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'''Johannes Scottus Eriugena''' (auch '''Johannes Scotus Eriugena''' oder '''Johannes Scotus Erigena'''; * im frühen 9. Jahrhundert; † im späten 9. Jahrhundert) war ein [[Wikipedia:Westfrankenreich|westfränkischer]] Mönch [[Wikipedia:Irland|irischer]] Herkunft, der am Hof [[Wikipedia:Karl der Kahle|Karls des Kahlen]] (823-877) als Lehrer der [[Sieben Freie Künste|Sieben Freien Künste]] wirkte und zahlreiche [[Philosophie|philosophische]] und [[Theologie|theologische]] Werke verfasste. Seinem Unterricht legte er, wie damals üblich, das enzyklopädische Werk ''De nuptiis Philologiae et Mercurii'' (''„Die Hochzeit der Philologie mit Mercurius“'') des [[Martianus Capella]] zugrunde, das er auch ausführlich kommentierte. Durch seine logisch saubere Gedankenführung in der theologischen Argumentation bereitete Scotus Eriugena bereits die [[Scholastik|scholastische]] Denkweise vor. Aufgrund seiner guten, wenn auch nicht hervorragenden [[Wikipedia:Altgriechische Sprache|Griechischkenntnisse]], die damals nur sehr selten anzutreffen waren<ref>Wo und wie sich Eriugena diese Griechischkenntnisse angeeignet hat, bleibt unklar. In den Klöstern seiner irischen Heimat besaß man zwar elementare Kenntnisse der [[Wikipedia:Altgriechische Sprache|griechischen Sprache]], aber beweitem nicht auf dem Niveau Eriugenas. In seinem Denken zeigt er eine große Sympathie für die deutlich spirituellere griechische Ostkirche, die damals zwar noch nicht offiziell von der Westkirche geschieden, aber schon durch eine große geistige Kluft von ihr getrennt war. So wurde auf dem [[Viertes Konzil von Konstantinopel]] ([[869]]) die Lehre [[Wikipedia:Photios I.|Photios I.]] verworfen und die [[Trichotomie]], die Dreigliederung des Menschen in [[Leib]], [[Seele]] und [[Geist]] als [[häretisch]] verurteilt - und damit der Geist des Menschen „abgeschafft“, wie es [[Rudolf Steiner]] oftmals ausdrückte. Ob es aber zu Kontakten Eriugenas mit Gelehrten der Ostkirche kam und Eruigena auch Reisen nach [[Wikipedia:Byzanz|Byzanz]] oder Griechenland unternahm, liegt im Dunklen.</ref>, konnte er viele Werke der griechischen Philosophen und [[Wikipedia:Kirchenvater|Kirchenväter]] ins [[Latein]]ische übertragen und kommentieren und dadurch zugänglich machen und trug so vor allem zur Verbreitung des [[Neuplatonismus|neuplatonischen]] Gedankenguts bei. Besonders bedeutsam war seine Übersetzung der aus tiefer [[Esoterik]] geschöpften Werke des [[Dionysius Areopagita]], die die [[christlich]]e [[Engellehre]] entscheidend prägten. Eriugenas Hauptwerk, das in fünf Bücher gegliederte ''Periphyseon'' (''[http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Johannes_Scotus_Erigena/Johannes_Scotus_Erigena_Ueber_die_Einteilung_der_Natur.pdf#view=Fit Über die Einteilung der Natur]''), gibt reichen Aufschluss über sein Denken. In der [[Schule von Chartres]] wurden die Werke von Johannes Scottus Eriugena hoch geschätzt, aber wegen ihrer kühnen Gedankenführung später mehrfach verurteilt und viele Exemplare seiner Schriften verbrannt.
 
== Leben und Werk ==
 
Über das Leben des Eriugena - ein Beiname, den er sich möglicherweise selbst gegeben hat - ist wenig bekannt. Wegen seiner kühnen Thesen wurde er vielfach heftig angefeindet. Der Legende nach, deren historische Grundlage allerdings nicht fassbar ist und daher zweifelhaft bleibt, wurde später Scotus Erigena nach England berufen oder musste dorthin fliehen, wo er von seinen eigenen Schülern, möglicherweise auf Geheiß des Papstes, mit deren Schreibfedern(!) ermordert worden sein soll<ref>Was vielleicht auch nur metaphorisch im Sinne einer Widerlegung seiner Schriften zu verstehen ist.</ref>. Sein Werk blieb wie durch ein Wunder großteils erhalten.
 
{{GZ|Man könnte sagen, wie durch eine Art historischen Wunders ist ja
eigentlich die Nachwelt dazu gekommen, die Schriften des Johannes
Scotus Erigena zu kennen. Sie erhielten sich, im Gegensatz zu anderen
Schriften aus den ersten Jahrhunderten, die ähnlich waren und
die ganz verlorengegangen sind, bis ins IL, 12. Jahrhundert, einige
wenige noch bis ins 13. Sie waren ja in dieser Zeit vom Papste als
ketzerisch erklärt worden, es war der Befehl gegeben worden, daß
alle Exemplare aufgesucht und verbrannt werden müßten. Nur viel
später in einem verlorenen Kloster hat man Handschriften aus dem
11. und 13. Jahrhundert wieder gefunden. Im 14., 15., 16., 17.
Jahrhundert wußte man ja von Johannes Scotus Erigena nichts. Die
Schriften waren verbrannt worden wie ähnliche Schriften, welche
Ähnliches enthielten aus derselben Zeit, und bei denen man eben
vom Standpunkte Roms aus glücklicher war: man hatte alle anderen
Exemplare dem Feuer übergeben können! Von Scotus Erigena blieben
eben einzelne zurück.|204|260}}
 
