Bibliothek:Rudolf Steiner/Werke/GA 10 Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten/Nachwort zum 8. – 11. Tausend

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Nachwort zum achten bis zwölften Tausend

Der Weg zu übersinnlicher Erkenntnis, der in dieser Schrift gekennzeichnet wird, führt zu einem seelischen Erleben, demgegenüber es von ganz besonderer Wichtigkeit ist, daß, wer es anstrebt, sich keinen Täuschungen und Mißverständnissen über dasselbe hingibt und es liegt dem Menschen nahe, sich über dasjenige zu täuschen, was hier in Betracht kommt Eine der Täuschungen, die besonders schwerwiegende, entsteht, wenn man das ganze Gebiet des Seelenerlebens, von dem in wahrer Geisteswissenschaft die Rede ist, so verschiebt, daß es in der Umgebung des Aberglaubens, des visionären Träumens, des Mediumismus und mancher anderer Entartungen des Menschenstrebens eingereiht erscheint diese Verschiebung rührt oft davon her, daß Menschen, welche in ihrer von echtem Erkenntnisstreben abliegenden Art sich einen Weg in die übersinnliche Wirklichkeit suchen möchten und die dabei auf die genannten Entartungen verfallen, mit solchen verwechselt werden, die den in dieser Schrift gezeichneten Weg gehen wollen. Was auf dem hier gemeinten Wege von der Menschenseele durchlebt wird, das verläuft durchaus im Felde rein geistig-seelischen Erfahrens. Es ist nur dadurch möglich, solches zu durchleben, daß sich der Mensch auch noch für andere innere Erfahrungen so frei und unabhängig von dem Leibesleben machen kann, wie er im Erleben des gewöhnlichen Bewußtseins nur ist, wenn er sich über das von außen Wahrgenommene oder das im Innern Gewünschte, Gefühlte, Gewollte Gedanken macht, die nicht aus dem Wahrgenommenen, Gefühlten, Gewollten selbst herrühren. [217] Es gibt Menschen, die an das Vorhandensein solcher Gedanken überhaupt nicht glauben. Diese meinen: der Mensch könne nichts denken, was er nicht aus der Wahrnehmung oder dem leiblich bedingten Innenleben herauszieht und alle Gedanken seien nur gewissermaßen Schattenbilder von Wahrnehmungen oder von inneren Erlebnissen. Wer dieses behauptet, der tut es nur, weil er sich niemals zu der Fähigkeit gebracht hat, mit seiner Seele das reine, in sich beruhende Gedankenleben zu erleben. Wer aber solches erlebt hat, für den ist es Erfahrung geworden, daß überall, wo im Seelenleben Denken waltet, in dem Maße, als dieses Denken andere Seelenverrichtungen durchdringt, der Mensch in einer Tätigkeit begriffen ist, an deren Zustandekommen sein Leib unbeteiligt ist. Im gewöhnlichen Seelenleben ist ja fast immer das Denken mit anderen Seelenverrichtungen: Wahrnehmen, Fühlen, Wollen und so weiter vermischt diese anderen Verrichtungen kommen durch den Leib zustande. Aber in sie spielt das Denken hinein. Und in dem Maße, in dem es hineinspielt, geht in dem Menschen und durch den Menschen etwas vor sich, an dem der Leib nicht mitbeteiligt ist. Die Menschen, welche dieses in Abrede stellen, können nicht über die Täuschung hinauskommen, welche dadurch entsteht, daß sie die denkerische Betätigung immer mit anderen Verrichtungen vereinigt beobachten. Aber man kann im inneren Erleben sich seelisch dazu aufraffen, den denkerischen Teil des Innenlebens auch abgesondert von allem andern für sich zu erfahren. Man kann aus dem Umfange des Seelenlebens etwas herauslösen, das nur in reinen Gedanken besteht In Gedanken, die in sich bestehen, aus denen alles ausgeschaltet ist, was [218] Wahrnehmung oder leiblich bedingtes Innenleben geben. Solche Gedanken offenbaren sich durch sich selbst, durch das, was sie sind, als ein geistig, ein übersinnlich Wesenhaftes. Und die Seele, die mit solchen Gedanken sich vereinigt, indem