Genitiv

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Der Genitiv [ˈɡeːnitiːf] (auch [ˈɡɛnitiːf]), seltener Genetiv, veraltet Genitivus, Genetivus, von lat. [casus] genitivus/genetivus, deutsch ‚die Abstammung bezeichnend[er Fall]‘, in der deutschen Schulgrammatik auch 2. Fall, Wes-Fall oder Wessen-Fall; veraltet Zeugefall, ist ein Kasus, und somit eine Deklinationsform, deren typischste Funktion die Markierung von Attributen ist (also von Substantiv[grupp]en, die von einem anderen Substantiv abhängen). Beispiele im Standarddeutschen sind: „das Haus des Nachbarn“, „der Klang einer fernen Glocke“. Daneben tritt der Genitiv auch bei Ergänzungen von Präpositionen, Adjektiven und Verben auf, sowie in bestimmten adverbiellen Funktionen.

In den meisten deutschen Dialekten findet sich der Genitiv höchstens noch bei Personennamen und Verwandtschaftsbezeichnungen sowie in festen Wendungen. Eine Ausnahme stellen etliche Mundarten des Walliser- und Walserdeutschen dar, die zumindest noch bis in die jüngere Vergangenheit über einen vollumfänglich funktionablen Genitiv verfügten.[1] Dialektal weit verbreitet sind stattdessen Konstruktionen mit dem Dativ, beispielsweise „dem Nachbarn sein Haus“.

Sprachliche Funktionen des Genitivs

Im Genitiv stehen Wortgruppen, die ein Eigentums- oder Besitzverhältnis ausdrücken (possessives Objekt). In der Wortgruppe das Haus des Nachbarn steht des Nachbarn im Genitiv. Mit der Frage „Wessen Haus ist das?“ kann das Genitivattribut bestimmt werden. Dieser Gebrauch des Genitivs wird in der Grammatik als genitivus possessivus bezeichnet. In der Funktion als Bezeichner von Attributen in dieser possessiven Bedeutung (Possessivgenitiv) kommt der Genitiv im Deutschen am häufigsten vor. In der Universalienforschung wird er deshalb auch als Possessivmarkierung bezeichnet.

Daneben werden in der Grammatik folgende weitere Funktionen des Genitivs unterschieden, die in der deutschen Sprache vorkommen.

  • genitivus qualitatis (Genitiv der Beschaffenheit / Eigenschaft) – der Genitiv bezeichnet eine Eigenschaft: „Ticket zweiter Klasse“, „eine Freude kurzer Dauer“
  • genitivus partitivus – der Genitiv drückt eine Beziehung des Anteils aus: „die Hälfte des Kuchens“, „zwei der Töchter“, „der älteste Sohn der Familie“, „die andere Seite der Medaille“, „der Süden des Landes“. Ein zutreffenderer, aber weniger verbreiteter Name ist genitivus totius, da der Genitiv das Ganze bezeichnet, von dem ein Teil weggenommen wird.
  • genitivus subiectivus – das Genitiv-Attribut ist Quelle einer Handlung: „der Rat des Freundes“, „die Reaktion des Körpers“
  • genitivus obiectivus – das Genitiv-Attribut ist Ziel einer Handlung: „Beachtung des Gesetzes“, „die Bestrafung des Verräters“
  • genitivus explicativus / definitivus (erläuternder Genitiv / Definitionsgenitiv) – der Genitiv erklärt oder beschreibt ein anderes Objekt näher: „Strahl der Hoffnung“, „die Strafe der Verbannung“
  • genitivus hebraicus / superlativus – der Genitiv steigert die Bedeutung des Objekts und drückt seinen höchsten Grad aus: „das Buch der Bücher“
  • genitivus auctoris (Genitiv des Urhebers) – der Genitiv gibt eine Urheberschaft an: „Beethovens 1. Symphonie“

