Wahrnehmung und Gradualismus: Unterschied zwischen den Seiten

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Als '''Wahrnehmungen''' ({{EnS|perception}}, von {{laS|''percipere''}} „wahrnehmen, erfassen, ergreifen, vernehmen“) bezeichnet [[Rudolf Steiner]] in seiner [[Philosophie der Freiheit]] die [[Empfindung]]sobjekte, wie sie dem Menschen durch unmittelbare [[Beobachtung]] gegeben sind. Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird aber auch die '''Wahrnehmungstätigkeit''' selbst als ''Wahrnehmung'' bezeichnet. Gemeinsam werden beide, also die Wahrnehmungstätigkeit und der dadurch [[Phänomen|phänomenal]] erlebte [[Bewusstsein]]sinhalt, das sog. [[Perzept]], auch als [[Perzeption]] ({{laS|''perceptio''}}) bezeichnet. Wahrnehmungen beschränken sich nicht alleine auf die [[sinnliche Welt]], sondern man kann in gleichem Sinn auch von [[Seele|seelischen]] und [[Geist|geistigen]] Wahrnehmungen sprechen. Die [[Sinneswahrnehmung]] ist nur ein spezieller Fall der Wahrnehmung überhaupt.
[[Datei:Punctuated-equilibrium-de.svg|thumb|Gradualismus, oben]]
Der '''Gradualismus''' ist ein Konzept der [[Evolutionstheorie]]. Er hat zwei unterschiedliche Bedeutungen. Im Kontext der Evolutionsrate bedeutet Gradualismus, dass die Evolutionsrate konstant ist (Phyletischer Gradualismus). Im Kontext der Evolution von [[Evolutionäre Anpassung|Adaptionen]] bedeutet Gradualismus, dass Adaptionen sich über viele Zwischenschritte bilden und nicht sprunghaft erscheinen.<ref name=ridley>[[Matt Ridley]]: ''Evolution''. John Wiley & Sons, 2003 (3. Auflage). ISBN 1405103450.</ref>


== Wahrnehmung und Sinnesempfindung ==
Der phyletische Gradualismus liegt dann vor, wenn die Evolutionsrate konstant ist. Ist die Evolutionsrate innerhalb einer [[Art (Biologie)|Art]] langsamer als bei der Entstehung neuer Arten, spricht man stattdessen von [[Punktualismus]]. Während die darwinistische Evolutionstheorie nicht auf den phyletischen Gradualismus angewiesen ist, ist der Gradualismus im Zusammenhang mit der Evolution von Adaptionen ein alternativloser Bestandteil.<ref name="ridley" />


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[[Darwin]] betonte stets, dass die Evolution langsam und graduell ist. [[Stephen Jay Gould]] schloss daraus, dass Darwin damit den phyletischen Gradualismus meinte, und dass die Theorie des Punktualismus damit [[Darwinismus]] und [[Neodarwinismus]] widerspreche. Nach Ansicht von [[Richard Dawkins]] bezog sich Darwin nicht auf die Evolutionsrate und die [[Artbildung]]. Darwins Bemerkungen im letztgenannten Kontext seien durchaus mit dem Punktualismus vereinbar:<ref name="ridley" />
"Bei dem Schwanken des Sprachgebrauches erscheint es mir geboten, dass ich mich mit meinem Leser über den Gebrauch eines Wortes verständige, das ich im folgenden anwenden muss. Ich werde die unmittelbaren Empfindungsobjekte, die ich oben genannt habe, insofern das bewusste Subjekt von ihnen durch Beobachtung Kenntnis nimmt, Wahrnehmungen nennen. Also nicht den Vorgang der Beobachtung, sondern das Objekt dieser Beobachtung bezeichne ich mit diesem Namen.


Ich wähle den Ausdruck Empfindung nicht, weil dieser in der Physiologie eine bestimmte Bedeutung hat, die enger ist als die meines Begriffes von Wahrnehmung. Ein Gefühl in mir selbst kann ich wohl als Wahrnehmung, nicht aber als Empfindung im physiologischen Sinne bezeichnen. Auch von meinem Gefühle erhalte ich dadurch Kenntnis, dass es Wahrnehmung für mich wird. Und die Art, wie wir durch Beobachtung Kenntnis von unserem Denken erhalten, ist eine solche, dass wir auch das Denken in seinem ersten Auftreten für unser Bewusstsein Wahrnehmung nennen können." {{Lit|{{G|4|63}}}}
{{Zitat|Viele Arten erfahren, wenn sie gebildet sind, niemals weitere Veränderungen (...) und die Zeiträume, während welcher die Arten der Modification unterlegen sind, waren zwar nach Jahren gemessen lang, aber wahrscheinlich im Verhältnis zu denen, in welchen sie unverändert geblieben sind, doch nur kurz.|Charles Darwin|Die Entstehung der Arten. S. 551}}
</div>


Im Sinne Steiners muss man also deutlich zwischen Wahrnehmung und [[Empfindung]] ([[Sinnesempfindung]]) unterscheiden, wobei weiters zu beachten ist, dass die Wahrnehmung als [[Ganzes]] dem [[Bewusstsein]] zuerst gegeben ist; sie muss erst zergliedert werden, um zu den Empfindungen zu kommen. Primär haben wir es nämlich nicht mit einzelnen isolierten Empfindungen zu tun, sondern mit einer ganzen Gruppe miteinander verbundener Empfindungen.
Darwin und alle nachfolgenden Versionen des Darwinismus waren gradualistisch in Bezug auf die Evolution von Adaptionen, aber nicht in Bezug auf die Evolutionsrate. Die einzige Bedingung, welche die Evolutionstheorie an die Evolutionsrate stellt, ist, dass [[Fossilien]] nicht schneller evolvieren dürfen als die schnellsten experimentell nachgewiesenen und auf normaler genetischer Variation beruhenden Evolutionsraten. Sollte diese Bedingung nicht eingehalten werden, wäre dies eine ernste Herausforderung für den Neodarwinismus. Alle bis dato bekannten Fossilevolutionsraten sind jedoch langsamer als die aus genetischen Experimenten.<ref name="ridley" />


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== Einzelnachweise ==
"Wenn wir einem Gegenstand gegenübertreten,
<references/>
so ist das, was sich zuerst abspielt, die Empfindung. Wir
bemerken eine Farbe, einen Geschmack oder Geruch, und diesen
Tatbestand, der sich da zwischen Mensch und Gegenstand abspielt,
müssen wir zunächst als durch die Empfindung charakterisiert betrachten.
Was in der Aussage liegt: Etwas ist warm, kalt und so weiter,
ist eine Empfindung. Diese reine Empfindung haben wir aber eigentlich
im gewöhnlichen Leben gar nicht. Wir empfinden an einer
roten Rose nicht nur die rote Farbe, sondern wenn wir in Wechselwirkung
treten mit den Gegenständen, so haben wir immer gleich
eine Gruppe von Empfindungen. Die Verbindung der Empfindungen
«Rot, Duft, Ausdehnung, Form» nennen wir «Rose». Einzelne
Empfindungen haben wir eigentlich nicht, sondern nur Gruppen
von Empfindungen. Eine solche Gruppe kann man eine «Wahrnehmung» nennen.


