Ain Soph und Emergenz: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Ain Soph''' ({{HeS|אין סוף|„nicht endlich“}}, von {{He|אַיִן}} „[[Nichts]]und {{He|סוֹף}} „endlich“) ist in der [[Kabbala|kabbalistischen]] [[Mystik]] das undefinierbare und unbestimmte grenzenlose '''Urlicht''', aus dem nach der Lehre [[Isaak Luria]]s die [[Schöpfung]] entstanden ist. Am Anfang war alles von dem verborgenen Wesen Gottes, dem grenzenlosen, eigenschaftslosen Urlicht erfüllt. Durch Selbstbeschränkung entstand ein leerer [[Raum]], in den das Urlicht als [[Schöpfungsblitz]] hineinstrahlte und die geschaffene Welt hervorbrachte.
Als '''Emergenz''' ([[Latein|lat.]] ''emergere'': auftauchen, hervorkommen, sich zeigen) wird heute das [[Phänomen]] bezeichnet, dass sich manche spontan und unvorhersehbar auftretenden Eigenschaften eines [[struktur]]ierten [[System]]s nicht allein aus seinen Teilen erklären lassen. Auf diese ''Übersummativität'', nach der das [[Ganzheit|Ganze]] mehr ist als seine Teile, hat schon [[Aristoteles]] erstmals in philosophischer Klarheit hingewiesen:


{{Zitat|Wisse, bevor die Emanationen emaniert wurden und das Erschaffene erschaffen war, erfüllte ein höchstes einfaches Licht alle Wirklichkeit, so dass es überhaupt keinen freien Ort im Sinne eines leeren, hohlen Raums gab, sondern alles war von jenem einfachen Licht des En Sof erfüllt. [...] Und als es in seinem einfachen Willen aufstieg, die Welten zu erschaffen und die Emanationen zu emanieren, um damit die Vollkommenheit seiner Werke, seiner Namen und seiner Attribute erkennbar zu machen, welches der Grund für die Erschaffung der Welten war [...], da kontrahierte sich das En Sof am mittleren Punkt, wahrhaft in der Mitte seines Lichts. Es kontrahierte das Licht und entfernte sich nach allen Seiten rund um den Mittelpunkt. Dadurch blieb um den Mittelpunkt ein freier Platz, ein leerer, hohler Raum übrig [...] Diese Kontraktion (Zimzum) war rings um den leeren [virtuellen] Mittelpunkt von absoluter Gleichheit, und zwar so, dass der leere Raum die Form einer vollkommenen sphärischen Kugel hatte [...] weil sich das En Sof in der Form einer vollkommenen Kugel von allen umgebenden Seiten in sich selbst zusammengezogen hatte. Der Grund dafür war, dass das Licht des En Sof von vollkommener absoluter Gleichheit ist [...]|Sefer Ez Chajim<ref>Sefer Ez Hajjim, Hechal I, Scha'ar I, zitiert nach Karl Erich Grözinger, ''Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik'', Band 2, S. 626 f.</ref>}}
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"Das was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, ist nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloss die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute: ba ist nicht dasselbe wie b plus a, und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde." {{Lit|Aristoteles, Metaphysik, Buch 8.6. 1045a: 8-10.}}
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Das göttliche Licht zog sich nach dem [[Zimzum]] ({{HeS|צמצום}}), dem Prozess der Zusammenziehung und Selbstbeschränkung [[Gott]]es, zurück und gab einen kreisförmigen ({{HeS|עִגּוּל}}, igul = ''Kreis''; Plural: {{he|עִגּוּלים}}, igulim) Leerraum ({{HeS|חלל}}, chalal = ''Raum'') frei, in dem sich die Schöpfung entfalten und gestalten konnte. In diesen begrenzten Raum wurde das zum feinen Lichtstrahl [[Kav]] (''oder'' Qav) ({{HeS|קו}}, ''Linie [des Lichts]'') verdichte schöpferische Licht in rhythmischen Pulsen hineingeworfen, aus dem ein weiterer Kreis hervortrat, dann noch einer usw., bis schließlich durch eine Folge weiterer Selbstbeschränkungen Gottes (Zimzum''im'', Plural) 10 Schöpfungskreise, die 10 [[Sephiroth]], in einem ''streng geordneten Entwicklungslauf'' ([[Seder Hishtalshelut]], {{HeS|סדר הִשְׁתַּלְשְׁלוּת}}) entstanden waren. Jede Entwicklungsstufe ist dabei mit der vorangegangenen und mit der nachfolgenden direkt verbunden; zusammen bilden sie den [[Pfad des flammenden Schwerts]]. Doch konnten die inneren sechs Sephiroth, von [[Chesed]] abwärts bis [[Jesod]], der Gewalt dieses zum Strahl geformten göttlichen Lichts nicht standhalten. Es kam zum ''[[Bruch der Gefäße]]'' ([[Schvirat ha-Kelim]]) und ihre Scherben blieben in der Welt erhalten als leere, geistverlassene "Schalen" (''[[Qelipot|Qlīpōt]]'') und bildeten derart die Grundlage des [[Das Böse|Bösen]].
== Siehe auch ==


