimarer Republik (1918 bis 1933) und wurde z. B. von der Deutschen Zentrumspartei zum politischen Ziel erklärt.[71] Mit der Weimarer Reichsverfassung vom 19. Juli 1919 wurden im fünften Abschnitt, der das Wirtschaftsleben regelte, erstmals weitgehende „soziale Rechte“ in einer Verfassung verankert. Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ etablierte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland[72] in der Form des Sozialstaatspostulates das, zusätzlich durch die Ewigkeitsklausel von Verfassungsänderungen ausgenommen, einen „sozialen Bundesstaat“ sowie einen „sozialen Rechtsstaat“ festschreibt.

Soziale Gerechtigkeit gehört laut der Konrad-Adenauer-Stiftung zu den Grundwerten im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft.[73] Soziale Gerechtigkeit ist laut Umfragen ein wichtiger Wert für die Bevölkerung und auch öffentliches Thema in Debatten zum Gemeinwesen.[74]

In der politischen Diskussion in Deutschland wird der Begriff seit der Agenda 2010 und den Hartz-IV-Gesetzen wieder vermehrt verwendet und steht in der sozialstaatlichen Diskussion unter anderem für den Wunsch nach einem höheren Maß an sozialer Gleichheit und sozialer Sicherung. Aktuell taucht der Begriff auch z. B. in der Diskussion um die ungleicher werdende Einkommensverteilung und die Bankenrettungspakete auf. Während die Kritiker dieser Entwicklung als Folge eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit sehen, wird von einigen Befürwortern diese Kritik als „Neiddebatte“ bezeichnet und zurückgewiesen. Die Begriffsverwendung führt dadurch auch zu einer politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien entsprechend der Rechts-links-Achse des Parteiensystems.[72] Seit den Ergebnissen der PISA-Studien, die gezeigt haben, dass in Deutschland die soziale Herkunft sich oft entscheidend auf die Bildungschancen auswirkt, wird insbesondere auch die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit des Bildungssystems diskutiert.[75]

Dimensionen sozialer Gerechtigkeit

Lutz Leisering kommt nach Analyse der öffentlichen Diskussion über den deutschen Wohlfahrtsstaat zu dem Ergebnis, dass es vier Paradigmen sozialer Gerechtigkeit gebe:[76]

  1. Bedarfsprinzip: der Staat hat die Aufgabe einer umfassenden Bedarfsabsicherung und Umverteilung
  2. Leistungsprinzip: hier steht Leistungsgerechtigkeit im Vordergrund, was geringe Eingriffe in die Marktverteilung und eine nur minimale Absicherung gegenüber unverschuldeten Notlagen bedeutet.
  3. Produktivistische Gerechtigkeit: die Zuweisung von Gütern oder Lasten erfolgt nach den für die Gesellschaft erbrachten Leistungen.
  4. Teilhabegerechtigkeit: diese soll eine gesellschaftliche Teilhabe im Sinne der rechtlichen Gleichstellung, sozialen Anerkennung und Beteiligung am sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben garantieren.

Bei materieller Ungleichheiten handelt es sich nicht notwendigerweise um soziale Ungerechtigkeiten, dies hängt von der zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellung ab. Einkommensungleichheiten sind nur dann ungerecht, wenn man soziale Gerechtigkeit als Ergebnisgleichheit versteht.[76] Nach Einschätzung Leiserings gewinnt das Paradigma der Teilhabegerechtigkeit in den aktuellen Debatten zunehmend an Bedeutung und löst das klassische, an den Ergebnissen der Verteilung ausgerichteten Verständnis sozialer Gerechtigkeit ab. Nach Einschätzung Stefan Liebigs werden die Fragen der Bedarfsgerechtigkeit im klassischen Sinne dadurch jedoch keineswegs obsolet. Der Schutz vor Marktversagen, die Absicherung vor nicht selbstverschuldeten Notlagen und die Sicherung eines bestimmten Mindestlebensstandards bleiben wichtige Forderungen. Im Unterschied zur Bedarfsabsicherung z. B. in Familien erfolgt eine derartige staatliche Ausfallbürgschaft nicht unbedingt, sondern es knüpfen sich daran auch Erwartungen an entsprechende Gegenleistungen.[76]

