Goetheanismus und Rosa Mayreder: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:goethe003.jpg|thumb|right|300px|Johann Wolfgang von Goethe]]
'''Rosa Mayreder''' (geb. '''Obermayer''', Pseud.: '''Franz Arnold''') (* [[30. November]] [[1858]] in [[Wien]]; † [[19. Januar|19. Jänner]] [[1938]] in Wien) war eine [[Österreich|österreichische]] Frauenrechtlerin.
'''Goetheanismus''' ist eine [[Wikipedia:Ganzheit|ganzheitliche]], rein [[Phänomen|phänomenologisch]] auf vorzüglich unmittelbare  [[Sinnesqualitäten|qualitative]] [[Erfahrung]]en gegründete allgemeine [[Wikipedia:Wissenschaft|Wissenschafts]][[Wikipedia:Methodik|methodik]], die, anders als herkömmliche wissenschaftliche Verfahren, in ihrer Zielsetzung frei von [[Spekulation|spekulativen]] Elementen, [[Wikipedia:Hypothese|Hypothese]]n und Modellvorstellungen ist.  


Das Wort ''Goetheanismus'' wurde erstmals von dem schwedischen Diplomaten von K. A. von Brinckmann 1803 in einem Brief an [[Goethe]] gebraucht, um damit dessen Weltanschauung insgesamt zu charakterisieren. Durch [[Rudolf Steiner]], den ersten Herausgeber der Naturwissenschaftlichen Schriften Goethes unter Einbeziehung des Nachlasses (Goethe 1891-1896), wurde die Bezeichnung ab 1915 zunehmend für die den Naturstudien Goethes zugrunde liegende Methode verwendet, ohne sie allein darauf zu beschränken. Tatsächlich lässt sich die goetheanistische Methode in praktisch allen Lebensbereichen fruchtbar anwenden.
[[Bild:RosaMayrederEins.png|thumb|right|Rosa Mayreder mit ca. 16 Jahren]]


== Die Grundlage von Goethes Forschungsmethode ==
== Leben und Schaffen ==


=== Die Betonung des qualitativen Elements ===
Die Tochter eines wohlhabenden Wiener Gastwirts konnte sich schon von ihrer Jugend an als Malerin und Schriftstellerin betätigen. Sie liebte die Wissenschaft und wendete sich gegen den zu ihrer Zeit herrschenden Zustand, dass im Allgemeinen nur Männern höhere Bildungsgüter zugänglich waren. Dies schien ihr im Herkommen begründet, das sie durch "die neuen, besseren Sitten" ersetzen wollte. Selbst ging sie zunächst von Anthropologie und Physik aus, stieß aber bald auch auf die besondere Bedeutung der [[Sprache]]. Mit siebenundreißig Jahren brachte sie gemeinsam mit [[Wikipedia:Hugo Wolf|Hugo Wolf]] die Oper "Der Corregidor" (nach der Novelle "Der Dreispitz" von [[Wikipedia:Pedro Antonio de Alarcón|Alarcon]]) heraus, deren [[Wikipedia:Libretto|Libretto]] sie verfasst hat; sie gehörte zu Wolfs Förderinnen.
[[1881]] heiratete sie ihren Jugendfreund, den Architekten und späteren Rektor der Technischen Hochschule Wien [[Wikipedia:Karl Mayreder|Karl Mayreder]]. Bei der Frauenrechtlerin [[Marie Lang]] lernte sie Anfang der 1890er Jahre [[Wikipedia:Marianne Hainisch|Marianne Hainisch]] kennen. [[1893]] gründete sie den [[Wikipedia:Allgemeinen Österreichischen Frauenverein|Allgemeinen Österreichischen Frauenverein]] mit, deren Vorstandsmitglied und Vizepräsidentin sie wurde. Ab [[1899]] gab sie gemeinsam mit Marie Lang und [[Wikipedia:Auguste Fickert|Auguste Fickert]] die Zeitschrift "Dokumente der Frauen" heraus.


[[Bild:Galileo Galilei.jpg|thumb|left|[[Wikipedia:Galileo Galilei|Galileo Galilei]], Porträt von Justus Sustermans, 1636.]]
In ihren Büchern (Hauptwerke: die zweibändige Essaysammlung "[[Zur Kritik der Weiblichkeit]]" [1905] sowie "[[Geschlecht und Kultur]]" [1923]), aber auch in Gesprächen, die sie in ihren Tagebüchern festhielt, versuchte die Kultur-Umschaffende, ein gleichwertiges Verhältnis der Geschlechter einzubürgern, durch das weder der Mann die Frau noch diese den Mann nur körperlich begehre. Mit ihrem Ansinnen stieß sie in literarischen Kreisen auf Anerkennung und Zustimmung. Die Gegnerschaft fand sich für sie namentlich im Bereich der [[Medizin]], die von ihr in Bezug auf Seelisches als ein Hort der Willkür, aber auch der Herabwürdigung von Frauen zum Sexualobjekt empfunden wurde. Sie wandte sich gegen die [[Diskriminierung]] ihres Geschlechts und die bestehende Doppelmoral. Ihre Werke fanden weite Verbreitung und wurden auch ins Englische übertragen.
Die quantitative Erfassung der Naturerscheinung steht bei der herkömmlichen Naturwissenschaft im Vordergrund. "Messen, was messbar ist, und messbar machen, was nicht messbar ist", war hier seit [[Wikipedia:Galileo Galilei|Galilei]] der oberste Grundsatz. Messinstrumente, die die Naturerscheinungen quantitativ fassbar machen, sollen so weit als möglich die unmittelbare sinnliche Beobachtung ersetzen. Daran schließt sich eine mathematische Beschreibung der experimentell gefundenen Regelmäßigkeiten. Mathematisch formulierte Hypothesen werden dann aufgestellt, die diese Regelmäßigkeiten erklären sollen. Der Mensch als Beobachter wird aus der Theorienbildung vollkommen ausgeschlossen. Man strebt nach einer rein objektiven Naturbeschreibung, in der das betrachtende Subjekt keinen Platz hat. Die Natur ist fertig auch ohne den Menschen und die Naturgesetze wären dieselben, auch wenn es keine Menschen gäbe. Diese Methode hat sich ganz besonders an den mechanischen Erscheinungen bewährt und die hier gewonnen Erkenntnisse wurden dann sinngemäß auch auf alle anderen Naturerscheinungen übertragen. So entstand zunächst eine rein mechanistische, kausale Formulierung der Naturgesetze. Das Kausalitätsprinzip wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die von Max Planck begründete Quantentheorie erschüttert.  


Goethe strebte demgegenüber nach einer systematischen reinen [[Phänomenologie]] der [[sinnlich]] erfahrbaren Erscheinungen. Er fragt ''nicht'' nach ''Ursachen'', sondern nach den ''Bedingungen'', unter denen die Phänomene erscheinen. [[Rudolf Steiner]] charakterisiert den Ausgangspunkt von [[Goethe]]s Forschungsmethode so:
[[Bild:RosaMayrederZwei.jpg|thumb|left|250px|<center>Rosa Mayreder 1905</center>]]


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Allerdings lebte Rosa Mayreder selbst durchaus auch großbürgerliche Sitten.
"Goethe hat - ich habe das durch viele Jahre hindurch in der verschiedensten Weise dargestellt - eigentlich eine ganz andere Richtung der Naturforschung gefordert, als diejenige ist, die dann im 19. Jahrhundert und für unsere Zeit noch entstanden ist. Goethe wollte nämlich aus der Naturforschung etwas ausgemerzt haben, was ja für das gewöhnliche Leben eine Berechtigung hat, aber aus der Forschung wollte er es ausgemerzt haben. Immer wieder und wiederum kommt er darauf zurück, dieses Bestimmte aus der Forschung auszumerzen. Das, was er ausmerzen wollte, das war nämlich das Kombinieren, das Interpretieren der Tatsachen, die sinnlich wahrgenommen werden. Er wollte, daß nur die Tatsachen, die sinnlich wahrgenommen werden, ihrer eigenen Natur nach als Phänomene beschrieben werden; er wollte die sinnlichen Phänomene auf ihre Urphänomene zurückführen, aber nicht kombinieren mit dem Verstande: Was liegt da oder dort zugrunde? - Einen wunderschönen Ausspruch, der über die ganze Goethesche Weltanschauung hinleuchtet, hat Goethe getan, indem er sagte: Die Bläue des Himmels ist selber schon Theorie, man suche nur nichts hinter ihr.