Funktion des Genitivs in anderen Sprachen

In verschiedenen Sprachen gibt es unterschiedliche Anwendungen des Genitivs. So erfordern beispielsweise in der russischen Sprache die Zahlwörter два, три und четыре („zwei“, „drei“ und „vier“) den Genitiv Singular. Мне два года. – Ich bin zwei Jahre alt. Zahlen von fünf bis zwanzig fordern den Genitiv Plural, einundzwanzig den Nominativ, weil die Zahl auf eins endet, zweiundzwanzig bis vierundzwanzig wieder den Genitiv Singular (Мне двадцать два года. – Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt.) Es folgt wieder Genitiv Plural bis 30, es wiederholt sich alles bei jeder weiteren Dekade bis hundert, der Nominativ bei hunderteins und so weiter. Im Litauischen drückt der Genitiv im Passiv das Agens aus (possessive Satzkonstruktion, z. B. tėvo sergama – „der Vater ist krank“). In mehreren slawischen Sprachen, z. B. im Slowenischen, wird der Genitiv statt des Akkusativs (aber nicht anderer Fälle) in negierten Sätzen benutzt.

Genitiv als Objekt-Kasus

In der deutschen Sprache wird der Genitiv in seiner Funktion als Genitiv des Objekts von einigen Verben regiert. Beispiele für solche Verben sind: bedürfen, entbehren (oft auch mit Akkusativ), ermangeln, gedenken, harren, pflegen (nur poetisch: der Ruhe pflegen), spotten, sich annehmen, sich bedienen, sich besinnen, sich erfreuen (älter auch: sich freuen), sich erinnern, sich rühmen, sich schämen. Früher standen auch die Objekte der Verben vergessen (noch im Namen Vergissmeinnicht erhalten), warnen, warten und steuern im Genitiv, was noch in älteren Texten zu finden ist.

Satzbeispiele: Sie gedenken der Freunde. Sie erinnert sich ihres letzten Urlaubs. Er erfreut sich bester Gesundheit. Ich bediene mich des Genitivs.

Bei einigen dieser Verben ist es auch möglich, eine Präposition anstatt der Genitivkonstruktion zu verwenden: Sie erinnert sich an ihren letzten Urlaub. Er spottet über die Anwesenden. Sie erfreuen sich an den Blumen.

Bei zahlreichen Verben der Rechts- und Gerichtssprache steht die Person im Akkusativ und die Sache im Genitiv (vgl. den genitivus criminis in der lateinischen Sprache). Beispiele sind: jemanden einer Sache verdächtigen, anklagen, beschuldigen, bezichtigen, zeihen, überführen; aber auch jemanden einer Sache berauben, entheben, entsetzen, verweisen.

Genitiv bei Präpositionen

Norm

Viele deutsche Präpositionen fordern ebenfalls den Genitiv. Manche von ihnen repräsentieren einen „geschraubten“ Kanzleistil. Im Laufe der Sprachgeschichte hat sich die Zahl der Präpositionen, die den Genitiv verlangen, stark erhöht, sei es infolge der Entwicklung vom Substantiv zur Präposition (etwa „Trotz“ zu „trotz“), infolge von Univerbierungstendenzen (etwa „mit Hilfe“ zu „mithilfe“) oder aber infolge des Wechsels der Rektion (etwa im Fall von „längs“).

