imported>Odyssee |
imported>Joachim Stiller |
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| '''Spiegelneuronen''' ({{EnS|mirror neurons}}) sind erstmals von [[Wikipedia:Giacomo Rizzolatti|Giacomo Rizzolatti]] und seinen Mitarbeitern 1992<ref name="PMID1301372">G. di Pellegrino, L. Fadiga, L. Fogassi, V. Gallese, [[Wikipedia:Giacomo Rizzolatti|G. Rizzolatti]]: ''Understanding motor events: a neurophysiological study'', in: ''Experimental brain research.'' Band 91, Nummer 1, 1992, {{ISSN|0014-4819}}, S. 176–180, PMID 1301372.</ref> bei [[Wikipedia:Makaken|Makaken]] im [[Prämotorischer Cortex|prämotorischen Cortex]] ([[Brodmann-Areal|Areal]] F5) und später auch im unteren [[Parietallappen]] nachgewiesene [[Neuronen]] im [[Gehirn]] von [[Primaten]], die bei der bloßen [[Beobachtung]] bestimmter [[Handlung]]en das gleiche Aktivitätsmuster wie bei deren eigener Ausführung aufweisen.
| | [[Kategorie:Vertreter der Philosophie der Mathematik als Thema]] |
| | | [[Kategorie:Mathematiker als Thema (20. Jahrhundert)]] |
| {{LZ|»Leo, non può essere!« Ungläubig schüttelt Vittorio seinen bärtigen
| | [[Kategorie:Wissenschaftler als Thema]] |
| Kopf. »Leo, das kann nicht sein!« Er nimmt eine Rosine von dem
| | [[Kategorie:Mathematiker als Thema]] |
| Tablett, das vor dem Affen steht. Aus dem Lautsprecher kommt ein
| | [[Kategorie:Philosoph als Thema]] |
| Geräusch, das an ein Maschinengewehr erinnert. Natürlich ist es
| | [[Kategorie:Logiker als Thema]] |
| keins. Es ist das Geräusch einer einzelnen »feuernden« Nervenzelle.
| | [[Kategorie:Hempel|!]] |
| Im Gehirn des Affen ist eine haarfeine Elektrode implantiert worden.
| |
| Bei Aktivierung der Nervenzelle wird der schwache Strom, den die
| |
| Elektrode misst, umgewandelt, zum Geräusch aus dem Lautsprecher
| |
| verstärkt und als grüne Spur auf den Bildschirm eines Oszilloskops
| |
| sichtbar gemacht. »Hast du das auch gehört? Kann es dieselbe Zelle
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| sein?« Vittorio scheint verwirrt, während er auf die Oszilloskope
| |
| blickt. Alles wirkt vollkommen normal – leuchtend grüne Spikes vor
| |
| schwarzem Hintergrund. Jetzt nimmt sich der Affe die Rosine vom
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| Tablett, die Reaktion ist akustisch und visuell identisch mit
| |
| derjenigen, die Vittorio mit seinem Griff nach der Rosine auslöste.
| |
| »Das ist erstaunlich!«, sagt Leo.|Keysers, S. 13}}
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| Rizzolatti et al. teilten die Spiegelneuronen in zwei Gruppen ein<ref>V. Gallese, L. Fadiga, L. Fogassi, [[Wikipedia:Giacomo Rizzolatti|G. Rizzolatti]]: ''Action recognition in the premotor cortex'', in: ''Brain : a journal of neurology.'' Band 119 ( Pt 2), April 1996, {{ISSN|0006-8950}}, S. 593–609, PMID 8800951 [https://pdfs.semanticscholar.org/1aff/757609a0079c95b0a181d79f6ea362d0ca82.pdf pdf]</ref>:
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| # Strikt Kongruente (''strictly congruent''), die nur aktiv wurden, wenn die ausgeführte bzw. beobachte Handlung sowohl nach ihrer ''allgemeinen Charakteristik'' (z.B. Greifen) als auch nach ihrer ''speziellen Besonderheit'' (z.B. Greifen mit zwei Fingern) übereinstimmte, was bei ca. einem Drittel der Neuronen der Fall war.
