Ernst Mayr

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Ernst Mayr 1994 an der Universität Konstanz
Ernst Mayr (rechts) und Axel Meyer in Konstanz (1998)

Ernst Walter Mayr (* 5. Juli 1904 in Kempten (Allgäu); † 3. Februar 2005 in Bedford (Massachusetts)) war ein deutsch-amerikanischer Biologe und der Hauptvertreter der modernen synthetischen Evolutionstheorie.

Er erhielt mehrere bedeutende Auszeichnungen und zählt nach Ansicht zahlreicher Kollegen zu den einflussreichsten Naturforschern des 20. Jahrhunderts.

Leben

Ernst Mayr wurde am 5. Juli 1904 in Kempten im Allgäu geboren, wuchs aber in Sachsen auf. Er war der zweite der drei Söhne von Helene Pusinelli Mayr und des promovierten Juristen und Landgerichtsrats Otto Mayr. Schon als Junge interessierte er sich für Vögel. 1923 schrieb er seine erste Abhandlung über die von ihm bei Moritzburg im Freiland beobachtete Kolbenente. Im gleichen Jahr begann er an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Medizin zu studieren, wechselte aber schon früh zur Zoologie und arbeitete am Zoologischen Museum in Berlin (heute Teil des Museums für Naturkunde Berlin). 1926 wurde er mit 21 Jahren in Zoologie über ein ornithologisches Thema promoviert.

Sein Förderer Erwin Stresemann schickte Mayr 1928 und 1930 auf eine Expedition nach Neuguinea und zu den Salomon-Inseln, wo er für den begeisterten Vogelfreund Lionel Walter Rothschild Vögel sammelte. Die dort gewonnenen Kenntnisse zur Biogeographie wurden zur Grundlage seiner späteren evolutionstheoretischen Überlegungen. 1931 ging er in die Vereinigten Staaten, um am American Museum of Natural History in New York, dem größten naturwissenschaftlichen Museum der Welt, als Vogelexperte die Vogelsammlung zu bearbeiten. Rund 20 Jahre blieb er in New York. 1950 erhielt er nach mehreren Verzögerungen die amerikanische Staatsbürgerschaft.[1]

1953 wechselte er als Professor an die Harvard-Universität in Cambridge, wo er dafür sorgte, dass die Evolutionstheorie, bis dahin ein Stiefkind der amerikanischen biologischen Wissenschaften, zu größerem Ansehen gelangte. Auch nach seiner Emeritierung 1975 arbeitete er weiter am Museum of Comparative Zoology der Harvard-Universität, wo er bis zu seinem Tode tätig war.

Ernst Mayr heiratete im Mai 1935 Gretel Simon in Freiburg im Breisgau.[2] Das Paar hatte zwei Töchter. Mayr starb 2005 nach sehr kurzer Krankheit in Bedford (Massachusetts).

In Kempten wurde am Nachfolgebau seines Geburtshauses in der Kotterner Straße, das im Zweiten Weltkrieg durch einen Bombentreffer zerstört wurde, vom Heimatverein Kempten eine Gedenktafel angebracht.

Wirken

Büste Mayrs im Museum für Naturkunde Berlin

Berühmt wurde Mayr als Hauptvertreter der „Synthetischen Theorie der Evolution“, die Charles Darwins Konzept der „natürlichen Auslese“ mit den Erkenntnissen der Genetik in Einklang brachte. Er schrieb grundlegende Arbeiten zur Systematik, in denen er unter anderem das Konzept der biologischen Art als einer Fortpflanzungsgemeinschaft entwickelte, ferner zur Artbildung (1942 etwa sein einflussreiches Buch Systematics and the Origin of Species), des Weiteren philosophische Abhandlungen zur Typologie und zum Essentialismus. Mayr entwickelte auch die heute allgemein akzeptierte Vorstellung der allopatrischen Artbildung, nach der die Aufspaltung einer Art in zwei Tochterarten durch geographische Separation ausgelöst werden kann.

Mayr vertrat die These, dass die Biologie in gewisser Weise unabhängig sei von den in Physik und Chemie geltenden Naturgesetzen, da die Besonderheiten der einzelnen Arten nicht aus reproduzierbaren Gesetzen, sondern aus einmaligen historischen Ereignissen heraus entstünden. Deshalb dürfe man in der Biologie nicht von Gesetzen, sondern eher von Konzepten sprechen.

1998 und 2001 erschienen als seine jüngsten Veröffentlichungen: This is Biology (deutsch erschienen als Das ist Biologie, Spektrum Akademischer Verlag) und What Evolution is (deutsche Ausgabe: Das ist Evolution, Bertelsmann-Verlag).

In einem Nachruf beschrieb der Berliner Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht in der Frankfurter Rundschau vom 8. Februar 2005 die Bedeutung Ernst Walter Mayrs so: „Während Darwin mit seiner Selektionstheorie 1859 nurmehr den Rohbau eines epochalen Gedankengebäudes schuf, hat sich Mayr vor allem in den 1930er- und 1940er-Jahren an den Innenausbau gemacht.