Im kabbalistischen [[Lebensbaum]] wird Ain Soph über der [[Sephiroth|Sephira]] [[Kether]] dargestellt, wobei bei einigen Darstellungen Ain Soph dreigeteilt dargestellt wird, als '''Ain''' ({{He|אין}}), '''Ain Soph''' ({{He|אין סוף}}) und '''Ain Soph Aur''' ({{He|אין סוף אוֹר}}, von {{He|אור}} ''Or'' bzw. ''Aur'' „[[Licht]]“). In dieser Dreiteilung wird ''Ain'' als das ''[[Nichts]]'' verstanden, ''Ain Soph'' als das ''Grenzenlose'', sinngemäß verwandt dem [[Apeiron]] ({{ELSalt|άπειρον}}, ''das Unendliche'', ''das Unbegrenzte'') des [[Anaximander]], und ''Ain Soph Aur'' (wörtlich das "''nicht endliche Licht''") als ''grenzenloses Licht'', als [[Aura]] des Ain Soph. Es sind dies die ''drei Schleier des Absoluten'' oder ''die drei Schleier der negativen Existenz'', aus denen sich Kether zum bewussten Zentrum verdichtet. Dem dreigliedrigen Ain Soph entspricht aus [[christlich]]er Sicht sinngemäß die [[Trinität]] und nach indisch-theosophischer Anschauung die drei Ebenen des [[Nirvana]], also der [[Nirvanaplan]] im engeren Sinn, der [[Parinirvanaplan]] und der [[Mahaparinirvanaplan]].
* [[Holismus]]
* [[Ganzheit]]


Manche Kabbalisten setzen Ain Soph auch mit [[Gott]] gleich, als dem absoluten, nur durch sich selbst bedingten, aber alles bedingenden, unbegreiflichen Urgrund der Schöpfung.
==Literatur ==


== Literatur ==
*Aristoteles: ''Metaphysik''. Griechisch–deutsch. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ, Erster Halbband (Bücher I–VI), 3. verbesserte Auflage, Meiner, Hamburg 1989, ISBN 978-3-7873-0932-0, Zweiter Halbband (Bücher VII–XIV), 3. verbesserte Auflage, Meiner, Hamburg 1991, ISBN 978-3-7873-1021-0 <small>Einführender Kommentar</small>
* [[Papus]] ''Die Kabbala'', Marix Verlag GmbH 2000, ISBN 3937715614
*Aristoteles: ''Metaphysik''. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz durch Horst Seidl, Band 5 der Aristoteles Studienausgabe „Philosophische Schriften“, Meiner, Hamburg 1995, ISBN 978-3-7873-1243-6
* Heinrich Elijah Benedikt: Die Kabbala als jüdisch-christlicher Einweihungswes, 2 Bände, Bauer-Verlag
*Aristoteles: ''Metaphysik''. Schriften zur Ersten Philosophie. Hrsg. und übersetzt von Franz Schwarz, Reclam, Stuttgart, ISBN 978-3-15-007913-3
* Aristoteles: ''Metaphysik''. Übersetzt von Thomas A. Szlezak, Akademie Verlag, Berlin 2003, ISBN 978-3-05-003879-7
* Aristoteles: ''Metaphysik'', übersetzt und kommentiert von Hans G. Zekl, Königshausen & Neumann, 2003, ISBN 978-3-8260-2555-6
* W. D. Ross: ''Aristotle’s Metaphysics''. Oxford: Clarendon Press, 2. A. 1953. <small>Mit umfangreichem Kommentar</small>


== Einzelnachweise ==
[[Kategorie:Grundbegriffe]] [[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Erkenntnistheorie]]
<references/>
 
[[Kategorie:Judentum]] [[Kategorie:Kabbala]] [[Kategorie:Kabbalistische Welt|101]] [[Kategorie:Isaak Luria|102]]

Version vom 24. Mai 2009, 15:06 Uhr

Als Emergenz (lat. emergere: auftauchen, hervorkommen, sich zeigen) wird heute das Phänomen bezeichnet, dass sich manche spontan und unvorhersehbar auftretenden Eigenschaften eines strukturierten Systems nicht allein aus seinen Teilen erklären lassen. Auf diese Übersummativität, nach der das Ganze mehr ist als seine Teile, hat schon Aristoteles erstmals in philosophischer Klarheit hingewiesen:

"Das was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, ist nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloss die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute: ba ist nicht dasselbe wie b plus a, und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde." (Lit.: Aristoteles, Metaphysik, Buch 8.6. 1045a: 8-10.)

Siehe auch

Literatur

  • Aristoteles: Metaphysik. Griechisch–deutsch. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ, Erster Halbband (Bücher I–VI), 3. verbesserte Auflage, Meiner, Hamburg 1989, ISBN 978-3-7873-0932-0, Zweiter Halbband (Bücher VII–XIV), 3. verbesserte Auflage, Meiner, Hamburg 1991, ISBN 978-3-7873-1021-0 Einführender Kommentar
  • Aristoteles: Metaphysik. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz durch Horst Seidl, Band 5 der Aristoteles Studienausgabe „Philosophische Schriften“, Meiner, Hamburg 1995, ISBN 978-3-7873-1243-6
  • Aristoteles: Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie. Hrsg. und übersetzt von Franz Schwarz, Reclam, Stuttgart, ISBN 978-3-15-007913-3
  • Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt von Thomas A. Szlezak, Akademie Verlag, Berlin 2003, ISBN 978-3-05-003879-7
  • Aristoteles: Metaphysik, übersetzt und kommentiert von Hans G. Zekl, Königshausen & Neumann, 2003, ISBN 978-3-8260-2555-6
  • W. D. Ross: Aristotle’s Metaphysics. Oxford: Clarendon Press, 2. A. 1953. Mit umfangreichem Kommentar