{{GZ|Diejenigen, die mehr oder weniger, wenn auch mit Scharfsinn
und Geistreichigkeit, dem Rationalismus zugeneigt
sind, die werden schon schimpfen, wenn sie das zu Gesicht,
zum geistigen Gesichte bekommen, was etwa da ausströmte
von dem Areopagiten, und was dann eine letzte bedeutende
Offenbarung fand in diesem Erigena. Er war in den letzten
Lebensjahren noch Benediktinerprior. Aber seine eigenen
Mönche haben ihn, wie die Sage sagt - die Sage; ich sage ja
nicht, daß das wörtlich wahr ist, aber wenn es nicht ganz
wahr ist, so ist es annähernd wahr -, die haben ihn so lange
mit Stecknadeln bearbeitet, bis er tot war, weil er noch den
Plotinismus hereinbrachte in das neunte Jahrhundert. Aber
über ihn hinaus lebten seine Ideen, die zugleich die weitere
Fortbildung der Ideen des Areopagiten waren. Seine Schriften
sind mehr oder weniger bis in späte Zeiten hinein verschwunden
gewesen; sie sind dann ja doch auf die Nachwelt
gekommen. Im 12. Jahrhundert ist Scotus Erigena als Ketzer
erklärt worden. Aber das hat ja noch nicht eine solche
Bedeutung gehabt wie später und wie heute. Trotzdem sind
Albertus Magnus und Thomas von Aquino tief beeinflußt
auch von den Ideen des Scotus Erigena.|74|51}}
 
{{GZ|Die Lehren
des Dionysius des Areopagyten hat Scotus in seinem Werke
über die «Einteilung der Natur» weiter gebildet. Das war
eine Lehre, die von dem über alles Sinnlich-Vergängliche
erhabenen Gott ausgeht und von diesem die Welt ableitet
(vgl. S. 154 f.). Der Mensch ist eingeschlossen in die Verwandlung
aller Wesen zu diesem Gotte hin, der am Ende
das erreicht, was er, vom Anfange an, war. In die durch
den Weltprozeß hindurchgegangene und zuletzt vollendete
Gottheit fällt alles wieder zurück. Aber der Mensch muß,
um dahin zu gelangen, den Weg zu dem Fleisch gewordenen
Logos finden. Dieser Gedanke führt bei Erigena schon zu
dem andern: Was in den Schriften enthalten ist, die über
diesen Logos berichten, das führt als Glaubensinhalt zum
Heil. Vernunft und Schriftautorität, ''[[Glaube]]'' und ''[[Erkenntnis]]''
stehen nebeneinander. Eines widerspricht nicht dem andern;
aber der Glaube muß bringen, wozu das Erkennen
sich nie bloß durch sich selbst erheben kann.
 
Was im Sinne der Mysterien der Menge vorenthalten
werden sollte, die ''Erkenntnis'' des Ewigen, das war für diese
Vorstellungsart durch die christliche Gesinnung zum ''Glaubensinhalte''
geworden, der, ''seiner Natur'' nach, sich auf etwas
dem bloßen Erkennen Unerreichbares bezog. Der vorchristliche Myste war der Überzeugung: ihm sei die Erkenntnis
des Göttlichen und dem Volke der bildliche Glaube. Das
Christentum wurde der Überzeugung: Gott hat durch seine
Offenbarung die Weisheit dem Menschen geoffenbart; diesem
kommt durch seine Erkenntnis ein Abbild der göttlichen
Offenbarung zu. Die Mysterienweisheit ist eine Treibhauspflanze,
die Einzelnen, Reifen, geoffenbart wird; die
christliche Weisheit ist ein Mysterium, das als Erkenntnis
''Keinem'', als Glaubensinhalt ''Allen'' geoffenbart wird. Im
Christentum lebte der Mysterien-Gesichtspunkt fort. Aber
er lebte fort in veränderter Form. Nicht der besondere
Einzelne, sondern Alle sollten der Wahrheit teilhaftig werden.
Aber es sollte so geschehen, daß man von einem gewissen
Punkte der Erkenntnis deren Unfähigkeit erkannte,
weiter zu gehen, und von da aus zum Glauben aufstieg.
Das Christentum holte den Inhalt der Mysterien-Entwicklung
aus der Tempeldunkelheit in das helle Tageslicht hervor.
Die Eine gekennzeichnete Geistesrichtung innerhalb
des Christentums führte zu der Vorstellung, daß dieser
Inhalt in der Form des ''Glaubens'' verbleiben müsse.|8|172f}}
 
{{GZ|In den ersten Jahrhunderten
der Entwicklung des Christentums, zur Zeit der Kirchenväter,
sehen wir den Lehrinhalt der Theologie Stück
für Stück durch Aufnahme innerer Erlebnisse entstehen.
Bei ''Johannes Scotus Erigena'', der im neunten Jahrhunderte auf
der Höhe der christlichen theologischen Bildung stand,
finden wir diesen Lehrinhalt noch ganz wie ein inneres Erlebnis
behandelt. Bei den Scholastikern der folgenden Jahrhunderte
verliert sich vollkommen dieser Charakter eines
inneren Erlebnisses; der alte Lehrgehalt wird zum Inhalte
einer äußeren, übernatürlichen Offenbarung umgedeutet. —
Man kann deshalb die Tätigkeit der mystischen Theologen
Eckhart, Tauler, Suso und ihrer Genossen auch so auffassen,
daß man sagt: sie wurden durch den Lehrgehalt der
Kirche, der in der Theologie enthalten, aber umgedeutet
war, angeregt, einen ähnlichen Gehalt als inneres Erlebnis
aus sich selbst wieder aufs neue zu gebären.|7|84f}}
 
