Georges Lemaître

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Georges Lemaître um 1935

Georges Edouard Lemaître (* 17. Juli 1894 in Charleroi, Belgien; † 20. Juni 1966 in Löwen, Belgien) war ein belgischer Theologe, katholischer Priester und Astrophysiker. Er gilt als Begründer der Urknalltheorie.

Leben und Werk

Schon in jungen Jahren wollte Lemaître Priester und Wissenschaftler werden. Als 17-Jähriger wechselte er von einer Jesuitenschule zur Katholischen Universität Löwen.[1] Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Freiwilliger in einer Artillerieeinheit der belgischen Armee. Nach dem Krieg setzte er seine Studien in Löwen fort, wechselte jedoch vom Fach Technik zu Physik und Mathematik. Durch seine Kriegserlebnisse geleitet, schrieb er sich zusätzlich im Priesterseminar der Erzdiözese Mechelen ein.[1]

1920 promovierte er mit der Arbeit L’approximation des fonctions de plusieurs variables réelles („Näherung von Funktionen mehrerer reeller Variablen“). 1923 wurde er zum Priester geweiht. Mit seinem von Charles-Jean de La Vallée Poussin erlernten starken mathematischen Hintergrund setzte er seine Studien nun bis 1924 an der Universität Cambridge fort, wo Arthur Eddington ihn in die moderne Stellarastronomie und die numerische Analyse einführte.

Zwischen 1924 und 1927 folgte ein Studium am Massachusetts Institute of Technology mit Promotion. 1925 übernahm er an der Universität Löwen eine Teilzeitprofessur.[2]

In Löwen begann er, seine Ideen zur Expansion des Universums aufzuschreiben. Erstmals erschien seine Arbeit 1927 in den Annales de la Société scientifique de Bruxelles,[3] einer eher wenig bekannten Fachzeitschrift.[4] Damit erschien seine Arbeit, die bereits wesentliche Grundzüge der Expansion des Universums darlegte, zwei Jahre früher als die Arbeiten Edwin Hubbles, dem das Konzept von der Expansion des Universums bisher zugeschrieben wurde, und nach den entsprechenden Arbeiten des schon 1925 verstorbenen russischen Mathematikers Alexander Alexandrowitsch Friedmann, der diese Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen nach heutigem Kenntnisstand zuerst fand. Friedmanns Arbeiten waren Georges Lemaître vermutlich nicht bekannt, sehr wohl aber Albert Einstein, der sie auch kommentierte.

Januar 1933 im California Institute of Technology: Lemaître (Mitte) zusammen mit Millikan und Einstein

Erst 1931 erschien auch der Aufsatz Lemaîtres, in welchem er die Idee des Urknalls als quantenphysikalischen Beginn der kosmischen Expansion in die Kosmologie einführte, auch auf Englisch,[5] allerdings um die entscheidenden Passagen gekürzt, die die heute Hubble-Konstante genannte Konstante und Berechnungen über die Ausdehnungsrate des Universums betrafen. Da er selbst die Übersetzung ausführte, ließ er die Passagen aus, die seiner Meinung nach von Hubble 1929 schon detaillierter dargelegt waren.[6] Obwohl Lemaître nie versuchte, ein Erstentdeckerrecht zu beanspruchen, sprach sich die Internationale Astronomische Union (IAU) als weltgrößte Astronomenvereinigung mit gut 12000 Mitgliedern nach einer Abstimmung im Oktober 2018 dafür aus, die Hubble-Relation, die den Zusammenhang zwischen Entfernung und Geschwindigkeit beschreibt, Hubble-Lemaître-Beziehung zu nennen.[7]

Lemaître beschäftigte sich zwangsläufig auch mit der Frage nach der Vereinbarkeit von katholischer Schöpfungslehre und wissenschaftlicher Urknalltheorie. Im Dezember 1940 wurde er aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften berufen. 1960 wurde Lemaître Präsident der Akademie. Mit diesem Amt, das er bis zu seinem Tode bekleidete, war die Verleihung des Titels eines päpstlichen Prälaten verbunden.

In den 1950er Jahren verfolgte Lemaître mit großem Interesse das Aufkommen der elektronischen Rechenanlagen, der Computer. 1958 ließ er den ersten derartigen Apparat der Universität Löwen installieren, eine Burroughs E 101.

1964 wurde er emeritiert. Zu seinen berühmtesten Schülern zählen André Deprit, einer der Erfinder der modernen Technik der schnellen Fourier-Transformation (mathematischer Algorithmus), und Georges Papy, Spezialist der Didaktik der modernen Mathematik. Zeit seines Lebens blieb er ein Einzelgänger, der nicht viele Kontakte zu Wissenschaftlerkollegen pflegte. Seine Korrespondenz ist minimal.

