Qualia

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Farben sind ein klassisches Problem der Qualiadebatte: Wie kommt es, dass bei der Verarbeitung von bestimmten Lichtwellen Farberlebnisse entstehen?
Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Mit dieser Frage regte der Philosoph Thomas Nagel die Debatte um die Qualia neu an.
Farbkreis, Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe.

Als Qualia (von lat. qualis „wie beschaffen“) werden die zunächst subjektiv erscheinenden Erlebnisinhalte des phänomenalen Bewusstseins bezeichnet. Zu den phänomenalen Bewusstseinsinhalten zählen die erlebten Sinnesqualitäten, die auf die Außenwelt verweisen, aber auch rein auf die Innenwelt bezogene Erlebnisse wie Gefühle, Gedanken, Schmerzen usw. Jede Sinnesmodalität - wie etwa Sehen, Hören, Riechen, Schmecken oder Berührungen Fühlen - verfügt über ein breiteres oder engeres Spektrum typischer Qualia, die sich von denen aller anderen Sinnesmodalitäten vollkommen unterscheiden.

Das ungelöste Rätsel der Qualia

Der Begriff der "Qualia" wurde 1866 von dem amerikanischen Philosophen Charles S. Peirce[1] geprägt, aber erst 1929 durch C. I. Lewis in dem Buch Mind and the World Order[2] im heute gebräuchlichen Sinn verwendet. Das Problem der Qualia steht im Zentrum der modernen Philosophie des Geistes, die sich damit an eine Erkenntnisgrenze gestellt sieht und vielfach davon ausgeht, dass dieses Problem grundsätzlich nicht mit den Mitteln der Neuro- und Kognitionswissenschaften gelöst werden kann. Tatsächlich muss für eine rein materialistische Weltsicht das Phänomen der Qualia rätselhaft bleiben. 1868 schrieb der Physiker John Tyndall (1820-1893):

„Aber der Übergang vom physikalischen Gehirn zu den entsprechenden Tatsachen des Bewusstseins ist als Resultat mechanischer Vorgänge nicht vorstellbar. Angenommen, ein bestimmter Gedanke und ein bestimmter molekularer Vorgang im Gehirn treten gleichzeitig auf, so besitzen wir doch nicht das intellektuelle Organ, ja nicht einmal ein Bruchstück eines solchen Organs, das uns ermöglichen würde, durch Überlegung von dem einen Phänomen zum anderen zu gelangen. Sie treten zusammen auf, aber wir wissen nicht, warum. Wäre unser Geist, wären unsere Sinne so ausgedehnt, stark und erleuchtet, dass wir die einzelnen Moleküle des Gehirns sehen und spüren könnten, wären wir fähig, all ihren Bewegungen, Gruppierungen und elektrischen Entladungen zu folgen, so es diese denn gibt, und wären wir intensiv vertraut mit den entsprechenden Zuständen des Denkens und Fühlens, wären wir doch so weit wie immer davon entfernt, das Problem „Wie sind diese physikalischen Vorgänge mit den Tatsachen des Bewusstseins verknüpft?“ zu lösen. Die Kluft zwischen den beiden Klassen von Phänomenen bliebe intellektuell dennoch unüberwindbar. Nehmen wir beispielsweise an, das Bewusstsein für Liebe sei mit einer rechtsdrehenden Spiralbewegung der Moleküle des Gehirns verknüpft, und das Bewusstsein für Hass mit einer linksdrehenden Spiralbewegung. Wir müssten dann wissen, dass die Bewegung in eine Richtung verläuft, wenn wir lieben, und in die andere, wenn wir hassen. Das „WARUM?“ aber wäre so wenig zu beantworten als zuvor.“

John Tyndall: Fragments of Science, S. 94f[3]

Auf diese Problematik wies auch 1872 der Physiologe Emil Heinrich Du Bois-Reymond in seiner berühmten Ignorabimus-Rede hin:

„Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: "Ich fühle Schmerz, ruhte Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot," und der ebenso unmittelbar daraus fließenden Gewißheit: "Also bin ich"? Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne.“

Emil Du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens, S 458

Die Welt an sich, so meint man, sei finster, stumm, geruch- und geschmacklos und weder warm noch kalt, wirklich sei nur, was nach Maß und Zahl zu fassen ist. So schreibt etwa der Neurowissenschaftler David Eagleman:

„Aber wie sieht die Welt da draußen wirklich aus? Sie ist nicht nur farblos, sondern auch stumm: Der Druck und die Ausdehnung der Luft wird von den Ohren registriert und in elektrische Signale verwandelt. Das Gehirn stellt uns diese Signale als liebliche Klänge, Rascheln, Klappern und Klirren dar. Die Wirklichkeit ist außerdem geruchlos: Außerhalb unseres Gehirns gibt es keine Gerüche. Es gibt nur Moleküle, die durch die Luft schweben, sich mit Rezeptoren in unserer Nase verbinden und von unserem Gehirn als unterschiedliche Gerüche interpretiert werden. Die wirkliche Welt ist nicht voller sinnlicher Ereignisse; es ist unser Gehirn, das die Welt mit seiner eigenen Sinnlichkeit auflädt.“ (Lit.: Eagleman, S. 79)

Zu derartigen Vorstellungen bemerkt Rudolf Steiner:

„Die moderne Naturwissenschaft versetzt ein unwirkliches Abstraktum, ein aller Empfindungsqualitäten entkleidetes, schwingendes Substrat in den Raum und wundert sich, dass nicht begriffen werden kann, was den vorstellenden mit Nervenapparaten und Gehirn ausgestatteten Organismus veranlassen kann, diese gleichgültigen Bewegungsvorgänge in die bunte, von Wärmegraden und Tönen durchsetzte Sinnenwelt zu übersetzen. Du Bois-Reymond nimmt deshalb an, dass der Mensch wegen einer unüberschreitbaren Grenze seines Erkennens nie verstehen werde, wie die Tatsache: «ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot», zusammenhängt mit bestimmten Bewegungen kleinster Körperteile im Gehirn, welche Bewegungen wieder veranlasst werden durch die Schwingungen der geschmack-, geruch-, tonund farbenlosen Elemente der äußeren Körperwelt. «Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, dass es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden.» («Grenzen des Naturerkennens», Leipzig 1882, 5.33 f) Es liegt aber hier durchaus keine Erkenntnisgrenze vor. Wo im Raume eine Anzahl von Atomen in einer bestimmten Bewegung ist, da ist notwendig auch eine bestimmte Qualität (z.B. Rot) vorhanden. Und umgekehrt, wo Rot auftritt, da muss die Bewegung vorhanden sein. Nur das abstrahierende Denken kann das eine von dem andern trennen. Wer die Bewegung von dem übrigen Inhalte des Vorganges, zu dem die Bewegung gehört, in der Wirklichkeit abgetrennt denkt, der kann den Übergang von dem einen zu dem andern nicht wieder finden.

Nur was an einem Vorgang Bewegung ist, kann wieder von Bewegung abgeleitet werden; was dem Qualitativen der Farben- und Lichtwelt angehört, kann auch nur auf ein ebensolches Qualitatives innerhalb desselben Gebietes zurückgeführt werden. Die Mechanik führt zusammengesetzte Bewegungen auf einfache zurück, die unmittelbar begreiflich sind. Die Farbentheorie muss komplizierte Farbenerscheinungen auf einfache zurückführen, die in gleicher Weise durchschaut werden können.“ (Lit.:GA 6, S. 173f)

Der Philosoph Thomas Nagel trat mit seinem 1974 veröffentlichten Aufsatz "What is it like to be a bat?"[4] (Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?) allen reduktionistischen Bestrebungen zur Erklärung der Qualia energisch entgegen. Die Naturwissenschaft sei methodisch auf die objektive Außenperspektive festgelegt und könne daher das subjektive Erleben niemals erfassen. So mögen wir etwa noch so genau die Prozesse studieren, die im Gehirn einer Fledermaus ablaufen, wenn sie sich im Raum mit HIlfe der Echolotung orientiert. Wie es sich aber im subjektiven Erleben der Fledermaus anfühlt, ein Objekt auf diese Weise wahrzunehmen, werden wir dadurch niemals erfahren.

Qualia-Rätsel - nur ein Scheinproblem?

