Erklärt Pereira und Der Gattopardo: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Erklärt Pereira''' (ital. Originaltitel ''Sostiene Pereira'') ist ein politisch engagierter historischer Roman des italienischen Literaturwissenschaftlers und [[Schriftsteller]]s [[Antonio Tabucchi]], der erstmals 1994 im Verlag Feltrinelli in Mailand erschienen ist. Die deutsche Übersetzung von Karin Fleischander] erschien ein Jahr später im Carl Hanser Verlag.
'''Der Gattopardo''' (seit 2004, davor: '''Der Leopard'''; {{itS|Il Gattopardo}}) ist der einzige Roman des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers [[Giuseppe Tomasi di Lampedusa]]. Er erschien [[postum]] 1958 bei [[Feltrinelli (Verlag)|Feltrinelli]] in Italien.


== Inhalt ==
== Der Originaltitel ''Il Gattopardo'' ==
[[Datei:Tomasi di Lampedusa COA.png|mini|hochkant|Familienwappen der Tomasi]]


Der Roman spielt in Portugal im Sommer 1938. [[Wikipedia:António de Oliveira Salazar|António de Oliveira Salazar]] ist gerade an die Macht gekommen und hat das Land fest im Griff. Repression und Zensur bestimmen das Leben in Lissabon. Der ältliche Witwer Dr. Pereira leitet die Ein-Mann-Kulturredaktion einer katholischen Wochenzeitung, wo er Nachrufe auf jüngst verstorbene Autoren sowie Übersetzungen französischer Erzählungen veröffentlicht. Auch außerhalb der Redaktion macht er sich oft Gedanken über den Tod. Über einen Auszug aus dessen Dissertation lernt er den jungen Philosophie-Absolventen Monteiro Rossi kennen, der - was Perreira allerdings vorerst nicht weiß - im Widerstand tätig ist. Pereira entwickelt väterliche Gefühle für Rossi und lässt ihn [[Wikipedia:Nekrolog|Nekrolog]]e schreiben, die sich jedoch wegen der leidenschaftlichen politischen Stellungnahmen als nicht veröffentlichbar erweisen. Die Geheimpolizei heftet sich auf die Fährte des Philosophen und stellt ihn in der Wohnung Pereiras. Bei einem Verhör wird Pereira verspottet und geschlagen, Rossi wird im Nebenzimmer totgeschlagen. Pereira schreibt daraufhin einen Nachruf auf Monteiro Rossi, in dem er ausführlich über das Geschehene berichtet und die Mörder namentlich nennt. Er platziert ihn, an der Zensur vorbei, in seiner Zeitung. Um den Konsequenzen dieser Aktion zu entgehen, nimmt er einen gefälschten Pass aus den Habseligkeiten Monteiro Rossis und verlässt das Land.
Der Autor Giuseppe Tomasi (Fürst von Lampedusa, Herzog von Palma und Palermo, Baron von Montechiaro) behandelte in seinem Werk in freier Romanform Teile der eigenen Familiengeschichte. Wie er 1957 in einem Brief an einen Freund schrieb, handle es sich bei der Hauptfigur Don Fabrizio um seinen Urgroßvater.<ref>Übersetzung des Briefes in: Giuseppe Tomasi di Lampedusa: ''Der Gattopardo. Roman''. Übersetzt aus dem Italienischen von Giò Waeckerlin Induni. Piper Verlag. München 2004, S. 11</ref>


