Weisheit und Brunetto Latini: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Weisheit''' ([[Wikipedia:Griechische Sprache|griech.]] σοφία ''sophia'') ist zuerst als objektive kosmische Weisheit oder [[kosmische Intelligenz]] auf dem [[Alter Mond|alten Mond]] entstanden, der daher zurecht auch als [[Kosmos der Weisheit]] bezeichnet wird. Hervorgegangen ist die Weisheit aus der [[Wahrheit]], die als eine im [[Äther]]ischen wirkende Kraft schon auf der [[Alte Sonne|alten Sonne]] veranlagt wurde. Weisheit ([[Hebräische Sprache|hebr.]] חכמה, [[Chochmah]]) ist die zweite [[Sephira]] am [[Lebensbaum der Kabbala]] und zugleich die oberste von dessen rechter Säule [[Jachin]].
[[Datei:Dante-Brunetto Bargello-Fresko.jpg|mini|250px|Das älteste Porträt [[Dante Alighieri]]s; links sein Lehrer ''Brunetto Latini'': Detail aus dem ''Fresko des Paradieses'' ( 14.Jhdt. ) von [[Wikipedia:Giotto di Bondone|Giotto di Bondone]] ([[Wikipedia:Bargello|Museo del Bargello]]. Maria-Magdalena-Kapelle, [[Wikipedia:Florenz|Florenz]])]]


== Der Ursprung der Weisheit auf der alten Sonne ==
'''Brunetto Latini''' (* um [[Wikipedia:1220|1220]] [[Wikipedia:Florenz|Florenz]]; † [[Wikipedia:1294|1294]]) war ein [[Wikipedia:italien|italien]]ischer Staatsmann, Schriftsteller, Gelehrter und Lehrer und väterlicher Freund des jungen [[Dante Alighieri]] (1265-1321).


Die Entwicklung der [[Alte Sonne|alten Sonne]] stand unter der Leitung der [[Geister der Weisheit]].
== Leben ==


<div style="margin-left:20px">
Brunetto wurde um [[Wikipedia:1220|1220]] in [[Wikipedia:Florenz|Florenz]] geboren. [[Wikipedia:1260|1260]] war er als Gesandter in Spanien bei König [[Wikipedia:Alfons X. (Kastilien)|Alfons von Kastilien]]. Auf dem Rückweg in seine Heimatstadt Florenz erhielt er die Nachricht, dass die Partei der [[Wikipedia:Guelfen|Guelfen]], der er selbst angehörte, gestürzt worden sei und dass die [[Wikipedia:Ghibellinen|Ghibellinen]] mit brutaler Gewalt gegen sie vorgingen. Diese Nachricht traf ihn wie ein Schock, dazu kam noch ein leichter Sonnenstich, der seinen [[Ätherleib]] lockerte und ihm den geistigen Blick öffnete. Brunetto konnte in seinem [[Initiation]]s-Erlebnis einen Nachklang der [[Schule von Chartres]] auffangen {{GZ||240|302f}}. Äußerlich war die Schule von Chartres verklungen, aber die Äthersphäre war durchdrungen von ihrem Geist. Es war gerade die kurze Zeit der völligen geistigen Finsternis, die sich um [[1250]] über die Menschheit für wenige Jahre gebreitet hatte, abgelaufen.
"Was in der Wahrheit lebt, die sich zur Weisheit läutert, nimmt eigentlich schon während der [[Alte Sonne|Sonnenentwickelung]] seinen ersten Anfang, hat dann in einer gewissen Weise seinen Höhepunkt in der Mondenentwickelung, lebt sich weiter ein in der Erdenentwickelung, und wird im wesentlichen schon vollendet sein bei dem, was wir als die Jupiterentwickelung kennen. Da wird das menschliche Wesen mit Bezug auf den Inhalt der Weisheit einen gewissen vollen Abschluß erlangt haben." {{Lit|{{G|170|74}}}}
</div>


Heute tritt uns diese [[objektiv]]e Weisheit überall in der irdischen Natur entgegen, im weisheitsvollen Bau des Oberschenkelknochens ebenso wie im Bau des Wespennest, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Nach dem Sieg der Ghibellinen wurde Brunetto Latini verbannt und ging ins Exil nach [[Wikipedia:Paris|Paris]]. Hier schrieb er in [[Wikipedia:Französische Sprache|französischer Sprache]] sein ''[[Wikipedia:Trésor (Enzyklopädie)|Livre du Trésor]]'' (''"Buch vom Schatz"''), eine das [[Wissen]] seiner Zeit umspannende [[Wikipedia:Enzyklopädie|Enzyklopädie]], und fast gleichzeitig auf [[Wikipedia:Italienischer Sprache|Italienisch]] den ''Tesoretto''. Er trug damit wesentlich zur Entwicklung der italienischen Volkssprache bei. Der italienische Geschichtsschreiber [[Wikipedia:Giovanni Villani|Giovanni Villani]] (1276-1348) bezeichnete ihn deshalb als den ''"Beginner und Meister in der Entwicklung der toskanischen Sprache"''.


Die [[subjektiv]]e ''innerliche'' Weisheit, die [[individuell]]e [[Intelligenz]], trat erst mit dem menschlichen [[Ich]] in die Erdenentwicklung herein. Sie wird von [[Platon]] als eine der vier [[Kardinaltugend]]en des [[Mensch]]en genannt.
Nach der Wiedereinsetzung der Guelfen, die [[Wikipedia:1266|1266]] in der [[Wikipedia:Schlacht bei Benevent|Schlacht bei Benevent]] die Ghibellinen bezwangen, konnte Brunetto [[Wikipedia:1267|1267]] nach Florenz zurückkehren, bekleidete hier fortan wichtige Ämter und wurde [[Wikipedia:1287|1287]] zum Sekretär der Republik ernannt. In diese Zeit fällt auch die Erziehung des jungen Dante, der ihm durch Familienbeziehungen nahestand. Dante gedenkt seines verehrten Lehrers in der [[Göttliche Komödie|Göttlichen Komödie]] im 15. Gesang des [[Inferno]]:


== Weisheit und Geister der Form ==
{| align="center" |
|-
| <poem>{{Zeile|82}} Das ''theure, gute Vater-Angesicht'',
Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht
{{Zeile|85}} Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,
Und wie mir dies noch theuer ist und werth,
Soll kund, so lang’ ich bin, die Zunge geben.
{{Zeile|88}} Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,
Bewahr’ ich wohl. –
                              ([http://de.wikisource.org/wiki/Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_086087.jpg Inferno 15,82-88])</poem>
|}


<div style="margin-left:20px">
Warum Dante seinen geschätzten Lehrmeister in den siebenten Höllenkreis versetzt, wo die ''Gewalttäter wider die Natur'', die [[Wikipedia:Sodomie|Sodomisten]], fürchterliche Qualen leiden, bleibt allerdings unklar. Über etwaige [[Sexualität|sexuelle]] Verfehlungen - nach dem Maßstab der spätmittelalterlichen kirchlichen [[Moral]]lehre - ist nichts bekannt. Vielleicht ist die Ursache auch „nur“ in Dante anstößig erscheinenden Passagen in Brunettos Schriften zu suchen. Oder er sah die „Unzucht“ darin, dass sich Brunetto für sein ''Livre du Trésor'' des Französischen bedient hatte und damit der italienischen Volkssprache untreu geworden war - für Dante durchaus schwerwiegende Gründe.
"Überall in unserer Umgebung
finden wir alles angefüllt und imprägniert mit Weisheit, mit
dem, womit wir selbst imprägniert sein werden, wenn wir Manas im
vollen Umfange entwickelt haben werden. Diese Weisheit, die wir
überall finden, ist etwas, was zu den Gliedern der Geister der Form
gehört. Wie unser niederstes Glied der physische Leib ist, so ist die
Weisheit, die wir um uns herum finden, das unterste Glied der Geister
der Form. Dann haben diese Geister der Form Buddhi, Atman, wo
wir unseren Ätherleib und astralischen Leib haben, und dann noch das
achte, neunte, zehnte und elfte Glied. Sie sehen also, wir haben es hier
zu tun mit hoch erhabenen Wesenheiten, zu denen wir aufschauen,
und wenn wir die Weisheit in unserer Umgebung sehen, sehen wir
nur das letzte Glied dieser hoch erhabenen Wesenheiten." {{Lit|{{G|102|79f|77}}}}
</div>


== Weisheit und Geschlechtertrennung ==
Brunetto starb [[Wikipedia:1294|1294]].


