Religionsgeschichte und Walter Eucken: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Religionsgeschichte''' ist ein universitäres Fach – eine '''Wissenschaft''', die sich mit der  historischen und gegenwärtigen Entwicklung der [[Religion]]en und der [[Wikipedia:Religiosität|Religiosität]] hinsichtlich ihrer jeweiligen Entwicklung im historischen Kontext befasst. Hierbei werden die entsprechende Religionen zunächst in der ihr eigenen Geschichte und Tradition untersucht, um diese später zum Beispiel anhand funktionaler oder typologischer Kriterien einzuordnen, zu klassifizieren und schließlich eine [[Wikipedia:Klassifikation|Systematik]] der Glaubenssysteme zu erarbeiten. So entsteht eine Basis, die für das ''glaubensunabhängige'' Vergleichen verschiedener Religionen (komparative Religionswissenschaft) essentiell ist. In der Praxis ist der Übergang zu dem eigenständigen Fach [[Wikipedia:Religionswissenschaft|Religionswissenschaft]] fließend. Im Gegensatz hierzu steht die phänomenologische Strömung innerhalb der Religionsgeschichte, welche den Begriff 'Religion' als Abstractum begreift, und daher vergleichende oder geschichts-chronologisch einordnende Methoden zurückweist, da diese der Einzigartigkeit der verschiedenen religiösen Vorstellungen nicht gerecht werden können.
[[Datei:Walter Eucken2.jpg|miniatur|Walter Eucken]]


Die erste Fragestellung der Religionsgeschichte lautet: „Unterliegt die Religionsentwicklung einer direkten [[Wikipedia:Soziokulturelle Evolution|soziokulturellen Evolution]] oder ist sie nur ein Nebenprodukt anderer kognitiver Entwicklungen?“ Ein evolutionärer Prozess setzt immer [[Wikipedia:Selektion (Evolution)|selektive Faktoren]] voraus, so dass die Frage nur beantwortet werden kann, wenn zweifelsfreie Faktoren ermittelt werden können, die gläubigen Menschen irgendwelche Überlebensvorteile verschaffen.
'''Walter Eucken''' (* [[Wikipedia:17. Januar|17. Januar]] [[Wikipedia:1891|1891]] in [[Wikipedia:Jena|Jena]]; † [[Wikipedia:20. März|20. März]] [[Wikipedia:1950|1950]] in [[Wikipedia:London|London]]) war ein deutscher [[Ökonom]]. Er war Vordenker der [[Wikipedia:Soziale Marktwirtschaft|Sozialen Marktwirtschaft]] und begründete die Freiburger Schule des [[Ordoliberalismus]].


Religionsgeschichte wurde vor allem im 19. Jahrhundert von Religionswissenschaftlern und [[Wikipedia:Religionsethnologie|Religionsethnologen]] meist [[Wikipedia:Evolutionismus|evolutionistisch]] interpretiert, häufig mit kolonialistisch-darwinistischer Färbung, das heißt als Entwicklung von ursprünglichen, "primitiven" Formen, die nicht selten als niedriger gesehen wurden – [[Wikipedia:Animismus (Religion)|Animismus]], [[Wikipedia:Totemismus|Totemismus]] oder dem sogenannten Urmonotheismus [[Wikipedia:Wilhelm Schmidt (Ethnologe)|Wilhelm Schmidts]] – linear und undifferenziert zu weiter entwickelten, höheren Formen, also etwa über den [[Wikipedia:Polytheismus|Polytheismus]] zum [[Wikipedia:Monotheismus|Monotheismus]]; zu den „[[Wikipedia:Hochrelition|Hochreligion]]en“.                                [[Wikipedia:James Frazer|James Frazer]] postulierte eine Entwicklung von der [[Wikipedia:Magie|Magie]] über die Religion zur [[Wissenschaft]]. Diese [[Teleologie|teleologischen]] Positionen krankten oft an unzureichenden [[Wikipedia:Empirie|empirischen Grundlagen]], enthielten meist explizite oder implizite [[Wikipedia:Werturteil|Wertungen]] ''(von primitiven zu höheren Stadien)'' und waren vielfach auf den Einzelfall konkreter religionsgeschichtlicher Ereignisse nicht anwendbar. Nur wenige Forscher (etwa Edward Burnett Tylor) erkannten bereits damals, dass auch die Evolution von Religion kein stetiges Aufwärtsschreiten bedeutet. In der modernen Religionswissenschaft spielen evolutionistische Stufenmodelle nur noch als Materiallieferanten So legte Frazer seiner These eine Fülle historischer Daten zugrunde (siehe auch: [[Wikipedia:Ethnische Religion#Sackgassen der ethnologischen Religionsforschung|Sackgassen der ethnologischen Religionsforschung]])''.
== Leben ==
[[Datei:Villa Eucken Jena 2014.jpg|miniatur|Die Villa der Familie Eucken in Jena]]
[[File:Grab von Walter Eucken, Ökonom in Freiburg-Günterstal.jpg|thumb|Grab in Freiburg-Günterstal]]


Später hat sich im Gegenzug eine egalitär beschreibende, [[Wikipedia:Religionsphänomenologie|phänomenologische]] Betrachtungsweise innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin herausgebildet, die dazu geführt hat, dass Bücher mit dem Titel "Religionsgeschichte" nur noch eine zusammenhanglose Nebeneinanderstellung von Monographien sein können. Andere Autoren geben nun zu bedenken, dass bei Verzicht auf den Versuch, Entwicklungen nachzuzeichnen und das Spätere aus seinem Verhältnis zum Vorausgehenden zu begreifen, der Begriff ''Geschichte'' seinen Inhalt verliert (s. z.B. Leslie White und andere Vertreter des [[Wikipedia:Neoevolutionismus|Neoevolutionismus]]).
Walter Eucken wuchs in Jena im Haus seiner Eltern, des Philosophen und Literaturnobelpreisträgers [[Wikipedia:Rudolf Eucken|Rudolf Eucken]] und der Malerin ''Irene Eucken'' auf. Ein Bruder war der Physikochemiker [[Wikipedia:Arnold Eucken|Arnold Eucken]].