== Periphyseon - Über die Einteilung der Natur ==
 
{{GZ|Man läßt sich heute nicht gern darauf ein,
etwa so etwas zu würdigen, wie das Werk über die Einteilung der
Natur von ''Johannes Scotus Erigena'' im 9. Jahrhundert. Man läßt sich
nicht darauf ein, weil man solch ein Werk nicht als ein historisches
Denkmal nimmt aus einer Zeit, in der eben ganz anders gedacht wurde
als heute, in der so gedacht wurde, wie man es gar nicht mehr versteht,
wenn man solch ein Werk heute liest. Und wenn gewöhnliche
Philosophen in ihrer Geschichtsschreibung solche Dinge darstellen, so
hat man es eigentlich nur mit Worten zu tun. Ein Eingehen auf den
eigentlichen Geist eines solchen Werkes, wie das von Johannes Scotus
Erigena über die Einteilung der Natur, wobei Natur etwas ganz anderes
bedeutet als das Wort Natur in der späteren Naturwissenschaft, ein
Eingehen auf diesen Geist ist eigentlich nicht mehr da. Kann man bei
geisteswissenschaftlicher Vertiefung doch darauf eingehen, so muß man
sich merkwürdigerweise folgendes sagen: Dieser Scotus Erigena hat
Ideen entwickelt, die auf einen den Eindruck machen, daß sie außerordentlich
tief hineingehen in das Wesen der Welt, aber er hat diese
Ideen ganz zweifellos in einer nicht zulänglichen, nicht eindringlichen
Form in seinem Werke dargestellt. Wenn man sich nicht der Gefahr
aussetzen würde, gegenüber einem immerhin überragenden Werke der
Menschheitsentwickelung respektlos zu sprechen, so würde man im
Grunde eigentlich sagen müssen, daß schon Johannes Scotus Erigena
selbst nicht mehr völlig gewußt hat, was er schreibt. Man sieht das
seiner Darstellung an. Für ihn selber waren, wenn auch nicht in dem
Grade, wie es für die heutigen Geschichtsschreiber der Philosophie der
Fall ist, doch schon die Worte, die er aus der Tradition entnommen hat,
mehr oder weniger nur Worte, deren tiefen Inhalt er selber nicht mehr
einsah. Man ist eigentlich immer mehr genötigt, wenn man diese Dinge
liest, in der Geschichte zurückzugehen. Und von Scotus Erigena wird
man ja, das ist leicht ersichtlich aus seinen Schriften, unmittelbar geführt
auf die Schriften des sogenannten Pseudo-Dionysius des Areopagiten.
Ich will jetzt auf dieses Entwickelungsproblem nicht eingehen,
wann der gelebt hat und so weiter. Und von diesem ''[[Dionysius Areopagita|Dionysius dem Areopagiten]]'' wird man wiederum weiter zurückgeführt. Da muß man
dann schon wirklich ausgerüstet mit Geisteswissenschaft weiterforschen, und man kommt endlich etwa, wenn man in das 2., 3. Jahrtausend
vorchristlicher Zeit zurückgeht, zu tiefen Einsichten, die eben
der Menschheit verlorengegangen sind, die eben nur in einem schwachen
Nachklange vorhanden sind in solchen Schriften wie denen von
Johannes Scotus Erigena.|326|116f}}
 
{{GGZ|Es ist außerordentlich wichtig, einmal genau hinzusehen, wie die
Gliederung der Erkenntnis bei Johannes Scotus Erigena war. Er
unterscheidet in seiner großen Schrift über die Gliederung der
Natur, die eben auf die geschilderte Weise auf die Nachwelt gekommen
ist, in vier Kapiteln dasjenige, was er über die Welt zu sagen
hat, und er spricht zuerst im ersten Kapitel von der nichtgeschaffenen
und schaffenden Welt (siehe Darstellung S. 262). Das ist das
erste Kapitel, das schildert in der Art, wie Johannes Scotus Erigena
dies glaubt tun zu können, gewissermaßen Gott, wie er war, bevor er
herangetreten ist an irgend etwas, das Weltschöpfung ist. Johannes
Scotus Erigena schildert da durchaus so, wie er es, ich möchte sagen,
gelernt hat durch die Schriften des Dionysius, und er schildert, indem
er höchste Verstandesbegriffe ausbildet, aber zu gleicher Zeit
sich bewußt ist, mit denen kommt man nur bis zu einer gewissen
Grenze, jenseits welcher die negative Theologie liegt.|204|261ff}}
 
{{Zitat|Mir scheint die Eintheilung der Natur vier unterschiedene Formen anzunehmen. Sie theilt sich zunächst
in eine solche, welche ''schafft und nicht geschaffen wird''; sodann in eine solche, welche ''geschaffen wird und schafft''; zum Dritten in eine solche, welche ''geschaffen wird und nicht schafft''; zum Vierten in eine solche, welche ''nicht schafft und nicht geschaffen wird''. Von diesen vier Theilungen stehen sich je zwei einander entgegen, die dritte der ersten, die vierte der zweiten. Aber die vierte fällt unter Unmögliches, da ihr Unterscheidendes darin besteht, dass sie nicht sein kann.|Johannes Scottus Eriugena|''Über die Einteilung der Natur''|ref=<ref>Johannes Scotus Erigena, Ludwig Noack (Übers.): ''Über die Eintheilung der Natur'', Verlag von L. Heimann, Berlin 1870, Erste Abtheilung, S. 3f [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Johannes_Scotus_Erigena/Johannes_Scotus_Erigena_Ueber_die_Einteilung_der_Natur.pdf#page=10&view=Fit]</ref>}}
 
{{GZ|Für ihn stellt sich die Welt als eine Entwickelung in vier «Naturformen» dar. Die erste ist die «schaffende und nicht
geschaffene Natur». In ihr ist der rein geistige Urgrund
der Welt enthalten, aus dem sich die «schaffende und geschaffene
Natur» entwickelt. Das ist eine Summe von rein
geistigen Wesenheiten und Kräften, die durch ihre Tätigkeit
erst die «geschaffene und nicht schaffende Natur» hervorbringen,
zu welcher die Sinnenwelt und der Mensch gehören.
Diese entwickeln sich so, daß sie aufgenommen
werden in die «nicht geschaffene und nicht schaffende Natur», innerhalb welcher die Tatsachen der Erlösung, die
religiösen Gnadenmittel usw. wirken.|18|88}}
 
[[Datei:GA204_262.gif|center|800px|Zeichnung aus GA 204, S. 262]]
 