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| # Grob Kongruente (''broadly congruent''), bei denen die Übereinstimmung der allgemeinen Charakteristik ausreichte, um sie zu aktivieren, was für etwa zwei Drittel der Neuronen zutraf.
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| Spiegelneuronen ermöglichen es auch fremde Handlungen anhand eigener Handlungen vorauszusehen, die man im gegebenen Fall ausführen würde:
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| {{LZ|Handelt der Affe selbst, folgt, wenn er die Hand nach einer Erdnuss
| |
| ausstreckt, gewöhnlich der Akt des Ergreifens nach. In der
| |
| Schaltstruktur der prämotorischen Neuronen breitet sich die
| |
| Aktivität also in der Regel von den für das Handaustrecken
| |
| verantwortlichen Neuronen auf die Greif-Neuronen aus. Wird nun
| |
| die Beobachtung des Handausstreckens von Spiegelneuronen in
| |
| prämotorische Aktivität umgewandelt, kommt es vermutlich zur
| |
| Aktivierung desselben Schaltkreises, sodass die Aktivität auch in
| |
| diesem Fall die Greif-Neuronen erfasst. Diese würden also feuern,
| |
| bevor das Greifen selbst beobachtet werden könnte...
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| Um zu überprüfen, ob Vorhersagen dieser Art im
| |
| Spiegelneuronensystem stattfinden, zeichneten wir die Aktivität
| |
| eines Spiegelneurons auf, das reagierte, wenn der Affe eine Apfelsine
| |
| ergriff... Wir stellten einen undurchsichtigen
| |
| Schirm vor die Apfelsine, sodass der Affe nur noch sah, wie eine
| |
| Hand sich auf den Schirm zubewegte und hinter ihm verschwand.
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| Die Hälfte der Spiegelneuronen feuerten im Fall der verborgenen
| |
| Frucht, als könnten sie aus dem Anblick der sich ausstreckenden
| |
| Hand schließen, dass sie die Apfelsine ergreifen würde, weil der Affe
| |
| das normalerweise selbst getan hätte.|Keysers, S. 34f.}}
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| 2002 wurde diskutiert, ob es auch beim [[Mensch]]en ein ähnliches Spiegelneuronensystem gibt ([[Brodmann-Areal]] 44)<ref>[[Wikipedia:Giacomo Rizzolatti|G. Rizzolatti]], L. Fogassi, V. Gallese: ''Motor and cognitive functions of the ventral premotor cortex'', in: ''Current opinion in neurobiology.'' Band 12, Nummer 2, April 2002, {{ISSN|0959-4388}}, S. 149–154, PMID 12015230 (Review).</ref>. Ein erster direkter Nachweis gelang 2010<ref>R. Mukamel, A. D. Ekstrom, J. Kaplan, M. Iacoboni, I. Fried: ''Single-neuron responses in humans during execution and observation of actions'', in: ''Current biology : CB.'' Band 20, Nummer 8, April 2010, {{ISSN|1879-0445}}, S. 750–756, {{DOI|10.1016/j.cub.2010.02.045}}, PMID 20381353, {{PMC|2904852}} [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2904852/pdf/nihms-188032.pdf pdf]</ref>.
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| In den [[Neurowissenschaften]] wird seit dieser Entdeckungen diskutiert, welche Bedeutung die Spiegelneuronen für das [[Lernen]] durch [[Nachahmung]], die [[Kommunikation]] und sogar für die [[Fähigkeit]] der [[Empathie]] bei Primaten und insbesondere auch beim [[Mensch]]en haben<ref>F. de Vignemont, T. Singer, ''The Empathic Brain: How, When, and Why?'', in: ''Trends Cog. Sci.'' 10 (2006), S. 435 – 441.</ref>.