== Erzähltechnik ==
Das Haus Salina im Roman sei ein Spiegelbild des [[Tomasi di Lampedusa|Hauses Tomasi]]. Das kommt bereits im Originaltitel zum Ausdruck: ''Il Gattopardo'' wurde –&nbsp;und wird zum Teil noch heute, z.&nbsp;B. in einer aktuellen Neuausgabe auf Englisch&nbsp;– jahrzehntelang in vielen Sprachen mit ''Der Leopard'' übersetzt. Erst vor wenigen Jahren wurde darauf hingewiesen, dass das italienische ''Gattopardo'', im Gegensatz zum ''Leopardo'', für einen Cousin der [[Pardelkatzen]] steht, und zwar für den [[Serval]], eine afrikanische [[Kleinkatzen|Kleinkatze]], und somit eine Verharmlosung gegenüber dem Leoparden darstellen könnte.
Der Roman ist in eine Rahmenerzählung eingebaut, der Einschub, der den Titel ausmacht, zieht sich durch die 200 Seiten des Buches. Immer wieder wird damit auf die Erzählsituation aufmerksam gemacht: Dr. Pereira ist beim Autor des Buches vorstellig geworden und hat ihm seine Geschichte erzählt. Dadurch erreicht Tabucchi den Effekt einer Zeugenaussage, wie es im Untertitel des Werkes heißt, mit der er die Authentizität seiner Geschichte fingiert. Typisch für Tabucchi sind die vielen Bezüge auf berühmte Literaten und Werke, wodurch ebenfalls eine realistische Atmosphäre und ein plastisches Bild erzeugt werden. Im Zentrum stehen die Frage moralischen Handelns und die Macht der Literatur.


== Rezeption ==
Tomasi, dessen eigenes Familienwappen einen auf den Hinterfüßen stehenden, nach rechts blickenden Leoparden unter einer Herzogskrone zeigen soll, parodiert damit möglicherweise die eigene Familiengeschichte, indem er die mächtigen Leoparden zu vergleichsweise harmlosen Pardelkatzen macht.<ref>[http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7735&ausgabe=200501 literaturkritik.de]</ref> Die genaue Übersetzung des Wortes „gattopardo“ ist jedoch „[[Serval]]“. Dieses afrikanische Tier ist eine Wildkatze, die viel zierlicher ist als ein Leopard und dem zierlichen, auf dem Wappen der Tomasi di Lampedusa zu sehenden Tier ähnlich ist, dabei jedoch in Italien einst den Ruf hatte, besonders aggressiv und grausam zu sein. Der Name ''gattopardo'' („gatto“ = „Katze“) rührt von dem früheren Glauben, diese Wildkatze sei als Kreuzung zwischen Hauskatze und Leopard entstanden.
Der Roman gewann in seinem Erscheinungsjahr zwei der wichtigsten italienischen Literaturpreise: den Premio Viareggio und den Premio Campiello.


Im Jahr 1995 wurde das Buch von Roberto Faenza mit Marcello Mastroianni in der Titelrolle verfilmt und kam im deutschsprachigen Raum unter dem Titel ''[[Wikipedia:Erklärt Pereira (Film)|Erklärt Pereira]]'' (ital. orig.: ''Sostiene Pereira'') in die Kinos.
Der Serval ist nördlich der Sahara im Allgemeinen nicht mehr verbreitet. Eines der wenigen Ausbreitungsgebiete nördlich der Sahara reicht jedoch relativ nahe an Lampedusa heran, denn bis in die 70-er Jahre wurde er in Tunesien gesichtet. Ursprünglich war er in ganz Afrika verbreitet.
 
Der feine, zierliche, „gnadenlose“ [[Serval]] passt zu dem, was der Protagonist des Buches selbst im Roman über seine Familie einerseits und deren Nachfolger andererseits sagt. Denn er erwähnt den „Leopardo“ mit keiner Silbe, spricht dafür aber ausdrücklich vom Gattopardo (im Original groß geschrieben, obwohl Substantive im Italienischen normalerweise klein geschrieben werden) wie von einem Löwen (ebenfalls im Original groß geschrieben): «Noi fummo i Gattopardi, i Leoni; quelli che ci sostituiranno saranno gli sciacalletti, le iene; e tutti quanti, Gattopardi, sciacalli e pecore, continueremo a crederci il sale della terra.» In der deutschen Übersetzung:  {{"|Wir waren die Servale, die Löwen; die uns ersetzen, werden die Schakälchen sein, die Hyänen; und wir allesamt, Servale, Schakale und Schafe, werden uns weiterhin für das Salz der Erde halten.}} Die in diesem Zitat enthaltene Darstellung steht im Einklang mit einer anderen, in Italien häufig zitierten Stelle im Roman, wo Don Fabrizios hochgeschätzter Neffe Tancredi Falconeri zu ihm sagt: {{" |lang=it |Text=Se vogliamo che tutto rimanga come è, bisogna che tutto cambi.}} Zu deutsch: {{"|Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern.}}
 
== Zum Inhalt des Romans ==
In acht Kapiteln werden Episoden aus dem Leben des [[Sizilien|sizilianischen]] Fürstenhauses Salina zwischen Mai 1860 und Mai 1910 erzählt.
 