<div style="margin-left:20px">
Nach einem Hinweis [[Rudolf Steiner]]s soll [[Dante]] im karmischen Zusammenhang mit König [[Wikipedia:Johann (Sachsen)|Johann von Sachsen]] (1801-1873) stehen, der in [[Wikipedia:Dresden|Dresden]], dem [[Wikipedia:Elbflorenz|Elbflorenz]], ab 1854 regierte und unter dem Pseudonym ''Philalethes'' Dantes «[[Göttliche Komödie]]» ins Deutsche übersetzte. Vermutet wird auch der karmische Bezug von dessen Leibarzt [[Carl Gustav Carus]] (1789-1869) zu Brunetto Latini<ref>vgl. dazu: [http://www.perseus.ch/PDF-Dateien/carus2.pdf Ekkehard Meffert: ''Carl Gustav Carus und Brunetto Latini, der Lehrer Dantes''], Der Europäer Jg. 4 / Nr. 1 / November 1999</ref>.
"Sehr schön und deutlich steht es in der Genesis: Bevor
Jahve den Menschen geschaffen hat, schuf er auf der Erde Früchte,
Tiere und so weiter und zuletzt schuf er den Menschen, Adam, und
diesen teilte er dann in zwei Geschlechter [...]


Die ganze befruchtende und fruchtbringende Kraft, die einen neuen
== Il Tesoretto ==
Menschen hervorbringt, war früher in einem Geschlecht vereinigt.
[[Datei:Dante sodom.jpg|mini|300px|[[Dante]] und [[Wikipedia:Vergil|Vergil]] sprechen mit Brunetto Latini in der Hölle. Aus einem illustrierten Kommentar zur «[[Göttliche Komödie|Göttlichen Komödie]]», zirka 1345]]
Dann wird der Mensch geteilt in männlich und weiblich. Welchem
Brunetto Latini hat seine Schau in der Dichtung ''Il Tesoretto'' (''"der kleine Schatz"'') festgehalten: Von Schmerzen gebeugt ob der erhaltenen Schreckensbotschaft verliert er wie in Trance den Weg und findet sich endlich in einem abgelegnen, wilden Wald wieder. Als er sich endlich wieder besinnen kann, sieht er sich vor einen Berg gestellt und beobachtet große Scharen seltsamer Tiere, Menschen, Gräser, Blumen, Bäume, Steine und Perlen. Alles ist in ständiger Verwandlung, entsteht und vergeht wieder – und zwar so, wie es ein daneben stehendes weibliches Wesen gebietet, das Brunetto einmal wie verkörpert in wunderschöner Gestalt erscheint, dann wieder riesenhaft und gestaltlos - [[Natura]]. Jetzt lacht ihr Gesicht, dann ist es von Schmerzen verzerrt.
Geschlecht kommt der eigentliche Anspruch auf die Zeugungskraft
zu? Es ist das Weibliche. Daher wird in der ältesten griechischen
Mythologie Zeus, der als Vater der Menschheit verehrt wurde, mit
einer Frauenbüste, mit einer weiblichen Büste dargestellt. Zeus als
übermenschliches Wesen war dem weiblichen Geschlecht näher. Das
weibliche Geschlecht war also das erste, das frühere, und hatte damals
in sich die Kraft, das ganze menschliche Individuum hervorzubringen.
Diese hervorbringende Kraft war vorhanden in dem eingeschlechtlichen
Menschen, der in seiner physischen äußeren Form sich eben
mehr der Form des Weibes näherte. In diesem eingeschlechtlichen
Menschen war das Befruchtende die Weisheit, das Geistige selbst,
und eine spätere Wiederholung davon ist die Befruchtung des weiblichen
Geistes mit inspirierter Weisheit. Dieser Mensch der eingeschlechtlichen
Zeit war das Ergebnis des im Weibe gegebenen Stoffes
und der Befruchtung mit dem göttlichen Geiste." {{Lit|{{G|093|230f|232}}}}
</div>


=== Geschlechtertrennung ===
{{GZ|Nun
schildert Brunetto Latini, wie die Schöpfung sich um den Berg ausbreitet,
wie ihm auf dem Berg eine riesige Frauengestalt erscheint,
auf deren Worte hin, auf deren Wortangaben hin sich diese Schöpfung,
die um den Berg ist, wandelt und ändert, andere Formen annimmt.
Und so wie Brunetto Latini spricht, so erkennt man: er spricht
so über diese Frauengestalt, wie in den alten Einweihungsmysterien
gesprochen worden ist über Proserpina. Nur hat die Vorstellung über
die Proserpina eben die Wandlung durchgemacht von der alten Griechenzeit
bis zum Ausgang der griechisch-lateinischen Zeit. Nicht so
wie die alten griechischen Dichter die Proserpina schildern, schildert
Brunetto Latini sie; er schildert sie eben so, wie sie in den menschlichen
Seelen lebte im Ausgang des griechisch-lateinischen Zeitalters.
Und dennoch: Das, was der alte Ägypter anhörte, wenn ihm die
Beschreibung der Isis, und was der Grieche anhörte, wenn ihm die
Beschreibung der Proserpina nahetrat durch die Einweihung, man
kann es vergleichen mit dem, was Brunetto Latini erzählt von dieser
Frauengestalt, auf deren Geheiß und Worte hin sich die Gestalten
der Schöpfung wandeln.|187|121f|122}}


<div style="margin-left:20px">
<center>
"Als die Spaltung der Geschlechter
{|width="800px" 
stattfand, trat die Differenzierung so ein, daß sich zunächst für das
|-
weibliche Geschlecht die geistigen Befruchtungsorgane in Weisheitsorgane
|valign="top"| <poem>Und ich in solcher Trauer
verwandelten. Die männliche Kraft, die das Weib in sich hatte,
mit geneigtem Haupte nachdenkend,
die verwandelte die schöpferische Kraft in die Organe der Weisheit.
verlor den großen Weg
So blieb dem Weibe die Hälfte der hervorbringenden Kraft; dem
und gelangte quer
Manne blieb die schöpferische physische Kraft. Durch diese Trennung
durch einen seltsamen Wald. (190)
entstanden physisch das Rückenmark und das Gehirn mit den
Nervensträngen, dargestellt in dem Baum des Lebens und dem Baum
der Erkenntnis. Das Organ der Weisheit ist ausgebildet in den Rückgratringen
mit dem Rückenmark und dessen Ausdehnung im Gehirn.
Von da an ist eine Zweiheit im Menschen: Das sind die zwei Bäume
in der biblischen Urkunde, der Baum der Erkenntnis und der Baum
des Lebens [...]


Die physische Natur hatte sich gespalten in ein Befruchtendes und
Aber zurückkehrend zur Besinnung
ein zu Befruchtendes. Ebenso hat sich auch die geistige Natur gespalten.
wandte ich mich und heftete meinen Sinn
Bei den weiblichen Individuen hat der Geist männlichen Charakter
ringsherum auf das Gebirge
und Färbung; beim Manne hat das Geistige einen weiblichen
und sah eine grosse Menge
Charakter. Das ist noch das Weib im Manne." {{Lit|{{G|093|231f|233}}}}
von verschiedenen Tieren; (195)
</div>
welche, kann ich nicht gut sagen,
aber Männchen und Weibchen,
wilde Tiere, Schlangen und Raubtiere
und Fische in grossen Scharen
und alle Arten (200)
fliegender Vögel
und Gräser und Früchte und Blumen
und Steine und Sternblumen,
die sehr wohltuend sind,
und so viel andere Dinge, (205)
dass kein sprechender Mensch
sie nennen,
noch einteilen kann.
Aber so viel kann ich davon sagen,
dass ich sie gehorchen sah, (210)
enden und beginnen,
sterben und erzeugen
und ihre Natur annehmen
nach dem Befehl einer Gestalt,
die ich sah. (215)
Und sie schien mir,
als wenn sie verkörpert wäre,
manchmal ungeformt,
manchmal den Himmel berührend,
der ihr Schleier zu sein schien; (220)
und bisweilen verwandelte sie ihn
und bisweilen bewegte sie ihn.
Auf ihr Geheiß
bewegte sich das Firmament.
Und bisweilen breitete sie sich aus, (225)
dass die ganze Welt in ihren Armen schien.
Einmal lachte das Gesicht,
dann wieder war es von Gram und Schmerz durchzogen,
schliesslich nahm es seinen früheren Ausdruck an. (230)</poem>