In neuerer Zeit tritt die Religionsgeschichte als Universalgeschichte gegenüber dem Studium der Geschichte einzelner Religionen oder Kulturräume zurück. Jedoch finden religionsgeschichtliche Theoriekonzepte wie [[Wikipedia:Säkularistierung|Säkularisierung]] und [[Wikipedia:Pluralismus|Pluralismus (Politik)|Pluralisierung]] wieder verstärkt Beachtung.
An der [[Wikipedia:Christian-Albrechts-Universität zu KielChristian-Albrechts-Universität zu Kiel]], der [[Wikipedia:Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn|Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn]] und der [[Wikipedia:Friedrich-Schiller-Universität Jena|Universität Jena]] studierte Eucken [[Geschichte]], [[Staatswissenschaft]], [[Volkswirtschaftslehre|Nationalökonomie]] und [[Rechtswissenschaft]]. Ab 1910 war er Mitglied des Corps Saxonia Kiel.<ref>Kösener Corpslisten 1930, '''82''', 181</ref> Sein Studium schloss er 1913 mit einer [[Dissertation]] bei [[Wikipedia:Hermann Schumacher (Nationalökonom)|Hermann Schumacher]] (1868–1952) ab. Nach dem [[Wikipedia:Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] wurde er Schumachers Assistent an der [[Wikipedia:Humboldt-Universität zu Berlin|Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin]]. Gleichzeitig war er als Redaktionssekretär von [[Schmollers Jahrbuch]] tätig. 1920 heiratete er [[Wikipedia:Edith_Eucken-Erdsiek|Edith Erdsiek]]. Ihr Vater stammte aus Westfalen, ihre Mutter war assimilierte Jüdin; in [[Smolensk]] geboren, wuchs sie in Berlin auf und wurde nach ihrer Heirat Schriftstellerin.  


== Entwicklung der Wissenschaft Religionsgeschichte in Deutschland ==
1921 [[Wikipedia:Habilitation|habilitierte]] er sich in Berlin.<ref>Habilitationsschrift: ''Die Stickstoffversorgung der Welt''</ref> Bis 1925 [[Wikipedia:Privatdozent|Privatdozent]], folgte er 1925 dem [[Wikipedia:Berufung (Amt)|Ruf]] der [[Wikipedia:Eberhard Karls Universität Tübingen|Eberhard Karls Universität Tübingen]] auf einen [[Lehrstuhl]]. 1927 wechselte er als [[Lehrstuhl|o.&nbsp;Professor]] an die [[Albert-Ludwigs-Universität Freiburg]], an der er bis zu seinem Tode tätig war. Er starb kurz vor Vollendung der ''Grundsätze der Wirtschaftspolitik'', als er an der [[London School of Economics]] eine Vortragsreihe unter dem Titel ''This Unsuccessful Age'' hielt (publiziert 1952).
Der erste Lehrstuhl für Religionsgeschichte wurde 1912 für den schwedischen Religionsphänomenologen [[Wikipedia:Nathan Södebohm|Nathan Söderblom]] in [[Wikipedia:Religionswissenschaftliches Institut der Universität Leipzig|Leipzig]] eingerichtet. Dies geschah, obwohl die Kirchen eher an einer konfessionell gebundenen Theologie als an der damals wenig beliebten Religionsgeschichte interessiert waren, und bedeutete eine grundlegend neue Entwicklung hinsichtlich der wissenschaftlichen Erforschung von Religionen. Die historisch bedingte Entwicklung der Religionsgeschichte aus den christlichen Theologien hatte zur Folge, dass dieses Fach in den theologischen Fakultäten ansässig war - was auch heute noch zu beobachten ist. Aus der Religionsgeschichte entwickelte sich später die Religionswissenschaft. Trotz der relativ kurzen Einflussnahme wirkt die christliche Sichtweise sich noch immer hemmend auf die religionsgeschichtliche Forschung aus.


