Ethnographie

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Der Ethnograph Bronisław Malinowski bei den pazifischen Trobriandern (um 1918)

Ethnographie oder Ethnografie (altgriech. éthnos, deutsch ‚fremdes Volk, graphé ‚Schrift‘: „Völkerbeschreibung“) ist eine Methode der Ethnologie (Völkerkunde) und übergeordnet der Anthropologie (Menschenkunde). Als systematische Beschreibung der mittels Feldforschung vor Ort gewonnenen Erkenntnisse können auch Eindrücke aus der teilnehmenden Beobachtung schriftlich festgehalten werden.

Eine Ethnographie versucht das Zusammenleben, die soziale und politische Organisation und die kulturellen Ausprägungen einer abgegrenzten Gesellschaft aus der Sichtweise ihrer Angehörigen zu beschreiben und zu verstehen. Allgemein ist heute jedoch umstritten, inwieweit dies grundsätzlich möglich ist. So weist beispielsweise der Ethnologe Clifford Geertz 1988 in seinem Buch Die künstlichen Wilden darauf hin, dass es keine objektive Ethnographie gebe und Ethnographen durch die Abbildung einer fremden Welt zugleich eine Fiktion schaffen.

Unabhängig von der Ethnologie hat auch die Soziologie ab den 1920er Jahren ethnographische Methoden entwickelt, die im Unterschied zur Völkerkunde in der eigenen Gesellschaft durchgeführt werden. Ethnographische Forschung ist daher nicht auf außereuropäische Gesellschaften beschränkt und betrachtet nicht nur einzelne ethnische Gruppen oder indigene Völker. Auch kleinere, multiethnische Gruppen, die Bewohner eines Stadtteils, die Belegschaft eines Büros, die Wissenschaftler in einem Labor oder einzelne Jugendgruppen können Gegenstand soziologischer Ethnographien sein (siehe auch Soziographien zur Beschreibung sozialer Tatbestände).

Der deutsche Soziologe Karl-Heinz Hillmann fasste 1994 zusammen: „Die Entwicklung der Ethnographie ist eng verbunden mit der Horizonterweiterung europäischer Sozialwissenschaften infolge immer neuer, geographischer Entdeckungen und Erkundungen durch kapitalistisch-koloniale Expansion und christliche Missionierung.“[1]

Siehe auch

Literatur

  • Clifford Geertz: Die künstlichen Wilden. Der Anthropologe als Schriftsteller. Fischer, Frankfurt 1993, ISBN 3-596-11279-6 (Original 1988: Works and Lives).
  • Arnold Groh: Research Methods in Indigenous Contexts. Springer, New York 2018, ISBN 978-3-319-72774-5.
  • Tim Ingold: Anthropology is Not Ethnography. Radcliffe-Brown Lecture in Social Anthropology. In: Proceedings of the British Academy. Band 154. London 2008, S. 69–92 (zweiteilige Vorlesung; PDF-Datei; 94 kB; 24 Seiten auf britac.ac.uk).
  • Tim Ingold: That’s enough about ethnography! In: HAU. Journal of Ethnographic Theory. Band 4, Nr. 1, 2014 doi:10.14318/hau4.1.021.
  • Marcus Köhler: „Völker-Beschreibung“. Die ethnographische Methodik Georg Wilhelm Stellers (1709–1746) im Kontext der Herausbildung der „russischen“ ėtnografija. VDM, Saarbrücken 2008, ISBN 978-3-639-02427-2 (on demand).
  • Klaus E. Müller: Geschichte der antiken Ethnographie und ethnologischen Theoriebildung. 2 Bände. Wiesbaden 1972–1980.
  • Han F. Vermeulen: Before Boas: The Genesis of Ethnography and Ethnology in the German Enlightenment. University of Nebraska Press, Lincoln/ London 2015, ISBN 978-0-8032-5542-5.
  • Michael Dellwing Michael und Robert Prus: Einführung in die interaktionistische Ethnografie. Soziologie im Außendienst. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-531-94265-0

Klassische Ethnographien:

Weblinks

Commons: Ethnographie - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
Commons: Ethnographische Museen - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Ethnographie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Karl-Heinz Hillmann: Ethnographie. In: Derselbe: Wörterbuch der Soziologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 410). 4., überarbeitete und ergänzte Auflage. Kröner, Stuttgart 1994, ISBN 3-520-41004-4.
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