=== Luziferische Versuchung und Sündenfall ===
|valign="top"| [...]
<poem>Aber dann, als sie mich sah
lachte ihr Angesicht,
Zu mir wandte sie sich (285)
sehr gütig und sagte:
Ich bin die Natur
und bin ein Werk (290)
des höchsten Schöpfers,
er ist mein Schöpfer,
durch ihn wurde ich geschaffen
und begonnen,
aber seine grosse Macht (295)
war ohne Anfang:
sie endigt weder , noch stirbt sie.
Aber meine ganze Arbeit ist,
dass, sobald ich sie entzünde,
sie sich verzehren muss. (300)
Er ist allmächtig,
aber ich bin nichts,
wenn er es nicht gewährt.
Er sorgt vor für alles
und ist an jedem Ort (305)
und weiss das, was vergangen
und die Zukunft und die Gegenwart,
aber ich bin nicht wissend,
außer um das, was er will,
Zeige mir, wie du es zu tun pflegst, (310)
das, was du willst, das ich machen möge,
und das, was ich zerstören möge.
Durch ihn bin ich seine Arbeiterin,
deshalb befiehlt er mir;
so auf Erden und in der Luft (315)
hat er mich zu seinem Stellvertreter gemacht.
Er ordnet die Welt
und ich nach seinem Befehl
leite es nach seinem Geist. (320)</poem>
Brunetto Latini: ''Il Tesoretto'' 186 - 320
|}
</center>


<div style="margin-left:20px">
Brunetto Latini erneuert so das, was der Ägypter mit der [[Isis]] verband und der Grieche schilderte im [[Proserpina-Persephone-Mythos]], die ihrer Mutter [[Demeter]] das Gewand webt. Der Unterschied besteht darin, dass man in alten Zeiten das Augenmerk vor allem auf das Ruhende, auf das in allem Wechsel Bleibende legte, während Brunetto gerade auf das sich Wandelnde schaut. Es sind aber immer die Seelenkräfte gemeint, die als Begleiter des Nus, des Weltengeistes, schaffend die Welt durchweben. Natura ist eine Schwester der Urania, des Sternenhimmels. So wie Urania die kosmische Beraterin des Nus ist, so wird Nus in den irdischen Bereichen von Natura beraten.
"Die biblische Legende stellt das sehr genau dar. Es wird bekanntlich
dem zweigeschlechtlichen Menschen verboten, vom Baume der
Erkenntnis zu essen. Die Kraft, die Jehova in den Menschen gelegt
hatte, war: seine Weisheit im Weibe wirken zu lassen. «Du sollst
nicht essen vom Baume der Erkenntnis», heißt soviel wie: Du sollst
nicht die befruchtende Kraft abtrennen und selbständig machen. -
Denn dadurch geht dem Weibe die Jahvekraft, die befruchtende
Kraft, verloren. Als das Weib vom Baume der Erkenntnis aß, legte
es den Grund dazu, selbständig in der Weisheit zu werden und somit
aufzuhören, ein unselbständiges Werkzeug Jehovas zu bleiben, wie
dieser es geplant hatte. So aber verlor es mit der Jehovakraft die
Kraft, sich selbst mit Weisheit zu befruchten. Es setzte diese Kraft
aus sich heraus, indem es [von dem Baume der Erkenntnis] aß und
dem Manne von dem Apfel gab. So wurde das Weib vom Manne
abhängig. Es war Luzifer, der den Menschen auf diesen Weg brachte,
um ihn selbständig zu machen. Dem widersetzte sich Jehova und
erließ deshalb das Verbot, vom Baume der Erkenntnis zu essen. Das
Weib aber ißt und gibt dem Manne. Der ißt auch, und dann folgt
die Strafe, von Jehova verhängt. Neue Leiber müssen entstehen, die
das Karma des vorigen Lebens austragen, der Tod und das Geborenwerden
kommen in die Welt. Das Weib ist nun nicht mehr durch
sich selbst fruchtbar, sondern ist unfruchtbar geworden. Und damit,
daß die Befruchtung von außen kommt, ist auch die Möglichkeit
eines solchen Todes in die Welt gekommen." {{Lit|{{G|093|232f|234}}}}
</div>


=== Passive männliche und aktive weibliche Weisheit ===
=== Der Initiationsweg des Brunetto Latini ===


<div style="margin-left:20px">
{{GZ|Dasjenige, was man später abstrakt die Naturgesetzlichkeit
"Was war nun geschehen dadurch, daß das Weibliche sich vom
nannte, wovon man sich später durchaus nicht hat vorstellen
Männlichen abspaltete? In welchem Geschlechte hat sich der Schatten
wollen, daß etwas Wesenhaftes dahinter ist, das sah Brunetto Latini in
der produktiven geistigen Weisheitskraft mehr erhalten, im männlichen
Form der Imagination von einer Frau, aus deren Geiste, wie in einem
oder im weiblichen? Wir haben gesehen, daß die weibliche
diese von ihm auch imaginierte Natur beherrschenden Worte, dasjenige
Weisheit eigentlich einen männlichen Charakter hat: das ist das Schaffende,
hervorging, was später in abstrakter Form als Naturgesetzmäßigkeit
das Produktive, die Intuition, das was originell ist, was hervorbringt.
empfunden wurde. Diese Frau sagte ihm dann - so erzählt er -, er solle
Dieselbe göttliche Kraft, die früher befruchtend im Weibe
seine Seelenkräfte vertiefen, dann werde er immer tiefer in sich hineinkommen.
gewirkt hat, um den physischen Menschen hervorzubringen, wirkt
- Und nun ist es interessant, wie sie, gleichsam ihre Kraft über
nun befruchtend auf die Erkenntnis des göttlichen Wesenskernes im
ihn ausstrahlend, ihm die Möglichkeit gibt, immer tiefer in sich hineinzukommen.
Menschen. Um diesen Vorgang zu fördern, wirken die Religionen
Es ist das Untertauchen in die eigene Wesenheit. Und die
durch Wort und Bild.
Reihenfolge, die er angibt, ist wirklich für gewisse Verhältnisse die
richtige Reihenfolge der Initiation.|161|52}}


Das weibliche Wesen wird physisch unfruchtbar, das heißt, es kann
Es sollen nun die einzelnen Stufen des Initiationsweges des Brunetto Latini genauer beschrieben werden.  
keine Nachkommen aus sich heraussetzen wie ehedem. Der männliche,
passive Geist ist derjenige, der geistig unfruchtbar ist, aber der Mann
ist der, der physisch befruchten kann. Geistig läßt er sich nun befruchten
durch alles das, was in der Welt ist. Er wird nun geistig
befruchtet, um selbst physisch befruchten zu können. Die ganze Welt
dringt zunächst auf ihn ein. Er wird befruchtet geistig, das Weib
physisch. Das Weib dagegen ist geistig selbst befruchtend; der Mann
wird geistig befruchtet. Dadurch, daß man draußen alles sammelte
und kombinierte, wurde die männliche Weisheit befruchtet. So entstand
die Männerweisheit, die darauf bedacht war, die weltliche Weisheit
zu sammeln. Die war wirklich zunächst nicht vorhanden, wie
die früher von oben einströmende. Sie mußte erst gesammelt werden
aus der Erkenntnis der physischen Welt. Die weibliche Weisheit dagegen
ging faktisch auf die Priesterschaft über. Die Priesterweisheit
wurde das Gut, welches ursprünglich von der alten weiblichen Weisheit
herstammte. Jehova konnte das menschliche Geschlecht ja nur
dadurch erhalten, daß er es in die zwei Geschlechter spaltete. Es entstanden
zwei Oppositionen: [[Freimaurerei]] und [[Priester]]herrschaft, die
symbolisiert sind durch [[Kain und Abel]]." {{Lit|{{G|093|233f|235}}}}
</div>