== Religionsgeschichte und Religionswissenschaft ==
== Wirken ==
Obgleich die praxisrelevanten Unterschiede zwischen Religionsgeschichte und Religionswissenschaft gering sein mögen, gibt es Stimmen, die den Fächern abgrenzende Eigenheiten zuweisen. So gibt es das Argument, dass die Religionsgeschichte als historische Wissenschaft die Religionen „in der Tiefe“ untersucht, die Religionswissenschaft Religionen dagegen „in der Breite“ gegenüberstellt und vergleicht. D.h. die Methodik der beiden Fächer unterscheidet sich in diesen Punkten. Grundsätzlich ist hierbei zu sagen, dass die Religionsgeschichte die Grundlagen für eine ''systematische'' Religionswissenschaft bereitstellt. Diese wichtige Verknüpfung der beiden Fächer ist es, welche die Religionsgeschichte im Gegensatz zu anderen Disziplinen wie die [[Wikipedia:Relitionssoziologie|Religionssoziologie]] oder auch [[Wikipedia:Religionspsychologie|Religionspsychologie]] am engsten mit der Religionswissenschaft verbindet. Dies drückt sich beispielsweise auch in der Namensgebung der größten religionswissenschaftlichen Vereinigung in Deutschland, der DVRG (Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte), aus, obgleich es Universitäten gibt, an welchen man sowohl Religionswissenschaft als auch Religionsgeschichte studieren kann.
Anfang der 1930er-Jahre gründete Walter Eucken mit den Juristen [[Franz Böhm]] und [[Hans Großmann-Doerth]] die ''[[Ordoliberalismus|Freiburger Schule]]''. Als nach 1933 in Freiburg unter dem Rektor [[Martin Heidegger]] eine nationalsozialistische Universitätsverfassung eingeführt wurde und die Judenverfolgung im Wissenschaftsbetrieb begann, bezog Eucken offen Stellung. Eucken wurde, wie der Historiker [[Bernd Martin (Historiker)|Bernd Martin]] feststellt, „zum eigentlichen Widerpart und Herausforderer des die nationalsozialistische Hochschulpolitik vorantreibenden Rektors“. <ref>Bernd Martin: Martin Heidegger und der Nationalsozialismus -- der historische Rahmen. In: ''Martin Heidegger und das 'Dritte Reich'. Ein Kompendium''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, S. 14–50, hier S. 26.</ref>


== Siehe auch ==
1936 hielt Eucken eine Vorlesungsreihe für die Freiheit des Denkens mit dem Titel ''Kampf der Wissenschaft''. Nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Walter Eucken, der mit dem Goerdeler-Kreis in Verbindung gestanden hatte, von der Gestapo mehrfach verhört, aber nicht verhaftet. Drei Freunde Euckens aus dem „[[Freiburger Kreis (NS-Zeit)|Freiburger Kreis]]“, die Ökonomen [[Adolf Lampe]] und [[Constantin von Dietze]] sowie der Historiker [[Gerhard Ritter]] wurden vom [[NS-Regime]] inhaftiert und zum Tode verurteilt. Nur das Kriegsende bewahrte sie vor der Hinrichtung.
* {{WikipediaDE|Religionsgeschcite}}
 
Eucken gehörte zu den Beratern der französischen und amerikanischen Militärregierung; die später als [[Ordoliberalismus]] bezeichneten wirtschaftspolitischen Grundgedanken der sogenannten „Freiburger Schule“ lagen den Reformen zugrunde, mit welchen [[Ludwig Erhard]] und [[Alfred Müller-Armack]] die zunächst [[Planwirtschaft|planwirtschaftliche]] Wirtschaftsverwaltung der ersten Nachkriegsjahre ablösten.
 
Eucken beschäftigte sich nicht nur mit Ökonomie, sondern interessierte sich auch sehr für Philosophie und Geschichte. Zu den Menschen, mit denen er sich geistig austauschte, gehörten Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und Künstler wie z.&nbsp;B. [[Friedrich August von Hayek]], [[Joseph Schumpeter]], [[Werner Heisenberg]], [[August Macke]], [[Ernst Ludwig Kirchner]], [[Max Reger]], [[Hermann Staudinger]]. Als er 1947 an der Gründung der [[Mont Pelerin Society|Mont Pelerin Gesellschaft]] teilnahm, kamen neue Kontakte zum Beispiel mit dem Philosophen [[Karl Popper]] hinzu.
 
Von besonderer Bedeutung war für ihn seine Freundschaft mit [[Edmund Husserl]], der ihn wissenschaftstheoretisch stark beeinflusste. Kritisch setzte er sich nicht nur mit den Ideologien in der Ökonomie auseinander, sondern generell mit den Ideologien der Macht. Zu den Traditionen des freiheitsfeindlichen [[Irrationalismus]] rechnete er nicht nur die Philosophen [[Friedrich Nietzsche]] und Martin Heidegger, sondern auch den [[Voluntarismus]] [[Martin Luther]]s, die ''[[Volonté générale]]'' [[Jean-Jacques Rousseau]]s und die Fortschrittsideologie [[Henri de Saint-Simon]]s.
 
== Wissenschaftliches Werk ==
[[Datei:DBP 1991 1494-R.JPG|miniatur|''Walter Eucken'' auf einer bundesdeutschen Briefmarke zu seinem 100. Geburtstag (1991)]]
 
=== Grundgedanken ===
Im Mittelpunkt von Euckens Arbeit stand die Frage des Zusammenhangs von [[Macht]], Unfreiheit und [[Armut]]. Auf Basis dieser Analyse könnten die Rahmenbedingungen für eine [[Wirtschaftsordnung]] bestimmt werden, die zugleich die größtmögliche Freiheit und eine rationale Steuerung der Wirtschaft ermöglicht. Er war davon überzeugt, dass die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates auf die [[Ordnungspolitik|Gestaltung der Wirtschaftsordnung]] gerichtet sein sollte und nicht auf die Lenkung der [[Prozesspolitik|Wirtschaftsprozesse]]. Mit dieser These gilt Eucken als Begründer des Ordoliberalismus und als einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft.
 
