Logarithmus und Richard Wahle: Unterschied zwischen den Seiten

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Der '''Logarithmus''' (von {{grcS|λόγος|lógos|variant=alt}}, „Verständnis, Lehre, Verhältnis“, und {{lang|grc|ἀριθμός}}, ''arithmós,'' „Zahl“) <math>log_b (a)</math> einer [[Zahl]] <math>a</math> ist definiert als '''[[Exponent]]''' <math>x</math>, mit dem eine vorgegebene '''Basis''' <math>b</math> [[Potenz (Mathematik)|potenziert]] werden muss, um die Zahl <math>a</math> zu erhalten. Dazu muss die [[Exponentialgleichung]]
'''Richard Wahle''' (* [[Wikipedia:14. Februar|14. Februar]] [[Wikipedia:1857|1857]] in [[Wikipedia:Wien|Wien]]; † [[Wikipedia:21. Oktober|21. Oktober]] [[Wikipedia:1935|1935]] ebenda) war ein [[österreich]]ischer [[Philosoph]], [[Psychologe]] und [[Pädagoge]] [[jüdisch]]er Herkunft.


:<math>b^x = a</math>
== Leben und Werk ==


formal durch '''Logarithmieren''' gelöst werden, das die [[Umkehroperation]] des Potenzierens ist:
Wahle studierte an der [[Wikipedia:Universität Wien|Universität Wien]] [[Medizin]], [[Rechtswissenschaft]]en und [[Philosophie]] und wurde 1884 zum Doktor der Philosophie promoviert. Als Privatdozent lehrte er anschließend von 1885 bis 1895 Philosophie an der Universität Wien. 1887 konvertierte er zum [[Wikipedia:Römisch-katholische Kirche|römisch-katholischen Glauben]]. Von 1895 bis 1917 war Richard Wahle ordentlicher Professor für Philosophie, Pädagogik und Psychologie an der Universität [[Wikipedia:Czernowitz|Czernowitz]]. Nach seiner Emeritierung kehrte er 1917 nach Wien zurück, wo er weiterhin als Privatgelehrter und als Dozent an der Universität Wien tätig war. Am 21. Oktober 1935 starb Richard Wahle an den Folgen eines schweren Unfalls.


:<math>x = \log_b (a)</math>
Als Schüler von [[Wikipedia:Ernst Mach|Ernst Mach]] (1838-1916) war Wahle ein bedeutender Vertreter des [[Positivismus]] und propagierte einen streng [[naturwissenschaft]]lich begründeten [[Materialismus]]. Der traditionellen, [[Metaphysik|metaphysisch]] orientierten Philosophie erteilte namentlich in seinen Schriften ''Das Ganze der Philosophie und ihr Ende'' und ''Die Tragikomödie der Weisheit'' eine entschiedene Absage. Ausgenommen waren nur [[Baruch de Spinoza]] (1632-1677), [[Wikipedia:Johann Georg Hamann|Johann Georg Hamann]] (1730-1788) und [[Johann Friedrich Herbart]] (1776-1841), denen er ein gewisse Nützlichkeit zubilligte.


== Natürlicher Logarithmus ==
Gestützt auf die [[Neurowissenschaften|neurowissenschaftlichen]] Erkenntnisse seiner Zeit entwickelte Wahle in seinen Schriften ''Gehirn und Bewusstsein'' (1884) und ''Über den Mechanismus des geistigen Lebens'' (1906) eine rein eine [[Physiologie|physiologische]] Beschreibung des menschlichen [[Denken]]s, wonach alle „Vorkommnisse“ des menschlichen Lebens <ref>Vgl. ''Mechanismus des geistigen Lebens'', S. 35. und ''Die Tragikomödie der Weisheit'', S. 183f. </ref> nur bei „gleichzeitiger Aktion der Nervenapparate vorhanden“<ref>''Tragikomödie der Weisheit'', S. 85.</ref> seien.