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| {{LZ|Etliche empirische Belege aus einer Vielzahl verschiedener bildgebender
| |
| Verfahren zeigen, dass das System der Spiegelneuronen nicht nur bei Affen
| |
| existiert, sondern auch beim Menschen. Das System scheint beim Menschen
| |
| jedoch wesentlich stärker generalisiert zu sein und nicht von konkreten
| |
| Wechselwirkungen zwischen Gegenständen und Handlungsorganen
| |
| abzuhängen. Infolgedessen kann es eine deutlich größere Bandbreite an
| |
| Handlungen darstellen, als das bei Affen der Fall ist. Insbesondere hat die
| |
| Forschung mittlerweile Spiegelneuronensysteme entdeckt, die ganz ähnliche
| |
| Effekte für Gefühle, für die Schmerzwahrnehmung und andere körperliche
| |
| Empfindungen erzeugen können. Wenn man Testpersonen beispielsweise
| |
| Bilder von traurigen Gesichtern zeigt, schätzen sie sich hinterher häufig
| |
| trauriger ein als vorher – und zeigt man ihnen glückliche Gesichter, schätzen
| |
| sie sich selbst in der Regel als glücklicher ein. Viele empirische Daten zeigen
| |
| übereinstimmend, dass wir, wenn wir andere Menschen dabei beobachten,
| |
| wie sie Gefühlszustände ausdrücken, diese Zustände mit Hilfe derselben
| |
| neuronalen Netze in unserem Gehirn simulieren, die auch aktiv sind, wenn
| |
| wir diese Gefühle gerade selbst empfinden oder ihnen Ausdruck verleihen.<ref>V. Gallese: ''Intentional Attunement: A Neurophysiological Perspective on Social Cognition and Its Disruption in Autism'', in: ''Brain Res.'' 1079 (2006), S. 15 – 24</ref>|Metzinger, S. 232}}
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| Die selben Areale des [[Prämotorischer Cortex|prämotorischen Cortex]], die aktiv werden, wenn wir eine bestimmte Bewegung ausführen ''oder'' diese [[Beobachtung|beobachten]], sind auch tätig, wenn wir uns diese Bewegung bloß [[vorstellen]]. In den beiden letzteren Fällen sind noch andere, vermutlich im [[Frontallappen]] gelegene [[Hirnareal]]e beteiligt, die verhindern, dass die beobachtete oder vorgestellte Bewegung auch selbst ausgeführt wird. Zumindest einige Patienten, die an [[Wikipedia:Echopraxie|Echopraxie]] leiden, dem zwanghaften automatischen Nachahmen und Wiederholen von vorgezeigten Handlungen und Bewegungen, weisen [[Läsion]]en im Frontallappen auf.<ref>Keysers, S. 75-76</ref>
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| {{Anker|Kanonische Neuronen}}Von den Spiegelneuronen zu unterscheiden sind die sogenannten '''kanonischen Neuronen''' ({{EnS|canonical neurons}}), die bei Affen ebenfalls im [[Brodmann-Areal|Areal]] F5 liegen und schon auf bloß gesehene Objekte reagieren, mit denen sich bestimmte Handlungen ausführen lassen. Spiegelneuronen zeigen in diesem Fall keine Reaktion<ref>G. Rizzolatti, L. Craighero: ''The Mirror-Neuron System'', in: ''Ann. Rev. Neurosci.'' 27 (2004), S. 169 – 192 [http://psych.colorado.edu/~kimlab/rizzolatti.annurev.neuro.2004.pdf pdf]</ref>.
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| ''Rizzolatti'' und seine Mitarbeiterin ''Maddalena Fabbri Destro'' haben auch darauf hingewiesen, dass durch den Spiegelmechanismus zugleich der [[Zweck]] und das [[Ziel]], d.h. die [[Bedeutung]] der beobachteten Bewegung durch innerliche oder äußerliche Nachahmung übermittelt wird und dadurch die Basis für die [[Kommunikation]] in Form einer natürlichen [[Gebärdensprache]] gelegt wurde<ref>G. Rizzolatti, M. A. Arbib: ''Language Within Our Grasp'', in: Trends Neurosci. 21 (1998), S. 188 – 194</ref><ref>Giacomo Rizzolatti, Giuseppe Luppino: ''The Cortical Motor System'', in: ''Neuron'', Vol. 31, September 27, 2001, pp. 889–901 [https://www.cell.com/action/showPdf?pii=S0896-6273%2801%2900423-8 pdf]</ref>.
