Gerechtigkeit und Wilhelm von Ockham: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Gerechtigkeit''' ([[Wikipedia:Griechische Sprache|griech.]] δικαιοσύνη, ''dikaiosýne'', [[Latein|lat.]] ''iustitia'', [[Wikipedia:Englische Sprache|engl.]] und [[Wikipedia:Französische Sprache|franz.]] ''justice'') ist eine der vier von [[Platon]] genannten [[Kardinaltugend]]en. Nach seiner Auffassung ist sie die herausragende [[Tugend]], der gemäß jeder nur das erfüllt, was seine Aufgabe ist (→ [[Idiopragieformel]]) und durch die er die drei [[Seele]]nteile, nämlich das ''Begehrende'', das ''Muthafte'' und das ''Vernünftige'', im rechten Gleichgewicht hält<ref>Platon: [[Wikipedia:Politeia|Politeia]] 443d</ref>. Gerechtigkeit ist derart der Ausdruck der [[Ich-Kraft]], die die [[Seelenkräfte]] des [[Denken]]s, [[Fühlen]]s und [[Wollen]]s in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringt. Diese innere Ausgewogenheit ist die notwendige Voraussetzung, um auch im äußeren Leben den anderen Menschen gegenüber Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Gerechtigkeit ist darüber hinaus ein Maß dafür, wie wir mit dem Göttlichen zusammenhängen. Insofern die [[Aufrichtekraft]] des Menschen ebenfalls Ausdruck seines [[Ich]]s ist, hängt die Gerechtigkeit auch mit dieser zusammen - nur der ''aufrechte'' Mensch kann gerecht sein. Insofern sich der Mensch nur auf der Grundlage des festen Erdbodens aufrichten kann, hängt die Gerechtigkeit auch mit dem [[Erdelement]] bzw. mit der Verdichtung des [[Materie|Materiellen]] zusammen. Für viele [[Kabbala|Kabbalisten]] ist sogar das [[Gott|göttliche]] [[Din|Gericht]], mit seiner Kraft zu trennen und zu scheiden, die eigentliche Ursache für die [[Schöpfung]] der äußeren materiellen Welt, zugleich aber eben dadurch auch die Wurzel des [[Das Böse|Bösen]], der [[Finsternis|Verfinsterung]] des [[Geist]]igen durch die [[Materie]]. Der [[Zaddik]] ({{HeS|צדיק}}), d.h. ein „Rechtschaffener“ oder „Gerechter“, ein als heilig oder moralisch herausragend geachteten Mann im [[Chassidismus]], ist auch in dieser Finsternis ein sicherer Führer zum geistigen [[Licht]]. Von ihm heißt es: ''„Wenn der Sturm daherbraust, ist der Frevler verloren, der Gerechte ist fest gegründet für immer.“'' {{Bibel|Spr|10|25}}
[[Datei:William of Ockham.png|mini|Wilhelm von Ockham auf einem Kirchenfenster in [[Wikipedia:Surrey|Surrey]]]]


[[Datei:GA170_078.gif|thumb|300px|Die 4 [[Kardinaltugend]]en ([[GA 170]], S 78)]]
'''Wilhelm von Ockham''' ({{EnS|}} ''William of Ockham'' oder ''Occam''; * um [[Wikipedia:1288|1288]] in [[WikipediaEN:Ockham, Surrey|Ockham]] in der Grafschaft [[Wikipedia:Surrey|Surrey]], [[Wikipedia:England|England]]; † [[Wikipedia:9. April|9. April]] [[Wikipedia:1347|1347]] in [[Wikipedia:München|München]]) war ein [[Spätscholastik|spätscholastischer]] [[Wikipedia:Franziskanische Orden|franziskanischer]] [[Theologe]] und [[Philosoph]] und gilt als Erneuerer und einer der Hauptvertreter des [[Nominalismus]].  
<div style="margin-left:20px">
"Dieselbe Kraft,
die wir gebrauchen als Kind, wenn wir uns vom kriechenden Wesen
aufrichten, lebt in uns, wenn wir die Tugend der Gerechtigkeit, die
vierte der von Plato angeführten, haben.