Dispute und Kritik

Als streitbarer Verfechter eines traditionalistischen Evolutionsverständnisses erwies sich Mayr, als er Willi Hennig vorwarf, mit seiner „einseitigen“ Kladistik „Konfusion“ zu verbreiten.[3] Zu diesem Aufsatz wurde negativ angemerkt:

Wenn Mayr gegen die phylogenetische Systematik polemisiert, begibt er sich gewöhnlich unter sein Niveau und greift zur argumentatio ad hominem, so auch hier. Er erklärt seinen Standpunkt für den „des Biologen“‚ als ob die von ihm so apostrophierten „Kladisten“ keine wären.[4]

Willi Hennig sah sich zu einer Richtigstellung gegenüber Ernst Mayr veranlasst und kritisierte dessen Standpunkte.[5]

Die heutige Taxonomie beruht auf dem von Mayr verworfenen phylogenetischen Konzept Hennigs, das Carl Woese um eine molekularbiologische Grundlage ergänzt hat. Daraus resultierte die heute gültige Einteilung der Lebewesen in die drei Domänen (Bacteria, Archaea und Eukaryota).

Dieses System wurde von Mayr konsequent angegriffen. Es gäbe, so Mayr, keinen Bedarf in der Biologie nach einer Zweiteilung der Prokaryoten in zwei Domänen. In diesem Zusammenhang argumentierte er wieder ad hominem, indem er die Reputation Woeses als „Nicht-Biologe“ anzweifelte.[6] Woese argumentierte dagegen, dass die von Mayr vertretene Evolutionstheorie kein allgemeingültiges Naturgesetz sei, sondern nur auf Eukaryoten mit sexueller Fortpflanzung, nicht aber auf Mikroorganismen angewendet werden könne.[7]

Wichtige Werke

  • List of New Guinea birds: a systematic and faunal list of the birds of New Guinea and adjacent islands. American Museum of Natural History, 1941.
  • Systematics and the Origin of Species. 1942.
  • Taxonomic categories in fossil hominids. In: Cold Spring Harbor Symposia on Quantitative Biology 1950. Band 15, 1950, S. 109–118, doi:10.1101/SQB.1950.015.01.013
  • Methods and Principles of Systematic Zoology. 1953. Deutsch: Grundlagen der zoologischen Systematik. Blackwell Wissenschaftsverlag, Berlin 1975, ISBN 3-490-03918-1.
    • 2. Auflage: Ernst Mayr, Peter D. Ashlock: Principles of Systematic Zoology. Mcgraw-Hill College, 1991, ISBN 0-07-041144-1.
  • Animal Species and Evolution. 1963. Deutsch: Artbegriff und Evolution. 1967.
  • The Growth of Biological Thought. 1982. Deutsch: Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt. 1984 online
  • Toward a New Philosophy of Biology. 1988. Deutsch: Eine neue Philosophie der Biologie. 1991.
  • One long argument: Charles Darwin and the Genesis of Modern Evolutionary Thought. 1991. Deutsch: … und Darwin hat doch recht. 1994.
  • This is Biology. The Science of the Living World. 1998. Deutsch: Das ist Biologie – Die Wissenschaft vom Leben. 2000, ISBN 3-8274-1015-0.
  • What Evolution is. 2001. Deutsch: Das ist Evolution. 2005, ISBN 3-442-15349-2.
  • Konzepte der Biologie. Mit einem Geleitwort von Matthias Glaubrecht. Hirzel, Stuttgart 2005, ISBN 3-7776-1372-X (überarbeitet und neue Essays zur Geschichte der Evolutionsbiologie, zu Evolutionstheorien von Darwin, ihre Geschichte, Entwicklung und Wirkung).

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen Haffer: Ornithology, Evolution, and Philosophy. The Life and Science of Ernst Mayr 1904–2005. Springer, 2007.
  • Kärin Nickelsen: Starke Meinungen und drei Leidenschaften: Ernst Mayr verbrachte fast sein ganzes Leben damit, über die Evolutionstheorie nachzudenken – aus biologischer, historischer und philosophischer Sicht. In: Der Tagesspiegel. Nr. 20414, Beilage „Evolution“. Berlin, 18. Oktober 2009, S. B 4.

Weblinks

Commons: Ernst Mayr - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
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Artikel

Einzelnachweise

  1. Videodokument von Ernst Mayr zu seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft, webofstories.com, abgerufen am 28. Dezember 2014.
  2. Jürgen Haffner (2007:103)
  3. Ernst Mayr: Cladistic analysis or cladistic classification?. In: Zeitschrift für zoologische Systematik und Evolutionsforschung (Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research). 12, Nr. 1, 1974/09/01, S. 94–128. doi:10.1111/j.1439-0469.1974.tb00160.x.
  4. Rolf Löther: Die Beherrschung der Mannigfaltigkeit, Philosophische Grundlagen der Taxonomie. VEB Gustav Fischer Verlag Jena 1972. S. 157.
  5. Willi Hennig: Cladistic Analysis or Cladistic Classification?: A Reply to Ernst Mayr. In: Systematic Zoology. 24, Nr. 2, 1975, S. 244–256. doi:10.2307/2412765.
  6. Ernst Mayr: Two empires or three?. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 95, Nr. 17, 1998, S. 9720–9723.
  7. Carl R. Woese: Default taxonomy: Ernst Mayr’s view of the microbial world. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 95, Nr. 19, 1998, S. 11043–11046. doi:10.1073/pnas.95.19.11043.
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