Beispiele für Präpositionen mit Genitiv sind: abseits, abzüglich, anfangs, angesichts, anhand, anlässlich, anstatt, anstelle, aufgrund, ausgangs, ausschließlich, außerhalb, auswärts, ausweislich, bar, begierig, behufs, beiderseitig, beiderseits, beidseits, bergseits, betreffs, bezüglich, binnen (auch mit Dativ), dank (auch mit Dativ), diesseits, eingangs, eingedenk, einschließlich, einwärts, ende, exklusive, fähig, im Falle, fernab, frei, froh, fündig, geachtet, gedenk, gelegentlich, gewahr, gewärtig, gewiss, gewohnt, habhaft, halber, hinsichtlich, hinsichts, infolge, inklusive, inmitten, innerhalb, innert, inwärts, jenseits, kraft, kundig, längs, längsseits, laut (auch mit Dativ), ledig, linkerhand, linkerseits, links, linksseitig, mächtig, mangels, mithilfe, mittels, müde, namens, nördlich, nordöstlich, nordwestlich, ob (also: ob des erlittenen Verlustes), oberhalb, östlich, im Rahmen, rechterhand, rechts, rechtsseitig, satt, seitab, seitwärts, schuldig, seitens, seitlich, sicher, statt, an … statt, südlich, südöstlich, südwestlich, teilhaft, teilhaftig, trotz (auch mit Dativ), überdrüssig, um … willen, unbenommen, unbeschadet, ungeachtet, ungedenk, unkund, unkundig, unteilhaft, unterhalb, unweit, unwert, unwürdig, aus Ursachen, verdächtig, verlustig, vermittels, vermöge, voll, voller, vonseiten, vorbehaltlich, während, wegen, weitab, wert, westlich, würdig, zeit, zufolge, zugunsten, zulasten, zuseiten, zuungunsten, zuzüglich, zwecks. In früherer Zeit wurde bei nachgestelltem ohne der Genitiv verwendet, noch erhalten in zweifelsohne.

Einige dieser Adpositionen fordern den Dativ, wenn sie nachgestellt stehen (Postpositionen): dem Kläger zufolge, zugunsten. Nur wenn die genannten Worte als Präposition verwendet werden, verlangen sie immer den Genitiv: Er betrat den Garten anstatt des Hofes. Beispielsweise kann anstatt auch als Konjunktion verwendet werden und regiert keinen Kasus, der darauf folgende Kasus hängt vom Verb ab: Er betrat den Garten anstatt den Hof.

Umgangssprachliche Ersetzungen und gegenläufige Entwicklungen

Bei gängigen Präpositionen wie während wird der Genitiv in der Umgangssprache gelegentlich auch durch den Dativ ersetzt. Im südlichen deutschen Sprachraum wird die Präposition wegen stets mit Dativ verwendet, beispielsweise wegen dem schlechten Wetter, was jedoch allgemein nicht als korrekt angesehen wird.[2][3]

Doch auch die umgekehrte Entwicklung ist zu beobachten. Im Bemühen um einen besonders gehoben und offiziell erscheinenden Sprachstil in Rundfunk und Presse werden gelegentlich Präpositionen, die in der Standardsprache den Dativ (entsprechend, entgegen, gegenüber, gemäß, nahe) oder den Akkusativ (betreffend) verlangen, fälschlich mit dem Genitiv verbunden.[4][5] Auch entwachsen in der Kanzleisprache aus Hauptwörtern neu gebildete Präpositionen, etwa behufs, kraft, seitens.

Standardsprachliche Ersetzungen

Ungeachtet solcher Tendenzen wird der Genitiv bei Präpositionen immer durch den Dativ ersetzt, wenn ein Nomen im Plural weder durch einen Artikel noch ein Adjektiv mit Fallendungen begleitet wird und somit am Nomen allein nicht zu erkennen ist, dass es im Genitiv steht, weil die Form des Genitivs Plural mit der Form des Nominativs Plural übereinstimmt. So heißt es zwar wegen Hagels mit in den Genitiv gesetztem Nomen, pluralisch dagegen wegen Hagelschauern – hier muss der Dativ stehen, da der Genitiv im Plural („Hagelschauer“) allein am Nomen nicht erkannt werden kann.

In bestimmten Verbindungen kann bei Präpositionen, die sonst den Genitiv fordern, standardsprachlich der Dativ verwendet werden, wie bei wegen manchem.[6]

Attributiver Genitiv

Ein Genitiv kann auch ein Attribut markieren. Es hängt syntaktisch vom Bezugswort ab.

