Emisch und etisch: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Emisch''' und '''Etisch''' ({{EnS|''Emic'' and ''etic''}}) sind in den [[Kultur]]- und [[Sozialwissenschaft]]en gebräuchliche Begriffe, die 1954 von dem von dem amerikanischen Linguisten [[Wikipedia:Kenneth Pike|Kenneth Pike]] geprägt wurden, um damit zwei gegensätzliche Perspektiven zu charakterisieren, unter denen man kulturelle [[System]]e oder [[Soziale Gemeinschaft|soziale Gemeinschaften]] [[wissenschaft]]lich-[[Methode|methodisch]] betrachten kann.
'''Emisch''' und '''Etisch''' ({{EnS|''Emic'' and ''etic''}}) sind in den [[Kultur]]- und [[Sozialwissenschaft]]en gebräuchliche Begriffe, die 1954 von dem von dem amerikanischen Linguisten [[Wikipedia:Kenneth Pike|Kenneth Pike]] geprägt wurden, um damit zwei gegensätzliche Perspektiven zu charakterisieren, unter denen man kulturelle [[System]]e oder [[Soziale Gemeinschaft|soziale Gemeinschaften]] [[wissenschaft]]lich-[[Methode|methodisch]] betrachten kann.


'''Emisch''' bedeutet, dass man dabei die Perspektive eines Insiders, d.h. eines Menschen, der der betreffenden Kultur oder Gemeinschaft angehört. Dieser Standpunkt ist weder neutral noch objektiv und allgemeinverbindlich, eröffnet aber meist erst einen wirklichen Einblick in das eigentliche [[Wesen]] der betreffenden Kultur oder Gemeinschaft.
'''Emisch''' bedeutet, dass man dabei die ''Innenperspektive'', die Perspektive eines Insiders annimmt, d. h. eines Menschen, der der betreffenden Kultur oder Gemeinschaft angehört. Dieser Standpunkt ist weder neutral noch objektiv und allgemeinverbindlich, eröffnet aber meist erst einen wirklichen Einblick in das eigentliche [[Wesen]] der betreffenden Kultur oder Gemeinschaft.


'''Etisch''' heißt, dass man den möglichs neutralen Standpunkt eines Outsiders, also eines außenstehenden Beoabachters einnimmt und dadurch leichter objektive und allgemeinverbindliche Erkenntnisse gewinnt. Hier lässt sich vor allem die Beziehung zu anderen kulturellen Systemen leichter mit einem freien Blick ins Auge fassen.
'''Etisch''' ist die ''Außenperspektive'', d. h. heißt, dass man den möglichst neutralen Standpunkt eines Outsiders, also eines außenstehenden Beoabachters einnimmt und dadurch leichter objektive und allgemeinverbindliche Erkenntnisse gewinnen kann. Hier lässt sich vor allem die Beziehung zu anderen kulturellen Systemen leichter mit einem freien Blick ins Auge fassen.


Beide Blickpunkte können wichtige Erkenntnisse liefern, haben aber auch ihre spezifischen Einseitigkeiten.
Beide Blickpunkte können wichtige Erkenntnisse liefern, haben aber auch ihre spezifischen Einseitigkeiten.

Version vom 28. Oktober 2017, 22:26 Uhr

Emisch und Etisch (eng. Emic and etic) sind in den Kultur- und Sozialwissenschaften gebräuchliche Begriffe, die 1954 von dem von dem amerikanischen Linguisten Kenneth Pike geprägt wurden, um damit zwei gegensätzliche Perspektiven zu charakterisieren, unter denen man kulturelle Systeme oder soziale Gemeinschaften wissenschaftlich-methodisch betrachten kann.

Emisch bedeutet, dass man dabei die Innenperspektive, die Perspektive eines Insiders annimmt, d. h. eines Menschen, der der betreffenden Kultur oder Gemeinschaft angehört. Dieser Standpunkt ist weder neutral noch objektiv und allgemeinverbindlich, eröffnet aber meist erst einen wirklichen Einblick in das eigentliche Wesen der betreffenden Kultur oder Gemeinschaft.

Etisch ist die Außenperspektive, d. h. heißt, dass man den möglichst neutralen Standpunkt eines Outsiders, also eines außenstehenden Beoabachters einnimmt und dadurch leichter objektive und allgemeinverbindliche Erkenntnisse gewinnen kann. Hier lässt sich vor allem die Beziehung zu anderen kulturellen Systemen leichter mit einem freien Blick ins Auge fassen.