Der '''natürliche Logarithmus''' hat die [[Eulersche Zahl]] <math>e = \textstyle\sum\limits_{n=0}^{\infty}{\frac1{n!}} = 2,71828 \dots</math> zur Basis:
[[Rudolf Steiner]] rezensierte Wahles Schrift „''Gehirn und Bewusstsein. Physiologisch-psychologische Studie.''“ (1884) kurz nach deren Erscheinen.


<math>log_e (x) = ln (x)</math>
{{GZ|Der Verfasser stellt sich die Aufgabe, die Bedeutung
der physiologischen Erforschung des Gehirnmechanismus für die
Erkenntnis der Bewußtseinserscheinungen darzulegen. Zunächst
widerlegt er die in naturwissenschaftlichen Kreisen heute allgemein
geltende Ansicht, daß die uns unmittelbar durch die Sinne
gegebene Welt, dieser Komplex von Farben, Tönen, Gestalten,
Wärmedifferenzen und so weiter nichts weiter sei als die Wirkung
objektiver materieller Vorgänge auf unsere subjektive Organisation.
Die Erscheinungswelt sei also im Grunde ein subjektiver
Schein, der nur so lange Bestand habe, als wir unsere Sinne den
Eindrücken der materiellen Prozesse offenhalten, wogegen diese
Prozesse selbst aus einer von uns ganz unabhängigen eigenen
Wirklichkeit gesättigt und so die wahre Ursache aller Naturerscheinungen
seien. Wähle zeigt nun, daß den Vorgängen in der
Materie gar kein höherer Grad von Wirklichkeit zukommt als
jener angeblich von ihnen bewirkten subjektiven Welt. Wir müssen
beide als uns vorliegende Vorkommnisse betrachten, die uns
als zusammengehörig (koordiniert) gegenübertreten, ohne daß wir
berechtigt wären anzunehmen, das eine sei die wahre Ursache des
anderen. Es ist so, wie wir etwa Tag und Nacht als einander
koordiniert ansehen müssen, ohne daß das eine von beiden als
Wirkung des anderen betrachtet werden könnte. So wie hier die
notwendige Aufeinanderfolge in dem Bau und den Vorgängen
unseres Sonnensystems begründet liegt, so wird auch die Koordination
eines materiellen Prozesses und einer Empfindungsqualität,
zum Beispiel Ton, Farbe und so weiter, von irgendeinem wahrhaften
Tatbestand bedingt sein; jedenfalls aber nicht davon, daß
der erstere die letztere bewirkt. Nun ergibt sich die Zusammengehörigkeit
von Gehirnmechanismus und Bewußtsein nur als ein
spezieller Fall einer solchen Koordination. Wir sind, nach Wähle,
nur in der Lage wahrzunehmen, daß beide parallel verlaufende
Vorkommnisse sind; wir sind aber nicht berechtigt, das Bewußtsein
als reale Folge des Gehirnmechanismus anzusehen. Die Physiologie
behält recht, wenn sie die materiellen Korrelate zu den
geistigen Phänomenen sucht; aber die materialistische Phantastik,
die den Geist zum wahrhaften Produkte des Gehirns machen will,
erhält den Abschiedsbrief. Ja, jener arbeitet Wahle sogar entgegen,
indem er zeigt, daß die bisher in der Psychologie als selbständige
Akte des Bewußtseins geltenden Phänomene, wie Anerkennen,
Verwerfen, Lieben, Wünschen, Wollen und so weiter, nichts
anderes sind als miteinander oder mit anderen koordinierte Vorkommnisse,
die gar nicht die Annahme einer besonderen subjektiven
Tätigkeit, welche der Physiologie ungünstig wäre, nötig
machen. Die Bewußtseinsphänomene führt der Verfasser auf ein
allgemeines Gesetz zurück, wodurch eine Vorstellung durch eine
ihr nicht ganz, sondern teilweise gleiche in das Bewußtsein zurückgerufen
werden kann. So wäre es bloß Aufgabe der Physiologie,
für diesen psychologischen Befund den korrespondierenden mechanischen
Tatbestand im Gehirne zu finden, was gewiß leichter ist,
als wenn das für jeden der obenangeführten angeblichen Bewußtseinsakte
geschehen müßte.