Eine Argumentation in der heutigen Qualia-Diskussion im Rahmen der Philosophie des Geistes ist, daß das Qualia-Problem ein künstlich erzeugtes Pseudo-Problem der Philosophie sei, dem nichts Reales entspreche. Ein Vertreter der Nichtexistenz des Qualiaproblems ist Daniel Dennett. Eine Schiene dieser Argumentation sieht die Quelle des angeblichen Qualia-Problems in dem cartesianischen Dualismus, der unbefragt vorausgesetzt werde. Als Alternative zu dem cartesischen Dualismus werden die Ansichten Wittgensteins ins Feld geführt, der die Innen-Aussen-Differenz des Bewußtseins verneint habe.

Goethes Farbenlehre

Einen ganz anderen und auch heute noch wenig verstandenen Weg ging Goethe mit seiner Farbenlehre. Er hat damit die Grundlage für den Goetheanismus geschaffen, einer wissenschaftlich exakten Betrachtung der Natur, die sich vom herkömmlichen naturwissenschaftlichen Ansatz in wesentlichen Punkten unterscheidet. Bei diesem steht die quantitative Erfassung der Naturerscheinung im Vordergrund. "Messen, was messbar ist, und messbar machen, was nicht messbar ist", war hier seit Galilei der oberste Grundsatz. Goethe strebte demgegenüber nach einer systematischen reinen Phänomenologie der sinnlich erfahrbaren Erscheinungen. Das qualitative Element steht im Vordergrund. Die Qualia selbst, die bei der Farbwahrnehmung unmittelbar erlebten Sinnesqualitäten, die bei der herkömmlichen naturwissenschaftlichen Methode als vorgeblich rein subjektive Erscheinungen aus der wissenschaftlichen Theorienbildung völlig ausgeklammert werden, rücken bei Goethe gerade in den Mittelpunkt der durchaus objektiven naturwissenschaftlichen Betrachtung.

Die seelische Realität der Qualia

Die objektive Realität der Sinnesqualitäten hat Rudolf Steiner schon in seinen «Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften» ausführlich besprochen:

„Wir wollen einmal die Tatsachen ganz objektiv untersuchen. Nehmen wir an, es trete eine bestimmte Empfindung in unserem Bewusstsein auf. Sie tritt dann zugleich so auf, dass sie uns auf irgendeinen Gegenstand verweist, von dem sie herstammt. Wenn ich die Empfindung des Rot habe, so verbinde ich, kraft des Inhaltes dieser Vorstellung, in der Regel damit zugleich ein bestimmtes Ortsdatum, d. i. eine Stelle im Raume, oder die Oberfläche eines Dinges, der ich das, was diese Empfindung ausdrückt, zuschreibe. Nur dann ist das nicht der Fall, wenn durch einen äußeren Einfluss das Sinnesorgan selbst in der ihm eigentümlichen Weise antwortet, wie wenn ich bei einem Schlag aufs Auge eine Lichtempfindung habe. Von diesen Fällen, in denen die Empfindungen übrigens niemals mit ihrer sonstigen Bestimmtheit auftreten, wollen wir absehen. Sie können uns ja, als Ausnahmefälle, über die Natur der Dinge nicht belehren. Habe ich die Empfindung des Rot mit einem bestimmten Ortsdatum, so werde ich zunächst an irgendein Ding in der Außenwelt als den Träger dieser Empfindung verwiesen. Ich kann mich nun ja wohl fragen: Welche räumlich-zeitlichen Vorgänge spielen sich in diesem Dinge ab, während es mir als mit der roten Farbe behaftet erscheint? Es wird sich mir dann zeigen, dass mechanische, chemische oder andere Vorgänge als Antwort auf meine Frage sich darbieten. Nun kann ich weitergehen und die Vorgänge untersuchen, die sich auf dem Wege von jenem Dinge bis zu meinem Sinnesorgane vollzogen haben, um die Empfindung der roten Farbe für mich zu vermitteln. Da können sich mir nun doch auch wieder nichts anderes als Bewegungsvorgänge oder elektrische Ströme oder chemische Veränderungen als solche Vermittler darstellen. Das gleiche Resultat müsste sich mir ergeben, wenn ich die weitere Vermittlung vom Sinnesorgane bis zur Zentralstelle im Gehirne untersuchen könnte. Was auf diesem ganzen Wege vermittelt wird, das ist die in Rede stehende Wahrnehmung des Rot. Wie sich diese Wahrnehmung in einem bestimmten Dinge, das auf dem Wege von der Erregung bis zur Wahrnehmung liegt, darstellt, das hängt lediglich von der Natur dieses Dinges ab. Die Empfindung ist an jedem Orte vorhanden, vom Erreger bis zum Gehirne, aber nicht als solche, nicht expliziert, sondern so, wie es der Natur des Gegenstandes entspricht, der an jenem Orte sich befindet.