In der formalen Logik muß man scharf unterscheiden zwischen
[[Kategorie:Evolution]]
Wahrnehmung und Empfindung. Wahrnehmung und Empfindung
sind etwas durchaus Verschiedenes. Die Wahrnehmung ist das erste,
was uns entgegentritt, sie muß erst zergliedert werden, um eine
Empfindung zu haben." {{Lit|{{G|108|198f}}}}
</div>


== Die äußere Wahrnehmung als Spiegelung am physischen Leib ==
{{Wikipedia}}
 
<div style="margin-left:20px">
"Wie kommt eigentlich
die äußere Wahrnehmung zustande ? Nun, nicht wahr, da denken
die Menschen gewöhnlich - besonders Menschen, die sich sehr
gescheit dünken - , daß die äußere Wahrnehmung dadurch zustande
kommt, daß die Dinge draußen sind, der Mensch in seiner Haut
steckt, daß die äußeren Dinge einen Eindruck auf ihn machen, und
daß dadurch sein Gehirn ein Bild der äußeren Objekte und Formen
in seinem Innern erzeugt. Nun, es ist ganz und gar nicht so, sondern
es verhält sich ganz anders. In Wahrheit ist der Mensch gar nicht
drinnen innerhalb seiner Haut [mit seinem Geistig-Seelischen]; das
ist er gar nicht. Wenn der Mensch zum Beispiel dieses Rosen-Bukettchen
sieht, so ist er mit seinem Ich und Astralleib in der Tat da drinnen
in dem Bukettchen, und sein Organismus ist ein Spiegelungsapparat
und spiegelt ihm die Dinge zurück. Sie sind in Wahrheit immer
ausgebreitet über den Horizont, den Sie überschauen. Und im
Wachbewußtsein stecken Sie eben mit einem wesentlichen Teil Ihres
Ich und Astralleibes auch im physischen und ätherischen Leibe
drinnen. Der Vorgang ist nun wirklich so - ich habe das oft in Vorträgen
erwähnt - : Denken Sie sich, sie gingen in einem Zimmer herum,
in dem eine Anzahl von Spiegeln an den Wänden angebracht
wären. Sie können durch den Raum gehen. Wo Sie keinen Spiegel
haben, sehen Sie sich selber nicht. Sobald Sie aber an einen Spiegel
kommen, sehen Sie sich. Kommt eine Stelle ohne Spiegel, sehen Sie
sich nicht, und wenn wieder ein Spiegel da ist, sehen Sie sich wieder.
So ist es auch mit dem menschlichen Organismus. Er ist nicht der
Erzeuger der Dinge, die wir in der Seele erleben, er ist nur der Spiegelungsapparat.
Die Seele ist beisammen mit den Dingen da draußen,
zum Beispiel hier mit diesem Rosen-Bukettchen. Daß die Seele
das Bukettchen bewußt sieht, hängt davon ab, daß das Auge in Verbindung
mit dem Gehirnapparat der Seele das zurückspiegelt, womit
die Seele zusammenlebt. Und in der Nacht nimmt der Mensch
nicht wahr, weil er, wenn er schläft, Ich und Astralleib aus seinem
physischen und ätherischen Leib herauszieht, und diese dadurch aufhören,
ein Spiegelungsapparat zu sein. Das Einschlafen ist so, als ob
Sie einen Spiegel, den Sie vor sich hatten, wegnehmen. Solange Sie
in den Spiegel hineinsehen können, haben Sie Ihr eigenes Antlitz
vor sich; nehmen Sie den Spiegel weg, flugs ist nichts mehr da von
Ihrem Antlitz.
 
So ist der Mensch in der Tat mit dem seelisch-geistigen Wesen in
dem Teil der Welt, den er überschaut, und er sieht ihn dadurch bewußt,
daß ihn sein Organismus spiegelt. Und in der Nacht wird dieser
Spiegelungsapparat weggezogen, da sieht er nichts mehr. Der
Teil der Welt, den wir sehen, der sind wir selbst.
 
Das ist eines der schlimmsten Stücke der Maja, daß der Mensch
glaubt, er stecke mit seinem Geistig-Seelischen in seiner Haut. Das
tut er nicht. In Wirklichkeit steckt er in den Dingen, die er sieht.
Wenn ich einem Menschen gegenüberstehe, so stecke ich in ihm
drinnen mit meinem Ich und Astralleib. Würde ich nicht meinen
Organismus ihm entgegenhalten, so würde ich ihn nicht sehen. Daß
ich ihn sehe, daran ist mein Organismus schuld, aber mit meinem
Ich und Astralleib stecke ich in ihm drinnen. Daß man das nicht so
ansieht, das gehört eben zu den, ich möchte sagen, verhängnisvollsten
Dingen der Maja.
 
So verschaffen wir uns eine Art Begriff, wie das Wahrnehmen
und das Erleben auf dem physischen Plan ist." {{Lit|{{G|156|22f}}}}
</div>
 
== Über die vermeintliche Subjektivität der Wahrnehmung ==
 
Nach einer bis heute verbreiteten Ansicht wird den als Wahrnehmung gegebenen [[Sinnesqualitäten]], den [[Qualia]], namentlich den von [[Wikipedia:John Locke|John Locke]] so genannten [[Sekundäre Sinnesqualitäten|sekundären Sinnesqualitäten]], zu denen etwa [[Farben]], [[Töne]], [[Wärme]]-, [[Geschmack]]s- und [[Geruch]]eindrücke zählen (also die Sinnesmodalitäten der klassischen fünf Sinne), jeglicher [[objektiv]]e Charakter abgesprochen. Sie seien nur [[subjektiv]]e, durch die [[Sinnesorgane]] und das [[Gehirn]] bedingte Reaktionen auf äußere Reize, die als solche keine Ähnlichkeit mit den im [[Bewusstsein]] erlebten Sinnesqualitäten hätten. Untermauert wurde diese Ansicht wesentlich durch das von dem [[Biologe]]n [[Wikipedia:Johannes Müller (Biologe)|Johannes Müller]] [[Wikipedia:1826|1826]] aufgrund empirischer Untersuchungen formulierte [[Gesetz der spezifischen Sinnesenergien]], wonach jedes Sinnesorgan, egal durch welche Art von Reiz es erregt wird (etwa mechanisch, durch Licht, Elektrizität usw.), stets mit der ihm eigentümlichen [[Sinnesmodalität]] antwortet. So liefert etwa das Auge, egal wie es gereizt wird, stets nur Hell/Dunkel- und Farbeindrücke, das Ohr nur Töne bzw. Geräusche usw.
 