== Weisheit und Manas (Geistselbst) ==
Indem Natura ihre Kräfte über Brunetto ausgießt, durchlebt er die einzelnen Stufen seiner Initiation. Er steigt erlebend in sein Inneres hinein und lernt zunächst seine Seelenkräfte zu schauen als [[Imagination]] wilder [[Tier]]e. Brunetto schaut also den [[Astralleib]] bzw. zuerst die in den Astralleib eingebetteten Seelenglieder: [[Empfindungsseele]], [[Verstandesseele]] und [[Bewusstseinsseele]], die durch die noch unbewusste Arbeit des [[Ich]] an den Leibeshüllen gebildet werden. Indem das Ich den Astralleib umwandelt, entsteht zunächst die Empfindungsseele, durch Umwandlung des Ätherleibes bildet sich die Verstandesseele und die Bewusstseinsseele kommt dadurch zustande, das das Ich bis in den [[Physischer Leib|physischen Körper]] hinein arbeitet. Namentlich arbeitet der [[Intellekt]] beständig in das physische [[Gehirn]] hinein und bildet dort geordnete Strukturen. Früh erworbene starre Denkmuster sind sehr tief eingegraben und es bedarf hoher Willensanstrengung, um sie wieder aufzulösen. Das Denken muss beweglich werden, Denkmuster müssen kristallklar ausgebildet, aber auch immer wieder überwunden werden. Durch diese intensive Arbeitet am physischen Gehirn wird das Bewusstsein gesteigert. Zur Wahrnehmung der geistigen Außenwelt in Gedankenform (platonische [[Ideenschau]]) kommt es aber erst, wenn das Denken rein im Ätherischen abläuft und der Ätherleib gleichsam mit seinen ätherischen Fangarmen die äußere Ätherwelt abtastet. Trotzdem müssen diese Erlebnisse hereingeholt und anschließend mit dem physischen Verstand gefasst werden. Nur dadurch, eben durch diese Arbeit am physischen Leib, wird die Bewusstseinsseele immer stärker ausgebildet und zwar jetzt so, dass wir auch Gedanken bewusst erfassen können, die sich auf rein Geistiges beziehen.


<div style="margin-left:20px">
Brunetto steigt also erlebend in sein Inneres hinein und lernt zuerst seine Seelenkräfte zu schauen ([[Astralleib]], Tier-Imaginationen) und dann die 4 [[Temperamente]] ([[Ätherleib]]), um anschließend durch die Tore der 5 [[Sinne]] ([[physischer Leib]]) in die geistige Außenwelt vorzustoßen. Zunächst in die Welt der 4 [[Elemente]], dann durch die 7 [[Planetensphären]] zum [[Tierkreis]], um schließlich, den 4 [[Vier Paradiesesströme|Paradiesesströmen]] folgend, den Ozean, den [[Okeanos]], zu durchschreiten, d.h. jene übersinnliche Sphäre, die überhaupt kein sinnlich-äußeres Korrelat mehr hat, die jenseits der [[Fixsternsphäre]] liegt, dorthin, wo man sonst nur unbewusst im tiefen Schlaf ist (vgl. Faust II: finstere Galerie). Es ist das Reich der gestaltlosen Urbilder, der höchsten [[Platonische Ideen|platonischen Ideen]] – das obere [[Devachan]] in anthroposophischer Ausdrucksweise. Dieses Hinausgehen in den [[Okeanos]] hat man früher bezeichnet als das Durchschreiten durch die "[[Wikipedia:Säulen des Herakles|Säulen des Herakles]]" (im [[Hebräisch]]en als [[Jakim]]- und [[Boas]]-Säule beschrieben):
"Es wäre im höchsten
Grade töricht, zu glauben, daß man Wasser aus einem Gefäß
herausholen könnte, wenn kein Wasser darin ist. So
töricht sind aber diejenigen, welche sagen, daß sie Weisheit
aus der Welt holen können, wenn keine darin ist. Der
Astronom sucht die Weisheit in der Welt zu berechnen und
zu begreifen. Nur durch die Weisheit ist die Welt zu begreifen.
Wäre es nicht die größte Torheit, Weisheit schöpfen
zu wollen aus der Welt, wenn nicht Weisheit darinnen wäre?
Wenn nicht die Weisheit gegeben wäre, nimmermehr könnten
wir die Weisheit da holen. Durch dieselbe Weisheit, mit
der wir die Welt begreifen wollen, ist die Welt gemacht. Das
ist das dritte Element, das alle Welt durchflutet. Das ist das
Manas. Ins Deutsche wird es am besten übersetzt, indem
man sagt: Die Weisheit wird herausgeboren aus der Welt. -
Unser Geistselbst ist dieses dritte Element." {{Lit|{{G|054|291}}}}
</div>


<div style="margin-left:20px">
:::::*Seelenkräfte
"Die schaffende Weisheit ist
:::::*vier Temperamente
diejenige Weisheit, die den Menschen einstmals gemacht hat, Stück
:::::*fünf Sinne
für Stück aufgebaut hat, die heute der Anatom herausholt und beschreibt.
:::::*vier Elemente
Die schaffende Weisheit ist genau dieselbe, wie die heute
:::::*sieben Planeten
herausgeholte Weisheit; sie ist in die Welt hineingelegt worden. In der
:::::*Okeanos
uralten Weisheit hat man es mit dem Plane der Welt zu tun. Nun
können Sie verstehen, warum der Mystiker sich in sich selbst zurückziehen
muß. Der eigentliche Mystiker muß ein Erforscher des Inneren
sein. Er versucht, diejenigen Stadien der Entwickelung wieder aufzusuchen,
durch die er geschaffen worden ist.


Könnten wir die Augen vollständig vor allem Licht verschließen
Alle diese Initiations-Schritte unternimmt Brunetto auf Geheiß der Frau, die ihm in der Imagination erscheint. Und dann, und das ist besonders wichtig und typisch, nachdem er den geistigen Ozean durchschwommen hat, erwacht er wieder in der physischen Welt! Er findet sich wieder in seinem Wald. Doch gleich steht Natura wieder neben ihm und ermahnt in, nach rechts weiterzureiten. Dann werde er die großen Lehre in ganz neuem Licht schauen: die Philosophie, die 4 (platonischen) Tugenden (also Weisheit, Mut, Mäßigkeit und Gerechtigkeit) und endlich den Gott der Liebe. Entscheidend ist also, dass Brunetto jetzt seine geistige Erkenntnis in das wache Tagesbewusstsein mitnehmen kann.
und dann in uns Licht schaffen, bis die Welt von innen heraus beleuchtet
erscheint, dann könnten wir uns in uns selbst versenken in
die schaffende Weisheit und im Inneren alles durchschauen. Das hat
einen praktischen Wert, denn man erinnert sich daran, daß im Grunde
genommen der Mensch sich dadurch aufgebaut hat, daß er durch das
Mineral-, Pflanzen- und Tierreich hindurchgegangen ist; das ist auch
alles in ihm. Was draußen in der Welt ist, sind die zurückgebliebenen
Reste dessen, was der Mensch einmal auch war.
Das menschliche Herz war in seiner Entstehung in Verwandtschaft
mit dem, was draußen vor sich gegangen ist. In dem Augenblicke, wo
man sich in das Herz vertieft, schafft man sich die Umwelt, wie sie
damals war, als in der lemurischen Zeit das Herz entstand. Wenn man
sich auf die Tätigkeit des Herzens konzentriert, kann man hervorzaubern
die ganze Umgebung der damaligen lemurischen Zeit,
als das Herz sich bildete. Es tauchen dann die lemurischen Landschaften
in uns auf. Wer aufs Herz sich konzentriert, sieht die Entstehung
des Menschengeschlechtes.