Bis zum Ende der ersten sechs von acht Kapiteln begleitet der Roman, mit Auslassung von jeweils einigen Monaten, das Leben im Haus von Don Fabrizio, Fürst von Salina und Herzog von [[Palma di Montechiaro|Palma]], der den tanzenden Leoparden im Wappen führt.
 
Vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen Italiens durch den Aufstand [[Giuseppe Garibaldi|Garibaldis]] 1860 und der sozialen Veränderungen durch den Aufstieg des Bürgertums wird in den ersten Kapiteln der Alltag im fürstlichen Haushalt zwischen 1860 und 1862 in Ausschnitten erzählt: Ein Tag auf der Jagd, die Ablieferung der Pacht im Herrenhaus, eine Visite im fürstlichen Kloster, ein Abendessen, das vergebliche Angebot eines Senatorenamtes an den Fürsten durch die neuen Machthaber, ein großer Ball in Palermo.
 
Der fürstliche Haushalt wechselt von seinem Stadtpalast zu seinem Sommerschloss [[Castello di Donnafugata|Donnafugata]] auf dem Land, wo sich der Neffe des Fürsten, Tancredi, der sich am Aufstand Garibaldis beteiligt hatte, in Angelica verliebt. Angelica ist die Tochter des sowohl schlauen als auch neureichen Provinz-Bürgers Don Calógero, dem es noch an den Manieren der alten Herrschaftsschicht fehlt.
 
Die Liebesgeschichte zwischen Tancredi und Angelica ist das Zentrum des Romans. Sie ist einerseits hymnisch und schwelgt in sinnlichen Eindrücken aus der Beobachtung beider während der Mahlzeiten und bei ihrem „sinnlichen Wirbelsturm“, ihren endlosen Streifzügen durch den riesigen Palast mit seinen Geheimnissen. Andererseits ist diese Verliebtheit von Anfang an durch Angelicas Berechnung gesäuert: „Diese besten Tage im Leben Tancredis und Angelicas … waren die Vorbereitung auf ihre Ehe, die auch im Erotischen mißlang.“
 
Im 7. Kapitel, das 20 Jahre später spielt, stirbt Don Fabrizio und im 8. und letzten Kapitel, etwa 30 Jahre später, ist Angelica schon Witwe und damit die Phase ihrer so romantisch begonnenen Ehe beendet.
 
Den drei unverheirateten Schwestern des Hauses Salina wird in einer strengen Prüfung durch die römische [[Kurie]] die Selbstgewissheit ihrer Frömmigkeit genommen und eine der drei Schwestern, Concetta, die sich als junges Mädchen unglücklich in ihren Cousin Tancredi verliebt hatte, erkennt ihre Verhaltensfehler.
 
== Komposition, Stil und Deutung ==
Mehrfach wird das Motto Tancredis im Roman selbst und inzwischen auch von seinen Lesern zitiert: "Wenn wir wollen, daß alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, daß alles sich verändert." Tancredi rechtfertigt damit seinen Anschluss an die Bewegung Garibaldis, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts die [[Risorgimento|Einigung Italiens]] unter bürgerlichen Vorzeichen erreichte. Tancredis Aphorismus könnte daher die Veränderung, die Entwicklung, den Fortschritt als die geheime Bedeutungsebene nahelegen.
 
Dennoch ist der Roman in seiner Komposition und Textur der Motive eigentlich gegen Tancredis Motto geschrieben. Auch die von ihm mit herbeigeführten Veränderungen können das Ende der Vorherrschaft seiner Klasse und das seiner Liebe nicht verhindern, auch Tancredi ist am Ende ein Gescheiterter. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Kern des Romans nicht im Triumph der Veränderung, sondern in dem der Vergeblichkeit.
 