Das reine Anschauen, das ist dasjenige, was Goethe gesucht haben will. Und den Verstand wollte er nur dazu benützt haben, um die Phänomene so zusammenzustellen, daß sie selbst ihre Geheimnisse aussprechen. Goethe wollte eine hypothesenfreie, eine von Verstandeskombination freie Naturforschung haben. Das liegt auch seiner Farbenlehre zugrunde. Man hat gar nicht verstanden, um was es sich bei diesen Dingen handelt." {{Lit|GA 180, S 69}}
Mayreder, die selbst zuerst als Malerin tätig gewesen war, gründete in den Jahren vor dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] mit Olga Prager und Kurt Federn die "Kunstschule für Frauen und Mädchen".
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Das qualitative Element steht bei Goethe im Vordergrund. Die [[Sinnesqualitäten]] selbst, die bei der herkömmlichen naturwissenschaftlichen Methode als vorgeblich rein subjektive Erscheinungen aus der wissenschaftlichen Theorienbildung völlig ausgeklammert werden, rücken bei Goethe gerade in den Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Betrachtung. Einer von den beobachteten Phänomenen abgezogenen, rein gedanklich formulierten spekulativen Theorie bedarf es dazu nicht.  
Vor und während des Krieges engagierte sie sich gemeinsam mit [[Bertha von Suttner]] in der [[Friedensbewegung]] und wurde [[1919]] die Vorsitzende der "Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit" (IFFF).


=== Die wissenschaftliche Strenge der Methode ===
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg schien Mayreder, der kulturelle Schritt des [[19. Jahrhundert]]s nach vorn sei wieder zurückgegangen worden.


Die quantitative Erfassung der Natur erschien Goethe zwar zweitrangig, doch forderte er sehr nachdrücklich eine voll besonnene, geradezu mathematische Strenge und Folgerichtigkeit für seine Forschungsmethode. Goethe geht etwa in seiner [[Farbenlehre]] Schritt für Schritt so bedächtig voran, dass sich die Gesetze der Farbenwelt so enthüllen, dass er darüber, wie er selbst sagt, dem strengsten Geometer vollständig Rechnung legen könnte:
== Verhältnis zu Rudolf Steiner ==


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Ambivalent blieb Mayreders Verhältnis zu [[Rudolf Steiner]]: zeigt der gemeinsame Briefwechsel der einstigen Jugendfreunde, in deren Gesprächen sich Steiners Begründung einer neuen pietistischen Bewegung schon ankündigte, ein echtes Angezogensein, so sind die Tagebucheintragungen von Missfallen an der Ferne des – wenn auch als Schriftsteller für bedeutend gehaltenen – Jugendgefährten vom Praktischen geprägt. Mayreder hält Steiners [[Mein Lebensgang]] [[Goethe]]s "Dichtung und Wahrheit" entgegen und ärgert sich über das Verschweben des jüngeren Autors im rein Seelischen. Nichtsdestominder finden sich in ihren Tagebüchern Stellen, die über Steiner höchst aufschlussreich sind. Dass der Begründer der [[Anthroposophie]] sich selbst als "Zufallsanbeter" bezeichnet hat - das Leben habe es ihn gelehrt - wissen wir von Rosa Mayreder, der Steiner zeitlebens ähnlich innig zugeneigt blieb wie [[Goethe]] seiner nie erlangten Braut [[Wikipedia:Lili Schönemann|Lili Schönemann]]. Noch in fortgeschrittenem Alter verlebte Steiner eine Woche bei Frau Mayreder und ihrem Mann, und obwohl sie auf seine teils zudringlichen Briefe irgendwann nicht mehr antwortete, hat er sie in Festtagsstimmung eines Tages in Wien wieder aufgesucht, ohne auf seine Anmeldungen eine Antwort erhalten zu haben.
„Diese Bedächtlichkeit, nur das Nächste ans Nächste zu reihen, oder vielmehr das Nächste aus dem Nächsten zu folgern, haben wir von den Mathematikern zu lernen, und selbst da, wo wir uns keiner Rechnung bedienen, müssen wir immer so zu Werke gehen, als wenn wir dem strengsten Geometer Rechenschaft zu geben schuldig wären." ([http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Der_Versuch_als_Vermittler_von_Objekt_und_Subjekt.pdf Goethe: ''Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt''])
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== Weblinks ==
"Man hat Goethe den Vorwurf gemacht, er habe die mechanische Betrachtung der Natur verworfen und sich nur auf die Beobachtung und Aneinanderreihung des Sinnlich-Anschaulichen beschränkt. Vgl. z.B. Harnack in seinem Buche «Goethe in der Epoche seiner Vollendung», S. 12) Du Bois-Reymond findet («Goethe und kein Ende», Leipzig 1883, S.29): «Goethes Theoretisieren beschränkt sich darauf, aus einem Urphänomen, wie er es nennt, andere Phänomene hervorgehen zu lassen, etwa wie ein Nebelbild dem andern folgt, ohne einleuchtenden ursächlichen Zusammenhang. Der Begriff der mechanischen Kausalität war es, der Goethe gänzlich abging.» Was tut aber die Mechanik anderes, als verwickelte Vorgänge aus einfachen Urphänomenen hervorgehen lassen? Goethe hat auf dem Gebiete der Farbenwelt genau dasselbe gemacht, was der Mechaniker im Gebiete der Bewegungsvorgänge leistet. Weil Goethe nicht der Ansicht ist, alle Vorgänge in der unorganischen Natur seien rein mechanische, deshalb hat man ihm den Begriff der mechanischen Kausalität aberkannt. Wer das tut, der zeigt nur, daß er selbst im Irrtum darüber ist, was mechanische Kausalität innerhalb der Körperwelt bedeutet. Goethe bleibt innerhalb des Qualitativen der Licht- und Farbenwelt stehen; das Quantitative, Mechanische, das mathematisch auszudrücken ist, überläßt er andern. Er «hat die Farbenlehre durchaus von der Mathematik entfernt zu halten gesucht, ob sich gleich gewisse Punkte deutlich genug ergeben, wo die Beihilfe der Meßkunst wünschenswert sein würde ... Aber so mag auch dieser Mangel zum Vorteil gereichen, indem es nunmehr des geistreichen Mathematikers Geschäft werden kann, selbst aufzusuchen, wo denn die Farbenlehre seiner Hilfe bedarf, und wie er zur Vollendung dieses Teils der Naturlehre das Seinige betragen kann.» (§ 727 des didaktischen Teiles der Farbenlehre.) Die qualitativen Elemente des Gesichtssinnes: Licht, Finsternis, Farben müssen erst aus ihren eigenen Zusammenhängen begriffen, auf Urphänomene zurückgeführt werden; dann kann auf einer höheren Stufe des Denkens untersucht werden, welcher Bezug besteht zwischen diesen Zusammenhängen und dem Quantitativen, dem Mechanisch-Mathematischen in der Licht- und Farbenwelt. Die Zusammenhänge innerhalb des Qualitativen der Farbenwelt will Goethe in ebenso strengem Sinne auf die einfachsten Elemente zurückführen, wie das der Mathematiker oder Mechaniker auf seinem Gebiete tut." {{Lit|[http://www.anthroposophie.net/steiner/ga/bib_steiner_ga_006_09.htm Rudolf Steiner: ''Goethes Weltanschauung'', GA 6, im Kapitel: Die Betrachtung der Farbenwelt]}}
* {{PND|118732382}}
 
*http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_mayrederrosa.htm
=== Goetheanismus als Grundlage einer ''hypothesenfreien'' Naturwissenschaft ===
*http://www.rosa-mayreder.de/lebenstafel.htm
 
*{{aeiou|.m/m402547.htm}}
Goethe hat nicht weniger geleistet, als die Grundlage für eine in letzter Gestalt völlig hypothesenfreie Naturwissenschaft zu geben. Sicher, auf dem Weg dorthin sind Arbeitshypothesen, die unsere Aufmerksamkeit auf weitere Phänomene lenken können, notwendig und hilfreich, aber letztendlich geben die Phänomene selbst in ihrem lückenlosen Zusammenhang die ganze Lehre. Wir haben nicht mehr bloß ein hypothetisches Wissen, dass der Revision durch künftige theoretische Ansätze harrt, sondern wir stehen, indem wir uns niemals von der Wahrnehmung entfernen, unmittelbar erlebend in der Wahrheit drinnen.
*[http://www.ngiyaw-ebooks.de/ngiyaw/mayreder/synthetischer_mensch/synthetischer_mensch.htm Antwort auf einen Review zu ihrem Buch ''Die Kritik der Weiblichkeit'' von Ajax : Der synthetische Mensch ]
 
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"Die Phänomene, die wir andern auch wohl Fakta nennen, sind gewiss und bestimmt ihrer Natur nach, hingegen oft unbestimmt und schwankend, insofern sie erscheinen. Der Naturforscher sucht das Bestimmte der Erscheinungen zu fassen und festzuhalten, er ist in einzelnen Fällen aufmerksam, nicht allein wie die Phänomene erscheinen, sondern auch, wie sie erscheinen sollten. Es gibt, wie ich besonders indem Fache, das ich bearbeite, oft bemerken kann, viele empirische Brüche, die man wegwerfen muss, um ein reines konstantes Phänomen zu erhalten; allein sobald ich mir das erlaube, so stelle ich schon eine Art von Ideal auf.
 