Sein wohl wichtigstes Werk ''Grundlagen der Nationalökonomie'' veröffentlichte Eucken 1939. Hier formulierte er seine Hypothese von der ''[[Interdependenz der Ordnungen]]'': ''Marktwirtschaft'' (Eucken bevorzugte den Begriff ''Verkehrswirtschaft'') bedingt den freiheitlichen Rechtsstaat. ''Zentralverwaltungswirtschaft'', wie sie die Nationalsozialisten seinerzeit in Deutschland eingeführt hatten und wie sie in der [[Sowjetunion]] und später in den osteuropäischen Staaten des [[Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe|Rates für gegenseitige wirtschaftliche Zusammenarbeit]] praktiziert wurde, braucht zu ihrer Durchsetzung die Diktatur. Kaum weniger
bedeutend sind seine 1952 [[postum]] von seiner Frau [[Edith Eucken-Erdsiek]] und seinem Assistenten [[Karl Paul Hensel]] herausgegebenen ''Grundsätze der Wirtschaftspolitik''. 
Zum Standard des Lehrbuchwissens gehört heute Euckens Unterscheidung moderner Wirtschaftsordnungen in [[Zentralverwaltungswirtschaft]]  und [[Marktwirtschaft|Verkehrswirtschaft]]. Kriterium zur Unterscheidung war für Eucken jedoch nicht, wie heute oft üblich, die wirtschaftliche Aktivität des Staates (siehe [[Staatsquote]]), sondern die Verteilung wirtschaftlicher Macht. So ist für Eucken der Gegenpol zur Zentralverwaltungswirtschaft, in der eine Zentrale über die größtmögliche Macht verfügt und der Einzelne maximal entrechtet ist, nicht etwa die „freie Marktwirtschaft“ des [[Laissez-faire]]. Der Gegenpol ist vielmehr der vollständige Wettbewerb, bei dem niemand über die Macht verfügt, einen anderen ökonomisch zu lenken. Zwischen diesen beiden Polen gibt es einen weiteren Ordnungstyp, die vermachtete Marktwirtschaft. Bei diesem Ordnungstyp können einzelne Machtgruppen, durch Preispolitik oder Lobbyismus, in die ökonomische Freiheit anderer Marktteilnehmer eingreifen.
 
Eine gemäß dem Laissez-faire-Prinzip sich selbst überlassene Wirtschaft führt nach Euckens Überzeugung systematisch zu einer Wirtschaftslenkung durch Machtgruppen. So erklärt Eucken im Vorwort für den ersten Band des Jahrbuchs [[ORDO]]:
 
{{Zitat|Ob wenig oder mehr Staatstätigkeit&nbsp;– diese Frage geht am wesentlichen vorbei. Es handelt sich nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitatives Problem. Der Staat soll weder den Wirtschaftsprozess zu steuern versuchen, noch die Wirtschaft sich selbst überlassen: Staatliche Planung der Formen&nbsp;– ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses&nbsp;– nein. Den Unterschied von Form und Prozess erkennen und danach handeln, das ist wesentlich. Nur so kann das Ziel erreicht werden, dass nicht eine kleine Minderheit, sondern alle Bürger über den Preismechanismus die Wirtschaft lenken können. Die einzige Wirtschaftsordnung, in der dies möglich ist, ist die des 'vollständigen Wettbewerbs'. Sie ist nur realisierbar, wenn allen Marktteilnehmern die Möglichkeit genommen wird, die Spielregeln des Marktes zu verändern. Der Staat muss deshalb durch einen entsprechenden Rechtsrahmen die Marktform&nbsp;– d.&nbsp;h. die Spielregeln, in denen gewirtschaftet wird,&nbsp;– vorgeben.|Walter Eucken}}
 
=== Sozialpolitik und Konjunkturpolitik ===
Nach Ansicht von Karl Georg Zinn gab Alfred Müller-Armack „der Sozialpolitik und der staatlichen Konjunktur- und Strukturpolitik ein weit größeres Gewicht als Eucken, für den Sozialpolitik allenfalls „als Minimalprogramm gegen extreme Mißstände“ erforderlich erschien und der Konjunkturpolitik für schlichtweg überflüssig, ja schädlich hielt, weil eine ideale Marktwirtschaft, wie er sie in seiner Ordnungstheorie meinte entworfen zu haben, überhaupt keine zyklischen Konjunkturen und Krisen mehr aufweisen würde.“<ref>Karl Georg Zinn: [http://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/vwl2/downloads/material/KarlGeorgZinn.pdf ''Soziale Marktwirtschaft. Idee, Entwicklung und Politik der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung'' S. 25] (PDF; 364&nbsp;kB)</ref> Richtig verstandene Sozialpolitik war für Eucken identisch mit der „Politik zur Ordnung der Wirtschaft“.
 