Die Liebe zwischen Tancredi und Angelica wird nach dem Muster eines großen Anfangs und seines banalen Endes erzählt, das Grundmuster aller Geschichten des Romans: Die des an seiner Passivität zu Grunde gehenden Hauses Salina, dessen letzter wirklicher Spross Fabrizio ist, die des Aufstiegs des Bürgertums, das seinen Ruf und den des angeheirateten Adels durch Geiz verspielt und sich bald der Plebejer erwehren muss, die Geschichte der frommen alten Jungfern Salina, deren Hauskapelle durch den Kardinal von ihrem Gerümpel an Reliquien gesäubert wird und schließlich die Geschichte Concettas, die ihr Leben lang dem an Angelica verlorenen Tancredi nachtrauert und als 70-jährige Alte von einem Freund erfährt, dass sie damals, als junge Frau, vielleicht doch hätte Tancredi gewinnen können.
 
Alle diese Geschichten sind die eines notwendigen, schmerzhaften Scheiterns menschlicher Hoffnungen, das schon ihren Anfängen eingeschrieben ist. Damit wird die politische Entwicklung, die soziale Umwälzung, der Aufbruch in eine große Liebe und die Strenge und Härte eines frommen Lebens zu einem Scheitern des menschlichen Lebens in seinen verschiedenen durch den Handlungsfaden verbundenen Facetten.
 
Das große Thema des Romans ist daher die Vergeblichkeit der Suche nach Dauer und Glück, die Vorherrschaft der Zeit über alle Anstrengungen der Einzelnen, ihrem Leben einen bleibenden Sinn zu geben. Auf dem Sterbebett resümiert Don Fabrizio, dass er von seinen 73 Jahren nur zwei, höchstens drei ''wirklich gelebt'' habe.
 
Im Zusammenhang mit der einebnenden Rolle der Zeit im Roman stehen auch die Lampedusa bisweilen vorgeworfenen Fehler seines Stils, die enormen Vorgriffe auf Ereignisse außerhalb der Figurenzeit. (Vergleiche: [[Álvaro Vargas Llosa|Vargas Llosa]], Die Wahrheit der Lügen)
 
Diese Stilbrüche sind Zeitbrüche in einem sonst homogen bzw. linear geschriebenen Roman, die das Thema der Vergänglichkeit variieren.
 
Beispiele:
* „Er [Fürst Fabrizio, eine Roman-Figur im Jahre 1860] fand sich im Seelenzustand eines Menschen, der glaubt, er sei soeben an Bord eines der höchst friedlichen Flugzeuge gegangen, […] aber mit einem Male merkt, er sei in einem Stratosphärenkreuzer eingeschlossen&nbsp;…“
* „Pater Pirrone stammte vom Lande. Er war geboren in San Cono, einem winzig kleinen Dorf, das heute dank der Autobusverbindungen fast einer der Satelliten ist.


== Ausgaben ==
== Ausgaben ==
* ''Sostiene Pereira. Una testimonianza.'' Feltrinelli, Mailand 1994, ISBN 978-88-07-81381-8.
* Giuseppe Tomasi di Lampedusa: ''Der Leopard. Roman.'' Übersetzt aus dem Italienischen von Charlotte Birnbaum, Piper Verlag, München 1959.
* ''Erklärt Pereira. Eine Zeugenaussage.'' (dt. v. Karin Fleischanderl) Hanser, München 1995, ISBN 3-446-18298-5.
* Giuseppe Tomasi di Lampedusa: ''Der Gattopardo. Roman.'' Übersetzt aus dem Italienischen von Giò Waeckerlin Induni, Piper Verlag, München 2004, ISBN 3-492-24889-6.
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Der Gattopardo}}
* {{WikipediaDE|Der Leopard (Film)|Der Leopard}} (Verfilmung)
* {{WikipediaDE|Risorgimento}} (zur historischen Epoche, die der Roman mit thematisiert)
 
== Literatur ==
* Birgit Tappert (Hrsg.): ''Vom Bestseller zum Klassiker der Moderne. Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Il gattopardo“'' (= ''Romanica et comparatistica.'' Bd. 34). Stauffenburg-Verlag, Tübingen 2001, ISBN 3-86057-084-6.
* Margareta Dumitrescu: ''Sulla parte VI del Gattopardo. La fortuna di Lampedusa in Romania.'' Giuseppe Maimone Editore u.&nbsp;a., Catania u.&nbsp;a. 2001, ISBN 88-7751-214-8.
* Jochen Trebesch: ''Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Leben und Werk des letzten Gattopardo.'' Nora, Berlin 2012, ISBN 978-3-86557-289-9.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.wsws.org/de/1999/feb1999/pere-f11.shtml Herz und Verstand] Filmkritik von Dietmar Henning
* [http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7735&ausgabe=200501 Rezension zur neuen Fassung des Piper-Verlages] auf literaturkritik.de
* [http://wiki.zum.de/Tomasi_di_Lampedusa,_Giuseppe:_Der_Leopard Der Gattopardo] beim ZUM-Wiki