Daraus ergibt sich aber eine Wahrheit, die geeignet ist, Licht zu verbreiten über die gesamte theoretische Grundlage der Physik und Physiologie. Was erfahre ich aus der Untersuchung eines Dinges, das von einem Prozesse, der in meinem Bewusstsein als Empfindung auftritt, ergriffen wird? Ich erfahre nicht mehr als die Art und Weise, wie jenes Ding auf die Aktion, die von der Empfindung ausgeht, antwortet, oder mit anderen Worten: wie sich eine Empfindung in irgendeinem Gegenstande der räumlichzeitlichen Welt auslebt. Weit entfernt, dass ein solcher räumlich-zeitlicher Vorgang die Ursache ist, der in mir die Empfindung auslöst, ist vielmehr das ganz andere richtig: der räumlich-zeitliche Vorgang ist die Wirkung der Empfindung in einem räumlich-zeitlich ausgedehnten Dinge. Ich könnte noch beliebig viele Dinge einschalten auf dem Wege von dem Erreger bis zu dem Wahmehmungsorgane: in jedem wird hierbei nur dasjenige vorgehen, was in ihm vermöge seiner Natur vorgehen kann. Deshalb bleibt aber doch die Empfindung dasjenige, was sich in allen diesen Vorgängen auslebt.

Man hat also in den longitudinalen Schwingungen der Luft bei der Schallvermittlung oder in den hypothetischen Oszillationen des Äthers bei der Vermittlung des Lichtes nichts anderes zu sehen als die Art und Weise, wie die betreffenden Empfindungen in einem Medium auftreten können, das seiner Natur nach nur der Verdünnung und Verdichtung beziehungsweise der schwingenden Bewegung fähig ist. Die Empfindung als solche kann ich in dieser Welt nicht finden, weil sie einfach nicht da sein kann. In jenen Vorgängen habe ich aber durchaus nicht das Objektive der Empfindungsvorgänge gegeben, sondern eine Form ihres Auftretens. Und fragen wir uns nun: Welcher Art sind denn jene vermittelnden Vorgänge selbst? Untersuchen wir sie denn mit anderen Mitteln als mit Hilfe unserer Sinne? Ja, kann ich denn meine Sinne selbst mit anderen Mitteln als nur wieder mit eben diesen Sinnen untersuchen? Ist die peripherische Nervenendung, sind die Windungen des Gehirnes durch etwas anderes gegeben denn durch Sinneswahrnehmung?

All das ist gleich subjektiv und gleich objektiv, wenn diese Unterscheidung überhaupt als berechtigt angenommen werden könnte. Jetzt können wir die Sache noch genauer fassen. Indem wir die Wahrnehmung von ihrer Erregung bis zu dem Wahmehmungsorgane verfolgen, untersuchen wir nichts anderes als den fortwährenden Übergang von einer Wahrnehmung zur andern. Das «Rot» liegt uns vor als dasjenige, um dessen willen wir überhaupt die ganze Untersuchung anstellen. Es weist uns auf seinen Erreger. In diesem beobachten wir andere Empfindungen als mit jenem Rot zusammenhängend. Es sind Bewegungsvorgänge. Dieselben treten dann als weitere Bewegungsvorgänge zwischen dem Erreger und dem Sinnesorgane auf usw. Alles dieses aber sind gleichfalls wahrgenommene Empfindungen. Und sie stellen nichts weiter dar als eine Metamorphose von Vorgängen, die, soweit sie überhaupt für die sinnliche Beobachtung in Betracht kommen, sich ganz restlos in Wahrnehmungen auflösen.