Es ist aber dennoch ein großer Unterschied, ob man, wie Theoristen tun, einer Hypothese zulieb ganze Zahlen in die Brüche schlägt oder ob man einen empirischen Bruch der Idee des reinen Phänomens aufopfert.
 
Denn da der Beobachter nie das reine Phänomen mit Augen sieht, sondern vieles von seiner Geistesstimmung, von der Stimmung des Organs im Augenblick, von Licht, Luft, Witterung, Körpern, Behandlung und tausend andern Umständen abhängt, so ist ein Meer auszutrinken, wenn man sich an die Individualität des Phänomens halten und diese beobachten, messen, wägen und beschreiben will.
 
Bei meiner Naturbeobachtung und Betrachtung bin ich folgender Methode, soviel als möglich war, besonders in den letzten Zeiten treu geblieben.
 
Wenn ich die Konstanz und Konsequenz der Phänomene, bis auf einen gewissen Grad, erfahren habe, so ziehe ich daraus ein empirisches Gesetz und schreibe es den künftigen Erscheinungen vor.
 
Passen Gesetz und Erscheinungen in der Folge völlig, so habe ich gewonnen, passen sie nicht ganz, so werde ich auf die Umstände der einzelnen Fälle aufmerksam gemacht und genötigt, neue Bedingungen zu suchen, unter denen ich die widersprechenden Versuche reiner darstellen kann; zeigt sich aber manchmal, unter gleichen Umständen, ein Fall, der meinem Gesetz widerspricht, so sehe ich, dass ich mit der ganzen Arbeit vorrücken und mir einen höhern Standpunkt suchen muss.
 
Dieses wäre also, nach meiner Erfahrung, derjenige Punkt, wo der menschliche Geist sich den Gegenständen in ihrer Allgemeinheit am meisten nähern, sie zu sich heranbringen, sich mit ihnen (wie wir es sonst in der gemeinen Empirie tun) auf eine rationelle Weise gleichsam amalgamieren kann.
 
Was wir also von unserer Arbeit vorzuweisen hätten, wäre:
 
1. Das empirische Phänomen,
 
das jeder Mensch in der Natur gewahr wird und das nachher
 
2. zum wissenschaftlichen Phänomen
 
durch Versuche erhoben wird, indem man es unter andern Umständen und Bedingungen, als es zuerst bekannt gewesen, und in einer mehr oder weniger glücklichen Folge darstellt.
 
3. Das reine Phänomen
 
steht nun zuletzt als Resultat aller Erfahrungen und Versuche da. Es kann niemals isoliert sein, sondern es zeigt sich in einer stetigen Folge der Erscheinungen. Um es darzustellen, bestimmt der menschliche Geist das empirisch Wankende, schließt das Zufällige aus, sondert das Unreine, entwickelt das Verworrene, ja entdeckt das Unbekannte.
 
Hier wäre, wenn der Mensch sich zu bescheiden wüsste, vielleicht das letzte Ziel unserer Kräfte. Denn hier wird nicht nach Ursachen gefragt, sondern nach Bedingungen, unter welchen die Phänomene erscheinen; es wird ihre konsequente Folge, ihr ewiges Wiederkehren unter tausenderlei Umständen, ihre Einerleiheit und Veränderlichkeit angeschaut und angenommen, ihre Bestimmtheit anerkannt und durch den menschlichen Geist wieder bestimmt.
 
Eigentlich möchte diese Arbeit nicht spekulativ genannt werden, denn es sind am Ende doch nur, wie mich dünkt, die praktischen und sich selbst rektifizierenden Operationen des gemeinen Menschenverstandes, der sich in einer höhern Sphäre zu üben wagt." ([http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Erfahrung_und_Wissenschaft.pdf Goethe: ''Erfahrung und Wissenschaft''])
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=== Über die Wirklichkeit der Sinnesqualitäten ===
 
Seit [[Wikipedia:John Locke|John Locke]] hat man unglücklicherweise zwischen primären und sekundären [[Sinnesqualitäten]] unterschieden. Farben etwa seien nur sekundäre subjektive Phänomene, die durch die primären objektiven Bewegungsvorgänge in der Natur ausgelöst würden. Immer wieder hat man argumentiert, dass man niemals wissen könne, ob ein anderer Mensch die Farben genauso erlebt wie wir, während wir bezüglich der Größe und Form der materiellen Gegenstände sehr leicht zu einer allgemeinen Übereinstimmung kommen könnten. Diese Argumentation ist aber grundfalsch. Sie beruht auf einer Verwechslung des sinnlich gegebenen Wahrnehmungsfaktors mit der gedanklich erkannten Gesetzmäßigkeit. Bezüglich Form und Größe der Gegenstände springen uns so schnell die zugrunde liegenden geometrischen Gesetzmäßigkeiten entgegen, dass wir gar nicht bemerken, dass wir es hier bereits mit einer gedanklichen Durchdringung der Wahrnehmung zu tun. Hinsichtlich dieser gedanklich erfassten geometrischen Gegebenheiten kommen wir tat-sächlich sehr schnell zu einer allgemeinen Übereinstimmung. Bei den Farbphänomenen kommen uns die damit verbundenen Gesetzmäßigkeiten nicht so unmittelbar zu [[Bewusstsein]]. Goethe wollte durch seine Farbenlehre gerade diese Gesetze, die nicht weniger objektiv sind als die geometrischen, bewusst machen. Hell und Dunkel, Rot und Grün, Violett und Blau usw. können genau so sicher unterschieden werden wie Dreiecke, Vierecke und Kreise. Und so wie es ganz oder teilweise farbenblinde Menschen gibt, gibt es auch Menschen die aufgrund neurologischer Defekte für bestimmte Formprinzipen blind sind.
 
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"Aus der Idee des Gegensatzes der Erscheinung, aus der Kenntnis, die wir von den besondern Bestimmungen desselben erlangt haben, können wir schließen, dass die einzelnen Farbeindrücke nicht verwechselt werden können, dass sie spezifisch wirken und entschieden spezifische Zustände in dem lebendigen Organ hervorbringen müssen." ([http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Zur_Farbenlehre.doc Goethe: ''Zur Farbenlehre'', § 761])
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Für die bloße Subjektivität der Farbeindrücke wurde oft das erstmals von [[Wikipedia:Johannes Peter Müller|Johannes Peter Müller]] formulierte [[Wikipedia:Gesetz der spezifischen Sinnesenergien|Gesetz der spezifischen Sinnesenergien]] ins Treffen geführt. Das Auge bringt immer nur Licht- und Farberscheinungen hervor, egal ob es durch Stoß, Druck, elektrische Reizung oder eben auch durch äußeres Licht erregt wird. Die Farbqualitäten hätten daher unmittelbar gar nichts mit dem äußeren Reiz zu tun, sondern sie sind nur Erscheinungen innerhalb des Auges. In Wahrheit bestätigt das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien aber nur das hier schon Gesagte. Jedes Sinnesorgan vermag eben grundsätzlich nur die seiner Natur entsprechenden Wahrnehmungsqualitäten zu zeigen, die es auch selbst hervorzubringen vermag. Es übersetzt alle Reize in die ihm gemäße Sprache. Wird das Auge durch Druck, Stoß oder elektrische Impulse erregt, entstehen dabei aber nur sehr unspezifische Farbeindrücke, die wenig über die Außenwelt aussagen – eben nur, dass da ein Stoß, Druck oder elektrischer Impuls als allgemeiner äußerer Reiz vorhanden war. Erst dem Licht gegenüber, durch das und für das es geschaffen wurde, entfaltet es seine volle Leistungsfähigkeit. Dieses Prinzip gilt aber für den Eigenbewegungssinn, durch den wir Formen wahrnehmen, nicht minder.
 