{{Zitat|Gleichwohl haben die Theo
logen mit richtigem Scharfblick aus dem, was ist, er
gründet, dass sie sei; dass sie aber weise sei, aus der
Vertheilung der Wesen in Gattungen, Arten, Unterschiede
und Einzelheiten; dass sie lebendig sei, aus der ständigen
Bewegung, wie aus dem beweglichen Zustande von Allem.
Auf ebendieselbe Weise hat man sehr richtig gefunden,
dass die All-Ursache dreifach bestehe. Denn aus dem
Sein dessen, was ist, wird erkannt, dass sie ist; aus der
wunderbaren Ordnung der Dinge, dass sie weise ist, und
aus der Bewegung hat man gefunden, dass sie Leben ist.
Als ursachliche und schöpferische Natur von Allem ist
sie also und ist weise und lebt. Und demgemäss haben
die Ergründer der Wahrheit überliefert, dass unter ihrem
Sein der Vater, unter ihrer Weisheit der Sohn, unter
ihrem Leben der h. Geist verstanden sei.|Johannes Scottus Eriugena|''Über die Einteilung der Natur''|ref=<ref>Johannes Scotus Erigena, Ludwig Noack (Übers.): ''Über die Eintheilung der Natur'', Verlag von L. Heimann, Berlin 1870, Erste Abtheilung, S. 22f [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Johannes_Scotus_Erigena/Johannes_Scotus_Erigena_Ueber_die_Einteilung_der_Natur.pdf#page=29&view=Fit]</ref>}}
 
{{GZ|Man nähert
sich also nur dem, was eigentlich wahres Wesen des Geistigen, des
Göttlichen ist. Wir finden da in diesem Kapitel unter anderem die
schöne, für die heutige Zeit noch lehrreiche Abhandlung über die
göttliche Trinität. Er sagt, wenn wir die Dinge um uns herum anschauen,
so finden wir zuerst als allgeistige Eigenschaft das Sein
(siehe S. 262). Dieses Sein ist gewissermaßen das, was alles umfaßt.
Wir sollten Gott nicht das Sein, so wie es die Dinge haben, beilegen,
aber wir können doch nur gewissermaßen, indem wir hinaufschauen
auf das, was Übersein ist, doch nur zusammenfassend vom Sein der
Gottheit sprechen. Ebenso finden wir, daß die Dinge in der Welt
von Weisheit durchstrahlt und durchsetzt sind. Wir sollten Gott
nicht bloß Weisheit, sondern Überweisheit beilegen. Aber eben,
wenn wir von den Dingen ausgehen, kommen wir bis zu der Grenze
des Weisheitsvollen. Aber es ist nicht nur Weisheit in allen Dingen:
Alle Dinge leben; es ist Leben in allen Dingen. Wenn also Johannes
Scotus Erigena sich die Welt vergegenwärtigt, so sagt er: Ich sehe in
der Welt Sein, Weisheit, Leben. Die Welt erscheint mir gewissermaßen
in diesen drei Aspekten als seiende, als weisheitsvolle, als
lebendige Welt. Gleichsam sind ihm das drei Schleier, die sich der
Verstand ausbildet, wenn er über die Dinge hinblickt. Man müßte
durchsehen durch die Schleier, dann würde man in das Göttlich-
Geistige hineinsehen. Aber er schildert zunächst die Schleier und
sagt: Wenn ich auf das Sein sehe, so repräsentiert mir das den Vater;
wenn ich auf die Weisheit sehe, so repräsentiert mir das den Sohn im
All; wenn ich auf das Leben sehe, so repräsentiert mir das den Heiligen
Geist im All.
 
Sie sehen, Johannes Scotus Erigena geht durchaus von philosophischen
Begriffen aus und erhebt sich zu dem, was die christliche
Trinität ist. Er macht also den Weg im Inneren noch durch, vom
Begreifen ausgehend, in das sogenannte Unbegreifliche hinein. Das
ist auch durchaus seine Überzeugung. Aber er redet eben so, daß
man der Art und Weise, wie er die Dinge gibt, ansieht, daß er von
Dionysius gelernt hat. Er möchte eigentlich in dem Momente, wo er
zu Sein, Weisheit, Leben kommt, und ihm diese repräsentieren
Vater, Sohn und Geist, er möchte eigentlich diese Begriffe auseinanderschwimmen
lassen in ein allgemeines Geistiges hinein, in das
sich der Mensch dann überbegriffuch erheben müßte. Aber er
schreibt dem Menschen nicht zu die Fähigkeit, zu solchem Überbegrifflichen
zu kommen.
 
Damit ist Johannes Scotus Erigena ein Sohn seines Zeitalters,
das den Verstand ausbildete, und das ja wirklich, wenn es sich selbst
richtig verstand, sich sagen mußte, es könne nicht hineinkommen in
das ÜberbegriffLiche.
 
Das zweite Kapitel schildert dann gewissermaßen eine zweite
Schichte des Weltendaseins, die geschaffene und schaffende Welt
(siehe S. 262). Das ist diejenige Welt der geistigen Wesenheiten, in
der wir zu suchen haben Angeloi, Archangeloi, Archaiund so weiter.
Diese Welt der geistigen Wesenheiten, die wir ja auch bei dem
Dionysius dem Areopagiten verzeichnet finden, diese Welt der geistigen
Wesenheiten schafft überall in der Welt, aber sie ist selbst
geschaffen, sie ist von dem höchsten Wesen angefangen, also geschaffen,
und sie schafft in allen Einzelheiten des Daseins, das uns
umgibt.
 
Als dritte Welt im dritten Kapitel schildert er dann die geschaffene
und nichtschaffende Welt. Das ist die Welt, die wir um uns
herum mit unseren Sinnen wahrnehmen. Das ist die Welt der Tiere,
Pflanzen und Mineralien, der Sterne und so weiter. In diesem Kapitel
behandelt er ungefähr alles dasjenige, was wir nennen würden
Kosmologie, Anthropologie und so weiter, dasjenige, was wir etwa
heute bezeichnen als den Umfang des Wissenschaftlichen.
In dem vierten Kapitel behandelt er die nichtgeschaffene und
nichtschaffende Welt. Es ist wiederum dieses die Gottheit, aber so,
wie sie sein wird, wenn alle Wesen, namentlich alle Menschen, zu
ihr zurückgekehrt sein werden, wenn sie nicht mehr schaffend sein
wird, wenn sie in sich aufgenommen hat in seliger Ruhe - so stellt
sich ja Johannes Scotus Erigena das vor - alle diejenigen Wesen, die
eben aus ihr hervorgegangen sind.
 