Die wahrgenommene Welt ist also nichts anderes als eine Summe von metamorphosierten Wahrnehmungen.“ (Lit.:GA 1, S. 267)

Ein wesentliches Hindernis zum Verständnis der Qualia ist, dass man sich seit John Locke daran gewöhnt hat, primäre und sekundäre Sinnesqualitäten zu unterscheiden. Die primären Qualitäten umfassen alles, was räumlich ausgedehnt, zählbar und im Raum beweglich ist, also in etwa das, was Descartes als res extensa bezeichnet hat. Allein diesen Qualitäten wird eine objektive, vom Menschen unabhängige Realität zugesprochen und praktisch allein sie sind seit Galilei Gegenstand der Naturwissenschaft geworden, weil sie den Vorzug haben gut messbar zu sein und sich aufgrund ihrer Zählbarkeit leicht in mathematische Formeln pressen zu lassen. Den sekundären Qualitäten wird hingegen nur ein subjektiver Charakter zugesprochen, wegen etwa Goethe mit seiner wenig verstandenen Farbenlehre energisch protestiert hat.

„Primäre Qualitäten nannte Locke zum Beispiel alles dasjenige, was sich auf die Gestalt der Körper, auf deren geometrische Eigentümlichkeit, auf das Zahlenmäßige bezieht, auf die Bewegung bezieht, auf die Größe und so weiter. Davon unterschied er dann alles dasjenige, was er die sekundären Qualitäten nennt, Farbe, Ton, Wärmeempfindung und so weiter. Und während er die primären Qualitäten in die Dinge selbst hineinverlegt, so daß er annimmt, es seien räumliche, körperliche Dinge da, welche Gestalt haben, geometrische Eigentümlichkeiten haben, Bewegungen haben, nimmt er an, daß alles dasjenige, was sekundäre Qualitäten sind, Farbe, Ton usw., nur Wirkungen auf den Menschen seien. Draußen in der Welt seien nur primäre Qualitäten in den Körpern. Irgend etwas, dem Größe, Gestalt, Bewegung zukommt, das aber finster, stumm und kalt ist, irgend etwas übt eine Wirkung aus, und diese Wirkung drückt sich eben aus darinnen, daß der Mensch einen Ton, eine Farbe, eine Wärmequalität usw. erlebt.“ (Lit.:GA 326, S. 85)

„Wessen Vorstellungsvermögen durch Descartes, Locke, Kant und die moderne Physiologie nicht vom Grund aus verdorben ist, der wird niemals begreifen, wie man Licht, Farbe, Ton, Wärme usw. bloß für subjektive Zustände des menschlichen Organismus ansehen und dennoch das Vorhandensein einer objektiven Welt von Vorgängen außerhalb des Organismus behaupten kann. Wer den menschlichen Organismus zum Erzeuger der Ton-, Wärme-, Farben- usw. -Geschehnisse macht, der muss ihn auch zum Hervorbringet der Ausdehnung, Größe, Lage, Bewegung, der Kräfte usw. machen. Denn diese mathematischen und mechanischen Qualitäten sind in Wirklichkeit mit dem übrigen Inhalte der Erfahrungswelt untrennbar verbunden. Die Abtrennung der Raum-, Zahl- und Bewegungsverhältnisse, sowie der Kraftäußerungen von den Wärme-, Ton-, Farben- und den anderen Sinnesqualitäten ist nur eine Funktion des abstrahierenden Denkens. Die Gesetze der Mathematik und Mechanik beziehen sich auf abstrakte Gegenstände und Vorgänge, die von der Erfahrungswelt abgezogen sind, und können daher auch nur innerhalb der Erfahrungswelt Anwendung finden. Werden aber auch die mathematischen und mechanischen Formen und Verhältnisse für bloß subjektive Zustände erklärt, dann bleibt nichts übrig, was dem Begriffe von objektiven Dingen und Ereignissen als Inhalt dienen könnte. Und aus einem leeren Begriffe können keine Erscheinungen abgeleitet werden.“ (Lit.:GA 1, S. 317)

Das Problem der Qualia resultiert daraus, dass man die Entstehung der sekundären Qualitäten irgendwie aus den primären Qualitäten, die man allein vor objektiv gegeben hält, ableiten will - und daran notwendigerweise scheitert. Wie unsinnig dieses Unterfangen ist, hat Rudolf Steiner deutlich aufgezeigt:

„Da der Mensch ein Ding unter Dingen ist, so müssen die Dinge natürlich auf ihn einen Eindruck machen, wenn er von ihnen etwas erfahren soll. Ein Vorgang außer dem Menschen muß einen Vorgang im Menschen erregen, wenn im Blickfeld die Erscheinung «rot» auftreten soll. Es fragt sich nur, was ist draußen, was ist drinnen? Draußen ist ein in Raum und Zeit ablaufender Vorgang. Drinnen ist aber zweifellos ein ähnlicher Vorgang. Ein solcher ist im Auge und setzt sich ins Gehirn fort, wenn ich «rot» wahrnehme. Der Vorgang, der «drinnen» ist, den kann ich nicht, ohne weiteres, wahrnehmen; ebensowenig, wie ich die Wellenbewegung «draußen» unmittelbar wahrnehmen kann, welche die Physiker der Farbe «rot» entsprechend denken. Aber nur in diesem Sinne kann ich von einem «draußen» und «drinnen» sprechen. Nur auf der Stufe des sinnlichen Erkennens hat der Gegensatz von «draußen» und «drinnen» Geltung. Es führt mich dieses Erkennen dazu, «draußen» einen räumlich-zeitlichen Vorgang anzunehmen, wenn ich diesen auch nicht unmittelbar wahrnehme. Und weiter führt mich das gleiche Erkennen dazu, in mir einen solchen Vorgang anzunehmen, wenn ich auch diesen nicht unmittelbar wahrnehmen kann. Aber ich nehme ja auch im gewöhnlichen Leben räumlich-zeitliche Vorgänge an, die ich nicht unmittelbar wahrnehme. Ich höre z. B. in meinem Nebenzimmer Klavier spielen. Ich nehme deshalb an, daß ein räumliches Menschenwesen am Klavier sitzt und spielt. Und nicht anders ist mein Vorstellen, wenn ich von Vorgängen in mir und außer mir spreche. Ich setze voraus, daß diese Vorgänge analoge Eigenschaften haben, wie die Vorgänge, die in den Bereich meiner Sinne fallen, nur daß sie, wegen gewisser Ursachen, sich meiner unmittelbaren Wahrnehmung entziehen. Wollte ich diesen Vorgängen alle Eigenschaften absprechen, die mir meine Sinne im Bereich des Räumlichen und Zeitlichen zeigen, so dächte ich in Wahrheit so etwas wie das berühmte Messer ohne Griff, dem die Klinge fehlt. Ich kann also nur sagen, «draußen» spielen sich räumlich-zeitliche Vorgänge ab; sie bewirken «drinnen» räumlich-zeitliche Vorgänge. Beide sind notwendig, wenn in meinem Blickfeld «Rot» erscheinen soll. Dieses Rot, insofern es nicht räumlich-zeitlich ist, werde ich vergeblich suchen, gleichgültig, ob ich «draußen» oder «drinnen» suche. Die Naturforscher und Philosophen, die es «drau- ßen» nicht finden können, sollten es auch nicht «drinnen» suchen wollen. Es ist in demselben Sinne nicht «drinnen», in dem es nicht «draußen» ist. Den gesamten Inhalt dessen, was uns die Sinnenwelt darbietet, für eine innere Empfindungswelt erklären, und zu ihr etwas «Äußeres» suchen, ist eine unmögliche Vorstellung. Wir dürfen also nicht davon sprechen, daß «rot», «süß», «heiß» usw. Zeichen seien, die als solche nur in uns erregt werden und denen «außen» etwas ganz anderes entspricht. Denn, was wirklich in uns als Wirkung eines äußeren Vorganges erregt wird, das ist etwas ganz anderes als was in unserem Empfindungsfeld auftritt. Will man das, was in uns ist, Zeichen nennen, so kann man sagen: Diese Zeichen treten innerhalb unseres Organismus auf, um uns die Wahrnehmungen zu vermitteln, die als solche, in ihrer Unmittelbarkeit, weder innerhalb noch außerhalb unser sind, sondern die vielmehr zu der gemeinschaftlichen Welt gehören, von der meine «Außenwelt » und meine «Innenwelt» nur Teile sind. Um diese gemeinschaftliche Welt erfassen zu können, muß ich mich allerdings zu der höheren Stufe des Erkennens erheben, für die es ein «Innen» und «Außen» nicht mehr gibt.“ (Lit.:GA 7, S. 94ff)