Kurz vor seinem Tod erfuhr Lemaître noch von der Entdeckung der kosmischen Mikrowellenstrahlung, die seine Theorie erhärtete.

Urknalltheorie

Illustration der Entstehung des Universums aus dem Urknall

Lemaître stellte seine Ideen auf einem Kongress in London vor, der sich mit dem Ursprung des Universums und der Spiritualität beschäftigte. Er beschrieb seine Vorstellungen vom Ursprung des Universums als Uratom, „ein kosmisches Ei, das im Moment der Entstehung des Universums explodierte“. In diesem Uratom soll die gesamte heute im Universum vorhandene Materie zusammengepresst gewesen sein. Er zog dabei unter anderem die Rotverschiebung weit entfernter Galaxien heran. Seine Kritiker bezeichneten danach die Theorie als Urknalltheorie (oder Big Bang). Eddington und auch Einstein lehnten sie zuerst ab, weil sie ihrer Meinung nach zu sehr an eine religiöse Vorstellung von der Erschaffung der Welt angelehnt war und weil sie vom physikalischen Standpunkt aus viele Unschönheiten hatte, wie beispielsweise Singularitäten. Der Streit darüber hielt über mehrere Jahrzehnte an. Auf einer gemeinsamen Reise nach Kalifornien gelang es Lemaître schließlich, Einstein von seiner Theorie zu überzeugen, nachdem er sie ihm in allen Einzelheiten dargelegt hatte.[8]

Auf einer Tagung im November 1951 akzeptierte die Päpstliche Akademie der Wissenschaften Lemaîtres Theorie.[9] Papst Pius XII. führte in einem abschließenden Vortrag aus, der mit dem Urknall zeitlich festlegbare Anfang der Welt sei einem göttlichen Schöpfungsakt entsprungen.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 J. J. O’Connor, E. F. Robertson: University of St. Andrews. Georges Henri-Joseph-Edouard Lemaître. Abgerufen am 22. Juli 2014.
  2. Ulf von Rauchhaupt, Der Vater des Urknalls, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20. Juli 2014, Seite 46
  3. Georges Henri-Joseph-Edouard Lemaître: Un univers homogène de Masse constante et de rayon croissant, rendant compte de la vitesse radiale des nébuleuses extra-galactiques. Provided by the NASA Astrophysics Data System. Abgerufen am 22. Juli 2014. PDF
  4. G. Lemaitre: Un Univers homogene de masse constante et de rayon croissant rendant compte de la vitesse radiale des nebuleuses extra-galactiques. In: Annales de la Societe Scientifique de Bruxelles, A47, 1927, S. 49–59.
  5.  G. Lemaître: Expansion of the universe, A homogeneous universe of constant mass and increasing radius accounting for the radial velocity of extra-galactic nebulae. In: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society. 91, 1931-03, S. 483–490.
  6. Mario Livio: Mystery of the missing text solved. In: Nature, Band 479, 2011, S. 171–173, doi:10.1038/479171a
  7. Otto Wöhrbach: Wer entdeckte die Expansion des Alls wirklich? Abgerufen am 12. Dezember 2019.
  8. Bild von Lemaître und Einstein. spiegel.de, abgerufen am 22. Juli 2014.
  9. Francis Schussler Fiorensa, John P. Galvin: Systematic Theology: Roman Catholic Perspectives (Theology and the Sciences). 2011, Verlag Fortress Press, U.S, ISBN 9780800662912, S. 230.

Literatur

  • Helge Kragh: Matter and Spirit in the Universe. Scientific and religious preludes to modern cosmology. Imperial College Press, London 2004, ISBN 1-86094-485-X; darin Kapitel 4: The Pirmeval-atom Universe.
  • Hartmut Lohmann: Georges Lemaître In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 4, Bautz, Herzberg 1992, ISBN 3-88309-038-7, Sp. 1402–1405.
  • Harry Nussbaumer: Achtzig Jahre expandierendes Universum. In: Sterne und Weltraum ISSN 0039-1263, Jg. 46 (2007), Nr. 6, S. 36–44.
  • Wolfgang Schatz: Georges Lemaître. In: Astro-News, herausgegeben vom Astronomischen Arbeitskreis Pforzheim 1982 e.V., Ausgabe 3, 2012, S. 17–18.
  • Hans-Joachim Blome: Die Entdeckung des Urknalls : Georges Lemaître und die moderne Kosmologie. München: C.H.Beck, 2016. ISBN 340669215X.

Weblinks

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