[[Kategorie:Mathematik]]
Die Hauptbedeutung dieses Werkchens liegt darin, einmal in
scharfen Konturen gezeigt zu haben, was uns eigentlich die Erfahrung
gibt und was oft zu ihr nur hinzugedacht wird. Alles,
was die einzelnen Wissenschaften finden können, besteht nur in
dem Konstatieren zusammengehöriger Vorkommnisse, wobei wir
voraussetzen müssen, daß die Hinzugehörigkeit selbst in irgendeinem
wahrhaften Tatbestande gegründet liege. Wir halten das
von dem Verfasser Vorgebrachte für durchaus überzeugend, glauben
jedoch, daß er die letzte Konsequenz seiner Ansichten nicht
gezogen hat. Sonst hätte er wohl gefunden, daß uns jene wahrhaften
Tatbestände selbst als erfahrungsmäßige Vorkommnisse —
nämlich die ideellen — gegeben sind und daß die Negation des
Materialismus folgerichtig zum wissenschaftlichen Idealismus führt.|30|475f}}
 
== Schriften ==
* ''Gehirn und Bewusstsein.'' Physiologisch-psychologische Studie. Wien: Hölder 1884, 97 S.
* ''Eine Verteidigung der Willensfreiheit.'' Halle an der Saale: Heynemann 1887, 64 S.
* ''Über die geometrische Methode des [Baruch de] Spinoza.'' Wien: Tempsky 1888 (= Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Band 116. 1.), S. 431–452.
* ''Über das Verhältniss zwischen Substanz und Attributen in [Baruch de] Spinoza’s Ethik.'' Wien: Tempsky 1889 (= Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Band 117. 8.), 22 S.
* ''Die Glückseligkeitslehre der »Ethik« des [Baruch de] Spinoza.'' Wien: Tempsky 1889 (= Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Band 119. 11.), 44 S.
* ''Das Ganze der Philosophie und ihr Ende. Ihre Vermächtnisse an die Theologie, Physiologie, Ästhetik und Staatspädagogik. Mit 60 Figuren in Holzschnitten.'' Wien–Leipzig: Braumüller 1894, XII, 539 S.
* ''Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung der Philosophie bis zu ihrer letzten Phase. Ein Leitfaden für allgemein Gebildete und Studierende der Hoch- und Mittelschulen.'' Wien–Leipzig: Braumüller 1895, IV, 66 S.
* ''Die Ethik [Wilhelm] Wundts.'' Leipzig: Reisland [1897], 25 S. Separatabdruck aus: Vierteljahrsschrift für Wissenschaftliche Philosophie, 21. Jg., Nr. 1.
* ''Kurze Erklärung der Ethik von [Baruch de] Spinoza und Darstellung der definitiven Philosophie.'' Wien–Leipzig: Braumüller 1899, VIII, 212 S.
* ''Ideen zur Organisation der Erziehung.'' Berlin: Stilke 1901, 16 S. Separatabdruck aus: Die Gegenwart, 30. Jg., Nr. 28.
* ''Vorschlag einer universellen Mittelschule.'' Wien–Leipzig: Braumüller 1906, 17 S.
* ''Über den Mechanismus des geistigen Lebens.'' Wien–Leipzig: Braumüller 1906, VI, 573 S.
* ''Josua. Ein frohes Evangelium aus künftigen Tagen.'' Nach einem französischen Manuskript. Wien–Leipzig: Braumüller 1912, 65 S.
* ''Die Tragikomödie der Weisheit. Die Ergebnisse und die Geschichte des Philosophierens.'' Ein Lesebuch. Wien–Leipzig: Braumüller 1915, VII, 415 S.
* ''Ein Weg zum ewigen Frieden.'' Wien: Anzengruber 1917 (= Der Aufstieg. 1.), 14 S.
* ''205 anregende Fälle von Gerade- und Krumm-Denken. Eine praktische Logik für Jung und Alt, Mann und Frau.'' Wien–Leipzig: Braumüller 1923, 86 S.
* ''Entstehung der Charaktere.'' München: Drei Masken-Verlag 1928 [recte 1927], VI, 388 S.
* ''Grundlagen einer neuen Psychiatrie. Ein Lesebuch für Laien, Studenten und Forscher.'' Wien: Steyermühl 1931, 87 S.
* ''Fröhliches Register der paar philosophischen Wahrheiten.'' Wien–Leipzig: Braumüller 1934, 39 S.
* ''Don Pizarro. Drama, spielt in Spanien zu Beginn der französischen Revolution.'' Wien–Leipzig–Zürich: Gerstel 1935, 30 S.
* ''Vom wahnhaften Wissen zum wahrhaften Nichtwissen.'' Ausgewählt, herausgegeben und eingeleitet von Franz Austeda. Wien: Deuticke 1979 (= Österreichische Denker. 4.), VIII, 331 S.
 