Diese Ansicht beruht nach [[Rudolf Steiner]] auf einem grundlegenden Irrtum. Im Wesen der Sinnesorgane liege es gerade, dass sie sich in ihrem Eigenwesen so weit zurücknehmen, dass sie gleichsam völlig durchsichtig für die objektiv gegebenen Wahrnehmungen sind. Und das gilt nicht nur für das [[Auge]], sondern für alle [[Sinne]]. Es sei eben überhaupt völlig verkehrt, davon auszugehen, dass die im Bewusstsein erlebte Wahrnehmung eine bloß subjektive Reaktion auf den objektiv gegebenen Reiz sei. Die Unterscheidung zwischen subjektiv und objektiv sei nicht durch die Wahrnehmung, sondern erst durch das Denken gegeben - und dieses zeige, dass die Eigenart der Sinnesorgane gerade darin besteht, dass sie sich in ihrem Eigenwesen soweit ausschalten, dass sie dem Bewusstsein den Zugang zu der objektiv gegebenen Wahrnehmung eröffnen. Der Reiz als solcher hat mit der objektiv gegebenen Wahrnehmungsqualität unmittelbar gar nichts zu tun, sondern schafft nur die Gelegenheit, dass diese wahrgenommen werden kann. So hat etwa die auf das Auge eintreffende [[Wikipedia:elektromagnetische Welle|elektromagnetische Welle]] spezifischer [[Wikipedia:Wellenlänge|Wellenlänge]] unmittelbar ''nichts'' mit der erlebten Farbqualität zu tun, aber sie bildet zusammen mit dem Auge als Sinnesorgan die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Farbe sinnlich wahrgenommen werden kann. Diese ist nicht weniger objektiv gegeben als die elektromagnetische Welle, die dem Bewusstsein gleichsam nur den Weg bahnt, sich mit der Farbe wahrnehmend zu verbinden. Das Auge ist aber ein Wahrnehmungsorgan für die Farben und ''nicht'' für die elektromagnetische Welle, denn diese wird durch das Auge eben gerade nicht wahrgenommen, sondern vollständig ausgeblendet. Darin liegt auch die Schwierigkeit, die [[Physik]]er zumeist mit [[Goethes Farbenlehre]] haben, denn diese beschäftigt sich unmittelbar mit den [[Farben]] und nicht mit den elektromagnetischen Wellen, die in der [[Physik]] mittels geeigneter Messinstrumente untersucht werden. Es ist sogar sehr charakteristisch für den [[Mensch]]en, dass er ''kein'' unmittelbares Wahrnehmungsorgan für elektromagnetische Vorgänge hat, sondern diese nur durch entsprechende [[Messgerät]]e indirekt registrieren kann.
 
{{GZ|Die angeführte Beobachtung beweist nur, daß der sinn- und geistbegabte Organismus die verschiedenartigsten Eindrücke in die Sprache der Sinne übersetzen kann, auf die sie ausgeübt werden. Nicht aber, daß der Inhalt jeder Sinnesempfindung auch nur im Innern des Organismus vorhanden ist. Bei einer Zerrung des Sehnervs entsteht eine unbestimmte, ganz allgemeine Erregung, die nichts enthält, was veranlaßt, ihren Inhalt in den Raum hinaus zu versetzen. Eine Empfindung, die durch einen wirklichen Lichteindruck entsteht, ist inhaltlich unzertrennlich verbunden mit dem Räumlich-Zeitlichen, das ihr entspricht. Die Bewegung eines Körpers und seine Farbe sind auf ganz gleiche Weise Wahmehmungsinhalt. Wenn man die Bewegung für sich vorstellt, so abstrahiert man von dem, was man noch sonst an dem Körper wahrnimmt. Wie die Bewegung, so sind alle übrigen mechanischen und mathematischen Vorstellungen der Wahrnehmungswelt entnommen. Mathematik und Mechanik entstehen dadurch, daß von dem Inhalte der Wahrnehmungswelt ein Teil ausgesondert und für sich betrachtet wird. In der Wirklichkeit gibt es keine Gegenstände oder Vorgänge, deren Inhalt erschöpft ist, wenn man das an ihnen begriffen hat, was durch Mathematik und Mechanik auszudrücken ist. Alles Mathematische und Mechanische ist an Farbe, Wärme und andere Qualitäten gebunden. Wenn der Physik nötig ist, anzunehmen, daß der Wahrnehmung einer Farbe Schwingungen im Raume entsprechen, denen eine sehr kleine Ausdehnung und eine sehr große Geschwindigkeit eigen ist, so können diese Bewegungen nur analog den Bewegungen gedacht werden, die sichtbar im Raume vorgehen. Das heißt, wenn die Körperwelt bis in ihre kleinsten Elemente bewegt gedacht wird, so muß sie auch bis in ihre kleinsten Elemente hinein mit Farbe, Wärme und andern Eigenschaften ausgestattet vorgestellt werden. Wer Farben, Wärme, Töne usw. als Qualitäten auffaßt, die als Wirkungen äußerer Vorgänge durch den vorstellenden Organismus nur im Innern desselben existieren, der muß auch alles Mathematische und Mechanische, das mit diesen Qualitäten zusammenhängt, in dieses Innere verlegen. Dann aber bleibt ihm für seine Außenwelt nichts mehr übrig. Das Rot, das ich sehe, und die Lichtschwingungen die der Physiker als diesem Rot entsprechend nachweist, sind in Wirklichkeit eine Einheit, die nur der abstrahierende Verstand voneinander trennen kann. Die Schwingungen im Raume, die der Qualität «Rot» entsprechen, würde ich als Bewegung sehen, wenn mein Auge dazu organisiert wäre. Aber ich würde verbunden mit der Bewegung den Eindruck der roten Farbe haben.
 
Die moderne Naturwissenschaft versetzt ein unwirkliches Abstraktum, ein aller Empfindungsqualitäten entkleidetes, schwingendes Substrat in den Raum und wundert sich, daß nicht begriffen werden kann, was den vorstellenden mit Nervenapparaten und Gehirn ausgestatteten Organismus veranlassen kann, diese gleichgültigen Bewegungsvorgänge in die bunte, von Wärmegraden und Tönen durchsetzte Sinnenwelt zu übersetzen. Du Bois-Reymond nimmt deshalb an, daß der Mensch wegen einer unüberschreitbaren Grenze seines Erkennens nie verstehen werde, wie die Tatsache: «ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot», zusammenhängt mit bestimmten Bewegungen kleinster Körperteile im Gehirn, welche Bewegungen wieder veranlaßt werden durch die Schwingungen der geschmack-, geruch-, ton- und farbenlosen Elemente der äußeren Körperwelt. «Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden.» («Grenzen des Naturerkennens», Leipzig 1882, S.33f.) Es liegt aber hier durchaus keine Erkenntnisgrenze vor. Wo im Raume eine Anzahl von Atomen in einer bestimmten Bewegung ist, da ist notwendig auch eine bestimmte Qualität (z.B. Rot) vorhanden. Und umgekehrt, wo Rot auftritt, da muß die Bewegung vorhanden sein. Nur das abstrahierende Denken kann das eine von dem andern trennen. Wer die Bewegung von dem übrigen Inhalte des Vorganges, zu dem die Bewegung gehört, in der Wirklichkeit abgetrennt denkt, der kann den Übergang von dem einen zu dem andern nicht wieder finden.
 