Der französische Soziologe François Dubet geht von einer pluralen Theorie der Gerechtigkeit aus, die er in einer großangelegten Befragung von Erwerbstätigen ermittelt hat.[77] Drei zentrale und widersprüchliche Prinzipien, die nicht aufeinander zurückführbar sind, sind für seinen Gerechtigkeitsbegriff konstitutiv: Gleichheit, Leistung und Autonomie. Bei der „Gleichheit“ geht es nicht um Egalitarismus, sondern um „Gleichheit als eine gerechte Ordnung“,[78] wobei Positionen in Gesellschaft und Arbeitsorganisation unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Statushierarchie beurteilt werden. Dabei kann wiederum unterscheiden werden: zwischen einer Gleichheit der Positionen und einer der Startchancen. Die „Leistung“ als Gerechtigkeitsprinzip kommt in meritokratischer Einstellung zur Geltung. Hierbei geht es den Befragten primär um die Angemessenheit der Entlohnung für ihre Leistung und ihr Engagement. „Autonomie“ steht als drittes Gerechtigkeitsprinzip im Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und Entfremdung. Das Autonomieprinzip beruht auf der Überzeugung, „einen eigenen Wert zu haben, eine Freiheit, die von den Arbeitsbedingungen bedroht wird“[79] Für die Dimension der Autonomie nimmt der Beruf eine besondere Bedeutung ein, weil er dem Arbeiter Stolz und Würde, das Gefühl, nicht bloße Arbeitskraft zu sein, vermittel. Autonomieverlust und Entfremdung entsteht durch verschärfte Kontrolle der Arbeit durch Vorgesetzte; sie unterbindet Engagement und Initiative. Ihre Folgen sind Erschöpfung und Stress.

Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in verschiedenen Sozialstaatsmodellen

Nach Wolfgang Merkel[80] hat sich in der Gegenwart eine Aufteilung in „drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ ergeben, die in der realen Welt zwar in Mischformen auftreten, sich aber doch durch charakteristische Strukturmerkmale deutlich voneinander unterscheiden lassen:

Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland wird soziale Gerechtigkeit als ideelles Ziel des aus dem Sozialstaatsgedanken des Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes abgeleiteten Bestreben der Sozialpolitik angesehen. Dem Bürger soll eine existenzsichernde Teilhabe an den materiellen und geistigen Gütern der Gemeinschaft garantiert werden. Insbesondere wird auch angestrebt, eine angemessene Mindestsicherheit zur Führung eines selbst bestimmten Lebens in Würde und Selbstachtung zu gewährleisten.

Für die aus dem Sozialstaatsprinzip hergeleitete Verpflichtung des Staates zu einer gerechten Sozialordnung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu.[81]

Nach Angaben des Kinderhilfswerks UNICEF wächst die Kinderarmut in Deutschland schneller als in den meisten anderen Industriestaaten. Neben den PISA-Studien sehen auch andere international vergleichende Bildungsstudien (z. B. Euro-Student-Report, UNICEF-Studie: Educational Disadvantage in Rich Nations) Deutschland auf den hintersten Rängen bezüglich sozialer Gerechtigkeit.