sie während dieser Vereinigung alles Wahrnehmen, alles Erinnern, alles sonstige Innenleben ausschließt, weiß sich mit dem Denken selbst in einem übersinnlichen Gebiet und erlebt sich außerhalb des Leibes. Für denjenigen, welcher diesen ganzen Sachverhalt durchschaut, kann die Frage gar nicht mehr in Betracht kommen: gibt es ein Erleben der Seele in einem übersinnlichen Element außerhalb des Leibes? Denn für ihn hieße es in Abrede stellen, was er aus der Erfahrung weiß. Für ihn gibt es nur die Frage: was verhindert die Menschen, eine solche sichere Tatsache anzuerkennen? Und zu dieser Frage findet er die Antwort, daß die in Frage kommende Tatsache eine solche ist, die sich nicht offenbart, wenn der Mensch sich nicht vorher in eine solche Seelenverfassung versetzt, daß er die Offenbarung empfangen kann. Nun werden zunächst die Menschen mißtrauisch, wenn sie selbst etwas erst rein seelisch tun sollen, damit sich ihnen ein an sich von ihnen Unabhängiges offenbare. Sie glauben da, weil sie sich vorbereiten müssen, die Offenbarung zu empfangen, sie machen den Inhalt der Offenbarung. Sie wollen Erfahrungen, zu denen der Mensch nichts tut, gegenüber denen er ganz passiv bleibt. Sind solche Menschen außerdem noch unbekannt mit den einfachsten Anforderungen an wissenschaftliches Erfassen eines Tatbestandes, dann sehen sie in Seelen-Inhalten oder Seelenhervorbringungen, bei denen die Seele unter den Grad von bewußter Eigenbetätigung herabgedrückt ist, der im [219] Sinneswahrnehmen und im willkürlichen Tun vorliegt, eine objektive Offenbarung eines nicht sinnlichen Wesenhaften. Solche Seelen-Inhalte sind die visionären Erlebnisse, die mediumistischen Offenbarungen. - Was aber durch solche Offenbarungen zutage tritt, ist keine übersinnliche, es ist eine untersinnliche Welt. Das menschliche bewußte Wachleben verläuft nicht völlig in dem Leibe, es verläuft vor allem der bewußte Teil dieses Lebens an der Grenze zwischen Leib und physischer Außenwelt; so das Wahrnehmungsleben, bei dem, was in den Sinnesorganen vorgeht, ebensogut das Hineinragen eines außerleiblichen Vorganges in den Leib ist wie ein Durchdringen dieses Vorganges vom Leibe aus; und so das Willensleben, das auf einem Hineinstellen des menschlichen Wesens in das Weltenwesen beruht, so daß, was im Menschen durch seinen Willen geschieht, zugleich Glied des Weltgeschehens ist. In diesem an der Leibesgrenze verlaufenden seelischen Erleben ist der Mensch in hohem Grade abhängig von seiner Leibesorganisation; aber es spielt die denkerische Betätigung in dieses Erleben hinein, und in dem Maße, als das der Fall ist, macht sich in Sinneswahrnehmung und Wollen der Mensch vom Leibe unabhängig. Im visionären Erleben und im mediumistischen Hervorbringen tritt der Mensch völlig in die Abhängigkeit vom Leibe ein. Er schaltet aus seinem Seelenleben dasjenige aus, was ihn in Wahrnehmung und Wollen vom Leibe unabhängig macht. Und dadurch werden Seelen-Inhalte und Seelen-Hervorbringungen bloße Offenbarungen des Leibeslebens. Visionäres Erleben und mediumistisches Hervorbringen sind die Ergebnisse des Umstandes, daß der Mensch bei diesem Erleben und Hervorbringen [220] mit seiner Seele weniger vom Leibe unabhängig ist als im gewöhnlichen Wahrnehmungs- und Willensleben. Bei dem Erleben des Übersinnlichen, das in dieser Schrift gemeint ist, geht nun die Entwickelung des Seelen-Erlebens gerade nach der entgegengesetzten Richtung gegenüber der visionären oder mediumistischen. Die Seele macht sich fortschreitend unabhängiger vom Leibe, als sie im Wahrnehmungs- und Willensleben ist. Sie erreicht diejenige Unabhängigkeit, die im Erleben reiner Gedanken zu fassen ist, für eine viel breitere Seelenbetätigung.