Aus anthroposophischer Sicht liegt die eigentliche objektive Realität der Qualia in der Astralwelt begründet. Indem die Qualia vom menschlichen Astralleib aufgenommen werden, treten sie in den Erlebnishorizont des Bewusstseins ein. Sie sind grundlegende seelische Substanzen, die diese Seelenwelt aufbauen, so wie die physischen Substanzen die physische Welt aufbauen. Damit wird aber nicht auf einen grundsätzlichen Substanzdualismus hingewiesen. Wir nennen nur die räumlich ausgedehnten Dinge, indem wir von ihren sekundären Qualitäten wie Farbe, Klang usw. absehen, physisch und die sekundären Qualitäten seelisch. Tatsächlich gehören beide ein und derselben Welt an, die wir nur durch unsere Erkenntnisart in verschiedene Bereiche (physisch, seelisch) gliedern. Tatsächlich gibt es nirgendwo ein reales wahrnehmbares räumliches Ding[5], das sich in der Wechselwirkung mit dem Licht nicht auch farbig zeigen würde. Rudolf Steiner war daher stets ein Vertreter des Monismus, nur beging er nicht den Fehler, diesen ausschließlich auf das physisch-räumliche Geschehen zu beschränken.

„Was ist also die Wahrnehmung? Diese Frage ist, im allgemeinen gestellt, absurd. Die Wahrnehmung tritt immer als eine ganz bestimmte, als konkreter Inhalt auf. Dieser Inhalt ist unmittelbar gegeben, und erschöpft sich in dem Gegebenen. Man kann in bezug auf dieses Gegebene nur fragen, was es außerhalb der Wahrnehmung, das ist: für das Denken ist. Die Frage nach dem «Was» einer Wahrnehmung kann also nur auf die begriffliche Intuition gehen, die ihr entspricht. Unter diesem Gesichtspunkte kann die Frage nach der Subjektivität der Wahrnehmung im Sinne des kritischen Idealismus gar nicht aufgeworfen werden. Als subjektiv darf nur bezeichnet werden, was als zum Subjekte gehörig wahrgenommen wird. Das Band zu bilden zwischen Subjektivem und Objektivem kommt keinem im naiven Sinn realen Prozeß, das heißt einem wahrnehmbaren Geschehen zu, sondern allein dem Denken. Es ist also für uns objektiv, was sich für die Wahrnehmung als außerhalb des Wahrnehmungssubjektes gelegen darstellt.“ (Lit.:GA 4, S. 98f)

Die Sinnesqualitäten sind rein seelischer und nicht physischer Natur, aber wir erfahren sie zunächst nicht in ihrer reinen Gestalt, sondern nur abgeschattet an der Materie. Tatsächlich eröffnet sich der Blick für die Wirklichkeit der Qualia erst der imaginativen Anschauung, die durch entsprechende geistige Übungen erreicht werden kann.

„Mit Bezug auf die Sinneswahrnehmungen ist man aber in eine wahre wissenschaftliche Verwirrung gekommen. Die Menschen meinen vielfach - die Physiologen haben sich in dieser Beziehung sogar den Erkenntnistheoretikern und Philosophen im 19. Jahrhundert angeschlossen -, wenn wir zum Beispiel Rot sehen, so ist der äußere Vorgang irgendein Schwingungsvorgang, der sich fortpflanzt bis zu unserem Sehorgan, bis zum Gehirn. Dann wird ausgelöst das eigentliche Rot-Erlebnis. Oder es wird durch den äußeren Schwingungsvorgang ausgelöst der Ton Cis auf dieselbe Weise. Hier ist man in Verwirrung geraten, weil man dasjenige, was in uns, in unserer Körperbegrenzung lebt, gar nicht mehr von dem Äußeren unterscheiden kann. Hier spricht man durchaus davon, daß alle Sinnesqualitäten, Farben, Töne, Wärmequalitäten, eigentlich nur subjektiv seien; daß das äußere Objektive etwas ganz anderes sei.

Wenn wir nun geradeso, wie wir die drei Raumesdimensionen zunächst aus uns heraus bilden, um sie an und in den Dingen wieder zu finden, wenn wir ebenso dasjenige, was in uns sonst als Sinnesempfindung auftritt, aus uns selbst schöpfen und dann außer uns versetzen könnten, dann würden wir das erst in uns Gefundene in den Dingen ebenso finden, ja, auf uns zurückschauend, es wiederfinden, wie wir das als Raum in uns Erlebte in der Außenwelt finden und auf uns zurückschauend, uns selbst diesem Raume angehörend finden. Wir würden, wie wir die Raumeswelt um uns haben, eine Welt von ineinanderfließenden Farben und Tönen um uns haben. Wir würden sprechen von einer objektivierten farbigen, tönenden Welt, einer flutenden, farbigen, tönenden Welt, so wie wir von dem Raume um uns herum sprechen.