Die Bertelsmann Stiftung veröffentlichte im Januar 2011 eine Studie, in der „Soziale Gerechtigkeit“ als Teilhabegerechtigkeit aufgefasst wird. Bei dieser geht es im Unterschied zu einer „gleichmachenden“ Verteilungsgerechtigkeit oder einer formalen Regelgerechtigkeit darum, „jedem Individuum tatsächlich gleiche Verwirklichungschancen durch die gezielte Investition in die Entwicklung individueller ‚Fähigkeiten‘ (capabilities) zu garantieren.“[82] Deutschland kommt dabei im OECD-Vergleich ins Mittelfeld. Besonders kritisiert wurden u. a. die hohe Kinderarmut, die starke soziale Benachteiligung im Bildungssystem, sowie eine unzureichende Förderung von Langzeitarbeitslosen.[83]

Internationale Aktivitäten

Der 20. Februar wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Welttag der Sozialen Gerechtigkeit ernannt und 2009 zum ersten Mal begangen.[84]

Siehe auch

Literatur

  • Anthony Barnes Atkinson: Social Justice and Public Policy. MIT Press, 1983.
  • Brian Barry: Why Social Justice Matters. Polity Press, 2005.
  • Irene Becker, Richard Hauser: Soziale Gerechtigkeit – ein magisches Viereck. Zieldimensionen, Politikanalysen und empirische Befunde. edition sigma, Berlin 2009, ISBN 978-3-8360-8704-9.
  • C. Blumenberg-Lampe: Das wirtschaftspolitische Programm der 'Freiburger Kreise.': Entwurf einer freiheitlich-sozialen Nachkriegswirtschaft. Berlin 1973.
  • Monica Budowski, Michael Nollert (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeiten. Seismo Verlag, Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen, Zürich 2008, ISBN 978-3-03777-051-1.
  • María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan (Hrsg.): Soziale (Un)gerechtigkeit. Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung. Lit Verlag, Münster u. a. 2011, ISBN 978-3-8258-1192-1.
  • Andreas Dorschel: Ist soziale Gerechtigkeit ein 'sinnloser' Begriff? Zu einer These Friedrich August von Hayeks. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie. XIII (1988), Nr. 1, S. 4–13.
  • François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition, Hamburg 2008.
  • Thomas Ebert: Soziale Gerechtigkeit. Ideen – Geschichte – Kontroversen. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, ISBN 978-3-8389-0088-9. Inhaltsverzeichnis und Volltext (Memento vom 23. Februar 2014 im Internet Archive) (PDF-Datei; 2,3 MB)
  • Stefan Empter, Robert B. Vehrkamp (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit. Eine Bestandsaufnahme. Gemeinschaftsinitiative der Bertelsmann-Stiftung, Heinz Nixdorf Stiftung und Ludwig-Erhard-Stiftung, 2007, ISBN 978-3-89204-925-8.
  • Friedrich August von Hayek: Recht, Gesetz und Freiheit. Mohr, Tübingen 2003, ISBN 3-16-147878-9 (insbes. Tl. 2: Das Trugbild sozialer Gerechtigkeit).
  • Otfried Höffe: Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung. 3. Auflage. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-44768-6, S. 84–92.
  • Christoph Horn, Nico Scarano (Hrsg.): Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-29163-7.
  • Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und Weltliche Ordnung. (= EThD Band 21). Berlin 2009.
  • Wolfgang Kersting: Theorien der sozialen Gerechtigkeit. Metzler, Stuttgart/ Weimar 2000, ISBN 3-476-01752-4.
  • Hermann Kunst, Heinrich Tenhumberg (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung (= Entwicklung und Frieden – Dokumente, Berichte, Meinungen. Band 4). Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1976, ISBN 3-7867-0561-5.
  • Matthias Möhring-Hesse: Die demokratische Ordnung der Verteilung. Eine Theorie der sozialen Gerechtigkeit. Campus, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37492-7.