=== Der ganzheitliche Charakter von Goethes Forschungsmethode ===
 
Sehr energisch trat Goethe allen Bestrebungen des [[Wikipedia:Reduktionismus|Reduktionismus]] entgegen, der allerdings in der Zeit nach ihm zur vorherrschenden naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode wurde. Goethe war dem gegenüber der Ansicht, dass man das Wesen der Natur umfassend kennen lernen kann, indem man auch nur die Phänomene einer bestimmten einzelnen Sinnessphäre gründlich studiert. Ein Rückgriff aus Phänomene aus einem anderen Sinnesbereich ist dazu nicht nötig und auch nicht hilfreich. Goethe war überzeugt, dass sich durch ''jeden'' unserer [[Sinne]] jeweils die ganze Natur, allerdings auf besondere Weise, offenbart – nicht in allen ihren Einzelheiten, das ist nicht gemeint, sondern ihrem [[Wesen]] nach. Über die Farbe sagt Goethe:
 
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"Auch zu schmecken ist sie. Blau wird alkalisch, gelbrot sauer schmecken. Alle Manifestationen der Wesen sind verwandt." (Goethe: ''Sprüche in Prosa'', 4. Abt. – Naturwissenschaft)
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So gehören beispielsweise Schwingungen oder Bewegungen kleinster Lichtteilchen nicht in den Bereich des [[Sehsinn]]s und haben keine Bedeutung für die Erklärung der Farbphänomene. Schwingungen und Bewegungen gehören in den Bereich des [[Eigenbewegungssinn]]s, vielleicht auch in die Region des [[Tastsinn]]s oder des [[Gleichgewichtssinn]]s, haben aber ganz und gar nichts mit unserem Lichtsinn zu tun. Von der Bewegung führt kein Weg zur von uns erlebten Farbqualität. Man hat es hier mit völlig unterschiedlichen Erlebnisqualitäten zu tun, die grundsätzlich nicht aufeinander rückführbar sind. Das schließt ja keineswegs aus, dass sich dort, wo wir Farben erleben, auch Bewegungsvorgänge konstatieren lassen. Zu einem Verständnis der erlebten Farbphänomene tragen sie aber nichts bei.  
 
Die in verschiedenen Sinnessphären gewonnen Erkenntnisse, können zwar nicht auseinander abgeleitet, also Farben nicht etwa durch Bewegungsvorgänge erklärt, wohl aber aufeinander bezogen und miteinander verglichen werden. Das kann einer umfassenden wissenschaftlichen Betrachtung der Natur nur förderlich sein - allerdings nur dann, wenn zuvor jedes Gebiet ''für sich'' umfassend und gründlich erforscht wurde, denn sonst wäre die Versuchung zu groß, fehlende Elemente in dem einen Bereich durch solche aus dem anderen zu ersetzen, was aber gerade dem goetheanistischen Forschungsansatz grundlegend widerspricht! Gelingt es aber, die verschiedenen Sinnessphären in fruchtbarer Weise aufeinander zu beziehen, so wird man um so deutlicher sehen, wie sich das Wesen der Natur in jedem Bereich voll und ungebrochen auf spezielle Art und Weise ausspricht und dieses Wesen der Natur wird dann insgesamt noch viel deutlicher hervortreten. Was Goethe mit seiner Farbenlehre exemplarisch geleistet hat, wird damit zur umfassenden ''Goetheanistischen Naturwissenschaft'' erweitert. Gerade dadurch können wir uns mit der wissenschaftlichen Erforschung auch an Naturbereiche heranwagen, für die wir ein unmittelbares Sinnesorgan nicht haben. Für chemische [[Phänomen]]e etwa haben wir kein solches unmittelbares Sinnesorgan. Rudolf Steiner hat später aus seiner übersinnlichen geistigen Forschung von dem sog. [[Chemischer Äther|chemischen Äther]] gesprochen, der mit den chemischen Phänomenen ähnlich zusammenhängt wie der Lichtäther mit den Farberscheinungen. Man bedarf aber nicht der [[Hellsehen|hellsichtigen]] Forschung, um sich in diese Seite des Naturwesens zu vertiefen. Die chemischen Phänomene offenbaren sich auch durch all die Sinne, die wir haben. Sie zeigen sich in charakteristischen Färbungen, in [[Kristall]]formen, Gerüchen, Geschmacksvarianten usw. In dem wir all diese Erscheinungen in ihrem gesetzmäßigen Zusammenhang zusammenschauen, ergibt sich letztlich auch ein klares Bild dieses sinnlich zunächst nicht direkt zugänglichen Weltbereichs. Manches dazu hat schon Goethe geleistet in seinen Arbeiten über die chemischen Farben.
 
=== Polarität und Steigerung ===
[[Bild:Goethes Farbenkreis.jpg|thumb|right|225px|Farbenkreis, Zeichnung von Goethe]]
Wenn wir einen ''breiten'' leuchtenden Spalt durch ein Glasprisma betrachten, treten uns die selben gegensätzlichen Farbphänomene entgegen. An der einen Kante des Spalts erscheinen rot-gelbe Farbsäume, an der anderen blau-violette. Die Farberscheinungen treten also überhaupt nur an den Kanten auf, die weiße Fläche selbst bleibt weiß wie zuvor.
 
Hier offenbart sich eine in der Natur begründete Polarität der Farberscheinungen. Die blau-violetten Farbtöne, die wir als eher kühl und passiv empfinden, stehen den aktiven, warmen rot-gelben Farben gegenüber. Der Begriff der '''[[Polarität]]''' ist ganz wesentlich für Goethes Methode. Licht und Finsternis, oder besser Hell und Dunkel, sind die Urpolarität, mit der wir es hier zu tun haben. Durch Abdunklung des Hellen bzw. durch Aufhellung des Dunklen springen die ersten Farberscheinungen hervor, die einander ebenfalls wieder polar gegenüberstehen.
 
Durch die Wechselwirkung dieser beschriebenen polaren Farberscheinungen können wir zu neuen, komplexeren Phänomenen fortschreiten. So entsteht das Grün erst, wieder auf unmittelbar nachvollziehbare Weise, durch die ''Mischung'' von Gelb und Blau. Damit sind wir aber bereits beim vollständigen Sonnenspektrum angekommen, das von Rot, über Orange, Gelb und Grün bis hin zu Blau, Indigo und Violett reicht. Das volle Spektrum zeigt sich etwa, wenn man einen sehr engen leuchtenden Spalt durch ein Glasprisma betrachtet. Dann mischt sich das Gelb des einen Kantenspektrums mit dem Blau des anderen und lässt in der Mitte das Grün erscheinen. Betrachtet man hingegen einen schmalen dunklen Streifen durch das Prisma, so entsteht das umgekehrte Sonnenspektrum, wobei in der Mitte als neue Farbe das Pfirsichblüt (reines Purpur) auftritt, das im normalen Sonnenspektrum gar nicht vorkommt.
 
Die Purpurfarbe kann durch '''[[Steigerung]]''' erreicht werden, indem das Rote und das Violette in Wechselwirkung treten. Die Steigerung ist ein weiterer für Goethes Forschungsweise grundlegender Begriff. Steigerung ist mehr als bloße Mischung. Wir steigen dadurch zu einem höheren, geistigeren Phänomenbereich auf. Natur und Geist sind für Goethe niemals unüberbrückbare Gegensätze. Was ihn bei seiner Naturforschung zutiefst beseelte "... ist die Anschauung der zwei großen Triebräder aller Natur: der Begriff von Polarität und von Steigerung, jene der Materie, insofern wir sie materiell, diese ihr dagegen, insofern wir sie geistig denken, angehörig; jene ist in immerwährendem Anziehen und Abstoßen, diese in immerstrebendem Aufsteigen. Weil aber die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, so wie sichs der Geist nicht nehmen lässt, anzuziehen und abzustoßen; wie derjenige nur allein zu denken vermag, der genugsam getrennt hat, um zu verbinden, genugsam verbunden hat, um wieder trennen zu mögen." (Goethe, Erläuterung zu dem aphoristischen Aufsatz "Die Natur" an den Kanzler von. Müller vom 24. Mai 1828)
 
=== Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt ===
 
Die Farben sind genau so wenig bloß subjektiv, wie die Bewegungsvorgänge rein objektiv sind. Beide existieren nur im Bezug auf eine bestimmte Wahrnehmungssphäre. Die [[Wirklichkeit]] offenbart sich immer nur in der Beziehung des [[Subjekt]]s zum [[Objekt]]. Der vom Subjekt völlig losgelöste und als eigenständig für sich bestehend gedachte Objektbegriff ist etwas ganz Sinnloses. Das Objekt, ob man es als räumlichen geformten Gegenstand, als besonderen Duft, als weithin klingenden Ton oder als differenziertes Farbphänomen auffasst, ist eine Erscheinung, die nur für ein Wesen mit ganz spezifisch gearteten Sinnesorgane hervortritt. Es hat schlichtweg keine Existenz für sich allein. Das gilt gleichermaßen für alle Sinnesbereiche, von denen keiner vor den anderen grundsätzlich ausgezeichnet ist. Bewegungsvorgänge mögen leichter quantitativ erfassbar und besser in mathematische Formeln zu pressen sein; das mag für die folgerichtige wissenschaftliche Beschreibung der Phänomene hilfreich gewesen sein – sie sind deswegen aber um nichts wirklicher als die Farbphänomene. Dass man in einem weitgehend materialistisch gesinnten Zeitalter die Dinge, die man mit den Händen greifen kann, für wirklicher als alles andere hält, kann wenig verwundern. Aber man bleibt dadurch nur in dem verbreitetsten Vorurteil unserer Tage befangen. In Wahrheit ist jedes Wahrnehmungsbild, auch das gegenständliche, durch die Natur des wahrnehmenden Wesens mitbestimmt. Es ist eben überhaupt ganz sinnlos, zu sagen: So sieht die Natur an sich aus! Jeder Anblick der Natur – Anblick jetzt als Synonym für alle möglichen Sinneserfahrungen genommen – ist nur in Relation zu einem ganz bestimmt gearteten Beobachter mit ganz bestimmt gearteten Sinnesorganen gegeben. Das heißt beileibe nicht, dass die Sinnesorgane die Wirklichkeit verfälschen; das heißt auch keineswegs, dass uns, wie [[Wikipedia:Immanuel Kant|Immanuel Kant]] meinte, das "Ding an sich" notwendig verschlossen bleiben muss. Es gibt schlicht und einfach gar kein Ding an sich. Die räumlich erlebten Dinge sind nicht wirklicher oder weniger wirklich als die Farben, und durch beide offenbart sich zugleich die ganze Wirklichkeit, aber auf jeweils besondere Weise. Die Wirklichkeit, die nach dem eben Gesagten nun keinesfalls gegenständlich materiell gedacht werden kann, steht jenseits des Gegensatzes von Subjekt und Objekt. Wir müssen streng unterscheiden zwischen Wirklichkeit und Erscheinung. Alle Wahrnehmung ist notwendig nur Erscheinung, nicht die Wirklichkeit selbst, aber ebenso notwendig zugleich Erscheinung, durch die sich die Wirklichkeit auf spezifische Weise rückhaltlos in ihrem Wesen kundgibt.
 
<table align="center"><tr><td>
"Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur<br>
Außenwelt, so heiß ich’s Wahrheit. Und so kann<br>
Jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist<br>
Doch immer dieselbige."  (Goethe, Maximen und Reflexionen)
</td></tr></table>
 
Andere Wesen mögen mehr oder weniger und ganz anders geartete Sinnesorgane als wir besitzen. Sie werden dementsprechend die Welt reicher oder ärmer, aber jedenfalls ganz anders als wir erleben. Aber egal wie ihre Wahrnehmungsorgane auch geartet sein mögen, immer offenbart sich durch sie die Natur als ganzes und immer ist dabei zugleich das Wahrnehmungsbild abhängig von ihrer eigenen Natur, von der Natur des beobachtenden Wesens. Wahrnehmungsbilder sind immer subjektiv und objektiv zugleich und keines ist bezüglich seines Wirklichkeitsgehalts dem anderen gegenüber bevorzugt. Durch jedes von ihnen können wir das Wesen der Natur ganz erkennen, von prinzipiellen Grenzen der Erkenntnis kann daher diesbezüglich nicht gesprochen werden. Das heißt selbstverständlich nicht, dass wir damit auch alle Einzelheiten des Naturgeschehens erfahren, die sich vielleicht nur ganz anders gearteten Sinnen offenbaren.  
 
Zur Wirklichkeit können wir also nur vordringen, wenn wir ganz bewusst und besonnen die Verbindung von Subjekt und Objekt suchen. Goethe hat die diesbezüglichen Grundprinzipen seiner Forschungsmethode sehr ausführlich in dem etwa 1794 entstandenen Aufsatz [[Bild:Adobepdf small.gif]] [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Der_Versuch_als_Vermittler_von_Objekt_und_Subjekt.pdf Der Versuch als Vermittler von Subjekt und Objekt] besprochen.
 
=== Anschauende Urteilskraft - die richtige Verbindung von Denken und Wahrnehmung ===
 
Bei Goethe trennt sich das Denken niemals von den beobachteten Erscheinungen, sondern geht mit ihnen Hand in Hand – eine Methode, die zurecht als "[[Anschauende Urteilskraft]]" bezeichnet werden darf:
 
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"Herr Dr. Heinroth in seiner Anthropologie ... spricht von meinem Wesen und Wirken günstig, ja er bezeichnet meine Verfahrungsart als eine eigentümliche: dass nämlich mein Denkvermögen gegenständlich tätig sei, womit er aussprechen will: dass mein Denken sich von den Gegenständen nicht sondere; dass die Elemente der Gegenstände, die Anschauungen in dasselbe eingehen und von ihm auf das innigste durchdrungen werden; dass mein Anschauen selbst ein Denken, mein Denken ein Anschauen sei; welchem Verfahren genannter Freund seinen Beifall nicht versagen will." ([http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/odyssee/Goethe/Goethe_Bedeutende_Foerdernis_durch_ein_einziges_geistreiches_Wort.pdf Goethe: ''Bedeutende Fördernis durch ein einziges geistreiches Wort''])
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Die herkömmliche naturwissenschaftliche Methode beruht darauf, aus der Fülle der sich dem Auge darbietenden sinnlichen Erscheinungen einige wenige, möglichst quantitativ erfaßbare Daten auszusondern und zu sehen, ob sie sich in einen gedanklich abstrakt beschreibbaren Zusammenhang stellen lassen. Von den nicht quantifizierbaren Sinnesqualitäten selbst wird dabei weitgehend abgesehen, das Denken selbst ist bildlos. Wo immer möglich, wird nach einer exakten mathematischen Formulierung der Naturgesetze gesucht. Die Natur wird derart zuerst zu einem abstrakten Gebilde reduziert, über das man dann abgesondert nachdenkt, ohne wieder den Anschluß an das volle Naturwesen zu suchen. Das ist auch nicht anders möglich, wenn man die Natur quantitativ erfassen will, man würde sonst in einer unendlichen Datenflut ertrinken. Dementsprechend konzentriert man sich bei seinen Untersuchungen auch stets auf einen eng umgrenzten Bereich, von dem man annimmt, daß er näherungsweise vom Rest der Welt unabhängig ist und aus sich heraus allein verstanden werden kann.
 
Im Gegensatz zum abstrakten Denken, das die gegenwärtige Naturwissenschaft kennzeichnet, darf man bei Goethe von einem sinnlich-konkreten Denken sprechen. Die »anschauende Urteilskraft« sucht das »Urbildliche, Typische« zu erfassen, die Idee der Sache, die sich aber der sinnlichen Erfahrung nicht unmittelbar enthüllt, sondern erst dem anschauenden Denken. Nur dadurch läßt sich die Natur ihrer Wirklichkeit nach erfahren. Wahrnehmung und Denken liefern jeweils für sich genommen nur eine Hälfte der Wirklichkeit, vollständig erfaßt wird sie erst, wenn sich Denken und Wahrnehmung durchdringen. Es ist der Grundirrtum der modernen Wissenschaft, daß sie in dem äußerlich Wahrnehmbaren, sei es direkt mittels der Sinne oder indirekt durch die verschiedensten Meßinstrumente, schon eine Wirklichkeit für sich sieht, von der sie sich ein gedankliches Abbild zu schaffen sucht. Die äußere Welt erscheint ihr objektiv und für sich selbst bestehend, die Gedanken, die sich der Mensch darüber bildet, werden als subjektiv betrachtet. Tatsächlich sind aber Subjekt und Objekt bloße Erscheinungen, die beide von der eigentlichen Wirklichkeit umgriffen werden. "Dem Denken ist jene Seite der Wirklichkeit zugänglich", sagt Rudolf Steiner, "von der ein bloßes Sinnenwesen nie etwas erfahren würde. Nicht die Sinnlichkeit wiederzukäuen ist es da, sondern das zu durchdringen, was dieser verborgen ist. Die Wahrnehmung der Sinne liefert nur eine Seite der Wirklichkeit. Die andere Seite ist die denkende Erfassung der Welt." {{Lit|GA 2, S 63}} Das menschliche Erkenntnisvermögen ist eben so gestaltet, daß sich ihm die Wirklichkeit zunächst getrennt von zwei verschieden Seiten her erschließt, mithin solange bloße Erscheinung bleibt, bis er sie durch seine aktive geistige Tätigkeit vereinigt und so zur Wirklichkeit selbst durchbricht, die wie wir bereits gesehen haben, mehr umfaßt als die bloße dingliche Realität. Wie tief der Mensch in die Wirklichkeit der natürlichen Welt einzudringen vermag, wird davon abhängen, wie aufmerksam er ihre sinnliche Seite wahrzunehmen vermag, und wie viel er dem so sinnlich Wahrgenommenen durch sein mehr oder weniger reich entwickeltes Innenleben gedanklich entgegenzutragen vermag. Immer weitere Aspekte der Wirklichkeit können sich so dem Menschen eröffnen, je mehr er seine Beobachtungsgabe schult und je mehr er sein Innenleben bereichert. Durch ''passives'' Wahrnehmen allein kann die Natur nicht ihrer Wirklichkeit nach erfahren werden, sie will aktiv durch innere Tätigkeit ergriffen sein. Und dazu muß der Mensch innerlich seelisch die selben Schaffenskräfte rege machen, die in der Natur physisch gestaltend wirken. Das [[diskursiv]]e Denken reicht dazu nicht hin, sondern dazu ist ein intuitives Denken nötig, das das Urbildliche in den Phänomenen zu erfassen vermag. Ein derartiges intuitives Erkenntnisvermögen bezeichnete [[Wikipedia:Immanuel Kant|Kant]] als "intellectus archetypus", d.h. als urbildlichen Verstand. Goethe war sich bewußt, daß er gerade über ein solches sinnlich-übersinnliches urbildliches Anschauungsvermögen verfügte, das Kant zwar grundsätzlich für denkmöglich hielt, dem Menschen aber absprechen zu müssen glaubte. Goethe war hier entschieden anderer Meinung:
 
