Zimzum

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Zimzum oder Tzimtzum (hebr. צמצום ṣimṣūm, wörtlich Zusammenziehung oder Rückzug) bezeichnet den Akt der Selbstbeschränkung und des Rückzugs Gottes bzw. des Unendlichen, des Ain Soph, durch den erst die Schöpfung möglich wurde. Diese Lehre wurde vor allem von dem jüdischen Kabbalisten Isaak Luria systematisch dargestellt und steht im Gegensatz zu den verbreiteten Emanationslehren, nach denen die Schöpfung als eine Ausstrahlung Gottes entstanden ist. Gott habe vielmehr sein unendliches göttliches Licht, das alles erfüllte, an den Rändern zusammengezogen, um so einen endlichen Leerraum (hebr. חלל, chalal = Raum) zu öffnen, in dem die geschaffenen Welten entstehen konnten. Da Gott in dem so entstandenen Schöpfungsraum nicht oder zumindest nicht vollständig immanent anwesend und wirksam ist, ist hier der Raum für das Böse geschaffen zugleich aber auch die Grundlage für die Freiheit des Menschen.

„Wisse, bevor die Emanationen emaniert wurden und das Erschaffene erschaffen war, erfüllte ein höchstes einfaches Licht alle Wirklichkeit, so dass es überhaupt keinen freien Ort im Sinne eines leeren, hohlen Raums gab, sondern alles war von jenem einfachen Licht des En Sof erfüllt. [...] Und als es in seinem einfachen Willen aufstieg, die Welten zu erschaffen und die Emanationen zu emanieren, um damit die Vollkommenheit seiner Werke, seiner Namen und seiner Attribute erkennbar zu machen, welches der Grund für die Erschaffung der Welten war [...], da kontrahierte sich das En Sof am mittleren Punkt, wahrhaft in der Mitte seines Lichts. Es kontrahierte das Licht und entfernte sich nach allen Seiten rund um den Mittelpunkt. Dadurch blieb um den Mittelpunkt ein freier Platz, ein leerer, hohler Raum übrig [...] Diese Kontraktion (Zimzum) war rings um den leeren [virtuellen] Mittelpunkt von absoluter Gleichheit, und zwar so, dass der leere Raum die Form einer vollkommenen sphärischen Kugel hatte [...] weil sich das En Sof in der Form einer vollkommenen Kugel von allen umgebenden Seiten in sich selbst zusammengezogen hatte. Der Grund dafür war, dass das Licht des En Sof von vollkommener absoluter Gleichheit ist [...]“

Sefer Ez Chajim[1]

Da das unbegrenzte göttliche Licht Ain Soph Aur in sich völlig unterschiedslos und gleichförmig war, zog es sich völlig gleichmäßig nach allen Seiten zurück und bildete nun das umgebende Licht (hebr. אור מקיף Or Makif); der entstandene Freiraum hatte daher die Gestalt eines vollkommenen Kreises (עִגּוּל, igul). Doch blieb dieser noch rein geistig aufzufassende „Raum“ nicht völlig leer, sondern war erfüllt von feinsten Impressionen des göttlichen Lichts (hebr. רשם Reshima „Eindruck, Abdruck“) - so wie Öl und Wein in einer Flasche, die man entleert hat, auch noch feinste Tropfen zurück lässt (ein Bild, das Luria öfter gebraucht). Der so vom reshima des Urlichts durchglänzte primordiale geistige Urraum wird von den Kabbalisten auch Tehiru (hebr. טהירו „Glanz“) genannt, was einen Vergleich mit Akasha (von skrt. kash = leuchten, strahlen, glänzen) nahelegt. Ähnlich wie der Akasha-Stoff die Urmaterie ist, aus der alles Geschaffene geformt wird, so kann auch Tehiru als Urstoff der Schöpfung angesehen werden.

Alles, was später in Form der 10 Sephiroth als manifeste Schöpfung in Erscheinung treten sollte, war schon in ungeschiedener Einheit in Ain Soph enthalten. So auch die göttliche Gnade (hebr. חסד Chesed), aber auch das strenge göttliche Gericht (hebr. דין Din), das zugleich die Wurzel des Bösen ist. Es würde, wie die Kabbalisten meinten, Gottes Vollkommenheit widersprechen, wenn nicht auch das Böse ein ursprünglicher, wenn auch winziger Bestandteil seines Wesens gewesen wäre. Überdies ist die durch das Gericht bewirkte Scheidung und Begrenzung des unendlichen Lichts die eigentliche schöpferische Kraft Gottes.

Vorsichtig wird von manchen Kabbalisten - wie auch von Isaak Luria - angedeutet, dass in der Ausscheidung von Din aus dem unbegrenzten Licht, der wesentliche Grund für den Schöpfungsprozess zu sehen ist. Dieser führte gleichsam zu einer Läuterung, zu einer Katharsis des göttlichen Urlichts, das das Gute und das Böse gleichermaßen in sich trug.[2]

Durch die Ausscheidung von Din wurde allerdings der Raum (hebr. חלל chalal) verunreinigt, in dem sich die Schöpfung entfalten sollte. Er war nun erfüllt von einer chaotischen Mischung von Tehiru und Din. Luria spricht ihn sogar als Golem an, als formlose schmutzige Masse, die erst durch das schöpferische Licht, das in Form eines feinen Strahls (hebr. קו Kav, „Linie [des Lichts]“) in den Raum hereintrat, geformt und belebt wurde. Während Adam Kadmon aus dem reinen Urlicht entstand, wurden die Gefäße der 10 Sephirot aus dem Golem gebildet. Doch nur die obersten drei Gefäße (Kether, Chochma und Binah) konnten der Macht des Lichtes standhalten, die anderen, mit Ausnahme des untersten Gefäßes für die Sephira Malchuth, zerbrachen. Das unterste Gefäß zerbrach zwar nicht, wurde aber dennoch beeinträchtigt und konnte nicht das ganze Licht in sich aufnehmen. Dieser Bruch der Gefäße (hebr. שבירת הכלים Schvirat ha-Kelim) hatte dramatische Folgen für das Schöpfungsgeschehen, die erst durch Tikkun Olam (hebr. תיקון עולם), das „Reparieren der Welt“, an dem der Mensch wesentlich beteiligt ist, wieder ausgeglichen werden können.

Siehe auch

Literatur

  • Gerold Necker: Einführung in die lurianische Kabbla, Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Frankfurt am Main Leipzig 2008 ISBN 978-3458710080
  • Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie - Philosophie - Mystik: Band 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2006, ISBN 978-3593375137

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sefer Ez Chajim, Hechal I, Scha'ar I, zitiert nach Grözinger, S. 626 f.
  2. Necker, S. 81ff