Durch Konzentration auf das Innere des Gehirns, das erst nach und
Brunetto erlebt das nun so: er kommt zunächst in eine Wüste. Hier sind keine Menschen, keine Tiere, keine Pflanzen, kein Fluß und kein Bach. Schließlich schaut er Kaiser, Könige, Gelehrte, über allen aber die Kaiserin, Tugend genannt, mit ihren vier Königstöchtern. Bald erscheint sie ihm als ein einziges Wesen, dann wieder als vier Wesen. Brunetto kommt dann weiter in das Reich des Glücks und der Liebe. Von einem Pfeil des Liebesgottes getroffen, wünscht Brunetto zu entfliehen und wird von Ovid (Metamorphosen!) von diesem Ort befreit.
nach während der atlantischen Zeit entstanden ist, sieht man die atlantischen
Landschaften auftauchen. Konzentriert man sich auf das Sonnengeflecht,
so wird man zu den Hyperboräern geführt. So steigt man
rückwärts auf in die verflossenen Welten. Das ist kein In-sich-Brüten,
sondern ein wirkliches Wahrnehmen der einzelnen Organe in ihrer
Verwandtschaft mit der Welt. Auf diese Weise hat Paracelsus seine
Mittel gefunden und kuriert. Er wußte, daß Digitalis purpurea entstanden
ist, als das menschliche Herz entstand. Durch Konzentration
auf ein Organ erscheinen entsprechende Heilmittel. So stehen die Glieder
des [[Makrokosmos]] mit der [[Mikrokosmos|mikrokosmischen]] Natur des Menschen
in Zusammenhang." {{Lit|{{G|093a|225ff}}}}
</div>


== Weisheit, Rhythmus und Ätherleib ==
Der Tesoretto nimmt dann noch einen weiteren Fortgang, wo Brunetto schildert, wie er im Kloster zu Montpellier, wo auch [[Alanus ab Insulis]] gewirkt hatte, den Mönchen seine Sünden beichtet. Endlich schildert Brunetto, wie er eine weitere Reise unternimmt, um die 7 freien Künste zu schauen. An einem Festtag reitet er wieder in den Wald, erschaut dort den Berg Olymp, die vier Elemente und schließlich begegnet er [[Ptolemäus]], redet ihn an ... und damit bricht unvollendet das Werk ab.


<div style="margin-left:20px">
Bedeutsam ist Brunettos Werk als allerletztes Beispiel dafür, wie man im Mittelalter noch aus dem inneren Erleben zu einem geistigen Schauen der Natur durchbrechen konnte. Dann kam das Zeitalter der äußeren Naturwissenschaft. Und das hat auch Konsequenzen für den Initiations-Weg. Um heute einen ähnlichen Weg wie Brunetto gehen zu können, bedarf es einer weiteren Vorbereitung. Würden wir so wie er durch die Tore der Sinne in die geistige Außenwelt hinaustreten, würde sich eine ziemliche geistige Finsternis ausbreiten. Damit das nicht geschieht, bedarf es folgender Einschiebung auf dem Initiationsweg: man muss sich darin üben, Geistig-Ideelles als äußere Wirklichkeit in der Metamorphose der Gestaltungen der Welt zu schauen – also das, was [[Goethe]] mit seiner [[Metamorphosenlehre]] angestrebt hat.
"Ebenso wie Karma etwas Unausgeglichenes ist, hat Weisheit
etwas von Ruhe, Ausgeglichenheit. Darum nennt man sie auch Rhythmus.
Alle Weisheit ist der Form nach Rhythmus. Im Astralkörper
ist vielleicht viel Sympathie, dann ist viel Grünes in der Aura. Dieses
Grün wurde einmal als Gegenfarbe herausgefordert. Dem Grünen
entsprach ursprünglich ein Rot, ein selbstsüchtiger Instinkt. Das hat
sich durch Tätigkeit, Karma, in Grün verwandelt. In der Weisheit,
im Rhythmus ist alles fertig, ausgeglichen. Im Menschen ist alles
Rhythmische, Weisheitsvolle im Ätherkörper. Der Ätherkörper ist
daher das am Menschen, was die Weisheit repräsentiert. Im Ätherkörper
herrscht Ruhe, Rhythmus." {{Lit|{{G|093a|23f}}}}
</div>


== Weisheit und Liebe ==
Eine weitere Einschiebung auf dem [[Schulungsweg]] ist heute notwendig, bevor man die «Säulen des Herakles» durchschreitet. Man muss einen festen inneren Schwerpunkt, eine ungeheure Vertiefung seines eigenen Wesens erfahren, etwas was einem dann die Orientierung geben, die Richtung weisen kann in dem ungeheuren geistigen Ozean. Und es muss dabei die ganz starke Empfindung entstehen, das es äußere Dinge geben kann, die einem subjektiv gar nichts angehen, die man aber doch so intensiv und begeistert miterlebt, als würden sie einem selbst zutieftst betreffen. So erwirbt man sich ein Werkzeug der Orientierung, einen Kompass für die geistige Welt. Es geht also um die Stärkung der Ich-Kraft und der damit verbundenen Liebes-Kraft. Dann kann sich das Wort von Goethes Faust erfüllen: "In deinem Nichts hoff’ ich das All zu finden!" Damit stellt sich der moderne Initiationsweg insgesamt so dar:


<div style="margin-left:20px">
:::::*Seelenkräfte
"Wenn jemand alle diejenigen Gedanken, die heute in der Theosophie
:::::*vier Temperamente
gegeben werden, in sich aufnehmen würde, so wären dies
::::::*'''Metamorphosen des Lebens'''
die Gedanken der höheren Hierarchien, der Götter; jedoch würde
:::::*fünf Sinne
dies Denken in uns eine Eiseskälte erzeugen. Darum müssen
:::::*vier Elemente
wir diese Göttergedanken mit der Wärme verbinden, die Liebe
:::::*sieben Planeten
in uns erweckt. Auch wenn dies erst nur schwach möglich ist,
::::::*'''Werkzeug der Orientierung (Kompass)''' [[Ich]]
so ist es doch damit wie mit dem ersten Lebensgefühle in einem
:::::*Okeanos
Pflanzenkeim. Erst durch das Christus-Ereignis ist es uns möglich
geworden, Weisheit mit Liebe zu verbinden." {{Lit|{{G|266b|234}}}}
</div>


<div style="margin-left:20px">
Berühmt wurde Brunetto allerdings nicht des ''Tesorettos'' wegen, sondern wegen des "großen Schatzes", des ''«Trésor»'', einem enzyklopädischen Werk, das die gesamte damalige Welterkenntnis zu umfassen strebte, und das Brunetto später in Frankreich in französischer Sprache verfasst hat. In späteren Jahren bekleidete Brunetto wieder öffentliche Ämter in Florenz und wurde hier der Freund und Lehrer des Dante. Der Einfluß auf Dantes "[[Göttliche Komödie]]" ist unübersehbar.
"Wir wissen, daß die vorherige Verkörperung unserer Erde der
alte Mond, der Kosmos der Weisheit war, daß er ganz durchdrungen,
durchsetzt von Weisheit war. Eine Kraft aber, die nun
der Erde einverleibt ist, die fehlte ihm: die Liebe. Und so ist
auch Luzifer ganz durchdrungen von Weisheit, aber die Liebe
kennt er überhaupt nicht. Er hat sich ganz hingegeben der Weisheit,
er hat sich an ihr wie berauscht, und daher will er alle
Wesen, die Erdenkinder, voller Weisheit machen.
Und darin liegt für den Menschen immer wieder die große
Versuchung. Luzifer, dessen Kräfte in uns leben, sagt uns etwa
so: Du wirst in alle Verhältnisse hineinschauen, du wirst alles
wissen, dir wird alles klar sein, wenn du mich ganz aufnimmst
in dich. - Weisheit ohne Liebe will er den Menschen geben; sie
führt zu selbstsüchtigem Wissen." {{Lit|{{G|266b|146}}}}
</div>


== Weisheit und Reinkarnation ==
== Werke (Auswahl) ==


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* ''Il Tesoretto e il Favolello'', hersg. von B. von Wiese, in: Zeitschrift für romanische Philologie 7, S. 236 ss.
"Ein Mensch aber, der weise
* ''Li livres dou Trésor'', herausgegeben von [[Wikipedia:Polycarpe Chabaille|Polycarpe Chabaille]], Paris 1863.
werden will, bestrebt sich, dasjenige, was er an Arbeit in früheren
Inkarnationen geleistet und aufgespeichert hat, aus den früheren Inkarnationen
herüberzubringen. Je weiser wir werden, desto mehr bringen
wir aus früheren Inkarnationen in die gegenwärtige herüber, und
wenn wir nicht weise werden wollen, so daß wir das Weisewerden
von früheren Inkarnationen brach liegen lassen, dann kommt einer,
der es absägt: Ahriman.