Nur was an einem Vorgang Bewegung ist, kann wieder von Bewegung abgeleitet werden; was dem Qualitativen der Farben- und Lichtwelt angehört, kann auch nur auf ein ebensolches Qualitatives innerhalb desselben Gebietes zurückgeführt werden. Die Mechanik führt zusammengesetzte Bewegungen auf einfache zurück, die unmittelbar begreiflich sind. Die Farbentheorie muß komplizierte Farbenerscheinungen auf einfache zurückführen, die in gleicher Weise durchschaut werden können. Ein einfacher Bewegungsvorgang ist ebenso ein Urphänomen, wie das Entstehen des Gelben aus dem Zusammenwirken von Hell und Dunkel. Goethe weiß, was die mechanischen Urphänomene für die Erklärung der unorganischen Natur leisten können. Was innerhalb der Körperwelt nicht mechanisch ist, das führt er auf Urphänomene zurück, die nicht mechanischer Art sind.|6|171ff}}
 
{{GZ|In Anbetracht solcher Fragen wie etwa der nach der
«Subjektivität der Wahrnehmung», liegt in der jüngsten
philosophischen Entwickelung ein vielfaches Konfundieren
der Vorstellungen vor, ein Anhäufen von Begriffen,
die eher die Probleme verdunkeln und verknäueln, als
daß sie sie erhellen und zu einer gewissen Lösung führen
würden.
 
Es handelt sich nämlich in dem Augenblick, wo man
Fragen aufwerfen will, die das Verhältnis von Objekt und
Subjekt im Wahrnehmen vorstellend und erkenntnisgemäß
betreffen, immer darum, durch eine sorgfältigste Analyse
desjenigen, was der Tatbestand ist, darauf zu kommen,
wie die Fragen eigentlich gestellt werden müssen. Denn oft
werden schon die Fragen aus irrtümlich gerichteten Vorstellungen
falsch formuliert. Und so ist es vielfach mit den
Fragen nach der «Subjektivität der Wahrnehmung».
Da wurde auf die Schwierigkeit mit dem partiell Farbenblinden
hingedeutet, von dem vorausgesetzt ist, daß er
eine, sagen wir, grüne Landschaft anders sehe als der sogenannte
normal Sehende. In dieser Vorstellung des partiell
Farbenblinden liegt die Schwierigkeit vor: inwieweit
muß man dem, was nun auch der sogenannte normal Sehende,
ich sage ganz ausdrücklich: der sogenannte normal
Sehende, sieht, Subjektivität beimessen?
 
Nun, da handelt es sich darum, daß man sich zunächst
das ganze Problem so vor Augen führen kann, daß es richtig
erscheint. «Richtig» bedeutet, daß die Art, wie man die
Elemente, die zur Problemstellung zusammengeführt werden
müssen, daß man dieses Wie des Zusammenführens in
der rechten Weise bewirkt. Nehmen Sie nur einmal an,
wenn irgend jemand sagt: Ja, die Außenwelt, die mir also,
sagen wir, in einer grünen Landschaft mit einer grünen
Tingierung erscheint, gibt mir Veranlassung dazu, nachzudenken,
ob nun die Qualität «grün» objektiv ist, ob ich
sie der Welt der Objektivität zuschreiben dürfe, oder ob
sie als subjektiv angesprochen werden müsse. — Dann muß
man sich, um überhaupt zur Problemstellung zu kommen,
solche Dinge überlegen, wie zum Beispiel dieses: Ja, wie
verhält sich nun die Sache, wenn ich irgend etwas, was
meinetwillen weiß oder gelb ist, durch eine grüne Brille
ansehe? Da sehen wir es grün tingiert. Ist das nun der
Sphäre der Objektivität zuzuschreiben, oder hat man da
von Subjektivität zu sprechen? Man wird sehr bald bemerken,
daß man ganz gewiß nicht dem, was da draußen
ist, dieses Grün, das ich durch eine grüne Brille sehe, wird
zuschreiben dürfen. Man wird nicht von Objektivität in
bezug auf die äußere Umwelt sprechen können. Aber man
wird doch auch ganz gewiß nicht davon sprechen können,
daß diese grüne Tingierung, die ich da herausbekommen
habe durch eine grüne Brille, auf irgend etwas Subjektivem
beruht. Sie ist durchaus gesetzmäßig objektiv bedingt,
ohne daß dasjenige, was ich hier als grün bezeichne, wirklich
grün ist.
 
Sie sehen, ich stelle damit, daß ich mir eine Vorstellung
bilde, ich möchte sagen, das Problem in ein besonderes
Licht hin, wo ich dasjenige, was ganz gewiß nicht der
Außenwelt angehört, doch objektiv, als auf objektive Art
entstanden nehmen muß; denn die Brille gehört nicht zu
mir, kann also ganz gewiß nicht in die Sphäre der Subjektivität
einbezogen werden. Solche Dinge könnten sogar
sophistisch erscheinen. Und dennoch sind solche Sophismen
sogar sehr häufig das, was einen darauf bringt, die Elemente,
die einen darauf führen sollen, die Fragen in entsprechender
Weise zu stellen, auch zusammenzubringen.
 
Man wird nämlich, wenn man solche scheinbaren Sophismen
in der richtigen Weise durchschaut, die ganze Fadenscheinigkeit
der Alltagsbegriffe «Subjekt» und «Objekt»,
die allmählich in die moderne philosophische Betrachtung
hineingebracht worden sind, durchschauen. Und man wird,
wenn man in eine richtige Fragestellung hineinkommt,
wohl immer mehr und mehr zu dem Weg, wie ich glaube,
geführt werden, den ich in meinen Schriften «Wahrheit
und Wissenschaft» und «Philosophie der Freiheit» eingeschlagen
habe, wo man überhaupt zunächst nicht den
Ausgangspunkt nimmt von den Begriffen «Subjekt» und
«Objekt», sondern wo man unabhängig von diesen Begriffen
etwas sucht, was über die Sphäre der Subjektivität
und Objektivität hinaus gelegen sein muß: das ist die
Funktion des Denkens.
 
Die Funktion des Denkens! Wenn man die Sache unabhängig
durchschaut, erscheint einem das Denken eigentlich
über das Subjektive und Objektive durchaus hinausliegend.
Und damit hat man einen Ausgangspunkt gewonnen,
von dem aus man dann auch in entsprechender Weise
da geführt werden kann, wo es sich um das solche Schwierigkeiten
bietende Problem der «Subjektivität» und «Objektivität» handelt. Denn man wird dann dazu geführt
- und Sie werden diesen Weg in diesen meinen beiden
Büchern durchaus eingehalten finden -, nicht zu fragen:
Wie wirkt eine äußere «objektive» Welt auf irgendeine
«subjektive» Welt, für die etwa der Vermittler, sagen wir,
das Auge ist? - sondern man wird zu etwas ganz anderem
geführt. Man wird nämlich dazu geführt, sich zu fragen:
Wie ist denn die Tatsache der Sinne selber? Welche Wesenhaftigkeit
zeigt einem der Sinn? Also zum Beispiel die
Konstitution des Auges?
 
