Salbung

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Die Salbung König Davids nach einer mittelalterlichen Darstellung
Friedrich Herlin: Die Heilige Maria Magdalena salbt Christus die Füße ein, Öl auf Holz; 1462-65; Außenflügel des St. Georg Altars; Nördlingen, Städtisches Museum

Die Salbung ist ein schon in den alten vorchristlichen Mysterien gebräuchliches kultisch-religiöses Ritual der Heilung und Heiligung und der Übertragung der priesterlichen und königlichen Würde. Die Salbung ist Bestandteil mehrer Sakramente und war in vielen europäischen Ländern seit dem Mittelalter auch ein entscheidender Akt der Königserhebung, der noch vor der Krönung vollzogen wurde.

Die Salbung Christi

Nach dem Bericht der Evangelien löste die Salbung des Christus in Bethanien den Verrat des Judas aus.

„Das Evangelium spricht, wenn es durch die okkulte Forschung erklärt werden kann, eine recht, recht deutliche Sprache. Und es wird sich darum handeln, daß die Menschen immer mehr und mehr verstehen lernen, daß man bei den einzelnen Punkten des Evangeliums wirklich immer wissen muß, worauf es ankommt, was gerade besonders an der einen oder anderen Stelle wichtig ist; dann trifft man erst den Punkt, der für das eine oder andere Gleichnis, für die eine oder andere Erzählung der besonders wichtige ist. Es ist kurios, daß gegenüber den wichtigsten Dingen der Evangelien die gebräuchlichen theologischen oder philosophischen Erklärungen immer eigentlich von dem merkwürdigen Gesichtspunkte ausgehen, von dem ein Mensch ausgehen würde, der das Pferd nicht so vor den Wagen stellt, wie man gewöhnlich die Pferde vor den Wagen stellt, sondern umgekehrt, was man in der trivialen Sprache nennt «das Pferd beim Schwanz aufzäumen». Das findet in der Tat bei vielen Erklärern und Kommentatoren statt; man merkt nicht, worauf es ankommt.

Weil es in dem Fortgange unserer Betrachtungen sehr bedeutsam ist, sei jetzt gleich auf eine Stelle aufmerksam gemacht, welche Sie im vierzehnten Kapitel des Markus-Evangeliums finden.

«Und da er in Bethanien war, im Hause Simons des Aussätzigen, kam eine Frau, wie er zu Tische saß, mit einer Alabasterflasche echter kostbarer Nardensalbe, schlug die Flasche auf und goß es ihm über das Haupt. Es waren aber etliche da, die unter sich zankten und sprachen: Wozu das, diese Salbe zu vergeuden? Hätte man doch diese Salbe verkaufen können um mehr als dreihundert Denare und es den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sagte: Lasset sie! Was beschwert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr allezeit bei euch und könnet ihnen allezeit Gutes tun, wann ihr wollt; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie vermochte; sie hat meinen Leib zum voraus gesalbt zum Begräbnis. Wahrlich aber, ich sage euch: Wo in aller Welt das Evangelium verkündigt wird, wird auch von ihrer Tat geredet werden zu ihrem Gedächtnis.» (Mk 14,3-9 EU)

Es wäre nur richtig, wenn man immer gestehen würde, daß eine solche Stelle etwas recht Auffallendes hat. Und die meisten Menschen sollten sich, wenn sie ehrlich sind, gestehen, daß sie sympathisieren müßten mit denen, die da zanken, daß die Salbe vertrödelt worden ist, daß es doch recht unnötig ist, sie jemandem über den Kopf zu gießen. Die meisten werden wirklich glauben, daß es besser gewesen wäre, die Salbe für dreihundert Denare zu verkaufen und das Geld den Armen zu geben. Und wenn sie ehrlich sind, werden sie es vielleicht hart finden von dem Christus, daß er sagt: Gescheiter ist es, sie gewähren zu lassen, als die dreihundert Denare, die man bekommt, wenn man die Salbe verkaufen würde, den Armen zu geben. - Da muß man sich sagen: Es müssen doch gewisse Dinge dahinterstecken, wenn man nicht eigentlich durch die ganze Erzählung abgeschreckt werden soll. Das Evangelium tut noch etwas mehr; es ist gar nicht einmal höflich an dieser Stelle. Denn wenn sich eine Anzahl Menschen finden, die sich gestehen, daß es besser gewesen wäre, die dreihundert Denare, die man für die Salbe bekommen könnte, den Armen zu geben, so will das Evangelium sagen, daß die, welche das meinen, ähnlich denken wie ein gewisser anderer. Denn es fährt fort:

«Wo in aller Welt das Evangelium verkündet wird, wird auch von ihrer Tat geredet werden zu ihrem Gedächtnis. Und Judas Iskarioth, einer von den Zwölfen, ging hin zu den Hohenpriestern, ihn an dieselben auszuliefern. Sie aber freuten sich, wie sie es hörten, und versprachen ihm Geld zu geben. Und er suchte, wie er ihn bei guter Gelegenheit ausliefern möge.» (Mk 14,9-11 EU)

Weil nämlich Judas Iskarioth besonderen Anstoß nahm an dem Vergießen der Salbe! Es werden die, welche Anstoß nahmen an dem Vergießen der Salbe, dem Beispiele des Judas Iskarioth beigesellt. Das Evangelium ist also gar nicht einmal höflich, denn es läßt ganz deutlich merken, daß die, welche an dem Vergießen der Salbe Anstoß nahmen, ebenso sind wie der Judas Iskarioth, der nachher den Herrn für dreißig Silberlinge verkaufte, indem es sagen will: Seht ihr, so sind die Menschen, welche die Salbe für dreihundert Denare verkaufen wollen; denn der Judas hängt am Geld. Das Evangelium sollte gar nicht in irgendeiner Weise beschönigt werden, denn das Beschönigen verhindert die objektive, richtige Erklärung. Man muß den Punkt finden, worauf es ankommt. Und wir werden noch mehr Beispiele finden, die uns zeigen, daß das Evangelium sich sogar daran hält, Nebenpunkte auch zuweilen in etwas anstößiger Weise zu geben, wenn der Hauptpunkt in besonders klares Licht gerückt werden soll.

Worauf kommt es hier an dieser Stelle an? Darauf, daß das Evangelium sagen will: Nicht bloß das Sinnensein ist es, auf das der Mensch zu sehen hat, nicht bloß das ist es, was im Sinnensein Wert und Bedeutung haben kann, sondern die übersinnliche Welt ist es, die der Mensch vor allen Dingen in sich hereinnehmen soll; und wichtig ist es auch, auf dasjenige zu sehen, was im Sinnensein keine Bedeutung mehr hat. Der Leib des Christus Jesus, dessen Salbung vor dem Begräbnis hier von der Frau nur vorausgenommen wird, hat keine Bedeutung, wenn er entseelt ist; aber man soll für das etwas tun, was jenseits des Sinnenseins Wert und Bedeutung hat. Das soll besonders stark herausgehoben werden. Daher wird zu diesem Herausheben gerade etwas verwendet, worauf selbst das natürliche Menschenbewußtsein glaubt den allergrößten Wert legen zu müssen im Sinnensein.

Daß man dem Sinnensein zuweilen etwas entziehen muß, um es dem Geist zu geben, dem zu geben, wohinein das Ich einrückt, wenn es leibbefreit ist, dafür wählt hier das Evangelium ein besonderes Beispiel. Es wählt gerade hier ein recht pietätlos scheinendes: daß den Armen entzogen wird, was dem Geiste gegeben, was dem Ich gegeben wird, wenn es leibbefreit ist. Es sieht nicht auf das, was das irdische Dasein wert macht, sondern auf das, was in das Ich hineinkommen kann und von dem Ich ausstrahlen kann. Das wird hier in besonders kräftiger Weise hingestellt. Daher wird es in Verbindung gebracht mit dem Judas Iskarioth, der den Verrat begeht, weil er sein Herz besonders hingedrängt fühlt zu dem Sinnensein, weil er sich unter diejenigen mischt, welche das Evangelium hier in wenig höflicher Form als die rechten Banausen bezeichnet, trotzdem es stark ist, worauf hier hingedeutet wird. Dem Judas ist es nur um das zu tun, was im Sinnensein Bedeutung hat, wie diejenigen, welche glauben, daß das, was man für die dreihundert Denare bekommen kann, mehr Bedeutung hat als das, was über das Sinnensein hinausgeht.“ (Lit.:GA 139, S. 157ff)

Über den geistigen Hintergrund der Salbung Christi sagt Rudolf Steiner:

„Das ist das erste Markante im Matthäus-Evangelium: die Versuchungsszene. Sie gibt wieder die eine Seite der Initiation, das Hinuntersteigen in den physischen Leib und Ätherleib. Die andere Seite der Initiation, das Sich-Ausbreiten in den Makrokosmos, wird auch geschildert, und zwar so, daß zunächst gezeigt wird, wie der Christus mit der menschlichen Natur, ganz im Sinne der sinnlichen, menschlichen Natur, dieses Sich-Ausbreiten in den Makrokosmos unternimmt.