Die Wirtschaftspolitik schließt in der Vorstellung Euckens die Verantwortung für einen hohen Beschäftigungsstand mit ein. Für den traditionellen Bereich der sozialen Sicherung gegen Arbeitslosigkeit, sowie die Unfall-, Gesundheits- und Altersversicherung ergibt sich eine unstrittige sozialpolitische Begründung.<ref>Gerhard D. Kleinhenz, ''Sozialstaatlichkeit in der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft'' in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Themenheft Sozialstaat Deutschland, Lucius und Lucius, ISBN 978-3828200487, Seite 406, 407</ref>
 
Doch über die Wettbewerbspolitik hinaus seien mit Hilfe einer ''speziellen Sozialpolitik'' „Vorkehrungen notwendig, um Lücken auszufüllen und Härten zu mildern.“<ref>Walter Eucken: ''Grundsätze der Wirtschaftspolitik''. Rowohlt, Reinbek 1965, S. 183.</ref> Insbesondere für die ''Arbeitsmarktverfassung'' sieht er zusätzlichen Handlungsbedarf des Staates, da die „Arbeit keine Ware“ sei und zwischen Sachgüter- und Arbeitsmärkten Unterschiede bestünden, „die zu beachten sind“.<ref>Walter Eucken: ''Grundsätze der Wirtschaftspolitik''. Rowohlt, Reinbek 1965, S. 185.</ref> So seien „Arbeiterschutzmaßnahmen“ notwendig, um Missstände zu beseitigen. Neben staatlichen Maßnahmen komme den Gewerkschaften große Verdienste „zur Verbesserung der Lage der Arbeiter“ zu. Obwohl monopolartige Organisationen, seien die Gewerkschaften „freilich durch monopolistische Übergewichte der Unternehmer auf den Plan gerufen“ worden.<ref>Walter Eucken: ''Grundsätze der Wirtschaftspolitik''. Rowohlt, Reinbek 1965, S. 185.</ref>
 
== Werke ==
* ''Die Verbandsbildung in der Seeschiffahrt'' (= ''Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen''. Heft 172). Altenburg S.-A. 1914, {{DNB|570150450}} (Dissertation Universität Bonn 1914, 118 Seiten).
* ''Die Stickstoffversorgung der Welt: Eine volkswirtschaftliche Untersuchung'', Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1921, (Habilitationsschrift Universität Berlin 1921, 158 Seiten).
* ''Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus'', in: ''Weltwirtschaftliches Archiv'' 36 (1932), 297-321.
* ''Kapitaltheoretische Untersuchungen''. Fischer, Jena 1935, 2. Auflage Mohr, Tübingen 1954.
* ''Die Überwindung des Historismus'', in: ''Schmollers Jahrbuch'' 63 (1938), 63-86.
* ''Die Grundlagen der Nationalökonomie''. Jena 1939 u.ö.
* ''Nationalökonomie – Wozu?'' Bad Godesberg 1947 (zuerst als Beitrag, 1938); 5., um ein Nachwort von Walter Oswalt erweiterte Auflage, Klett-Cotta / Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-94131-2 / ISBN 978-3-7910-3008-1 (Schäffer-Poeschel).
* ''Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung'', in: ''Ordo'' 2 (1949), 1-99.
* ''Unser Zeitalter der Mißerfolge. Fünf Vorträge zur Wirtschaftspolitik''. Mohr, Tübingen 1951, wieder unter dem Titel: ''Wirtschaftsmacht und Wirtschaftsordnung''. Londoner Vorträge zur Wirtschaftspolitik und zwei Beiträge zur Antimonopolpolitik. Mit einem Nachwort von [Euckens Enkel] Walter Oswalt. Lit, Münster 2001, 2. Auflage 2009.
* ''Grundsätze der Wirtschaftspolitik''. Hrsg. von Edith Eucken-Erdsiek und Karl Paul Hensel. Mit einem Nachwort von Edgar Salin. Francke, Bern und Mohr, Tübingen 1952 u.ö.
 
== Herausgeber ==
* mit Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth: ''Ordnung der Wirtschaft.'' (Einzelpublikationen) 1937 ff.
* mit Franz Böhm: ''ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft'', Bd. 1.  Godesberg 1948, bis heute fortgeführt.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Hans G. Kippenberg et al. (Hrsg.): ''Europäische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus.'' 2 Bände, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009 (UTB), ISBN 978-3-8252-3206-1
* Franz Böhm: ''Die Idee des Ordo im Denken Walter Euckens'', in: ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Band 3, 1950, S. XV-LXVI.  
* Hans G. Kippenberg: ''Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne'', München: C. H. Beck, 1997
* Lüder Gerken (Hrsg.): ''Walter Eucken und sein Werk. Rückblick auf den Vordenker der sozialen Marktwirtschaft'' (= ''Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik'', Band 41). Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 3-16-147503-8.
* Günter Lanczkowski: ''Einführung in die Religionsgeschichte''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983, ISBN 3-534-08780-1
* {{NDB|4|672|673|Eucken, Walter|Fritz W. Meyer|118682563}}
*''Religionsgeschichte der Neuzeit. Profile und Perspektiven''. Themenheft der Zeitschrift ''zeitenblicke'', 5. Jg. 2006, Nr. 1 ([http://www.zeitenblicke.de/2006/1/ alle Artikel im Volltext])
* Walter Oswalt: ''Liberale Opposition gegen den NS-Staat. Zur Entwicklung von Walter Euckens Sozialtheorie'', in: Nils Goldschmidt (Hrsg.): ''Wirtschaft, Politik und Freiheit. Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand'' (= ''Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik'', Band 48), Mohr Siebeck, Tübingen 2005, S. 315–353, ISBN 978-3-16-148520-6.
* Sebastian Sigler: ''Denken und Handeln für Wahrheit und Freiheit – das Lebenswerk Walter Euckens'', in: ders. (Hrsg.): ''Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler''. Duncker & Humblot, Berlin 2014. ISBN 978-3-428-14319-1, S. 249–265.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.dvrg.de Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte]
{{Commonscat}}
* [http://www.easr.de European Association for the Study of Religions]
{{Wikiquote|Walter Eucken}}
* [http://www.iahr.dk International Association for the History of Religions]
* [http://www.eucken.org/ Walter-Eucken-Archiv in Frankfurt/M.]
* [http://www.eucken.de/ Walter-Eucken-Institut in Freiburg]
* [http://www.ordnungspolitisches-portal.com/04_03_Eucken.htm Walter Eucken im Ordnungspolitischen Portal]
* Heinz Grossekettler: [http://miami.uni-muenster.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-1450/DB347.pdf ''Walter Eucken''] (PDF; 195&nbsp;kB)
 
