Flor und Blancheflor

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«Ave, formosissima, gemma pretiosa,
ave, decus virginum, virgo gloriosa,
ave, lumen luminum, ave, mundi rosa,
Blanziflour et Helena, Venus generosa!»

«Heil dir, schönste, köstliche Perle!
Heil dir, Zierde der Frauen! Jungfrau, hochgelobt!
Heil dir, Leuchte der Welt! Heil dir, Rose der Welt!
Blanziflor und Helena! Noble Venus!»
                                    Carmina Burana, 77/8

Konrad Fleck: Flore und Blanscheflur Digitalisat
Floire wird zum König gekrönt, Darstellung aus einer Handschrift aus Heidelberg
Darstellung aus Warqa und Gulschah, Miniaturmalerei, 13. Jahrhundert
Floire et Blancheflor in einer Ausgabe von Jan van Doesborch, ca. 1517

Die provencalische Sage von Flor und Blancheflor (franz. Floire et Blancheflor) wurde im Mittelalter wiederholt als Epos gestaltet. Die bedeutsamste Fassung brachte Konrad Fleck um 1220 bis 1230 in alemannischem Dialekt in 8.006 Versen in Gedichtform. Er beruft sich dabei auf eine Vorlage eines weiter nicht bekannten Ruopreht von Orbênt[1]. Konrad Flecks Dichtung ist in vier Handschriften überliefert, von denen die beiden späteren aus der Werkstatt von Diebold Lauber (* vor 1427; † nach 1471) im Elsass vollständig sind. Flecks Dichtung folgt weitgehend der urspünglichen 3000 Verse umfassenden altfranzösischen höfischen „version aristocratique“ von „Floire et Blancheflor“, die um 1160 von einem allerdings unbekannten französischen Trobador verfasst wurde. Um 1200 war daraus auch eine volkstümliche „version populaire“ mit teils veränderten Episoden und unterschiedlich gezeichneten Charakteren entstanden.

Erwähnt wird der Name von Blancheflor auch in den ebenfalls um 1230 niedergeschriebenen moralisch-satirische Lied- und Dramentexten Carmina Burana, wo sie in einer Marienpreis-Imitation in Carmina amatoria 77/8 neben Helena und Venus als Sinnbild mythischer Schönheit steht.

Karl der Große und die Legende von Flor und Blancheflor

Flor und Blancheflor waren die Bewahrer des esoterischen Christentums und sollen der genannten Sage nach die Großeltern mütterlicherseits Karls des Großen gewesen sein, wie Konrad Fleck und seine französische Vorlage gleichermaßen berichten. Bertrada die Jüngere (* 720; † 12. Juni 783 in Choisy, Département Oise), die Mutter Karls, von der auch die Berthasage berichtet und die unter dem Namen "Bertha mit dem großen Fuß" mit der Göttin Perchta verschmolzen wurde, soll - allerdings nur der Sage nach, denn ihr urkundlich erwähnter Vater war Heribert von Laon - die Tochter von Flor und Blancheflor gewesen sein. Die Sage gibt nicht die äußere Realität, aber ihren geistigen Ursprung wieder. In den fast 20 Fassungen der Berthasage wird Bertrada meist als Braut im Wald ausgesetzt und gegen eine falsche Bertha ausgetauscht, bis die echte gefunden und an ihren Füßen erkannt wird, von denen einer größer als der andere ist.

Inhalt

„Blancheflor, die in heidnischer Gefangenschaft geborene Tochter eines christlichen Grafen, und der heidnische Königssohn Floire wachsen gemeinsam in Spanien auf und lieben sich zärtlich von Kindesbeinen an. Floires Vater ist davon nicht sehr erbaut; deshalb verkauft er Blancheflor insgeheim an ehrbare Kaufleute, die das schöne Kind für einen ansehnlichen Haufen Gold an den Emir von Babylon weiter verschachern. Als Floire hinter die Tat seines Vaters kommt, schlägt er Krach und begibt sich auf die Suche nach Blancheflor, findet auch überall Spuren, gelangt nach Babylon und läßt sich, in einem Blumenkorb versteckt, heimlich in den Harem einschmuggeln, der Blancheflor beherbergt. Das Paar wird entdeckt und zum Feuertod verurteilt. Aber Unschuld und Edelmut der beiden vermögen den Emir zu besänftigen: er gibt sie frei. Und damit nicht genug. Obwohl er die vorsichtige Angewohnheit hat, seine Frauen immer nur für ein Jahr zu heiraten, macht er Blancheflor zuliebe eine Ausnahme und heiratet deren Freundin Claris gleich auf Lebenszeit. Inzwischen ist Floires Vater gestorben; man kann also beruhigt nach Spanien zurückkehren; Floire wird Christ, und mit ihm läßt sich sein ganzes Volk taufen. So werden die Spanier christlich! Unsere Liebenden regieren als Königspaar bis an ihr seliges Ende.“ (Lit.: Köhler, S 205)