== Literatur ==
 
#Rudolf Steiner: ''Methodische Grundlagen der Anthroposophie'', [[GA 30]] (1989), ISBN 3-7274-0300-4 {{Vorträge|030}}
 
{{GA}}
 
== Einzelnachweise ==
 
<references />
 
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[[Kategorie:Positivist]]
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[[Kategorie:Pädagoge]]
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[[Kategorie:Geboren 1857]]
[[Kategorie:Gestorben 1935]]
[[Kategorie:Mann]]

Version vom 16. Juli 2018, 04:33 Uhr

Richard Wahle (* 14. Februar 1857 in Wien; † 21. Oktober 1935 ebenda) war ein österreichischer Philosoph, Psychologe und Pädagoge jüdischer Herkunft.

Leben und Werk

Wahle studierte an der Universität Wien Medizin, Rechtswissenschaften und Philosophie und wurde 1884 zum Doktor der Philosophie promoviert. Als Privatdozent lehrte er anschließend von 1885 bis 1895 Philosophie an der Universität Wien. 1887 konvertierte er zum römisch-katholischen Glauben. Von 1895 bis 1917 war Richard Wahle ordentlicher Professor für Philosophie, Pädagogik und Psychologie an der Universität Czernowitz. Nach seiner Emeritierung kehrte er 1917 nach Wien zurück, wo er weiterhin als Privatgelehrter und als Dozent an der Universität Wien tätig war. Am 21. Oktober 1935 starb Richard Wahle an den Folgen eines schweren Unfalls.

Als Schüler von Ernst Mach (1838-1916) war Wahle ein bedeutender Vertreter des Positivismus und propagierte einen streng naturwissenschaftlich begründeten Materialismus. Der traditionellen, metaphysisch orientierten Philosophie erteilte namentlich in seinen Schriften Das Ganze der Philosophie und ihr Ende und Die Tragikomödie der Weisheit eine entschiedene Absage. Ausgenommen waren nur Baruch de Spinoza (1632-1677), Johann Georg Hamann (1730-1788) und Johann Friedrich Herbart (1776-1841), denen er ein gewisse Nützlichkeit zubilligte.

Gestützt auf die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit entwickelte Wahle in seinen Schriften Gehirn und Bewusstsein (1884) und Über den Mechanismus des geistigen Lebens (1906) eine rein eine physiologische Beschreibung des menschlichen Denkens, wonach alle „Vorkommnisse“ des menschlichen Lebens [1] nur bei „gleichzeitiger Aktion der Nervenapparate vorhanden“[2] seien.

Rudolf Steiner rezensierte Wahles Schrift „Gehirn und Bewusstsein. Physiologisch-psychologische Studie.“ (1884) kurz nach deren Erscheinen.