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"Als ich die Kantische Lehre, wo nicht zu durchdringen, doch möglichst zu nutzen suchte, wollte mir manchmal dünken, der köstliche Mann verfahre schalkhaft ironisch, in dem er bald das Erkenntnisvermögen aufs engste einzuschränken bemüht schien, bald über die Grenzen, die er selbst gezogen hatte, mit einem Seitenwink hinausdeutete. Er mochte freilich bemerkt haben, wie anmaßend und naseweis der Mensch verfährt, wenn er behaglich, mit wenigen Erfahrungen ausgerüstet, sogleich unbesonnen abspricht und voreilig etwas festzusetzen, eine Grille, die ihm durchs Gehirn läuft, den Gegenständen aufzuheben trachtet. Deswegen beschränkt unser Meister seinen Denkenden auf eine reflektierende diskursive Urteilskraft, untersagt ihm eine bestimmende ganz und gar. Sodann aber, nachdem er uns genugsam in die Enge getrieben, ja zur Verzweiflung gebracht, entschließt er sich zu den liberalsten Äußerungen und überläßt uns, welchen Gebrauch wir von der Freiheit machen wollen, die er einigermaßen zugesteht. In diesem Sinne war mir folgende Stelle höchst bedeutend:
 
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«Wir können uns einen Verstand denken, der, weil er nicht wie der unsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom synthetisch Allgemeinen, der Anschauung eines Ganzen als eines solchen, zum Besondern geht, das ist, von dem Ganzen zu den Teilen: Hierbei ist gar nicht nötig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei, sondern nur, daß wir in der Dagegenhaltung unseres diskursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes (intellectus ectypus) und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit auf jene Idee eines intellectus archetypus geführt werden, diese auch keinen Widerspruch enthalte.» [Kant, Kritik der Urteilskraft, § 77]
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Zwar scheint der Verfasser hier auf einen göttlichen Verstand zu deuten, allein wenn wir ja im sittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterblichkeit uns in eine obere Region erheben und an das erste Wesen annähern sollen: so dürft' es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns, durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten. Hatte ich doch erst unbewußt und aus innerem Trieb auf jenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, war es mir sogar geglückt, eine naturgemäße Darstellung aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts weiter verhindern, das Abenteuer der Vernunft, wie es der Alte vom Königsberge selbst nennt, mutig zu bestehen." (Goethe: ''Anschauende Urteilskraft'')
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=== Exakte sinnliche Phantasie ===


Es liegt im Wesen des Lebendigen, dass es nicht als fertige abgeschlossene Gestalt rein sinnlich erfasst werden kann. Was sich dem sinnlichen Blick zeigt, ist nur ein winziger Ausschnitt einer sich entfaltenden Zeitgestalt. Um sich etwa die ganze sich durch verschiedene Formen lebendig wandelnde Pflanze zu vergegenwärtigen, muss man sich der Erinnerungsfähigkeit bedienen. Nur in dem man innerlich seelisch den vollständigen Werdegang der Pflanze in sich nachbildet, kann sich ihre vollständige Zeitgestalt offenbaren. Diese Erinnerungskraft, die mehr ist als das bloße momentane sinnliche Anschauen, hat Goethe ganz besonders gepflegt. Und das ist auch nötig, denn wie blass und abstrakt, wie wenig detailgetreu ist doch zumeist unser alltägliches [[Gedächtnis]]. Was wir uns seelisch innerlich von den vergangenen Geschehnissen wieder bewusst machen können, ist in der Regel nur ein schwacher Abklatsch des ursprünglichen unmittelbaren sinnlichen Erlebens, und obendrein meist noch ziemlich verfälscht; unser Gedächtnis wird nämlich nur allzu schnell von den Phantasiekräften ergriffen, die das einstmals Erlebte vielfach umgestalten, und zwar um so eher, je bruchstückhafter die Erinnerung ist. Unbewusst neigen wir dazu, die Lücken in unserem Gedächtnis höchst phantasievoll zu überbrücken, wodurch wir uns aber den Blick auf das, was wirklich war, verstellen. Wenn man das Lebendige auf wirklich exakte Weise erfassen will, dann muss das Gedächtnis erzogen und verstärkt werden. Vor allem muss das abstrakte bildlose, bloß begrifflich orientierte Gedächtnis zu einer wirklich vollgesättigten detailgetreuen inneren bildhaften Wahrnehmung werden, die an Intensität und Treue der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung so wenig als möglich nachsteht. Voraussetzung dafür, dass das überhaupt gelingen kann, ist, dass wir in unserem sinnlichen Anschauen viel aufmerksamer, viel wacher werden, als wir es im alltäglichen Leben sind. Gerade der Blick des modernen Menschen ist oft so flüchtig, dass er nur wenig von dem, was vor seinen Augen ausgebreitet ist, auch wirklich bewusst sieht. Vielmehr als wir ahnen, laufen wir als Halbblinde durch die Welt. Um etwas wirklich zu schauen, bedarf es eben nicht nur gesunder Sinne, sondern auch der aktiven seelischen Kraft, das den Sinnen Dargebotene zu ergreifen. Sehen lernen (und das Sehen gilt hier als Beispiel für alle anderen Sinneswahrnehmungen auch, von denen der Sehsinn nur der für uns hervorspringenste ist) muss also die erste Tugend sein, die es zu erwerben gilt. Schon das steht in ziemlichem Gegensatz zur gängigen naturwissenschaftlichen Methode, bei der die aufmerksame Wahrnehmung so weit wie möglich durch einen abstrahierenden Messprozess ersetzt wird. Gerade jene Teildisziplinen der Biologie, in denen dieses sinnige Schauen noch gepflegt wurde, wie etwa die Morphologie, werden zunehmend unbedeutend gegenüber dem molekularbiologischen Ansatz! So steht der moderne "Naturforscher" oft schon von Anfang an gar nicht vor der reichen Fülle der natürlichen Welt, sondern nur vor einem höchst abstrakten Ausschnitt der selben.
[[Kategorie:Frau|Mayreder, Rosa]]
[[Kategorie:Biographie]]


Je mehr und je intensiver uns das innere seelische Bild einer sinnlich erscheinenden Pflanze gegenwärtig wird, und je mehr uns das für die verschiedensten Entwicklungsstadien gelingt, desto mehr nähern wir uns ihrem eigentlichen Wesen. Dieses wird sich uns offenbaren, wenn es uns nun in innerem seelischen Tun gelingt, die einzelnen Werdestufen dieser Pflanze, gesetzmäßig ineinander zu verwandeln. Wir lassen dann gleichsam die Pflanze als inneres Bild noch einmal in uns heranwachsen. Nur schauen wir sie jetzt nicht von außen, sondern sind selbst tätig an ihrem Werden beteiligt. Wir eignen uns so die in ihr waltenden gestaltbildenden Kräfte, die draußen die physisch erscheinende Pflanze formen, innerlich seelisch an, wir verbinden uns mit ihnen. Und wenn wir endlich wie in einem einzigen Augenblick den ganzen Werdegang dieser Pflanze, etwa einer Rose oder Lilie, innerlich schauen, dann ist uns ihr eigentliches Leben, das übersinnlicher Natur ist, seelisch gegenwärtig. Was wir so als Typus der Rose etwa schauen, das wirkt als Bildekraft auch in allen anderen Rosen, denen wir in der sinnlichen Welt begegnen. Der "intellectus archetypus", von dem Kant sprach, aber dem Menschen verweigerte, lebt in uns auf. Was so als Typus der Rose oder Lilie usw. innerlich erfaßt wird, kann unmöglich als starre, unbewegliche Gestalt gedacht werden. Es ist ein durch und durch lebendig bewegliches Prinzip, das als ein einheitliches in allen Teilen der sinnlich erscheinenden Pflanze wirksam ist. Nur weil Goethe in sich diesen urbildlichen Verstand rege gemacht hat, konnte er das Pflanzenleben so begreifen, wie er es in seiner Metamorphosenlehre festgehalten hat.
{{Personendaten|
 