  • Rodney G. Peffer: Marxism, Morality, and Social Justice: Studies in Moral, Political, and Legal Philosophy. University Press, Princeton 1990, ISBN 0-691-07789-4.
  • Thomas Pogge: Gerechtigkeit in der Einen Welt (= Kultur in der Diskussion. Band 15). Klartext Verlag, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0153-7.
  • John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit (Original: A Theory of Justice.) 1971, ISBN 3-518-06737-0.
  • Jörg Reitzig: Gesellschaftsvertrag, Gerechtigkeit, Arbeit. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2005, ISBN 3-89691-611-4.
  • Jörg Reitzig: „Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): Neoliberalismus: Analysen und Alternativen. VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146.
  • Bernd Rüthers: Rechtstheorie. 4. Auflage. München 2008, S. 224–271.
  • Andrea Wesenauer, Sarah Sebinger (Hrsg.): Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Gesundheitliche Versorgung und Gesundheitsförderung – eine Frage der sozialen Gerechtigkeit? Mabuse-Verlag, 2009, ISBN 978-3-940529-51-0.
  • Arne Heise: Arbeitslosigkeit und Ungleichheit in verschiedenen Kapitalismusmodellen. In: Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik. Heft 4 (2006), 15. Jg., S. 273–289.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Olaf Cramme, Patrick Diamond: Social Justice in the Global Age. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3.
  2. Olaf Cramme, Patrick Diamond: Social Justice in the Global Age. Polity, 2009, ISBN 978-0-7456-4419-6, S. 3. Radikal kritisch als ein inhaltsleeres Schlagwort wertete Friedrich August von Hayek „soziale Gerechtigkeit“ in seinem Buch Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit von 1976.
  3. Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung. Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 286.
  4. Arno Anzenbacher: Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien. UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.
  5. Laut Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. 2006, S. 290 hat „Nell-Breuning […] denn auch kein Hehl daraus gemacht, dass der Begriff der iuststitia socialis innerhalb der Enziklika noch nicht zu völliger wissenschaftlicher Schärfe gelangt ist. Für ihn besteht die eigentliche ‚Großtat‘ Prius Xl. denn auch gerade darin, dass er den Begriff zu einem Zeitpunkt verwendet, als die eigentlich vorauszusetzende wissenschaftliche Vorarbeit noch nicht geleistet war, sondern durch die Neuerung im kirchenamtlichen Sprachgebrauch erst angeregt werden mußte.“
  6. 6,0 6,1 Arno Anzenbacher: Christliche Sozialethik: Einführung und Prinzipien. UTB, 1998, ISBN 3-8252-8155-8, S. 221.
  7. Rolf Kramer: Soziale Gerechtigkeit – Inhalt und Grenzen. Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 37.
  8. 8,0 8,1 Christoph Giersch: Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz. Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 26.
  9. Höffe S. 84.
  10. Erik Oschek: Ist der deutsche Sozialstaat gerecht? Eine sozialphilosophische Betrachtung für die Soziale Arbeit. Frank & Timme GmbH, 2007, ISBN 978-3-86596-140-2, S. 101 (unter Verweis auf Koller, in: Kersting (Hrsg.): Politische Philosophie des Sozialstaats. 2000, 123 f.).
  11. Otfried Höffe: Gerechtigkeit; siehe Literatur.
  12. Vgl. etwa  Peter Langhorst: 'Gerechtigkeit, V. Kirchliche Soziallehre'. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche (LThK). 3. Auflage. Band 4, Herder, Freiburg im Breisgau 1995, Sp. 304..
  13. Vgl. Band II c. 3, n. 341, S. 142 ff., Band I Intr. I c. 4 a. 1 XCII, S. 44 u. ö.
  14. Vgl, S. 142ff.
  15. Vgl. Taparelli: Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts. Übers. von F. Schöttl, C. Rinecker, 2 Bände, Regensburg 1845, Band 1 (Digitalisat bei archive.org), S. 137 ff., bes. 142 f.