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== Einzelnachweise ==
[[Kategorie:Literarisches Werk von Antonio Tabucchi]]
<references />
 
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[[Kategorie:Literarisches Werk]]
[[Kategorie:Literarisches Werk]]
[[Kategorie:Roman]]
[[Kategorie:Gesellschaftsroman]]
[[Kategorie:Giuseppe Tomasi di Lampedusa]]
 
{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 24. Juni 2018, 11:21 Uhr

Der Gattopardo (seit 2004, davor: Der Leopard; ital.Il Gattopardo) ist der einzige Roman des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Er erschien postum 1958 bei Feltrinelli in Italien.

Der Originaltitel Il Gattopardo

Familienwappen der Tomasi

Der Autor Giuseppe Tomasi (Fürst von Lampedusa, Herzog von Palma und Palermo, Baron von Montechiaro) behandelte in seinem Werk in freier Romanform Teile der eigenen Familiengeschichte. Wie er 1957 in einem Brief an einen Freund schrieb, handle es sich bei der Hauptfigur Don Fabrizio um seinen Urgroßvater.[1]

Das Haus Salina im Roman sei ein Spiegelbild des Hauses Tomasi. Das kommt bereits im Originaltitel zum Ausdruck: Il Gattopardo wurde – und wird zum Teil noch heute, z. B. in einer aktuellen Neuausgabe auf Englisch – jahrzehntelang in vielen Sprachen mit Der Leopard übersetzt. Erst vor wenigen Jahren wurde darauf hingewiesen, dass das italienische Gattopardo, im Gegensatz zum Leopardo, für einen Cousin der Pardelkatzen steht, und zwar für den Serval, eine afrikanische Kleinkatze, und somit eine Verharmlosung gegenüber dem Leoparden darstellen könnte.

Tomasi, dessen eigenes Familienwappen einen auf den Hinterfüßen stehenden, nach rechts blickenden Leoparden unter einer Herzogskrone zeigen soll, parodiert damit möglicherweise die eigene Familiengeschichte, indem er die mächtigen Leoparden zu vergleichsweise harmlosen Pardelkatzen macht.[2] Die genaue Übersetzung des Wortes „gattopardo“ ist jedoch „Serval“. Dieses afrikanische Tier ist eine Wildkatze, die viel zierlicher ist als ein Leopard und dem zierlichen, auf dem Wappen der Tomasi di Lampedusa zu sehenden Tier ähnlich ist, dabei jedoch in Italien einst den Ruf hatte, besonders aggressiv und grausam zu sein. Der Name gattopardo („gatto“ = „Katze“) rührt von dem früheren Glauben, diese Wildkatze sei als Kreuzung zwischen Hauskatze und Leopard entstanden.

Der Serval ist nördlich der Sahara im Allgemeinen nicht mehr verbreitet. Eines der wenigen Ausbreitungsgebiete nördlich der Sahara reicht jedoch relativ nahe an Lampedusa heran, denn bis in die 70-er Jahre wurde er in Tunesien gesichtet. Ursprünglich war er in ganz Afrika verbreitet.