== Einzelnachweise ==
<references/>
 
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[[Kategorie:Geschichtswissenschaft]]
[[Kategorie:Wirtschaftswissenschaftler]]
[[Kategorie:Religionswissenschaft]]
[[Kategorie:Wirtschaftstheoretiker]]
[[Kategorie:Religion]]
[[Kategorie:Vertreter des Wirtschaftsliberalismus]]
[[Kategorie:Ökonom]]
[[Kategorie:Autor (Wirtschaft)]]
[[Kategorie:Deutscher]]
[[Kategorie:Geboren 1891]]
[[Kategorie:Gestorben 1950]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 1. Dezember 2018, 11:53 Uhr

Walter Eucken

Walter Eucken (* 17. Januar 1891 in Jena; † 20. März 1950 in London) war ein deutscher Ökonom. Er war Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft und begründete die Freiburger Schule des Ordoliberalismus.

Leben

Die Villa der Familie Eucken in Jena
Grab in Freiburg-Günterstal

Walter Eucken wuchs in Jena im Haus seiner Eltern, des Philosophen und Literaturnobelpreisträgers Rudolf Eucken und der Malerin Irene Eucken auf. Ein Bruder war der Physikochemiker Arnold Eucken.

An der Wikipedia:Christian-Albrechts-Universität zu KielChristian-Albrechts-Universität zu Kiel, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität Jena studierte Eucken Geschichte, Staatswissenschaft, Nationalökonomie und Rechtswissenschaft. Ab 1910 war er Mitglied des Corps Saxonia Kiel.[1] Sein Studium schloss er 1913 mit einer Dissertation bei Hermann Schumacher (1868–1952) ab. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er Schumachers Assistent an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Gleichzeitig war er als Redaktionssekretär von Schmollers Jahrbuch tätig. 1920 heiratete er Edith Erdsiek. Ihr Vater stammte aus Westfalen, ihre Mutter war assimilierte Jüdin; in Smolensk geboren, wuchs sie in Berlin auf und wurde nach ihrer Heirat Schriftstellerin.

1921 habilitierte er sich in Berlin.[2] Bis 1925 Privatdozent, folgte er 1925 dem Ruf der Eberhard Karls Universität Tübingen auf einen Lehrstuhl. 1927 wechselte er als o. Professor an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, an der er bis zu seinem Tode tätig war. Er starb kurz vor Vollendung der Grundsätze der Wirtschaftspolitik, als er an der London School of Economics eine Vortragsreihe unter dem Titel This Unsuccessful Age hielt (publiziert 1952).

Wirken

Anfang der 1930er-Jahre gründete Walter Eucken mit den Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth die Freiburger Schule. Als nach 1933 in Freiburg unter dem Rektor Martin Heidegger eine nationalsozialistische Universitätsverfassung eingeführt wurde und die Judenverfolgung im Wissenschaftsbetrieb begann, bezog Eucken offen Stellung. Eucken wurde, wie der Historiker Bernd Martin feststellt, „zum eigentlichen Widerpart und Herausforderer des die nationalsozialistische Hochschulpolitik vorantreibenden Rektors“. [3]

1936 hielt Eucken eine Vorlesungsreihe für die Freiheit des Denkens mit dem Titel Kampf der Wissenschaft. Nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Walter Eucken, der mit dem Goerdeler-Kreis in Verbindung gestanden hatte, von der Gestapo mehrfach verhört, aber nicht verhaftet. Drei Freunde Euckens aus dem „Freiburger Kreis“, die Ökonomen Adolf Lampe und Constantin von Dietze sowie der Historiker Gerhard Ritter wurden vom NS-Regime inhaftiert und zum Tode verurteilt. Nur das Kriegsende bewahrte sie vor der Hinrichtung.

Eucken gehörte zu den Beratern der französischen und amerikanischen Militärregierung; die später als Ordoliberalismus bezeichneten wirtschaftspolitischen Grundgedanken der sogenannten „Freiburger Schule“ lagen den Reformen zugrunde, mit welchen Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack die zunächst planwirtschaftliche Wirtschaftsverwaltung der ersten Nachkriegsjahre ablösten.

Eucken beschäftigte sich nicht nur mit Ökonomie, sondern interessierte sich auch sehr für Philosophie und Geschichte. Zu den Menschen, mit denen er sich geistig austauschte, gehörten Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und Künstler wie z. B. Friedrich August von Hayek, Joseph Schumpeter, Werner Heisenberg, August Macke, Ernst Ludwig Kirchner, Max Reger, Hermann Staudinger. Als er 1947 an der Gründung der Mont Pelerin Gesellschaft teilnahm, kamen neue Kontakte zum Beispiel mit dem Philosophen Karl Popper hinzu.