Man wird dann finden, daß in dem Problem, das man
sich so stellt, etwas zutage tritt, das ich jetzt, weil ich
kurz sein muß - es könnte natürlich in einer stundenlangen
Erläuterung auch mit dem adäquaten Begriff umfaßt werden
-, durch einen Vergleich klarmachen will: Ich kann
auch durch eine Brille schauen und dennoch die Umwelt so
sehen, wie das naive Bewußtsein sie als wirklich empfindet,
mit ihren Farbentingierungen, mit allen ihren Sinnesqualitäten.
Ich muß nur durch eine farblos-durchsichtige
Brille schauen; ich darf nicht durch eine Brille schauen, die
mir die Außenwelt selber verändert. Und ich muß mich
jetzt hineinfinden in den Unterschied zwischen einer die
äußere Tingierung verändernden Brille und einer farblos
durchsichtigen Brille, die jede äußere Tingierung vermeidet.
Von diesem Vergleich aus - wie gesagt, es könnten
langatmige Überlegungen anstelle des Vergleichs gesetzt
werden - werde ich finden: wenn ich die Einrichtung des
sogenannten normalen Auges nehme, habe ich in ihm eine
Einrichtung gegeben, die sich gerade als durchsichtig erweist,
die sich vergleichen läßt mit dem durchsichtig-farblosen
Glase. Ich finde nichts im normalen Auge, was darauf hinweist, daß die Außenwelt qualitativ in irgendeiner
Weise verändert wird. Aber ich muß diese Untersuchung
anstellen nicht mit den gewöhnlichen Begriffen, die ich im
alltäglichen Bewußtsein habe, sondern mit dem imaginativen
Bewußtsein, das wirklich in die Einrichtungen des
Auges eindringen kann.
 
Für das imaginative Bewußtsein ist ein sogenanntes normales
Auge ein durchsichtiges Organ. Ein Auge, das partiell
farbenblind ist, das erweist sich für das imaginative
Bewußtsein als in einer gewissen Weise vergleichbar mit
einer farbigen Brille, als etwas, das allerdings eine Veränderung
vornimmt in dem «Subjekt».
 
So kommt man — indem man die Subjektivität aber in
einer höheren Auffassung auffaßt - gerade darauf, die
Sinnesapparate im weitesten Umfange als dasjenige anzusehen,
was sich vergleichen läßt mit dem Durchsichtigen,
was gerade so eingerichtet ist, daß es die eigene Produktion
der Sinnesqualitäten in sich aufhebt. Man lernt als
eine reine Phantasterei die Vorstellung erkennen, als ob
in diesem ideell Durchsichtigen - das gerade so eingerichtet
ist, daß es irgendeine Produktion der Sinnesqualitäten in
sich aufhebt —, in diesem ideell durchsichtigen Sinnesapparat
irgend etwas auftreten könnte, was Sinnesqualitäten
erst hervorriefe, was zu etwas anderem da wäre als den
Sinnesqualitäten den Durchgang zu lassen.|76|44ff}}
 
In seinem [[Wikipedia:1911|1911]] gehaltenen, richtungsweisenden [[Bologna-Vortrag]] ergänzte Rudolf Steiner:
 
{{GZ|Für die Erkenntnistheorie unserer Zeit ist es immer
mehr zu einer Art Axiom geworden, daß in dem Bewußtseinsinhalte zunächst nur Bilder, oder gar nur «Zeichen»
(''Helmholtz'') des Transzendent-Wirklichen gegeben seien.
Es braucht hier nicht auseinandergesetzt zu werden, wie die
kritische Philosophie und die Physiologie («[[spezifische Sinnesenergien]]», Ansichten von ''Johannes Müller'' und seiner
Nachfolger) zusammengewirkt haben, um eine solche Vorstellung
zu einer scheinbar unabweislichen zu machen. Der
«naive Realismus», welcher in den Erscheinungen des Bewußtseinshorizontes
etwas anderes sieht als Repräsentanten
subjektiver Art für ein Objektives, galt in der philosophischen
Entwickelung des neunzehnten Jahrhunderts als
eine für alle Zeit überwundene Sache. Aus dem aber, was
dieser Vorstellung zu Grunde liegt, ergibt sich fast mit
Selbstverständlichkeit die Ablehnung des theosophischen
Gesichtspunktes. Dieser kann ja für den kritischen Standpunkt
nur als ein unmögliches Überspringen der im Wesen
des Bewußtseins liegenden Grenzen angesehen werden.
Wenn man eine unermeßlich große, scharfsinnige Ausprägung
von kritischer Erkenntnistheorie auf eine einfache
Formel bringen will, so kann man etwa sagen: Der kritische
Philosoph sieht in den Tatsachen des Bewußtseinshorizontes
zunächst Vorstellungen, Bilder oder Zeichen,
und eine mögliche Beziehung zu einem Transzendent-Äußeren
könne nur ''innerhalb'' des denkenden Bewußtseins
gefunden werden. Das Bewußtsein könne sich eben nicht
selber überspringen, könne nicht aus sich heraus, um in ein
Transzendentes unterzutauchen. Solch eine Vorstellung hat
in der Tat etwas an sich, was wie eine Selbstverständlichkeit
erscheint. Und dennoch - sie beruht auf einer Voraussetzung,
die man nur zu durchschauen braucht, um sie abzuweisen.
Es klingt ja fast paradox, wenn man dem subjektiven Idealismus, der sich in der gekennzeichneten Vorstellung
ausspricht, einen versteckten Materialismus vorwirft.
Und doch kann man nicht anders. Es möge, was hier
gesagt werden kann, durch einen Vergleich veranschaulicht
werden. Man nehme Siegellack und drücke darin mit einem
Petschaft einen Namen ab. Der Name ist mit allem, worauf
es bei ihm ankommt, von dem Petschaft in den Siegellack
übergegangen. Was nicht aus dem Petschaft in das
Siegellack hinüberwandern kann, ist das Metall des Petschafts.
Man setze statt Siegellack das Seelenleben des Menschen
und statt Petschaft das Transzendente. Es wird dann
sofort ersichtlich, daß man von einer Unmöglichkeit des
Herüberwanderns des Transzendenten in die Vorstellung
nur sprechen kann, wenn man sich den objektiven Inhalt
des Transzendenten nicht spirituell denkt, was dann in
Analogie mit dem vollkommen in das Siegellack herübergenommenen
Namen zu denken wäre. Man muß vielmehr
die Voraussetzung zum Behufe des kritischen Idealismus
machen, daß der Inhalt des Transzendenten in Analogie zu
denken sei zum Metall des Petschaftes. Das aber kann gar
nicht anders geschehen, als wenn man die versteckte materialistische
Voraussetzung macht, das Transzendente müsse
durch ein materiell gedachtes Herüberfließen in die Vorstellung
von dieser aufgenommen werden. In dem Falle,
daß das Transzendente ein spirituelles ist, ist der Gedanke
eines Aufnehmens desselben von der Vorstellung absolut
möglich.|35|136f}}
 