  16. Vgl, S. 143.
  17. Vgl. S. 144 f.
  18. Vgl. den Überblick bei Gunter M. Prüller-Jagenteufel: “Socialwohl” und “Socialgerechtigkeit”. Zum Einfluss von Luigi Taparellis “Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts” auf die katholische Sozialverkündigung, in: Stephan Haering, Josef Kandler, Raimund Sagmeister (Hrsg.): Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht (FS Gerhard Holotik), Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1999 (= Schriftenreihe des Erzbischof-Rohracher-Studienfonds 5), S. 115–128. Walther Homberg: Luigi Taparelli d'Azeglio als Erneuerer der scholastischen Philosophie in Italien, Ingelheim 1955.
  19. Vgl. La costituzione secondo la giustiza sociale, in: Scritti politici, Stresa 1997, 43–249, Mailand 1848.
  20. J. Brian Benestad: Church, State, and Society: An Introduction to Catholic Social Doctrine. CUA Press, 2011, S. 152.
  21. Vgl. Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie. Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.
  22. Vgl. dazu Oswald von Nell-Breuning: Die soziale Enzyklika. Erläuterungen zum Weltrundschreiben Papst Pius’ XI. Köln 1932, S. 169 ff. 249 et passim. A Volanthen: Idee und Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit. Freiburg/Schweiz 1971, S. 14 ff.
  23. 23,0 23,1 Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 288–289.
  24. Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 290 f.
  25. Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 289–290.
  26. Winfried Löffler: Soziale Gerechtigkeit – Wurzeln und Gegenwart eines Konzepts in der Christlichen Soziallehre. In: Peter Koller: Gerechtigkeit im politischen Diskurs der Gegenwart. Passagen Verlag, 2001, ISBN 3-85165-509-5, S. 74–75.
  27. Werner Veith: Von der sozialen Gerechtigkeit zur intergenerationellen Gerechtigkeit. In: Axel Bohmeyer, Johannes Frühbauer: Profile, Christliche Sozialethik zwischen Theologie und Philosophie. Lit Verlag, 2005, ISBN 3-8258-7649-7, S. 52.
  28. Franz-Josef Bormann: Soziale Gerechtigkeit zwischen Fairness und Partizipation: John Rawls und die katholische Soziallehre. Verlag Herder, 2006, ISBN 3-451-29158-4, S. 286.
  29. Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung. Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 304.
  30. Stephan Wirz, Philipp W. Hildmann: Soziale Marktwirtschaft: Zukunfts- oder Auslaufmodell? Theologischer Verlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-290-20059-6, S. 28.
  31. Eintrag Gerechtigkeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 5, Sp. 383.
  32. Eintrag Gerechtigkeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 5, Sp. 384.
  33. Andreas Wildt: Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“. In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie. Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.
  34. Andreas Wildt: Gerechtigkeit in Marx‘ „Kapital“. In: Emil Angehrn, Georg Lohmann (Hrsg.): Ethik und Marx. Moralkritik und Grundlagen der Marxschen Theorie. Hain bei Athenäum, Königstein i.Ts. 1986, S. 150.
  35. Karl Marx, Friedrich Engels: Werke Band 19. Dietz, Berlin 1969, S. 31.
  36. Karl Marx, Friedrich Engels: Werke Band 1. Dietz, Berlin 1961, S. 385.
  37. Grechtigkeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 5. Argument-Verlag, Hamburg 2001, Sp. 391.
  38. Vgl. Ernst Bloch: Naturrecht und menschliche Würde. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1961, S. 50 ff., 227 ff. sowie Eva Kreisky: Gerechtigkeitsdiskurse (PDF)
  39. Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, Aphorismus 92.
  40. Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches. Aphorismus 452.