Von besonderer Bedeutung war für ihn seine Freundschaft mit Edmund Husserl, der ihn wissenschaftstheoretisch stark beeinflusste. Kritisch setzte er sich nicht nur mit den Ideologien in der Ökonomie auseinander, sondern generell mit den Ideologien der Macht. Zu den Traditionen des freiheitsfeindlichen Irrationalismus rechnete er nicht nur die Philosophen Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger, sondern auch den Voluntarismus Martin Luthers, die Volonté générale Jean-Jacques Rousseaus und die Fortschrittsideologie Henri de Saint-Simons.

Wissenschaftliches Werk

Walter Eucken auf einer bundesdeutschen Briefmarke zu seinem 100. Geburtstag (1991)

Grundgedanken

Im Mittelpunkt von Euckens Arbeit stand die Frage des Zusammenhangs von Macht, Unfreiheit und Armut. Auf Basis dieser Analyse könnten die Rahmenbedingungen für eine Wirtschaftsordnung bestimmt werden, die zugleich die größtmögliche Freiheit und eine rationale Steuerung der Wirtschaft ermöglicht. Er war davon überzeugt, dass die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates auf die Gestaltung der Wirtschaftsordnung gerichtet sein sollte und nicht auf die Lenkung der Wirtschaftsprozesse. Mit dieser These gilt Eucken als Begründer des Ordoliberalismus und als einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft.

Sein wohl wichtigstes Werk Grundlagen der Nationalökonomie veröffentlichte Eucken 1939. Hier formulierte er seine Hypothese von der Interdependenz der Ordnungen: Marktwirtschaft (Eucken bevorzugte den Begriff Verkehrswirtschaft) bedingt den freiheitlichen Rechtsstaat. Zentralverwaltungswirtschaft, wie sie die Nationalsozialisten seinerzeit in Deutschland eingeführt hatten und wie sie in der Sowjetunion und später in den osteuropäischen Staaten des Rates für gegenseitige wirtschaftliche Zusammenarbeit praktiziert wurde, braucht zu ihrer Durchsetzung die Diktatur. Kaum weniger bedeutend sind seine 1952 postum von seiner Frau Edith Eucken-Erdsiek und seinem Assistenten Karl Paul Hensel herausgegebenen Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Zum Standard des Lehrbuchwissens gehört heute Euckens Unterscheidung moderner Wirtschaftsordnungen in Zentralverwaltungswirtschaft und Verkehrswirtschaft. Kriterium zur Unterscheidung war für Eucken jedoch nicht, wie heute oft üblich, die wirtschaftliche Aktivität des Staates (siehe Staatsquote), sondern die Verteilung wirtschaftlicher Macht. So ist für Eucken der Gegenpol zur Zentralverwaltungswirtschaft, in der eine Zentrale über die größtmögliche Macht verfügt und der Einzelne maximal entrechtet ist, nicht etwa die „freie Marktwirtschaft“ des Laissez-faire. Der Gegenpol ist vielmehr der vollständige Wettbewerb, bei dem niemand über die Macht verfügt, einen anderen ökonomisch zu lenken. Zwischen diesen beiden Polen gibt es einen weiteren Ordnungstyp, die vermachtete Marktwirtschaft. Bei diesem Ordnungstyp können einzelne Machtgruppen, durch Preispolitik oder Lobbyismus, in die ökonomische Freiheit anderer Marktteilnehmer eingreifen.

Eine gemäß dem Laissez-faire-Prinzip sich selbst überlassene Wirtschaft führt nach Euckens Überzeugung systematisch zu einer Wirtschaftslenkung durch Machtgruppen. So erklärt Eucken im Vorwort für den ersten Band des Jahrbuchs ORDO:

„Ob wenig oder mehr Staatstätigkeit – diese Frage geht am wesentlichen vorbei. Es handelt sich nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitatives Problem. Der Staat soll weder den Wirtschaftsprozess zu steuern versuchen, noch die Wirtschaft sich selbst überlassen: Staatliche Planung der Formen – ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses – nein. Den Unterschied von Form und Prozess erkennen und danach handeln, das ist wesentlich. Nur so kann das Ziel erreicht werden, dass nicht eine kleine Minderheit, sondern alle Bürger über den Preismechanismus die Wirtschaft lenken können. Die einzige Wirtschaftsordnung, in der dies möglich ist, ist die des 'vollständigen Wettbewerbs'. Sie ist nur realisierbar, wenn allen Marktteilnehmern die Möglichkeit genommen wird, die Spielregeln des Marktes zu verändern. Der Staat muss deshalb durch einen entsprechenden Rechtsrahmen die Marktform – d. h. die Spielregeln, in denen gewirtschaftet wird, – vorgeben.“

Walter Eucken

Sozialpolitik und Konjunkturpolitik

Nach Ansicht von Karl Georg Zinn gab Alfred Müller-Armack „der Sozialpolitik und der staatlichen Konjunktur- und Strukturpolitik ein weit größeres Gewicht als Eucken, für den Sozialpolitik allenfalls „als Minimalprogramm gegen extreme Mißstände“ erforderlich erschien und der Konjunkturpolitik für schlichtweg überflüssig, ja schädlich hielt, weil eine ideale Marktwirtschaft, wie er sie in seiner Ordnungstheorie meinte entworfen zu haben, überhaupt keine zyklischen Konjunkturen und Krisen mehr aufweisen würde.“[4] Richtig verstandene Sozialpolitik war für Eucken identisch mit der „Politik zur Ordnung der Wirtschaft“.