Ich möchte gerade hier einen naheliegenden Einwand wenigstens erwähnen. Vollständig begegnen werden wir ihm in den nächsten Tagen, heute aber wollen wir wenigstens die Hauptpunkte abstecken, den Einwand nämlich: Wenn der Christus wirklich eine solche hohe Wesenheit war, warum mußte er das alles durchmachen, warum hineinsteigen in den physischen Leib und Ätherleib, warum gleich dem Menschen hinaustreten und sich ausweiten in den Makrokosmos? Nicht für sich brauchte er es, für die Menschen mußte er es tun! In den höheren Sphären, mit den Substantialitäten der höheren Sphären, konnten es diejenigen Wesenheiten, die dem Christus gleichartig waren. In einem menschlichen physischen Leibe und Ätherleibe war es noch nicht geschehen. Ein menschlicher Leib war noch nicht durchdrungen von der Christus-Wesenheit. Göttliche Substantialität ist hinausgetreten in den Raum. Aber das, was im Menschen lebt, ist noch nicht hinausgetragen worden in den Raum. Das konnte nur ein Christus mitnehmen und hinaus in den Raum ergießen. Das mußte zum ersten Male ein Gott in der Menschennatur machen!

Und dieses zweite Ereignis wird geschildert, indem sozusagen der zweite Pfeiler hingesetzt wurde im Matthäus-Evangelium, da, wo gezeigt wird, daß die zweite Seite der Initiation, das Hinausleben in die große Welt, das Aufgehen in Sonne und Sterne, sich wirklich durch den Christus mit der Menschennatur vollzogen hat. Da wurde er zuerst gesalbt, gesalbt wie ein anderer Mensch, damit er rein wurde, damit er gefeit wurde gegen das, was zunächst aus der physischen Welt an ihn herantreten könnte. Da sehen wir, wie die Salbung, die in den alten Mysterien eine Rolle spielt, uns wiederum entgegentritt auf höherer Stufe, auf historischem Boden, während sie sonst eine Tempelsalbung war (Mt 26,6-13 EU). Und wir sehen, wie der Christus jetzt ausdrückt das Aufgehen in die ganze Welt - nicht nur das In-sich-selber-Sein, sondern das Ergossensein in die ganze übrige Welt - beim Passahmahle, wo er denen, die um ihn stehen, erklärt, daß er sich fühlt in alledem, was innerhalb der Erde als Festes ausgeprägt ist - was in dem Wort «Ich bin das Brot» angedeutet ist - und ebenso in allem Flüssigen (Mt 26,17-30 EU). Es wird im Passahmahl angedeutet dieses bewußte Heraustreten in die große Welt, so wie der Mensch im Schlafe unbewußt heraustritt. Und das Fühlen alles dessen, was der Mensch fühlen muß als herannahende Blendung, sehen wir ausgedrückt in dem monumentalen Wort: «Meine Seele ist betrübt bis in den Tod!» (Mt 26,38 EU). Der Christus Jesus erlebt tatsächlich, was die Menschen sonst erleben wie ein Getötetwerden, ein Gelähmtwerden, wie eine Blendung. Er erlebt in der Szene von Gethsemane das, was man nennen kann: der von der Seele verlassene physische Leib zeigt seine eigenen Angstzustände. Was in dieser Szene erlebt wird, das soll schildern, wie die Seele sich weitet in der Welt und wie der Leib verlassen wird (Mt 26,36-46 EU)

Und alles, was dann folgt, soll in der Tat schildern das Hinausdringen in den Makrokosmos: die Kreuzigung, und was mit der Grablegung dargestellt ist, und alles, was sich sonst in den Mysterien vollzogen hat. Das ist der andere Pfeiler des Matthäus-Evangeliums: das Hinausleben in den Makrokosmos.“ (Lit.:GA 123, S. 140f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Das Matthäus-Evangelium, GA 123 (1988), ISBN 3-7274-1230-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Das Markus-Evangelium, GA 139 (1985), ISBN 3-7274-1390-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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