Beide Blickpunkte können wichtige Erkenntnisse liefern, haben aber auch ihre spezifischen Einseitigkeiten.

Besonders schwierig ist die wissenschaftliche Erfassung esoterischer Systeme. Ohne tiefgehende Insiderkenntnisse wird man sie kaum in ihrer eigentlichen Bedeutung erfassen können. Anderseits muss auch objektiv betrachtet werden, wie sie sich wirkend in ihre Umgebung hineinstellen. Arthur Versluis (* 1959) von der Michigan State University, der sich intensiv mit Esoterikforschung auf wissenschaftlichem Niveau beschäftigt, hat vorgeschlagen, beide Betrachtungsweisen zu einem „mitfühlenden Empirismus“ (eng. sympathetic empiricism) zusammenzuführen.

„Mit "mitfühlendem Empirismus" hingegen beziehe ich mich auf eine Zwischenstellung, die das Beste aus emischen und etischen Ansätzen vereint. Im Bereich der westlichen Esoterik, wie allgemeiner noch in allen Religionsstudien, ist es wichtig, einerseits die Tugenden der Gelehrsamkeit, die einen Standard der Objektivität anstrebt, und andererseits die Tugenden eines Ansatzes, der versucht, das Thema einfühlsam zu verstehen, es sozusagen von innen her zu verstehen, in ein ausgewogenes Gleichgewicht bringt. Anthropologen haben seit langem die Bedeutung des Ausgleichs von etic und emic verstanden, einerseits in eine Kultur einzutreten, um sie zu verstehen, andererseits aber auch den Status des Beobachters und des Analytikers beizubehalten. Wenn es das Laster einer zu emischen Position ist, zum Apologeten zu werden, so ist es das Laster einer zu etischen Position noch etwas größer: man scheitert daran, zu verstehen und zu vermitteln, was man eigentlich studiert. Wenn das Laster des extrem emischen Ansatzes die zu große Sympathie ist, so ist es beim extrem etischen Ansatzes die Ignoranz und Feindseligkeit gegenüber dem Subjekt, sogar wenn sie unter der Maske einer gelehrsamen Neutralität erscheint.“[1][2]

Literatur

  • Headland, Thomas; Pike, Kenneth; Harris, Marvin (eds): Emics and Etics: The Insider/Outsider Debate, Sage (1990)
  • Jardine, Nick: Etics and Emics (Not to Mention Anemics and Emetics) in the History of the Sciences (2004), History of Science, 42: 261–278 [3]
  • Gerhard Kubik: Emics and Etics Re-Examined, Part 1: Emics and Etics: Theoretical Considerations. In: African Music, Vol. 7, No. 3, 1996, S. 3–10
  •  Theodor Lewandowski: Linguistisches Wörterbuch. 4., neu bearbeitete Auflage. Quelle & Meyer, Heidelberg 1985, ISBN 3-494-02050-7, Stichwort: emische Analyse.
  •  Kenneth Lee Pike: Language in Relation to a Unified Theory of Structure of Human Behavior (= Janua Linguarum, Series Maior. Band 24). 2. Auflage. Mouton, Den Haag 1967.

Einzelnachweise

  1. Im englischen Original:
    „By “sympathetic empiricism,” on the other hand, I am referring to an intermediate position that incorporates the best of both emic and etic approaches. In the field of Western esotericism, as in that of religious studies more generally, it is important to balance on the one hand the virtues of scholarship that strives to achieve a standard of objectivity, and on the other hand the virtues of an approach that seeks to sympathetically understand one’s subject, to understand it from the inside out, so to speak. Anthopologists have long understood the importance of balancing etic and emic approaches, of on the one hand entering into a culture in order to understand it while on the other hand retaining the status of observer and analyst. If the vice of a too emic position is that of becoming an apologist, the vice of a too etic position is if anything greater: a failure to understand and accurately convey what one is studying. If the vice of the extreme emic approach is too great a sympathy, that of the extreme etic approach is ignorance of and hostility to one’s subject, even if under the guise of a studied neutrality.“ (Arthur Versluis: What is Esoteric? Methods in the Study of Western Esotericism [1])
  2. vgl. auch: Arthur Versluis: Methods in the Study of Esotericism, Part II. Mysticism and the Study of Esotericism [2]