Nun, wenn wir diese vier Kapitel überschauen, so haben wir ja
darinnen eigentlich, ich möchte sagen, etwas wie ein Kompendium
alles Überlieferten, so wie es vorhanden war in den Weisheitsschulen,
aus denen Johannes Scotus Erigena hervorgegangen ist. Wenn man
dasjenige nimmt, was er schildert in dem ersten Kapitel, so haben
wir etwa dasjenige, was man in seinem Sinne die Theologie genannt
hat, die Theologie, die eigentliche Lehre von dem Göttlichen.
Wenn man das zweite Kapitel nimmt, so hat man darinnen dasjenige,
was er nennt Idealwelt, etwa in unserer heutigen Sprache,
Ideal aber vorgestellt als wesenhaft. Er schildert ja nicht abstrakte
Ideen, sondern eben Engel, Erzengel und so weiter, er schildert die
ganze intelligible Welt, wie man es nannte, die aber nicht eine intelligible
Welt wie die unsre war, sondern die eine Welt von lebendiger
Wesenheit war, von lebendigen intelligiblen Wesenheiten.
In dem dritten Kapitel schildert er, wie gesagt, dasjenige, was
wir heute unsere Wissenschaft nennen würden, aber doch anders.
Wir haben seit der Galilei-Kopernikus-Zeit, die ja später fällt, nicht
mehr dasjenige, was man in der Zeit des Scotus Erigena Kosmologie
oder Anthropologie nennt. Was man die Kosmologie nennt, ist durchaus
noch etwas, das aus dem Geiste heraus beschrieben wird, ist etwas,
das so beschrieben wird, daß geistige Wesenheiten die Sterne
lenken, daß geistige Wesenheiten auch in den Sternen leben, daß
die Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde durchsetzt werden von geistigen
Wesenheiten. Also es ist etwas anderes, was da als Kosmologie
geschildert wird. Jene materialistische Anschauungsweise, die seit
der Mitte des 15. Jahrhunderts heraufgekommen ist, die gab es eben
dazumal noch nicht, und was er etwa als Anthropologie hat, das ist
auch etwas ganz anderes, als was wir heute etwa Anthropologie in
unserem materialistischen Zeitalter nennen.
 
Da kann ich Ihnen ja etwas sagen, was außerordentlich charakteristisch
ist für dasjenige, was bei Johannes Scotus Anthropologie
ist. Er sieht den Menschen an und sagt: Der Mensch trägt zunächst
das Sein in sich. Er ist also mineralisches Wesen, er hat in sich mineralisches
Wesen. Also erstens: der Mensch ist ein mineralisches
Wesen (siehe S. 262). Zweitens: der Mensch leibt und lebt wie eine
Pflanze. Drittens: der Mensch empfindet als Tier. Viertens: der
Mensch urteilt und schließt, macht Schlüsse als Mensch. Fünftens:
der Mensch erkennt als Engel.
 
Nun, das ist selbstverständlich etwas in unserer Zeit Ungeheuerliches!
Wenn Johannes Scotus Erigena von Urteilen, Schließen
spricht, was man ja zum Beipiel auch macht in der Gerichtsstube,
wenn man über jemanden aburteilen will, dann urteilt und schließt
der Mensch als Mensch. Wenn er aber erkennt, wenn er erkennend
eindringt in die Welt, dann verhält sich der Mensch nicht als Mensch,
sondern als Engel! Ich will das zunächst aus dem Grunde sagen, um
Ihnen zu zeigen, daß Anthropologie für diese Zeit noch etwas anderes
ist als für die jetzige Zeit, denn, nicht wahr, es würde heute kaum
irgendwo, nicht einmal an einer theologischen Fakultät gehört werden
können, daß der Mensch erkennt als Engel. So daß man sagen muß:
Dasjenige, was Johannes Scotus Erigena im dritten Kapitel schildert,
das haben wir als unsere Wissenschaft nicht mehr. Es ist etwas anderes
geworden bei uns. Wenn wir es mit einem Worte nennen
wollten, das heute auf nichts Betriebenes anwendbar ist, so würden
wir etwa sagen müssen: Geistige Lehre vom Weltall und dem Menschen,
Pneumatologie.
 
Und dann das vierte Kapitel. Dieses vierte Kapitel enthält bei
Johannes Scotus Erigena erstens die Lehre von dem Mysterium von
Golgatha und die Lehre von dem, was der Mensch als die Zukunft zu
erwarten hat, als seinen Hingang in die göttlich-geistige Welt, also
dasjenige, was man etwa nach heutigem Gebrauche benennen
würde Soteriologie, Soter ist ja der Heiland, der Erlöser, und die
Lehre von der Zukunft, Eschatologie. Wir finden da behandelt die
Begriffe von Kreuzigung, Auferstehung, von der Ausströmung der
göttlichen Gnade, von dem Hingang des Menschen zur göttlichgeistigen
Welt und so weiter.
 
Eines sollte Ihnen dabei auffallen, und das fällt einem ja wirklich
auf, wenn man unbefangen ist, indem man so etwas wie dieses Werk
«De divisione naturae» von Johannes Scotus Erigena, von der Gliederung
der Natur, aufmerksam liest. Da ist von der Welt geredet
durchaus als von etwas, das in geistigen Qualitäten erkannt wird.
Man spricht vom Geistigen, indem man die Welt betrachtet. Und
was ist nicht darinnen? Man muß ja auch auf das aufmerksam sein,
was nicht in einer solchen Universalwissenschaft ist, wie sie da Johannes
Scotus Erigena begründen will.
 