Wer wirklich die Tugend der Gerechtigkeit übt, stellt ein jedes
Ockham betonte implizit in seinen Schriften immer wieder das [[Parsimonitätsprinzip]] („Sparsamkeitsprinzip“), das später unter der Bezeichnung [[Ockhams Rasiermesser]] bekannt wurde und bis heute das [[wissenschaft]]liche Denken prägt. Zur Erklärung eines [[Sachverhalt]]s dürfen demnach nicht mehr [[Hypothese]]n herangezogen werden als unbedingt nötig seien - alle darüber hinausgehenden Annahmen werden gleichsam „mit dem Rasiermesser abgeschnitten“. In der klassischen Formulierung des Philosophen [[Wikipedia:Johannes Clauberg|Johannes Clauberg]] (1622–1665) lautet dieses Prinzip: „[[Entität]]en dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.“<ref>„Entia non sunt multiplicanda sine'' [oder: ''praeter''] ''necessitate.“ (Johannes Clauberg: ''Logica vetus et nova'' (1654), S. 320)</ref>
Ding, ein jedes Wesen an den richtigen Platz hin, geht aus sich heraus
und in die andern hinein. Das heißt, in der allumfassenden Gerechtigkeit
leben. In der Weisheit leben, heißt, die besten Früchte ziehen aus
den Kräften, die wir in früheren Inkarnationen aufgespeichert haben.
Und wenn wir da schon hinweisen mußten auf dasjenige, was uns in
den früheren Inkarnationen zuteil war, wo noch göttliche Kräfte uns
durchzogen, müssen wir bei der Gerechtigkeit noch mehr darauf hinweisen:
Wir stammen aus dem Kosmos. Gerechtigkeit üben wir,
wenn wir die Kräfte entfalten, durch die wir mit dem ganzen Kosmos,
aber in geistiger Beziehung, zusammenhängen. Die Gerechtigkeit
stellt das Maß dazu dar, wie ein Mensch mit dem Göttlichen zusammenhängt.
Die Ungerechtigkeit ist, praktisch, gleich dem Gottlosen,
gleich dem, der seinen göttlichen Ursprung verloren hat, und wir
lästern Gott, den Gott, von dem wir abstammen, wenn wir irgendeinem
Menschen Unrecht tun." {{Lit|{{G|159|23}}}}
</div>


Mit der Gerechtigkeit strömt die [[Moral]]ität unmittelbar bis in den [[Physischer Leib|physischen Leib]]:
{{LZ|Als wichtigste philosophische Tat Ockhams wird in der Regel seine Erneuerung des Nominalismus bezeichnet. Im Gegensatz zu dem gemäßigten Realismus, den die Hauptführer der Scholastik (Anselm, Thomas, Scotus) vertreten hatten, lehrt er, entgegen diesen »Platonikern« an den »echten Aristoteles« sich anschließend: Nur die Einzeldinge sind das Wirkliche. Die allgemeinen Begriffe existieren nur im denkenden Geiste, d.h. objective, nicht substantiell oder subjective<ref>Die beiden Termini »objektiv« und »subjektiv«, die so viel Verwirrung in der Geschichte der Philosophie angerichtet haben, hätten also bei ihrem ersten Gebrauche gerade die umgekehrte Bedeutung wie heute.</ref>. Unsere Begriffe sind keine wirklichen Abbilder der Dinge, sondern nur Zeichen (termini) für dieselben (der Nominalismus wird daher neuerdings oft auch als Terminismus bezeichnet), deren Behandlung der Logik, Ockhams Lieblingswissenschaft, zufällt. Es gibt kein Ding, z.B. keinen Menschen »an sich«; das wäre eine unnütze »Vervielfachung des Seienden«, entgegen dem Grundsatz unseres Scholastikers: entia praeter necessitatem non sunt multiplicanda. Der Satz »der Mensch ist sterblich« bedeutet nichts anderes als: alle einzelnen Menschen sind sterblich.|Vorländer, S. 278f [http://www.zeno.org/Philosophie/M/Vorl%C3%A4nder,+Karl/Geschichte+der+Philosophie/Die+Philosophie+des+Mittelalters/Zweiter+Abschnitt.+Die+Scholastik/Kapitel+V.+Ausgang+der+Scholastik.+Bl%C3%BCte+der+deutschen+Mystik/%C2%A7+68.+Erneuerung+des+Nominalismus+im+14.+und+15.+Jahrhundert%3A+Wilhelm+von+Ockham+und+seine+Nachfolger]}}