Niemand will es lieber als Ahriman, daß wir nicht weiser werden.
== Anmerkungen ==
Die Kraft haben wir. Wir haben viel, viel mehr in den früheren Inkarnationen
erworben, als wir glauben, viel mehr erworben in den
Zeiten, in denen wir durch die alten Hellseherzustände durchgegangen
sind. Ein jeder könnte viel weiser werden, als er wird. Es darf sich
niemand damit ausreden, daß er nicht viel herüberbringen konnte.
Weisewerden heißt, das, was man in früheren Inkarnationen erworben
hat, herausbringen, so daß es uns erfüllt in dieser Inkarnation." {{Lit|{{G|159|17f}}}}
</div>


Weisheit kann, ähnlich wie die [[Schönheit]] des [[Physischer Leib|physischen Leibes]], eine [[Karma|karmische]] Folge von [[Schmerz]]en und [[physisch]]en und [[seelisch]]en [[Leid]]en in einem früheren Erdenleben sein.
<references />


<div style="margin-left:20px">
==Literatur==
"Es ist nicht uninteressant,
daß heute durch eine äußere Forschung in mannigfaltiger
Weise bestätigt wird, was die Okkultisten seit Jahrtausenden gesagt
haben: Daß die Weisheit mit Schmerzen und Leiden, mit einem entsagungsreichen,
ernsten Leben im vorhergehenden Dasein zusammenhängt.
Es lohnt sich gelegentlich durchaus, die äußere wissenschaftliche
Forschung zu befragen. Da ist in letzter Zeit ein Buch
über die Mimik des Denkens erschienen. Das Buch soll zeigen, wie
sich in der Physiognomie des Menschen die Art und Weise malt, wie
sein Denken gestimmt ist. Der Verfasser, der, wie man klar sieht,
nicht viel vom Okkultismus weiß, hat doch durch äußerliche Beobachtung
herausgefunden, daß man in der Physiognomie des Denkers
einen Abdruck durchgemachter Schmerzen erkennen kann. Die
gegenwärtige Wissenschaft ist im Begriff, Stück für Stück die uralte
okkulte Weisheit zu bestätigen." {{Lit|{{G|096|114}}}}
</div>


==Literatur==
# Brunetto Latini, Dora Baker (Übers.): ''Tesoretto. Die Geschichte einer Einweihung an der Schwelle der Neuzeit'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1979 ISBN 978-3772507069
#Rudolf Steiner: ''Die Welträtsel und die Anthroposophie'', [[GA 54]] (1983), ISBN 3-7274-0540-6 {{Vorträge|054}}
#Rudolf Steiner: ''Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung'', [[GA 161]] (1980), Dornach, 30. Januar 1915 {{Vorträge|161}}
#Rudolf Steiner: ''Die Tempellegende und die Goldene Legende '', [[GA 93]] (1991), ISBN 3-7274-0930-4 {{Vorträge|093}}
#Rudolf Steiner: ''Wie kann die Menschheit den Christus wiederfinden? Das dreifache Schattendasein unserer Zeit und das neue Christus-Licht'', [[GA 187]], Dornach, 29. Dezember 1918 {{Vorträge|187}}
#Rudolf Steiner: ''Grundelemente der Esoterik'', [[GA 93a]] (1987), ISBN 3-7274-0935-5 {{Vorträge|093a}}
#Rudolf Steiner: ''Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Sechster Band'', [[GA 240]] (1992), ISBN 3-7274-2401-X {{Vorträge|240}}
#Rudolf Steiner: ''Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft'', [[GA 96]] (1989), ISBN 3-7274-0961-4 {{Vorträge|096}}
#Rudolf Steiner: ''Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen'', [[GA 102]] (2001), ISBN 3-7274-1020-5 {{Vorträge|102}}
#Rudolf Steiner: ''Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister'', [[GA 159]] [GA 159/160] (1980), ISBN 3-7274-1590-8 {{Vorträge|159}}
#Rudolf Steiner: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte'', [[GA 170]] (1992)
#Rudolf Steiner: ''Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band II: 1910 – 1912'', [[GA 266b]] (1996), ISBN 3-7274-2662-4 {{Schule|266b}}


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== Weblinks ==
 
* {{DNB-Portal|118516108}}
* {{Google Buch|BuchID=_drXNr_wEw0C|Linktext=Brunetto Latini: ''Il Tesoretto - The Little Treasure'' (italienisch/englisch)}}
* [http://www.perseus.ch/PDF-Dateien/carus2.pdf Carl Gustav Carus und Brunetto Latini, der Lehrer Dantes] - Hinweise auf eine spätere Inkarnation Brunetto Latinis als Carl Gustav Carus.
 
[[Kategorie:Eingeweihter]]

Version vom 22. März 2017, 14:47 Uhr

Das älteste Porträt Dante Alighieris; links sein Lehrer Brunetto Latini: Detail aus dem Fresko des Paradieses ( 14.Jhdt. ) von Giotto di Bondone (Museo del Bargello. Maria-Magdalena-Kapelle, Florenz)

Brunetto Latini (* um 1220 Florenz; † 1294) war ein italienischer Staatsmann, Schriftsteller, Gelehrter und Lehrer und väterlicher Freund des jungen Dante Alighieri (1265-1321).

Leben

Brunetto wurde um 1220 in Florenz geboren. 1260 war er als Gesandter in Spanien bei König Alfons von Kastilien. Auf dem Rückweg in seine Heimatstadt Florenz erhielt er die Nachricht, dass die Partei der Guelfen, der er selbst angehörte, gestürzt worden sei und dass die Ghibellinen mit brutaler Gewalt gegen sie vorgingen. Diese Nachricht traf ihn wie ein Schock, dazu kam noch ein leichter Sonnenstich, der seinen Ätherleib lockerte und ihm den geistigen Blick öffnete. Brunetto konnte in seinem Initiations-Erlebnis einen Nachklang der Schule von Chartres auffangen (Lit.:GA 240, S. 302f). Äußerlich war die Schule von Chartres verklungen, aber die Äthersphäre war durchdrungen von ihrem Geist. Es war gerade die kurze Zeit der völligen geistigen Finsternis, die sich um 1250 über die Menschheit für wenige Jahre gebreitet hatte, abgelaufen.

Nach dem Sieg der Ghibellinen wurde Brunetto Latini verbannt und ging ins Exil nach Paris. Hier schrieb er in französischer Sprache sein Livre du Trésor ("Buch vom Schatz"), eine das Wissen seiner Zeit umspannende Enzyklopädie, und fast gleichzeitig auf Italienisch den Tesoretto. Er trug damit wesentlich zur Entwicklung der italienischen Volkssprache bei. Der italienische Geschichtsschreiber Giovanni Villani (1276-1348) bezeichnete ihn deshalb als den "Beginner und Meister in der Entwicklung der toskanischen Sprache".

Nach der Wiedereinsetzung der Guelfen, die 1266 in der Schlacht bei Benevent die Ghibellinen bezwangen, konnte Brunetto 1267 nach Florenz zurückkehren, bekleidete hier fortan wichtige Ämter und wurde 1287 zum Sekretär der Republik ernannt. In diese Zeit fällt auch die Erziehung des jungen Dante, der ihm durch Familienbeziehungen nahestand. Dante gedenkt seines verehrten Lehrers in der Göttlichen Komödie im 15. Gesang des Inferno:

82 Das theure, gute Vater-Angesicht,
Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht
85 Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,
Und wie mir dies noch theuer ist und werth,
Soll kund, so lang’ ich bin, die Zunge geben.
88 Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,
Bewahr’ ich wohl. –
                               (Inferno 15,82-88)

Warum Dante seinen geschätzten Lehrmeister in den siebenten Höllenkreis versetzt, wo die Gewalttäter wider die Natur, die Sodomisten, fürchterliche Qualen leiden, bleibt allerdings unklar. Über etwaige sexuelle Verfehlungen - nach dem Maßstab der spätmittelalterlichen kirchlichen Morallehre - ist nichts bekannt. Vielleicht ist die Ursache auch „nur“ in Dante anstößig erscheinenden Passagen in Brunettos Schriften zu suchen. Oder er sah die „Unzucht“ darin, dass sich Brunetto für sein Livre du Trésor des Französischen bedient hatte und damit der italienischen Volkssprache untreu geworden war - für Dante durchaus schwerwiegende Gründe.

Brunetto starb 1294.