Sie finden bei Johannes Scotus Erigena ungefähr gar nichts von
dem, was wir heute Soziologie nennen, Sozialwissenschaft und dergleichen.
Man möchte fast sagen, es sieht so aus, als ob der Johannes
Scotus Erigena den Menschen, wie er sich sie dachte, ebensowenig
eine Sozialwissenschaft habe geben wollen, wie etwa, wenn irgendeine
Tierart, die Löwenart oder die Tigerart, oder irgendeine Vogelart
eine Wissenschaft herausgeben würde, sie auch nicht eine Soziologie
herausgeben würde. Denn der Löwe würde nicht reden über
die Art und Weise, wie er mit anderen Löwen zusammenleben soll,
oder wie er zu seiner Nahrung kommen soll und so weiter; das ist
ihm instinktmäßig gegeben. Ebensowenig können wir uns eine Soziologie
der Spatzen denken. Spatzen könnten gewiß allerlei höchst Interessantes
an Weltengeheimnissen von ihrem Gesichtspunkte aus
hervorbringen, aber sk würden niemals eine Ökonomie, eine Ökonomielehre
hervorbringen, denn das würden die Spatzen für das ganz
Selbstverständliche ansehen, daß sie das tun, was ihnen eben ihr Instinkt
sagt. Das ist das Eigentümliche: Indem wir bei Johannes
Scotus Erigena so etwas noch nicht finden, sind wir uns klar darüber,
daß er die menschliche Gesellschaft noch so ansah, als ob sie das
Soziale aus ihren Instinkten hervorbrächte. Er weist hin gerade in
seiner besonderen Art von Erkenntnis auf dasjenige, was in dem
Menschen noch als Instinkt lebte, auf die Triebe, die Impulse des
sozialen Zusammenseins. Über diesem sozialen Zusammensein ist
dasjenige, was er schildert. Er schildert, wie der Mensch aus dem
Göttlichen hervorgegangen ist, welche Wesenheiten über der Sinneswelt
liegen. Er schildert dann, wie der Geist die Sinneswelt durchzieht,
etwa in einer Art Pneumatologie, er schildert dasjenige, was in
die Sinneswelt als Geistiges eingedrungen ist in seinem vierten
Kapitel in der Soteriologie, in der Eschatologie. Aber er schildert
nirgendwo, wie die Menschen zusammenleben sollen. Ich möchte
sagen, alles ist herausgehoben über die Sinneswelt. Das war überhaupt
ein Charakteristikum dieser älteren Wissenschaft, daß alles
über die Sinneswelt hinausgehoben war.
 
Und vertieft man sich im geisteswissenschaftlichen Sinn in so etwas
wie die Lehre des Johannes Scotus Erigena, so sieht man, er hat
gar nicht mit denjenigen Organen gedacht, mit denen heute die
Menschheit denkt. Man versteht ihn eben nicht, wenn man ihn
verstehen will mit demjenigen Denken, das heute die Menschheit
vollführt. Man versteht ihn nur, wenn man sich durch Geisteswissenschaft
eine Anschauung errungen hat von dem, wie man mit dem
Ätherleib denkt, mit demjenigen Leib, der als ein feinerer Leib dem
groben sinnlichen Leib zugrunde liegt.
 
Also Johannes Scotus Erigena hat nicht mit dem Gehirn, sondern
mit dem Ätherleib gedacht. Wir haben in ihm einfach einen Geist,
der noch nicht mit dem Gehirn gedacht hat. Und alles dasjenige,
was er niederschreibt, kommt zustande als Ergebnis des Denkens mit
dem Ätherleib. Im Grunde genommen beginnt man erst nach seiner
Zeit mit dem physischen Leib zu denken, und so recht eigentlich erst
vom 15. Jahrhundert an. Was man gewöhnlich nicht sieht, ist daß sich
wirklich das menschliche Leben als Seelenleben in dieser Zeit geändert
hat, daß man wirklich, wenn man zurückgeht ins 13., 12., 11.
Jahrhundert, auf ein Denken stößt, wie es der Johannes Scotus
Erigena hatte, daß man da kommt an ein Denken, das noch nicht
mit dem physischen Leib, sondern mit dem Ätherleib vollzogen
worden ist. Dieses Denken mit dem Ätherleib, das sollte nicht
hereinragen in die spätere Zeit, in der man scholastisch dialektisiert
hat über starre Begriffe; da wurde dieses ältere Denken mit dem
Ätherleib, das aber durchaus auch das Denken der ersten christlichen
Jahrhunderte war, eben verketzert. Deshalb auch die Verbrennung
der Schriften des Johannes Scotus Erigena.|204|263ff}}
 
=== Denken im Gespräch mit dem Engel ===
 
{{GZ|Bei Johannes Scotus ist es so, daß er in diesem Zwiespalt
lebt. Er kann bloß denken; aber wenn dieses Denken zum Erkennen
wird, da fühlt er, da ist noch etwas da von den alten Mächten, welche
den Menschen durchdrungen haben in der alten Art der Erkenntnis.
Er fühlt den Engel, den Angelos in sich. Daher sagt er, der Mensch
erkenne als Engel. Es war Erbstück aus den alten Zeiten, daß in
dieser Zeit der Verstandeserkenntnis ein solcher Geist wie Scotus
Erigena noch sagen konnte, der Mensch erkenne wie ein Engel. In
den Zeiten der ägyptischen, der chaldäischen Zeit, in den älteren
Zeiten der hebräischen Zivilisation würde niemand etwas anderes
gesagt haben, als: Der Engel erkennt in mir, und ich nehme
Teil als Mensch an der Erkenntnis des Engels. Der Engel wohnt in
mir, der erkennt, und ich mache das mit, was der Engel erkennt. -
Das war in der Zeit, als noch kein Verstand da war. Als dann der
Verstand heraufgekommen war, da mußte man das mit dem
Verstände durchdringen; aber es war eben in Scotus Erigena
noch ein Bewußtsein von diesem Durchdrungensein mit der Angelosnatur.|204|269f}}
 
=== Gutachten zur Prädestination ===
 
{{GZ|Ich habe ja öfter in solchen Vorträgen auf jenen schottischen
Mönch, ''Scotus Erigena'', aufmerksam gemacht, der im 9. Jahrhundert
im Frankenlande am Hofe ''Karls des Kahlen'' gelebt hat und dort geradezu
als ein Wunder der Weisheit angesehen worden ist. Karl der
Kahle jedenfalls und alle, die seiner Meinung waren, wandten sich in
allen religiösen und auch in allen wissenschaftlichen Fragen an Scotus
Erigena, wenn sie irgend etwas entschieden haben wollten. Aber gerade
an der Art, wie Scotus Erigena anderen Mönchen seiner Zeit gegenübersteht,
sehen wir, wie dazumal der Kampf, ich möchte sagen, wütete
zwischen der Vernunft, die sich nur auf die Sinneswelt und einige
Schlüsse aus ihr beschränkt fühlte, und dem, was in Form von Dogmen
von den übersinnlichen Welten überliefert war.
 