  41. Vgl. zu den individual- und sozialethischen Aspekten des Gerechtigkeitsbegriffs einführend Michael Slote: Justice as a Virtue. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy..
  42. Vgl. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main 1971/79, S. 177 f. et passim.
  43. Zu Versuchen, den Begriff equality of opportunity und seine Anwendungsbedingungen philosophisch zu präzisieren, vgl. einführend Richard Arneson: Equality of Opportunity. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.; zum Differenzprinzip z. B. Julian Lamont, Christi Favor: Distributive Justice, 3. The Difference Principle. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy..
  44. Vgl. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main 1971/79, S. 81 et passim.
  45. John Rawls: Distributive Gerechtigkeit. In: John Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß. hg. von Otfried Höffe, Freiburg-München 1977, S. 84–124.
  46. Für einen ersten Überblick zur philosophischen Diskussion über natürliche und soziale „Lotterie“ bzw. Gerechtigkeit und Zufallsgeschick, der auch die Grundideen Rawls' anspricht, vgl. Kasper Lippert-Rasmussen: Justice and Bad Luck. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy..
  47. Vgl. etwa John M. Alexander: Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum. Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0.
  48. Martha C. Nussbaum: Capabilities as fundamental entitlements: Sen and Social Justice. In: Feminist Economics. 9(2 – 3), 2003, S. 33–59 (online) (Memento vom 16. November 2012 im Internet Archive)
  49. Eintrag Ordnungspolitik. In: In: Georges Enderle, Karl Homan, Martin Honecker, Walter Kerber, Horst Steinmann (Hrsg.): Lexikon der Wirtschaftsethik. Herder, Freiburg/ Basel/ Wien 1993, ISBN 3-451-22336-8, Sp. 786.
  50. Hans G. Nutzinger/ Christian Hecker: Gerechtigkeit in der Ökonomie – ein unlösbarer Widerspruch? [1], S. 559.
  51. Otfried Höffe: Gerechtigkeit: Eine philosophische Einführung. 2. Auflage. Verlag C.H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44768-6, S. 84.
  52. Viktor Vanberg, Marktwirtschaft und Gerechtigkeit – F.A. Hayeks Kritik am Konzept der „sozialen Gerechtigkeit“, Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung – Abteilung für Wirtschaftspolitik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2011, S. 2.
  53. 53,0 53,1 Jörg Reitzig: Eine Kategorie des Unsinns... In: Neoliberalismus: Analysen und Alternativen. Springer-Verlag, 2008, S. 137.
  54. Walter Reese-Schäfer: Politische Theorie der Gegenwart in fünfzehn Modellen, Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-57930-4, S. 19.
  55. 55,0 55,1 Viktor Vanberg: Marktwirtschaft und Gerechtigkeit. Zu F.A. Hayeks Kritik am Konzept der "sozialen Gerechtigkeit". Universität Freiburg, Walter Eucken Institut, Freiburg 2011. (online)
  56. Reinhard Zintl, Von Hayek – Freiheit und „soziale Gerechtigkeit“. In: Politische Philosophie. (= Uni-Taschenbücher M, Grundkurs Politikwissenschaft. Band 2816). 2. Auflage. 2006, ISBN 3-8252-2816-9, S. 152.
  57. Richard Bellamy: Justice in the Community. Walzer on Pluralism, Equality and Democracy. In: David Boucher, Paul Joseph Kelly (Hrsg.): Social Justice: From Hume to Walzer. Band 1, Routledge, 1998, ISBN 0-415-14997-5, S. 157–180.
  58. Wolfgang Merkel, Mirko Krück, Soziale Gerechtigkeit und Demokratie : auf der Suche nach dem Zusammenhang
  59. Nick Lin-Hi im Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Gerechtigkeit.
  60. Norman P. Barry: An Introduction to Modern Political Theory. 4. Auflage. Palgrave Macmillan, 2000, ISBN 0-312-23516-X, S. 155.
  61. Heather Widdows, Nicola J. Smith: Global Social Justice. Taylor & Francis, 2011, ISBN 978-1-136-72591-3.
  62. George Crowder: Isaiah Berlin: Liberty and Pluralism. Polity, 2004, ISBN 0-7456-2477-4, S. 179.