Der Genitiv wird im Deutschen üblicherweise nachgestellt:

  • die Segel des Schiffes
  • der Bauch des Architekten

Der Genitiv kann auch vorangestellt werden. Diese Stellungsvariante wird als „vorangestelltes Genitivattribut“ bezeichnet. Daneben kommt der aus der englischen Grammatikbeschreibung übernommene Begriff „sächsischer Genitiv“ vor, da diese Konstruktion im Englischen aus dessen Vorstufe Angelsächsisch stammt (vgl. englisch my father’s house). Das vorangestellte Genitivattribut wird im heutigen Deutsch fast ausschließlich bei Eigennamen (und als Eigennamen fungierenden Nomen) sowie in festen Wendungen verwendet. Das Bezugswort steht immer ohne Artikel. Adjektive des Bezugswortes werden stark dekliniert.

  • Peters Freundin
  • Annas lustiger Hund
  • Vaters neues Auto
  • Viele Hunde sind des Hasen Tod.
  • Der Mensch ist des Menschen Wolf.
  • Das ist des Rätsels Lösung.

In älterer oder poetischer Sprache ist der vorangestellte Genitiv mehr verbreitet:

  • Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Luther und Zürcher Bibel; Einheitsübersetzung: … bis zum Ende der Welt.)
  • Des Knaben Wunderhorn
  • Des Kaisers neue Kleider
  • meines Vaters Haus
  • meiner Tochter Kleid

Dativ und Akkusativ gibt es nicht in dieser Form als Attribute. In elliptischer Form können sie allein stehen, etwa der Dativ als elliptisches Dativ-Objekt auf Briefumschlägen: Herrn Meier (soll dieser Brief zugestellt werden) oder der Akkusativ als adverbiale Bestimmung der Zeit: Wie lange bleibst du? – (Ich bleibe) den ganzen Tag.

Form des Genitivs

Frage: „Wessen Blätter liegen auf dem Boden?
Antwort: „Die Blätter des Baumes liegen auf dem Boden.“

Frage: „Wessen Geräusche sind zu hören?
Antwort: „Die Geräusche des Autos sind zu hören.“

Frage: „Wessen Bild steht auf der Kommode?
Antwort: „Das Bild der Familie steht auf der Kommode.“

Frage: „Wessen Duft kannst du riechen?
Antwort: „Ich kann den Duft der Blumen riechen.“

Frage: „Wessen Mobiltelefon klingelt?
Antwort: „Marias Mobiltelefon klingelt.“

Frage: „Wessen Dach brennt?
Antwort: „Des kleinen, roten Hauses Dach brennt.“ (veraltet)