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| {{LZ|In der Tat hat der Spiegelmechanismus in einem Anfangsstadium der Sprachentwicklung zwei grundlegende Kommunikationsprobleme gelöst: Parität<ref>Im Sinn von Gleichwertigkeit.</ref> und direktes Verständnis. Dank der Spiegelneuronen zählte auch für den Empfänger der Nachricht, was für den Absender der Nachricht galt. Es wurden keine willkürlichen Symbole benötigt. Das Verständnis war der neuronalen Organisation der beiden Individuen inhärent.|Rizzolatti, Destro: ''Mirror neurons''<ref>Im englischen Original: „In fact, the mirror mechanism solved, at a initial stage of language evolution, two fundamental communication problems: parity and direct comprehension. Thanks to the mirror neurons, what counted for the sender of the message also counted for the receiver. No arbitrary symbols were required. The comprehension was inherent in the neural organization of the two individuals.“ - {{Scholarpedia|Mirror neurons|Giacomo Rizzolatti, Maddalena Fabbri Destro}}</ref>}}
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| [[Thomas Metzinger]] führt dazu weiter aus: | |
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| {{LZ|Aus philosophischer Perspektive ist die Entdeckung der Spiegelneuronen
| |
| deshalb aufregend, weil sie uns eine Vorstellung davon vermittelt, wie
| |
| motorische Primitive semantische Primitive sein konnten. Was heißt das? Es
| |
| bedeutet, dass wir verstehen, wie die einfachsten Bausteine der Bewegung zu
| |
| den einfachsten Bausteinen des Transports geistiger Inhalte werden konnten –
| |
| also davon, wie sich Bedeutung zwischen leiblich Handelnden kommunizieren
| |
| ließ. Dank unserer Spiegelneuronen sind wir in der Lage, die Bewegungen
| |
| eines anderen Menschen bewusst als bedeutungsvoll zu erleben. Vielleicht
| |
| bestand der evolutionäre Vorläufer der Sprache nicht aus den Schreien der
| |
| Tiere, sondern aus der Kommunikation mit Hilfe körperlicher Gesten... Es ist durchaus
| |
| denkbar, dass Laute erst später mit Gesten verknüpft wurden, vielleicht mit
| |
| Gesichtsbewegungen, die bereits Bedeutung trugen – etwa einem starren,
| |
| grimmigen Blick, einem Grinsen, einem Zusammenzucken oder einem
| |
| »grußartigen« Hochziehen der Augenbrauen. Noch heute wird bei der stillen
| |
| Beobachtung die Armbewegung eines anderen Menschen, der etwa nach
| |
| einem Gegenstand greift, unmittelbar verstanden, weil sie – und zwar ganz
| |
| ohne dazwischengeschaltete Symbole oder Gedanken – dieselbe motorische
| |
| Repräsentation im parietofrontalen Spiegelsystem unseres eigenen Gehirns
| |
| hervorruft.|Metzinger, S. 237}}
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| Auf den Zusammenhang der Körper- und namentlich der Handbewegungen mit der Ausbildung der [[Sprache]] hatte schon [[Rudolf Steiner]] in einer Würdigung von [[Wikipedia:Paul Broca|Paul Broca]] (1824–1880) hingewiesen, der 1861 das später nach ihm benannte [[Broca-Areal]] entdeckt hatte, das an der [[Sprachproduktion]] beteiligt ist und nach heutiger Kenntnis beim [[Mensch]]en auch über die meisten Spiegelneuronen verfügt.