Die Wirtschaftspolitik schließt in der Vorstellung Euckens die Verantwortung für einen hohen Beschäftigungsstand mit ein. Für den traditionellen Bereich der sozialen Sicherung gegen Arbeitslosigkeit, sowie die Unfall-, Gesundheits- und Altersversicherung ergibt sich eine unstrittige sozialpolitische Begründung.[5]

Doch über die Wettbewerbspolitik hinaus seien mit Hilfe einer speziellen Sozialpolitik „Vorkehrungen notwendig, um Lücken auszufüllen und Härten zu mildern.“[6] Insbesondere für die Arbeitsmarktverfassung sieht er zusätzlichen Handlungsbedarf des Staates, da die „Arbeit keine Ware“ sei und zwischen Sachgüter- und Arbeitsmärkten Unterschiede bestünden, „die zu beachten sind“.[7] So seien „Arbeiterschutzmaßnahmen“ notwendig, um Missstände zu beseitigen. Neben staatlichen Maßnahmen komme den Gewerkschaften große Verdienste „zur Verbesserung der Lage der Arbeiter“ zu. Obwohl monopolartige Organisationen, seien die Gewerkschaften „freilich durch monopolistische Übergewichte der Unternehmer auf den Plan gerufen“ worden.[8]

Werke

  • Die Verbandsbildung in der Seeschiffahrt (= Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen. Heft 172). Altenburg S.-A. 1914, DNB 570150450 (Dissertation Universität Bonn 1914, 118 Seiten).
  • Die Stickstoffversorgung der Welt: Eine volkswirtschaftliche Untersuchung, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1921, (Habilitationsschrift Universität Berlin 1921, 158 Seiten).
  • Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus, in: Weltwirtschaftliches Archiv 36 (1932), 297-321.
  • Kapitaltheoretische Untersuchungen. Fischer, Jena 1935, 2. Auflage Mohr, Tübingen 1954.
  • Die Überwindung des Historismus, in: Schmollers Jahrbuch 63 (1938), 63-86.
  • Die Grundlagen der Nationalökonomie. Jena 1939 u.ö.
  • Nationalökonomie – Wozu? Bad Godesberg 1947 (zuerst als Beitrag, 1938); 5., um ein Nachwort von Walter Oswalt erweiterte Auflage, Klett-Cotta / Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-94131-2 / ISBN 978-3-7910-3008-1 (Schäffer-Poeschel).
  • Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: Ordo 2 (1949), 1-99.
  • Unser Zeitalter der Mißerfolge. Fünf Vorträge zur Wirtschaftspolitik. Mohr, Tübingen 1951, wieder unter dem Titel: Wirtschaftsmacht und Wirtschaftsordnung. Londoner Vorträge zur Wirtschaftspolitik und zwei Beiträge zur Antimonopolpolitik. Mit einem Nachwort von [Euckens Enkel] Walter Oswalt. Lit, Münster 2001, 2. Auflage 2009.
  • Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Hrsg. von Edith Eucken-Erdsiek und Karl Paul Hensel. Mit einem Nachwort von Edgar Salin. Francke, Bern und Mohr, Tübingen 1952 u.ö.

Herausgeber

  • mit Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth: Ordnung der Wirtschaft. (Einzelpublikationen) 1937 ff.
  • mit Franz Böhm: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 1. Godesberg 1948, bis heute fortgeführt.

Literatur

  • Franz Böhm: Die Idee des Ordo im Denken Walter Euckens, in: ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Band 3, 1950, S. XV-LXVI.
  • Lüder Gerken (Hrsg.): Walter Eucken und sein Werk. Rückblick auf den Vordenker der sozialen Marktwirtschaft (= Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, Band 41). Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 3-16-147503-8.
  • Fritz W. Meyer: Eucken, Walter. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 4, Duncker & Humblot, Berlin 1959, S. 672 f. (Digitalisat).
  • Walter Oswalt: Liberale Opposition gegen den NS-Staat. Zur Entwicklung von Walter Euckens Sozialtheorie, in: Nils Goldschmidt (Hrsg.): Wirtschaft, Politik und Freiheit. Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand (= Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, Band 48), Mohr Siebeck, Tübingen 2005, S. 315–353, ISBN 978-3-16-148520-6.
  • Sebastian Sigler: Denken und Handeln für Wahrheit und Freiheit – das Lebenswerk Walter Euckens, in: ders. (Hrsg.): Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler. Duncker & Humblot, Berlin 2014. ISBN 978-3-428-14319-1, S. 249–265.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1930, 82, 181
  2. Habilitationsschrift: Die Stickstoffversorgung der Welt
  3. Bernd Martin: Martin Heidegger und der Nationalsozialismus -- der historische Rahmen. In: Martin Heidegger und das 'Dritte Reich'. Ein Kompendium. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, S. 14–50, hier S. 26.
  4. Karl Georg Zinn: Soziale Marktwirtschaft. Idee, Entwicklung und Politik der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung S. 25 (PDF; 364 kB)
  5. Gerhard D. Kleinhenz, Sozialstaatlichkeit in der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Themenheft Sozialstaat Deutschland, Lucius und Lucius, ISBN 978-3828200487, Seite 406, 407
  6. Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Rowohlt, Reinbek 1965, S. 183.
  7. Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Rowohlt, Reinbek 1965, S. 185.
  8. Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Rowohlt, Reinbek 1965, S. 185.


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