Und so sehen wir zwei Persönlichkeiten gerade im 9. Jahrhundert
einander gegenüberstehen: Scotus Erigena und den Mönch ''Gottschalk'',
der in entschiedener Weise die Lehre geltend machte, Gott wisse vollkommen
voraus, ob irgendein Mensch verdammt werde oder selig
werde. Man prägte das allmählich in die Formel: Gott habe einen Teil
der Menschen zur Seligkeit, einen anderen Teil der Menschen zur Verdammnis
bestimmt. Man prägte diese Lehre in der Art, wie es ja ''[[Augustinus]]''
selbst schon gemacht hatte, nach dessen Lehre von der göttlichen
Vorherbestimmung ein Teil der Menschen zur Seligkeit, ein Teil zur
Verdammnis bestimmt sei. Und Gottschalk, der Mönch, lehrte, es sei
so: Gott habe einen Teil der Menschen zur Seligkeit und einen Teil
zur Verdammnis bestimmt, keinen aber zur Sünde. Gottschalk lehrte
also für das äußere Verständnis einen Widerspruch.
 
Der Streit tobte dazumal gerade im 9. Jahrhundert außerordentlich
heftig. Auf einer Mainzer Synode zum Beispiel wurde die Schrift des
Gottschalk geradezu als ketzerisch erklärt, und Gottschalk wurde ausgepeitscht
wegen dieser Lehre. Dennoch, trotzdem Gottschalk ausgepeitscht
und eingesperrt worden war wegen dieser Lehre, konnte er sich
darauf berufen, daß er ja nichts anderes wollte, als die Augustinische
Lehre in ihrer echten Gestalt herstellen. Man wurde auch aufmerksam
darauf, namentlich französische Bischöfe und Mönche, daß Gottschalk
eigentlich nichts anderes lehrte als das, was schon Augustinus
gelehrt hatte. So stand gewissermaßen solch ein Mönch wie Gottschalk
vor seiner Zeit so da, daß er aus den Traditionen des alten Mysterienwissens
etwas lehrte, was diejenigen, die nun alles mit dem Verstande,
der heraufdämmerte, begreifen wollten, eben nicht begreifen konnten
und deshalb bekämpften, während die anderen, die mehr an der Ehrwürdigkeit
des Alten festhielten, durchaus einem Theologen wie dem
Gottschalk recht gaben.
 
Heute werden die Menschen außerordentlich schwer begreifen, daß
über so etwas gestritten werden konnte. Es wurde aber nicht bloß gestritten.
Man wurde dazumal wegen solcher Lehren, wenn sie der einen
Partei nicht gefielen, öffentlich ausgepeitscht und eingesperrt, und zuletzt
bekam man doch recht. Denn gerade die Rechtgläubigen stellten
sich dann wiederum auf Gottschalks Seite, und die Lehre des Gottschalk
blieb als die rechtmäßige katholische Lehre. - Karl der Kahle
wandte sich selbstverständlich aus der ganzen Stellung, in der er zu
Scotus Erigena war, an diesen, um eine Entscheidung für sich herbeizuführen.
Scotus Erigena entschied nicht im Sinne von Gottschalk,
sondern in dem Sinne, daß in der Entwickelung der Menschheit die
Gottheit darinnensteckt, daß das Böse eigentlich nur scheinbar ein
Etwas sein kann, sonst müßte ja das Böse in Gott stecken. Da Gott nur
das Gute sein kann, so muß das Böse ein Nichts sein; das Nichts aber
kann nicht etwas sein, mit dem die Menschen zuletzt vereinigt werden
können. - So daß sich Scotus Erigena gegen den Gottschalk aussprach.
Aber die Lehre des Scotus Erigena, die etwa dieselbe ist wie heute
die der Pantheisten, ist von der rechtgläubigen Kirche dann wiederum
verdammt worden, und die Schriften des Scotus Erigena wurden ja
erst später wieder gefunden. Man hat alles verbrannt, was an ihn erinnerte;
er galt als der eigentliche Ketzer. Und als er seine Anschauung
bekanntmachte, die er Karl dem Kahlen vorgelegt hatte, da erklärte
man auf der Seite der Gottschalkianer, die jetzt wiederum zur
Anerkennung gekommen waren: Scotus Erigena ist eigentlich nur ein
Schwätzer, der sich mit allerlei Federn der äußerlichen Wissenschaft
schmückt, und der eigentlich von den inneren Geheimnissen des Übersinnlichen
gar nichts weiß.|214|48ff}}
 
=== Abendmahlstreit ===
 
Eriugena bezog auch Stellung im [[Abendmahlstreit]].
 
{{GZ|Ein anderer Theologe schrieb über den
Leib und das Blut Christi: «De corpore et sanguine domini.» Er sprach
in dieser Schrift auch dasjenige aus, was für den alten Eingeweihten
eine durchschaubare Lehre war: daß tatsächlich Brot und Wein verwandelt
werden kann in den wirklichen Leib und in das wirkliche
Blut Christi.
 
Wiederum wurde diese Schrift Karl dem Kahlen vorgelegt. Scotus
Erigena schrieb nicht gerade eine Gegenschrift, aber in seinen Schriften
haben wir vielfach Hinweise darauf, wie er sich entschieden hat, und
da finden wir, daß diese Lehre, die ja die rechtgläubige katholische ist:
daß Brot und Wein wirklich in den Leib und in das Blut Christi verwandelt
wird, daß diese Lehre modifiziert werden müsse, weil man sie
nicht einsehen könne. So sprach sich Scotus Erigena schon damals aus.|214|50f}}
 
{{GZ|Es gab in
den ältesten Zeiten bis zu dem 12. Jahrhundert nichts, was
erhabener, feierlicher war für den Christen als das Abendmahl.
Es sollte ein dankbares Erinnerungsopfer sein, ein
Symbol für die Verinnerlichung des Christentums. Da kam
jene Verweltlichung, jenes Unverständnis solchen hohen,
geistigen Tatsachen gegenüber, vor allem den Festen gegenüber.
Im 9. Jahrhundert lebte im Lande der Franken, am
Hofe ''Karls des Kahlen'', ein sehr bedeutender, christlicher
Mönch aus Irland, ''Scotus Erigena'', in dessen Buche «Von der
Einteilung der Natur» wir eine Fülle von Geist und Tiefsinn
finden, freilich nicht von dem, was das 20. Jahrhundert
unter Wissenschaft versteht. Er hatte zu kämpfen gegen
eine feindliche Richtung in der Kirche. Er verteidigte
die alte Lehre, daß das Abendmahl die Versinnbildlichung
des höchsten Opfers bedeutete. Eine andere, materielle
Auffassung bestand und wurde von Rom protegiert, daß
Brot und Wein sich wirklich in Fleisch und Blut verwandeln.
Unter dem Einfluß der vor sich gehenden Vermaterialisierung
entstand das Abendmahlsdogma, doch erst im
13. Jahrhundert wurde es offiziell.
 