Der orientalische Ursprung der Sage

Die Sage selbst ist orientalischen Ursprungs. So beschrieb im 11. Jahrhundert der persische Dichter Ayyuqi die Liebe und die Abenteuer von Warqa und Gulschah, die zu frühesten persischen Liebesepen zählt und wegen seiner farbigen Schilderung des kriegerischen Nomadenlebens und des Luxus bei Hofe berühmt wurde. Warqa und Gulschah lieben einander schon von frühester Kindheit an, doch kurz vor der Hochzeit wird die Braut von Nomaden entführt. Doch die beiden bleiben einander auch über den Tod hinaus treu und ihre Liebe wird auf märchenhafte Weise belohnt. Nach Ayyuqis eigener Angabe basiert die Geschichte auf einer arabischen Vorlage, nämlich auf der Romanze von Urwa und Afra. Hier ist es die Mutter der jungen Afra, die die Heirat mit dem wenig begüterten Urwa verhindern will und ihrer Tochter an einen reichen Mann verheiratet. Als Urwa aus der Ferne heimkehrt, gaukelt sie ihm mit einem falschen Grabmahl vor, Afra sei gestorben. Doch später macht Urwa seine Geliebte ausfindung, besucht sie im Haus ihres Gatten und gibt sich durch seinen Ring zu erkennen.

Geistiger Hintergrund

Rudolf Steiner gibt uns Auskunft über den geistigen Hintergrund der Sage von Flor und Blancheflor und den Zusammenhang mit Christian Rosenkreutz, dem Begründer des Rosenkreuzer-Schulungswegs:

„In den Eingeweihtenkreisen sagte man: Dieselbe Seele, die in Flos oder Flor war und die besungen wird in dem Liede, ist wiederverkörpert erschienen im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zur Begründung einer neuen Mysterienschule, welche in einer neuen, der Neuzeit entsprechenden Weise das Christus-Geheimnis zu pflegen hat, in dem Begründer des Rosenkreuzertums.“ (Lit.:GA 57, S. 422f)

„Es ist eine verhältnismäßig wenig beachtete Sage, die 1230 von Konrad Fleck in dichterische Form gebracht wurde. Sie gehört zu den Sagen und Mythen der Provence, und schließt sich an an die Einweihung der Gralsritter oder Templeisen. Sie redet von einem alten Paar «Flor und Blancheflor». Das bedeutet ungefähr in heutiger Sprache: die Blume mit roten Blättern oder die Rose, und die Blume mit weißen Blättern oder die Lilie. Früher wurde viel mit dieser Sage verbunden. Nur skizzenhaft zusammengedrängt kann das heute gesagt werden. Man sagte sich: Flor und Blancheflor sind Seelen, in Menschen verleiblicht, die schon einmal gelebt haben. Die Sage bringt sie zusammen mit den Großeltern Karls des Großen. In Karl dem Großen aber sahen die, welche mit den Sagen sich intimer beschäftigten, die Gestalt, die in gewisser Weise in Beziehung gebracht hat das innere esoterische mit dem exoterischen Christentum. Das ist in der Kaiserkrönung ausgedrückt. Geht man zu seinen Großeltern zurück, zu Flor und Blancheflor, so lebten in ihnen Rose und Lilie, die rein bewahren sollten das esoterische Christentum, wie es zurückgeht auf Dionysios den Areopagiten. Nun sah man in der Rose, in Flor oder Flos das Symbolum für die menschliche Seele, die den Persönlichkeits-, den Ich-Impuls in sich aufgenommen hat, die das Geistige aus ihrer Individualität wirken läßt, die bis in das rote Blut hinein den Ich-Impuls gebracht hat. In der Lilie aber sah man das Symbolum der Seele, die nur dadurch geistig bleiben kann, daß das Ich außerhalb ihrer bleibt, nur bis an die Grenze herankommt. So sind Rose und Lilie zwei Gegensätze. Rose hat das Selbstbewußtsein ganz in sich, Lilie ganz außer sich. Aber die Vereinigung der Seele, die innerhalb ist, und der Seele, die außen als Weltengeist die Welt belebt, ist dagewesen. Flor und Blancheflor drückt aus das Finden der Weltenseele, des Welten-Ich durch die Menschenseele, das Menschen-Ich.

