Evozierte Potentiale

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Evozierte Potentiale (lateinisch evocare, „herbeirufen“, „hervorrufen“ und potentia, „Stärke“, „Macht“) sind Potentialunterschiede im Elektroenzephalogramm (EEG), welche durch eine Reizung eines Sinnesorgans oder peripheren Nervs ausgelöst werden. Im weiteren Sinn können alle gezielt ausgelösten elektrischen Phänomene im EEG als evozierte Potentiale verstanden werden.

Messung

Jeder Sinnesreiz löst in den sensorischen Arealen der Großhirnrinde elektrische Potentialänderungen aus. Diese evozierten Potentiale sind mit der üblichen Technik jedoch nur mit wesentlich kleineren Amplituden als das spontan ablaufende EEG-Signal (1–15 µV statt 50–100 µV) zu erfassen. Um die evozierte Aktivität messen und darstellen zu können, werden mehrere Realisierungen eines evozierten Potentials gemittelt. Das EEG wird dabei als stochastisches Störsignal, das von dem Reiz unabhängig ist und dessen Mittelwert Null ist, betrachtet, während das interessierende evozierte Potential zeitlich an den Reiz gekoppelt ist. Es zeigt nach jedem Reiz den gleichen Verlauf. Durch die wiederholte Darbietung eines Reizes und die Mittelung des nachfolgenden EEG-Segments strebt die reizunabhängige Aktivität gegen Null, während das reizbezogene evozierte Potential aufsummiert wird. Die Anzahl der in der Praxis notwendigen Realisierungen hängt von dem Signal-Rausch-Verhältnis ab und ist je nach Sinnesmodalität und physikalischen Charakteristika verschieden. Bei einem durch Lichtblitze ausgelösten Potential genügen etwa 50 Reize, während zur Messung der frühen akustischen Hirnstammpotentiale etwa 1000 bis 2000 Reize dargeboten werden müssen.

Die Auswertung berücksichtigt die Form der Welle, die Wellenhöhe (Amplitude) und die Laufzeit (Latenz).

Beispiele

  • VEPVisuell evozierte Potentiale ermöglichen eine Beurteilung des Sehnerven und der Sehbahn vor allem in der Verlaufsdiagnostik der Optikusneuritis bei Multipler Sklerose. Bei der Untersuchung betrachtet der Patient ein Schachbrettmuster, das in Sekundenabständen seine Farben umdreht (schwarz wird zu weiß und umgekehrt). Es können beide Augen gleichzeitig oder auch einzeln stimuliert werden. Die dadurch ausgelösten elektrischen Potentiale in der Sehrinde (okzipitaler Kortex) werden aufgezeichnet.
  • AEPAkustisch evozierte Potentiale ermöglichen eine Beurteilung der Hörbahn: von der Hörschnecke, über den Hörnerv bis zum Hirnstamm (Frühe AEP (FAEP)), weiter über das Mittelhirn (mittlere AEP (MAEP)), bis zum Hörcortex (Späte AEP (SAEP oder CERA (cortical evoked response audiometry))). Die FAEPs werden z. B. zur Diagnostik von Akustikusneurinomen eingesetzt.
  • SEP – Somatisch evozierte Potentiale[1], auch SSEPSomatosensibel evozierte Potentiale[2] (als Anglizismus auch unpräzise „Somatosensorisch evozierte Potentiale“) ermöglichen eine Beurteilung der zentralen somatosensiblen Leitungsbahn und peripherer sensibler Nerven. Über eine Stimulationselektrode in der Nähe eines sensiblen Nerven werden wiederholte elektrische Reize gesetzt. Die Messelektroden werden an der Kopfhaut angebracht. Weitere Messelektroden können entlang des peripheren Nerven und über den Reiz verarbeitenden Zentren des Rückenmarks und Gehirns angebracht werden und messen deren elektrische Reaktion sowie die Laufzeit des Signals. Durch Vergleich der Laufzeiten und der Entfernungen kann dann bestimmt werden, in welchem Abschnitt eine etwaige Verzögerung des Signals aufgetreten ist (Etagendiagnostik). Typische Reizorte sind der Nervus tibialis am Bein oder der Nervus medianus an der Hand, aber auch der Gesichtsnerv. Die Methode ist auch für Träger von Herzschrittmachern geeignet.
  • MEPMotorisch evozierte Potentiale dienen in der Diagnostik vor allem der Bestimmung des Funktionszustands der des cortikospinalen Trakts, das heißt der bei der Ausführung von Willkürbewegungen benutzten Bahn von der primär motorischen Hirnrinde bis beispielsweise zu den Motoneuronen im Rückenmark und weiter über die peripher motorischen Nerven zum Muskel. In den 1990er Jahren gab es Versuche, motorisch evozierte Potenziale, einschließlich neurogener motorisch evozierter Potenziale, die aus peripheren Nerven nach direkter elektrischer Stimulation des Rückenmarks aufgenommen wurden, zu überwachen. Es hat sich gezeigt, dass diese „motorischen“ Potenziale fast vollständig durch die antidromatische (gegenläufige) Stimulation von Sinnesbahnen hervorgerufen wurden - auch wenn die Aufzeichnung von Muskeln erfolgte. Die antidromische Stimulation von Sinnesbahnen löst myogene Reaktionen durch Synapsen am Wurzeleintritt aus. MEP werden unter anderem eingesetzt zur Diagnostik der amyotrophischen Lateralsklerose (ALS) und der Multiplen Sklerose (MS). Die Methode verwendet die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Sie darf in der Regel nicht bei Trägern von Herzschrittmachern angewendet werden.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage (online-Version) Suchbegriff somatosensorisch e. P.
  2. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch Version 2002 (elektronische Fassung der 258. Auflage), unter dem Stichwort Potentiale, somatosensibel evozierte


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