{{GZ|''[[Wikipedia:Hermann von Helmholtz|Helmholtz]]'' sagt: Was der Mensch
vor sich hat, ist aus seiner Organisation herausgesponnen. Was wir
von dem Ding wahrnehmen, ist nicht einmal ein Bild, sondern nur
ein Zeichen. Das Auge macht nur Wahrnehmungen an der Oberfläche.
Der Mensch ist ganz in seine Subjektivität eingesponnen. Das
Ding an sich bleibt unbekannt. - So mußte es werden. Der Nominalismus hat das Geistige hinter der Oberfläche verloren. Das menschliche
Innere ist entkräftet worden. Das innere Arbeiten wird rein
formal. Wenn der Mensch hinter die Wirklichkeit dringen will, so
gibt ihm sein Inneres keine Antwort. Das ganze philosophische
Denken des 19. Jahrhunderts findet sich da nicht heraus. ''[[Eduard von Hartmann|Hartmann]]''
zum Beispiel kommt über die Vorstellung nicht hinaus. Ein einfacher
Vergleich kann darüber aufklären. Ein Petschaft enthält den
Namen Müller. Es kann nichts, auch nicht das kleinste Stoffliche
vom Messing des Petschafts in den Siegellack kommen. Folglich
kann nichts Objektives aus dem Petschaft hinüberkommen; der Name
Müller muß sich aus dem Siegellack bilden. Der Denker ist der
Siegellack. Nichts geht über vom Objekt auf den Denker. Und doch
ist der Name Müller im Siegellack. So nehmen wir den Inhalt aus
der objektiven Welt heraus, dennoch ist es der wahre Inhalt, den wir
herausnehmen. Wenn man bloß das Materielle nimmt, ist es richtig:
es kommt nichts vom Siegellack ins Petschaft und umgekehrt. Sobald
man aber den Geist sieht, das höhere Prinzip, der das Objektive
und Subjektive umfassen kann, da geht der Geist ein und aus ins
Subjektive und Objektive. Der Geist trägt herüber alles aus der Objektivität
in die Subjektivität. Das Ich ist objektiv und subjektiv in
sich selbst. Das hat Fichte gezeigt.|108|194f}}
 
== Reine Wahrnehmung ==
=== «Das unmittelbar gegebene Weltbild» ===
Die '''reine Wahrnehmung''' ist nur solange gegeben, als sich der Mensch des [[Denken]]s enthält. Die Welt erscheint dann als zusammenhangloses Aggregat von [[Empfindungsobjekte]]n. Alles, die sinnliche Welt und ebenso seelische und geistige Erlebnisse, ja alle Träume, Visionen und Halluzinationen, sind uns zunächst als Wahrnehmung gegeben. Das nennt Steiner '''das unmittelbar gegebene Weltbild'''. In welchem Verhältnis sie zur Wirklichkeit stehen, ob wir es mit einem realen [[Sein]] oder bloßem Schein zu tun haben, darüber kann uns erst das [[Denken]] aufklären. Erst indem wir die Wahrnehmung denkend mit dem zugehörigen [[Begriff]] durchdringen, stoßen wir zur [[Wirklichkeit]] vor.
 
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"Ein solcher Anfang kann aber nur mit dem unmittelbar gegebenen Weltbilde gemacht werden, d.i. jenem Weltbilde, das dem Menschen vorliegt, bevor er es in irgendeiner Weise dem Erkenntnisprozesse unterworfen hat, also bevor er auch nur die allergeringste Aussage über dasselbe gemacht, die allergeringste gedankliche Bestimmung mit demselben vorgenommen hat. Was da an uns vorüberzieht, und woran wir vorüberziehen, dieses zusammenhanglose und doch auch nicht in individuelle Einzelheiten gesonderte (1) Weltbild, in dem nichts voneinander unterschieden, nichts aufeinander bezogen ist, nichts durch ein anderes bestimmt erscheint: das ist das unmittelbar Gegebene. Auf dieser Stufe des Daseins - wenn wir diesen Ausdruck gebrauchen dürfen - ist kein Gegenstand, kein Geschehnis wichtiger, bedeutungsvoller als ein anderer bzw. ein anderes. Das rudimentäre Organ des Tieres, das vielleicht für eine spätere, schon durch das Erkennen erhellte Stufe des Daseins ohne alle Bedeutung für die Entwicklung und das Leben desselben ist, steht gerade mit demselben Anspruch auf Beachtung da, wie der edelste, notwendigste Teil des Organismus. Vor aller erkennenden Tätigkeit stellt sich im Weltbilde nichts als Substanz, nichts als Akzidenz, nichts als Ursache oder Wirkung dar; die Gegensätze von Materie und Geist, von Leib und Seele sind noch nicht geschaffen. Aber auch jedes andere Prädikat müssen wir von dem auf dieser Stufe festgehaltenen Weltbilde fernhalten. Es kann weder als Wirklichkeit noch als Schein, weder als subjektiv noch als objektiv, weder als zufällig noch als notwendig aufgefasst werden; ob es «Ding an sich» oder bloße Vorstellung ist, darüber ist auf dieser Stufe nicht zu entscheiden. Denn dass die Erkenntnisse der Physik und Physiologie, die zur Subsummierung des Gegebenen unter eine der obigen Kategorien verleiten, nicht an die Spitze der Erkenntnistheorie gestellt werden dürfen, haben wir bereits gesehen.
 
Wenn ein Wesen mit vollentwickelter, menschlicher Intelligenz plötzlich aus dem Nichts geschaffen würde und der Welt gegenüberträte, so wäre der erste Eindruck, den letztere auf seine Sinne und sein Denken machte, etwa das, was wir mit dem unmittelbar gegebenen Weltbilde bezeichnen. Dem Menschen liegt dasselbe allerdings in keinem Augenblicke seines Lebens in dieser Gestalt wirklich vor; es ist in seiner Entwicklung nirgends eine Grenze zwischen reinem, passiven Hinauswenden zum unmittelbar Gegebenen und dem denkenden Erkennen desselben vorhanden. Dieser Umstand könnte Bedenken gegen unsere Aufstellung eines Anfangs der Erkenntnistheorie erregen." {{Lit|{{G|3|49ff|45}}}}
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"Wir müssen uns vorstellen, dass ein Wesen mit vollkommen entwickelter menschlicher Intelligenz aus dem Nichts entstehe und der Welt gegenübertrete. Was es da gewahr würde, bevor es das Denken in Tätigkeit bringt, das ist der reine Beobachtungsinhalt. Die Welt zeigte dann diesem Wesen nur das bloße zusammenhanglose Aggregat von Empfindungsobjekten: Farben, Töne, Druck-, Wärme-, Geschmacks- und Geruchsempfindungen; dann Lust- und Unlustgefühle. Dieses Aggregat ist der Inhalt der reinen, gedankenlosen Beobachtung. Ihm gegenüber steht das Denken, das bereit ist, seine Tätigkeit zu entfalten, wenn sich ein Angriffspunkt dazu findet." {{Lit|{{G|4|62}}}}
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Wie Hartmut Traube<ref name="Traube"></ref> kritisch anmerkt, lässt Steiner dabei die Frage offen, ob nicht bereits die Wahrnehmung selbst ein mehr oder weniger unbewusstes ''vorbegriffliches Erkenntnisvermögen'' darstellt. Für Steiner stellt sich allerdings ''diese'' Frage im Sinne seiner ''bewusstseins-phänomenologischen'' Methode nicht - und das zu Recht. ''Vorbewusste'' oder ''vorbegriffliche'' Prozesse ''als solche'' fallen für Steiner eben gerade ''nicht'' in den Bereich der [[Erkenntnis]] - hier liegt eine wesentliche Differenz Steiners zu Kant. Eine Erkenntnis ''derartiger'' Prozesse ist, wie Steiner klar gezeigt hat, ebenfalls nur durch die gedankliche Durchdringung entsprechender [[sinnlich]]er und [[seelisch]]er [[Beobachtung]]en (z.B. der neurophysiologischen und psychologischen Grundlagen der Sinneswahrnehmung) möglich, aber ''keinesfalls'' durch rein [[philosophisch]]e Erwägungen.
 