„Der Verfasser stellt sich die Aufgabe, die Bedeutung der physiologischen Erforschung des Gehirnmechanismus für die Erkenntnis der Bewußtseinserscheinungen darzulegen. Zunächst widerlegt er die in naturwissenschaftlichen Kreisen heute allgemein geltende Ansicht, daß die uns unmittelbar durch die Sinne gegebene Welt, dieser Komplex von Farben, Tönen, Gestalten, Wärmedifferenzen und so weiter nichts weiter sei als die Wirkung objektiver materieller Vorgänge auf unsere subjektive Organisation. Die Erscheinungswelt sei also im Grunde ein subjektiver Schein, der nur so lange Bestand habe, als wir unsere Sinne den Eindrücken der materiellen Prozesse offenhalten, wogegen diese Prozesse selbst aus einer von uns ganz unabhängigen eigenen Wirklichkeit gesättigt und so die wahre Ursache aller Naturerscheinungen seien. Wähle zeigt nun, daß den Vorgängen in der Materie gar kein höherer Grad von Wirklichkeit zukommt als jener angeblich von ihnen bewirkten subjektiven Welt. Wir müssen beide als uns vorliegende Vorkommnisse betrachten, die uns als zusammengehörig (koordiniert) gegenübertreten, ohne daß wir berechtigt wären anzunehmen, das eine sei die wahre Ursache des anderen. Es ist so, wie wir etwa Tag und Nacht als einander koordiniert ansehen müssen, ohne daß das eine von beiden als Wirkung des anderen betrachtet werden könnte. So wie hier die notwendige Aufeinanderfolge in dem Bau und den Vorgängen unseres Sonnensystems begründet liegt, so wird auch die Koordination eines materiellen Prozesses und einer Empfindungsqualität, zum Beispiel Ton, Farbe und so weiter, von irgendeinem wahrhaften Tatbestand bedingt sein; jedenfalls aber nicht davon, daß der erstere die letztere bewirkt. Nun ergibt sich die Zusammengehörigkeit von Gehirnmechanismus und Bewußtsein nur als ein spezieller Fall einer solchen Koordination. Wir sind, nach Wähle, nur in der Lage wahrzunehmen, daß beide parallel verlaufende Vorkommnisse sind; wir sind aber nicht berechtigt, das Bewußtsein als reale Folge des Gehirnmechanismus anzusehen. Die Physiologie behält recht, wenn sie die materiellen Korrelate zu den geistigen Phänomenen sucht; aber die materialistische Phantastik, die den Geist zum wahrhaften Produkte des Gehirns machen will, erhält den Abschiedsbrief. Ja, jener arbeitet Wahle sogar entgegen, indem er zeigt, daß die bisher in der Psychologie als selbständige Akte des Bewußtseins geltenden Phänomene, wie Anerkennen, Verwerfen, Lieben, Wünschen, Wollen und so weiter, nichts anderes sind als miteinander oder mit anderen koordinierte Vorkommnisse, die gar nicht die Annahme einer besonderen subjektiven Tätigkeit, welche der Physiologie ungünstig wäre, nötig machen. Die Bewußtseinsphänomene führt der Verfasser auf ein allgemeines Gesetz zurück, wodurch eine Vorstellung durch eine ihr nicht ganz, sondern teilweise gleiche in das Bewußtsein zurückgerufen werden kann. So wäre es bloß Aufgabe der Physiologie, für diesen psychologischen Befund den korrespondierenden mechanischen Tatbestand im Gehirne zu finden, was gewiß leichter ist, als wenn das für jeden der obenangeführten angeblichen Bewußtseinsakte geschehen müßte.

Die Hauptbedeutung dieses Werkchens liegt darin, einmal in scharfen Konturen gezeigt zu haben, was uns eigentlich die Erfahrung gibt und was oft zu ihr nur hinzugedacht wird. Alles, was die einzelnen Wissenschaften finden können, besteht nur in dem Konstatieren zusammengehöriger Vorkommnisse, wobei wir voraussetzen müssen, daß die Hinzugehörigkeit selbst in irgendeinem wahrhaften Tatbestande gegründet liege. Wir halten das von dem Verfasser Vorgebrachte für durchaus überzeugend, glauben jedoch, daß er die letzte Konsequenz seiner Ansichten nicht gezogen hat. Sonst hätte er wohl gefunden, daß uns jene wahrhaften Tatbestände selbst als erfahrungsmäßige Vorkommnisse — nämlich die ideellen — gegeben sind und daß die Negation des Materialismus folgerichtig zum wissenschaftlichen Idealismus führt.“ (Lit.:GA 30, S. 475f)