Das, was später durch die Sage vom Heiligen Gral geschah, ist auch hier durch diese Sage ausgedrückt. Es ist kein äußerliches Paar. In der Lilie ist ausgedrückt die Seele, die ihre höhere Ichheit findet. In der Vereinigung von Lilienseele und Rosenseele wurde das gesehen, was Verbindung finden kann mit dem Mysterium von Golgatha. Daher sagte man sich: Gegenüber der Strömung europäischer Einweihung, die herbeigeführt wird durch Karl den Großen, und durch die zusammengeschmiedet wird exoterisches und esoterisches Christentum, soll lebendig gehalten, soll rein fortgesetzt werden das rein esoterische Christentum. In den Eingeweihtenkreisen sagte man: Dieselbe Seele, die in Flos oder Flor war und die besungen wird in dem Liede, ist wiederverkörpert erschienen im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zur Begründung einer neuen Mysterienschule, welche in einer neuen, der Neuzeit entsprechenden Weise das Christus-Geheimnis zu pflegen hat, in dem Begründer des Rosenkreuzertums. Da tritt uns das Geheimnis von der Rose schon in einer verhältnismäßig alten Zeit entgegen. Die Sage wird sogar schon versetzt in die Zeit vor Karl dem Großen. Und so flüchtete sich das esoterische Christentum in das Rosenkreuzertum. Das Rosenkreuzertum hat seit dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die Eingeweihten herangebildet, welche die Nachfolger der alten europäischen Mysterien und die Nachfolger der Schule vom Heiligen Gral sind.“ (Lit.:GA 57, S. 437ff)

Nach Rudolf Steiner wurde die Legende inspiriert von dem hohen Eingeweihten Titurel, dem Stammvater der Gralshüter.

„Und der Hüter des Grals, König Titurel, war die Wiederverkörperung des hohen Eingeweihten, der eine bestimmte Periode in der Geschichte vorbereiten sollte. Es gibt eine altfranzösische Legende, die Legende von Flore und Blanscheflur, die von Titurel inspiriert wurden und die im Laufe der Inkarnationen eine Persönlichkeit hervorbringen und inspirieren mußten, die in der Weltgeschichte und in der Entwicklung eine große Rolle spielen sollte. Diese Persönlichkeit war Karl der Große.“ (Lit.:GA 266a, S. 503)

Literatur

  1. Christine Putzo: Konrad Fleck: Flore und Blanscheflur: Text und Untersuchungen, De Gruyter 2015, ISBN 978-3110349597
  2. Erich Köhler: Vorlesungen zur Geschichte der Französischen Literatur, Herausgegeben von Henning Krauß und Dietmar Rieger Band 1,1 online
  3. Rudolf Steiner: Wo und wie findet man den Geist?, GA 57 (1984)
  4. Rudolf Steiner: Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band I: 1904 – 1909, GA 266/1 (1995), ISBN 3-7274-2661-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

  1. Konrad Fleck: Flore und Blanscheflur, eine Erzählung von Konrad Fleck, herausgegeben von Emil Sommer, (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit), 1846 - Faksimile
  2. Cod. Pal. germ. 362: Konrad Fleck: „Flore und Blanscheflur“ - Bibliotheca Palatina digital
  3. Flos und Blankflos - in der Fassung von Karl Simrock.
  4. Christian Rosenkreutz und die Rose - eine Betrachtung von Hella Krause-Zimmer (aus „Das Goetheanum“, vom 31.1.1993).
  5. Carmina Burana, ca. 1230 - in der Bibliotheka Augustana (lat.)
  1. Vers 142