NAME=Mayreder, Rosa
=== Sinnlich-Sittliche Wirkungen ===
|ALTERNATIVNAMEN=
 
|KURZBESCHREIBUNG=österreichische Frauenrechtlerin
Wirklich fruchtbar werden die Ergebnisse der Naturforschung nur, wenn sie den unmittelbaren Bezug zum Menschen suchen. Die durch unser Bewusstsein aufgerissene Kluft zwischen Subjekt und Objekt wird dadurch überwunden. Goethe suchte etwa in seiner Farbenlehre ganz entschieden diesen Bezug zum lebendig empfindenden Menschen.
|GEBURTSDATUM=[[30. November]] [[1858]]  
 
|GEBURTSORT=[[Wien]]
Es ist charakteristisch für Goethes ganzheitlich orientierten Forschungsstil, dass er sich bei seinen Untersuchungen nicht auf die bloßen physikalischen Farberscheinungen beschränkt, sondern auch seelische Faktoren mit einbezieht und ihr wechselseitiges Zusammenspiel studiert. Einen ganz besonderen Raum in Goethes Farbenlehre nimmt dementsprechend das Kapitel über die sinnlich-sittliche Wirkung der Farben ein, in dem Goethe sehr ausführlich beschreibt, wie die einzelnen Farben auf das menschliche Gemüt wirken. Dabei zeigt sich die selbe Polarität wie schon bei den rein physikalischen Erscheinungen.
|STERBEDATUM=[[19. Januar|19. Jänner]] [[1938]]
 
|STERBEORT=Wien
Das Licht, die Helle erfreut unsere Seele, die Dunkelheit verdüstert nur all zu leicht unsere Stimmung und verängstigt uns nicht selten. Weiß ist die Farbe der Freude und Unschuld, Schwarz die Farbe des Todes, der Trauer und Schuld. Gelb ist die nächste Farbe am Licht. Die rotgelben Farbtöne wirken auf das Gemüt erheiternd (man denke nur an die sprichwörtliche ''rosarote Brille'') und regen den Willen zur Aktivität an.
}}
 
== Zur Systematik von Goethes Forschungsmethode ==
[[Bild:Urpflanze.jpg|thumb|[[Rudolf Steiner]], [[Urpflanze]], Aquarell 1924]]
Im '''Anorganischen''' wird das [[Denken]] dazu verwendet, die den Sinnen durch Beobachtung und Experimente gegebenen Qualitäten so zu ordnen, dass das eine Phänomen in seinen Zuständen und Vorgängen als Folge anderer Phänomene verständlich wird. Dabei werden wesentliche (für das Erscheinen des Phänomens notwendige) und unwesentliche (nur modifizierende) Bedingungen unterschieden. Ein solches Phänomen, bei dem sich ein unmittelbar einsichtiger, gesetzmäßiger Zusammenhang mit den wesentlichen Bedingungen zeigt, ist ein ''Urphänomen''. Aus solchen können alle Beziehungen zwischen weiteren Phänomenen abgeleitet und letztere damit verstanden werden (''beweisende Methode''). So hat Goethe aus dem Urphänomen der [[Farbenlehre]] (Entstehung der Farbe an Licht, Finsternis und Trübe) die Grundlage einer Optik entwickelt (Goethe 1891-1896).
 
Im '''Lebendigen''' bedingen sich die Glieder der Erscheinungen nicht mehr nur gegenseitig, sondern jedes Einzelne wird vom Ganzen her dessen Eigenart gemäß bestimmt. Beim Studium der Vorgänge wird bemerkt, dass sich die Verwandlung ([[Metamorphose]]) der Blattorgane einer Pflanze von den Keimblättern über die Laubblätter, die Kelch-, Kron-, Staub- und Fruchtblätter aus einer Grundform (dem ''Typus'') heraus vollziehen (Bockemühl 1977; Adams, Whicher 1960); die äußeren Bedingungen wirken lediglich modifizierend. Im gleichen Sinne werden die verschiedenen Arten als spezielle Erscheinungsformen der Gattung verständlich. Dies weist auf einen ''sinnlich-übersinnlichen'' Vorgang, der der Idee nach bei allen Pflanzen derselbe ist, der Erscheinung nach sowohl bei der einzelnen Pflanze als auch im ganzen Pflanzenreich verschiedene Formen hervorbringt und den Goethe die ''[[Urpflanze]]'' (den allgemeinen Pflanzentypus) nannte. Aus dieser lassen sich nach Goethe ''Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen'' und ''eine innere Wahrheit und Notwendigkeit haben'' (''entwickelnde Methode'').
 
Im '''Beseelten''' tritt die innere Organbildung als gestaltendes Phänomen in den Vordergrund. Tiere und Pflanzen sind gleichermaßen Lebewesen, und doch unterscheiden sie sich in ihrer Lebenstätigkeit wesentlich voneinander. Die Pflanze ist fest in der Erde verwurzelt, an sie gefesselt; das Tier vermag sich frei im Raum zu bewegen, und mehr noch, es ist erfüllt von innerer Seelenbewegung, die der Pflanze völlig mangelt. Das seelische Innenleben des Tieres gibt sich nach außen in der instinkt- und triebgebundenen Eigenbeweglichkeit kund; der Mensch hat darüber hinaus in seinem Inneren bewusst teil am Geistigen. Im Zusammenhang damit enthält der Wandel der tierischen und menschlichen Formen im Gegensatz zur Metamorphose der pflanzlichen Formen wesentliche Sprünge, die u. a. durch Einstülpung (z. B. bei der Bildung der inneren Organe) bzw. ''[[Umstülpung]]'', z. B. von Röhrenknochen in den Schädelknochen (Steiner 1926), verstanden werden können. Die ''entwickelnde Methode'' wird so zur ''Umstülpungsmethode'' erweitert, mit deren Hilfe u. a. die dreigliedrige tierische und menschliche Gestaltung erforscht wird (Poppelbaum 1938; Schad 1971).
 
Der '''[[Geist]]''' des Menschen prägt die Gestalt und Funktion des Körpers in besonderer Weise. Im Unterschied zum Tier werden in der Leiblichkeit des ''Menschen'' die Wirkungen des von Absterbeprozessen durchzogenen Nerven-Sinnessystems und des in Aufbauprozessen lebenden Stoffwechsel-Gliedmaßensystems durch ein eigenständiges, das momentan abgelähmte Leben momentan wieder anfachendes rhythmisches System so vermittelt, dass sie die physiologische Grundlage des Denkens, Wollens und Fühlens werden; durch diese Seelentätigkeiten kann die menschliche [[Individualität]] ihre Entwicklung selber fortsetzen (Steiner 1917). Das menschliche [[Ich]] wird zum bestimmenden Zentrum des dreigliedrigen Organismus in dessen Inneren sich das dreigliedrige Seelenleben entfaltet. Das [[Bewusstsein]], über das auch die Tiere in unterschiedlichen Graden verfügen, wird so bis zum [[Selbstbewusstsein]] gesteigert. Ausgehend davon versucht der Goetheanismus in weiterer Folge auch den sozialen Organismus in seiner [[Soziale Dreigliederung|Dreigliederung]] in Geistes-, Rechts- und Wirtschaftsleben zu verstehen und zu gestalten (Steiner 1919).
 
== Goethe-Zitate ==
* "Ein Phänomen, ein Versuch kann nichts beweisen, es ist das Glied einer großen Kette, das erst im Zusammenhange gilt. Wer eine Perlenschnur verdecken und nur die schönste einzeln vorzeigen wollte, verlangend, wir sollten ihm glauben, die übrigen seien alle so, schwerlich würde sich jemand auf den Handel einlassen." Sprüche in Prosa 160, Maximen und Reflexionen 501
 
* "Kein Phänomen erklärt sich an und aus sich selbst; nur viele zusammen überschaut, methodisch geordnet, geben zuletzt etwas, was für Theorie gelten könnte." Sprüche in Prosa 161, Maximen und Reflexionen 500
 
* "Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns das Grundgesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre." Sprüche in Prosa 165, Maximen und Reflexionen 488
 
* "Es gibt eine zarte Empirie, die sich mit dem Gegenstand innigst identisch macht, und dadurch zur eigentlichen Theorie wird. Diese Steigerung des geistigen Vermögens aber gehört einer hochgebildeten Zeit an." Sprüche in Prosa 167, Maximen und Reflexionen 509
 