Scotus mußte nach England flüchten und wurde auf Betreiben
des Papstes im eigenen Kloster von den verbrüderten
Mönchen hingemordet. Das sind Kämpfe, die sich nicht
innerhalb der Kirche, sondern durch das Eindringen des
weltlichen Einflusses abspielen.|51|144}}
 
=== Pythagoräismus ===
 
{{GZ|Wer den Pythagoräismus studiert,
wird ja leicht dazu verführt werden, zu glauben, da sei alles in der
Welt so angesehen, wie wir es ansehen, nach Maß, Zahl und Gewicht.
Aber gerade der charakteristische Unterschied, wie im Pythagoräismus
bildhaft Maß, Zahl und Gewicht verwendet werden, und wie sie universell
verwendet werden, wie gewissermaßen ganz menschlich, noch
nicht abgesondert vom Menschen gefühlt wird, was in Maß, Zahl und
Gewicht lebt, das kann uns schon darauf hinweisen, daß der Pythagoräismus
nicht so arbeitete mit Maß, Zahl und Gewicht, wie später, seit
der Mitte des 15. Jahrhunderts, damit gearbeitet worden ist, wie der
Galileismus mit Maß, Zahl und Gewicht arbeitet. Und wer sich zum
Beispiel vertieft in einen Geist des 9. Jahrhunderts - ich habe ihn vor
kurzem einmal hier in einigen Vorträgen charakterisiert -, wer sich
vertieft in ''Johannes Scotus Erigena'', wer sich hineinliest in Scotus,
der wird finden: so wie wir heute gewöhnt sind, aus chemischen, physikalischen
Grundlagen heraus uns ein Weltengebäude aufzubauen und
Anfang und Ende der Welt uns hypothetisch zu konstruieren aus dem,
was wir im Messen, Zählen, Wägen gelernt haben, so ist das bei Scotus
Erigena nicht. Es sondert der Mensch die Außenwelt bei Scotus Erigena
nicht so weit von sich ab, und sich nicht von der Außenwelt. Er lebt
mehr mit der Außenwelt zusammen, strebt noch nicht so nach Objektivität,
wie man heute nach Objektivität strebt. Und so kann man
sehen, wie das, was in all den Jahrhunderten seit der pythagoräischen
Zeit im Griechentum sich entfaltete - und gerade an einem solchen
Geist wie Scotus Erigena kann man es sehen -, sich dann in späteren
Jahrhunderten ausgelebt hat. In dieser Zeit lebte im Grunde genommen
die menschliche Seele in ganz andern Vorstellungen.|206|173}}
 
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Johannes Scottus Eriugena}}
* {{Eisler|Johannes Scotus Eriugena}}
 
== Anmerkungen ==
 
<references />
 
== Literatur ==
 
#Wolf-Ulrich Klünker: ''Johannes Scotus Eriugena - Denken im Gespräch mit dem Engel'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1988, ISBN 978-3-7725-0826-4
#Rudolf Steiner: ''Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung'', [[GA 7]] (1990), ISBN 3-7274-0070-6 {{Schriften|007}}
#Rudolf Steiner: ''Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums'', [[GA 8]] (1989), ISBN 3-7274-0080-3 {{Schriften|008}}
#Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
#Rudolf Steiner: ''Über Philosophie, Geschichte und Literatur'', [[GA 51]] (1983), ISBN 3-7274-0510-4 {{Vorträge|051}}
#Rudolf Steiner: ''Die Philosophie des Thomas von Aquino'', [[GA 74]] (1993), ISBN 3-7274-0741-7 {{Vorträge|074}}
#Rudolf Steiner: ''Perspektiven der Menschheitsentwickelung'', [[GA 204]] (1979), ISBN 3-7274-2040-5 {{Vorträge|204}}
#Rudolf Steiner: ''Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist – Zweiter Teil'', [[GA 206]] (1991), ISBN 3-7274-2060-X {{Vorträge|206}}
#Rudolf Steiner: ''Das Geheimnis der Trinität'', [[GA 214]] (1999), ISBN 3-7274-2140-1 {{Vorträge|214}}
#Rudolf Steiner: ''Der Entstehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung'', [[GA 326]] (1977), ISBN 3-7274-3260-8 {{Vorträge|326}}
 
{{GA}}
 
== Werblinks ==
{{Wikisource|Scriptor:Iohannes Scotus Eriugena|Iohannes Scotus Eriugena|lang=la}}
* {{DNB-Portal|118557955}}
* [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Johannes_Scotus_Erigena/Johannes_Scotus_Erigena_Ueber_die_Einteilung_der_Natur.pdf Johannes Scotus Erigena: ''Über die Einteilung der Natur]
 
{{Normdaten|TYP=p|GND=118557955|LCCN=n/50/38594|VIAF=90638056}}
 
{{SORTIERUNG:Eriugena, Johannes Scottus}}
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[[Kategorie:Philosophie]]
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[[Kategorie:Gestorben im 9. Jahrhundert]]
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{{Personendaten
|NAME=Johannes Scottus Eriugena
|ALTERNATIVNAMEN=Eriugena, Johannes Scotus
|KURZBESCHREIBUNG=irischer Theologe und Philosoph
|GEBURTSDATUM=zwischen 800 und 850
|GEBURTSORT=
|STERBEDATUM=zwischen 850 und 900
|STERBEORT=
}}

Version vom 9. September 2021, 09:08 Uhr