Schriften

  • Gehirn und Bewusstsein. Physiologisch-psychologische Studie. Wien: Hölder 1884, 97 S.
  • Eine Verteidigung der Willensfreiheit. Halle an der Saale: Heynemann 1887, 64 S.
  • Über die geometrische Methode des [Baruch de] Spinoza. Wien: Tempsky 1888 (= Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Band 116. 1.), S. 431–452.
  • Über das Verhältniss zwischen Substanz und Attributen in [Baruch de] Spinoza’s Ethik. Wien: Tempsky 1889 (= Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Band 117. 8.), 22 S.
  • Die Glückseligkeitslehre der »Ethik« des [Baruch de] Spinoza. Wien: Tempsky 1889 (= Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Band 119. 11.), 44 S.
  • Das Ganze der Philosophie und ihr Ende. Ihre Vermächtnisse an die Theologie, Physiologie, Ästhetik und Staatspädagogik. Mit 60 Figuren in Holzschnitten. Wien–Leipzig: Braumüller 1894, XII, 539 S.
  • Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung der Philosophie bis zu ihrer letzten Phase. Ein Leitfaden für allgemein Gebildete und Studierende der Hoch- und Mittelschulen. Wien–Leipzig: Braumüller 1895, IV, 66 S.
  • Die Ethik [Wilhelm] Wundts. Leipzig: Reisland [1897], 25 S. Separatabdruck aus: Vierteljahrsschrift für Wissenschaftliche Philosophie, 21. Jg., Nr. 1.
  • Kurze Erklärung der Ethik von [Baruch de] Spinoza und Darstellung der definitiven Philosophie. Wien–Leipzig: Braumüller 1899, VIII, 212 S.
  • Ideen zur Organisation der Erziehung. Berlin: Stilke 1901, 16 S. Separatabdruck aus: Die Gegenwart, 30. Jg., Nr. 28.
  • Vorschlag einer universellen Mittelschule. Wien–Leipzig: Braumüller 1906, 17 S.
  • Über den Mechanismus des geistigen Lebens. Wien–Leipzig: Braumüller 1906, VI, 573 S.
  • Josua. Ein frohes Evangelium aus künftigen Tagen. Nach einem französischen Manuskript. Wien–Leipzig: Braumüller 1912, 65 S.
  • Die Tragikomödie der Weisheit. Die Ergebnisse und die Geschichte des Philosophierens. Ein Lesebuch. Wien–Leipzig: Braumüller 1915, VII, 415 S.
  • Ein Weg zum ewigen Frieden. Wien: Anzengruber 1917 (= Der Aufstieg. 1.), 14 S.
  • 205 anregende Fälle von Gerade- und Krumm-Denken. Eine praktische Logik für Jung und Alt, Mann und Frau. Wien–Leipzig: Braumüller 1923, 86 S.
  • Entstehung der Charaktere. München: Drei Masken-Verlag 1928 [recte 1927], VI, 388 S.
  • Grundlagen einer neuen Psychiatrie. Ein Lesebuch für Laien, Studenten und Forscher. Wien: Steyermühl 1931, 87 S.
  • Fröhliches Register der paar philosophischen Wahrheiten. Wien–Leipzig: Braumüller 1934, 39 S.
  • Don Pizarro. Drama, spielt in Spanien zu Beginn der französischen Revolution. Wien–Leipzig–Zürich: Gerstel 1935, 30 S.
  • Vom wahnhaften Wissen zum wahrhaften Nichtwissen. Ausgewählt, herausgegeben und eingeleitet von Franz Austeda. Wien: Deuticke 1979 (= Österreichische Denker. 4.), VIII, 331 S.

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Methodische Grundlagen der Anthroposophie, GA 30 (1989), ISBN 3-7274-0300-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Mechanismus des geistigen Lebens, S. 35. und Die Tragikomödie der Weisheit, S. 183f.
  2. Tragikomödie der Weisheit, S. 85.