Nach einem Hinweis Rudolf Steiners soll Dante im karmischen Zusammenhang mit König Johann von Sachsen (1801-1873) stehen, der in Dresden, dem Elbflorenz, ab 1854 regierte und unter dem Pseudonym Philalethes Dantes «Göttliche Komödie» ins Deutsche übersetzte. Vermutet wird auch der karmische Bezug von dessen Leibarzt Carl Gustav Carus (1789-1869) zu Brunetto Latini[1].

Il Tesoretto

Dante und Vergil sprechen mit Brunetto Latini in der Hölle. Aus einem illustrierten Kommentar zur «Göttlichen Komödie», zirka 1345

Brunetto Latini hat seine Schau in der Dichtung Il Tesoretto ("der kleine Schatz") festgehalten: Von Schmerzen gebeugt ob der erhaltenen Schreckensbotschaft verliert er wie in Trance den Weg und findet sich endlich in einem abgelegnen, wilden Wald wieder. Als er sich endlich wieder besinnen kann, sieht er sich vor einen Berg gestellt und beobachtet große Scharen seltsamer Tiere, Menschen, Gräser, Blumen, Bäume, Steine und Perlen. Alles ist in ständiger Verwandlung, entsteht und vergeht wieder – und zwar so, wie es ein daneben stehendes weibliches Wesen gebietet, das Brunetto einmal wie verkörpert in wunderschöner Gestalt erscheint, dann wieder riesenhaft und gestaltlos - Natura. Jetzt lacht ihr Gesicht, dann ist es von Schmerzen verzerrt.

„Nun schildert Brunetto Latini, wie die Schöpfung sich um den Berg ausbreitet, wie ihm auf dem Berg eine riesige Frauengestalt erscheint, auf deren Worte hin, auf deren Wortangaben hin sich diese Schöpfung, die um den Berg ist, wandelt und ändert, andere Formen annimmt. Und so wie Brunetto Latini spricht, so erkennt man: er spricht so über diese Frauengestalt, wie in den alten Einweihungsmysterien gesprochen worden ist über Proserpina. Nur hat die Vorstellung über die Proserpina eben die Wandlung durchgemacht von der alten Griechenzeit bis zum Ausgang der griechisch-lateinischen Zeit. Nicht so wie die alten griechischen Dichter die Proserpina schildern, schildert Brunetto Latini sie; er schildert sie eben so, wie sie in den menschlichen Seelen lebte im Ausgang des griechisch-lateinischen Zeitalters. Und dennoch: Das, was der alte Ägypter anhörte, wenn ihm die Beschreibung der Isis, und was der Grieche anhörte, wenn ihm die Beschreibung der Proserpina nahetrat durch die Einweihung, man kann es vergleichen mit dem, was Brunetto Latini erzählt von dieser Frauengestalt, auf deren Geheiß und Worte hin sich die Gestalten der Schöpfung wandeln.“ (Lit.:GA 187, S. 121f)

Und ich in solcher Trauer
mit geneigtem Haupte nachdenkend,
verlor den großen Weg
und gelangte quer
durch einen seltsamen Wald. (190)

Aber zurückkehrend zur Besinnung
wandte ich mich und heftete meinen Sinn
ringsherum auf das Gebirge
und sah eine grosse Menge
von verschiedenen Tieren; (195)
welche, kann ich nicht gut sagen,
aber Männchen und Weibchen,
wilde Tiere, Schlangen und Raubtiere
und Fische in grossen Scharen
und alle Arten (200)
fliegender Vögel
und Gräser und Früchte und Blumen
und Steine und Sternblumen,
die sehr wohltuend sind,
und so viel andere Dinge, (205)
dass kein sprechender Mensch
sie nennen,
noch einteilen kann.
Aber so viel kann ich davon sagen,
dass ich sie gehorchen sah, (210)
enden und beginnen,
sterben und erzeugen
und ihre Natur annehmen
nach dem Befehl einer Gestalt,
die ich sah. (215)
Und sie schien mir,
als wenn sie verkörpert wäre,
manchmal ungeformt,
manchmal den Himmel berührend,
der ihr Schleier zu sein schien; (220)
und bisweilen verwandelte sie ihn
und bisweilen bewegte sie ihn.
Auf ihr Geheiß
bewegte sich das Firmament.
Und bisweilen breitete sie sich aus, (225)
dass die ganze Welt in ihren Armen schien.
Einmal lachte das Gesicht,
dann wieder war es von Gram und Schmerz durchzogen,
schliesslich nahm es seinen früheren Ausdruck an. (230)

[...]

Aber dann, als sie mich sah
lachte ihr Angesicht,
Zu mir wandte sie sich (285)
sehr gütig und sagte:
Ich bin die Natur
und bin ein Werk (290)
des höchsten Schöpfers,
er ist mein Schöpfer,
durch ihn wurde ich geschaffen
und begonnen,
aber seine grosse Macht (295)
war ohne Anfang:
sie endigt weder , noch stirbt sie.
Aber meine ganze Arbeit ist,
dass, sobald ich sie entzünde,
sie sich verzehren muss. (300)
Er ist allmächtig,
aber ich bin nichts,
wenn er es nicht gewährt.
Er sorgt vor für alles
und ist an jedem Ort (305)
und weiss das, was vergangen
und die Zukunft und die Gegenwart,
aber ich bin nicht wissend,
außer um das, was er will,
Zeige mir, wie du es zu tun pflegst, (310)
das, was du willst, das ich machen möge,
und das, was ich zerstören möge.
Durch ihn bin ich seine Arbeiterin,
deshalb befiehlt er mir;
so auf Erden und in der Luft (315)
hat er mich zu seinem Stellvertreter gemacht.
Er ordnet die Welt
und ich nach seinem Befehl
leite es nach seinem Geist. (320)

Brunetto Latini: Il Tesoretto 186 - 320

Brunetto Latini erneuert so das, was der Ägypter mit der Isis verband und der Grieche schilderte im Proserpina-Persephone-Mythos, die ihrer Mutter Demeter das Gewand webt. Der Unterschied besteht darin, dass man in alten Zeiten das Augenmerk vor allem auf das Ruhende, auf das in allem Wechsel Bleibende legte, während Brunetto gerade auf das sich Wandelnde schaut. Es sind aber immer die Seelenkräfte gemeint, die als Begleiter des Nus, des Weltengeistes, schaffend die Welt durchweben. Natura ist eine Schwester der Urania, des Sternenhimmels. So wie Urania die kosmische Beraterin des Nus ist, so wird Nus in den irdischen Bereichen von Natura beraten.

Der Initiationsweg des Brunetto Latini

„Dasjenige, was man später abstrakt die Naturgesetzlichkeit nannte, wovon man sich später durchaus nicht hat vorstellen wollen, daß etwas Wesenhaftes dahinter ist, das sah Brunetto Latini in Form der Imagination von einer Frau, aus deren Geiste, wie in einem diese von ihm auch imaginierte Natur beherrschenden Worte, dasjenige hervorging, was später in abstrakter Form als Naturgesetzmäßigkeit empfunden wurde. Diese Frau sagte ihm dann - so erzählt er -, er solle seine Seelenkräfte vertiefen, dann werde er immer tiefer in sich hineinkommen. - Und nun ist es interessant, wie sie, gleichsam ihre Kraft über ihn ausstrahlend, ihm die Möglichkeit gibt, immer tiefer in sich hineinzukommen. Es ist das Untertauchen in die eigene Wesenheit. Und die Reihenfolge, die er angibt, ist wirklich für gewisse Verhältnisse die richtige Reihenfolge der Initiation.“ (Lit.:GA 161, S. 52)

Es sollen nun die einzelnen Stufen des Initiationsweges des Brunetto Latini genauer beschrieben werden.