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| {{GZ|Als Broca im April 1861 gefunden
| |
| hatte, daß das Werkzeug des Sprechens in der dritten Stirnwindung
| |
| des Großhirns liegt und daß dieses Werkzeug in der
| |
| Ordnung sein muß, wenn der Mensch die Sprachlaute verstehen
| |
| will, und ebenso ein anderer Teil, wenn er sie aussprechen soll,
| |
| war ein wichtiger Fortschritt getan, der geisteswissenschaftlich
| |
| verwertet werden kann und ein Beleg für die geisteswissenschaftlichen
| |
| Tatsachen ist. Warum? Weil sich gerade daran, wie dieses
| |
| Sprachzentrum sich ausbildet, zeigt, daß die äußeren Bewegungen
| |
| des Menschen, die Bewegungen seiner Hände, also das, was der
| |
| Mensch halb unbewußt im Leben vollzieht, mitwirkt an der Konfiguration
| |
| dieses Sprachzentrums. Warum ist dieses Sprachzentrum
| |
| bei den Menschen auf der linken Seite besonders ausgebildet?
| |
| Weil der Mensch nach den bisherigen Kulturbedingungen die
| |
| rechte Hand besonders gebrauchte. So ist es der ätherische und
| |
| astralische Leib, der aus dem Unterbewußtsein die Gesten der
| |
| Hände ausführt, der hineinwirkt in das Gehirn und dieses formt.
| |
| Anschaulich lehren heute die Anthropologen, daß von außen herein
| |
| durch makrokosmische Welttätigkeit das Gehirn geformt wird.
| |
| Wenn dieser Teil verletzt oder gelähmt wird, dann gibt es keine
| |
| Sprachfähigkeit. Wenn darauf gesehen wird, daß, wenn die eine
| |
| Seite des Gehirns, die gewöhnlich durch unsere Rechtshändigkeit
| |
| stark ausgebildet ist, von der linken Seite aus entfesselt wird, was
| |
| zum Beispiel in der Kindheit noch möglich ist und in der späteren
| |
| Zeit nicht mehr, dann zeigt sich, daß wirklich von außen durch
| |
| systematisierte Tätigkeit das Gehirn so geformt werden kann, daß
| |
| es ein Sprachzentrum erhält in der dritten entsprechenden Hirnwindung
| |
| dann auf der rechten Seite. Müssen wir da nicht sagen:
| |
| Es ist das Irrtümlichste, was wir uns vorstellen können, wenn wir
| |
| denken, daß die Sprachfähigkeit durch Gehirnanlage gebildet
| |
| wird? - Nein, die Gehirnanlagen machen sie nicht, sondern der
| |
| Mensch in seiner Tätigkeit, die er entwickelt. Aus dem Makrokosmos
| |
| heraus bildet sich die Sprachfähigkeit im Gehirn. Das Sprachorgan
| |
| kommt von der Sprache, nicht die Sprache von dem Sprachorgan.
| |
| Das ist es, was durch diese bedeutsame physiologische
| |
| Tatsache des Broca gefunden worden ist. Dadurch, daß die Götter
| |
| oder Geister der Hierarchien den Menschen verholfen haben,
| |
| solche Tätigkeiten auszuführen, welche ihm seine Sprachzentren
| |
| schaffen, ist von außen das Sprachzentrum gebildet worden. Aus
| |
| der Sprache entsteht das Sprachzentrum, nicht umgekehrt.|129|214ff}}
| |
| | |
| Damit wird auch die heute fast ausschließlich anzutreffende einseitig [[Materialismus|materialistische]] Deutung der [[Neurowissenschaften|neurowissenschaftlichen]] Forschungsergebnisse entschieden relativiert. Nicht das [[Gehirn]] erzeugt primär die [[Sprache]], das [[Denken]] und andere [[kognitiv]]e Leistungen, sondern diese formen zuerst das im Kindesalter noch weitgehend [[Neuronale Plastizität|plastische]] und wenig strukturierte Gehirn durch den immer geschickter werdenden Gebrauch der [[Hände]], der Sprache und des [[Denken]]s aus und geben ihm seine [[individuell]]e Prägung. Das [[Ich]] des Kindes ist an dieser Bildung anfangs noch weitgehend unbewusst beteiligt. Je vollständiger die Gehirnstrukturen ausgebildet sind, desto stärker erwacht auch das [[Ich-Bewusstsein]], weil sich nun erst das Ich an dem von ihm selbst durchformten Gehirn ausreichend spiegeln kann.