Der feine, zierliche, „gnadenlose“ Serval passt zu dem, was der Protagonist des Buches selbst im Roman über seine Familie einerseits und deren Nachfolger andererseits sagt. Denn er erwähnt den „Leopardo“ mit keiner Silbe, spricht dafür aber ausdrücklich vom Gattopardo (im Original groß geschrieben, obwohl Substantive im Italienischen normalerweise klein geschrieben werden) wie von einem Löwen (ebenfalls im Original groß geschrieben): «Noi fummo i Gattopardi, i Leoni; quelli che ci sostituiranno saranno gli sciacalletti, le iene; e tutti quanti, Gattopardi, sciacalli e pecore, continueremo a crederci il sale della terra.» In der deutschen Übersetzung: „Wir waren die Servale, die Löwen; die uns ersetzen, werden die Schakälchen sein, die Hyänen; und wir allesamt, Servale, Schakale und Schafe, werden uns weiterhin für das Salz der Erde halten.“ Die in diesem Zitat enthaltene Darstellung steht im Einklang mit einer anderen, in Italien häufig zitierten Stelle im Roman, wo Don Fabrizios hochgeschätzter Neffe Tancredi Falconeri zu ihm sagt: „Se vogliamo che tutto rimanga come è, bisogna che tutto cambi.“ Zu deutsch: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern.“

Zum Inhalt des Romans

In acht Kapiteln werden Episoden aus dem Leben des sizilianischen Fürstenhauses Salina zwischen Mai 1860 und Mai 1910 erzählt.

Bis zum Ende der ersten sechs von acht Kapiteln begleitet der Roman, mit Auslassung von jeweils einigen Monaten, das Leben im Haus von Don Fabrizio, Fürst von Salina und Herzog von Palma, der den tanzenden Leoparden im Wappen führt.

Vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen Italiens durch den Aufstand Garibaldis 1860 und der sozialen Veränderungen durch den Aufstieg des Bürgertums wird in den ersten Kapiteln der Alltag im fürstlichen Haushalt zwischen 1860 und 1862 in Ausschnitten erzählt: Ein Tag auf der Jagd, die Ablieferung der Pacht im Herrenhaus, eine Visite im fürstlichen Kloster, ein Abendessen, das vergebliche Angebot eines Senatorenamtes an den Fürsten durch die neuen Machthaber, ein großer Ball in Palermo.

Der fürstliche Haushalt wechselt von seinem Stadtpalast zu seinem Sommerschloss Donnafugata auf dem Land, wo sich der Neffe des Fürsten, Tancredi, der sich am Aufstand Garibaldis beteiligt hatte, in Angelica verliebt. Angelica ist die Tochter des sowohl schlauen als auch neureichen Provinz-Bürgers Don Calógero, dem es noch an den Manieren der alten Herrschaftsschicht fehlt.

Die Liebesgeschichte zwischen Tancredi und Angelica ist das Zentrum des Romans. Sie ist einerseits hymnisch und schwelgt in sinnlichen Eindrücken aus der Beobachtung beider während der Mahlzeiten und bei ihrem „sinnlichen Wirbelsturm“, ihren endlosen Streifzügen durch den riesigen Palast mit seinen Geheimnissen. Andererseits ist diese Verliebtheit von Anfang an durch Angelicas Berechnung gesäuert: „Diese besten Tage im Leben Tancredis und Angelicas … waren die Vorbereitung auf ihre Ehe, die auch im Erotischen mißlang.“

Im 7. Kapitel, das 20 Jahre später spielt, stirbt Don Fabrizio und im 8. und letzten Kapitel, etwa 30 Jahre später, ist Angelica schon Witwe und damit die Phase ihrer so romantisch begonnenen Ehe beendet.

Den drei unverheirateten Schwestern des Hauses Salina wird in einer strengen Prüfung durch die römische Kurie die Selbstgewissheit ihrer Frömmigkeit genommen und eine der drei Schwestern, Concetta, die sich als junges Mädchen unglücklich in ihren Cousin Tancredi verliebt hatte, erkennt ihre Verhaltensfehler.

Komposition, Stil und Deutung

Mehrfach wird das Motto Tancredis im Roman selbst und inzwischen auch von seinen Lesern zitiert: "Wenn wir wollen, daß alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, daß alles sich verändert." Tancredi rechtfertigt damit seinen Anschluss an die Bewegung Garibaldis, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Einigung Italiens unter bürgerlichen Vorzeichen erreichte. Tancredis Aphorismus könnte daher die Veränderung, die Entwicklung, den Fortschritt als die geheime Bedeutungsebene nahelegen.