== Literatur ==
* G. Adams und O. Whicher (1960): ''Die Pflanze in Raum und Gegenraum''. Stuttgart 1960
* J. Bockemühl (1977): ''Die Bildebewegungen der Pflanzen''. In: ''Erscheinungsformen des Ätherischen'', Stuttgart 1977, ISBN 3-7725-0401-9
* J. Bockemühl (1983): ''Goethes Naturwissenschaftliche Methode unter dem Aspekt der Verantwortungsbildung''. Elemente der Naturwissenschaft '''38''' 1983, S. 50-52
* J. Bockemühl (1994): ''Die Fruchtbarkeit von Goethes Wissenschaftsansatz in der Gegenwart''. Elemente der Naturwissenschaft '''61''' 1994, S. 52-69
* H. Bortoft (1995): ''Goethes naturwissenschaftliche Methode''. Stuttgart, ISBN 3-7725-1544-4
* J. W. Goethe (1891-1896): ''Naturwissenschaftliche Schriften''. Sophien-Ausgabe, Weimar
* J. W. Goethe (1883-1897): ''Naturwissenschaftliche Schriften''. Hrsg. Joseph Kürschner, Bd. 114 - 117, 1883-1897, Fotomechanischer Nachdruck Dornach 1982, ISBN 3-7274-5210-2 (Reihe, 5 Bände)
* P. Heusser (Hrsg.): ''Goethes Beitrag zur Erneuerung der Naturwissenschaften. Das Buch zur gleichnamigen Ringvorlesung an der Universität Bern''. Bern Stuttgart Wien 2000, ISBN 3-258-06083-5
* J. Kühl: ''Goethes Farbenlehre und die moderne Physik''. In P. Heusser (Hrsg.): ''Goethes Beitrag zur Erneuerung der Naturwissenschaften''. Bern Stuttgart Wien 2000, ISBN 3-258-06083-5
* H. Poppelbaum (1938): ''Tier-Wesenskunde''. Dornach 1954
* W. Schad (1971): ''Säugetiere und Mensch''. Stuttgart
* W. Schad (1986): ''Die Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung im Entwurf Goethes''. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus 1986, S. 9-30, ISBN 3-926347-00-7
* W. Schad (1987): ''Der Goetheanistische Forschungsansatz und seine Anwendung auf die ökologische Problematik des Waldsterbens''. In G. R. Schnell (Hrsg.): ''Waldsterben'', Stuttgart 1987, ISBN 3-7725-0549-X
* W. Schad (1999): ''Alles ist Blatt''. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus 1999, S. 9-33, ISBN 3-926347-21-X
* W. Schad (2001): ''Was ist Goetheanismus?'' Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus 2001, S. 23-66, ISBN 3-926347-23-6
* R. Steiner (1883-1897): ''Goethes Naturwissenschaftliche Schriften''. Stuttgart 1962, GA-Nr. 1
* R. Steiner (1886): ''Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung''. Dornach 1984, [[GA 2]], ISBN 3-7274-6290-6
* R. Steiner: ''Goethes Weltanschauung''. Dornach 1985, [[GA 6]] (1897), ISBN 3-7274-6250-7
* R. Steiner (1917): ''Von Seelenrätseln''. GA-Nr. 21
* R. Steiner (1919): ''Die Kernpunkte der sozialen Frage''. GA-Nr. 23, Dornach 1976, ISBN 3-7274-0230-X
* R. Steiner (1926): ''Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie''. GA-Nr. 323, ISBN 3-7274-3230-6
* R. Steiner: ''Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse'', [[GA 180]] (1966)
 
== Weblinks ==
* [http://www.forschungsinstitut.ch/index.php?id=669 Goetheanistische Naturwissenschaft - eine Bibliographie]
* [http://www.forschungsinstitut.ch Forschungsinstitut am Goetheanum (Schweiz)]
* [http://www.carus-institut.de/ Carl Gustav Carus-Institut (Deutschland)]
* [http://www.klaus-frisch.de/html/goetheanismus.html Was ist Goetheanismus?] - eine kritische Betrachtung.
* [http://www.natureinstitute.org The Nature Institute (USA)]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Goetheanismus]]

Version vom 22. Januar 2007, 07:34 Uhr

Rosa Mayreder (geb. Obermayer, Pseud.: Franz Arnold) (* 30. November 1858 in Wien; † 19. Jänner 1938 in Wien) war eine österreichische Frauenrechtlerin.

Rosa Mayreder mit ca. 16 Jahren

Leben und Schaffen

Die Tochter eines wohlhabenden Wiener Gastwirts konnte sich schon von ihrer Jugend an als Malerin und Schriftstellerin betätigen. Sie liebte die Wissenschaft und wendete sich gegen den zu ihrer Zeit herrschenden Zustand, dass im Allgemeinen nur Männern höhere Bildungsgüter zugänglich waren. Dies schien ihr im Herkommen begründet, das sie durch "die neuen, besseren Sitten" ersetzen wollte. Selbst ging sie zunächst von Anthropologie und Physik aus, stieß aber bald auch auf die besondere Bedeutung der Sprache. Mit siebenundreißig Jahren brachte sie gemeinsam mit Hugo Wolf die Oper "Der Corregidor" (nach der Novelle "Der Dreispitz" von Alarcon) heraus, deren Libretto sie verfasst hat; sie gehörte zu Wolfs Förderinnen.

1881 heiratete sie ihren Jugendfreund, den Architekten und späteren Rektor der Technischen Hochschule Wien Karl Mayreder. Bei der Frauenrechtlerin Marie Lang lernte sie Anfang der 1890er Jahre Marianne Hainisch kennen. 1893 gründete sie den Allgemeinen Österreichischen Frauenverein mit, deren Vorstandsmitglied und Vizepräsidentin sie wurde. Ab 1899 gab sie gemeinsam mit Marie Lang und Auguste Fickert die Zeitschrift "Dokumente der Frauen" heraus.

In ihren Büchern (Hauptwerke: die zweibändige Essaysammlung "Zur Kritik der Weiblichkeit" [1905] sowie "Geschlecht und Kultur" [1923]), aber auch in Gesprächen, die sie in ihren Tagebüchern festhielt, versuchte die Kultur-Umschaffende, ein gleichwertiges Verhältnis der Geschlechter einzubürgern, durch das weder der Mann die Frau noch diese den Mann nur körperlich begehre. Mit ihrem Ansinnen stieß sie in literarischen Kreisen auf Anerkennung und Zustimmung. Die Gegnerschaft fand sich für sie namentlich im Bereich der Medizin, die von ihr in Bezug auf Seelisches als ein Hort der Willkür, aber auch der Herabwürdigung von Frauen zum Sexualobjekt empfunden wurde. Sie wandte sich gegen die Diskriminierung ihres Geschlechts und die bestehende Doppelmoral. Ihre Werke fanden weite Verbreitung und wurden auch ins Englische übertragen.

Rosa Mayreder 1905

Allerdings lebte Rosa Mayreder selbst durchaus auch großbürgerliche Sitten.

Mayreder, die selbst zuerst als Malerin tätig gewesen war, gründete in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg mit Olga Prager und Kurt Federn die "Kunstschule für Frauen und Mädchen".

Vor und während des Krieges engagierte sie sich gemeinsam mit Bertha von Suttner in der Friedensbewegung und wurde 1919 die Vorsitzende der "Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit" (IFFF).

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg schien Mayreder, der kulturelle Schritt des 19. Jahrhunderts nach vorn sei wieder zurückgegangen worden.

Verhältnis zu Rudolf Steiner

Ambivalent blieb Mayreders Verhältnis zu Rudolf Steiner: zeigt der gemeinsame Briefwechsel der einstigen Jugendfreunde, in deren Gesprächen sich Steiners Begründung einer neuen pietistischen Bewegung schon ankündigte, ein echtes Angezogensein, so sind die Tagebucheintragungen von Missfallen an der Ferne des – wenn auch als Schriftsteller für bedeutend gehaltenen – Jugendgefährten vom Praktischen geprägt. Mayreder hält Steiners Mein Lebensgang Goethes "Dichtung und Wahrheit" entgegen und ärgert sich über das Verschweben des jüngeren Autors im rein Seelischen. Nichtsdestominder finden sich in ihren Tagebüchern Stellen, die über Steiner höchst aufschlussreich sind. Dass der Begründer der Anthroposophie sich selbst als "Zufallsanbeter" bezeichnet hat - das Leben habe es ihn gelehrt - wissen wir von Rosa Mayreder, der Steiner zeitlebens ähnlich innig zugeneigt blieb wie Goethe seiner nie erlangten Braut Lili Schönemann. Noch in fortgeschrittenem Alter verlebte Steiner eine Woche bei Frau Mayreder und ihrem Mann, und obwohl sie auf seine teils zudringlichen Briefe irgendwann nicht mehr antwortete, hat er sie in Festtagsstimmung eines Tages in Wien wieder aufgesucht, ohne auf seine Anmeldungen eine Antwort erhalten zu haben.

Weblinks


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