Indem Natura ihre Kräfte über Brunetto ausgießt, durchlebt er die einzelnen Stufen seiner Initiation. Er steigt erlebend in sein Inneres hinein und lernt zunächst seine Seelenkräfte zu schauen als Imagination wilder Tiere. Brunetto schaut also den Astralleib bzw. zuerst die in den Astralleib eingebetteten Seelenglieder: Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewusstseinsseele, die durch die noch unbewusste Arbeit des Ich an den Leibeshüllen gebildet werden. Indem das Ich den Astralleib umwandelt, entsteht zunächst die Empfindungsseele, durch Umwandlung des Ätherleibes bildet sich die Verstandesseele und die Bewusstseinsseele kommt dadurch zustande, das das Ich bis in den physischen Körper hinein arbeitet. Namentlich arbeitet der Intellekt beständig in das physische Gehirn hinein und bildet dort geordnete Strukturen. Früh erworbene starre Denkmuster sind sehr tief eingegraben und es bedarf hoher Willensanstrengung, um sie wieder aufzulösen. Das Denken muss beweglich werden, Denkmuster müssen kristallklar ausgebildet, aber auch immer wieder überwunden werden. Durch diese intensive Arbeitet am physischen Gehirn wird das Bewusstsein gesteigert. Zur Wahrnehmung der geistigen Außenwelt in Gedankenform (platonische Ideenschau) kommt es aber erst, wenn das Denken rein im Ätherischen abläuft und der Ätherleib gleichsam mit seinen ätherischen Fangarmen die äußere Ätherwelt abtastet. Trotzdem müssen diese Erlebnisse hereingeholt und anschließend mit dem physischen Verstand gefasst werden. Nur dadurch, eben durch diese Arbeit am physischen Leib, wird die Bewusstseinsseele immer stärker ausgebildet und zwar jetzt so, dass wir auch Gedanken bewusst erfassen können, die sich auf rein Geistiges beziehen.

Brunetto steigt also erlebend in sein Inneres hinein und lernt zuerst seine Seelenkräfte zu schauen (Astralleib, Tier-Imaginationen) und dann die 4 Temperamente (Ätherleib), um anschließend durch die Tore der 5 Sinne (physischer Leib) in die geistige Außenwelt vorzustoßen. Zunächst in die Welt der 4 Elemente, dann durch die 7 Planetensphären zum Tierkreis, um schließlich, den 4 Paradiesesströmen folgend, den Ozean, den Okeanos, zu durchschreiten, d.h. jene übersinnliche Sphäre, die überhaupt kein sinnlich-äußeres Korrelat mehr hat, die jenseits der Fixsternsphäre liegt, dorthin, wo man sonst nur unbewusst im tiefen Schlaf ist (vgl. Faust II: finstere Galerie). Es ist das Reich der gestaltlosen Urbilder, der höchsten platonischen Ideen – das obere Devachan in anthroposophischer Ausdrucksweise. Dieses Hinausgehen in den Okeanos hat man früher bezeichnet als das Durchschreiten durch die "Säulen des Herakles" (im Hebräischen als Jakim- und Boas-Säule beschrieben):

  • Seelenkräfte
  • vier Temperamente
  • fünf Sinne
  • vier Elemente
  • sieben Planeten
  • Okeanos

Alle diese Initiations-Schritte unternimmt Brunetto auf Geheiß der Frau, die ihm in der Imagination erscheint. Und dann, und das ist besonders wichtig und typisch, nachdem er den geistigen Ozean durchschwommen hat, erwacht er wieder in der physischen Welt! Er findet sich wieder in seinem Wald. Doch gleich steht Natura wieder neben ihm und ermahnt in, nach rechts weiterzureiten. Dann werde er die großen Lehre in ganz neuem Licht schauen: die Philosophie, die 4 (platonischen) Tugenden (also Weisheit, Mut, Mäßigkeit und Gerechtigkeit) und endlich den Gott der Liebe. Entscheidend ist also, dass Brunetto jetzt seine geistige Erkenntnis in das wache Tagesbewusstsein mitnehmen kann.

Brunetto erlebt das nun so: er kommt zunächst in eine Wüste. Hier sind keine Menschen, keine Tiere, keine Pflanzen, kein Fluß und kein Bach. Schließlich schaut er Kaiser, Könige, Gelehrte, über allen aber die Kaiserin, Tugend genannt, mit ihren vier Königstöchtern. Bald erscheint sie ihm als ein einziges Wesen, dann wieder als vier Wesen. Brunetto kommt dann weiter in das Reich des Glücks und der Liebe. Von einem Pfeil des Liebesgottes getroffen, wünscht Brunetto zu entfliehen und wird von Ovid (Metamorphosen!) von diesem Ort befreit.

Der Tesoretto nimmt dann noch einen weiteren Fortgang, wo Brunetto schildert, wie er im Kloster zu Montpellier, wo auch Alanus ab Insulis gewirkt hatte, den Mönchen seine Sünden beichtet. Endlich schildert Brunetto, wie er eine weitere Reise unternimmt, um die 7 freien Künste zu schauen. An einem Festtag reitet er wieder in den Wald, erschaut dort den Berg Olymp, die vier Elemente und schließlich begegnet er Ptolemäus, redet ihn an ... und damit bricht unvollendet das Werk ab.

Bedeutsam ist Brunettos Werk als allerletztes Beispiel dafür, wie man im Mittelalter noch aus dem inneren Erleben zu einem geistigen Schauen der Natur durchbrechen konnte. Dann kam das Zeitalter der äußeren Naturwissenschaft. Und das hat auch Konsequenzen für den Initiations-Weg. Um heute einen ähnlichen Weg wie Brunetto gehen zu können, bedarf es einer weiteren Vorbereitung. Würden wir so wie er durch die Tore der Sinne in die geistige Außenwelt hinaustreten, würde sich eine ziemliche geistige Finsternis ausbreiten. Damit das nicht geschieht, bedarf es folgender Einschiebung auf dem Initiationsweg: man muss sich darin üben, Geistig-Ideelles als äußere Wirklichkeit in der Metamorphose der Gestaltungen der Welt zu schauen – also das, was Goethe mit seiner Metamorphosenlehre angestrebt hat.

Eine weitere Einschiebung auf dem Schulungsweg ist heute notwendig, bevor man die «Säulen des Herakles» durchschreitet. Man muss einen festen inneren Schwerpunkt, eine ungeheure Vertiefung seines eigenen Wesens erfahren, etwas was einem dann die Orientierung geben, die Richtung weisen kann in dem ungeheuren geistigen Ozean. Und es muss dabei die ganz starke Empfindung entstehen, das es äußere Dinge geben kann, die einem subjektiv gar nichts angehen, die man aber doch so intensiv und begeistert miterlebt, als würden sie einem selbst zutieftst betreffen. So erwirbt man sich ein Werkzeug der Orientierung, einen Kompass für die geistige Welt. Es geht also um die Stärkung der Ich-Kraft und der damit verbundenen Liebes-Kraft. Dann kann sich das Wort von Goethes Faust erfüllen: "In deinem Nichts hoff’ ich das All zu finden!" Damit stellt sich der moderne Initiationsweg insgesamt so dar:

  • Seelenkräfte
  • vier Temperamente
  • Metamorphosen des Lebens
  • fünf Sinne
  • vier Elemente
  • sieben Planeten
  • Werkzeug der Orientierung (Kompass) Ich
  • Okeanos

Berühmt wurde Brunetto allerdings nicht des Tesorettos wegen, sondern wegen des "großen Schatzes", des «Trésor», einem enzyklopädischen Werk, das die gesamte damalige Welterkenntnis zu umfassen strebte, und das Brunetto später in Frankreich in französischer Sprache verfasst hat. In späteren Jahren bekleidete Brunetto wieder öffentliche Ämter in Florenz und wurde hier der Freund und Lehrer des Dante. Der Einfluß auf Dantes "Göttliche Komödie" ist unübersehbar.

Werke (Auswahl)

  • Il Tesoretto e il Favolello, hersg. von B. von Wiese, in: Zeitschrift für romanische Philologie 7, S. 236 ss.
  • Li livres dou Trésor, herausgegeben von Polycarpe Chabaille, Paris 1863.

Anmerkungen

  1. vgl. dazu: Ekkehard Meffert: Carl Gustav Carus und Brunetto Latini, der Lehrer Dantes, Der Europäer Jg. 4 / Nr. 1 / November 1999

Literatur

  1. Brunetto Latini, Dora Baker (Übers.): Tesoretto. Die Geschichte einer Einweihung an der Schwelle der Neuzeit, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1979 ISBN 978-3772507069
  2. Rudolf Steiner: Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung, GA 161 (1980), Dornach, 30. Januar 1915 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Wie kann die Menschheit den Christus wiederfinden? Das dreifache Schattendasein unserer Zeit und das neue Christus-Licht, GA 187, Dornach, 29. Dezember 1918 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Sechster Band, GA 240 (1992), ISBN 3-7274-2401-X pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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