{{GZ|Ich habe Ihnen gesprochen von der Konzeption meiner «Philosophie
der Freiheit». Diese «Philosophie der Freiheit» ist wirklich ein
Versuch, in bescheidener Weise es bis zum reinen Denken zu treiben,
bis zu jenem reinen Denken, in dem das Ich leben kann, in dem das
Ich sich halten kann. Dann kann man, wenn man dieses reine Denken
auf diese Weise erfaßt hat, ein anderes anstreben. Man kann dann dieses
Denken, das man jetzt dem Ich läßt, dem sich frei und unabhängig in
freier Geistigkeit fühlenden Ich überläßt, man kann dann dieses reine
Denken von dem Wahrnehmungsprozesse ausschalten, und man kann
gewissermaßen, während man sonst im gewöhnlichen Leben, sagen
wir, die Farbe sieht, indem man sie zugleich mit dem Vorstellen durchdringt,
man kann die Vorstellungen herausheben aus dem ganzen Verarbeitungsprozeß
der Wahrnehmungen und kann die Wahrnehmungen
selber direkt in unsere Leiblichkeit hineinziehen.
 
Goethe war schon auf dem Wege. Er hat schon die ersten Schritte
gemacht. Man lese im letzten Kapitel seiner Farbenlehre: «Die sinnlich-
sittliche Wirkung der Farbe», wie er bei jeder Wirkung etwas
empfindet, das zugleich tief sich vereinigt nicht bloß mit dem Wahrnehmungsvermögen,
sondern mit dem ganzen Menschen, wie er das
Gelbe, das Rote als attackierende Farbe empfindet, die gewissermaßen
ganz durch ihn durchdringt, ihn mit Wärme erfüllt, wie er ansieht das
Blaue und das Violette als diejenigen Farben, die einen gewissermaßen
aus sich selber herausreißen, als die kalten Farben. Der ganze Mensch
erlebt etwas bei der Sinneswahrnehmung. Die Sinneswahrnehmung
mit ihrem Inhalte geht unter in die Leiblichkeit und es bleibt gewissermaßen
darüber schweben das Ich mit dem reinen Gedankeninhalt.
Wir schalten das Denken aus, indem wir also intensiver als sonst, wo
wir den Wahrnehmungsinhalt durch die Vorstellungen abschwächen,
nun den ganzen Wahrnehmungsinhalt hereinnehmen und uns mit ihm
erfüllen. Wir erziehen uns in besonderer Weise zu einem solchen Erfüllen
unserer selbst mit dem Wahrnehmungsinhalte, wenn wir dasjenige,
wozu als zu einer Entartung der Orientale gekommen ist, das
symbolische Vorstellen, das bildliche Vorstellen, wenn wir das systematisch
treiben, wenn wir, statt daß wir im reinen Gedanken, im gesetzmäßig
logischen Gedanken den Wahrnehmungsinhalt auffassen,
nunmehr diesen Wahrnehmungsinhalt in Symbolen, in Bildern auffassen
und dadurch ihn gewissermaßen mit Umgehung der Gedanken
in uns hineinströmen lassen, wenn wir uns durchdringen mit all
der Sattheit der Farben, der Sattheit des Tones dadurch, daß wir nicht
begrifflich, daß wir symbolisch, bildlich zu unserer Schulung die Vorstellungen
innerlich erleben. Dadurch, daß wir nicht mit dem Gedankeninhalt,
wie es die Assoziations-Psychologie machen will, unser
Inneres durchstrahlen, sondern daß wir es durchstrahlen mit diesem
durch Symbole und Bilder angedeuteten Wahrnehmungsinhalt, dadurch
strömt uns von innen entgegen dasjenige, was in uns als ätherischer
Leib, astralischer Leib lebendig ist, dadurch lernen wir die Tiefe
unseres Bewußtseins und unserer Seele kennen. Man lernt wirklich das
Innere des Menschen auf diese Weise kennen, nicht durch jene schwafelnde
Mystik, die oftmals von nebulosen Geistern als ein Weg zum
inneren Gotte angegeben wird, die aber zu nichts anderem führt als
zu einer äußerlichen Abstraktion, bei der man doch, wenn man ein
ganzer, voller Mensch sein will, nicht stehenbleiben kann.
 
Will man den Menschen wirklich physiologisch erforschen, dann
muß man mit Ausschaltung des Denkens auf diese Weise das bildhafte
Vorstellen nach innen treiben, so daß die Leiblichkeit des Menschen
in Imaginationen darauf reagiert. Dies ist allerdings ein Weg,
der in der abendländischen Entwickelung erst im Beginne ist, aber es
ist der Weg, der eingeschlagen werden muß, wenn demjenigen, was
vom Oriente herüberströmt und was in die Dekadenz führen würde,
wenn es allein Geltung hätte, wenn dem etwas, das ihm gewachsen
ist, entgegengestellt werden soll, so daß wir zu einem Aufstieg und
nicht zu einem Niederstieg unserer Zivilisation kommen sollen.|322|104f}}
 
== Wahrnehmung und Vorstellung ==
 
Von der objektiven Wahrnehmung streng zu unterscheiden ist die subjektiv gebildete [[Vorstellung]]:
 
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"Was ist also die Wahrnehmung? Diese Frage ist, im allgemeinen gestellt, absurd. Die Wahrnehmung tritt immer als eine ganz bestimmte, als konkreter Inhalt auf. Dieser Inhalt ist unmittelbar gegeben, und erschöpft sich in dem Gegebenen. Man kann in bezug auf dieses Gegebene nur fragen, was es außerhalb der Wahrnehmung, das ist: für das Denken ist. Die Frage nach dem «Was» einer Wahrnehmung kann also nur auf die begriffliche Intuition gehen, die ihr entspricht. Unter diesem Gesichtspunkte kann die Frage nach der Subjektivität der Wahrnehmung im Sinne des kritischen Idealismus gar nicht aufgeworfen werden. Als subjektiv darf nur bezeichnet werden, was als zum Subjekte gehörig wahrgenommen wird. Das Band zu bilden zwischen Subjektivem und Objektivem kommt keinem im naiven Sinn realen Prozess, das heißt einem wahrnehmbaren Geschehen zu, sondern allein dem Denken. Es ist also für uns objektiv, was sich für die Wahrnehmung als außerhalb des Wahrnehmungssubjektes gelegen darstellt. Mein Wahrnehmungssubjekt bleibt für mich wahrnehmbar, wenn der Tisch, der soeben vor mir steht, aus dem Kreise meiner Beobachtung verschwunden sein wird. Die Beobachtung des Tisches hat eine, ebenfalls bleibende, Veränderung in mir hervorgerufen. Ich behalte die Fähigkeit zurück, ein Bild des Tisches später wieder zu erzeugen. Diese Fähigkeit der Hervorbringung eines Bildes bleibt mit mir verbunden. Die Psychologie bezeichnet dieses Bild als Erinnerungsvorstellung. Es ist aber dasjenige, was allein mit Recht Vorstellung des Tisches genannt werden kann. Es entspricht dies nämlich der wahrnehmbaren Veränderung meines eigenen Zustandes durch die Anwesenheit des Tisches in meinem Gesichtsfelde. Und zwar bedeutet sie nicht die Veränderung irgendeines hinter dem Wahrnehmungssubjekte stehenden «Ich an sich», sondern die Veränderung des wahrnehmbaren Subjektes selbst. Die Vorstellung ist also eine subjektive Wahrnehmung im Gegensatz zur objektiven Wahrnehmung bei Anwesenheit des Gegenstandes im Wahrnehmungshorizonte. Das Zusammenwerfen jener subjektiven mit dieser objektiven Wahrnehmung führt zu dem Missverständnisse des Idealismus: die Welt ist meine Vorstellung." {{Lit|{{G|4|98ff}}}}
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== Anmerkungen ==
 