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== Siehe auch ==
"Und als vierte umfassende Tugend, die nun in den ganzen physischen
Leib strömt, von dem ich Ihnen gestern gezeigt habe, daß er eigentlich
unsichtbar ist, nennt Plato Dikaiosyne. Das müssen wir übersetzen mit
Gerechtigkeit, obwohl das Wort Gerechtigkeit in den modernen Sprachen
nicht vollständig damit übereinstimmt; denn Gerechtigkeit müssen
wir so nehmen: daß der Mensch sich zu richten weiß, gerecht,
richtungsgemäß, daß er einer menschlichen Richtung folgt im Leben.
Also es ist nicht das abstrakte Wort Gerechtigkeit bloß gemeint, sondern
das Sich-Richtung-Gebende, Sich-Auskennende, Sich-Orientierende
im Leben. So daß wir sagen können: Da hat die Einströmung der
Moralitätssphäre in den ganzen physischen Leib Anteil als Gerechtigkeit
(rot)." {{Lit|{{G|170|79f}}}}
</div>


Die Gerechtigkeit wird auch in der vierten [[Seligpreisung]] der [[Bergpredigt]] angesprochen.
* {{WikipediaDE|Wilhelm von Ockham}}


{{Zitat|Selig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.|[[Matthäusevangelium]]|{{BB|Mt|5|6}}}}
== Literatur ==
 
Sie bezieht sich laut [[Rudolf Steiner]] auf die [[Empfindungsseele]], in der bereits das [[Ich]] zu wirken beginnt, wodurch der Hunger und Durst nach Gerechtigkeit erwacht:
 
{{GZ|Wenn wir jetzt zu dem Ich hinauf kommen, so wissen wir, daß
dieses Ich arbeitet in der Empfindungsseele, in der Verstandesseele
und in der Bewußtseinsseele. Das Ich arbeitet in der Empfindungsseele,
das heißt, es vergeistigt die Empfindungsseele. Dadurch wird
für den Menschen in der äußeren Welt dasjenige zu einer wichtigen
Angelegenheit, was gerade durch das Christentum verbreitet werden
soll: die Allgerechtigkeit ausgießende menschliche Bruderliebe. Was
sonst die Empfindungsseele nur im Physischen empfindet, Durst
und Hunger, das muß sie durch das Christentum in bezug auf das
Geistige zu empfinden lernen: Durst und Hunger nach der allwaltenden
Gerechtigkeit. Diejenigen, welche so das Zentrum des Menschen
im Ich finden, werden dadurch, daß sie an sich selber arbeiten,
befriedigt werden für ihr Verlangen in der Empfindungsseele nach
allwaltender irdischer Gerechtigkeit. Gotterfüllt werden sie sein, die
durch den Christus-Impuls lernen nach Gerechtigkeit zu dürsten
und zu hungern, wie man nach physischer Nahrung hungert und
dürstet, denn durch die starke Kraft in ihrem Innern werden sie dadurch,
daß sie arbeiten an der Gerechtigkeit in der Welt, in sich selber
finden die Sattheit für diese Eigenschaft!|116|89f}}


== Anmerkungen ==
#[[Wikipedia:Karl Vorländer|Karl Vorländer]]: ''Geschichte der Philosophie''. Band 1, Leipzig 1919