Besonderheiten

  • Wenn ein Eigenname auf einem S-Laut endet und kein Artikel, Possessivpronomen oder dergleichen davor steht, wird zur schriftlichen Kennzeichnung des Genitivs gemäß § 96 der Regeln zur Deutschen Rechtschreibung der Apostroph verwendet. Endungen können folgende sein: s (Klaus’), ss (Grass’), ß (Weiß’), tz (Katz’), z (Merz’), x (Marx’) und ce (Bruce’).
    • Zu beachten ist, dass die genannten Buchstaben nur dann den Genitiv durch Apostrophierung bilden, wenn ihnen auch tatsächlich der Laut [s] entspricht oder er stumm bleibt; wenn nicht, wird in der geschriebenen ebenso wie in der gesprochenen Sprache ganz normal ein s angehängt, so etwa Miloševićs, nicht *Milošević (ebenso wie Millowitschs, nicht *Millowitsch) oder Benešs, nicht *Beneš (ebenso wie Bauschs, nicht *Bausch).
      • Eine Ausnahme hiervon stellen lediglich Wörter dar, die auf eines der Grapheme enden, das stumm bleibt. Es wird Jacques’ (und nicht *Jacquess) oder Giraudoux’ (und nicht *Giraudouxs) geschrieben, obwohl in der gesprochenen Sprache durchaus ein [s] angehängt wird ([ˈʒak+s]).
    • Da der Genitiv im Deutschen markierungspflichtig ist, kann der Apostroph bei nachgestellten Genitiven nicht verwendet werden. So ist in dem Syntagma Klaus’ Hund an Wortstellung und Intonation zu erkennen, dass Klaus hier im Genitiv steht; in dem Syntagma der Hund Klaus ist jedoch Klaus nur als der Name des Hundes interpretierbar, und dies kann auch nicht dadurch geändert werden, dass Klaus ein Apostroph hinzufügt wird: *der Hund Klaus’ wäre beim Lesen zwar verständlich, aber ein nicht auszusprechender Text.
    • Sollen stilistisch unglückliche Genitive von Eigennamen, die auf einen S-Laut enden, wie Klaus’ Freund Thomas oder Marx’ „Kapital“ vermieden werden, so kann auf die veraltende Genitivbildung mit -ens zurückgegriffen werden: Klausens Freund Thomas, Marxens „Kapital“. Ferner ist in diesem Fall auch die Umschreibung mit von möglich (analytische Formbildung: Thomas, der Freund von Klaus, „Das Kapital“ von Marx).
  • Bei festen Wendungen mit Namen wird der Genitiv oft durch ein mit dem Suffix -sch (aus -isch) gebildetes Adjektiv ersetzt: statt Verners Gesetz heißt es vernersches Gesetz oder Verner’sches Gesetz.
  • Bei männlichen und sächlichen Substantiven kann in vielen Fällen (ähnlich wie im Dativ Singular) ein „flüchtiges e“ auftreten. So sind zwei Genitivvarianten möglich. Beispiel: „des Baums“ oder „des Baumes“. Manchmal ist diese Erweiterung obligatorisch: Bspw. „des Schlusses“.
  • In dichterischer Sprache und fest gefügten Wendungen werden von Pronomen noch die älteren, kürzeren Genitivformen verwendet, die seit dem 16. Jahrhundert seltener wurden:[7] Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Die Abtrennung des s durch Apostroph beim Genitiv ist im Deutschen nicht mehr üblich. Sie war bis ins 19. Jahrhundert auch in der geschriebenen und gedruckten deutschen Hochsprache noch verbreitet, von der Preußischen Akademie der Wissenschaften wurden die Werke Kants sogar im 20. Jahrhundert noch unter dem Titel „Kant’s Gesammelte Schriften“ herausgegeben. Mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1901 galt dies als Fehler. Nach reformierter Rechtschreibung (§ 97E der amtlichen Regelung) ist es seit 1996 erlaubt, bei Personennamen vor deren Genitivendung -s einen Apostroph einzufügen, um damit die Grundform zu verdeutlichen: Carlo’s Taverne.[8]

Beispiele für Genitiv-s

Frage: „Wessen Uhr ist defekt?
Antwort: „Hans’ Uhr ist defekt.“ oder auch: „Hansens Uhr ist defekt.“

Frage: „Von wessen Wunderland wird erzählt?
Antwort: „Von Alice’ Wunderland wird erzählt.“

Alternative Bildung des Genitivs

Der Possessivgenitiv kann im Deutschen durch präpositionale Fügungen mit von ersetzt werden (also: die Werke von Goethe). Dies geschieht vor allem in der Umgangssprache. Außerdem wird durch die Konstruktion mit von regelmäßig die Unbestimmtheit von Pluralausdrücken wiedergegeben, wenn der Genitiv nicht durch ein Adjektiv- oder Zahlattribut markiert werden kann: eine Mutter von vier Kindern statt: die Mutter der vier Kinder. Die Zahlwörter zwei und drei haben zwar noch eigene Genitivformen, die jedoch (vor allem in der Umgangssprache) oft vermieden werden (eine Mutter von drei Kindern anstatt eine Mutter dreier Kinder).