<references>
 
<ref name="Traube">"Steiner ist es offenbar gänzlich entgangen, dass die Wahrnehmung ein vorbegriffliches Erkenntnisvermögen ist, das nach eigenen Gesetzen, den Wahrnehmungsgesetzen, Gestalten und Beziehungen in Raum und Zeit organisiert. Für Kant ist die Wahrnehmung deshalb eben auch ein Vermögen der Synthesis. Ihr vorgelagert liegen die noch elementareren „Synopsen" der Sinne. Nur stehen diese Syntheseleistungen, insbesondere die der Wahrnehmung, nicht unmittelbar unter der Einheit des Verstandes, das heißt der transzendentalen [[Apperzeption]], sondern unter der Einheit der Formen sinnlicher Anschauung. In ihnen durchläuft die Einbildungskraft das „Mannigfaltige der Anschauung“ und fasst es in „[[Apprehension]]ssynthesen“ zu sinnlichen Gestalten und Vorstelllungen zusammen ([http://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/kant/aa04/076.html AA IV, 76]). Es ist Steiners bleibendes und für seine Erkenntnistheorie verhängnisvolles Missverständnis, zu glauben, dass sich jenseits der Welt tätigen Denkens und Erkennens unmittelbar der gähnende Abgrund des unvermittelten und jede Unterscheidung verschlingenden Chaos auftue. Verhängnisvoll ist dieses Missverständnis deshalb, weil durch die Unkenntnis dieser in sich differenzierten und komplexen Theorie der Wahrnehmung den begrifflichen Synthese- und Konstitutionsleistungen einerseits eine Erklärungslast im Hinblick auf Erkenntnisse aufgetragen wird, die ihre Möglichkeiten bei weitem überschreitet, und die lichtvolle und durchaus geordnete Welt sinnlicher Wahrnehmung in Raum und Zeit andererseits in der differenzlosen Nacht eines undurchdringlichen Tohuwabohus versinkt." {{Lit|Traube [2011], S 75f}}
</ref>
 
</references>
 
== Literatur ==
 
#Rudolf Steiner: ''Wahrheit und Wissenschaft'', [[GA 3]] (1980), ISBN 3-7274-0030-7 {{Schriften|003}}
#Rudolf Steiner: ''Die Philosophie der Freiheit'', [[GA 4]] (1995) {{Schriften|004}}
#Rudolf Steiner: ''Goethes Weltanschauung'', [[GA 6]] (1990), ISBN 3-7274-0060-9; '''Tb 625''', ISBN 978-3-7274-6250-4 {{Schriften|006}}
#Rudolf Steiner: ''Philosophie und Anthroposophie'', [[GA 35]] (1984), ISBN 3-7274-0350-0 {{Vorträge|035}}
#Rudolf Steiner: ''Die befruchtende Wirkung der Anthroposophie auf die Fachwissenschaften'', [[GA 76]] (1977), ISBN 3-7274-0760-3 {{Vorträge|076}}
#Rudolf Steiner: ''Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie'', [[GA 108]] (1986), ISBN 3-7274-1081-7 {{Vorträge|108}}
#Rudolf Steiner: ''Okkultes Lesen und okkultes Hören'', [[GA 156]] (2003), ISBN 3-7274-1561-4 {{Vorträge|156}}
#Rudolf Steiner: ''Grenzen der Naturerkenntnis'', [[GA 322]] (1981), ISBN 3-7274-3220-9 {{Vorträge|322}}
 
;Kritik
 
#Hartmut Traube: ''Philosophie und Anthroposophie. Die philosophische Weltanschauung Rudolf Steiners - Grundlegung und Kritik'', Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-17-022019-5
 
{{GA}}
 
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Physiologie]] [[Kategorie:Psychologie]] [[Kategorie:Wahrnehmung]]

Version vom 1. Dezember 2018, 10:42 Uhr

Gradualismus, oben

Der Gradualismus ist ein Konzept der Evolutionstheorie. Er hat zwei unterschiedliche Bedeutungen. Im Kontext der Evolutionsrate bedeutet Gradualismus, dass die Evolutionsrate konstant ist (Phyletischer Gradualismus). Im Kontext der Evolution von Adaptionen bedeutet Gradualismus, dass Adaptionen sich über viele Zwischenschritte bilden und nicht sprunghaft erscheinen.[1]

Der phyletische Gradualismus liegt dann vor, wenn die Evolutionsrate konstant ist. Ist die Evolutionsrate innerhalb einer Art langsamer als bei der Entstehung neuer Arten, spricht man stattdessen von Punktualismus. Während die darwinistische Evolutionstheorie nicht auf den phyletischen Gradualismus angewiesen ist, ist der Gradualismus im Zusammenhang mit der Evolution von Adaptionen ein alternativloser Bestandteil.[1]

Darwin betonte stets, dass die Evolution langsam und graduell ist. Stephen Jay Gould schloss daraus, dass Darwin damit den phyletischen Gradualismus meinte, und dass die Theorie des Punktualismus damit Darwinismus und Neodarwinismus widerspreche. Nach Ansicht von Richard Dawkins bezog sich Darwin nicht auf die Evolutionsrate und die Artbildung. Darwins Bemerkungen im letztgenannten Kontext seien durchaus mit dem Punktualismus vereinbar:[1]

„Viele Arten erfahren, wenn sie gebildet sind, niemals weitere Veränderungen (...) und die Zeiträume, während welcher die Arten der Modification unterlegen sind, waren zwar nach Jahren gemessen lang, aber wahrscheinlich im Verhältnis zu denen, in welchen sie unverändert geblieben sind, doch nur kurz.“

Charles Darwin: Die Entstehung der Arten. S. 551

Darwin und alle nachfolgenden Versionen des Darwinismus waren gradualistisch in Bezug auf die Evolution von Adaptionen, aber nicht in Bezug auf die Evolutionsrate. Die einzige Bedingung, welche die Evolutionstheorie an die Evolutionsrate stellt, ist, dass Fossilien nicht schneller evolvieren dürfen als die schnellsten experimentell nachgewiesenen und auf normaler genetischer Variation beruhenden Evolutionsraten. Sollte diese Bedingung nicht eingehalten werden, wäre dies eine ernste Herausforderung für den Neodarwinismus. Alle bis dato bekannten Fossilevolutionsraten sind jedoch langsamer als die aus genetischen Experimenten.[1]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Matt Ridley: Evolution. John Wiley & Sons, 2003 (3. Auflage). ISBN 1405103450.


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