| |
| | |
| Wesentlich für die Entwicklung dieser [[Fähigkeit]]en ist die [[mensch]]liche [[Aufrichtekraft]], durch die er sich von den [[Tiere]]n, selbst von den [[Primaten]], grundlegend unterscheidet. Das [[Kind]] bildet sie vornehmlich durch [[Nachahmung]] seiner Mitmenschen aus. Hierbei mögen die Spiegelneuronen eine Rolle spielen.
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| | |
| Schon den freien Blick verdankt der Mensch seiner Aufrichtekraft. Sie befreit aber auch die oberen [[Gliedmaßen]] des Menschen von ihrer den Körper tragenden Funktion, die sie beim Tier letztlich immer behalten. Die tierischen Gliedmaßen sind hochspezialisiert. Die menschliche [[Hand]] dagegen ist von ihrer Naturanlage her zu keiner spezifischen Tätigkeit vorgeprägt - aber der Mensch kann sie durch unermüdliche Übung zu vielseitigen geschickten Bewegungsformen ausbilden und wird dadurch zu einem selbstbewusst handelnden Wesen, das nicht mehr bloß instinkgetrieben reagiert, sondern willentlich frei agieren und bewußt die Verantwortung für seine Taten übernehmen kann.
| |
| | |
| Wie eng die Entwicklung der [[Sprache]] mit dem Gebrauch der Hände zusammenhängt, zeigt sich auch an der bemerkenswerten Tatsache, dass das [[Broca-Areal|Brocasche Sprachzentrum]] auch eine neuronale Repräsentation der menschlichen [[Hand]] enthält:
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| {{LZ|Überraschenderweise gibt es im
| |
| Broca-Areal – einer Region im menschlichen Gehirn, die mit
| |
| Sprachverarbeitung sowie dem Hervorbringen und Verstehen von Wörtern
| |
| oder Zeichen zu tun hat – eine Repräsentation der menschlichen Hand. Eine
| |
| Reihe von wissenschaftlichen Studien hat gezeigt, dass mit der Hand oder dem
| |
| Arm ausgeführte Ausdrucksbewegungen und Bewegungen des Munds durch
| |
| ein gemeinsames Bindeglied auf der Ebene des neuronalen Substrats
| |
| miteinander verknüpft sind. Zum Beispiel beeinflussen Greifbewegungen die
| |
| Aussprache – und zwar nicht nur, wenn man sie selbst ausführt, sondern auch
| |
| dann, wenn man sie bloß beobachtet. Es konnte zudem gezeigt werden, dass
| |
| Handgesten und Mundgesten beim Menschen direkt verknüpft sind und dass
| |
| die Bewegungsmuster im Mund- und Rachenraum und in der
| |
| Kehlkopfmuskulatur, die wir beim Sprechen erzeugen, ein Teil dieser
| |
| Verknüpfung sind.|Metzinger, S. 238f.}}
| |
| | |
| [[William S. Condon]] entdeckte gemeinsam mit Louis W. Sander schon in den 1970er Jahren an der [[WikipediaEN:Boston University School of Medicine|Boston University School of Medicine]], dass Babys ihre Bewegungen mit der gehörten Sprache der Erwachsenen synchronisieren. Wie er mittels Hochgeschwindigkeitskameras feststellte, führt der gesamte menschliche Körper beim Sprechen charakteristische Mikrobewegungen aus. Überraschenderweise werden diese Mikrobewegungen unbewusst von dem zuhörenden Menschen mit einer minimalen Zeitverzögerung synchron nachgeahmt. Dies ist auch der Fall, wenn man auf Tonband festgehaltene Sprache hört. Condon dokumentierte diese linguistisch-kinesischen Seiten des menschlichen Verhaltens über einen Zeitraum von dreißig Jahren<ref>Lutzker, S. 61</ref>.