Stehen mehrere Attribute nebeneinander, werden die Genitiv- und die von-Konstruktionen zur stilistischen Variation benutzt (am Tag von Marias Hochzeit anstatt am Tag der Hochzeit Marias). Die von-Konstruktion bietet auch einen Ausweg, wenn kein Wort die Genitivendung tragen kann (das Geschrei von Gänsen; das Geschrei der Gänse dagegen beinhaltet nicht die Unbestimmtheit).

Eine weitere Form zur Anzeige des Besitzverhältnisses, die nur in der Umgangssprache und in Dialekten genutzt wird, ist eine Form im Dativ mit nachgestelltem besitzanzeigenden Pronomen: unsrer Oma ihr klein’ Häuschen, dem Vater sein Auto, Ernst Kuzorra seine Frau ihr Stadion (Johannes Rau). Sie wird jedoch in der Standardsprache vermieden, da sie von den meisten Sprechern als inkorrekt empfunden wird. Diese Form ist in vielen germanischen Sprachen verbreitet und ist im Englischen als „his-Genitiv“ bekannt. Die heutige Schreibung des englischen Genitivs unter Zuhilfenahme eines Apostrophs, etwa father’s house „Vaters Haus“, ist eine Umdeutung des mittels des Morphems s gebildeten Genitivs als Kontraktion des his-Genitivs (father his house „Vater sein Haus“). Der auch im Skandinavischen weit verbreitete Genitiv dieser Art, etwa far sin hat „Vaters Hut“ beziehungsweise „Vater sein Hut“, ist dem Niederdeutschen entlehnt und wird im Norwegischen als garpegenitiv „Genitiv nach Art der in Bergen niedergelassenen Hanseaten“ bezeichnet.[9]

Genitiv und semantische Funktionen

In der linguistischen Forschung zum Kasus wird diesem von etlichen Linguisten eine semantische Funktion zugewiesen.[10][11] Die Kasusfunktion wiederum beschreibt, welche Funktion der jeweilige Kasus im Satz hat. Laut Franz Wüllner bezeichnet der Genitiv den Punkt, von (an) welchem die Bewegung beginnt, oder den Gegenstand, von dem etwas ausgeht.[12]

Siehe auch

Weblinks

 Wiktionary: Genitiv – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Genitivattribut – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Genitivobjekt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Vgl. etwa Walter Henzen: Der Genitiv im heutigen Wallis. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 56, 1931, S. 91–138.
  2. Die Verwendung des Dativs wohl befürwortend, aber als umstritten darstellend: Präpositionen mit Genitiv Stichwort „wegen“, Canoo.net
  3. allgemein anerkannte Form: wegen des schlechten Wetters (Genitiv)
  4. Brigitte Grunert: Problemfall Wem-Fall in Der Tagesspiegel, 10. Februar 2008, abgerufen am 20. April 2016.
  5. Hans Bickel, Christoph Landolt: Duden. Schweizerhochdeutsch. Wörterbuch der Standardsprache in der deutschen Schweiz. Hrsg. vom Schweizerischen Verein für die deutsche Sprache. Dudenverlag Mannheim/Zürich 2012, S. 92.
  6. wegen. Duden.de
  7. wer. In: Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch
  8. Überarbeitete Fassung des amtlichen Regelwerks (2006). (PDF) Rat für deutsche Rechtschreibung
  9. Vgl. Bokmålsordboka/Nynorskordboka s. v. garpegenitiv.
  10. Christa Dürscheid: Die verbalen Kasus des Deutschen: Untersuchungen zur Syntax, Semantik und Perspektive. Studia linguistica Germanica, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016492-2, S. 116
  11. Peter Gallmann: Kasus und semantische Rollen. (PDF) Universität Jena, Wintersemester 2014/2015, S. 1–12
  12. Franz Wüllner: Die Bedeutung der sprachlichen Casus und Modi. Coppenrath, Münster 1827, S. 7 (und Ergänzungsblätter zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 1829, S. 155)


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