  63. John M. Alexander: Capabilities and Social Justice: The Political Philosophy of Amartya Sen and Martha Nussbaum. Ashgate Publishing, 2008, ISBN 978-0-7546-6187-0, S. 151.
  64. Harald Jung: Soziale Marktwirtschaft und weltliche Ordnung. Lit Verlag, 2009, ISBN 978-3-643-10549-3, S. 285, 286.
  65. Jörg Reitzig: „Eine Kategorie des Unsinns …“ – Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): Neoliberalismus: Analysen und Alternativen. VS, Wiesbaden 2008, S. 132–146. Vgl. Andreas Dorschel: 'Ist soziale Gerechtigkeit ein 'sinnloser' Begriff? Zu einer These Friedrich August von Hayeks', in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie XIII (1988), Nr. 1, S. 4–13.
  66. Lea Hartung: „Half-an-idea machine“ – Die Mont Pèlerin Society zwischen Gelehrten-Gesellschaft und Think Tank (PDF-Datei; 655 kB) In: Thomas Brandstetter, Claus Pias, Sebastian Vehlken (Hrsg.): Think Tanks: Die Beratung der Gesellschaft. Diaphanes, Zürich 2010, S. 106.
  67. Christoph Giersch: Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz (= Bochumer Studien zur Gerechtigkeit; Band 2), Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.
  68. Roswitha Pioch: Soziale Gerechtigkeit in der Politik: Orientierungen von Politikern in Deutschland und den Niederlanden. Campus Verlag, 2000, ISBN 3-593-36486-7, S. 59.
  69. Christoph Giersch: Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz. Band 2 von Bochumer Studien zur Gerechtigkeit, Lit Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, S. 25.
  70. Rolf Kramer: Soziale Gerechtigkeit: Inhalt und Grenzen. Duncker & Humblot, 1992, ISBN 3-428-07343-6, S. 6.
  71. Heiko Bollmeyer: Der steinige Weg zur Demokratie: Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik. Campus Verlag, 2007, ISBN 978-3-593-38445-0, S. 210–211.
  72. 72,0 72,1 Frank Nullmeier: Soziale Gerechtigkeit – ein politischer „Kampfbegriff“? In: Soziale Gerechtigkeit (PDF-Datei; 2,3 MB), Aus Politik und Zeitgeschichte 47/2009, 16. November 2009, S. 9–13.
  73. Konrad-Adenauer-Stiftung: Lexikon der Sozialen Marktwirtschaft, Stichwort: Soziale Gerechtigkeit (sozialer Ausgleich) sowie Stichwort: Soziale Marktwirtschaft: Soziale Irenik.
  74. Vgl. etwa Ingo Schulze: Das Monster in der Grube. In: FAZ. August 2009.
  75. Heinz Sünker: Bildungspolitik, Bildung und soziale Gerechtigkeit PISA und die Folgen In: Hans-Uwe Otto, Thomas Rauschenbach (Hrsg.): Die andere Seite der Bildung. 2. Auflage. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, S. 223–236.
  76. 76,0 76,1 76,2 Stefan Liebig: Dimensionen sozialer Gerechtigkeit. (Memento vom 21. Januar 2010 im Internet Archive) In: Das Parlament. 47/2009.
  77. François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008.
  78. François Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 95.
  79. François Dubet Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2008, S. 147.
  80. Wolfgang Merkel: Soziale Gerechtigkeit im OECD Vergleich. In: Empter/Varenkamp: Soziale Gerechtigkeit – eine Bestandsaufnahme. 2007, ISBN 978-3-89204-925-8, S. 233 ff.
  81. Vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Januar 1982, BVerfGE 59, 231 – Freie Mitarbeiter.
  82. Zit. nach Bertelsmann Stiftung: Soziale Gerechtigkeit in der OECD – Wo steht Deutschland? Sustainable Governance Indicators 2011, 2011 (PDF, S. 10; 3,1 MB). Abgerufen am 8. Januar 2011.
  83. Bertelsmann Stiftung: Nachholbedarf in Sachen soziale Gerechtigkeit. Pressemitteilung, 3. Januar 2011. Abgerufen am 8. Januar 2011.
  84. Launch of the World Day of Social Justice, New York, 10 February 2009 (Memento vom 10. März 2011 im Internet Archive). Auf der Website der UNO, abgerufen am 8. März 2010.


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