Für die hier gemeinte übersinnliche Seelenbetätigung ist es außerordentlich bedeutsam, in voller Klarheit das Erleben des reinen Denkens zu durchschauen. Denn im Grunde ist dieses Erleben selbst schon eine übersinnliche Seelenbetätigung. Nur eine solche, durch die man noch nichts Übersinnliches schaut. Man lebt mit dem reinen Denken im Übersinnlichen; aber man erlebt nur dieses auf eine übersinnliche Art; man erlebt noch nichts anderes Übersinnliches. Und das übersinnliche Erleben muß sein eine Fortsetzung desjenigen Seelen-Erlebens, das schon im Vereinigen mit dem reinen Denken erreicht werden kann. Deshalb ist es so bedeutungsvoll, diese Vereinigung richtig erfahren zu können. Denn von dem Verständnisse dieser Vereinigung aus leuchtet das Licht, das auch rechte Einsicht in das Wesen der übersinnlichen Erkenntnis bringen kann. Sobald das Seelen-Erleben unter die Bewußtseinsklarheit, die im Denken sich auslebt, heruntersinken würde, wäre sie für die wahre Erkenntnis der übersinnlichen Welt auf einem Irrwege. Sie würde erfaßt von den Leibesverrichtungen; was sie erlebt und hervorbringt, ist dann nicht Offenbarung des Übersinnlichen durch sie, [221] sondern Leibesoffenbarung im Bereich der untersinnlichen Welt.
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Sobald die Seele mit ihren Erlebnissen in das Feld des Übersinnlichen eindringt, sind diese Erlebnisse von einer solchen Art, daß sich die sprachlichen Ausdrücke für sie nicht in so leichter Art finden lassen wie für die Erlebnisse im Bereiche der sinnlichen Welt. Man muß oftmals bei Beschreibungen des übersinnlichen Erlebens sich bewußt sein, daß gewissermaßen die Entfernung des sprachlichen Ausdrucks von dem ausgedrückten wirklichen Tatbestande eine größere ist als im physischen Erleben. Man muß sich ein Verständnis dafür erwerben, daß mancher Ausdruck wie eine Verbildlichung in zarter Weise auf das nur hinweist, auf das er sich bezieht. So ist es auf Seite 30 dieser Schrift gesagt: «Ursprünglich werden nämlich alle Regeln und Lehren der Geisteswissenschaft in einer sinnbildlichen Zeichensprache gegeben.» Und auf Seite 79 f. mußte von einem «bestimmten Schriftsystem» gesprochen werden. Es kann nun leicht jemandem beikommen, solche Schrift in einer ähnlichen Art lernen zu wollen, wie man Lautzeichen und deren Zusammenfügungen für die Schrift einer gewöhnlichen physischen Sprache erlernt. Nun muß allerdings gesagt werden: es hat gegeben und gibt geisteswissenschaftliche Schulen und Vereinigungen, welche im Besitze symbolischer Zeichen sind, durch die sie übersinnliche Tatbestände zum Ausdruck bringen. Und wer in die Bedeutung dieser Sinnbilder eingeweiht wird, der hat dadurch ein Mittel, sein Seelen-Erleben zu den in Frage kommenden übersinnlichen Wirklichkeiten [222] hinzulenken. Aber ein für das übersinnliche Erleben Wesentliches ist vielmehr, daß im Laufe eines solchen übersinnlichen Erlebens, wie es durch die Verwirklichung des Inhaltes dieser Schrift von der Seele erreicht werden kann, diese Seele in der Anschauung des Übersinnlichen die Offenbarung einer solchen Schrift durch ihre eigene Erfahrung gewinnt. Das Übersinnliche sagt der Seele etwas, das sich diese in verbildlichende Zeichen übersetzen muß, damit sie es vollbewußt überschauen kann. Es kann gesagt werden: was in dieser Schrift mitgeteilt ist, das kann von jeder Seele verwirklicht werden. Und im Laufe der Verwirklichung, den sich nach den gemachten Angaben die Seele selbst bestimmen kann, stellen sich die Ergebnisse ein, die beschrieben sind. Man nehme doch ein solches Buch, wie dieses ist, wie ein Gespräch, das der Verfasser mit dem Leser führt. Wenn gesagt ist: der Geheimschüler bedürfe der persönlichen Anweisung, so fasse man dies doch so auf, daß das Buch selbst eine solche persönliche Anweisung ist. In früheren Zeiten gab es Gründe, solche persönliche Anweisungen dem mündlichen Geheim-Unterrichte vorzubehalten; gegenwärtig sind wir auf einer Entwickelungsstufe der Menschheit angelangt, in der das geisteswissenschaftliche Erkennen eine viel größere Verbreitung erfahren muß als früher. Es muß in ganz anderem Maße jedem zugänglich sein als in alter Zeit. Da tritt eben das Buch an die Stelle der früheren mündlichen Unterweisung. Der Glaube, daß man durchaus über das in dem Buche Gesagte hinaus noch eine persönliche Unterweisung brauche, hat nur eine bedingte Richtigkeit. Der eine oder der andere kann ja freilich ein persönliches Nachhelfen brauchen, und ein solches kann ihm bedeutungsvoll [223] sein. Aber es führte in die Irre, wenn man meinte, es gäbe Hauptsachen, die man im Buche nicht finde. Man findet sie, wenn man recht und namentlich wenn man vollständig liest.