<references/>
== Einzelnachweise ==


== Literatur ==
<references />


#Rudolf Steiner: ''Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewußtseins'', [[GA 116]] (1982), ISBN 3-7274-1160-0 {{Vorträge|116}}
{{Normdaten|TYP=p|GND=118633015|LCCN=n/79/81704|NDL=00621226|VIAF=262145669298005170004}}
#Rudolf Steiner: ''Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister'', [[GA 159]] [GA 159/160] (1980), ISBN 3-7274-1590-8 {{Vorträge|159}}
#Rudolf Steiner: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte'', [[GA 170]] (1992), ISBN 3-7274-1700-5 {{Vorträge|170}}
# Joachim Stiller: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_gerechtigkeit.pdf Über die Gerechtigkeit] PDF


{{GA}}
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[[Kategorie:Philosoph (Mittelalter)]]
[[Kategorie:Wissenschaftstheoretiker]]
[[Kategorie:Scholastiker]]
[[Kategorie:Christlicher Theologe]]
[[Kategorie:Franziskaner]]
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[[Kategorie:Geboren im 13. Jahrhundert]]
[[Kategorie:Gestorben 1347]]
[[Kategorie:Mann]]


[[Kategorie:Grundbegriffe]] [[Kategorie:Ethik]] [[Kategorie:Recht]]
{{Wikipedia}}

Version vom 11. November 2018, 01:00 Uhr

Wilhelm von Ockham auf einem Kirchenfenster in Surrey

Wilhelm von Ockham (eng. William of Ockham oder Occam; * um 1288 in Ockham in der Grafschaft Surrey, England; † 9. April 1347 in München) war ein spätscholastischer franziskanischer Theologe und Philosoph und gilt als Erneuerer und einer der Hauptvertreter des Nominalismus.

Ockham betonte implizit in seinen Schriften immer wieder das Parsimonitätsprinzip („Sparsamkeitsprinzip“), das später unter der Bezeichnung Ockhams Rasiermesser bekannt wurde und bis heute das wissenschaftliche Denken prägt. Zur Erklärung eines Sachverhalts dürfen demnach nicht mehr Hypothesen herangezogen werden als unbedingt nötig seien - alle darüber hinausgehenden Annahmen werden gleichsam „mit dem Rasiermesser abgeschnitten“. In der klassischen Formulierung des Philosophen Johannes Clauberg (1622–1665) lautet dieses Prinzip: „Entitäten dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.“[1]

„Als wichtigste philosophische Tat Ockhams wird in der Regel seine Erneuerung des Nominalismus bezeichnet. Im Gegensatz zu dem gemäßigten Realismus, den die Hauptführer der Scholastik (Anselm, Thomas, Scotus) vertreten hatten, lehrt er, entgegen diesen »Platonikern« an den »echten Aristoteles« sich anschließend: Nur die Einzeldinge sind das Wirkliche. Die allgemeinen Begriffe existieren nur im denkenden Geiste, d.h. objective, nicht substantiell oder subjective[2]. Unsere Begriffe sind keine wirklichen Abbilder der Dinge, sondern nur Zeichen (termini) für dieselben (der Nominalismus wird daher neuerdings oft auch als Terminismus bezeichnet), deren Behandlung der Logik, Ockhams Lieblingswissenschaft, zufällt. Es gibt kein Ding, z.B. keinen Menschen »an sich«; das wäre eine unnütze »Vervielfachung des Seienden«, entgegen dem Grundsatz unseres Scholastikers: entia praeter necessitatem non sunt multiplicanda. Der Satz »der Mensch ist sterblich« bedeutet nichts anderes als: alle einzelnen Menschen sind sterblich.“ (Lit.: Vorländer, S. 278f [1])

Siehe auch

Literatur

  1. Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 1, Leipzig 1919

Einzelnachweise

  1. „Entia non sunt multiplicanda sine [oder: praeter] necessitate.“ (Johannes Clauberg: Logica vetus et nova (1654), S. 320)
  2. Die beiden Termini »objektiv« und »subjektiv«, die so viel Verwirrung in der Geschichte der Philosophie angerichtet haben, hätten also bei ihrem ersten Gebrauche gerade die umgekehrte Bedeutung wie heute.


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Wilhelm von Ockham aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.