Das kann der Mensch aber durchaus erreichen, daß er diese Welt, die sonst für ihn nur vorliegt als die Welt der Wirkungen, kennenlernt als die Welt seiner eigenen Bildung. Wie wir unbewußt, einfach aus unserer menschlichen Natur heraus, uns die Raumesgestalt ausbilden, um sie dann in der Welt wiederzufinden, indem wir sie erst metamorphosiert haben, so kann der Mensch durch gewisse Übung - das muß er jetzt bewußt ausführen - dazu kommen, aus sich heraus den gesamten Umfang der Qualitäten enthaltenden Welt zu finden, um sie dann wiederzufinden in den Dingen, wiederzufinden zurückschauend auf sich selbst.

Was ich Ihnen hier schildere, das ist das Aufsteigen zu der sogenannten imaginativen Anschauung.“ (Lit.:GA 82, S. 58f)

Trivia

Thomas Metzinger, einer der wenigen deutschsprachigen Philosophen, die auf dem Gebiet der ansonsten angel-sächsisch dominierten Philosophie des Geistes heute hervorragen, glaubt nicht an die Existenz eines Ich, sondern hält dieses für eine Modellkonstruktion des Gehirns, und hat eine entsprechende Theorie entworfen. In seinem Buch „Der Ego-Tunnel“ spricht er auch von seinen eigenen außerkörperlichen Erfahrungen und luziden Träumen, die er als typische Beispiele gehirnerzeugter Illusionen interpretiert.

Anmerkungen

  1. Charles S. Peirce: Collected Papers. Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge [1866] 1958-1966 (Nachdr.), § 223.
  2. Clarence Irving Lewis: Mind and the World Order. Outline of a Theory of Knowledge. Charles Scribner's sons, New York 1929, Dover, New York 1991 (Nachdr.). ISBN 0-486-26564-1.
  3. „But the passage from the physics of the brain to the corresponding facts of consciousness is inconceivable as a result of mechanics. Granted that a definite thought, and a definite molecular action in the brain, occur simultaneously; we do not possess the intellectual organ, nor apparently any rudiment of the organ, which would enable us to pass, by a process of reasoning, from the one to the other. They appear together, but we do not know why. Were our minds and senses so expanded, strengthened, and illuminated, as to enable us to see and feel the very molecules of the brain; were we capable of following all their motions, all their groupings, all their electric discharges, if such there be; and were we intimately acquainted with the corresponding states of thought and feeling, we should be as far as ever from the solution of the problem, How are these physical processes connected with the facts of consciousness?" The chasm between the two classes of phenomena would still remain intellectually impassable. Let the consciousness of love, for example, be associated with a right-handed spiral motion of the molecules of the brain, and the consciousness of hate with a left-handed spiral motion. We should then know, when we love, that the motion is in one direction, and, when we hate, that the motion is in the other; but the "WHY?" would remain as unanswerable as before.“
    John Tyndall: Scientific Materialism (1868), in: Fragments of Science, Band 2, 1902, pp. 94-95 archive.org
  4. Thomas Nagel: What is it like to be a bat? In: The Philosophical Review. Cornell University, Ithaca 83/1974, S. 435–450. ISSN 0031-8108
  5. Atome oder Elementarteilchen sind in diesem Sinn keine realen Dinge, sondern mehr oder weniger nützliche Gedankenkonstrukte der Physik.

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

DVD-Set

  • 2009: Philosophie des Bewusstseins - 15 Vorlesungen an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz vom Wintersemester 2007/8, Auditorium-Netzwerk, 5 DVDs (Video) (enthält zu einem Gutteil die Einführung in die Qualia-Forschung und -Diskussion in der Philosophie des Geistes, mit besonderem Bezug zu den Neurowissenschaften, sehr zu empfehlen. In dieser Vorlesung gibt es auch den Tipp von Metzinger, den Auffassungen Martine Nida-Rümelins Aufmerksamkeit zu widmen, denn sie nehme konträre Positionen zu den eigenen Ansichten ein.)