Dennoch ist der Roman in seiner Komposition und Textur der Motive eigentlich gegen Tancredis Motto geschrieben. Auch die von ihm mit herbeigeführten Veränderungen können das Ende der Vorherrschaft seiner Klasse und das seiner Liebe nicht verhindern, auch Tancredi ist am Ende ein Gescheiterter. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Kern des Romans nicht im Triumph der Veränderung, sondern in dem der Vergeblichkeit.

Die Liebe zwischen Tancredi und Angelica wird nach dem Muster eines großen Anfangs und seines banalen Endes erzählt, das Grundmuster aller Geschichten des Romans: Die des an seiner Passivität zu Grunde gehenden Hauses Salina, dessen letzter wirklicher Spross Fabrizio ist, die des Aufstiegs des Bürgertums, das seinen Ruf und den des angeheirateten Adels durch Geiz verspielt und sich bald der Plebejer erwehren muss, die Geschichte der frommen alten Jungfern Salina, deren Hauskapelle durch den Kardinal von ihrem Gerümpel an Reliquien gesäubert wird und schließlich die Geschichte Concettas, die ihr Leben lang dem an Angelica verlorenen Tancredi nachtrauert und als 70-jährige Alte von einem Freund erfährt, dass sie damals, als junge Frau, vielleicht doch hätte Tancredi gewinnen können.

Alle diese Geschichten sind die eines notwendigen, schmerzhaften Scheiterns menschlicher Hoffnungen, das schon ihren Anfängen eingeschrieben ist. Damit wird die politische Entwicklung, die soziale Umwälzung, der Aufbruch in eine große Liebe und die Strenge und Härte eines frommen Lebens zu einem Scheitern des menschlichen Lebens in seinen verschiedenen durch den Handlungsfaden verbundenen Facetten.

Das große Thema des Romans ist daher die Vergeblichkeit der Suche nach Dauer und Glück, die Vorherrschaft der Zeit über alle Anstrengungen der Einzelnen, ihrem Leben einen bleibenden Sinn zu geben. Auf dem Sterbebett resümiert Don Fabrizio, dass er von seinen 73 Jahren nur zwei, höchstens drei wirklich gelebt habe.

Im Zusammenhang mit der einebnenden Rolle der Zeit im Roman stehen auch die Lampedusa bisweilen vorgeworfenen Fehler seines Stils, die enormen Vorgriffe auf Ereignisse außerhalb der Figurenzeit. (Vergleiche: Vargas Llosa, Die Wahrheit der Lügen)

Diese Stilbrüche sind Zeitbrüche in einem sonst homogen bzw. linear geschriebenen Roman, die das Thema der Vergänglichkeit variieren.

Beispiele:

  • „Er [Fürst Fabrizio, eine Roman-Figur im Jahre 1860] fand sich im Seelenzustand eines Menschen, der glaubt, er sei soeben an Bord eines der höchst friedlichen Flugzeuge gegangen, […] aber mit einem Male merkt, er sei in einem Stratosphärenkreuzer eingeschlossen …“
  • „Pater Pirrone stammte vom Lande. Er war geboren in San Cono, einem winzig kleinen Dorf, das heute dank der Autobusverbindungen fast einer der Satelliten ist.“

Ausgaben

  • Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Leopard. Roman. Übersetzt aus dem Italienischen von Charlotte Birnbaum, Piper Verlag, München 1959.
  • Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Gattopardo. Roman. Übersetzt aus dem Italienischen von Giò Waeckerlin Induni, Piper Verlag, München 2004, ISBN 3-492-24889-6.

Siehe auch

Literatur

  • Birgit Tappert (Hrsg.): Vom Bestseller zum Klassiker der Moderne. Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Il gattopardo“ (= Romanica et comparatistica. Bd. 34). Stauffenburg-Verlag, Tübingen 2001, ISBN 3-86057-084-6.
  • Margareta Dumitrescu: Sulla parte VI del Gattopardo. La fortuna di Lampedusa in Romania. Giuseppe Maimone Editore u. a., Catania u. a. 2001, ISBN 88-7751-214-8.
  • Jochen Trebesch: Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Leben und Werk des letzten Gattopardo. Nora, Berlin 2012, ISBN 978-3-86557-289-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Übersetzung des Briefes in: Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Gattopardo. Roman. Übersetzt aus dem Italienischen von Giò Waeckerlin Induni. Piper Verlag. München 2004, S. 11
  2. literaturkritik.de


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