| |
| | |
| {{LZ|Condon stieß auf einen bis dahin unbekannten Vorgang, der gesetzmäßig
| |
| mit dem Sprechen verknüpft: ist, sich aber nur mit moderner Technik
| |
| aufdecken ließ: Während des Sprechvorgangs, so stellte er fest, vollführt
| |
| der gesamte Körper des Sprechers winzige Bewegungen, die der gewöhnlichen
| |
| Beobachtung entgehen. Zu diesem Resultat kam er, indem
| |
| er Menschen beim Sprechen mit Hochgeschwindigkeitskameras (30 und
| |
| 48 Bilder pro Sekunde) filmte und anschließend die Einzelbilder einer
| |
| aufwendigen Mikroanalyse unterzog. Die Analyse ergab, dass die feinen
| |
| Bewegungen (''Mikrokinesik'') genau synchron mit dem Sprechakt ablaufen
| |
| und die gesamte Körpermuskulatur betreffen, vorn Kopf bis zu den
| |
| Füßen. Im Fortgang seiner Forschungen spielte Condon die Signale der
| |
| Tonspur synchron als Lichtsignale auf den Film (ein Verfahren, das vom
| |
| Kinofilm bekannt war), sodass er bei jedem einzelnen der 30 oder 48 Bilder
| |
| pro Sekunde genau sehen konnte, bei welchen Lauten im Sprechfluss
| |
| welche gestischen Bewegungen an der Körperoberßäche auftraten. Dadurch
| |
| ließ sich eindeutig belegen, dass es sich bei den Mikrobewegungen
| |
| nicht um eine belanglose Begleiterscheinung handelt, sondern um eine
| |
| bis in die letzten Feinheiten reichende vollständige Kongruenz von Ton
| |
| und Bewegung...
| |
| | |
| Die größte Überraschung aber stand Condon noch bevor: Als er beiläufig
| |
| die Kamera während eines Dialogs auf beide Partner richtete, musste
| |
| er feststellen, dass der hörende Mensch auf die wahrgenommene Sprache
| |
| mit eben denselben feinen Bewegungen antwortet, die der Sprecher unbewusst
| |
| vollführt, ebenfalls vorn Kopf bis zu den Füßen, und genau synchron
| |
| zu den gesprochenen Lauten, mit einer minimalen Zeitverzögerung
| |
| von 40 bis 50 Millisekunden, die für den Weg vom Mund zum Ohr des
| |
| anderen benötigt werden<ref>„Diese synchronen Bewegungen werden allerdings nicht immer an denselben Körperteilen
| |
| wahrnehmbar. Aus Condons Filmaufnahmen ist zu ersehen, dass Bewegungen,
| |
| die beim Sprecher an bestimmten Regionen des Oberkörpers auftreten,
| |
| sich beim Zuhörer beispielsweise auch in den Bewegungen der Zehen zeigen können,
| |
| was jedoch nichts daran ändert, dass der Bewegungsduktus genau gleich ist.“</ref>. Eine bewusste Reaktion ist da mit Sicherheit
| |
| auszuschließen. Condon beschrieb diese erstaunliche Synchronizität von
| |
| Sprech- und Hörbewegungen mit den Worten: «Bildlich gesehen ist es,
| |
| als ob der ganze Körper des Hörers in präziser und fließender Begleitung
| |
| zur gesprochenen Sprache tanzte.»<ref>William S. Condon: ''An Analysis of Behavioral Organization'', in: ''Sign Language Studies'' 13 (1976); Neuauflage: ''Sign Language Studies'' 59 (1988), S. 59.</ref>|Patzlaff, S. 148f.}}
| |
| | |
| Durch die Geschicklichkeit seiner Hände wird der Mensch auch zum Werkzeugmacher und Handwerker. Im künstlerischen Bilden vereinigt sich seelischer Ausdruck mit handwerklicher Geschicklichkeit. In der menschlichen [[Gestik]] steigert sich die freie Bewegung der oberen Gliedmaßen schließlich zum reinen Ausdruck inneren seelischen Erlebens, wie es ähnlich auch bei der [[Mimik]] der Fall ist. Tiere haben beides nicht. Nur in dem beständigen Wechselschlag von rein seelischem Erleben und geschickter äußerer Gestaltungsfähigkeit kann sich überhaupt ein reiches