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Die Schilderungen dieses Buches nehmen sich so aus, als ob sie Anweisungen wären zum völligen Anderswerden des ganzen Menschen. Wer sie richtig liest, wird aber finden, daß sie nichts anderes sagen wollen, als in welcher inneren Seelenverfassung ein Mensch sein muß in denjenigen Augenblicken seines Lebens, in denen er der übersinnlichen Welt gegenüberstehen will. Diese Seelenverfassung entwickelt er als eine zweite Wesenheit in sich; und die gesunde andere Wesenheit läuft in der alten Weise ihren Gang fort. Er weiß beide Wesenheiten in Voll-Bewußtheit auseinanderzuhalten; er weiß sie in rechter Art miteinander in Wechselwirkung zu setzen. Er macht sich nicht dadurch für das Leben unbrauchbar und untüchtig, daß er Interesse und Geschicklichkeit für dieses verliert und «den ganzen Tag Geistesforscher ist». Allerdings muß gesagt werden, daß die Erlebnisweise in der übersinnlichen Welt ihr Licht auf das ganze Wesen des Menschen ausstrahlen wird; aber dies kann nicht in einer von dem Leben ablenkenden Art sein, sondern in einer dieses Leben tüchtiger, fruchtbarer machenden Weise. - Daß trotzdem die Schilderung so gehalten werden mußte, wie es der Fall ist, das rührt davon her, daß allerdings jeder auf das Übersinnliche gerichtete Erkenntnisvorgang den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, so daß in dem Augenblicke, in dem der Mensch an einen solchen Erkenntnisvorgang [224] hingegeben ist, er dies mit seinem ganzen Wesen sein muß. Soviel der Farbenwahrnehmungsvorgang nur die Einzelheit des Auges mit seiner Nerven-Fortsetzung in Anspruch nimmt, soviel nimmt ein übersinnlicher Erkenntnisvorgang den ganzen Menschen in Anspruch. Dieser wird «ganz Auge» oder «ganz Ohr». Weil dies so ist, deshalb sieht es so aus, daß, wenn man von der Bildung von übersinnlichen Erkenntnisvorgängen Mitteilung macht, man von einer Umwandlung des Menschen spräche; man meine, der gewöhnliche Mensch sei nichts Rechtes; er müsse etwas ganz anderes werden.
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Zu dem auf Seite 115 ff. «Über einige Wirkungen der Einweihung» Gesagten möchte ich noch etwas hinzufügen, was - mit einiger Abänderung - auch für andere Ausführungen dieses Buches gelten kann. - Es könnte wohl jemand auf den Gedanken kommen: wozu solche Beschreibung von bildhaften Ausgestaltungen übersinnlichen Erlebens; könnte man nicht dieses Erleben in Ideen ohne solche Versinnlichung schildern? Darauf muß erwidert werden: Es kommt für das Erleben der übersinnlichen Wirklichkeit in Betracht, daß der Mensch sich im Übersinnlichen selbst als ein Übersinnliches weiß. Ohne das Hinblicken auf seine eigene übersinnliche Wesenheit, deren Wirklichkeit in der hier gegebenen Schilderung der «Lotusblumen» und des «ätherischen Leibes» vollkommen in ihrer Art zur Offenbarung kommt, erlebte sich der Mensch im Übersinnlichen so, wie wenn er im Sinnlichen nur so drinnen stände, daß ihm die Dinge und Vorgänge um ihn her sich offenbarten, er aber von seinem eigenen [225] Leibe nichts wüßte. Was er in «Seelenleib» und «Ätherleib» als seine übersinnliche Gestaltung schaut, das macht, daß er seiner selbst bewußt im Übersinnlichen steht, wie er durch die Wahrnehmung seines Sinnenleibes seiner selbst bewußt in der Sinnenwelt steht.