Seelenleben entwickeln, das weit über die engen Grenzen der tierischen [[Erlebnis]]fähigkeit hinausragt und dadurch erst den Menschen zum wirklichen Menschen macht. Auch das menschliche [[Denken]] kann sich nur auf diesem Wege entwickeln. Wer mit seiner Aufrichtekraft als Kind nicht um einen sicheren Stand in der äußeren räumlichen Welt gerungen hat, dem wird es später auch an [[Verstand]] mangeln. Wer sich nicht im geschickten Greifen geübt hat, dem wird später auch das [[Begreifen]] schwer fallen. Wem die räumliche Orientierung mangelt, wird auch bei seinen Gedankengängen leicht den Weg verlieren. Das Verstandesdenken ist im Grunde nichts andres als ein vergeistigtes Handeln im rein seelisch erlebten [[Vorstellungsraum]] - und am realen Handeln im äußeren sinnlichen Raum wird es erübt.
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| == Kritik ==
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| Grundsätzlich kritisiert wurde das Spiegelneuronenkonzept von [[Patricia Churchland]]. So komplexe Dinge wie die Absichten anderer könnten nur durch mindestens ebenso komplexe neuronale Netzwerken repräsentiert werden, nicht jedoch durch einzelne Neuronen<ref>[[Patricia Churchland|Patricia S. Churchland]]: ''Braintrust: What Neuroscience Tells Us about Morality''. Princeton University Press 2011, 288 S. ISBN 978-0691137032, S. 142</ref>.
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| == Literatur ==
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| | |
| * Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia, Friedrich Griese (Übers.): ''Empathie und Spiegelneurone: Die biologische Basis des Mitgefühls'', Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008, ISBN 3-518-26011-1
| |
| * William S. Condon: ''Method of microanalysis of sound films of behavior.'' In ''Behavioral Research Methods and Instrumentation'', 1970, 2(2), 51-44
| |
| * William S. Condon, Louis W. Sander: ''Synchrony Demonstrated between Movements of the Neonate and Adult Speech.'' In ''Child Development'' Vol. 45, No. 2 (Jun., 1974), 456-462
| |
| * Christian Keysers, Hainer Kober (Übers.): ''Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen'', Bertelsmann Verlag, München 2013, ISBN 978-3-570-00954-3
| |
| *[[Thomas Metzinger]]: ''Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik'', Piper Taschenbuch 2014, ISBN 978-3492305334, eBook ASIN B00GZL6ZT8
| |
| *[[Rainer Patzlaff]]: ''Sprache – das Lebenselixier des Kindes: Moderne Forschung und die Tiefendimensionen des gesprochenen Wortes'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2017, ISBN 978-3772528583
| |
| *[[Peter Lutzker]]: ''Der Sprachsinn. Sprachwahrnehmung als Sinnesvorgang'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2017, ISBN 9783772528576, eBook ASIN B075GYZLSD
| |
| * Gilbert Prilasnig: ''Der Zusammenhang von Sprache und Bewegung: Fokus: Heileurythmie'', AV Akademikerverlag 2015, ISBN 978-3639844733
| |
| *Rudolf Steiner: ''Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen'', [[GA 129]] (1992), ISBN 3-7274-1290-9 {{Vorträge|129}}
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| {{GA}}
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| == Einzelnachweise ==
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| <references />
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| [[Kategorie:Neurowissenschaften]] [[Kategorie:Kognitionswissenschaft]] [[Kategorie:Nervensystem]] | |